Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Fast 500, größtenteils unbekannte Gedichte von Christine Lavant. Eine unvergleichliche Entdeckung. »Wer das, was er schreiben muss, zurückhält, ist vielleicht wie ein Weib, das seine Kinder vergräbt aus Angst, sie könnten dem lieben Nachbarn nicht gefallen«, stellte Christine Lavant fest. Die Kärntner Dichterin schrieb zeitlebens ca. 1.800 Gedichte. Nur gut ein Drittel davon hat Lavant auch veröffentlicht. Inhaltlich kühnere, formal riskantere Gedichte hielt sie zunächst zurück, und nach der Veröffentlichung ihres dritten großen Gedichtbandes »Der Pfauenschrei« (1962), als ihre dichterische Stimme nahezu verstummt war, wollte sie von Veröffentlichung nichts mehr wissen. Viele Gedichte aus dem Nachlass zeigen ungeschützt und zugänglich, wo Lavants bildgewaltige Dichtung ihren Ausgang nimmt. Es ist eine Lyrik, von der Monika Rinck sagt, sie sei »die ungeheure Transformation von Schmerz und Leid in ein großes, kraftvolles und zuweilen immens komisches Werk«. Der dritte Band der vierbändigen Werkausgabe enthält eine Auswahl aus den nachgelassenen Gedichten aus allen Schaffensperioden, darunter auch das lange Zeit verschollene, erst kürzlich wieder entdeckte Erstlingswerk »Die Nacht an den Tag«, das 1948 zwar gesetzt, aber nie gedruckt wurde. Drei Viertel der hier versammelten Gedichte sind Erstveröffentlichungen, die übrigen wurden zuvor in diversen Nachlasspublikationen publiziert.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 457
Veröffentlichungsjahr: 2017
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Christine Lavant: Werke in vier Bänden
Band 3: Gedichte aus dem Nachlass
Im Auftrag des Robert Musil-Instituts der
Universität Klagenfurt und der
Hans Schmid Privatstiftung, Wien
herausgegeben von Klaus Amann und Doris Moser
Christine Lavant
Gedichte aus dem Nachlass
Herausgegeben
von Doris Moser und Fabjan Hafner
unter Mitarbeit von Brigitte Strasser
Mit einem Nachwort
von Doris Moser
Wallstein Verlag
Herausgeber und Verlag danken Frau Ursula Haeusgen
für die Unterstützung der Edition
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet
diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Wallstein Verlag, Göttingen 2017
www.wallstein-verlag.de
Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf,
unter Verwendung einer Fotografie von Sepp Schmölzer
ISBN (Print) 978-3-8353-1393-4
ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4100-5
ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4101-2
Die Nacht an den Tag
Nachlass Christine Lavant
Sammlung Werner Berg
Kleinere Sammlungen
Sammlung Ingeborg Teuffenbach
Sammlung Ludwig von Ficker
Sammlung Erich Kucher
Sammlung Otto Scrinzi
Sonnenvogel (1982)
Einzelüberlieferungen
Anhang
Zur Edition
Editorischer Kommentar
Nachwort
Quellen und Literatur
Alphabetisches Verzeichnis der Gedichttitel und -anfänge
Ausführliches Inhaltsverzeichnis
Heute sah ich ihn wieder!
Frühe schon harrte
mein mondenes Auge
in seinem Gezelt,
das er in anmutsvoller Bläue
hingebreitet hatte über die Welt;
und alle Dinge der Erde sangen ihm Lieder.
Ihm, dem schönen, dem herrlichen Tag.
Heute, heute sah ich ihn wieder.
Ach und ich weine. –
Und nur nach Ewigkeiten
darf ich ihm senden
mein mondenes Auge,
schmalgesichelt,
in sein Gezelt.
Dann zittert mein Herz:
heller, heller Geliebter!
Hinwandert ewig
mein trauriges Lieben.
Es stehen um die Tale mancher Kindheit
schon die Gebirge des Erwachsenseins;
und ihre Schatten fallen schwer und breit
oft in den Zauber dieses zarten Scheins,
der dünn und gläsern ist und leicht zerbricht.
So mancher isst aus seiner Kinderschale,
die ihm sein Engel stumm entgegenhält,
das Abgestandene, Verdorbne, Schale,
das ihm wie Abfall in die Hände fällt,
der Großen unbekömmliches Gericht.
Es wirkt wie Gift und nährt das frühe Reifen
und übertreibt der Augen kranken Glanz,
die irr wie Vögel um die Dinge streifen,
die sie erkennen, viel zu früh und ganz,
mit aller Trauer, die aus ihnen bricht.
Von ihrer Kindheit sind sie Abgewandte,
auf ihre Jugend warten sie vergebens
und stehen stets – wie ärmliche Verwandte –
am Rande ihres eignen Lebens;
sie haben kaum ein eigenes Gesicht.
Ins frühe Alter treten sie ergeben
mit einer Demut, die die Engel rührt,
so dass sie manches der Gebete heben,
das dann, als Kostbarkeit vor Gott geführt,
aus einer Gnade sich ein Trösten bricht.
Euch mein ich, Verlorne, die ihr hinter Mauern
der anderen Artung im Maßlosen steht!
Ihr meine Geschwister, ich weiß euer Trauern,
die schwärende Klage, das herbe Gebet.
Ihr seid keine Blüten im göttlichen Garten
und mehrt nicht der Himmel preisenden Schein;
ihr könnt nur wie Abgewiesene warten
und langsam verstummen wie totes Gestein.
Ihr steht an den wasserlosesten Orten,
von wo keine Träne zum Meere fließt …
Euch möchte ich rühmen in strömenden Worten,
die alle ergreifen, die keiner vergisst.
Und ob ich der Engel dunkelster würde,
euch auszusagen ersetzt mir das Licht.
Ihr, meine Geschwister, ich nehm eure Bürde
und trete mit euch vor das große Gericht.
Und würden uns tausend Gerechte verstoßen,
wir tragen der Armut geheiligtes Kleid
und tragen wie niemals verwelkende Rosen
das ihnen entfremdete uralte Leid.
Wir stehn hinter Grenzen, wohin sie nicht reichen.
Gefallener Engel verworfener Glanz
lässt uns in Nächten erschüttert erbleichen.
Wir bieten uns an ihrem klagenden Tanz.
Viele sind da, sich zu schonen, zu schweigen,
kostbar zu sein wie ein seltenes Bild,
vor dem sich die Kenner in Ehrfurcht verneigen,
von denen man geht wie von innen gestillt
und die man sich hütet je auszusagen.
Sie sind die Verschlossnen, die Scheuen, die Herben –
wie alte Gefäße von edlem Schwung –
und stehen in mancher Erinnerung
als wachsende Lichter, die niemals ersterben;
sie mindern das menschliche Klagen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und manche sind da, sich nur preiszugeben,
sich zu verschwenden und arm zu sein.
Sie stehen wie Bettler im eigenen Leben
und lieben die Blumen, die Winde, den Stein
und das Leid und die Armut, die Schmerzen.
Sie verschenken ihr Beten, ihr Weinen, ihr Lachen,
vertuen ihr Herz wie ein lebloses Ding;
wenn je sich ein Leuchten an ihnen verfing,
verteilen sie es wie gewöhnliche Sachen,
verbrennen in Kürze – wie Kerzen.
Und manchmal trägt er alle Sagen
im Blute – wie von lange her –
der fernsten Städte hohes Ragen
und alle Bläue, die das Meer
zur Mittagszeit zum Strande trägt.
Wenn er den Ton des Himmels wägt,
verspürt er den Geruch von Blüten
aus Ländern, die er niemals sah.
Geheimnisse, die alte Weise hüten,
vor Götzentempeln, sind ihm plötzlich nah
und weigern nichts und mehren das Erschauern.
Der Wüstentiere grenzenloses Trauern
belastet ihn und macht ihn fremd und schwer …
Dann wieder weiß er Säulen, Marmor, Meer
und eines frühen Torsos edlen Schwung.
Die Steppe kennt er wie Erinnerung
und riecht das Herbe der Nomadenzelte …
Sein Herz ist bloß. Wie eine aufgestellte,
entrollte Flagge, die der Wind bewegt.
Von jedem Hauch wird hart er angeregt
und ist so scheu und baute gern sich Türme!
Und gibt doch preis und wartet auf die Stürme.
Dass ihrer einer einmal jenen brächte,
zu dem er schreit in jeder seiner Nächte.
Er ist ein Tor, durch das die Fremden gehen;
er weiß sie alle, wie ein altes Spiel,
weiß ihren Anfang, manchmal auch ihr Ziel,
er hält sich offen, denn: Er ist Verstehen!
Er ist ein Tor, das nie ein Baum beschattet,
das einsam steht und nur ein Durchgang ist;
und wenn er einmal sich vergisst,
bricht er zusammen wie ermattet
und ist nichts mehr als toter Stein …
Nur Gott kann noch sein Bauherr sein.
Wir stehen alle in den Einsamkeiten
wie in den Wassern deines Zornes.
Wir ahnen tiefer ein verlornes,
ersehntes Land der Seligkeiten
und ragen aus der Flut wie Inseln oder Kerzen.
Wir mühen uns um Zeichen oder Gesten
und halten manchmal welche von den Resten
der angebrauchten, abgenutzten Schmerzen
hoch über uns hinaus wie blasse Sterne.
Wir warten, dass aus irgendeiner Ferne
der Engel einer an die Wasser käme,
das Hocherhobene in seine Hände nähme
und es verwende zu dem Bau der Brücke,
mit eines Lächelns heilgebliebnem Stücke
den Bogen stütze in der großen Mitte …
Und zagend geht die erste scheue Bitte
darüberhin und sieht nach dem Erbauer,
der abseits steht … Dann kommt die schwere Trauer
und folgt der Bitte – und ist viel zu schwer! …
Der Engel wendet sich und eilt so sehr,
weil ihn die Schreie der Ertrunknen jagen …
Um uns ist wieder nur das weite Meer
der Einsamkeiten und das müde Ragen
der nächsten hochgehaltenen Herzen.
Wir stehen bis zum Kinn in Schmerzen,
die längst versunken sind in deinem Zorn.
Wir sind so einsam, sind der harte Dorn
an deiner wunderbaren Schöpfungsrose,
an dem sich deine arme, bloße
Erlöserhand die Todeswunde nahm.
Wir sind in deinem Angesicht die Scham;
die dunklen Punkte deiner Ewigkeiten.
Wir: arme Inseln unsrer Einsamkeiten …
Vielleicht ist, was in uns geschieht,
nur das Versäumte eures Lebens?
Und wir beenden wie ein Lied
das Beten, welches ihr vergebens
begonnen habt oft in den Nächten.
War euer Sein nicht wie ein Baum,
von dem die Früchte unreif fielen?
Mit denen wir nun wie im Traum
bang und verheimlicht weiterspielen,
ob wir sie nicht zur Reife brächten.
Ist unser Weinen Eigentum?
Das Freuen – ist es nicht geliehen?
Und wenn wir schweigen – wer ist stumm?
Wer wohl befiehlt uns, wenn wir fliehen
vor unsren dunklen Übermächten?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wir waren jene, die euch schwächten!
Und sind nun das, was euch vollbringt
in euren ungetanen Werken.
Ein jedes, das uns ganz gelingt,
wird euren Ruhm im Himmel stärken.
Eingegossen in das Schwere
einer unerhörten Trauer
waren ihrer Nächte Träume;
und sie irrte durch die Räume,
angefüllt mit nichts als Schauer,
überwölbt von nichts als Leere.
Sie erschrak vor diesem Schreien,
das, durchs Leere fortgetragen,
furchtbar alles übertönte,
jede Gnade überhöhnte.
Und sie glaubte, dass die Klagen
laute, wunde Tiere seien …
Bis sie plötzlich sich erkannte!
Weil sie einen Namen nannte,
der nur aus ihr kommen konnte,
der in ihrer Mitte wohnte
wie der Kern in einer Frucht.
Und es ward der Räume Flucht
jäh zu einem stillen Raum …
Aus dem Kerne wuchs der Baum,
dessen Stamm ihr Beistand bot.
Sie empfing ihn, wie man Gott
wohl empfänge: voller Würde.
Und er nahm ihr alle Bürde …
Es wartet um uns manchmal ein Geheimes,
wir wissen nicht, wohin es uns wird tragen;
es hat sich plötzlich alles umgeschlagen
in Anderssein, in etwas Ungemeines;
man weiß nicht wie, es ist nicht auszusagen!
Die Bäume stehen nicht mehr wie an Tagen,
die vorher waren, und das alte Haus
wirkt so, wie eben hergetragen,
und sieht so neu, so unbetreten aus,
als dürfte man es kaum mehr wagen
hineinzugehen, um es zu bewohnen …
Man möchte gerne alles wahren, schonen
für eine Fremde, das uns übermannt;
man nimmt den Spiegel, legt ihn aus der Hand,
als hätte uns ein zweiter angesehen,
den man nur an dem Lächeln hat erkannt
und still gegrüßt, wie im Vorübergehen.
Man wartet irgendwie auf neue Stunden,
die unser Leben durchaus ändern müssten …
Wir handeln so, als würden wir uns rüsten
für einen Weg, den man noch nicht gefunden
und der uns seltsam bis zu Ende bringt.
Ein Vogel, der im Kirschbaum leise singt,
wird uns noch Trost – vielleicht der allerletzte? –
sonst sind wir gänzlich nur von Furcht umringt,
sind wie Verlorene und Ausgesetzte!
Herr, lass mich um Masken beten,
dass die andern mich ertragen,
dass die unentwegten Klagen
nicht aus meinen Augen treten.
Masken, Masken gib mir viele!
Jede kühner als die letzte,
dass ich durch dies ausgesetzte
Leben gehe wie durch Spiele.
Selbst ein Spieler bis zum Letzten!
Mit dem ärmsten, abgehetzten
Wort noch ein Gewolltes wagend;
eine Geste, welche schlagend,
Abwehr einhält, bis zum Rande …
Masken gib mir und Gewande,
welche alles übersteigen,
Tiefes bergen, Flaches zeigen.
Dass die andern mich ertrügen,
gib mir Masken, gib mir Lügen!
Türme bau ich, Türme, Türme!
Jeder lässt den letzten fallen …
War doch keiner noch von allen
stark wie jene Himmelsstürme.
Keiner noch gemäß den Dingen,
die im letzten unterbringen
einst ich möchte – wie Gebete.
Wenn ich ihn dann einst betrete,
werden sie mich überfallen!
– – – – – – – – – – – – – – – – –
Und ich will sie segnen, segnen!
Gott hat sie ja abgewiesen.
Meine Zwerge! Meine Riesen,
stehen nun im steten Regnen
meiner Tränen, die nichts schonen …
O ihr sollt im Turme wohnen!
In dem letzten! – In dem blauen!
Viele will ich euch erbauen.
Einer wird euch schon gefallen.
– – – – – – – – – – – – – – – – –
»Turm der Zuflucht« – soll er heißen.
Fenster darf er keine haben,
dass die Engel und die Raben,
die ihn nächtens stumm umkreisen,
nichts erfahren und nichts nehmen,
von der Scham und von dem Grämen
und den Bitten. – Diesen Bitten!
Wie ein Hirte in der Mitten
aller Dinge will ich knieen.
Will sie lieben! Will sie ziehen
wie Gewächse, die es lohnen.
Immer will ich bei euch wohnen,
meine gottverlassnen Dinge …
– Wenn ich nur den Turm erzwinge!
Ach, ich ringe, ringe, ringe!
Immer verkleideter ahnen dich meine Gesichte …
Immer betroffener stürzt sich mein maßloses Beten
in deine Bereiche – um dann wie Gewichte
zurückzufallen, gekränkt und betreten
die Mauern zu mehren um das Geschonte
des Herzens, das in dem leeren Raum
sich fürchtet … Und wie man in unbewohnte
Räume sich mitnimmt einen Stern, einen Baum,
um vor den etwa vorhandenen Mächten
ein Wirkliches wie einen Schutz noch zu tragen
oder – wie man in finsteren Nächten
ein Helles sich mitnimmt, aus kindlichen Tagen;
stellt sich mein Herz aus den irdischen Resten
ein Letztes zusammen, zu kleinen Festen …
Einen Abend, ein Bildnis, ein kleines Gedicht,
einen Flug fremder Vögel – und sein Gesicht –
das so ermüdete, einsame, greise …
Und ringsum, wie Wächter, wandert nun leise
das von dir verworfene, maßlose Beten …
Und wartet und wartet! Wann wirst du betreten,
du so verweigertes furchtbares Licht,
den Raum dieses Herzens, das langsam zerbricht?
Wir sind die Gäste, welche seltsam sinnen;
und unser Lächeln, das die Trauer krönt,
das Abgebrochene wie neu beginnen
und glauben manchmal dich versöhnt
und legen unsre Demut um dich her.
Wir sind nur Gäste, und bewusst und schwer,
betont das Lächeln schon die Abschiedsstunden …
Kaum dass wir dich für einen Traum gefunden,
für eine kurze, wehe, ungewohnte Süße.
Du nimmst die Demut, nimmst die scheuen Grüße
und weißt uns vor dem nächsten Engel nimmer.
In unsren Träumen ziehn wir deinen Schimmer
wie Abendblüten, welche rasch sich schließen.
Du kannst so stumm an uns vorüberfließen,
als wären wir ein Zweig an deinem Ufer;
und bist doch ewig unser ernster Rufer
und ladest uns in Tagen und in Nächten
zu deinen Feierstunden ein.
Es fällt von deinem starken, ungeschwächten,
berühmten Glanz wohl ab und zu ein Schein
in unsrer Demut sanfte, stille Mitte.
Wir sind nur Gäste, und die arme Bitte
um eine Heimat, um ein Vaterhaus
fällt aus dem maskenhaft geweinten Lachen
und aus der Geste unsres müden, schwachen
und blindversuchten Betens oft heraus.
Herr, lass diese Nacht uns nicht allein!
Sieh, wie sie sich anmaßt und gebärdet,
wie sie alles, was uns hält, gefährdet;
und sie stößt uns hart und ganz hinein
in den Abgrund unsrer eignen Schächte,
minderst du nicht ihre Übermächte.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wie ein Tänzer hängt der Mond im Schweigen
und der Sterne Tröstung ging verloren;
müde Winde rasten in den Zweigen,
Hunde schlafen in den dunklen Toren
von den Häusern, die sich aufwärts bäumen.
Ach, die Menschen fallen in den Träumen
alle Süchte an und durch die Fenster
taumelt fremder Vögel heisres Rufen.
Da und dort erknarren alte Stufen
von den Tritten schwerer Nachtgespenster.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Gibst du uns denn allesamt verloren!
Warum hältst du deine Engel ferne?
So als wäre Christus nie geboren
und als hätte nie der Stern der Sterne
jene Weisen wunderbar geführt.
Alles ist noch so wie unberührt
von der Gnade, die du uns verheißen …
Doch – ich lasse mich nicht von dir weisen.
Meine Seele halt ich dir entgegen
und die Seelen aller, all der andern.
Und sie werden dir entgegenwandern
bis dahin, wo sie von deinem Segen
wenigstens die letzten Ränder fassen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Diese Nacht darfst du uns nicht verlassen!
Wir ahnen manchmal dich an einem Morgen!
Erkennen dich in einem Vogelschrei –
wir fühlen uns in deinem Raum geborgen
und brechen schüchtern unser Herz entzwei
und wollen – wie mit einem Bruder – mit dir teilen.
Wir ahnen dich im Duft von Klee und Rosen,
im Silber von den sanften Weiden,
im Lila wilder Skabiosen;
wir nehmen dich aus allem, um die Leiden,
die immer da sind, irgendwie zu heilen.
Wir fürchten dich in drohenden Konturen
der fernen Berge, die uns nachts erschrecken –
und unsre Herzen schlagen dich wie Uhren
und messen deine ungeheuren Strecken,
die uns bestürzen so wie schwere Träume.
Wir ehren dich in deinen harten Stürmen
und in der Anmut alter Gnadenbilder –
in grauen Kirchen, mit den schlanken Türmen,
in den Gebärden ungestümer, wilder,
in deine Abende hineingestellter Bäume.
Wir lieben dich in unsren wunderbaren,
gelobten Müttern! – In der Väter Härte! –
In unsrer Kindheit, in den reifen Jahren,
in dem Geliebten, der nur ein Gefährte
der Wege ist, die einmal dich erreichen.
Wir wollen dich in unserer ganzen Trauer!
Wir beten dich im Lachen und im Weinen …
Wir wissen dich mit jedem Tag genauer –
und unser letzter wird uns stark vereinen,
wenn wir dir einmal – so wie Engel – gleichen.
______
Skabiose Grindkraut, Krätzenkraut, in der Volksmedizin zur Behandlung von Hauterkrankungen verwendet
O Herr, hast du mich nicht gerufen?
Schrie bloß ein Vogel durch die Nacht?
Ich bin erwacht! Verstört erwacht!
Und in der Ferne knarren Stufen …
Warst du es, Herr, der sie betreten?
Kamst du zu mir und war es doch dein Schrei?
Nun gehst du unten wo vorbei
zu fremden Türen und Gebeten …
Nun wirst du andre Herzen mieten,
wirst sie bewohnen wie ein Haus!
Mir zieht mein letzter Engel aus,
weil ihm kein Herr mehr kann gebieten.
Mein Beten steht herum – wie Dinge,
die ungebraucht zugrunde gehn;
es wird mit ihnen nichts geschehn,
ob ich nun weine oder singe.
Kämst du noch einmal, mich zu rufen!
Du fändest mich dir dargebracht.
Ich will ja wachen jede Nacht,
im Regen wachen, auf den Stufen …
Noch eben hab ich dich im Traum gewusst,
dich angestaunt in deiner großen Helle,
und eine unnennbare, scheue Lust
bestürzte mich wie eine starke Welle,
war eines Morgens silberhelle Quelle
und eine alte Waldkapelle,
vor der du standest wie ein weiter Baum.
Ein Vogel sang dich unerhört und leise,
du warst der Glockenblumen scheues Blau;
im Moos der Bäume warst du mattes Grau,
ein Falke zog dich feierlich im Kreise
durch eines schweren Himmels großen Raum.
Du strahltest aus der Beeren Rot,
die wilde Orchidee bot
dich in dem Duft, dem süßen.
Noch trug das Moos, du starker Gott,
die Spur von deinen Füßen.
Ich taste deinen Schritten nach
und kann sie kaum mehr sehen;
ich bin so fremd! Ich bin so wach!
Nun wirst du von mir gehen!
Zeig mir die Stelle meines Herzens wieder,
die du betastet hast wie schweren Samt,
dass sie in Träumen oft emporgeflammt,
als bräche sich der Glanz der alten Lieder
an ihrer Rundung wie an einem Glas –
zeig mir die Stelle, die sich oft vermaß,
von deinem Liede einen Ton zu wissen
und die erwachsen ich so sehr vergaß,
als hättest du sie ganz an dich gerissen,
um sie zu formen für ein andres Sein.
Zeig mir noch einmal jenen zarten Schein
aus meiner Kindheit, die dich so erkannte!
Aus deiner Heimat sind wir Längstverbannte
und unsre Fremde wächst von Jahr zu Jahr;
und viele meinen deshalb, dass sie reifen! …
Ich aber weiß: Es reift nur die Gefahr
und trägt als Frucht das Dich-nicht-mehr-Begreifen!
Du wirst uns nie mehr unsre Stirnen streifen
und zu uns kommen so wie alte Lieder …
Zeig mir die Stelle meines Herzens wieder!
Was du von deinem Mute ausgegeben,
besucht uns manchmal wie ein hoher Gast;
dann werfen wir die weiche, dunkle Last
der Demut und das scheue Leben
in die Gebüsche deiner Herrlichkeit.
Dann sind wir Stürmer, sind bewegt bereit
von deinen Kronen eine auszutragen
zu einer Reife, die dein Leuchten mehrt …
Wir sind berufen und bestärkt, bewehrt,
und unsre Stimme wagt dich auszusagen,
als wärst du unsres Herzens alter Sang!
Wir rufen deine strenge Schönheit aus
und tragen deiner Güte lichten Strauß,
durch unsres Lebens jäh erhellten Gang …
Wenn wir so wie Wüstentiere
voller Feier dich ertrügen
Und nicht so wie grelle, irre
Trommeln im Gebet dich schlügen.
Wenn wir dich wie Vögel riefen
oder dufteten wie Blüten
oder hielten wie in tiefen
Meeren dich, die Muscheln hüten.
Ach, wir würden alle Weise,
würden Mönche oder Mythen;
wenn wir uns nur nicht so mühten!
Dich ertrügen scheu und leise …
Komm, taumelnde Erde, lege dich endlich zu Füßen
desjenigen Einen, der dich so strömend begann,
das wie aus Weinen, aus starken, vollendeten, süßen,
verwirrendes Fluten in deine Gebärde zerrann –
das dich erfüllt, das du empfindest als Plagen,
darin du erbebst, als brächen dich Stürme entzwei …
O könntest du endlich es fürstlich gelassen ertragen!
O lerntest du deinen aus Tiefen gerissenen Schrei
dämpfen zur Stille oder zu sanfteren Tönen!
Lass, taumelnde Erde, endlich dein fruchtloses Stöhnen,
beginne doch langsam ihn sanfter und zarter zu grüßen.
Sei dienende Magd und lege dich still ihm zu Füßen!
Er rundet uns so wie ein alter Töpfer
und seine Hände sind unendlich zart.
Mit jedem, das vollendet ward,
empfindet er sich neu als Schöpfer.
Die Engel stehen ihm zur Seite
und reichen ihm die Dinge zu;
versonnen summt er eine weite
und sanfte Melodie dazu.
Er liebt die seltsamsten Gestalten
und formt sie spielend wie ein Kind
und die ihm ganz gelungen sind,
will er sich gerne selbst behalten.
Die nimmt er sich in Feierstunden
in den geheimen Himmelsraum,
befühlt sie zärtlich wie im Traum
und möchte sie noch einmal runden.
Er trinkt aus ihnen seine Weine,
wenn er versonnen sitzt am Thron
und manchmal ruft er seinen Sohn,
damit er sich nicht so beweine.
Du hast wohl deine Leidensstunden
für die Missratenen bedacht?
Nun sieh dir diese schönen Runden,
und denk: für die hast du’s vollbracht.
Doch nicht wie Väter sind die Söhne.
Er hebt sein leidendes Gesicht:
O Vater, nein, für diese nicht.
Was ist mir ihre runde Schöne?
Wo hast du deine Ungestalten,
die armen, die missraten sind?
Die einen taub, die andern blind!
Wo sind sie, dass ich sie kann halten?
»Sie stehen in den dunklen Räumen.«
Da geht der fremde, fremde Sohn –
der Vater zittert auf dem Thron
und wird so alt in seinen Träumen.
Sie nennen dich den Vater aller Dinge
und drängen sich bis an dein schweres Kleid
und nehmen dich als Stein für ihre Ringe
und lassen dir für nichts mehr eine Zeit;
sie stürmen dich wie eine Burg mit Klagen;
sie wollen stets einander überragen
und alles Dunkle sollst du ihnen tragen
und doch ihr großes Leuchten sein.
Nur mancher, der zu müd ist, dich zu stürmen,
der abseits steht – mit seinen hohen Türmen
der Menschennot – bekümmert und allein,
erfasst von weitem her, was dich bedroht.
Erschreckt, ob der dir angetanen Not
will er dich schützen, nennt dich: armer Gott!,
und möchte dir ein leises Trösten sein.
Kämst in mein Leben du, Herr Jesu Christ,
du fändest nichts als ein paar alte Kelche,
die schon gesprungen sind, und irgendwelche
verdorbne Flüssigkeit, die trübe ist
und abgestanden; dass in deinen Händen
die kargen Tropfen noch ein Glänzen fänden,
ist kaum zu denken. Denn: Ich gab dich preis!
Komm nicht, Herr Jesu, der von mir nichts weiß,
dem ich mich weigerte mit tausend Mauern …
Komm nicht, Herr Jesu, denn du würdest trauern
und von mir gehen wie von einem Grabe …
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich zähl die Tropfen, die ich vor mir habe
und möchte sie noch heute ganz verteilen.
Doch: Sie sind trübe. Und was würde heilen?
Was würde stärker oder auch nur reiner?
Und selbst der Ärmsten würde keiner
die kleinste Labung an dem Trüben finden.
Ich zähle sie und warte auf ihr Schwinden …
Es kommt die Nacht mit ihren vielen Ängsten.
Voran die Mütterangst, die große, steile!
Dahinter dann die andre lange Zeile,
zuletzt die Kinderfurcht, die allerbängste,
und ihr Gesichtlein flackert irr und scheu.
Sie werden alle jeden Abend neu
und tragen Kleider von den schwersten Samten.
Sie sind die alten Königsabgestammten
und ihre Ahnin war die Furcht vor Gott.
Sie unterstehen alle dem Gebot
des großen Meisters, der sie zu uns sendet
als schwarze Engel, die uns nächtens prüfen!
Und hätten wir uns gänzlich abgewendet
und wenn wir uns die stärksten Mauern schüfen,
sie brächen ein wie heilige Gewalten …
Nur Einer kann sie für uns umgestalten,
der eine große Hirte aller Herden!
Wir können uns nur flehend an ihn halten:
Herr, bleib bei uns, denn es will Abend werden!
Wenn du nicht sprichst, o Herr, wer soll dann sprechen?,
da diese Zeit so sehr des Worts bedarf!
Wer wird auch sonst den schweren Bann zerbrechen,
den eine Dunkelheit uns überwarf,
in der wir wie Gelähmte taumelnd stehen …
Wer soll die Zeichen, die geschehen, verstehen,
wenn du dein Wort aus unsrer Mitte nimmst?
Wie soll das Instrument noch einmal klar ertönen,
wenn du es nicht mit starken Händen stimmst?
Nur du vermagst aus diesem grenzenlosen Stöhnen
noch eine reine Melodie zu ziehn …
Wir sind zertreten, sind beschmutzt, bespien,
und die Gebete gingen alle fort
in Einsamkeiten, die wir nicht mehr wissen …
O dass wir flehend dich vom Himmel rissen!
Dich, deine Gnade – und dein klares Wort …
Wir sind Erschütterte vor deinem Segen,
den du in deinen Frühling legst,
wenn du der Wasser Glanz bewegst,
in dem sich deine Wolken legen
mit einer Milde ohnegleichen.
Du segnest deine Winde mit Gewalten,
segnest die Wasser und den letzten Baum;
in deines Himmels wunderbarem Raum
erstehn der Berge dunkelnde Gestalten,
die fast an deine Nähe reichen.
Den scheuen Vögeln gibst du neue Lieder,
die sie beginnen – zart und wie geträumt.
Die schwarzen Wälder, die dein Licht umsäumt,
erlernen ihre Stärke wieder
und ihre Sänge bringen sie dir dar.
Die müden Äcker atmen ihre Schwere
wie eine Süße in die Tiefen ein;
bald wirst du ganz in ihnen sein
und ihre jetzt so herbe Leere
wirst du erfüllen wunderbar.
Wirst du auch uns noch einmal schonend segnen?
Wir sind die Ärmsten ja in deinem Haus!
Von uns geht alle Trauer aus –
und wird dir einmal nachts begegnen
wie eine taumelnde Gefahr.
Ich will noch einmal mutig vor dir sein
und meine Stimme stammelnd übertragen
auf leere Wiesen und auf nackten Stein,
auf alle Dinge, die nichts überragen
und hilflos sind, wenn keiner sie erhört.
Denn sie sind Beter so wie die und der,
wie jene, die mit ihrem Herzen preisen,
und da sie stumm sind, beten sie noch mehr
und könnten manchmal innig dich beweisen
mit ihrem Dasein, das dich mild beschwört.
Gelänge einem einmal jener Ruf,
daran sie ihren Abglanz neu erfahren
und sich begriffen! Und den, der sie schuf,
und jenes, das sie meinen im Gebaren,
das oft trotz aller Armut so betört …
Gelänge je der Anruf der Geringen
ganz bis zu Ende, dass sie ihn verstehn,
es würde uns das Köstlichste gelingen.
Die stärksten Mauern könnten nicht bestehn,
wir würden sie bis auf den Grund zerstören.
Gott zieht in seinem großen Garten
die wunderlichsten Armut-Arten …
Da sind die fahlen Hungerhügel,
die schwarzen Falter Schmerzensflügel,
die Beete mit dem Diebessamt,
die Büsche, die grellrot geflammt
von irrer Liebe tief sich neigen,
und Bäume, die an ihren Zweigen
unausgetragne Früchte haben.
Von kleinen, abgewiesnen Gaben
sind alle Wege blass bestreut;
sie haben niemanden erfreut
und wurden so zu harten Steinen.
Darüber geht das Kinderweinen,
begießt die Blumen aller Arten.
Die Mütterschmerzen stehn auf zarten
und hohen königlichen Stielen;
in ihren Blütenkelchen spielen
die weißen Falter Gottessegen.
In manchen Nächten fällt ein Regen
von Muttergottestränen lind.
Und leise weht am stillen Morgen
um die Gesträuche Angst und Sorgen
der große Schutzgeistgotteswind …
Du schickst das Harte deiner Frühlingsstürme,
dass sie wie Krieger um die Wälder gehn,
um Kathedralen und um Türme,
in denen sie gewachsne Gegner sehn
und die sie ehren, selbst im Überwinden.
Wir stehen unterhalb arm und verschwinden
und heben manchmal unsre blinden,
verwundeten Gesichter in dein Wehen
und denken, dass es deine Gnade sei!
Wir sind bemüht, sie ganz zu überstehen,
du aber gehst nur irgendwo vorbei,
versonnen, zu den großen Schlachten
der Türme und der Kathedralen
und willst ganz nahe sie betrachten …
Wir stehen da wie ungebrauchte Schalen
und warten, dass der Frühling uns benütze …
Wir freuen uns am Glänzen einer Pfütze
und an der Wolken wunderbaren Weiche;
sind so in aller Armut manchmal Reiche,
als hätte uns dein Mantel doch gestreift!
Und merken scheu, dass Jahr um Jahr uns reift.
Um viele Einsamkeiten reicher
verlässt uns jede neue Nacht;
der Engel, der uns matt bewacht,
ist jeden Morgen müder, bleicher
und lässt uns ungestärkt die Tage sehn.
Wir ziehn die Trauer oft in allen Arten,
da steht sie in der Tränen blassem See
als Lilie, als Tulpe oder Klee –
als schwarze Rose krönet sie den Garten,
in dessen Mitte wir wie Fremde stehn.
Und manchmal hört man Gott vorübergehn!
Sein Gang ist schwer, so wie ein Abendlied,
und es kann sein, dass er den Garten sieht.
Dann bleibt er ab und zu ein wenig stehn,
wählt aus der Trauer irgendeine Art.
Er nimmt sich selten eine von den Rosen
und selbst die Tulpen lächelt er bloß an.
Die Lilien, wie müde und vertan,
berührt er kaum mit seinen warmen, großen,
geliebten Händen – nur ganz zart.
Nahm er sich einmal, ehe ich’s gewahrt,
aus meinem Garten einen blassen Klee …
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Er ließ dafür sein Abbild in dem See!
Nimm unsre Kindheit, Herr, für diese Tage,
die immer reifer du von dir entlässt –
für deine Milde, die so zärtlich wächst,
für deiner Wehmut wunderliche Klage,
die an den blassen Wassern sich besieht.
Nimm unsre Kindheit, Herr, und ihre Reine.
Sie könnte dir einmal ein Trösten sein!
Wenn du erschrocken und – so sehr allein –
an jenen Wassern stehst, darinnen deine
unmenschlich große Einsamkeit vorüberzieht.
Nimm unsre Kindheit, Herr, die frühe, zarte,
von der noch ab und zu ein Engel weiß –
und manchmal auch ein feierlicher Greis,
der scheu sie birgt in seinem fahlen Barte
und dann ein stilles Abendbeten sagt.
Nimm unsre Kindheit, Herr – um ihretwillen! –
verbirg sie zart im göttlichen Gewand.
Wir sind ihr ja schon gänzlich abgewandt
und können ihre Sehnsucht nimmer stillen,
die immer noch nach deiner Güte fragt.
Gib uns wieder eine Sehnsucht, Herr,
in unsre altgewordnen Tage;
stelle wieder alles Zage
eines Frühlings um uns her!
Lass uns müde werden, doch vom Bangen!
Mache alle deine Schatten groß,
stell sie furchtbar – wie ein Zauberschloss –
in die Mitte unserer Verlangen!
Schenke uns Entzücken vor dem Zarten,
dass wir beten vor den kleinen Dingen,
vor den schwarzen Vogelschwingen
oder einem Strauch im Garten.
Nimm das Wissen aller alten Parke
und das Sanfte von den Wiesenwegen,
von den Wäldern alles Große, Starke,
von den Kirchen ihren stummen Segen …
Mach die Abende uns wie Opale
und das Morgenrot so wie Rubin,
milde Wolken lass vorüberziehn
an des Mittags schwerer Opferschale.
Lass uns Kelche sein mit edlen Rändern
und mit einem wunderbaren Rund,
lege sie dir manchmal an den Mund,
ehe du sie birgst in den Gewändern …
Er kommt zu Betern oft so ungewiss;
die Büßer lässt er lange sich zerschlagen,
doch Dulder, die es still ertragen,
ihm fern zu sein in aller Finsternis,
gewahren ihn von Zeit zu Zeit im Herzen.
Es ist nicht viel, vielleicht nur ein Verschmerzen,
das endlich leicht sich im Gemüt vollzieht –
ein Opferbringen, das so scheu geschieht,
als rief ein Stern die große Sonne an.
Das unterbrochne Weinen heilt zusammen,
doch unterhalb wie viele Hoffnungsflammen
brennt die Erfahrung: Wie man lieben kann.
Ich möchte mit in deinem Mantel sein;
ganz rückwärts in der Arme mildem Schatten,
die zart sich wölben, ohne zu ermatten
den Mantel biegen so wie einen Schrein
für alle deine Schmerzenskinder!
Sie wirken seltsam! Eines immer blinder
und ärmer als das andere, die Greise und die Fraun …
Sie alle überfließt dein stilles Schaun
in eine Weite, die du innig weißt!
Sie wollen keine eignen Augen haben,
sie sind Ergebene, sind karge Gaben,
von denen manche du verheißt
als kleine Rose deinem Sohn …
Sie blühen auf im Schutze deines Kleides
und von der Anmut deines scheuen Leides
fällt oft verklärend wie von einem Thron
ein Schimmer auf die armen blassen Blüten.
O möchtest du auch einmal mich behüten!
Ich warte bloß auf deiner Hände Winken,
dass deine Stirne sich nur leise neige!
Ich warte bebend, warte, bete, schweige
und möchte – wie ein Ton aus einer Geige –
in deiner Melodie versinken …
Noch ist der Himmel ganz verschwiegen,
als wüsste er nichts auszusagen
und dürfte niemals ernstlich wagen,
tröstlich zu sein und sanft zu siegen
im Streite mit den Erdenmächten,
die dastehn noch in ungeschwächten,
drohenden Reihen, eng gedrängt.
Noch ist er bleiern und verhängt
und dunkler als das schwerverschneite,
blendende Land, das ihn versucht
und höhnend misst die große Weite.
Doch: Seine Stunde ist schon nah.
Und alles, was an ihm geschah,
wächst heimlich schon zur Frucht.
Dann wird er plötzlich wunderbar
sich öffnen wie ein Tor –
und alles, was verheißen war:
Das Kind, die Jungfrau und die Schar
der Engel bricht hervor.
Bin dir noch so fremd, du Weihnachtsknabe,
wie von weit her komm ich auf dich zu;
meine Hände halten keine Gabe,
und das Herz ist ohne Ruh.
Kleine Lieder sind so hart zu lernen,
wenn dich meines bloß nicht ganz verschreckt!
Lieber will ich wieder mich entfernen
und dann warten irgendwo versteckt.
Werde horchen, wie die Hirten singen
und den Tieren in die Augen sehn,
wenn sie jenes Sanfte mit sich bringen,
das bei deinem Anblick ist geschehn.
Engel werden sich vor mir nicht zeigen,
Engel sind so groß und ich so klein.
Aber wenn sie dich in Schlummer geigen,
soll ein Ton davon mein Herzblut sein.
Die Engel wissen mehr und ihre Trauer
ist größer als die Menschenqual;
sie kennen deinen Tod genauer
und deinen Weg, der hart und schmal
am Rand der Dunkelheit vorüberging …
Vielleicht hat jener, irgendwann einmal,
der eine, der den Kelch für dich empfing,
zu allen andern über dich gesprochen?
Wie du am Felsen knietest, blass, zerbrochen,
und wie du ihn erschrocken angesehn …
Die Engel werden besser dich verstehn!
(Wir sind nur deine Tränenbringer.)
In diesen Tagen wird ihr Schutz geringer,
weil ihre Trauer sie von uns entfernt.
So haben langsam wir gelernt,
in diesen Zeiten selber uns zu härten.
Wir lösen uns vielleicht von dem Gefährten?
Und jeder fastet, wie er es vermag.
Wir warten hingegeben auf den Tag,
da du gereift am Baume deiner Schmerzen
wie eine Frucht den zugewandten Herzen
dich reichen wirst – o dass wir dies ertragen!
Nimm unsre Engel hin und unsre Klagen!
Da gingst du fremd und warst der Abgewandte
von den Geliebten, die am Rande schliefen,
und von den Vögeln, die erschrocken riefen,
und von den Düften, die die Nacht dir sandte,
nur deinen Schmerzen warst du zugetan;
sie hingen sich an deinen Kleidern an!
Du warst für sie der immer schon Erreichte,
den sie in ihre Kreise zogen;
der König, den sie sich erwogen
und der vor ihnen nie erbleichte …
Und als das Blut von deiner Stirne rann,
geschah Verwandlung ihnen, die es tranken.
Dann sah dein Gott, erschüttert, sah dein Schwanken
und wie dein Menschentum sich jäh besann:
Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!
Er sah die Schmerzen wie Verwaiste stehen
und rief den Engel, seinen allergrößten!
Er kam – gefolgt von allen Unerlösten! –
und hielt den Kelch an deinem blassen Munde …
Und – alle trinken mit! – er geht die Runde
durch die Gezeiten bis ans große Ende …
O dass uns Gott auch seinen Engel sende!
Der Nebel bauscht sich so wie abgelegte Seide
um die Gebärden von den scheuen Bäumen,
die einsam wirken, abgegrenzt in Räumen,
als stünden sie vereinzelt einem Leide
wie einer schweren Prüfung gegenüber …
Vom Wasser geht ein fahler, matter, trüber,
noch unerwachsner Glanz ans dunkle Ufer.
Ein früher Vogel, wie ein ernster Rufer,
gibt seine Klage ohne Anmut hin.
Sonst ist nur Stille, der ein großer Sinn
in dieser einen Nacht gewachsen war,
da sie erwartend um den Ölberg stand,
wo sie die Jünger eingeschlafen fand
und wo der Herr, umgeben von Gefahr,
so einsam und so furchtbar abgewendet
dem harten Tod entgegenlitt …
Sie sah den Engel, den, der ausgesendet,
und bot sich an und ging erwachsen mit
und half den Kelch an seine Lippen heben –
und hielt ihm sanft die Stirne, strich sein Haar …
Du große Stille, die so um ihn war,
berühr auch uns und unser lautes Leben!
Die Winde halten ihren Atem an
und die Gebärden in den Bäumen schweigen.
Aus frühen Saaten sieht man dann und wann
einsame Vögel in die Lüfte steigen.
In ernster Berge schweres Violett
schwingt sich der Wälder fernes Blau ergeben,
erinnert fast an irgendein Gebet
aus einem armen, längstverbrauchten Leben.
Tiefbraunes Brachfeld über sanften Hügeln,
vor dem ein Wetterkreuz verlassen ragt,
duckt, wie berührt von allzuschweren Flügeln,
voll Demut sich – und wartet und verzagt.
Wie alles wartet! Selbst der rasche Fluss
hat seine Eile plötzlich abgetan,
wie etwas, das sich jäh ergeben muss.
Sein mattes Silber bietet stumm sich an.
Und alles müht sich, jedes zu ertragen.
Ja, selbst der Menschen Reden werden leiser.
Die harten Worte mildern sich zu Klagen,
nur die Gebete werden größer, heißer.
O dass sie drängen hin zu deinem Grabe!
Du Unerstandener, du Schmerzerfüllter!
O dass ein jedes seine Tröstung habe
und von dir käme, stiller und verhüllter!
Das Blau des Himmels ist unfasslich neu –
es wölbt sich höher als an andern Tagen
und die Kastanien, die schon Grünes tragen,
sind plötzlich sanfter, doch nicht mehr so scheu
als sie im Winter waren, da sie froren …
Sie haben auch ihr Alter ganz verloren
und eine Kindschaft bricht aus ihrem zarten Halten,
wie sie mit ihren Zweigen etwas neu gestalten,
so wie ein Inneres von einem Tempelraum …
Wir sehn sie an und denken nicht mehr: Baum!
Und wenn aus ihrer Kronen grünem Traum
auf einmal Gottes Worte strömend brächen,
wir würden nicht erschrecken, würden kaum
uns wundern, wenn die Zweige leise sprächen!
So sehr ist überall die Seele eingezogen
wie eine Offenbarung, wie ein Kern!
Die toten Dinge werden gänzlich überwogen
von neuem Leben, werden einbezogen
ins große Anfangswort aus Gott dem Herrn!
Wie ein zugehülltes Schweres,
steigend aus des Kleides Schwärze,
dessen schmaler, weißer Saum
seltsam schüchtern ist und kaum
wahrnehmbar – wie eine Kerze,
die man fortträgt durch ein leeres,
weites Zimmer, das sich wehrt
und viel mehr an Licht begehrt,
um etwas von sich zu zeigen.
Aus dem Weißen wächst ein Schweigen
langsam – von dem Rund der Wangen
wölbt es sich zum schmalen Munde,
der sich zart von selbst beschließt;
nur aus scharfen Winkeln gießt
sich die Ahnung einer Wunde,
kaum bewusst und stets verhangen,
in des Kinnes ernsten Schnitt.
Doch: Ein Warnen drängt sich mit
bis ins Kleinste, streng und ernsthaft!
Sieh: Es formt sich eine Botschaft,
die dich anfasst und erschreckt,
und du fühlst dich fast verstört,
weil sie zwingend dir entdeckt,
dass auch dein Herz Gott gehört.
Aus gemiedenen Beständen
ihres unerhörten Denkens
löst sich manchmal nachts im Traume
wie die reife Frucht vom Baume
das Gesicht heraus, das sie verlor.
Und sie hebt mit den verbrauchten Händen,
längst entwöhnt des Sichverschenkens,
diesen Reichtum ihrer Jugend,
ihrer unerprobten Tugend
noch einmal zu sich empor …
Und es wird mit jedem Male
vager, blasser, abgenützter,
wie der Goldrand einer Schale,
wie ein zarter, ungeschützter
Schmuck, den man nicht tragen kann;
und sie schließt ihn ängstlich dann
stets zurück in ihre Schränke;
hoffend, dass er tief versänke
in dem letzten, tiefsten Schrein …
Hoffend, dass er dort verbliebe
und in der verborgnen Liebe
noch einmal zurückgesunde,
um in ihrer letzten Stunde
einmal noch ihr Trost zu sein.
Vergebt mir, Dinge, dass ich euch beschwöre
und eure Kreise seltsam übertreibe,
damit ich nicht so gänzlich einsam bleibe
in einer Welt, die ich wohl fühle, höre,
doch niemals messen kann nach ihrem Lichte.
Denn ich bin blind und habe nur Gesichte,
in denen ihr wie Wesenheiten steht.
So pflanze ich mein wachsendes Gebet
als Blume in die Fenster meiner Träume.
Gelächter, das an mir vorüberweht,
darin sich fremd ein andres Dasein dreht,
bewahre ich in mir wie starke Bäume,
in deren Schatten ich mein Weinen kühle,
mein Anderssein wie ein Gewand befühle,
in dessen Falten sich die Sehnsucht hält,
die scheu ich wiege wie ein kleines Kind.
O dass es mir nicht aus den Händen fällt,
wenn der Verzweiflung wunderlicher Wind
mich schüttelt, bis ich fast zerbreche.
Vergebt mir, Dinge, dass ich zu euch spreche,
als wäret ihr Geschwister meiner Nacht,
die mit mir reifen und einst mit mir schwinden.
Gott ließ mich tastend eure Kreise finden,
die ihr sonst streng und feierlich bewacht,
für Dichter, Narren, Engel und Dämonen.
Ich bin nur blind – doch lasst mich bei euch wohnen!
Ihre Hände legt sie klagend
an der Schläfen wunderbare Muldung –
eine Geste unerhörter Duldung
für sich selbst – und alles sagend,
was dem stolzen Munde nie entflog.
Und sie nimmt die Landschaft des van Gogh,
diese ungelenke, schwere
Kindlichkeit in ihre Leere
ganz hinein; nimmt sie als Trost –
um sich, wie von leichtem Frost
jäh erschauernd, abzukehren.
Und sie geht dann durch die leeren
weiten Räume, durch die Gänge
und es liegt noch der Empfänge
starke Spannung über allen.
Schwere Perser, die das Schallen
ihrer Schritte sorgsam hüten,
haben noch den Duft von Blüten,
Weinen, Frauen aufgespart.
Manches nimmt sie und verwahrt
es mit einer müden Trauer,
um es später dann genauer
anzusehn, ob es auch tröste –
wenn des Nachts das Unerlöste
aller Ahnen sie bedroht!
Manchmal fühlt sie ihren Tod
leise kommen durch die Gänge
und sie bittet nicht um Schonung!
Bis die leiernden Gesänge
aus der Domestikenwohnung
die Bereitschaft jäh zerstören.
Und ihr bleibt nur das Beschwören
ihrer aufgetürmten Troste
und die Gluten und die Froste
ihres unerlösten Blutes …
und die Strenge ihres hohen Mutes.
Vor ihrer Hände ungeheurer Leere
erschrecken sie selbst manchmal bis ans Herz,
dann dringt in ihre Augen jene Schwere,
die so ergreift, weil sie von jedem Schmerz
das Schmerzlichste zu wissen scheinen.
Wenn sie sich unbeachtet meinen,
dann streicheln sie ein fremdes Kind.
Mit Augen, die vor Wehmut blind,
stehn sie in Parken oder vor den Gärten,
wo Kinder spielen … Und die zartverklärten
Gesichter junger Mütter lassen sie erschauern …
In Kirchen sieht man sie verloren kauern
vor irgendeinem Gnadenbilde.
Im späten Alter wird oft ihre Milde
zu einer jener hartgeschliffnen Härten
und alle zarten, alle längst verjährten
Sehnsüchte und die einst so weiche Trauer
umhegen sie wie eine Dornenmauer.
Ich bin nicht würdig, in dein Haus zu treten!
Doch: Meine Hände sind so sehr allein.
Sie möchten manchmal übermächtig beten
und möchten fortgetan und anders sein
und so wie Mädchenhände, die noch warten …
Und manchmal wissen sie von einem Garten,
wo eine Blume weiß und schüchtern steht.
Und fremd geworden – und wie ein Gebet –
lass ich sie fort und sehe ihnen nach …
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Am Abend sind sie müde dann und schwach
und wissen nichts von Weigerung und Abwehr;
sind maßlos fern, verborgen nur und sehr
erschrocken, wenn sie mich entkleiden!
Mein Herz ist tot … Nur diese Hände leiden,
wenn alles andere sich müd vergibt.
Wer wird es sein, der mich am Abend liebt?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich bin nicht würdig, in dein Haus zu treten!
Nimm diese Hände nur und nimm ihr Beten
für alle, die ich je und je verführt!
Die eine Blume nur lass unberührt,
die scheue, weiße, in dem einen Garten
für meine Hände! – Ich will draußen warten
und einsam sein und allen Trost entbehren.
Lass diese Blume nur durch nichts versehren!
Kennt ihr die Stuben, darin sich die Armut
so seltsam hängt an Speise und an Tücher,
an grelle Bilder, die so wenig Anmut
um sich verbreiten, und an alte Bücher,
die abgegriffen sind und wie verweint?
Die Stuben, wo die Sonne zärtlich scheint
auf angebrochne Gläser, graue Tassen
und auf die Blumen, die verstaubt verblassen
und den Geruch der Armut angenommen?
Die Tage, die in diese Stuben kommen,
sind anders als die Tage andrer Räume!
Ja, selbst die Nächte geben hier die Träume
verändert aus wie altgewordne Sachen!
Die Mädchenspiele und das Knabenlachen
sind wie veraltert hier und angebraucht.
Nur manchmal leuchtet, wie emporgetaucht
und wie ein Stern, der hell ob allem steht,
ein Mütterweinen auf wie ein Gebet!
Sie hat sich hart und wie ein Siegel
schon eingeprägt in unsren Kindertagen,
wenn wir bestürzt oft vor dem blinden Spiegel
uns angesehn, um dann so wie geschlagen
hinauszugehen, wo die andern spielten!
Sie anzusehn und wie sie sich verhielten,
wie sie ihr Anderssein und ihre Helle trügen?
Ach, wie in ihren zarten Kinderzügen
schon die erwachsne Schönheit stand!
Und wenn man ab und zu dann eine fand,
die auch der Armut Male an sich trug –
oh, wie man dann die Augen niederschlug
aus Schonung und aus zarter Schwesternliebe,
um schließlich dann verheimlicht so wie Diebe,
erschüttert von dem schmerzenden Vergleichen,
sich abseits in ein dunkles Haus zu schleichen
und dort zu wissen, dass man anders sei
und dies zu tragen hätte bis ans Ende …
Dann ging wohl manchmal, wie mit einer Spende,
ein kleiner Engel still an uns vorbei –
und wenn er uns mit seines Kleides Saum
das arme, müde, frühgereifte,
verweinte Antlitz sanft und zärtlich streifte,
entschliefen wir zu einem Kindertraum.
Wenn ich die Armut preise, bist du mitgepriesen!
Denn: Was du warst, war Armut ohne Ende,
und doch ging keiner ohne Spende
von dir – und wenn sie dich verließen,
dann murmelte ein jeder einen Segen!
In allen Arten stand auf deinen Wegen
die nackte Not. Dein Lächeln nahm sie hin
– wie eine Blume, eine Königin
ward sie an dir – und tat kaum jemals weh.
Für alle Tränen wurdest du der See
und Mutter sagten alle, die dich kannten.
In deinen Augen, die wie Sterne brannten,
stand oft ein Wissen wie die Ewigkeit!
Und manchmal schienst du unermesslich weit
von uns entfernt, wenn wir auch um dich waren,
und warst doch da in jeglichen Gefahren
und für die Fremdesten warst du bereit!
Du, meine Mutter, sei gebenedeit!
Und auch du, Armut, die ihr stets begegnet.
Ihr habt euch stumm erkannt und stumm gesegnet.
Ich sah sie stricken in den vielen Nächten;
ihr schmaler Schatten schob sich in das Licht,
das trüb und flackernd war und wie aus Schächten
brach sich heraus ganz steil das Angesicht,
das streng und eingefallen alle Not ertrug,
ganz still für sich – so, wie ein schwerer Krug
die Wasser hält, fast mehr als bis zum Rande.
Und alle Nöte waren nicht imstande,
ein Überfließen je hervorzurufen.
Still, ja gelassen, ging sie alle Stufen
der Menschennot hinauf bis ganz empor.
Dort, wo wohl Gottes Engel sie erkannten …
Und aus der Landschaft, der uns ungeahnten,
trat sie dann stiller stets und stark hervor
und nahm zu ihrer unser aller Bürde –
mit einer Demut, doch mit einer Würde
und einem Lächeln, das den Trost verbot
und keiner ganz erkannte als ihr starker Gott …
Eine bräunliche Nacht, die das Zimmer behält,
weil die Mutter die Lampe so tief abgedreht,
dass nur die Spur eines Lichts auf die Arbeit ihr fällt
und ringsum das Atmen der Schwestern …
Und ein Nachklang vom endlosen Abendgebet
und alles Schwere von gestern …
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ob der heilige Joseph wohl helfen kann,
dass die Schwester den Posten wird kriegen?
Und das mit der Stube … Damit nimmer dann
der Bruder im Keller muss liegen.
– Ob der liebe Gott bestimmt allmächtig ist?
Und ob er am Ende nicht doch noch vergisst,
dass die Mutter kein Geld für die Milch hat?
– Ich will gar nicht weinen, wenn morgen beim Bad
die Wunden wieder so brennen
und wenn die Augen verschwollen sind
und wenn sie mich schimpfen – »Die Kröte ist blind!« –,
die anderen Kinder und rennen.
Sie sollen auch nicht (wie ich gestern gesagt)
dafür in die Hölle dann kommen,
wenn nur bloß die Mutter nicht mehr verzagt
und wenn wir die Stube bekommen!
Und mein Herz ist so klein,
es darf niemand hinein
als du, mein liebes Jesulein.
Mutter, wische mir die Scheiben rein,
dass ich noch einmal die Sonne sehe
und das Maisstroh um den Apfelbaum.
Gestern war der Schatten noch so klein
vor der Bienenhütte und die Schlehe
sah ich blühen heute Nacht im Traum.
Warum ist der Vogel nicht mehr da,
der sich unlängst noch das Brüstlein strählte,
das wie lauter Silberflämmchen war?
Weißt du nicht, was mit dem Kind geschah,
welches alle Sternenblumen zählte
und sie pflückte für sein Seidenhaar?
Wird nicht bald das alte Stroh verbrannt;
dass ich einmal noch den Rauch erlebe,
wie er mit dem Wind nach Osten zieht.
Blüht beim Nachbar an dem Brunnenrand
schon das Bockgras und die Gundelrebe?
Mutter, wein nicht, Mutter, sing ein Lied!
Seidenherzlein, Immerschmerzlein,
warm wiegt dich das Frühlingswindchen,
pustet für das kranke Kindchen
Löwenzahn und Christbaumkerzlein.
Honigtürmchen, Gottbestürmchen,
Bienchen summt ein Engelssänglein.
Um dein bitternasses Wänglein
schimmern sanft Johanniswürmchen.
Nonnenäuglein, Pfaffenhäublein
und ganz hohe Sonnenrädchen
fangen sich Marienfädchen,
eines bleibt noch für mein Täublein.
Blaue Berglein voll mit Zwerglein
und ein kürbisgroßes Mondchen
blinzeln auf mein blasses Blondchen
und zwei Englein zimmern Särglein.
______
Nonnenäuglein Nigella damascena, Jungfer im Grünen, Schwarzkümmelgewächs
Pfaffenhäublein Euonymus europaeus, Gewöhnlicher Spindelstrauch
Sie fiel – wie Sterne fallen – jäh aus unseren Tagen.
Und schon am Totenbett war sie Legende;
glich schweren, fernen Heilandssagen.
Wir knieten hin und küssten ihre Hände.
Dann gingen wir:
In unser Leben fiel die Sonnenwende.
Hattest keinen Garten und kein Haus
und wie Mäuslein musstest du uns betten
in die Winkel, aber Rosenketten
warfst du alle Abend aus
und wir träumten wunderbar …
Manchmal wärmte uns dein Haar,
wenn die Decken nicht mehr reichten,
und wir spürten deine leichten
Hände, wo wir Schmerzen hatten.
Ob du jemals wirklich schliefest
oder ständig Engel riefest?
Denn es gab so viele Schatten
über unsren Kinderherzen.
Deine Augen sparten Kerzen,
weil sie noch im Schlafe brannten.
Deine zarten Lippen bannten
stets den Nachtmann an der Schwelle.
Ja, du warst das Heilig-Helle
mitten in der schwarzen Not,
warst uns Garten, Haus und Brot.
Als Gott gewahrte, wie so schön geraten
dein holdes Herz in aller Armut war,
warf er noch einmal mit dem Spaten
viel Leid auf dich, damit nach Tag und Jahr
dies Rot noch röter auferblühe.
Er ließ viel Tränen auf die Wurzeln fallen,
Schneesturm und Schauer deckten oft dich zu,
auch Vögel übten ihre Krallen
an deinen Keimen, doch die stille Ruh
bestand auch sie und ihre böse Mühe.
Und dann nach allen ausgemessnen Stunden
durchbrachst du herrlich Steine, Lehm und Sand,
da haben Engel dich gefunden
ganz hell und hoch schon an des Himmels Rand
als Lieblingsblume einer Herrgottsfrühe.
Nun bricht es herein über alles Geschonte!
Wie eine Drohung nimmt es sich aus.
Das Niegeahnte, das Ungewohnte
fällt auf dich ein – und hältst du es aus,
so wirst du zur Fassung für Unerhörtes,
für solches, das dich an Engel verschenkt.
Dein gestriges Dasein wird wie ein zerstörtes,
beschmutztes Gewand in das Dunkel versenkt
und hat keinen Teil mehr an deinem Geschehen,
das dir nichts verweigert und dich übertreibt …
Und wenn nach dem letzten, so seltsamen Wehen
dir noch eine Spur von dem allen verbleibt –
(und sei es selbst nichts als ein leiser Schaden)
so danke doch Gott für all seine Gnaden!
Dass es dies gäbe, und zwar alle Tage!
Nicht bloß für jetzt, da es maßlos dich anfällt
und hinreißt und wie eine uralte Sage
dir alles Verzaubern entgegenhält,
dass nichts mehr du willst als sinken und fallen …
Wenn aus der Brücken geschwungenen Bögen
die seltsamen Gondeln, gelassen und kühn
und würdig, als ob sie ins Endlose zögen,
hingleiten und sich durch das Spiegeln bemühn,
das unendlich tief und verhalten und matt
ins Gespenstische einlässt die marmorne Stadt,
die stolz sich besieht ihr gewohntes Verfallen.
Wenn die Nacht dann der Wellen knisternd Brokat
einglättet in Stummes, das kaum zu ertragen,
dann weißt du es plötzlich, was immer dich hat
im Traume befallen wie Flügelschlagen.
Und ein Klagen, ein Klagen, nicht auszusagen,
nimmt maßlos dich mit.
Und du richtest den Schritt
wie etwas Fremdes den Wassern entgegen.
Und der tröstlichen Türmen entstiegene Segen
geht langsam wie ein Verlorenes mit …
Erlesen steigt die Kontur der Gebäude
in einen lastenden Himmel hinein,
der – wie besorgt, dass zu viel sich vergeude –
sich tiefer noch senkt, so dass Marmor und Stein
und Wolken und Wasser ein Ganzes erzeugt …
Du stehst auf der Brücke und wartest gebeugt,
dass es dich nähme in seinen Raum …
Aus schmalen Kanälen, die dunkel und kaum
sichtbar sich in das Ferne verlieren,
hörst du erleichtert ein Musizieren,
das irgendwo anders dich gar nicht berührte;
hier aber nimmst du wie eine Verführte
die schmeichelnden Laute hinein in dein Herz.
Du bist nicht mehr du – und verwaist geht dein Schmerz
und deine von längsther gewachsene Pein
wie preisgegeben ins Ganze hinein …
Überall wartet um dich das Meer
und weiß von deinem vergangensten Tage.
Dein Marmor erblindet und wirkt so schwer
wie eine irre vermauerte Klage.
Jahrhunderte reden im Schwung deiner Brücken,
im Schreiten deiner gelassenen Frauen,
in ihren seltsam gewölbten Brauen
und mehren das grenzenlose Entzücken
der armen Fremden, die dich bloß schauen …
Die flirrende Luft selbst hilft dich erbauen!
Und ein fremder, sonst nirgends gespürter Geruch
verhüllt dich wie ein sehr kostbares Tuch
voll Arabesken und Ornament
und Geheimnissen weit aus dem Orient –
verhüllt dich so sehr, dass dich niemand erkennt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Vielleicht hat Gott dich so sehr bloß umtan,
damit er in einem von deinen Türmen
wie ein Ermüdeter rasten kann,
wenn ihn zu sehr die Gebete bestürmen?
Vielleicht bist du die erwählte Braut
und wurdest heimlich für ihn bloß erbaut,
damit er an dir eine Zuflucht hat.
Du stolze, ermüdete Marmorstadt!
Einzutreten so in deine Größe,
die da wächst und wächst und nie erschreckt,
die der Herzen unerhörte Blöße
stark und wie ein Stummes ganz verdeckt,
um es dann vor Gottes Füßen hinzulegen …
Einzutreten so in deinen Segen
und voll Demut allem einzuwohnen –
diesem Kreisen der Dämonen,
der Altäre und der Wunderbilder!
Um dann stets gestillt und milder
auszuruhen wie auf Purpurkissen
und die Wasser draußen ganz und stark zu wissen
und der Brücken Schönheit und ihr Alter
mitzubeten dann im langen Psalter –
o Vermessenheit, es auszusagen!
Doch: Wie könnte man es stumm ertragen?
In deinem Marmor schläft noch da und dort ein Gott