Gänsehaut in Hovenäset 1. Flammenrad - Kristina Ohlsson - E-Book

Gänsehaut in Hovenäset 1. Flammenrad E-Book

Kristina Ohlsson

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Beschreibung

Ein mysteriöses Familiengeheimnis In Heidis Haus in dem kleinen Ort am Meer geschehen seltsame Dinge. Unter dem Fußboden findet die Familie einen alten Kinderschuh. Nacht für Nacht wütet ein schlimmer Sturm, und Heidi hört jemanden neben ihrem Bett umherschleichen. Das einzig richtig Gute in diesem Sommer ist das Riesenrad, das in den Ort gekommen ist. Bill, der freundliche Besitzer, zieht bei Heidis Familie ins Gästezimmer ein. Aber Heidi wird immer klarer, dass etwas nicht stimmt. Ihre schwangere Stiefmama wird immer müder. Und ihre Oma scheint riesige Angst vor etwas zu haben. Zusammen mit ihren beiden Freunden Alva und Harry findet Heidi heraus, dass in ihrem Haus vor langer Zeit etwas Schreckliches passiert ist. Etwas, das sich bald wiederholen könnte... Gänsehaut in Hovenäset 1. Flammenrad: Band 1 der Kinderbuchreihe von Erfolgsautorin Kristina Ohlsson - Der versteckte Kinderschuh: Ein Mystery-Thriller für Kinder ab 11 Jahren über unheimliche Ereignisse in einem idyllischen Küstenort. - Nächtliche Stürme und seltsame Geräusche: Die 12-jährige Heidi versucht gemeinsam mit ihren Freunden Alva und Harry herauszufinden, was sich vor vielen Jahren in ihrem Haus zugetragen hat. - Gänsehaut pur: Die kurzen Kapitel und packenden Cliffhanger sorgen für aufregende Lesestunden. - Ein Haus voller Geheimnisse: Der fesselnde Pageturner stammt aus der Feder der schwedischen Krimiautorin Kristina Ohlsson. - Für junge Krimifans: Eine mitreißende Lektüre für Kinder ab 11 Jahren, die gruselige Geschichten lieben. Kristina Ohlsson ist eine der erfolgreichsten schwedischen Thriller-Autor*innen. Ihre August-Strindberg-Krimis haben sich millionenfach verkauft. In ihrer Kinderbuchreihe "Gänsehaut in Hovenäset" erzählt sie spannende Krimi-Geschichten für junge Leser*innen ab 11 Jahren.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch

Heidi lebt in einem idyllischen Küstenort in Schweden. Doch plötzlich geschehen mysteriöse Dinge: ein beklemmender Fund, ein endloser Sturm und nächtliche Schritte, wo niemand ist. Als ein Riesenrad in den Ort kommt, ist das zunächst der einzige Lichtblick in diesem Sommer. Aber der Schein trügt. Mit ihren Freunden Alva und Harry stößt Heidi schließlich auf ein düsteres Geheimnis, das tief im Verborgenen liegt – und bald wieder ans Licht drängen könnte …

 

Kristina Ohlsson zählt zu Schwedens erfolgreichsten Thriller-Autorinnen. Ihre Hovenäset-Reihe für Kinder spielt am gleichen Ort wie einige ihrer beliebtesten Krimis für Erwachsene.

Kristina Ohlsson

Flammenrad

Gänsehaut in Hovenäset

Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann

Susanne Dahmann

Kapitel 1

Hier kann man nicht wohnen, dachte Heidi.

Sie stand auf der Schwelle zu ihrem Zimmer und starrte auf alles, was der Schreiner kaputt gemacht hatte. Ihr Vater nannte es Renovierung, aber für Heidi war es die reinste Katastrophe.

Neben ihr stand eine Reisetasche, und auf ihrem Rücken hing der Rucksack. Heidi, ihr Vater und seine Freundin Jennifer waren gerade von der Insel Gotland nach Hause gekommen, wo sie zwei Wochen lang gratis in einer Hütte hatten Urlaub machen können, die irgendeinem Bekannten ihres Vaters gehörte. Ihre Mutter hatte kein einziges Mal angerufen.

»Wahrscheinlich hat sie gerade ziemlich viel zu tun«, hatte Jennifer gesagt und Heidi dabei den Rücken gestreichelt.

Ziemlich viel zu tun.

So viel zu tun, dass keine Zeit mehr für Heidi blieb. Ihre Mutter war kurz nach Weihnachten nach Deutschland gezogen, und seither hatte Heidi sie nur ein einziges Mal gesehen. In einem Hotel. Ihre Mutter fand es zu weit, die ganze Strecke nach Hovenäset fahren zu müssen. Also musste Heidi zwei Stunden im Bus nach Göteborg tuckern, wo Mama übers Wochenende gewohnt hatte.

Die Luft im Haus war stickig. Draußen war es heiß, aber bedeckt. Über Hovenäset braute sich ein Unwetter zusammen.

Ihr Vater kam die Treppe rauf.

»Heidi, wo bist du?«

Sie antwortete nicht.

»Oje«, sagte ihr Vater, als er das Zimmer sah. »Wow. Jesus. Shit.«

So typisch für ihn: Wenn er Stress hatte, fing er sofort an zu reden.

Er legte den Arm um Heidi und drückte sie, aber sie rührte sich nicht.

Ihr Blick war verschwommen vor Tränen, und im Hals hatte sie einen dicken Kloß. Draußen vor ihrem offenen Fenster rauschten die Bäume im Wind. Etwas weiter entfernt sah man das Meer. Wilde Wellen tobten auf der Wasseroberfläche.

»Mein Liebes, also, es tut mir echt leid«, sagte ihr Vater. »Ich war ganz sicher, dass der Schreiner schon mehr geschafft hätte. Aber du hast ja gesehen, wie schön es unten geworden ist, oder? Hier oben wird es mindestens genauso schön.«

Da unten.

Wo Papa und Jennifer schlafen würden.

Und: hier oben.

Wo Heidi wohnte.

In einem eigenen Teil des Hauses. Damit sie ihre Ruhe haben würde, wenn das Baby kam. Das hatten sie jedenfalls gesagt. Dass sie jetzt mit zwölf Jahren ihre eigene kleine Höhle bräuchte. Aber Heidi fand, es fühlte sich mehr so an, als könnten Papa und Jennifer dann einfach vergessen, dass es sie überhaupt gab.

Ihr Vater umarmte sie noch einmal.

»Was meinst du? Das wird doch sicher schön, oder?«

Heidi wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie hatten den Schreiner gebeten, ihr Zimmer größer zu machen und das daneben kleiner. Deshalb hatte er eine lange Wand eingerissen, um ein Stück weiter eine neue zu bauen. Das Problem war nur, dass er die neue Wand nicht fertig gekriegt hatte. Da war jetzt vom Fußboden bis zur Decke nichts anderes als eine Reihe Bretter. Zwischen den Brettern war so viel Platz, dass Heidi locker dazwischenstehen und ins Nebenzimmer schauen konnte.

»In vier Wochen kommt der Schreiner wieder«, versicherte ihr Vater. »Und bis dahin können wir doch eine Plane vor die Holzplanken hängen. Das wird dann fast wie eine Wand.«

Heidi erschrak.

»Vier Wochen? Soll ich den ganzen Sommer ohne Wand sein?«

Als ihr Vater ihre Miene sah, beeilte er sich zu sagen:

»Aber die anderen Wände sind ja noch da, und wir machen vorher natürlich alles sauber, bevor wir die Plane aufhängen. Und dann tragen wir alle Möbel zurück. Was meinst du?«

Beide schwiegen. Von draußen war ein Grollen zu hören. Das Gewitter kam näher. Und mit einem Mal schlugen dicke Regentropfen ans Fenster.

Heidi sah ihren Vater an. Manchmal war der einfach nur total beschränkt. Wer wollte schon eine Plastikwand haben? Niemand. Kein einziger Mensch.

»Ich habe es dir ja erklärt«, sagte ihr Vater. »Der Schreiner kommt nicht zurück, bevor er nicht mehr Geld bekommen hat. Das ist alles teurer geworden, als wir dachten. Und ich kann ja nichts dafür, dass ich arbeitslos geworden bin.«

Heidi ballte die Fäuste in den Taschen. Sie wusste, dass sie jetzt ungerecht war. Es war nicht Papas Schuld, dass er im Herbst seinen Job verloren hatte. Und Jennifer konnte auch nichts dafür, dass sie krankgeschrieben war und gerade nicht so viel verdiente wie sonst. Aber jetzt hatte ihr Vater eine neue Arbeit, und Heidi hatte gedacht, das würde dann genügen.

Ihr Vater stand eine Weile da und wartete, dass sie was sagen würde. Als sie schwieg, versuchte er es mit einem anderen Thema:

»Hast du gesehen, dass auf den Campingplatz ein Riesenrad kommt?«

»Echt?«, sagte Heidi und sah ihn erstaunt an.

Jetzt, da sie endlich wieder redete, wurde ihr Vater ganz eifrig.

»Ja, echt«, erwiderte er begeistert. »Es hat heute in der Zeitung gestanden. Das Riesenrad soll mitten zwischen all den Wohnwagen stehen. Du weißt schon, so ein großes Rad, an dem Sitze hängen und das dann immer rundherum fährt.«

»Papa, ich weiß, was ein Riesenrad ist.«

Ihr Vater wuschelte ihr durch das kurze Haar.

»Wir müssen einfach mal hingehen«, sagte er.

Da rief Jennifer von unten:

»Fredde! Kannst du mal herkommen? Ich muss einen Karton hochheben und brauche Hilfe.«

Heidi verdrehte die Augen.

Natürlich brauchte Jennifer jetzt bei allem Hilfe. Der Bauch wurde mit jeder Woche riesiger, und Jennifer keuchte und stöhnte die ganze Zeit.

Ihr Vater strich Heidi über die Wange.

»Magst du mal kurz zu Oma rübergehen?«, fragte er. »Ich glaube, sie würde sich wirklich freuen.«

Ihre Großmutter wohnte allein in einem Haus, das nur einen Katzensprung von Heidis entfernt war. Sie war alt, und es fiel ihr schwer, sich an Sachen zu erinnern. Außerdem konnte sie nur noch sehr schlecht sehen. Und dann gab es noch eine schlimme Sache, die im letzten Jahr passiert war. Nämlich, dass Oma plötzlich so anders geworden war.

»Vielleicht später«, sagte Heidi. »Wenn ich mich dann nicht mit Alva und Harry treffe.«

Alva und Harry waren ihre allerbesten Freunde. Auf Gotland hatte sie die beiden jeden einzelnen Tag vermisst.

»Okay«, sagte ihr Vater. »Ich muss jetzt mal runter zu Jennifer.«

Heidi antwortete nicht. Schon bald hörte sie ihn die Treppe runterlaufen und dann, wie die beiden unten lachten.

Heidi machte ein paar Schritte in ihr Zimmer. Das hatten sie ausgeräumt, bevor sie nach Gotland gefahren waren. Sie hatte geglaubt, wenn sie nach Hause kämen, würde alles fertig sein.

Sie sah aus dem Fenster. Da unten ging ihr Vater zum Auto. Sie hatten immer noch nicht alles Gepäck rausgeholt. Weil es so regnete, machte er alles ganz schnell.

Heidi trat vom Fenster zurück. Eigentlich müsste sie jetzt putzen und einräumen, schließlich sollte sie in diesem schrecklichen Zimmer schlafen.

Doch da entdeckte sie etwas.

Etwas Seltsames.

In der einen Ecke des Raumes stand eine kleine Holzkiste.

Heidi ging vor der Kiste in die Hocke. Sie war ungefähr so groß wie ein Schuhkarton, aber flacher.

Auf dem Deckel lag ein Zettel:

Die habe ich unter dem Fußboden gefunden.

Roger.

Roger war der Schreiner. Aber was meinte er mit »unter dem Fußboden«?

Sie schaute zu den Brettern, die mal eine Wand werden sollten. Da gähnte ein großes Loch im Fußboden. Der Schreiner hatte zwei lange Bodendielen weggenommen, und die Kiste musste dadrunter gelegen haben.

Heidi drehte und wendete sie. Sie war staubig und schmutzig, aber man konnte sehen, dass sie mit einer schwarzen, glänzenden Farbe angestrichen war. Vorsichtig schüttelte sie die Kiste. Irgendwas lag darin, das konnte man deutlich hören. Etwas, das vor und zurück rutschte.

Heidi zog am Deckel. Und mit einem einzigen Ruck war die Kiste offen.

Sie starrte hinein.

Ein kleiner Kinderschuh.

Das war das Einzige, was in der Kiste lag. Sie hob den Schuh heraus. Er war alt und aus Leder, das fleckig vom Schmutz war und sich ganz steif anfühlte. An den Seiten waren schwarze Stellen zu sehen, wo das Leder aufgesprungen war. Die Sohle war hart, und ein dünner Schnürsenkel baumelte lose vom Schuh.

Wem gehörte der? Und warum war er in einer Holzkiste unter den Fußboden in Heidis Zimmer gelegt worden?

Das Gewitter grollte jetzt schon ganz nah.

Heidi sah zum Fenster. Die dicken, dunklen Wolken über dem Meer hatten sich plötzlich verdichtet.

Da hörte sie Jennifer schreien.

Kapitel 2

Heidi war noch nie so schnell gerannt.

Sie fand Jennifer in der Küche. Sie saß auf einem Stuhl und hielt sich den Bauch. Ihr Gesicht war fahl vor Angst, und sie blickte starr auf die andere Tür in der Küche. Die zur Diele und zur Eingangstür führte.

Auf der Schwelle stand ein Mann.

»Entschuldigung!«, sagte er. »Entschuldigung! Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich habe an die Tür geklopft, und niemand hat mich gehört. Und weil sie weit offen stand, bin ich einfach reingekommen, aber das war natürlich ganz ungeschickt von mir.«

Jennifer sah den Mann ängstlich an. Heidi stellte sich neben sie. Im nächsten Moment kam ihr Vater ins Haus gestürzt.

Er drängte sich an dem Mann vorbei zu Heidi und Jennifer.

»Wer zum Teufel sind Sie?«, schnauzte er den Mann an. »Und was machen Sie hier?«

Dann wandte er sich Heidi und Jennifer zu.

»Alles in Ordnung mit euch? Ich war draußen und habe einen Schrei gehört.«

Heidis Vater war pitschnass vom Regen. Aus seinen Kleidern tropfte es auf den Fußboden.

»Das war ich«, sagte Jennifer. »Der da hat mich erschreckt.«

Der Mann sah bestürzt aus. Er trug schwarze, lange Hosen und einen schwarzen Strickpullover. Er war groß und kräftig, hatte einen dichten, dunklen Bart und wirkte finster. Er war ungefähr so alt wie ihr Vater, aber so was wusste man immer nicht so genau, dachte Heidi.

Sie schluckte.

Was machte der Mann in ihrem Haus?

»Das ist wirklich richtig schiefgegangen«, sagte der Mann. »Ich bin hier, um zu fragen, ob das Zimmer noch frei ist. Aber ich verstehe natürlich, wenn Sie mich jetzt nicht als Gast haben wollen.«

Heidis Vater schüttelte den Kopf.

»Als Gast?«, echote er und klang dabei wie ein bellender Hund.

Aber Jennifer sah mit einem Mal erleichtert aus.

»Ach so!«, sagte sie und stand auf. »Dann ist mir alles klar.«

Sie legte Heidis Vater eine Hand auf den Arm.

»Ich habe auf dem Campingplatz einen Zettel aufgehängt«, sagte sie leise zu ihm. »Manchmal ist da ja alles belegt. Und ich habe geschrieben, wir hätten ein zusätzliches Zimmer, das wir vermieten können.«

Heidis Vater riss die Augen auf.

»Machst du Witze?«, fragte er. »Und das hast du gemacht, ohne mit mir darüber zu reden?«

»Nein«, erwiderte Jennifer scharf. »Ich habe mehrmals versucht, mit dir zu reden. Aber du hörst ja nicht zu. Wir brauchen Geld, Fredde. So einfach ist das. Und das Gästezimmer steht schließlich leer.«

Das Gästezimmer lag im Keller, und da gab es auch noch eine zusätzliche Küche. Außerdem hatte es einen eigenen Eingang. Heidi konnte sich nicht erinnern, dass es jemals vermietet worden wäre.

»Da mache ich nicht mit«, entgegnete Heidis Vater. »Auf keinen Fall will ich Fremde im Haus haben. Das Geld ist mir egal. Ich kann Überstunden machen.«

»Ach ja?«, fauchte Jennifer. »Dein Chef konnte dir ja kaum einen Halbtagsjob zusagen.«

Jetzt waren ihre Augen feucht, und sie sah sehr traurig aus.

Der Mann in der Tür räusperte sich.

»Ich höre schon, dass Sie das noch nicht zu Ende besprochen haben«, sagte er. »Dann werde ich …«

»Doch, doch«, erwiderte Heidis Vater, »wir haben das zu Ende besprochen. Sie werden woanders wohnen müssen.«

»Seit wann bestimmst du mehr als irgendjemand anders von uns in der Familie?«, gab Jennifer wütend zurück. »Zählen Heidi und ich überhaupt nicht?«

»Heidi!«, jaulte ihr Vater auf. »Will die vielleicht einen Haufen Fremder im Haus haben?«

»Nein, aber vielleicht möchte sie eine neue Wand in ihrem Schlafzimmer!«, entgegnete Jennifer mit tränenerstickter Stimme. »Und die Chance, weiter in ihrem Haus wohnen bleiben zu können.«

In der Küche wurde es mucksmäuschenstill. Heidis Herz pochte heftig.

Die Chance, weiter in ihrem Haus wohnen bleiben zu können?

»Was meint sie damit?«, fragte Heidi mit dünner Stimme. »Müssen wir umziehen?«

»Nein«, sagte Heidis Vater barsch. »Das müssen wir nicht.«

»Sie hat ein Recht zu erfahren, wie groß unsere Probleme sind«, erwiderte Jennifer.

»Jetzt?«, fragte Heidis Vater. »Während wir einen Fremden im Haus stehen haben? Wie stellst du dir das vor? Außerdem wird es ja wohl kaum genügen, ein Zimmer zu vermieten.«

Heidi spürte, wie die Panik in ihr hochstieg. Wie viel Geld brauchten sie eigentlich?

Der Mann in der Tür unternahm einen neuen Versuch.

»Ich wollte hier wirklich keinen Streit verursachen«, sagte er. »Mein Name ist William Sullivan, aber alle nennen mich Bill. Ich werde das Riesenrad auf dem Campingplatz betreiben. Und jetzt habe ich erfahren, dass ich da gar nicht wohnen kann. Es ist alles ausgebucht.«

Der Mann mit dem Riesenrad!

Heidis Vater öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Wie ein Fisch auf dem Land, der keine Luft kriegte.

»Wirklich?«, sagte er dann. »Gehört Ihnen das Riesenrad?«

Der Mann namens Bill nickte.

Heidi schaute durchs Küchenfenster zur Straße. Da war kein Riesenrad zu sehen.

»Das hat sich alles erst vor einer Woche ergeben«, sagte er. »Eigentlich sollte ich das Rad in Strömstad aufstellen, doch die haben abgesagt. Und da bin ich stattdessen hierhergefahren. Aber es ist ganz schön schwer, hier ein Zimmer zu finden. Alle Hütten sind bereits vermietet, und das Hotel in Kungshamn hat auch keinen Platz. Deswegen habe ich mich ja so gefreut, als ich den Zettel auf dem Campingplatz gelesen habe. Ich kann eine hohe Miete zahlen.«

Heidis Vater und Jennifer sahen sich schweigend an.

Heidi kriegte kaum Luft, so wütend war sie. Was machte Papa da eigentlich? Warum hatte er nicht erzählt, wie wenig Geld sie hatten?

»Tut mir leid«, flüsterte Jennifer. »Natürlich hätte ich das mit dem Zettel sagen sollen.«

Heidis Vater sah beschämt aus.

»Ist schon okay«, erwiderte er. »Ich war einfach nur so überrumpelt.«

Er wandte sich Heidi zu.

»Was meinst du?«, fragte er. »Glaubst du, es geht, das Gästezimmer zu vermieten?«

Heidi nickte. Alles ging. Alles, solange sie nur weiter im Haus bleiben konnten.

Nach dem ersten Schreck sah Bill jetzt eigentlich ganz nett aus. Und er besaß ein Riesenrad.

Womöglich würden Heidi und ihre Freunde ja ein paar Freifahrten bekommen.

»Dann machen wir das so«, sagte ihr Vater. »Willkommen bei uns.«

Und damit war alles entschieden. Heidi, ihr Vater und Jennifer würden einen Untermieter bekommen. Der den ganzen Sommer über bleiben würde.

Bill schüttelte ihrem Vater und Jennifer die Hand, und dann auch Heidi. Seine Hand war groß und warm.

»Du wirst wohl bald große Schwester, was?«, sagte er und schaute auf Jennifers Bauch.

Ihr Vater und Jennifer lachten, als hätte er etwas unglaublich Lustiges gesagt.

»Allerdings«, erwiderte Heidis Vater. »In vier Wochen ist es so weit.«

Bill lächelte.

»Vier Wochen«, sagte er. »Dann habe ich ja vielleicht noch die Ehre, das Kleine kennenzulernen.«

»Hoffen wir mal«, sagte Jennifer.

Heidis Vater sah neugierig aus.

»Waren Sie schon mal auf Hovenäset?«

»Nein, noch nie«, sagte Bill. »Aber es scheint unheimlich nett zu sein hier.«

»Das ist es wirklich«, antwortete Heidis Vater entschieden. »Der schönste Ort der Welt. Und der kleinste.«

Damit hat er recht, dachte Heidi. Im Winter wohnten auf der ganzen Halbinsel nur zweihundert Menschen. Im Sommer waren es viel, viel mehr, allerdings auch nur während ein paar Wochen.

Niemand in der Familie liebte Hovenäset so sehr wie ihr Vater. Doch Heidi wohnte auch gerne hier. Als sie klein gewesen war, hatten sie ein paar Kilometer entfernt in Kungshamn gewohnt. Nach Hovenäset waren sie gezogen, als Heidi sechs Jahre alt gewesen war. Ihre Mutter hatte danach ganz oft gesagt, sie bereue es, umgezogen zu sein.

»Ich hätte am liebsten in Göteborg gewohnt«, hatte sie immer gesagt. »Nur dein Vater wollte unbedingt in einen Ort ziehen, der noch kleiner ist als Kungshamn. Für mich funktioniert das nicht. Auf Hovenäset gibt es einfach überhaupt nichts.«

Und ob es was gibt, dachte Heidi. Vielleicht keine Geschäfte und keine Restaurants. Dafür gibt es einen Badeplatz, und wir haben eine superschöne Bootshütte. Und ich bin auch hier. Warum genügt ihr das nicht?

»Wann möchten Sie denn einziehen?«, fragte Jennifer.

Der Mann namens Bill richtete sich auf.

»Gerne schon morgen Vormittag«, sagte er. »Wenn das nicht zu schnell ist.«

»Ach was«, erklärte Jennifer. »Das kriegen wir hin.«

Bill sah froh aus und kratzte sich den Bart.

»Super«, sagte er. »Und jetzt muss ich los, wir sehen uns ja morgen.«

Er hob grüßend die Hand.

Und dann verließ er das Haus auf demselben Weg, auf dem er hereingekommen war.

Kapitel 3

Es wurde Abend, und noch mehr dunkle Wolken brauten sich über Hovenäset zusammen. Heidi und ihr Vater räumten gemeinsam ihr Zimmer ein, während Jennifer das Gästezimmer putzte.

Heidi konnte nicht vergessen, was Jennifer gesagt hatte. Was, wenn es nun wirklich so war, dass sie das Haus verkaufen müssten? Schließlich fragte sie ihren Vater.

»Ich schäme mich deswegen«, sagte er mit gesenktem Blick. »Ich wollte nicht, dass du das erfährst.«

»Ich muss das doch erfahren!«, entgegnete Heidi ärgerlich.

»Wir haben eben die ganze Zeit gedacht, dass sich das schon regeln würde«, erklärte ihr Vater. »Und das tut es ja jetzt auch. Mit meinem neuen Job und dem Geld, das wir von unserem Mieter bekommen, wird es reichen.«

»Das wisst ihr allerdings erst seit heute«, widersprach Heidi. »Und wenn Bill nicht gekommen wäre?«

»Jetzt ist er aber gekommen«, entgegnete ihr Vater entschieden. »Das ist die Hauptsache.«

Nun sah Heidi zu Boden.

»Wie viel zahlt Bill eigentlich?«, fragte sie.

»Viel. Er hat vorhin noch mal angerufen, und er wird eine ziemlich hohe Miete zahlen.«

»Ist er reich oder so?«

»Anscheinend. Vielleicht ist er Amerikaner. Sein Name klingt ja so. William Sullivan.«

»Es sind ja wohl nicht alle Amerikaner reich, oder?«

»Nein, wirklich nicht.«

Sie schwiegen. Heidi stellte es sich schön vor, einen neuen Menschen im Haus zu haben.

Weniger schön war ihre neue »Scheinwand«. Die Plane, die ihr Vater aufgehängt hatte, wirkte dunkel und kalt. Heidi fand, sie sah aus wie eine Gefängniswand.

Draußen donnerte es, sodass sie erschauderte. Der Regen pladderte auf das Dach, und der Wind heulte ums Haus.

»Ich glaube, ich sollte mal nach dem Boot sehen«, sagte ihr Vater. »Seit wir wieder da sind, war ich noch gar nicht unten. Außerdem will ich Oma besuchen. Den Rest schaffst du allein, oder?«

Die Möbel standen schon alle, und sie hatten gemeinsam geputzt. Jetzt musste Heidi nur noch all die anderen Sachen einsortieren, die sie vorher weggeräumt hatte. Bücher, Fotos und Dekokram.

»Grüß Oma und sag ihr, dass ich morgen komme«, sagte Heidi.

»Mach ich!«, erwiderte ihr Vater und verschwand.

Wieder donnerte es. Das Gewitter kam schnell näher. Heidi fragte sich, wo Bill wohl heute Nacht schlief. Und wo er sein Riesenrad hatte.

Da klingelte Heidis Handy.

Es war Harry. Heidi und er kannten sich schon seit der Grundschule. Er wohnte in einem lilafarbenen Haus ganz in der Nähe.

»Wie ist dein neues Zimmer geworden?«, fragte er. »Darf ich kommen und es mir ansehen?«

Heidi ging in ihr Schlafzimmer und schaute sich das Chaos an.

»Da gibt es noch nicht so viel zu sehen«, sagte sie. »Wie war es in Frankreich?«

Harry und seine Familie waren eine Woche lang in Paris gewesen. Er erzählte von lauten Hotels und langen Autofahrten, und vom Eiffelturm, der unglaublich hoch war.

Während Heidi zuhörte, wurde ihr Blick von dem Loch im Boden zwischen den Dielen angezogen. Und sie erinnerte sich an den kleinen Schuh. Sie hatte den Schuh und das Kistchen wieder versteckt, aber jetzt holte sie beides heraus. Wenn sie nur rausfinden könnte, warum die Holzkiste unter ihrem Fußboden gelegen hatte. Und warum war es nur ein Schuh und nicht zwei?

Heidi ging zum Loch im Boden und legte sich auf den Bauch. Dann schob sie die Hand in das Loch und begann herumzutasten. Irgendwann steckte sie mit dem ganzen Arm unter dem Boden. Einen zweiten Schuh fand sie nicht, sondern nur weiche, fusselige Staubmäuse.

Doch plötzlich war da noch etwas anderes. Etwas Hartes und Kaltes.

Heide keuchte und versuchte, ihren Arm noch weiter hineinzuschieben. Schließlich kriegte sie das Ding zu fassen.

»Hallo? Hörst du mir eigentlich zu?«, fragte Harry.

»Ja, klar«, sagte Heidi und bemühte sich, so wie immer zu klingen. »Ich muss nur …«

Sie hielt inne, als sie sah, was sie da in der Hand hielt. Einen länglichen, silberfarbenen Gegenstand mit einer Kugel am oberen Ende. Eine alte Babyrassel. Ein Spielzeug für kleine Kinder. Heidi hatte fast genauso eine gehabt, sie hatte sie damals von ihrem Onkel und ihrer Tante zur Taufe bekommen.

Die Rassel war ganz kühl in ihrer Hand. Wenn man sie schüttelte, dann rasselte es.

Wie seltsam, dass die auch unter den Fußbodendielen gelegen hatte.

Wem hatten der alte Schuh und die Rassel gehört?

Und wie war beides unter den Boden in Heidis Zimmer gekommen?

Kapitel 4

Für einen Moment war Heidi so von der Rassel und dem Schuh fasziniert, dass sie ganz vergaß, dass sie eigentlich telefonierte. Erst als sie Harrys eifrige Stimme hörte, fiel es ihr wieder ein.

»Was hältst du davon?«

»Wovon?«, fragte Heidi verwirrt.

Harry seufzte ungeduldig.

»Du hörst ja doch nicht zu«, sagte er. »Ich habe gefragt, ob du morgen mit zum Campingplatz kommen willst und nachsehen, ob das Riesenrad schon da ist.«

Blitzschnell richtete Heidi sich auf. Natürlich hatte Harry auch von dem Riesenrad gehört.

»Ich kenne den, dem das Riesenrad gehört«, sagte sie. »Oder ich weiß zumindest, wer es ist. Er wird nämlich bei uns wohnen. Er heißt William, wird aber Bill genannt.«

»Echt jetzt?«, rief Harry. »Das ist ja wirklich mega.«

Heidi kicherte.

»Er wird unser Gästezimmer im Keller mieten«, erklärte sie. »Morgen Vormittag zieht er ein.«

»Cool!«, sagte Harry. »Dann kommen Alva und ich rüber. Hoffentlich hat er das Riesenrad dabei!«

»Das hoffe ich auch«, sagte Heidi. Dann legten sie auf.

 

Ein paar Stunden vergingen. Ihr Vater kam von Oma nach Hause, und Heidi machte ihr Bett. Sie war total aufgeregt. Je mehr sie darüber nachdachte, desto besser fühlte es sich an, dass Bill bei ihnen einziehen würde.

Papa und Jennifer brauchten das Geld.

Und sie selbst brauchte etwas anderes, worüber sie nachdenken konnte.

Etwas, das nichts mit ihrer Mutter und all dem anderen zu tun hatte, das anstrengend oder traurig war.

Heidi war überhaupt nicht müde.

Als sie einschlafen wollte, kreisten die Gedanken nur so in ihrem Kopf herum.

Die Plane raschelte.

Schließlich holte sie die Rassel und den Kinderschuh wieder heraus und drehte und wendete die beiden Dinge. Sie hatte keine Lust, die Sachen unter die Dielenplanken zurückzuschieben. Und sie wollte sie auf keinen Fall ihrem Vater oder Jennifer zeigen. Dann würden die das alles nämlich nur dem Baby geben wollen.

Stattdessen legte sie den Schuh und die Rassel in eine ihrer Schreibtischschubladen. In die oberste, die konnte man nämlich abschließen. Sie zitterte vor Kälte, als sie den Schlüssel herumdrehte und dann in einem Buch versteckte, das auf dem Schreibtisch lag.

Wieder raschelte die Plane.

Heidi schauderte es, und sie kroch schnell ins Bett.

Ein Blitz erleuchtete den Nachthimmel.

Kurz darauf krachte ein Donnerschlag.

Heidi hatte gelernt, dass man zählen sollte, wie viele Sekunden zwischen Blitz und Donner vergingen. Dann wusste man, wie weit das Unwetter entfernt war. Wenn der Donner direkt nach dem Blitz kam, dann hing es genau über einem. Das konnte gefährlich sein, wenn man zum Beispiel draußen auf dem Meer war.

Wieder raschelte die Plane.

Dabei lag Heidi ganz still.