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Ein vergiftetes Ehepaar, ein rätselhaftes Fotoalbum und ein abgesagtes Krebsfest – der vierte Schwedenkrimi mit August Strindberg!
Es ist Spätsommer in Hovenäset und Zeit für das traditionelle Krebsfest. Während die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen und August Strindberg mit seiner kleinen Tochter Sofia die letzten Sonnenstrahlen genießt, wird ein älteres Ehepaar Opfer eines Giftanschlags. Eben aus der Elternzeit zurückgekehrt, übernimmt Maria Martinsson die Ermittlung, sehr zum Leidwesen von August, der ihr eigentlich einen Heiratsantrag machen will. Als dann auch noch das Krebsfest abgesagt wird und ein rätselhaftes Fotoalbum aus der Vergangenheit seines Großvaters auftaucht, steht Augusts Welt endgültig kopf ...
Können Sie nicht genug bekommen von August Strindberg? Lesen Sie in »Die Tote im Sturm«, wie er nach Hovenäset kam.
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Seitenzahl: 674
Veröffentlichungsjahr: 2025
Es ist Spätsommer in Hovenäset und Zeit für das traditionelle Krebsfest. Während die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen und August Strindberg mit seiner kleinen Tochter Sofia die letzten Sonnenstrahlen genießt, wird ein älteres Ehepaar Opfer eines Giftanschlags. Eben aus der Elternzeit zurückgekehrt, übernimmt Maria Martinsson die Ermittlung, sehr zum Leidwesen von August, der ihr eigentlich einen Heiratsantrag machen will. Als dann auch noch das Krebsfest abgesagt wird und ein rätselhaftes Fotoalbum aus der Vergangenheit seines Großvaters auftaucht, steht Augusts Welt endgültig kopf …
Kristina Ohlsson, Jahrgang 1979, arbeitete im schwedischen Außen- und Verteidigungsministerium als Expertin für EU-Außenpolitik und Nahostfragen, bei der nationalen schwedischen Polizeibehörde in Stockholm und als Terrorismusexpertin bei der OSZE in Wien. Mit ihrem Debütroman »Aschenputtel« gelang ihr der internationale Durchbruch und der Auftakt zu einer hochgelobten Thrillerreihe um die Ermittler Fredrika Bergman und Alex Recht. August Strindberg ist Ohlssons neueste Romanfigur, der mit seinem Leichenwagen Fälle löst, obwohl er gar nichts mit der Polizei zu schaffen hat …
Aus der Serie mit Fredrika Bergman und Alex Recht:
Aschenputtel
Tausendschön
Sterntaler
Himmelschlüssel
Papierjunge
Sündengräber
Aus der Serie mit Martin Benner:
Schwesterherz
Bruderlüge
Blutsfreunde
Aus der Serie mit August Strindberg:
Die Tote im Sturm
Das Feuer im Bootshaus
Die Frau im Eishaus
Spätsommertod
Weitere in Vorbereitung
Kristina Ohlsson
Ein Schwedenkrimi mit August Strindberg
Deutsch von Susanne Dahmann
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »Frälsarkransen« bei Bokförlaget Forum, Stockholm.
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Copyright der Originalausgabe © 2024 by Kristina Ohlsson
Published by agreement with Salomonsson Agency
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025 by Limes in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Ingola Lammers
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
Umschlagmotiv: © iStockphoto / wilmurhtina
Karte: © Peter Palm, Berlin
BL · Herstellung: KH
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-31264-0V002
www.limes-verlag.de
Der Sommer war schon fast zu Ende, als endlich die Hitze kam. Während des Frühjahrs war von einem Sommer geredet worden, der hohe Temperaturen, warmes Wasser und ausgetrocknete Böden bringen würde. »Kaufen Sie sich einen Ventilator, ehe es keine mehr gibt!«, hatten die Läden gemahnt, und alle, die sich auch nur im Mindesten hitzeempfindlich fühlten, waren der Aufforderung sogleich nachgekommen.
Sogar an der Westküste.
Auf Hovenäset hatten die Einwohner erwartungsvoll übers Meer geblickt und auf die versprochene Hitze gewartet. Dieser Sommer würde nicht einer dieser furchtbar windigen und regnerischen werden, sondern ein richtiges herrliches Sonnenfest.
»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe«, hatten die eher skeptisch Veranlagten gesagt, doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, sodass wohl auch diese sich irgendwann dem Wunsch nach einem langen und heißen Sommer hingegeben hatten.
Und dann war die hellste Jahreszeit gekommen – doch ohne besondere Wärme mitzubringen. Andererseits war auch nicht viel Regen gefallen. Nein, dies war ein Sommer, an den man sich wegen seines milden Wetters und seiner langen, hellen, aber kühlen Abende erinnern würde. Niemand hatte einen Ventilator gebraucht, um sich abzukühlen, sondern nach neun Uhr abends einen Wollpullover übergezogen, um nicht zu frieren. Und niemand war mit seinem Garten zufrieden. Die Erdbeeren waren zu spärlich und wurden zu spät reif, und auch Johannisbeeren oder Rhabarber mickerten vor sich hin. Der Sommer war in halbem Tempo vergangen und das Leben ebenso.
Der Julimonat kam und ging, und es wurde August. Und da kam die Hitze. Aus dem halb warmen sonnigen Wetter wurde eine tropische Hitze, und auf Hovenäset versuchte man, den letzten Rest Urlaubsgefühl zu melken, ehe der Alltag mit Schule und Arbeit wieder losging. Es war Zeit für die ersten Krebse, und in den Bootshütten rüstete man sich für das Fest.
Mitten in dieser Zeit, während des letzten Seufzers des Hochsommers, bekam eine einsame Seele auf Hovenäset plötzlich Angst. Die Angst wuchs zu Sorge, die zu Entsetzen wurde. Ein so heftiges Entsetzen, dass ihm Taten folgen mussten. Und mit einem Mal breitete sich das Gefühl von Unsicherheit in dem kleinen Ort aus.
Einigen aus der Herde war es übel ergangen.
Und jemand hatte Böses getan.
Warme Winde ließen Bäume und Büsche flüstern.
Wer war es denn, der die Ordnung auf der Halbinsel gestört hatte?
Und gab es noch mehr, die Grund hatten, sich bedroht zu fühlen?
»Etwas muss passiert sein«
Die Sonne brannte stur durch das Fenster der Bootshütte. Natürlich tat sie das immer, wenn sie mal herausschaute, aber an diesem besonderen Tag störte es Ove Dahlman auf ganz besondere Weise.
»Bald wird man wohl im Haus eine Sonnenbrille tragen müssen«, schimpfte er vor sich hin.
Der Boden der Bootshütte knarrte unter seinem Gewicht, wenn er sich bewegte. Draußen war es heiß und drinnen auch. Es gab kein Entrinnen. Oves Bewegungen waren schwerfällig, aber gleichzeitig eifrig, als er unter den Schwimmwesten, die an der Wand auf Nägeln hingen, suchte. Wo zum Teufel war die kleinste Weste hingekommen? Es war doch nicht lange her, seit der Sohn und die Enkelkinder zuletzt mit dem Boot draußen gewesen waren. Da musste Elina doch eine Weste angehabt haben, oder?
Ove schob die größeren Westen beiseite, doch die kleinste war immer noch nicht zu sehen. Er unterdrückte einen verärgerten Seufzer. Die Weste musste her, aber das sollte dann eben bis nach dem Mittagessen warten. Irma war dabei, das Essen aufzuwärmen, und kalt würde es nicht schmecken. Vielleicht wusste Irma ja, wo die kleinste Weste hinverschwunden war? Wenn sie aufräumte und sortierte, hatte sie so viele Einfälle, dass es fast unmöglich war, denen zu folgen. Andererseits hatte er ja gut Zeit. Noch waren es mehrere Stunden bis zum Abend.
Sie hatten einen netten Nachmittag und Abend vor sich, Irma und er. Irma hatte der Schwiegertochter Lovisa zu ihrem Krebsfest am Abend eine Pinocchio-Torte versprochen, und Ove würde Elina von einem Kindergeburtstag in Kungshamn abholen. Etwas später, wenn das Krebsfest dann im Gang war, würden die Enkelkinder zu ihnen kommen. Sohn Magnus und seine Lovisa hatten entschieden, dass das Krebsfest kinderfrei sein sollte – und offensichtlich auch rentnerfrei.
Ein schlaues Arrangement für alle Beteiligten, auch wenn Ove wusste, dass Irma gerne beim Fest dabei gewesen wäre. Er selbst blieb lieber zu Hause – viel lieber –, aber man musste ja nicht alles laut sagen.
Mit entschlossenen Schritten ging er nach Hause. Die Bootshütte lag nur einen Steinwurf von ihrem Haus entfernt und gehörte ihnen nun bald schon dreißig Jahre. So viel Zeit war vergangen, so viel hatte man erlebt.
»Ove?« Irma schaute aus der Verandatür, als er sich dem Haus von der Rückseite näherte. Die weiße Holzverkleidung glänzte in der Sonne. Zwei Jahre war es her, seit sie es zum letzten Mal hatten streichen lassen. Kein Klima war härter für Farbe als das an der Westküste, doch das Haus würde noch mindestens fünf, sechs Jahre frisch und gepflegt aussehen. Das hatte der Maler versprochen.
»Zur Stelle.«
Sie verzog den Mund.
»Habe mich gerade gefragt, wo du bleibst. Wir wollen doch jetzt essen.«
Ove antwortete nicht.
Es war schon immer so gewesen, dass sie unterschiedliche Essens- und Schlafenszeiten hatten. Und mal ehrlich: Wie eilig konnte das mit dem Mittag sein? Schließlich hatten sie kein luxuriöses Essen gekauft. Hamburger und Pommes. Und Milchshakes. Alles vom McDonald’s im Einkaufszentrum bei Uddevalla – wie immer, wenn sie dort ihre Besorgungen machten.
»Ich hab gedacht, sowie ich gegessen habe, fange ich mit der Torte an«, erklärte Irma, während sie in die Küche gingen. »Dann weiß ich sicher, dass ich rechtzeitig fertig bin.«
Ove nickte schweigend.
Irma hatte diese Torte schon hundertmal gebacken, und dennoch klang sie gestresst. Das war im Grunde nicht ungewöhnlich, sie hatte Spaß daran, sich ein bisschen Stress zu machen. Zumindest war Ove zu dem Schluss gekommen, dass sie es genoss, unter Zeitdruck zu schaffen und sich zu beweisen. Dann fühlte sie sich gebraucht, vielleicht sogar lebendiger. Wer einen Termin einzuhalten hat, der hat auch jemanden, der auf ihn wartet.
Und das schien ihrer Schwiegertochter sehr gut zu passen. Sie bat gerne um einen Gefallen. Ove wusste, dass Irma ihre Bedenken gehabt hatte bei Magnus’ Bekanntgabe, er und Lovisa würden Göteborg verlassen und nach Hovenäset ziehen – in den Ort, wo Magnus zwar aufgewachsen war, zu dem Lovisa aber keinerlei Verbindung hatte. Wie würden sie ein Gleichgewicht finden, wie oft und viel man sich sehen wollte, wenn man so nah beieinander wohnte? Woher sollten sie als Eltern wissen, wann sie zu aufdringlich wurden?
Ove und sein Sohn hatten ihre Befürchtungen aber nicht geteilt.
»Lovisa möchte genauso wie ich raus aus der Großstadt«, hatte Magnus gesagt. »Das Leben da passt nicht zu uns. Für unsere kleine Familie wird es also sein, als würden wir nach Hause kommen. Alles andere wird sich schon lösen lassen.«
Das hatte Ove auch gedacht. Gleichzeitig hatten sowohl er als auch Irma im Bekanntenkreis erlebt, was das Einmischen und das allzu hingebungsvolle Engagement von Eltern anrichten konnten. Andererseits mangelte es auch nicht an Beispielen von guten Freunden, die betrübt darüber waren, dass sie ihre Kinder und Enkelkinder zu selten sahen.
»So werden wir das nicht machen«, hatte Ove gesagt. »Wir werden ganz entspannt sein.«
Und möglicherweise war ihnen das auch gelungen, denn Ove erlebte die Beziehung zu seinem Sohn als spontan und ungezwungen. Im Laufe der Jahre hatten sie eine Gewohnheit gefunden, die zu beiden Seiten passte.
»Dann wollen wir mal sehen«, sagte Irma. »Ich habe schon alles hingestellt.«
Ove ließ den Blick aufmerksam über den Küchentisch wandern und nickte dann bedächtig.
Ja, doch, alles war da.
Genau wie immer.
»Sollen wir anfangen?«, fragte Irma und zog ihren Stuhl heraus.
Ove ging um den Tisch und nahm ihr gegenüber Platz. Er schaute über das Essen auf dem Tisch und spürte den Appetit nachlassen. So war es immer, wenn etwas vor ihm lag, wonach er sich lange gesehnt hatte. Er hatte einen großen Augenblick vor sich, einen der besten seit vielen Jahren. Aber erst mussten sie essen. Es ging auf halb eins, und Irma würde misstrauisch werden, wenn er nichts aß.
»Natürlich«, sagte er. »Jetzt essen wir.«
Alles andere konnte warten.
Er würde alles noch schaffen.
Am wichtigsten war, dass Irma seine Pläne nicht durchschaute.
Ove lächelte.
Der Abend, der vor ihm lag, würde einer der besten werden. Aber nur für ihn.
»Willst du einen Schnaps?«
In Henriks Stimme schwangen gleichermaßen Bosheit und Erwartung mit. August hob den Blick von der Erdbeertorte, die er gerade dekorierte, und sah seinen besten Freund an. Es war kurz vor 17 Uhr, und draußen herrschten über 25 Grad.
»Ich nehme gerne später in der Bootshütte einen Schnaps, bevor die Gäste kommen«, erwiderte er. »Im Moment hätte ich am liebsten bloß Wasser. Es ist so verdammt heiß.«
Henrik grinste.
»Entschuldige bitte, aber ich weiß eben nicht, wie das hier funktioniert«, sagte er. »Ich war schließlich noch nie in meinem Leben auf einem richtigen Krebsfest.«
»Ich meine mich zu erinnern, dass wir zwei zusammen auf mindestens einem Dutzend Krebsfeste waren«, entgegnete August.
Henrik schüttelte den Kopf.
»Das war doch nur Trockenschwimmen«, widersprach er. »In Stockholm gibt es keine richtigen Krebsfeste. Die feiert man nur hier, wo es auch richtige Krebse gibt.«
August lächelte.
Nur wenige Menschen waren von seinem Umzug an die Westküste so betroffen gewesen wie Henrik, der immer noch in Stockholm wohnte. Zwei Jahre waren vergangen, seit August seine Arbeit in der Finanzbranche in der königlichen Hauptstadt verlassen hatte, um sich den Traum zu verwirklichen, in Kungshamn einen Secondhandladen zu eröffnen – nur drei Kilometer entfernt von Hovenäset, wo er sich niedergelassen hatte. Die Kindheitserinnerungen aus der Zeit, als seine Großeltern ein Sommerhaus auf Hovenäset besaßen, hatten ihn darauf gebracht, ausgerechnet diesen Ort für sein neues Leben auszusuchen. Und dann hatte sich alles atemberaubend schnell ergeben. Er hatte sogar wenige Wochen nach dem Umzug die große Liebe seines Lebens getroffen.
Maria.
Sie wohnten in einem charmanten Haus an der romantischsten Adresse des Universums: dem Kärleksvägen. Und viel besser als Liebe am »Liebesweg«, das ging gar nicht. Im Februar waren sie Eltern eines kleinen Mädchens geworden, und seither befand sich August in einer Art Glücksblase.
Er war verliebt, und er war Vater. Und er hatte einen Freund, der in Stockholm wohnte und ihn sooft er konnte im Paradies besuchte.
»Es freut mich wirklich, dass du das Krebsfest als etwas Einzigartiges betrachtest«, sagte August und wandte seine Aufmerksamkeit der Tochter Sofia zu, die auf der anderen Seite der Kücheninsel in einem Kinderstuhl saß.
Das Größte, was ihm geschehen war. Das Wichtigste und das Schönste. Und das, was das Leben am meisten umgewälzt hatte. Nach dem Tod seiner Eltern war die Sehnsucht nach Kindern wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte ihn dann mit voller Kraft umgehauen, als er sich später in Maria verliebte. Sie war früher schwanger geworden, als sie geplant hatten – wahrscheinlich, weil sie überhaupt nichts geplant hatten –, doch als die Schwangerschaft Tatsache war, hatte keiner von ihnen auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, sie abzubrechen.
Sofia beobachtete alle Bewegungen von August mit konzentriertem Blick.
»Es ist unglaublich, was für einen wählerischen Patenonkel du hast«, sagte er mit sanfter Stimme. Auf dem runden Gesicht von Sofia zeigte sich ein breites, fast zahnloses Lächeln.
»Uhhhhh«, sagte sie.
»Uhhhhh«, echote August. »Hörst du, Henrik? Sie ist derselben Ansicht!«
Henrik unterdrückte einen Seufzer, ging resolut zu Sofia und hob sie aus dem Kindersitz. »Du sollst nicht auf den Papa hören, wenn er gemein ist«, sagte er und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. »Eines Tages, wenn ich dir alles beigebracht habe, was ich weiß, dann wirst du auch ein so ereignisreiches Leben haben, dass du nur auf die abgefahrensten Feste gehst und den Rest einfach bleiben lässt.«
August ließ vor Lachen einen Messbecher auf den Boden fallen.
»Ihr alles beibringen, was du kannst? Auf keinen Fall wirst du ihr zeigen, wie man achtzig Stunden die Woche arbeitet.«
Henriks Blick funkelte.
»Halte mich doch auf, wenn du kannst«, gab er mit einem Augenzwinkern zurück.
August lachte wieder und beugte sich herunter, um den Messbecher aufzuheben. Während er sich danach ausstreckte, hielt er eine Hand auf die Brusttasche seines Hemds, damit der Ring nicht rauspurzelte.
Drei ganze Tage lag der da schon in der Tasche.
Drei ganze Tage waren vergangen, ohne dass August es geschafft hätte, Maria seinen Antrag zu machen.
Er, der sich doch eigentlich vor gar nichts fürchtete, war plötzlich zum feigsten Menschen auf dem Planeten geworden. Denn während er selbst niemals verheiratet gewesen war, hatte Maria doch bereits zehn Ehejahre hinter sich, und zwar mit einem Mann, der sie geschlagen und gequält hatte.
»Ich liebe uns, August«, pflegte Maria zu sagen. »Ich liebe es, wie es uns geht und wie wir leben. Genau so will ich den Rest meines Lebens verbringen.«
August verstand das so, dass sie glücklich war, und dass das gut genug war und man ihrer Meinung nach nichts mehr hinzufügen musste.
Vielleicht will sie nicht, dachte August. Und vielleicht rechnet sie nicht damit, dass ich will.
Henrik setzte Sofia in den Kinderstuhl zurück.
»Jetzt werden wir zuschauen, wie der Papa die Torte fertig macht, damit mal ein bisschen Schwung in die Erwachsenenaktivitäten kommt«, erklärte er.
August verdrehte die Augen.
»Du bist unverbesserlich«, sagte er.
»Und du verwendest Zeit auf seltsame Dinge wie Torten, wenn du dich eigentlich auf Alkohol konzentrieren solltest«, erwiderte Henrik. »Wann kommt der Babysitter?«
»Heute Abend haben wir keinen Babysitter. Sofia geht mit zum Krebsfest.«
Er erwähnte nicht, dass sie mehrere Versuche unternommen hatten, einen Sitter für ihren Nachkömmling zu finden. Zum Beispiel hatten sie Marias Mutter gefragt, doch die hatte bereits andere Pläne. Möglicherweise wäre sie lieber bei dem Krebsfest dabei gewesen und hatte deshalb Nein gesagt. Da konnte man nicht so ganz sicher sein, dachte August.
»Könnt ihr denn nicht dieses Kindermädchen anrufen, das ihr sonst immer nehmt?«, fragte Henrik, als ob August und Maria noch nicht selbst auf die Idee gekommen wären. »Ich meine den, der vor ein paar Stunden hier war?«
»Lucas hat keine Zeit«, sagte August. »Seine Eltern werden ein eigenes Krebsfest ausrichten, und Lucas und seine kleine Schwester sollen einen gemütlichen Abend bei den Großeltern verbringen. Und nenn Lucas bitte nicht Kindermädchen, sei so gut.«
Lucas war der vierzehnjährige Nachbarsjunge. Während der Sommerferien half er ein paar Tage die Woche und passte im Laden auf Sofia auf, während August Kundengespräche führte. Maria hatte ihre Elternzeit früher als erwartet beendet und war zurück im Polizeidienst, und seit Mai war August derjenige, der sich tagsüber um Sofia kümmerte. Zuvor an diesem Tag hatte Lucas mit Sofia einen langen Spaziergang unternommen, sodass August, Maria und Henrik in aller Ruhe die restlichen Vorbereitungen für das Fest erledigen konnten, und das war eine große Hilfe gewesen.
Als er daran dachte, wie sie gemeinsam vor ihrem Fest im Haus gearbeitet hatten, fiel ihm wieder der Ring in der Brusttasche des Hemds ein. August trug ihn bei sich, um den richtigen Moment für den Antrag auf keinen Fall zu verpassen. Dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen, kam ihm nicht in den Sinn. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er wissen würde, wenn es so weit war, und da galt es, den Ring zur Hand zu haben.
Ein gellendes Handyklingeln hallte durch die Küche. August wischte sich schnell die Hände ab und ging ran.
»Strindberg.«
Die Stimme einer älteren Frau war zu hören.
»Ist da August Strindberg? Wie gut, ich rufe an wegen der Sammlung von gebrauchten Computern für die Armen.«
Fast hätte August losgeprustet. Er hatte durchaus über seinen Laden eine Sammelaktion von ausrangierten Computern und Smartphones initiiert, hätte sich aber nicht so ausgedrückt wie die Dame. Für die Armen.
»Wie schön«, sagte er. »Die Sammelaktion soll Schulkinder unterstützen, deren Eltern nicht die Möglichkeit haben, ihnen einen eigenen Computer oder ein Smartphone zu kaufen, und …«
»Ja, das habe ich doch gesagt«, unterbrach ihn die Dame.
Henrik betrachtete August mit belustigter Miene, als der versuchte, das Gespräch so zu steuern, dass es würdevoller klang, während er gleichzeitig die Frau, die da anrief, nicht abschrecken wollte. Seine Sammelaktion hatte große Aufmerksamkeit bekommen und dazu geführt, dass vergleichbare Aktionen auch an anderen Orten im Land gestartet worden waren. Obwohl das Projekt erst knapp sechs Wochen lief, hatte August schon über achtzig Telefone und Computer erhalten.
Er bat die Frau, ihre Sachen zu seinem Laden zu bringen, dann beendete er das Gespräch und konzentrierte sich wieder auf die Torte, die mit großen roten Erdbeeren dekoriert werden sollte. Dazu brauchte er mehr Sahne, und das war eine der Zutaten gewesen, für die Maria mit dem Fahrrad losgefahren war. Die Tortenböden waren nach dem Rezept seiner Mutter mit einer kinderleichten Abmessung der Zutaten in nur einem Glas gebacken, und dann hatte er eine Vanillecreme nach dem Rezept von Marias Mutter hergestellt. Die Creme, die herrlich glänzte und ein wenig mit Zitronenzesten abgeschmeckt war, hatte eine perfekte Konsistenz. Die Erdbeeren, die er draußen im Garten gepflückt hatte, waren die letzten – oder genauer gesagt, die einzigen –, die bei ihnen gewachsen waren. Erst in der letzten Woche waren überhaupt welche herausgekommen.
Lautes Klopfen an der Haustür riss ihn aus seinen Gedanken.
August konnte nur kurz hochsehen, da stand Lucas plötzlich in der Küche. Offensichtlich hatte Maria vergessen, hinter sich abzuschließen, als sie zum Laden gefahren war.
»Was ist denn passiert?«
Die Worte kamen schneller aus Augusts Mund, als er darüber nachdenken konnte. Denn irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht, das konnte er an der ganzen Erscheinung des Jungen erkennen.
Die Teenagerpickel brannten auf Lucas’ Wangen, und die Stimme brach ihm, als er antwortete:
»Papa hat mich gebeten, nach Oma und Opa zu suchen. Aber niemand, den ich gefragt habe, hat sie gesehen. Ich dachte, dass du vielleicht zufällig … dass du … Hast du sie gesehen?«
August runzelte die Stirn. Er wusste nicht viel mehr, als dass Lucas’ Großeltern Irma und Ove hießen und wo sie wohnten.
»Meinst du heute?«
Lucas sah gestresst aus.
»Ja. Oder jetzt. Irgendwie.«
August schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das habe ich nicht. Warum …«
Die Teenagerstimme unterbrach ihn.
»Sie sind weg. Papa sagt, sie sind einfach weg.«
»Ich begreife nicht, wo sie sein können.«
Lovisa sah Magnus besorgt an.
»Ich auch nicht.«
Sie standen in der Küche, in der alles für den Abend vorbereitet war: Das jährliche Krebsessen, zu dem sich wie üblich ihre gemeinsamen Freunde in der Bootshütte von Magnus’ Eltern versammelten. Ein Fest, über das alle hinterher immer gern noch lange sprachen. Die Krebse hatten Magnus und sein Vater gefischt, und dann waren sie von Lovisa und Magnus’ Mutter zubereitet worden. Nun lagen die Tiere auf großen Platten im Kühlschrank, und auf dem Esstisch standen Pappteller und Gläser in unterschiedlichen Größen für Schnaps, Bier und Wasser bereit. Im Grunde war alles fertig. Nur die Frage, wohin die Eltern von Magnus verschwunden sein könnten, war noch offen.
Um kurz nach drei war der Anruf gekommen. Elina war vom Kindergeburtstag nicht abgeholt worden, und stattdessen hatten die Eltern eines Spielkameraden sie nach Hause gebracht.
»Das ist ja seltsam«, hatte Magnus zu Lovisa gesagt. »Mama und Papa haben schließlich versprochen, sie abzuholen. Ich rufe mal eben bei ihnen an und checke, ob sie vielleicht die Zeit vergessen haben.«
Das hatte er auch getan, wenngleich er keine Sekunde glaubte, dass die beiden vergessen haben könnten, Elina abzuholen. So was passierte seinen Eltern einfach nicht.
Als sie nicht ans Telefon gingen, hatte er Lucas rübergeschickt, damit er nachschaute, ob sie zu Hause waren, doch der kam zurück und sagte, sie hätten auf sein Klopfen hin nicht aufgemacht. Lucas war sogar noch beim Bootshaus vorbeigegangen, aber das Boot hatte auch noch am Steg gelegen. Als er gerade wieder zurückkam, hatte Lovisa entdeckt, dass ein paar Dinge für das Fest fehlten.
»Aber du warst doch gerade erst im Supermarkt und hast eingekauft«, hatte Magnus gesagt.
»Ich habe ein paar Sachen auf der Liste vergessen.«
Also hatten sie sich darauf geeinigt, dass Lovisa zum Coop fahren würde, um schnell einzukaufen, was sie noch brauchten. Etwas zusätzlichen Käse. Dill, mit dem man die Krebsplatten garnieren konnte, denn im Garten gab es keinen mehr. Alkoholfreie Getränke für alle, die weder Bier noch Wein wollten. Magnus hatte dafür gesorgt, dass Elina zu einem Spielkameraden ging, und war dann gefühlte zwanzig Runden durch Hovenäset gelaufen und hatte sogar Lucas ein weiteres Mal losgeschickt, damit er nach seinen Großeltern suchte. Niemand hatte sie gesehen.
Lovisa war nach Hause gekommen, hatte die Lebensmittel eilig in den Kühlschrank geräumt und war dann auch losgezogen, um zu suchen. Vergeblich. Unsicher, was sie nun tun sollten, hatten sich Magnus und Lovisa wieder nach Hause begeben, um einen Plan zu machen und ihre Gedanken zu sammeln. Und so waren sie in der Küche gelandet.
Lovisa sah gestresst aus. Die Eltern von Magnus waren für sie fast genauso wichtig wie für ihn. Es war ihre und nicht seine Idee gewesen, dass sie Göteborg verlassen und nach Hovenäset ziehen könnten. Ein wichtiger Antrieb dafür war, dass sie seine Eltern so sehr mochte.
Magnus hatte teilweise andere Gründe gehabt, auch wenn er es schön fand, näher bei seinen Eltern zu wohnen. Die Sportkarriere, die im Gymnasium noch so vielversprechend ausgesehen hatte (wie sehr hatte er inzwischen das Wort »vielversprechend« hassen gelernt …), hatte sich seit Jahren erledigt, und als Trainer für andere jüngere Talente taugte er nicht. Der Job als Buchhalter in einer großen Malerfirma hatte sich auch nicht mehr gut angefühlt. Nein, alles schrie nach Veränderung.
Also waren sie umgezogen. Magnus hatte sich selbstständig gemacht und unterstützte jetzt örtliche Unternehmen bei der Buchhaltung. Lovisa arbeitete in einem Stoffgeschäft in Kungshamn, und die Kinder liebten ihre Schulen.
Außerdem liebte die ganze Familie ihr Haus. Sowohl Lovisa als auch Magnus hatten sich schon aufgrund der Maklerannonce Knall auf Fall in das alte Haus auf Hovenäset verliebt. Das war, kurz bevor Lucas geboren werden sollte.
»Wir werden hier so glücklich sein«, hatte Lovisa gesagt.
Es hatte sich herrlich angefühlt, in dem Moment, als sie gerade Eltern wurden und ihre eigene Familie gründeten, zurück nach Hovenäset zu ziehen.
Magnus’ Blick fiel auf die Zeichnung, die mit einem Magnet am Kühlschrank klebte. Elina hatte sie in der Tagesstätte gemalt.
»Ich wollte, dass alle von der Familie drauf sind«, hatte sie gesagt, als sie ihnen das Bild zeigte.
Und tatsächlich waren alle drauf.
Magnus, Lovisa, der große Bruder Lucas, Elina und Opa und Oma. Nicht die Großeltern mütterlicherseits und keine Cousins und Cousinen. Aber Opa und Oma väterlicherseits, die so nah wohnten und ihre Enkelkinder so oft sahen, dass Elina sie als einen Teil ihrer engsten Familie betrachtete. Magnus hatte kein größeres Bedürfnis nach Distanz zu seinen Eltern. Ihm schien, als wüssten sie von sich aus, was ein passendes Maß des Umgangs war, und er und Lovisa wussten das ebenso.
Vielleicht war deshalb jenes einzige Mal, als Magnus sich die Freiheit genommen hatte, mit seinem eigenen Schlüssel das Elternhaus zu betreten, so schlimm gewesen. Es schauderte ihn am ganzen Leib, wenn er nur daran dachte.
Ein Albtraum.
So hatte er das damals empfunden, und so fühlte es sich immer noch an. Sogar jetzt, als sie nicht zu erreichen waren, wollte er vermeiden, mit seinem Schlüssel in das Haus zu gehen.
»Was meinst du, was sollen wir machen?«, fragte Lovisa und sah ihm direkt in die Augen.
Magnus zögerte mit der Antwort. Es war eben erst kurz nach fünf. Seine Eltern waren seit ungefähr zwei Stunden verschwunden. Das war viel zu kurz, um die Polizei zu verständigen, aber zu lang, um sich keine Sorgen zu machen.
»Wir sind durch alle Wohnviertel gelaufen und haben gesucht«, erklärte er. »Niemand, mit dem ich gesprochen habe, hat Mama oder Papa in den letzten Stunden gesehen. Ich habe Lucas noch einmal losgeschickt, aber noch nichts von ihm gehört …«
Seine Ausführungen wurden von den eiligen Schritten des Sohnes in der Diele unterbrochen. Als er in der Küche auftauchte, musste Magnus nur einen Blick in Lucas’ Gesicht werfen, um zu wissen, dass er auch diesmal seine Großeltern nicht gefunden hatte. Trotzdem ließ er es ihn noch einmal sagen:
»Niemand hat sie gesehen.«
Lucas sah aus, als würde er gleich um Entschuldigung bitten, weil er seinen Auftrag nicht mit Erfolg erfüllt hatte. Lovisa umarmte ihn.
»Das wird schon, mein Lieber«, sagte sie. »Alles wird gut.«
»Woher willst du das wissen?«, sagte Magnus resigniert und wünschte, er könnte sich auch so leicht mit Worten trösten lassen. Doch Lucas sah eigentlich nicht sonderlich getröstet aus. Im Gegenteil. Er war bleich und der Blick starr. Sein Anblick frustrierte Magnus. Das war doch einfach lächerlich. Sie befanden sich in einem der kleinsten Orte des Landes. Nichts lag weiter entfernt als zehn Minuten zu Fuß, und die Anzahl Dauerbewohner umfasste nur knapp 200 Personen. Selbst wenn man es wollte, konnte man auf dieser Halbinsel nicht verschwinden.
Also waren seine Eltern natürlich nicht verschwunden.
Natürlich nicht.
Lucas schniefte und wischte mit dem Arm unter der Nase durch. Das war eine schlechte Angewohnheit, die sie ihm schon seit Jahren erfolglos abzugewöhnen versuchten. Irgendetwas an dieser Bewegung ließ Magnus entschlossener handeln. Er musste sich durchringen, den Ersatzschlüssel zu benutzen. Die einzige Alternative dazu wäre, die Polizei anzurufen, und da war es lächerlich, nicht vorher im Haus der Eltern nachzuschauen.
»Ich nehme den Ersatzschlüssel und gehe zu ihnen rüber«, sagte er entschieden.
»Möchtest du, dass ich mitkomme?«, fragte Lovisa.
Magnus warf einen Blick auf das bleiche Gesicht seines Sohnes.
»Nein«, sagte er. »Bleib du hier bei Lucas. Ich bin gleich zurück.«
Die Sonne brannte vom Himmel, als Maria Martinsson aus dem Coop eilte. Im Arm trug sie die letzten Einkäufe für den Abend, die sie vergessen hatte zu besorgen. Drinnen im Laden hatte sie nicht weniger als drei andere Einwohner von Hovenäset getroffen, die mit ebenso konzentrierten Blicken aus demselben Anlass dort waren wie sie.
Maria ließ die Einkäufe direkt in den Fahrradkorb fallen und radelte dann in Richtung Zuhause. Die anderen hatten garantiert das Auto für dieselbe Strecke genommen – Maria war mit ihrer großen Vorliebe für das Fahrradfahren ziemlich allein.
Doch als sie nur wenige Meter gerollt war, klingelte ihr Handy. Sie hielt an und lächelte, als sie sah, dass es Gabriella war.
Ihre Schwester.
Mit der sie bis vor einem Jahr höchstens einmal im Monat gesprochen hatte, die sich jetzt aber mehrmals in der Woche meldete. Vor allem seit Sofias Geburt war der Kontakt intensiver geworden, was Maria ein wenig erstaunte. Dass ihre Mutter, die jetzt Großmutter geworden war, plötzlich viermal so oft anrief wie sonst, war zu erwarten gewesen, aber doch nicht ihre fünf Jahre jüngere Schwester, die ein völlig anderes Leben führte als Maria.
»Ich wollte mich nur versichern, dass du bereit bist für das Fest heute Abend«, sagte Gabriella.
Maria lachte. Das war so eine Sache, die man ausgezeichnet per SMS fragen konnte, doch ihre Schwester liebte es anzurufen.
»Ich bin sehr bereit für ein Krebsfest«, sagte Maria. »Und überaus froh, dass du kommen wirst.«
Ihre Schwester atmete rasch. Vielleicht war sie draußen und drehte eine Runde mit dem Hund, ehe sie sich ins Auto setzen und nach Hovenäset fahren würde. Gabriella hatte kürzlich den Abschluss in Volkswirtschaft an der Handelshochschule in Göteborg gemacht und einen Freund, der in Lund wohnte, wo er über Mollusken forschte. Maria hatte ihn nur ein paarmal getroffen, und es schien den beiden ganz gut zu gehen, wenngleich der Freund nicht gerade eine Spaßbombe war.
»Ich habe mit Mama gesprochen«, sagte Gabriella. »Es klang so, als ob sie und Papa doch gerne bei dem Krebsfest heute Abend dabei wären.«
Maria lachte leise. Dann hatte August also recht gehabt, warum seine Mutter nicht bereit gewesen war, auf Sofia aufzupassen.
»Die sind wirklich witzig«, sagte sie. »Sie können doch ein andermal zum Krebsessen kommen.«
»Das habe ich auch gesagt«, erwiderte Gabriella entschieden. »Aber wir sehen uns bald. Dann werde ich meine süße kleine Nichte ausgiebig küssen.«
Sie legte auf.
Als Maria gerade das Handy in die Tasche stecken wollte, sah sie, dass sie auch eine Mail bekommen hatte. Und zwar eine, auf die sie gewartet hatte. Ihr Herz schlug schneller.
Das lese ich später, dachte sie, und fuhr wieder los.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu ihrer Schwester und dem bevorstehenden Krebsfest.
Meine süße Nichte, hatte sie gesagt.
Sofia Strindberg. Ein Vorname, der Weisheit bedeutete, und ein Nachname, den sie sowohl mit ihrem Vater als auch mit einem der bedeutendsten Schriftsteller des Landes teilte. So verblüffend selbstverständlich und so zutiefst geliebt. Und doch so fordernd. Es gab nichts, was Marias Leben auf eine so grundsätzliche Weise verändert hätte, und das nicht nur positiv.
Es hatte ihr widerstrebt, laut auszusprechen, was sie störte.
Dass das Leben als Mutter eines Neugeborenen sich zu lau anfühlte, zu ereignislos. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt, und noch nie hatte sie eine größere Scham für das empfunden, was sie dachte. Und ganz im Gegensatz zu dem, was alle sagten, hatte sie noch nie so viel Zeit übrig gehabt. Am Ende hatte sie ihre alte Nähmaschine rausgeholt, die sie seit hundert Jahren nicht benutzt hatte, und sich das Muster zu einer Patchworkdecke gesucht. Ein Drittel der Decke war schon fertig gewesen, als ihr Kollege Ray-Ray sie darauf ansprach.
»Verdammt, Maria, warum musst du auf eine Weise Mutter sein, die dich fertigmacht?«, hatte er gesagt. »Ich sehe doch, dass du dich nicht wohl fühlst. Du bist doch keine schlechtere Mutter, nur weil du dir mehr als ein Babyleben wünschst.«
Die Erleichterung darüber, dass jemand endlich in Worte fasste, was sie belastete, war überwältigend gewesen und hatte ihr die Kraft gegeben, zu ändern, was ihr Probleme bereitete. Am selben Abend noch hatte sie mit August gesprochen, und in der Woche darauf war sie in Teilzeit zu ihrer Arbeit als Kriminalinspektorin und Ermittlerin zurückgekehrt.
August.
Wenn sie nur gewusst hätte, dass es möglich war, einen Mann so sehr zu lieben, wie sie ihn liebte. Vielleicht hätte sie sich dann schon früher nach Kindern gesehnt oder überhaupt die Möglichkeit in Betracht gezogen. Tatsächlich war sie aber, bevor sie tatsächlich schwanger wurde, nur mal kurz an dem Gedanken vorbeigekommen.
Maria spürte die Sonne im Nacken, als sie den ersten Hügel vom Coop aus hinaufradelte. Oben angekommen, sah sie den Wohnwagen, der jetzt seit zwei Jahren ihren Arbeitsplatz darstellte.
Ein ordentlich mit dem Logo der Polizei geschmückter Wohnwagen mit Platz für zwei Ermittler aus der Abteilung für Gewaltverbrechen.
Maria und Ray-Ray.
Als Ort für polizeiliche Ermittlungsarbeit war ein solcher Wohnwagen derart abwegig, dass erst mal niemand das glauben wollte. Doch so war es, und so würde es wahrscheinlich auch bleiben. Roland, der Chef von Maria und Ray-Ray, war einfach viel zu verliebt in diese Regelung, als dass sie abgeschafft würde.
Maria ließ die Gedanken an die Arbeit los und sauste den Väggabacken Richtung Hovenäset hinunter. Heute hatte sie frei, und jetzt war Zeit für ein Krebsfest. Wie sie sich darauf gefreut hatten! Vor allem August. Und Henrik. Immer Henrik.
Sie hatte sich an ihn als ständigen Gast und Schatten gewöhnt, und es war für Maria ebenso wie für August selbstverständlich gewesen, dass er Sofias Pate wurde. Ein weibliches Pendant zu finden, war schwieriger gewesen. Ihrer Schwester stand Maria nicht nahe genug, um sie zu bitten, und andere Kandidatinnen waren ihnen nicht eingefallen.
»Mein Gott«, hatte Maria geflüstert und dabei geweint. »Ich habe keine Freundinnen.«
Das war keine neue Erkenntnis. Die Ehe mit Paul hatte alle ihre anderen Beziehungen, inklusive denen zu ihrer Familie, vergiftet und erstickt. Was einmal kaputtgegangen war, konnte auch repariert werden, so viel war Maria schon klar, doch das brauchte seine Zeit. So unendlich viel Zeit. Ungefähr wie die Arbeit an der Patchworkdecke für ihr Doppelbett, jetzt, da sie nur noch in ihren freien Momenten dazu kam. Doch ein paar von ihren neu-alten Freunden würden zumindest zum Krebsfest kommen, und das fühlte sich wie ein guter Schritt auf dem richtigen Weg an.
»Weißt du«, hatte August gesagt. »Ich finde nicht, dass es so eilig ist, eine Patin für Sofia zu finden. Eigentlich bin ich nicht mal sicher, ob es unbedingt eine Frau sein muss. Ich meine, du hast doch einen allerbesten Freund.«
Knapp zehn Minuten später hatte Maria Ray-Ray angerufen und gefragt, ob er sich vorstellen konnte, zusammen mit Henrik der Pate von Sofia zu sein.
»Das war verdammt noch mal höchste Zeit, dass du endlich fragst«, hatte der gemurmelt und dann klargestellt: »Natürlich will ich das.«
Maria musste immer lächeln, wenn sie an diese Antwort dachte.
Das war verdammt noch mal höchste Zeit, dass du endlich fragst.
Sie konnte schon verstehen, dass er ein wenig ungehalten war. Weder sie noch August hatten im Vorhinein gedacht, dass ausgerechnet Ray-Ray die voice of reason sein würde, auf die sie sich verlassen konnten, wenn die Wirklichkeit sie überforderte, doch jetzt im Nachhinein musste man einfach feststellen, dass es so gut war. Es gab keine Kinderkrankheit, keinen Ausschlag und nicht eine einzige Fieberkurve, die er nicht kannte oder erklären konnte. Fünf eigene Kinder hatten ihn zu einem kaum zu überbietenden Experten gemacht.
Marias Fahrrad rollte schnell am Friedhof von Hovenäset vorbei und dann weiter auf dem Fahrradweg am Wasser entlang. Sie wurde dieses Wegs nie müde und konnte sich an dem betörenden kleinen Ort auf der anderen Seite der Halbinsel nicht sattsehen.
Hier will ich bleiben, dachte sie.
Als sie sich ihrem Zuhause näherte, trat sie schneller in die Pedale. Kurz bevor sie auf den Kärleksvägen einbog, entdeckte sie Magnus, den Vater ihres Babysitters Lucas. Er kam ihr mit langen Schritten und den Händen in den Taschen entgegen. Das dunkle Haar hob sich im warmen Wind und ließ ihn aussehen, als hätte er eine gegelte Tolle. Seine Haltung war wie immer die eines Zinnsoldaten. Maria hatte gehört, dass er in jungen Jahren als Leistungssportler Leichtathletik betrieben hatte, aber wegen unterschiedlicher Verletzungen aufhören musste. Jetzt war er 45 Jahre alt, und aus jener Zeit waren ihm der durchtrainierte Körper und die aufrechte Haltung geblieben.
Doch es war nicht seine Art zu gehen oder zu stehen, die Maria aufmerksam werden ließ, sondern sein Gesichtsausdruck.
Die Miene wirkte verschlossen, aus Entschlossenheit oder aus Zorn? Das war manchmal schwer zu unterscheiden.
Instinktiv fuhr Maria langsamer.
»Hallo, hallo!«, rief sie.
»Hallo.« Magnus betrachtete die Dinge in ihrem Fahrradkorb, als würde er gar nicht richtig begreifen, was er da sah.
»Ich musste los und ein paar letzte Sachen fürs Fest heute Abend holen«, erklärte Maria und hielt jetzt an. »Ihr habt ja wahrscheinlich auch alle Hände voll zu tun, oder?«
Er nickte bedächtig.
»Ja, genau«, sagte er. »Lucas hat erzählt, dass ihr heute Abend auch ein Krebsfest feiert.«
Maria nickte ebenfalls.
»Genau«, sagte sie und fügte dann nach einem gewissen Zögern hinzu: »Ist etwas passiert?«
Magnus schluckte.
»Hast du meine Eltern heute irgendwann gesehen?«, erkundigte er sich.
Maria dachte nach. »Nein, wieso?«
Er schüttelte den Kopf und lachte ein wenig.
»Das hier klingt so unglaublich dämlich«, sagte er. »Aber wir erreichen sie einfach nicht. Nicht per Telefon und nicht zu Hause. Und sie haben versäumt, Elina heute Nachmittag von einem Kindergeburtstag abzuholen. Das sieht ihnen so überhaupt nicht ähnlich.«
»Oh«, sagte Maria. »Da verstehe ich, dass du dir Sorgen machst. Können sie denn nicht bei irgendwelchen Freunden sein oder eine Bootstour unternommen haben?«
Magnus schüttelte den Kopf und erklärte:
»Das Boot liegt noch am Steg. Und es würde überhaupt nicht zu ihnen passen, einfach abzuhauen. Außerdem wollten sie den Abend heute mit Elina und Lucas verbringen. Es ist völlig unvorstellbar, dass sie so etwas vergessen würden.«
Maria dachte über das nach, was Magnus gerade gesagt hatte.
Es störte ihr Polizeigefühl, dass sowohl Ove als auch Irma unmöglich zu erreichen waren und dass nicht nur einer von beiden vermisst wurde. Wenn sie überhaupt weg waren – so etwas war immer schwer zu beurteilen, wenn nicht mehr als ein paar Stunden vergangen waren.
»Ich wollte jetzt zu ihnen gehen und mal nachsehen«, sagte Magnus. »Ich habe einen Ersatzschlüssel, mit dem ich ins Haus gehen werde.«
Dieser Plan schien ihm überhaupt nicht zu behagen.
»Das klingt aber angebracht«, sagte Maria.
Magnus verzog das Gesicht.
»Wenn sie nun zufällig zu Hause sind, dann hoffe ich, dass sie das auch so sehen werden«, erwiderte er. »Ich habe das schon mal gemacht, bin mit dem eigenen Schlüssel reingegangen, und es war unfassbar peinlich.«
Maria lächelte.
»Es ist ganz schön schwierig, immer alles richtig zu machen«, sagte sie. »Ich kann dich begleiten, wenn du möchtest. Und entweder draußen warten oder mit reingehen.«
Magnus sah ein wenig erleichtert aus. Offensichtlich gefiel ihm der Gedanke, irgendjemanden dabeizuhaben.
»Das klingt wie ein guter Plan«, sagte er. »Hast du denn Zeit?«
Maria nickte. Um alte Eltern musste man sich kümmern. Sie würde das Fahrrad mit den Einkäufen in den Schatten stellen und sich dann beeilen. August würde schon noch ein Weilchen ohne Sahne auskommen.
»Natürlich«, sagte sie. »Ich habe Zeit.«
Sie sah Magnus von der Seite an. Er zuckte mit keinem Muskel, schien kaum gehört zu haben, was sie sagte.
Langsam ging Maria auf, dass er mehr als besorgt war.
Er kannte seine Eltern gut genug, um zu wissen, dass irgendetwas geschehen sein musste.
Und diese Erkenntnis machte ihm Angst.
»Wann geht das Krebsfest los?«
Vendela Hansson stützte sich auf einen Ellenbogen und bemühte sich, leichthin zu klingen.
Zunächst bekam sie keine Antwort, deshalb dachte sie schon, dass er eingeschlafen wäre. Doch dann öffnete er das eine Auge zu einem schmalen Schlitz, und als sie es da drin glitzern sah, wusste sie, dass er hellwach war.
»Um halb sieben. Ich glaube, Henrik ist für die Aperitifs verantwortlich, es kann also durchaus länger gehen.«
Ray-Rays grüne Augen sprühten vor Energie.
Die schönsten, die sie kannte.
Wie hatten sie nur so lange zusammenarbeiten können, ohne dass sie entdeckt hatte, was für ein Fang er war?
Vendela lächelte.
»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte sie, obwohl sie Henrik nur einmal ganz kurz gesehen hatte.
Ray-Ray sah sie ernst an.
»Sorry noch mal, dass ich so spät gekommen bin.«
»Kein Problem.«
»Krise und Chaos mit einem der Kinder, ich bin nicht losgekommen.«
»Hat das Kind dich so festgehalten?«, fragte sie und lachte.
»Glaub mir, das willst du gar nicht wissen. Manchmal sind Kinder so quengelig, das ist unfassbar.«
»Ich glaube dir. Und wie gesagt, es ist kein Problem.«
Das hatte Vendela bei ihrem ersten gemeinsamen Date über Ray-Ray gewusst: Er hatte fünf Kinder mit vier Frauen. Er war immer auf der Jagd, und er war immer Single. Und er war zeitweilig, oder streckenweise, nicht verfügbar. Wenn sie behauptete, dass es kein Problem war, glaubte sie das auch zu meinen. Ungefähr auf dieselbe Weise, wie sie meinte, darauf vertrauen zu können, dass er wirklich nur deshalb zu spät kam, weil ein Kind Schwierigkeiten gemacht hatte.
Sie lagen nackt in ihrem Bett.
Das Fenster stand offen, doch im Zimmer war es trotzdem heiß. So heiß, dass keiner von ihnen erwog, unter eine Decke oder auch nur ein Laken zu kriechen. Das Schlafzimmer war zu klein für ihr großes Doppelbett, doch der Umzug in das Haus ihres Großvaters mütterlicherseits war so schnell gegangen, dass sie es nicht geschafft und nicht einmal versucht hatte, die Möbel, die nicht in ihr neues Zuhause passten, auszutauschen. Alles musste mitkommen. Ein Käufer hatte ihr ein so hohes Angebot für ihre Wohnung in Uddevalla gemacht, dass sie die sofort verkauft hatte.
»Manchmal ist es gut, wenn große Veränderungen schnell vonstattengehen«, hatte ihr Vater gesagt.
Er trauerte ebenso sehr um den alten Mann, der sein Schwiegervater gewesen war, wie Vendela. 93 Jahre war der Großvater alt gewesen, als er starb, und doch hatte sich sein Tod seltsam unerwartet angefühlt. Den einen Tag hatte er noch zu Hause in Kungshamn im Garten gestanden und Holz gehackt, und am nächsten war er fort. Der beste Tod für jemanden, der lange genug gelebt hatte, aber doch härter für alle, die zurückblieben.
Vendelas Blick wanderte zum Fenster. Das saß etwas schief, musste vorm Herbst noch gerichtet werden. Für sie hatte es keinen Zweifel gegeben, was sie mit dem Haus machen würde, wenn das Erbe geklärt war. Sie wollte darin wohnen, es zu ihrem eigenen machen. Es spielte keine Rolle, dass sie jetzt länger zur Arbeit fahren musste, sie liebte das Haus ihres Großvaters und die unmittelbare Nähe zum Meer. Und tatsächlich liebte sie auch Kungshamn.
Das Bett knarrte, als sie sich auf die Seite legte.
Eine ihrer Freundinnen nannte es das Optimistinnenbett.
»Ich finde es einfach herrlich, dass du irgendwie niemals aufgibst«, hatte sie gesagt, »dass du das größte Doppelbett kaufst, was du finden kannst, und einfach eiskalt damit rechnest, dass schon der Tag kommen wird, an dem du nicht allein darin liegen musst.«
Jedes Mal, wenn sie daran dachte, ärgerte sich Vendela. Ich finde es einfach herrlich, dass du irgendwie niemals aufgibst. Sollte das ein Versuch gewesen sein, ihr Mut zu machen?
Vendela strich mit der Hand über Ray-Rays behaarte Brust. Er passte so gut in das kleine Schlafzimmer mit dem schrägen Dach und dem schiefen Fenster und der Aussicht über das Meer.
Er passte so gut zu ihr.
Aufgrund der Tatsache, dass sie Kollegen waren, waren sie vorsichtig und trafen sich nur heimlich, und Vendela hatte bereits entschieden, dass die Freundin, die ihr Doppelbett kommentiert hatte, als Letzte von der Sache erfahren würde.
Ray-Ray fasste sanft um ihren Nacken und zog sie näher. Küsste sie langsam.
Was man alles über seine Kollegen nicht wusste.
Zum Beispiel, dass manche von ihnen wahnsinnig gut küssen konnten.
Wir gehören zusammen, dachte Vendela.
Der Ermittler und die Kriminaltechnikerin.
Oder, wenn man so wollte: der unermüdliche Frauenjäger und die ewige Single-Frau.
Es war im Mai gewesen, als sie mehr aus Zufall beschlossen hatten, nach der Arbeit zusammen ein Bier zu trinken. Das Bier war zu einem Abendessen geworden, das Abendessen dann zu Wein auf Vendelas Sofa. Und der Wein zu Sex.
Und dann war es, als ob sie nicht aufhören könnten.
Ohne ihre Beziehung weiter zu definieren, ließen sie einfach all das Herrliche immer weitergehen und immer noch stärker werden, während die Wochen vergingen. Das war wunderbar, aber auch ein wenig zerstörerisch, denn sie wusste nicht sicher, woran sie mit ihm war. Mit Sicherheit konnte sie nur sagen, dass sie jetzt glücklicher war als vorher.
Ich möchte also gerne, dass wir weitermachen.
»Was hast du denn heute Abend vor?«, fragte er.
Vendela hob den Kopf. Sie und Maria arbeiteten schon lange zusammen, waren aber keine engen Freundinnen geworden, und deshalb war Vendela nicht zu dem Fest eingeladen. Wollte Ray-Ray, dass sie mit zum Krebsfest ging? Ihr Herz schlug einen Purzelbaum. Das würde bedeuten, dass er eine richtige Beziehung wollte.
»Ich werde einfach zu Hause bleiben«, antwortete sie. »Mein Vater meinte, dass er vielleicht ein Weilchen rüberkommt, aber das steht noch nicht fest.«
»Schön«, sagte Ray-Ray und schloss die Augen. »Dann sparst du dir morgen den Kater.«
Obwohl er keinerlei Versprechen gemacht hatte, sank ihr der Mut. Natürlich wollte er sie nicht als sein Date mit auf das Fest nehmen; sie musste aufhören, sich solche Sachen einzubilden. Denn sie wollte ja wohl keine richtige Beziehung mit ihm, oder? Wollte sie das? Sie versuchte, die Frage zu beantworten, und stellte fest, dass sie es nicht wusste. Was in keiner Weise damit verwechselt werden durfte, dass es okay war, wenn auch er nicht wusste, was er wollte.
Auch Vendela schloss die Augen.
Es war völlig in Ordnung für sie, einen Abend mit ihrem Vater zu verbringen. Im Gegenteil, das war etwas, was sie beide am liebsten machten. Vor allem, wo er jetzt mit dem Stricken angefangen hatte. Handschuhe, Pullover, Socken. Als ihre Mutter noch lebte, hatte der Vater keinen Augenblick auf Handarbeiten verwendet, doch als sie vor ein paar Jahren gestorben war, hatte er sich grundlegend verändert. Ihre Großmutter hatte seinerzeit sowohl Vendela als auch ihrer Mutter das Stricken beigebracht. Und jetzt beherrschte ihr Vater das auch.
»Ich kann es dir auch beibringen«, hatte Vendela zu Ray-Ray gesagt, doch der war auf das Angebot nicht wirklich angesprungen.
Was natürlich okay war.
Mehr als einen strickenden Mann brauchte Vendela nicht in ihrem Leben.
Sie lagen schweigend da und ruhten sich einen Moment aus, und dann begann er sich zu winden. Vendela lächelte.
»Du bist wirklich nicht gut darin, dich einfach mal zu entspannen«, sagte sie.
Er lachte und rieb sich die Augen mit der Hand.
»Sorry«, sagte er. »Ich wollte nicht rastlos wirken.«
»Du musst dich nicht entschuldigen«, sagte sie rasch. »Du sollst du selbst sein. Du gefällst mir genauso, wie du bist.«
Kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, bereute sie es schon. Sie hatte sich vorgenommen, in dieser Beziehung cool zu bleiben, sie einfach nur fließen und alles herrlich unkompliziert sein zu lassen. Da sagte man so etwas nicht.
Ihr Herz pochte. Sie wünschte sich so inniglich, dass sie nichts gesagt hätte, denn das stimmte ja nicht mal. Sie hasste es, wenn er mit dem Blick auswich, wenn sie fragte, was er am Wochenende machen würde, gerade so, als würde er irgendwas erfinden. Wenn sie sich sahen, war sie froh, dass sie den einfachen Weg gewählt hatten, doch an allen anderen Tagen dazwischen grämte es sie mehr, als sie gerne zugeben wollte. Die Tatsache, dass sie Kollegen waren, machte alles noch komplizierter. Wenn sie die Sache beendeten, dann würde es ungeheuer schwer werden, weiter miteinander zu arbeiten.
»Mit Nachbarn und Kollegen hurt man nicht rum«, hatte dieselbe Freundin, die ihr Bett optimistisch genannt hatte, gesagt.
Rumhuren, dachte Vendela. Ist es das, was wir hier machen?
Sie sah, wie sich sein Brustkorb hob und senkte. Die Miene war ruhig, aber ein wenig unentspannt.
Ich hätte nicht sagen sollen, dass ich ihn mag, dachte Vendela. Damit kommt er nicht klar.
In dem Versuch, etwas zu erklären, was eigentlich nicht erklärt werden musste, fing sie an, unzusammenhängend draufloszuplappern.
»Also, ich meinte nicht … Ich hab mehr gedacht, dass, also wenn du nicht hier liegen willst oder es nicht schaffst und gehen musst, dann können wir auch etwas anderes machen. Oder wenn du alleine was machen willst. Oder mit jemand … anders … Ich meine, ich finde es selbst nicht sonderlich dynamisch, einfach herumzuhängen und …«
Er brachte sie mit einer sanften Bewegung zum Schweigen, indem er einen Finger leicht auf ihren Mund legte.
»Ich mag dich auch«, sagte er. »Sehr sogar.«
Und dann sah es aus, als wollte er noch etwas sagen, doch er entschied sich anders.
Vendela sah ihn an.
Ich mag dich auch. Sehr sogar.
Das Bett knarrte, als er sich bewegte und mit dem Finger über ihre Wange und dann über ihren Hals hinunterstrich. Aus Angst, den zarten Zauber zu stören, hob sie langsam und vorsichtig die Hand und berührte sein grau gesprenkeltes Haar. Er war nur fünf Jahre älter als sie, aber um viele graue Haarsträhnen reicher. Er sah sie mit klarem Blick an.
»Ich dusche jetzt«, sagte er, »dann fahre ich kurz nach Hause und ziehe mich zum Fest um.«
Sie blieb alleine im Bett zurück.
Viel zu erfüllt von dem, was eben passiert war, um liegen zu bleiben, streckte sie sich über den Bettrand und tastete nach ihren Kleidern. Es gab so viel zu tun, um das Haus des Großvaters in ein Heim zu verwandeln. Viele der Umzugskartons waren immer noch nicht ausgepackt, und das Schlafzimmer war der einzige Raum, den zu tapezieren sie schon geschafft hatte.
Vielleicht können Papa und ich ja, anstatt zu stricken, die Diele neu streichen, dachte sie. Oder überlegen, welche Farbe ich auf den Küchenfronten haben will.
Aus dem Badezimmer hörte sie das Rauschen von Wasser, am liebsten hätte sie sich neben Ray-Ray in die Dusche gestellt.
Wie wird das hier enden?, dachte Vendela verunsichert, denn das war der Kern von allem, was ihr solche Angst machte:
Sie wollte nicht, dass es aufhörte.
Sie wollte weiterhin mit Ray-Ray zusammen sein. Der sagte, dass er sie auch mochte, aber kein Wort darüber verlor, was er in all der Zeit machte, in der er nicht mit ihr zusammen war.
Lass es los, dachte sie. Lass es einfach los. Man muss nicht alles wissen. Auch wenn man möchte.
»Sollen wir einen Spaziergang machen? Ich glaube, Sofia könnte vor dem Fest ein Nickerchen gebrauchen. Dann können wir auch nach den Großeltern von Lucas Ausschau halten.«
August suchte die Aufmerksamkeit von Henrik, doch der Freund war tief in etwas auf seinem Handy versunken.
»Klar«, brummte er.
August begann den Kinderwagen, der gelb wie die Sonne war, fertig zu machen.
Henrik erhob sich langsam von seinem Platz am Küchentisch.
»Ich habe einen Klienten, der total verrückt in ein schweizerisches Unternehmen investiert hat«, sagte er und verzog das Gesicht. »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Leute hinter diesem Unternehmen ein Team von inkompetenten Scherzkeksen sind, aber da ist mein Klient anderer Meinung. Wahrscheinlich wird er mich jetzt rausschmeißen.«
»Vielleicht ganz gut, wenn ihr einander nicht vertraut«, meinte August.
Henrik brummte etwas Unverständliches und öffnete die Tür, sodass August den Wagen rausschieben konnte.
Die Hitze des späten Nachmittags hing über ihnen, als sie den Kärleksvägen hinuntergingen.
»Wie sehen die denn aus?«, erkundigte sich Henrik. »Ich meine, die da verschwunden sind?«
August nickte einem Nachbarn zu, der in seinem Garten Unkraut jätete.
»Wir wissen nicht sicher, ob sie verschwunden sind«, gab er zu bedenken.
»Aber du hast doch gesagt, dass wir rausgehen und nach ihnen suchen sollen.«
»Ich habe nur gemeint, dass wir sie vielleicht sehen. Eigentlich ist es mehr wegen Sofia, dass wir noch eine Runde drehen.«
Das, was er eben gesagt hatte, kam ihm etwas kindisch vor. Vielleicht sehen wir sie. Als ob sie zwei entlaufene Hunde wären. Und als ob der Vater von Lucas seinen Sohn geschickt hätte, wenn er sich nicht wirklich Sorgen machte.
August sah sich ratlos um. An den heißen und sonnigen Tagen war es auf Hovenäset besonders still. Kurz vor dem Mittagessen verschwanden alle und kehrten erst zurück, wenn es Zeit war, den Grill anzuwerfen und ans Abendessen zu denken. Sonne und Wärme bedeuteten Baden und Bootstouren. Niemand, der sich irgendwie bewegen konnte, blieb in seinem Haus.
Jetzt war es fünf Uhr durch, und in einigen Gärten waren Menschen zu sehen. Auf dem Felsmassiv hinter den Häusern am Kärleksvägen spielte eine Gruppe Kinder. Ihre lauten Stimmen waren eine Erinnerung an den Sommertag, der noch nicht zu Ende war.
August und Henrik nahmen den Weg hinauf an der Kapelle vorbei und folgten dann dem Pfad an den Häusern entlang, die am höchsten lagen. Einen langen Spaziergang konnte man auf der Halbinsel nicht unternehmen. Der Ort bestand aus ein paar hundert Holzhäusern, von denen die allermeisten außer im Sommer zu allen anderen Jahreszeiten leer standen. Keine Restaurants, keine Läden, keine Lebensmittelgeschäfte, keine Kneipen. Im Sommer gab es einen Kiosk am Badeplatz, der Würstchen, Eis und Bücher von einem lokalen Schriftsteller verkaufte, doch im Winter war auch der geschlossen.
Alles war nah und alles weit weg, dachte August.
Nur selten vermisste er das Angebot an Läden und Aktivitäten in Stockholm.
Er schielte gierig auf einen großen Busch mit Brombeeren, die bald pflückreif sein würden. Offensichtlich hatten sie es trotz des kühlen Wetters geschafft. Maria liebte Brombeeren ebenfalls, und sie hatten zwei Büsche gekauft, die sie auf der sonnigen Seite des Hauses gepflanzt hatten. Hoffentlich trugen sie nächsten Sommer Früchte.
Dann werde ich Marmelade kochen, dachte August. Und Saft.
Henriks Handy klingelte, als sie auf dem Weg den Badhusberget hinunter waren.
»Ich muss da mal rangehen«, erklärte er.
Es wurde kein kurzes Gespräch. August hörte nur, was Henrik antwortete, doch das war vollkommen ausreichend, um zu wissen, dass es sich um den wütenden Klienten handelte. Henrik redete und redete, und als sie beim Resovägen angekommen waren, wo Augusts Bootshütte lag, erhob er die Stimme. Neugierige Menschen schauten aus ihren Hütten, und August verpasste Henrik einen Stoß in die Seite zur Erinnerung, dass er nicht allein war. Henrik mimte ein »Sorry« und sprach dann weiter.
August sah sich ab und zu suchend nach Ove und Irma Dahlman um. Das fühlte sich ziemlich sinnlos an, doch was sollte man sonst tun? Zwei erwachsene Menschen konnten sich doch nicht einfach so in Luft auflösen.
Der Resovägen ging in den Hovenäsvägen über, und bald würden sie zu Hause sein.
Das ist ja eine nette Gesellschaft, die ich mir da ausgesucht habe, dachte August ernüchtert und schaute von der schlafenden Tochter zu seinem abgelenkten Freund.
Henrik beendete sein Telefongespräch erst, kurz bevor sie in den Kärleksvägen einbogen.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich musste wirklich mal Tacheles mit meinem Klienten reden.«
Da entdeckte August etwas weiter auf der Höhe seines Hauses einen Schatten.
Der Schatten gehörte einer Frau, wie er feststellen konnte. Er sah einen Rock und schlanke Beine, aber nicht viel mehr. Sie stand zum Teil hinter ausladenden grünen Ästen verborgen, und soweit August sehen konnte, war sie ihm und Henrik zugewandt.
»Steht da jemand und wartet auf dich?«, fragte Henrik, der ein paar Schritte hinter August geraten war.
»Sieht ganz so aus.«
»Eine Kundin vielleicht?«, sagte Henrik, der wieder angefangen hatte, mit dem Handy zu spielen.
Das war keine schlechte Idee. Es kam durchaus vor, dass Kunden zu August nach Hause gingen, anstatt in den Laden.
Doch als sie näher kamen, spürte August, wie sein Puls langsam stieg.
Das da ist keine Kundin.
Er ging schneller, doch die Frau hatte sich bereits zurückgezogen.
Ein Schritt, zwei.
Jetzt waren nur noch Füße und Schuhe zu sehen, der Rest verschwand im Schatten des Baumes.
Zu spät, dachte August. Ich weiß bereits, wer du bist.
»Hallo, wen suchen Sie?«, fragte Henrik, der das Handy jetzt weggelegt zu haben schien. Er war schon immer ungeduldiger gewesen als August, immer schneller darin, auf Ablenkungen zu reagieren.
Die Frau antwortete nicht, sondern machte auf dem Absatz kehrt und verschwand unglaublich schnell den Kärleksvägen hinunter und hinein in den Klovbergsvägen.
Henrik sah ihr erstaunt nach.
»Was war das denn für eine Psychotikerin?«, fragte er.
Nun ging auch er schneller, direkt an August vorbei und hinter der Frau her.
Schon bald war er wieder zurück.
»Verdammt, war das seltsam«, sagte er. »Sie ist einfach verschwunden.«
Stumm sah August in die Richtung, in welche die Frau gegangen war.
Jemand, den er seit mehreren Jahren nicht gesehen hatte, jemand, an den er immer seltener gedacht hatte.
Helene.
Die Frau, die sich im Schatten versteckt hatte, war seine ehemalige Lebensgefährtin Helene.
Machte er gerade einen Fehler?
Während er in der Hosentasche nach dem Schlüssel zu seinem Elternhaus suchte, konnte Magnus nicht aufhören, sich das immer wieder zu fragen. Vom letzten (und einzigen) Mal, als er mit seinem eigenen Schlüssel in das Haus seiner Eltern gegangen war, erinnerte er sich vor allem an den erigierten Penis seines Vaters. Dieses Bild hatte sich für alle Zeit und Ewigkeit auf seiner Netzhaut eingebrannt, und obwohl seither mehrere Jahre vergangen waren, schien es doch niemals zu verblassen.
»Was zum Teufel tust du hier?«, hatte sein Vater gebrüllt, als er Magnus erblickte. Der hatte nicht gewusst, wohin mit sich oder was er antworten sollte.
Seine Eltern hatten gehört, wie jemand, ohne zuerst zu klingeln, den Schlüssel ins Schloss steckte und reinkam. Darüber waren sie so besorgt, dass sein Vater nur mit einem Handtuch um die Hüften die Treppe aus dem oberen Stockwerk nach unten gerannt kam. Das Handtuch jedoch verlor er im Laufen, und deshalb hielt er nackt und verletzlich mitten auf der Treppe inne, als er entdeckte, dass sein Sohn der vermutete Einbrecher war.
Nun könnte man meinen, sein Vater wäre erleichtert gewesen, dass hier kein Dieb ins Haus eingedrungen war, doch er war vollkommen außer sich vor Zorn gewesen. Das Schimpfen nahm überhaupt kein Ende, und sein dickes silbergraues Haar hüpfte dabei auf seinem Kopf. Stammelnd bat Magnus um Entschuldigung und rannte dann den ganzen Weg nach Hause. Dort angekommen, vermochte er kaum rauszubringen, was passiert war, doch als Lovisa schließlich begriff, was passiert war, konnte sie überhaupt nicht aufhören zu lachen.
»Du machst ja Witze!«, hatte sie gesagt. »Aber das ist doch wunderbar. Ich meine, dass sie immer noch Spaß haben! Versprich mir, dass wir das auch so machen, wenn wir alt sind.«
Mehr als zwei Wochen mussten vergehen, ehe er mit seinen Eltern über den Vorfall sprechen konnte. Mehrmals bat er um Entschuldigung, während seine Mutter völlig am Boden zerstört wirkte.
»Es gab eine Vereinbarung«, hatte sein Vater mit der Stimme gesagt, die Magnus früher immer »die Magisterstimme« genannt hatte. »Wir wollten unsere gegenseitigen Bedürfnisse nach Privatleben respektieren und nicht, nur weil wir es können, einfach so bei den anderen auftauchen. Das haben wir gesagt, als ihr hierhergezogen seid und euch knapp hundert Meter entfernt niedergelassen habt. Und dann machst du so etwas.«
Magnus hatte versucht zu erklären. Es hatte damit angefangen, dass Lovisa ihre Schwiegereltern angerufen hatte, um zu fragen, ob sie möglicherweise sechs Eier leihen könnte. Doch da war niemand rangegangen, und keiner von ihren Nachbarn hatte für die Eierkuchentorte, die gebacken werden sollte, sechs Eier übrig. Schließlich hatte Magnus gesagt: »Ach was, ich gehe bei Mama und Papa vorbei und checke, ob die ein paar Eier im Kühlschrank haben. Nächstes Mal werden sie diejenigen sein, die irgendwas ausleihen wollen, und dann haben sie ja auch den Schlüssel zu uns.«
Die Idee hatte er ganz vernünftig gefunden, doch seither hatte er sie unzählige Male bereut.
»Würde es dir denn wirklich angenehm sein, wenn Mama und ich in deinem Haus ein- und ausgehen würden, wie wir wollten?«, hatte sein Vater gedonnert. »Wäre das so?«
Auf diese Frage hatte er natürlich Nein antworten müssen. Nein, das wäre ihm überhaupt nicht angenehm. Aber zu behaupten, dass Magnus »ein- und ausgegangen« sei, wie er wollte, traf nun auch nicht unbedingt zu. Sie wohnten nahe beieinander, und sie hatten oft und gern miteinander zu tun, aber nur ganz selten tauchten sie ungeplant bei den anderen auf.
An all das dachte Magnus jetzt, als er zum zweiten Mal in seinem Erwachsenenleben im Begriff war, sein Elternhaus mit dem Ersatzschlüssel zu betreten, den er gnädigerweise zurückbekommen hatte, nachdem er ihm für eine Zeit lang weggenommen worden war. Während Maria das Fahrrad parkte, klingelte Magnus hartnäckig an der Tür. Einmal, zweimal, dreimal.
»Ich denke, das genügt«, sagte Maria verwundert hinter ihm.
Die fragte sich bestimmt, warum er zögerte und sich offensichtlich fürchtete, den Schlüssel zu benutzen.
Wenn du nur wüsstest, dachte Magnus.
Mit zitternder Hand zog er den Schlüssel aus der Hosentasche.
Die Tür knarrte leise, als er sie öffnete.
Magnus steckte den Kopf hinein, ohne über die Schwelle zu gehen, und rief:
»Hallo! Seid ihr zu Hause?«
Niemand antwortete.