Wenn ich groß bin, liebe Mutti - Lieselotte Immenhof - E-Book

Wenn ich groß bin, liebe Mutti E-Book

Lieselotte Immenhof

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Rainer von Enckhusen war nicht überrascht, als Veronika ihm die Tür öffnete. Insgeheim hatte er es erhofft. Seine hellblauen Augen strahlten freudig auf, als er dem zarten jungen Mädchen mit dem scheuen Blick die Hand schüttelte. »Ich wollte zu deinem Vater, Veronika«, sagte er, aber sein Anliegen erschien ihm in diesem Moment gar nicht so wichtig. »Ist er zu Hause?« Veronika Hasbach schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Aber er wird vielleicht in einer halben Stunde zurück sein. Willst du so lange hereinkommen und auf ihn warten?« »Gern«, erwiderte Rainer erfreut und trat näher. Im Wohnzimmer des Fürstenhauses war noch der Kaffeetisch gedeckt, und die Tür, die zum Balkon führte, war weit geöffnet. Frische Morgenluft strömte herein und vermischte sich in ihrem zarten Blütenduft mit dem kräftigen Aroma des Kaffees. »Möchtest du eine Tasse Kaffee?« fragte Veronika. »Ich wollte gerade abräumen. Wie gut, daß ich es noch nicht getan habe.« Als sie lachte, konnte man ihre regelmäßigen schönen Zähne sehen. Rainer von Enckhusen nickte und setzte sich an den Tisch.

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Fürstenkinder – 49 –

Wenn ich groß bin, liebe Mutti

Du hast so viel für mich geopfert

Lieselotte Immenhof

Rainer von Enckhusen war nicht überrascht, als Veronika ihm die Tür öffnete. Insgeheim hatte er es erhofft. Seine hellblauen Augen strahlten freudig auf, als er dem zarten jungen Mädchen mit dem scheuen Blick die Hand schüttelte.

»Ich wollte zu deinem Vater, Veronika«, sagte er, aber sein Anliegen erschien ihm in diesem Moment gar nicht so wichtig. »Ist er zu Hause?«

Veronika Hasbach schüttelte den Kopf.

»Nein, leider nicht. Aber er wird vielleicht in einer halben Stunde zurück sein. Willst du so lange hereinkommen und auf ihn warten?«

»Gern«, erwiderte Rainer erfreut und trat näher.

Im Wohnzimmer des Fürstenhauses war noch der Kaffeetisch gedeckt, und die Tür, die zum Balkon führte, war weit geöffnet. Frische Morgenluft strömte herein und vermischte sich in ihrem zarten Blütenduft mit dem kräftigen Aroma des Kaffees.

»Möchtest du eine Tasse Kaffee?« fragte Veronika. »Ich wollte gerade abräumen. Wie gut, daß ich es noch nicht getan habe.« Als sie lachte, konnte man ihre regelmäßigen schönen Zähne sehen.

Rainer von Enckhusen nickte und setzte sich an den Tisch. Er beobachtete ihre geschmeidigen Bewegungen, während sie ihm eine frische Tasse hinstellte und einschenkte.

Ihr seidiges goldblondes Haar umrahmte weich das ovale Gesicht, das von einer leuchtenden Schönheit und Lieblichkeit war. Die Wangen waren zart gerötet, und in den braunen Augen glomm ein warmes, lebendiges Licht.

Rainer trank den Kaffee, der nicht mehr ganz heiß war, während Veronika sich stillschweigend ihm gegenüber an die andere Seite des Tisches setzte.

Ihr Blick war fragend auf ihn gerichtet, doch als er aufsah und über den Tisch hinweg seine Hand ausstreckte und die ihre ergriff, senkte sie rasch den Kopf.

»Ich bin sehr froh, daß ich dich allein angetroffen habe, Veronika«, sagte Rainer von Enckhusen mit dunkel-verhaltener Stimme. »Ich wollte schon sehr lange mit dir sprechen.«

»Ja?« flüsterte sie und errötete tief.

Rainer von Enckhusen ließ ihre Hand los, erhob sich und trat neben ihren Stuhl. »Veronika«, murmelte er zärtlich und berührte mit einer liebevollen Geste ihre Schultern, »sieh mich an!«

Langsam wandte sie sich ihm zu.

Er nahm ihre beiden Hände und zog sie sanft zu sich empor. »Wir kennen uns seit unserer Kindheit«, sagte er tastend, »und immer waren wir gute Freunde. Aber seit einiger Zeit ist es anders geworden, Veronika. Hast du es auch gespürt?«

Die Röte in ihrem Gesicht wurde tiefdunkel. Wortlos nickte sie. »Ich habe Angst vor jeder Begegnung mit dir«, hauchte sie nach einem Augenblick des Schweigens.

»Warum, Veronika?« fragte er weich.

»Weil – weil…« Sie konnte nicht weitersprechen.

»Ich ahne es: Du fühlst genau wie ich«, sprach er weiter. »Es ist nicht nur Freundschaft, was uns verbindet –, nein, wir lieben einander. Ist es so?« Er hatte sie ganz nah zu sich herangezogen.

Sie leistete schüchtern Widerstand. »Oh, bitte, Rainer, sprich so etwas nicht aus!« sagte sie mit ängstlichen Augen. »Es würde alles zerstören!«

Er lachte leise und warm. »Was sollte es zerstören, Veronika?« drängte er. »Ich liebe dich –, schon sehr lange«, bekannte er leidenschaftlich. »Und oftmals schon wollte ich dir ein Geständnis machen. Aber dann habe ich es nicht gewagt, denn du warst so scheu und zurückhaltend, daß ich glaubte, du könntest mich nicht lieben.«

»Das ist nicht wahr!« rief sie heftig aus und erschrak gleichzeitig über ihre Antwort.

Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah ihr tief in die Augen. »Wie glücklich machst du mich mit deinen Worten, Liebes«, flüsterte er erregt. »Dann liebst du mich also auch – wirklich und wahrhaftig?« Er konnte es immer noch nicht glauben, daß nun endlich sein Sehnen Erfüllung finden sollte.

»Ja, ich liebe dich«, hauchte sie und schloß dabei die Augen.

Er beugte sich zu ihrer zierlichen Gestalt herab und küßte sie lange und innig. Als sie seinen Kuß erwiderte, zweifelte er nicht mehr an ihrer Liebe.

»Oh, Rainer«, stammelte sie jauchzend und schluchzend zugleich, als er sie wieder freigab, »mir ist noch alles wie ein Traum, ein wundervoller, märchenhafter Traum!« Sie schlang die Arme um seinen Nacken und lehnte sich an ihn.

Er streichelte ihr Haar und hatte Mühe, seiner inneren Bewegung Herr zu werden.

»Es ist kein Traum«, sprach er mit beschwörender Stimme. »Es ist die Wirklichkeit, nach der ich mich schon lange gesehnt habe.«

»Ich habe Angst, ich könnte aufwachen, und alles wäre zu Ende!«

»Unsere Liebe wird niemals zu Ende gehen, Veronika«, versprach er ernst. »Wir werden heiraten und bis ans Ende unserer Tage zusammenbleiben.«

»Heiraten?« wiederholte sie fassungslos. »Du willst mich heiraten?«

Ein belustigtes Lächeln spielte um seinen energischen Mund. »Willst du mich nicht?« fragte er heiter.

Sie flog ihm wieder in die Arme. »O doch, Liebster –, keinen anderen als dich!« rief sie überglücklich aus. Dann löste sie sich ein wenig aus seiner liebevollen Umarmung. »Aber darfst du mich denn heiraten?« fragte sie mit bangem Gesicht. »Wird deine Mutter gestatten, daß du eine Bürgerliche zu deiner Frau machst?«

Sein Lächeln war ein wenig verkrampft.

»Sei unbesorgt«, erwiderte er rasch, »Mutter wird sich einverstanden erklären. Es wird ihr gar nichts anderes übrig bleiben!« Sein Blick ging über Veronika hinweg in die Ferne.

»Ich habe Furcht vor ihr«, murmelte Veronika.

Er küßte sie noch einmal. »Wenn ich bei dir bin, brauchst du dich vor nichts und niemandem zu fürchten«, sagte er.

Die Haustür klappte, und Veronika versuchte erschrocken, sich aus Rainers Umarmung zu befreien, doch er hielt sie fest.

»Der Vater«, flüsterte Veronika warnend.

Schon wurde die Tür geöffnet, und der Förster stand auf der Schwelle. Er stutzte einen Moment, als er seine Tochter neben dem jungen Grafen sah, der einen Arm um Veronikas Schultern gelegt hatte.

»Morgen, Graf«, sagte Erwin Hasbach mit rauher Stimme und schob seine vierschrötige, untersetzte Gestalt näher. Die grauen Augen funkelten erstaunt unter den buschigen Brauen. »Was ist denn hier los?« knurrte er, aber seine Mundwinkel waren zu einem gutmütigen Schmunzeln verzogen.

»Herr Hasbach«, sagte Rainer von Enckhusen ohne Vorrede, »ich möchte Sie um die Hand Ihrer Tochter bitten!«

Erwin Hasbach blieb überrascht stehen und sah zu der hochgewachsenen, breitschultrigen Gestalt des jungen Grafen auf. »Holla, das ist ja beinahe ein Überfall!«

»Wir lieben einander und möchten heiraten«, fuhr Rainer lebhaft fort. »Ich hoffe, daß Sie nichts dagegen haben!«

Bang schaute Veronika auf den Vater, der seinen aufmerksamen Blick zwischen ihr und Rainer von Enckhusen hin und her gehen ließ. Dann zog er seine Pfeife aus der Jackentasche und kaute daran herum. »Hm«, machte er schließlich bedenklich, »das ist keine einfache Frage.«

»Sag ja, Vater, bitte, bitte!« flehte Veronika und hängte sich an seinen Arm.

»Habt ihr euch das auch gut überlegt?« fragte der Förster und sah den Grafen dabei eindringlich an.

»Ja, Herr Hasbach, ganz genau«, erwiderte Rainer fest.

»Ich verspreche Ihnen, daß ich alles von Veronika fernhalten werde, was sie je betrüben könnte. Es wird für immer nur ein Ziel geben: Veronika glücklich zu machen!«

Hasbach zögerte. Er mochte den Grafen gern, und eigentlich kam es ihm auch nicht überraschend, daß er seine Tochter liebte, denn er hatte Veronika gut beobachtet und ahnte, was in ihrem Herzen vorging. Aber der Förster wußte auch, daß auf dem Schloß Johanna von Enckhusen regierte, und was das bedeutete, war niemandem im Ort ein Geheimnis. Würde Rainer sich gegen seine Mutter durchsetzen können, und durfte er, Erwin Hasbach, seine Tochter diesem Kampf ausliefern?

Der Förster schaute auf das junge Paar. Die Geste inniger Zuneigung, mit der der junge Graf Veronika an sich zog, entschied Hasbachs innere Zweifel.

»Also schön«, sagte er langsam und breit, »werdet glücklich miteinander! Meinen Segen habt ihr!« Er legte ihre beiden Hände ineinander und schickte dabei ein stilles Gebet zum Himmel.

*

»Ich werde Veronika Hasbach heiraten, Mutter! Davon wirst du mich mit keiner Macht der Welt abhalten können!« Breitbeinig blieb Rainer von Enckhusen vor Gräfin Johanna stehen.

Ihr starkknochiges Gesicht mit den scharfen Linien der Verbitterung und der Menschenverachtung war starr auf den Sohn gerichtet. Ihre Körperhaltung blieb aufrecht und steif, nur ihre gichtkranken Hände bewegten sich unruhig in ihrem Schoß. »Das lasse ich nicht zu!« antwortete sie hart.

Rainers Miene wurde entschlossener, das frohe Leuchten in seinen Augen wich einem kampflustigen Funkeln. »Mutter«, begann er mit gefährlich leiser Stimme, »es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder du nimmst Veronika als Schwiegertochter im Schloß auf, oder ich verlasse das Gut – und zwar für immer!«

Der ohnehin schmale Mund der Gräfin zog sich nach innen. Es war nur noch ein dünner, harter Strich, der ihre Unbeugsamkeit verriet. Die eisen-grauen Augen blickten kalt und gefühllos auf den Sohn. »Willst du mich erpressen?«

»Nein, ich habe dir nur meine Entscheidung mitgeteilt, Mutter, damit du weißt, woran du bist!«

Sie stand auf. Ihr Stock stieß hart auf den Boden. »Diese Freundschaft hat mich schon immer gestört!« sprach sie mit verkniffener Miene. »Daraus konnte sich nichts Gutes entwickeln!«

»Es hat sich eine wundervolle Liebe daraus entwickelt«, antwortete er heftig. »Und diese Liebe ist mein ganzes Glück!« Sein männlich-kraftvolles Gesicht bekam ein frohes Leuchten.

»Dann sieh zu, daß du draußen in der Welt dein Glück machst!« stieß die Gräfin heiser hervor.

Rainers Wangenmuskeln spannten sich. »Du hast dich also gegen mich und meine zukünftige Frau entschieden?« fragte er leise.

Die Gräfin ging einige Schritte hin und her. Das Klopfen des Stockes war das einzige Geräusch in der spannungsgeladenen Stille.

»Gut«, sagte Rainer von Enckhusen nach einer Weile, »dann werde ich fortgehen.« Es fiel ihm sehr schwer, das geliebte Land zu verlassen, aber er war fest entschlossen, dieses harte Los auf sich zu nehmen, wenn die Gräfin nicht nachgab.

»Laß diese Scherze!« herrschte ihn seine Mutter an und blieb dicht vor ihm stehen.

»Es ist für mich kein Scherz«, antwortete er eindringlich. »Ich meine es im Ernst.«

Sie kniff die Augen zusammen und sah ihn forschend an. »Du willst mich und unseren Besitz im Stich lassen?«

»Du zwingst mich dazu«, entgegnete er knapp.

Wieder klopfte der Stock durch das lange Schweigen. »Ich werde doch meinen Sohn nicht aus dem Haus treiben!« brummte sie widerwillig. Vor dem Fenster verhielt sie ihre Schritte. Ihr Rücken war jetzt ein wenig gebeugt.

Eine Flut von Gedanken drang auf Johanna von Enckhusen ein, schmerzvolle, quälende und böse, verbitterte Gedanken.

»Ein Enckhusen hat mich schon im Stich gelassen und mir eine Enttäuschung bereitet, die fast meinen Lebenswillen gebrochen hätte«, bemerkte sie mit ausdrucksloser Stimme. »Nun, ich habe weitergelebt, aber frag’ mich nicht, wie!« Ruckhaft drehte sie sich zu dem Sohn um. »Und jetzt will auch der zweite Enckhusen von mir gehen?« fuhr sie anklagend fort. »Schlägst du so deinem Vater nach? Und ich hatte geglaubt, dich zu einem vernünftigen, tüchtigen Menschen erzogen zu haben!«

Rainer machte einige rasche Schritte auf sie zu. Er wußte, daß dieses Thema der wunde Punkt der alten Gräfin war. Wenn es ihm nicht gelang, sie von dem Gedanken an Benno von Enckhusen abzulenken, würde er nichts erreichen.

»Du irrst, ich bin ganz anders als mein Vater«, erwiderte er. »Ich hoffe auch, niemals so zu werden, wie du ihn geschildert hast. Was ich verlange, ist nichts weiter, als daß du meine zukünftige Frau willkommen heißt. Wenn du ein wenig von deinem Stolz opfern würdest, dürfte es dir gar nicht schwerfallen. Du weißt, was für ein liebenswertes Geschöpf Veronika Hasbach ist.«

»Die Tochter eines Försters!« erwiderte sie voller Geringschätzung.

»Ich wüßte nicht, was wir den Hasbachs außer dem lächerlichen Grafentitel voraus haben!« antwortete er ungerührt.

Johanna von Enckhusen zuckte zusammen. »Sprich nicht so schamlos!« stieß sie hervor. »Wenn du mich nicht noch mehr gegen dich und dieses – dieses Bürgermädchen aufbringen willst.«

Rainer richtete sich auf. »So kommen wir nicht weiter«, sagte er ungeduldig. »Überlege dir die Sache in Ruhe. Ich hole mir morgen die Antwort.« Damit schritt er zur Tür.

Er hatte schon die Klinke in der Hand, als die alte Gräfin ihn zurückrief. »Du wirst nicht fortgehen!« bestimmte sie.

Zögernd wandte er sich um. »Das heißt, du sagst ja?«

»Ich tu es nicht mit Freuden«, entgegnete sie verschlossen, »aber ich will meinen Sohn behalten, nachdem mir das Schicksal schon den Mann genommen hat!«

*

Die Hochzeit des Grafen Rainer von Enckhusen mit Veronika Hasbach war für den ganzen Ort ein großes Ereignis gewesen. Der Graf hatte es durchgesetzt, daß überall gefeiert wurde. In allen Lokalen und Restaurants, ja, sogar im Gemeindehaus standen große Bierfässer, es gab Kuchen, Würstchen und Kartoffelsalat für jeden, der vorbeikam und auf das Wohl des jungen Grafenpaares anstoßen wollte.

Auf dem Schloß selbst wurde die Hochzeit viel stiller begangen. Es waren nicht viele Verwandte der Einladung gefolgt, dafür hatte Johanna von Enckhusen Sorge getragen, die stumm, mit versteinerter Miene und streng gescheiteltem Haar feierlich in ihrem hochgewachsenen schwarzen Kleid am Kopf der Festtafel thronte.

Veronika sah in ihrem duftigen Brautgewand und dem zarten Schleier, der das liebliche Gesicht umwehte, wie eine Märchenprinzessin aus. Das Glück verklärte ihre Züge, und oftmals suchte sie verstohlen nach der Hand ihres Mannes, die dann mit festem Druck die ihre umschloß.

Rainer von Enckhusen war zweifellos der bestaussehende Mann der ganzen Hochzeitsgesellschaft, die sich hauptsächlich aus Angehörigen der jüngeren Generation zusammensetzte. Die älteren Herrschaften hatten es auf einen verborgenen Wink der Gräfin hin vorgezogen, dem Zeremoniell dieser unstandesgemäßen Verbindung nicht beizuwohnen.

Rainer von Enckhusen ließ es sich nicht nehmen, zu später Stunde mit seiner jungen Frau in den Ort zu fahren und überall mit den Leuten, die den Grafen vergötterten, anzustoßen und sich Glück wünschen zu lassen.

Veronika war von all dem Trubel ganz benommen.

Zitternd vor Glück schmiegte sie sich an den Geliebten, als sie wieder aufs Schloß zurückfuhren.

»Wirst du mich immer so lieb behalten wie heute?« fragte sie bang.

Er küßte ihre Zweifel fort. »Immer, mein Liebes – bis ans Ende unserer Tage!« sagte er innig.

Und dann war die ganze Aufregung der Hochzeit vorüber. Die letzten Gäste, die noch auf dem Schloß geblieben waren, reisten ab, und der Tageslauf begann sich zu normalisieren.

Der Alltag ihrer Ehe nahm seinen Anfang.

Rainer kümmerte sich selbst um die Frühjahrsbestellung, und Veronika hatte darum gebeten, daß sie ihn so oft wie möglich begleiten durfte.

Lächelnd gewährte er ihren Wunsch.

So waren sie beinahe von morgens bis abends zusammen, und das Glück ihrer Liebe wurde von Tag zu Tag schöner und tiefer.

Kein Schatten fiel in dieser Zeit auf ihre Gemeinsamkeit, und auch die Zurückhaltung, die die alte Gräfin gegenüber der Schwiegertochter an den Tag legte, bekümmerte die beiden nicht.

Ab und zu mußten sie abends der Gräfin im Salon Gesellschaft leisten. Das waren meistens Stunden, in denen Veronika sich nicht frei und gelöst fühlte, sie spürte selbst, wie gezwungen sie sich benahm, aber immer hatte sie die Empfindung, daß der aufmerksame Blick der Schwiegermutter beobachtend auf ihr ruhte.

Erst wenn ihr Blick sich mit dem von Rainer traf und sie in seinen Augen das vertrauliche Zwinkern bemerkte, wenn er ihr verstohlen die Hand drückte oder den Arm um ihre Schultern legte, zog das Glück wieder jubelnd in ihr Herz ein, und die Angst, die sie manchmal für Augenblicke erfaßte, fiel von ihr ab.

»Bist du wirklich glücklich?« fragte Rainer eines Abends, als sie engumschlungen auf dem Balkon vor ihrem Schlafzimmer standen und schweigend die romantische Mondnacht genossen.

»Ich bin so glücklich«, erwiderte sie leise und bebend, »daß mir die Worte fehlen, um es auszudrücken! An dem Tag, als ich deine Frau wurde und der Pfarrer in der Kirche unsere Hände zusammenlegte, da glaubte ich, daß jener Augenblick der Höhepunkt unseres Glückes sein müßte. Aber es gibt jeden Tag, jede Minute, die ich an deiner Seite verbringe, ein neues Glück. Manchmal schnürt es mir fast die Kehle zu.«

»Und ich fürchte oft, du könntest etwas entbehren.«

Sie lachte leise und zärtlich. »Was, Liebster?«

Er zögerte. »Die Liebe der Mutter, auf die du schon so viele Jahre verzichten mußtest.«

»Meine Mutter hat mich, so lange sie lebte, mit ihrer ganzen, umfassenden Liebe umgeben, die noch jahrelang in mir weitergewirkt hat. Und jetzt habe ich deine Liebe, und sie ist so groß, daß ich ganz darin versinken kann.«

Eine Wolke schob sich vor den Mund, es wurde plötzlich sehr dunkel.

Rainer zog die geliebte Frau enger an sich und küßte sie mit tiefer Hingabe.

*

Der erste Schatten fiel auf ihr Glück, als sie bei einem Besuch im Försterhaus Erwin Hasbach sehr bedrückt vorfanden.

»Ich werde versetzt«, sagte er nur. Mit dürren Worten erzählte er von den Verhandlungen mit dem Gemeindevorstand und zeigte ihnen die Unterlagen, die ihm sein neues Amt bescheinigten. Er bekam eine Försterstelle in einem sehr weit entfernten Heidedorf.

»Ist das eine Verbesserung für dich, Vater?« fragte Veronika leise.

Er wiegte bedenklich den Kopf. »Ich bekomme mehr Gehalt, falls du das meinst. Aber eine Verbesserung kann es niemals sein, weil ich hierher gehöre! Woanders bin ich nicht daheim!«

»Ich werde mit dem Gemeinderat sprechen!« beschloß Rainer sofort. »Die Sache muß rückgängig gemacht werden! Ich verstehe nicht, weshalb man dich nicht vorher um deine Einwilligung gebeten hat, Schwiegervater!«

Hasbach brummte etwas Unverständliches, dann sagte er laut: »Ich fürchte, es ist zwecklos, Rainer. Man will mich weghaben vom Ort.«

Rainer von Enckhusen stand starr. »Wer will dich weghaben?« fragte er, und fast gleichzeitig sagte auch Veronika:

»Das verstehe ich nicht. Du hast doch keinen Feind im Ort, Vater! Wer sollte etwas gegen dich haben?«

Der Förster wandte sich ab. »Ich weiß es nicht«, sagte er gedehnt. »Ich vermute es nur.«

Rainer trat näher zu ihm. »Hast du eine ganz bestimmte Vermutung?« fragte er den Schwiegervater drängend.

Hasbach zögerte. »Nein«, sagte er dann ausweichend.

Ich will die Kinder nicht damit belasten, dachte er. Das beste ist eben, ich gehe fort. Vielleicht vergißt die Gräfin dann, daß sie mit dem schlichten alten Förster aus dem Waldhaus seit der Hochzeit verwandt ist!

»Ich will mich nicht von dir trennen, Vater!« schluchzte Veronika plötzlich auf und hängte sich an des Vaters Hals.

Er streichelte beruhigend ihren Rücken. »Was sein muß, muß sein, Kind«, knurrte er, und die Rührung drohte ihn zu übermannen. »Einmal muß man auseinandergehen – die Alten und die Jungen –, das ist der Lauf der Welt.«

»Ich will dich nicht hergeben!« Tränen strömten über ihre Wangen.

»Du hast jetzt deinen Mann und gehörst zu ihm«, redete Hasbach seiner Tochter zu. Dann gab er dem Schwiegersohn einen Wink.

»Nimm du dich ihrer an«, sagte er unbeholfen, »du kannst sie besser trösten als ich!«