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Du hast unsere Familie in Verruf gebracht! Bebend vor Empörung verbannt Graf von Hohenstein seine Tochter aufs Land. Alexandras rebellische Ader hat ihm schon so manche schlaflose Nacht beschert, aber als das neueste Skandalvideo zu einer ihrer Eskapaden viral geht, ist das Maß voll. Auf einem abgelegenen Jagdgut in den österreichischen Alpen soll sie zur Ruhe kommen und sich auf ihren Platz in der Gesellschaft besinnen. Statt rauschender Bälle erwarten sie endlose Wälder, einsame Berge ... und Marius. Der verschlossene Wildhüter ist anders als die Männer, mit denen sie sich sonst trifft. Trotzdem zieht etwas sie unwiderstehlich zu ihm hin. Doch Marius ist nicht der, für den sie ihn hält. Und bald könnte ein einziger Kuss genügen, um alles zu zerstören, das sie liebt ...
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Skandal um Mitternacht
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Von der High Society verstoßen – von der Liebe überrascht
Von Caroline Thanneck
Du hast unsere Familie in Verruf gebracht! Bebend vor Empörung verbannt Graf von Hohenstein seine Tochter aufs Land. Alexandras rebellische Ader hat ihm schon so manche schlaflose Nacht beschert, aber als das neueste Skandalvideo zu einer ihrer Eskapaden viral geht, ist das Maß voll. Auf einem abgelegenen Jagdgut in den österreichischen Alpen soll sie zur Ruhe kommen und sich auf ihren Platz in der Gesellschaft besinnen. Statt rauschender Bälle erwarten sie endlose Wälder, einsame Berge ... und Marius. Der verschlossene Wildhüter ist anders als die Männer, mit denen sie sich sonst trifft. Trotzdem zieht etwas sie unwiderstehlich zu ihm hin. Doch Marius ist nicht der, für den sie ihn hält. Und bald könnte ein einziger Kuss genügen, um alles zu zerstören, das sie liebt ...
Marius lag im Bett und starrte die Decke so vorwurfsvoll an, als wäre sie höchstpersönlich für seine schlaflose Nacht verantwortlich. Ein Streifen Mondlicht fiel durch den Spalt in den Vorhängen in sein Schlafzimmer, sodass sich die rustikalen Möbel schemenhaft vor den mit Holz verkleideten Wänden abzeichneten.
Die Leuchtziffern auf seinem Wecker rückten unbarmherzig weiter und zeigten 00:44 Uhr an. Mitten in der Nacht.
Schlafenszeit.
Er hätte sich gern zu den Glücklichen gezählt. Jedoch ...
»Oh, ja! Jaaa!« Das trillernde Jubilieren der hohen Frauenstimme drang mühelos durch die Wände zu ihm. »Das ist so gut! Weiter!«, feuerte sie seinen Freund an und ließ Marius ernsthaft darüber nachdenken, sein Schlaflager in der Badewanne aufzuschlagen. Die war so knapp bemessen, dass er mit seinen eins neunzig gerade mal darin sitzen konnte, aber dafür lag das Bad eine Etage tiefer und weit genug vom Gästezimmer entfernt, dass er von den Geräuschen des nächtlichen Bettsports seines Freundes verschont bleiben würde.
Marius drehte sich auf die Seite und zog sein Kissen über den Kopf.
»Hör ... bloß ... nicht ... auf!« Ein spitzes Juchzen folgte.
Marius murmelte einen leisen Fluch.
Warum hatte er sich noch mal breitschlagen lassen, seinen besten Freund eine Zeit lang bei sich wohnen zu lassen? Ach ja, das Feuer. Sebastians Studentenbude war bei einem Hausbrand so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dass er nicht nur sein Zuhause, sondern auch die meisten seiner Habseligkeiten verloren hatte. Marius hatte ihm angeboten, zu ihm nach Aurach zu kommen und in seinem Gästezimmer zu wohnen, bevor er im Oktober an die Uni zurückkehrte. Dankbar hatte Sebastian zugegriffen.
Er war ein gutmütiger Mitbewohner, von dem man tagsüber nicht allzu viel sah. Nachts jedoch war seine Anwesenheit kaum zu überhören. Seit einer Stunde war er mit einer Frau zugange. Marius schätzte, dass sie inzwischen in den Genuss von drei Höhepunkten gekommen war, und es hörte sich nicht danach an, dass ihr oder seinem Freund bald die Puste ausgehen würde.
Marius wünschte sich, er hätte Ohropax im Haus – oder wenigstens genügend Schnaps, um sich dermaßen zu betrinken, dass er in einen seligen Schlummer fallen würde. Leider rührte er keinen Alkohol an. In dieser Nacht wäre er jedoch versucht, eine Ausnahme zu machen, um endlich etwas Schlaf zu finden.
Marius presste das Kissen fester über seine Ohren.
Wie hieß es doch so schön? Jede gute Tat fand ihre Strafe?
Wie er die Nächte allein vermisste!
Nichts als das Flüstern des Windes draußen in den Kiefern und das Rauschen des kleinen Bachs hinter der Hütte hatte ihn durch die Nächte begleitet. Wie ein Schlaflied, das ihm die Berge höchstpersönlich brachten. Jetzt jedoch rumpelte das Bett nebenan rhythmisch gegen die Wand. Marius war hellwach und empfand eine höchst verwirrende Mischung aus Ärger und ... Verflixt, war das unsanfte Ziehen in seinem Bauch etwa Neid?
Es behagte ihm kein bisschen, sich das eingestehen zu müssen. Während Sebastian jede Woche eine andere Frau mitbrachte, war er seit dreieinhalb Jahren allein. Er hatte sich eingeredet, das läge an der begrenzten Anzahl an jungen Frauen in Aurach. Das Dorf lag in den österreichischen Alpen und bestand aus wenig mehr als einer Handvoll Bauernhöfen, einer Kirche und einem Jagdgut. Doch sein Freund schien trotzdem reichlich Bekanntschaften zu schließen. Diese Ausrede galt also nicht.
Ich brauche keine Ausrede, diskutierte er mit der leisen Stimme in seinem Hinterkopf. Mir fehlt rein gar nichts in meinem Leben. Und ich bin nicht neidisch auf meinen besten und ältesten Freund.
Ein dumpfes Knurren entfuhr ihm. Ach, verflixt noch mal. So wurde das nichts mit dem Schlafen. Wenn er schon wach war, konnte er genauso gut aufstehen und seinen Bericht für die Verwaltung des Nationalparks zu Ende schreiben.
Mit einem leisen Schnauben stand er auf, streifte lange Hosen und ein T-Shirt über und verließ sein Schlafzimmer. Er stieg nach unten in die Küche, knipste das Licht an und setzte die Kaffeemaschine in Gang.
Als er sich auf die Stelle als Wildhüter im Nationalpark beworben hatte, war auch eine eigene Hütte Teil der Vereinbarung gewesen. Wobei »Hütte« eine recht spärliche Beschreibung für das rustikale Holzhaus war, das zwar klein, aber überaus behaglich eingerichtet war. Es fehlte an nichts. Holz und warme Farben dominierten die Einrichtung. Bunte Flickerlteppiche und Aquarelle von den Bergen machten jeden Raum behaglich. Im Keller gab es sogar eine Sauna. Ein Luxus, den er in den nicht enden wollenden Wintern hier in den Bergen zu schätzen gelernt hatte.
Als Ranger war er bei Wind und Wetter draußen unterwegs. Er dokumentierte jede Veränderung in der Flora und Fauna und beobachtete, wie sich der Wildbestand entwickelte. Seit einigen Jahren siedelten sich Luchse und Goldschakale wieder in den alpinen Regionen an. Eine Entwicklung, die weitreichende Folgen für den Nationalpark hatte.
Marius schenkte sich gerade eine Tasse Kaffee ein, als ein sanftes Rauschen laut wurde und ein Vogel durch das offene Küchenfenster hereinflog und auf der Lehne eines Küchenstuhls landete. Es war Lumi, die Schneeeule. Ihr Kopf drehte sich ruckartig zu ihm, ihre Augen leuchteten bernsteinfarben im Schein der Küchenlampe. Sie klickte hörbar mit ihrem Schnabel.
»Kein Glück bei der Futtersuche?« Marius öffnete den Kühlschrank und holte einige Streifen Fleisch heraus. Er legte sie auf ein Brett und schob es ihr hin.
Er hatte Lumi als winziges, halbnacktes Federbündel im Wald gefunden, als er auf einer seiner üblichen Runden gewesen war. Ein Nest hatte er weit und breit nicht finden können, und so hatte er sie mit nach Hause genommen und von Hand aufgezogen. Seitdem lebte sie bei ihm. Sie streifte nachts umher, kehrte aber immer wieder zu ihm zurück.
Sie verspeiste ihr Mahl, dann hüpfte sie an den Rand der Stuhlkante, bis sie dicht bei ihm war, und rieb ihren Schnabel zutraulich an seiner Brust.
»Deine Eule ist treuer als jede Frau, die ich kenne«, riss ihn eine belustigte Männerstimme aus seinen Gedanken.
Sebastian kam in die Küche, die Haare zerzaust, mit nackter Brust und nichts als einem Handtuch, das er um seine Hüften geschlungen hatte.
Marius gestattete sich ein Hochziehen seiner rechten Augenbraue.
»Was ist?«, murmelte sein Freund.
Marius machte eine vage Geste. »Dein Outfit. Ziemlich spärlich, oder?«
»Sorry, ich wusste nicht, dass es einen Dresscode gibt, wenn ich mir nachts etwas zu trinken hole.« Sebastian grinste unbekümmert. Dann öffnete er die Kühlschranktür, holte eine Flasche Cola heraus und schraubte sie auf, bevor er mehrere Züge trank.
»Wie du nach dem Koffein in dem Zeug schlafen willst, ist mir ein Rätsel«, brummte Marius.
»Sagt der Mann, der eine Tasse Kaffee in der Hand hält.«
»Ich will noch arbeiten.«
»Was, jetzt? Es ist mitten in der Nacht.«
»Ich weiß.« Marius konnte ein leises Grollen nicht aus seiner Stimme heraushalten.
Sein Freund zog die Stirn in Falten, dann leuchtete Erkenntnis auf seinem Gesicht. »Hast du uns etwa gehört?«
»Selbst van Gogh hätte euch gehört«, versetzte Marius trocken. »Und der ist tot.«
»Ganz zu schweigen von seinem fehlenden Ohr.« Sein Freund grinste. »Ich würde ja sagen, dass ich leiser sein sollte, aber ich will nichts versprechen, das ich nicht halten kann. Was soll ich machen? Die Ladies sind einfach hingerissen von mir.«
»Vermutlich von deiner unglaublichen Bescheidenheit.«
»Das muss es sein.« Sebastians Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen.
»Du bist wirklich unverbesserlich.«
»Ich tue, was ich kann.« Mit dem Selbstbewusstsein von zehn Männern schlenderte Sebastian zum Fenster und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fensterbrett, während er zusah, wie Marius seine Eule kraulte. »Du vertraust ihr mehr als den meisten Menschen, oder?«
Marius schwieg, denn dagegen gab es nichts zu sagen. Seine Erfahrungen hatten ihn gelehrt, sich auf nichts und niemanden als sich selbst zu verlassen. Unbewusst rieb er sich mit der Hand über den linken Arm, spürte die wulstige Narbe unter dem Ärmel.
Sein Freund ließ sich auf einem Stuhl nieder, angelte sein Handy vom Küchentisch und strich über das Display. Während er auf dem Stuhl lümmelte, scrollte er durch die Nachrichten. Nach nur einem Moment hielt er inne.
»Sieh dir das an!«
»Was ist denn los? Schlechte Neuigkeiten?«
»Nicht für mich, aber ...« Sebastian unterbrach sich und drehte das Handy so, dass Marius sehen konnte, was er sich angeschaut hatte. »Hier. Schau mal.«
Das Licht des Bildschirms beleuchtete ihre Gesichter.
Marius beugte sich über das Telefon und sah ein Video vor sich. Das zeigte eine mit zahlreichen Lichtern geschmückte Terrasse, irgendwo in einer Villa. Musik im Hintergrund, Gelächter. Eine Party war im Gange. Plötzlich schwenkte das Bild auf eine junge Frau, und Marius stockte der Atem. Sie war bildschön und elegant und hatte dennoch etwas Wildes an sich, das ihn an die Raubkatzen im Nationalpark denken ließ. Ein wildes Funkeln in ihren Augen, das ihn sie wie gebannt anstarren ließ. Sie saß neben einem Mann auf einem Geländer, viel zu nah. Plötzlich drehte sie sich zur Seite, schaute genau in die Kamera und bemerkte offenbar, dass sie gefilmt wurde.
Mit einem wütenden Schrei stürzte sie näher. Das Bild wackelte, man hörte Rufe: »Hören Sie sofort auf! Löschen Sie das! Sofort!«
Eine Männerstimme lehnte ab.
Ein gedämpfter Schmerzenslaut folgte. Tief und rau.
Dann der Schlag ... offenbar flog das Handy durch die Luft ... ein Platschen im Wasser. Abrupt endete das Video.
Marius runzelte die Stirn. »Was hab ich mir hier angesehen?«
»Hast du sie nicht erkannt?«
»Sollte ich?«
»Stimmt. Ich hatte vergessen, dass du dich nicht für Skandalgeschichten interessierst. Sonst würdest du sie kennen ... Alexandra von Hohenstein. Lexi. Eine Gräfin.« Sebastian deutete auf sein Handy. »Wenn mich nicht alles trügt, hat sie dem Paparazzo eine verpasst, bevor sie sein Handy im Pool versenkt hat.«
»Hat sich ganz so angehört.«
»Diese Frau hat Feuer. Die meisten der Ladies aus der feinen Gesellschaft würden sich zurückhalten und im Traum nicht daran denken, auch nur einen ihrer manikürten Fingernägel zu riskieren. Du weißt schon, die leben für Bälle, Opern und tun lieb und manierlich. Aber die da ... die haut einfach drauf.«
»Körperliche Gewalt ist mit nichts zu entschuldigen«, sagte Marius grimmig.
»Der Kerl war ein Paparazzo. Einer dieser Typen, für den Privatsphäre ein Fremdwort ist. Hätt' ich an ihrer Stelle vielleicht auch gemacht.« Sebastian startete das Video erneut und stoppte an einer Stelle, an der die Gräfin direkt in die Kamera schaute. »Guck sie dir an: Keine Angst, kein Zögern.«
Marius starrte auf das Standbild. Das Gesicht der Gräfin, halb verschwommen, halb wütend, ihre Augen blitzend. Seine Finger spannten sich an, sodass die Fingerknöchel weiß wurden.
»Das wäre eine Frau für dich«, murmelte sein Freund.
»Eine, die zulangt, wenn ihr etwas nicht passt? Na, vielen Dank auch!«
»Ich meine eine, die dich aus deiner selbst gewählten Einsamkeit reißt.«
»Eine Gräfin? Sie wird es gewohnt sein, von vorn bis hinten bedient zu werden. So ein Kaliber kenne ich. Sie würde es hier draußen keine drei Tage aushalten, dann würde sie kreischend in ihr bequemes Leben in der Stadt zurückrennen.«
»Schon möglich, aber diese drei Tage wären vermutlich unvergesslich.« Sebastian zwinkerte. »Für euch beide.«
Marius schüttelte den Kopf. Diese Frau hatte sich seiner Meinung nach unmöglich benommen. Auf einen anderen Menschen loszugehen ... nein, das war ein No-Go.
Sein Freund starrte auf das Handy. »Das Video wurde schon achtzehntausend Mal angeklickt. In der letzten halben Stunde.«
»Ihre Familie wird nicht begeistert sein.«
»Nein, wohl nicht.« Sebastian schüttelte bedächtig den Kopf. »Wenn ihnen etwas an ihr liegt, werden sie ihr ins Gewissen reden. In ihrer Haut möchte ich jetzt wirklich nicht stecken.«
»Lexi? Wo steckst du? Lexi, verdammt noch mal!« Das Zuschlagen der Haustür riss Alexandra endgültig aus dem Schlaf. »Alexandra Leonora Marie von Hohenstein!«
Lexi war bei dem lauten Krachen in ihrem Bett hochgefahren und blinzelte nun gegen das Sonnenlicht an, das durch die duftigen Vorhänge in ihr Schlafzimmer fiel. Ihr Herz wummerte wie ein Presslufthammer, und es dauerte einen Moment, bevor ihr dämmerte, dass niemand sie überfallen wollte.
Der Mann, der nun erneut ihren Namen rief, dass die Wände wackelten, war niemand anderes als ihr Vater: Leopold von Hohenstein. Ein Musterbild von Stolz und Selbstbeherrschung. Ein Mann, der nicht nur sein Imperium, sondern auch seine Familie mit strenger Hand leitete und nie, wirklich niemals die Stimme erhob. Bis zu diesem Morgen.
Etwas musste ihn vollkommen aus der Fassung gebracht haben. Und sie hatte einen Verdacht, was das gewesen sein konnte ... Mit einem leisen Stöhnen zog sie ihre Decke höher, als könnte sie sich darunter verstecken. Doch vermutlich wäre selbst der Mars nicht weit genug entfernt, um seiner zu erwartenden Tirade zu entgehen.
Diesmal hatte sie den Bogen wohl endgültig überspannt.
Lexi seufzte leise, schob ihre Decke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. Sie war noch nie einer Konfrontation aus dem Weg gegangen und hatte auch nicht vor, jetzt damit anzufangen. So verlockend dieser Gedanke auch sein mochte.
Sie griff nach dem Morgenmantel, der über einem Stuhl bereit hing, und schlüpfte hinein. Die weiße Seide fühlte sich angenehm kühl auf ihrer Haut an.
Lexi liebte Seide. Es war ein Luxus, den sie sich selbst gern gönnte. Unterwäsche und Nachthemden aus sanfter Seide, die ihre Haut zu streicheln schien.
Während sie das Band des Morgenmantels in ihrer Taille schloss, erhaschte sie einen Blick in den Spiegel über der Kommode. Ein leises Seufzen entfuhr ihr angesichts ihrer Waschbärzeichnung unter den Augen und ihrer zerzausten Haare. Hastig fuhr sie sich mit der Bürste durch ihre Haare, bis die nicht mehr unbedingt an ein Vogelnest erinnerten, und wischte sich mit einem Kosmetik-Pad die Wimperntusche von den Wangen. Besser, aber in den Augen ihres Vaters sicherlich trotzdem nicht akzeptabel.
Lexi zuckte mit den Schultern. Das ließ sich nun leider nicht ändern. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er den weiten Weg von München nach Sylt auf sich nehmen würde, um sie zu besuchen. Schon gar nicht, ohne sich vorher anzukündigen.
»Lexi?« Seine Stimme war inzwischen nur noch ein dumpfes Grollen und sandte ein flaues Gefühl durch ihren Bauch, als wäre sie wieder zehn Jahre alt und mit den Fingern in der Keksdose erwischt worden, statt eine achtundzwanzigjährige Frau, die auf eigenen Beinen stand.
»Guten Morgen, Papa.« Sie trat aus ihrem Schlafzimmer – eines von fünf Schlafzimmern hier im Strandhaus.
Der Raum, der ihr der liebste war, weil er ganz in Weiß und zartem Meerblau gehalten war und sie an die unendliche Freiheit eines Sommerhimmels erinnerte. Ihre Füße tappten barfuß über die weißen Fliesen, die an einem kühleren Morgen wie diesem von einer Fußbodenheizung erwärmt wurden.
Sie fand ihren Vater in der Küche, wo er sich stirnrunzelnd zu ihr umsah.
»Du warst noch im Bett?« Graf Leopold stemmte die Hände auf die Hüften und musterte sie langsam von Kopf bis Fuß, als wäre sie ein Dieb, den er tief in der Nacht erwischt hatte.
Er war ein groß gewachsener Mann, der sich mit täglichem Sport fit hielt und wesentlich jünger als achtundfünfzig Jahre wirkte. Er hielt sich hoch aufgerichtet, und dem Blick aus seinen grauen Augen schien kein Detail zu entgehen. Lexi konnte sich nicht entsinnen, ihn je anders als gut gekleidet gesehen zu haben. Selbst daheim zeigte er sich stets gepflegt und in der Lage, Gäste zu empfangen, während sie selbst ... Verlegen zog sie den Gürtel ihres Morgenmantels enger. Dann entschied sie sich, hinzunehmen, was nicht zu ändern war, lächelte ihren Vater an und deutete auf den Wasserkocher.