Gebrauchsanweisung für Berlin - Jakob Hein - E-Book

Gebrauchsanweisung für Berlin E-Book

Jakob Hein

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Beschreibung

Der echte Berliner ist wie ein glücklich Verliebter, er ruht in sich, seine Welt ist abgeschlossen. Was soll es auch groß zu sagen geben? Berlin ist die beste Stadt der Welt. Stimmt vielleicht sogar, schließlich ist die ganze Welt zu Gast. Denn Berlin ist im Fokus, nicht nur im politischen. Die Stadt wandelt sich wie keine andere, Ost und West sind Geschichte, Flughäfen werden geöffnet und geschlossen, die In-Viertel wechseln beinah so schnell wie die angesagten Lokale. Aber einiges bleibt dann doch gleich, und auch darauf wirft der Fast-Berliner Jakob Hein einen einsichtsreichen und humorvollen Blick, er lauscht der Berliner Schnauze und flaniert durch die Viertel, er kostet Döner und Currywurst und genießt die Kunst. Am Ende wissen Sie, was es heißt, wenn einer sagt: Ick bin ein Berliner.

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Meinen drei Lieblingsberlinern

ISBN 978-3-492-97038-9

April 2015

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2006, 2009 und 2015

Coverkonzeption: Büro Hamburg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Covermotiv: Baustelle Brandenburger Tor (Dennis K. Johnson/Getty Images)

Litho: Lorenz & Zeller, Inning a. A.

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Notwendige Geständnisse. Statt eines Vorworts

Es ist jetzt schon ein paar Jahre her, seit ich mich das erste Mal an eine Gebrauchsanweisung für Berlin wagte. Das Unterfangen erschien mir damals ungeheuerlich, vorsorglich erklärte ich mein Scheitern zu Beginn des Buches. Aber wie so oft war Berlin wieder einmal freundlicher zu mir, als ich befürchtet hatte. Ein paar Verbesserungsvorschläge wurden mir unterbreitet, einiges kritisiert, doch im Großen und Ganzen wurde das Buch sehr freundlich aufgenommen in der Stadt. Erleichtert wischte ich mir über die Stirn – es war noch einmal gut gegangen.

Aber als Berichterstatter über die Stadt machte mir bald etwas ganz anderes Sorgen: Die Stadt, die ich doch gerade erst so treffend porträtiert hatte, verschwand vor meinen Augen: Statt ihrer tauchten Geschäfte auf, in denen nur noch Englisch gesprochen wurde, Restaurants, die genießbare Speisen servierten, der Hundedreck verschwand von den Bürgersteigen. Erst glaubte ich an modische Strömungen, Entwicklungen, die der Lauf der Zeit bald wieder korrigieren würde. Doch irgendwann musste ich einsehen: Berlin hatte sich schon wieder verändert. Hatte ich geglaubt, fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall ein Buch über die Stadt schreiben zu können, das über einige Jahre Bestand haben könnte, dann hatte ich mich getäuscht.

Um der Stadt weiter gerecht werden zu können, um das aktuelle Berlin zu beschreiben, musste ich mich wieder und wieder auf den Hosenboden setzen. Ich musste lesen und verstehen, was passiert, und versuchen, das sich stetig verändernde Berlin einzufangen. Dabei komme ich mir vor wie ein Fotograf, der den Auftrag für das Porträtfoto einer großen Familie hat, aber kein Blitzlicht. Erneut möchte ich vorsorglich mein Scheitern angesichts der Dimension der Aufgabe erklären.

Es stellt sich ein Grundproblem: Was habe ich überhaupt zum Thema Berlin zu sagen? Schließlich bin ich kein Berliner. Sicher, im Ausland gebe ich mich als Berliner aus. Ob es nun in Tallinn, Milwaukee oder Potsdam ist, die Anfrage nach meiner Herkunft beantworte ich stets ohne Wimpernzucken mit: »Berlin.« Nach einem Wimpernzucken und einem landestypischen Getränk würde ich mich im Ausland sogar zu der Behauptung versteigen, ein Berliner zu sein. Im Stadtgebiet selbst habe ich gelernt, wesentlich zurückhaltender zu agieren und absolut niemals, unter keinen Umständen, zu behaupten, ein Berliner zu sein.

Schon meine Eltern sind keine echten Berliner, es geht sogar so weit, dass mein Vater Hochdeutsch spricht. Man muss sagen, dass ich eine echte Chance hatte, weil meine Eltern sich in Berlin kennenlernten. Unglücklicherweise gingen sie dann nach Leipzig, um zu studieren. Angeblich sollen die Studienmöglichkeiten dort damals sehr gut gewesen sein. Spätestens hier offenbarte sich ihr grob mangelhafter Lokalpatriotismus. Ein echter Berliner würde niemals irgendetwas in Leipzig sehr gut finden. Akzeptabel vielleicht, einigermaßen passabel, aber doch nicht sehr gut. Meine Eltern nahmen sogar in Kauf, dass mein in Leipzig geborener Bruder im Kindergarten Sächsisch lernte. Man kann daran ablesen, wie egoistisch sie ihre eigenen Ziele über das Wohl ihrer Kinder stellten. Schließlich aber ging mein Vater zurück nach Berlin, mein Bruder war gerade vier Jahre alt geworden. Nun hätte es wenigstens ein gutes Ende für ihr zweites Kind nehmen können. Aber nein, meine Frau Mutter musste nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums auch noch promovieren.

So kam es, wie es kommen musste: Ich wurde im Oktober 1971 in Leipzig geboren. Es wäre ja nichts dagegen einzuwenden gewesen, wenn das Schicksal für mich das Leben eines Leipziger Jungen vorgesehen hätte. Doch nur ein paar Monate nach meiner Geburt zog meine Mutter mit uns zurück nach Berlin. Das war der Anfang aller Probleme. Denn in Berlin läuft es ähnlich wie in den USA: Wer auf dem Staatsgebiet geboren ist, hat automatisch Mitbürger-Status. Alle anderen haben ein Problem. In meinem Kindergarten in Berlin-Treptow ließ man mich glücklicherweise in Ruhe, im Gegensatz zu meinem Bruder, der von den anderen Kindern Kekse und Lutscher dafür angeboten bekam, doch mal irgendetwas zu sagen, weil es so lustig klang, wenn er sprach. Wahrscheinlich schwor er deshalb damals der verbalen Kommunikation für immer ab. Er ist heute Mathematiker.

Doch sobald meine Mitschüler in der Grundschule verstanden hatten, was ein Geburtsort ist, begannen die peinlichen Befragungen. Besonders die Mitschüler, die sonst überhaupt nichts vorzuweisen hatten, sonnten sich jetzt in ihrem Stolz, durch Geburtsrecht echte Berliner zu sein. Und das mit großem Erfolg: Keine noch so gute Zensur konnte meine Schande reinwaschen. Was blieb mir als Sachse anderes übrig, als mich durch gute Leistungen anzubiedern, in der Hoffnung, dass vielleicht einmal meine Kinder oder doch wenigstens deren Kinder dazugehören würden. Dass ich unsportlich war, erschwerte das Problem, steht aber auf einem anderen Blatt.

Ich haderte ernsthaft mit diesem Schicksal. Noch schlimmer wurde es, als wir endlich die begehrten Personalausweise bekamen. Wurde bei den anderen über das Passfoto gelacht, war es bei mir immer der Geburtsort. Dabei wollte ich komischerweise nie woanders geboren sein. Es gab kein Krankenhaus in Berlin, in dessen Kreißsaal ich meine Geburt hineinwünschte. Schließlich war meine Geburt in Leipzig vonstattengegangen, und wenn meine Mutter jemanden in Berlin geboren hätte, dann sicher nicht mich. Ich wünschte mir nur einen lockereren Umgang meiner Kameraden mit diesem Umstand. Das änderte sich leider erst, als der Sex plötzlich als mächtiges Thema in unser Leben trat. Dennoch: Für eine kleine Frotzelei auf einer Party war mein Geburtsort noch immer gut genug.

Erst nachdem ich einige Zeit in den USA gelebt hatte, wo ich Menschen traf, deren Vater in Indien und deren Mutter in Wisconsin geboren waren, gewann ich etwas Souveränität im Umgang mit diesem Thema. Und wenn mich heute jemand fragt, woher ich komme, erzähle ich ihm entweder eine verkürzte Version des Obenstehenden, oder ich sage: »Berlin.«

Aber wissen Sie was? Gerade aufgrund dieser Geschichte halte ich mich für einen nicht einmal so ungeeigneten Berichterstatter. Es ist sowieso unmöglich, ein Buch über Berlin zu schreiben, mit dem auch nur eine kleinere Gruppe von Berlinern zufrieden wäre. Deswegen ist die Lokalliteratur weitgehend nach Stadtbezirken geordnet. Es gibt Bücher über Pankower Ärzte, Weddinger Gaststätten und Köpenicker Seen.

Ein besonders grimmiger Kneipenbesucher sagte mir sogar einmal, dass man auch meiner Sprache noch meinen Geburtsort anhören würde. Das würde zwar bedeuten, dass ich in meinen ersten sechs Lebensmonaten nicht nur das Sprechen erlernt haben müsste, sondern auch noch einen Dialekt unverrückbar angenommen hätte, den vierzig Jahre in einem anderen Sprachgebiet nicht mehr hätten überformen können. Die Annahme, ich hätte so früh und so vollendet sprechen gelernt, würde zwar einiges in meiner Biografie erklären, aber trotzdem halte ich diese Annahme für wenig wahrscheinlich.

Schließlich ist es so: Ein echter Berliner würde sich doch niemals dazu herablassen, einem anderen etwas über Berlin zu erzählen. Immerhin hat eine Vielzahl echter Berliner geholfen, dieses Buch besser zu machen. Nach dem ersten Erscheinen bekam ich erstaunlich wenig Gewaltandrohungen und erfreulich viele sachdienliche Hinweise. Ich hatte das Toleranzedikt und den Satz, dass »jeder nach seiner Fasson selig werden solle«, beide Friedrich dem Großen zugeschrieben, die Oranienburger Straße und Oranienstraße verwechselt (beim Sprechen passiert mir das andauernd, in Wirklichkeit verwechsele ich die Meile in Mitte und die Kreuzberger Straße nie miteinander) und dergleichen Unverzeihliches mehr. Ein bedeutender Professor schrieb mir wutentbrannt, dass ich den Aufstiegskampf von Hertha BSC in die Bundesliga übertrieben dargestellt habe. Da dieser Kampf nur neunzehn Jahre gedauert habe, sei das von mir verwendete Wort »jahrzehntelang« eine schamlose Übertreibung. Außerdem sei Hertha viel besser geworden, im Moment befinde man sich in der Tabelle sogar vor den, wie der Gelehrte schrieb, »Scheiß-Bayern«. Als ich ein paar Wochen später die Zeit fand, dem geschätzten Professor zu antworten, war Hertha längst schon wieder in die zweite Hälfte der Tabelle abgesunken, stieg in der Saison ab, und Bayern wurde Meister.

Doch egal, was passiert, der echte Berliner ist wie ein glücklich Verliebter, er ruht vollkommen in sich, seine Welt ist abgeschlossen, das Leben in Ordnung. Überlegen Sie selbst: Wie viele Romane gibt es über glücklich Verliebte? Der Berliner hat kein Bedürfnis, irgendjemandem etwas über seine Stadt zu erzählen. Was soll es groß zu sagen geben? Berlin ist die beste Stadt der Welt, wer was anderes behauptet, bekommt Schläge.1

Da muss schon so ein halbseidener Sachse kommen, der sich selbst beweisen möchte, irgendetwas mit Berlin zu tun zu haben – verzweifelte Wischversuche am Schandfleck der eigenen Herkunft. So richtig wird mir das in der Stadt keiner abnehmen, aber den Versuch ist es wert.

Kommse rin, könnse rauskiekn!

Ich hab noch einen Koffer in Berlin

der bleibt auch dort, und das hat seinen Sinn

auf diese Weise lohnt sich die Reise

und wenn ich Sehnsucht hab, dann fahr ich wieder hin.

Text: Aldo v. Pinelli/Musik: Ralph M. Siegel (1951)

Schon bevor Sie das Stadtgebiet Berlins mit eigenen Füßen betreten, könnten Sie fast alles über diese Stadt wissen. Besonders wenn Sie mit dem Flugzeug kommen, landen Sie mittendrin in allem, was Berlin ausmacht. Denn normalerweise hätten Sie auf dem neuen Zentralflughafen Berlin-Brandenburg International landen müssen. Seit 1991 läuft das Planungsverfahren für einen neuen, größeren Berliner Flughafen, der die drei bisherigen Flughäfen Tegel, Tempelhof und Schönefeld ablösen sollte. Vernünftig wäre es gewesen, diesen Flughafen auf dem weiten Brandenburger Land, etliche Meilen außerhalb des Stadtgebiets, zu bauen, so wie das alle anderen Großstädte tun. Aber wie der berühmte Berliner Schwabe Brecht gesagt hat: »Kein Vormarsch ist so schwer wie der zurück zur Vernunft.«

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