Gedankenspiele über das Geheimnis - Deniz Ohde - E-Book

Gedankenspiele über das Geheimnis E-Book

Deniz Ohde

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Beschreibung

»Das Geheimnis spricht und sagt nichts über sich.« Umso besser, dass sich Deniz Ohde in ihren Gedankenspielen dem Geheimnis animmt und auf Spurensuche nach dem Geheimen, Verborgenen, Verschwiegenen, Nicht-Fassbaren geht. Denn: »Jedes Geheimnis stellt auch die Frage nach seiner Enthüllung.« Deniz Ohde schwirrt in viele verschiedene Richtungen aus: sie geht vom Persönlichen und Individuellen zum gesellschaftspolitischen und institutionellen Aspekt, erkundet die mystisch-religiöse Sphäre und findet einen Weg, um das Verhältnis zwischen Sprache und Geheimnis auszuloten. Alle Geheimnisse werden hier freilich nicht gelüftet. Vielmehr setzt Deniz Ohde an Kernpunkten an, sinniert scharfsinnig und breit gefächert. Sie lüftet Schleier und zeigt auf große Fragezeichen, gibt Denkanstöße und stellt kluge, scharfe Thesen in den Raum, die nachhallen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 35

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Deniz Ohde

 

 

 

Gedankenspiele über das

 

Geheimnis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturverlag Droschl

 

An einem gleißend hellen Tag kurz vor den Sommerferien fanden eine Freundin und ich – wir waren sieben oder acht Jahre alt – auf dem Heimweg von der Schule drei tote Küken auf dem Gehweg der Straßenkreuzung, an der wir uns für gewöhnlich trennten. Es müssen kleine Mauersegler gewesen sein, beim Blick nach oben entdeckten wir unter dem Dachvorsprung ein verwaistes braunes Nest. Die Küken waren zum Zeitpunkt ihres Todes wahrscheinlich nur wenige Tage alt, sie waren sehr klein und von einem grauen Flaum überzogen, unter dem ihre weiße Haut hindurchschimmerte. Wegen der trockenen Hitze, die schon seit einigen Tagen herrschte, waren ihre Körper verdorrt, seltsam geplättet, als wären sie unter ein Rad gekommen, und hatten mit lebendigen Küken nichts mehr gemein, eher schienen sie wie zweidimensionale Abziehbilder, die wir von der Straße auflasen. Wir einigten uns darauf, dass ich sie mit nach Hause nehmen und beerdigen würde. Damals bemühten wir uns sehr um Tierschutz und versuchten darüber hinaus, alles Lebendige um uns herum mit größtem Respekt zu behandeln. Nachdem wir schon die aufgesprungene Rinde einer Kastanie auf unserem Schulhof mit einer selbst zusammengerührten »Salbe« behandelt hatten, den Jungs Schläge androhten, wenn sie im Vorbeigehen Blätter von Hecken abrupften, und regelmäßig an einen Verein zur Rettung der Nashörner in Südafrika spendeten (wir steckten ein paar Pfennige unseres Taschengelds in Umschläge und schickten sie an die Privatadresse eines Jungen in Schweinfurt, der es angeblich weiterleitete – etwas zwielichtig, im Nachhinein betrachtet), war es nur folgerichtig, dass wir uns für ein pietätvolles Ritual der zu früh aus dem Leben geschiedenen Küken verantwortlich fühlten. Ich legte die drei in einen Umschlag, den ich aus einer Seite meines Mathehefts gefaltet hatte, und trug sie nach Hause, wo ich sie zunächst vor den Augen meiner Eltern in der Höhle unter meinem Hochbett verbarg. Ich wollte den nächsten unbeobachteten Moment nutzen, um sie auf dem Rasenstück hinterm Haus zu vergraben.

Aber ich tat es nicht. Immer, wenn ich die Küken aus ihrem Versteck unter einem Kissen hervorholte, trug ich sie nicht nach draußen, sondern starrte sie bloß wie gebannt an und entschied, die Beerdigung auf einen anderen Tag zu verschieben. Weil sie wegen der heißen Sommertage auf dem Asphalt kein Wasser mehr in sich trugen, waren sie wie Dörrfleisch vor der Verwesung geschützt. Weder meine Eltern noch meine Freundin wussten, dass sie unter meinem Bett versteckt lagen. Ich machte eine Heimlichkeit daraus, hinter den Vorhang zu kriechen und sie zu betrachten wie einen Schatz, ohne zu wissen, wieso. Nicht mal meinem Tagebuch vertraute ich sie an – ein rosa Buch, abschließbar mittels individuell gefertigtem Schloss, auf dem Umschlag warnte ein Aufkleber über der Zeichnung einer Diddl-Maus in Amorkostüm in lila Schrift: Top Secret. Neben Aufzeichnungen über meinen Alltag und meine innersten Gefühle notierte ich darin auch »verdächtige« Beobachtungen für meine Detektivarbeit. Es passierte nicht viel, bis auf den roten Peugeot, der regelmäßig in meiner Straße parkte und den ich mir als Objekt meiner Observationen ausgesucht hatte. Ferner fand sich in dieser Höhle eine Taschenlupe, ein Stück Plastik, auf dem ich einen fremden Fingerabdruck vermutete, sowie der alte Feldstecher meines Großvaters.

Die Küken waren etwas anderes. Ich wunderte mich über mich selbst und war gleichzeitig entzückt über diese Heimlichkeit. Sie war zu einem Raum geworden, an dem sich die verschiedenen Arten des Geheimen miteinander verbanden.