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Viele junge Menschen reagieren gestresst auf den gestiegenen Leistungsdruck. Für das Einzelcoaching stellt sich die Frage, wie Geduld die Situation der Betroffenen verbessern kann. Aufbauend auf einer historisch-philosophischen Einordnung werden Forschungsansätze und Studien zur Geduld vorgestellt. Über eine qualitative Befragung von 176 Freiwilligen im Sozialen Jahr erfährt der/die LeserIn wie junge Erwachsene Geduld als Hilfe in Krisen sehen. Zentrale Kriterien sind dabei das "Lernen von Geduld im Alltag und am Vorbild der Eltern", eine "dialogische Beziehung" sowie mehr "Zeit für Ruhe und Entspannung". Für die Praxis und die Forschung werden Empfehlungen zur Gesundheitsförderung im (sozial-) pädagogischen Coaching beschrieben.
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Seitenzahl: 486
Veröffentlichungsjahr: 2021
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag
Reihe Pädagogik
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag
Reihe Pädagogik
Band 52
Bettina Siebert-Blaesing
Geduld als Ressource
Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Einzelcoaching
Mit Vorworten von Prof. Dr. Bernd Birgmeier und Prof. Dr. Niko Kohls
Tectum Verlag
Bettina Siebert-Blaesing
Geduld als Ressource
Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Einzelcoaching
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag,
Reihe: Pädagogik; Bd. 52
© Tectum Verlag – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2021
ePDF: 978-3-8288-7677-4
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4611-1 im Tectum Verlag erschienen.)
ISSN: 1861-7638
Zugl.: Diss. an der Philosophisch-Pädagogischen Fakultät
der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, 2020
Originaltitel: Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Einzelcoaching – Qualitative Befragung im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ)
Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung der Abbildung
# 1825166237 von Chumakov Oleg | www.shutterstock.com
Autorinnenfoto © Nikolaus Roepfl, 2021: Projekt: Das Lächeln hinter der Maske:
http://www.nrphoto.eu/projekt_laecheln.htm
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Meiner Familie Lars und Sonja für ihre Geduld
Kurzfassung
Psychosoziale Fachorganisationen und Verbände belegen aufgrund des stärker erlebten gesellschaftlichen Leistungsdrucks einen Anstieg seelischer Belastungsreaktionen bis hin zum Burnout bei jungen Erwachsenen. Das Ziel der vorliegenden Dissertation ist es, über eine Untersuchung der Geduld als Ressource neue, explorative Ansatzpunkte zur psychosozialen Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Coaching zu entwickeln. Die Studie verfolgt den Auftrag, die Ergebnisse anwendungsorientiert in den (sozial-)pädagogischen Kontext der Kirchlichen Jugendarbeit sowie der qualitativ-systemischen Beratungsforschung einfließen zu lassen.
Dazu werden folgende Forschungsfragen gestellt: Welche geistes- und sozialwissenschaftlichen Quellen zur Geduld lassen sich identifizieren? Welche Einstellungen zur Geduld als gesundheitsförderlicher Ressource haben junge Erwachsene? Welche Empfehlungskriterien zur Geduld können für das Einzelcoaching ausgesprochen werden?
Die Studie verbindet eine theoretische Recherche geschichtlicher Quellen, von Forschungsrichtungen sowie von Studien zur Geduld mit der empirisch inhaltsanalytischen Auswertung der qualitativen Befragung junger Erwachsener aus drei Jahrgängen im Freiwilligen Sozialen Jahr der Erzdiözese München und Freising in ihrer Einstellung zur Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung.
Die Recherche der geschichtlichen Quellen, der Forschungsrichtungen und der Studien zur Geduld in den Forschungsfeldern ‚Lebensbewältigung/Coping‘, ‚Bildung/Ausbildung‘, ‚Partizipation/Teilhabe‘, ‚Wirtschaft/Arbeit und ‚Sport‘ verdeutlicht, dass Geduld eine wesentliche psychosoziale Ressource in langanhaltenden und schwierigen Herausforderungen und Krisensituationen ist. Sie ist ein Grundbestandteil des kulturellen Alltagswissens. Gleichzeitig zählt die Geduld zu einem bisher vernachlässigten Forschungsgegenstand und wird in der Forschung oft nur als eine Nebenerkenntnis erwähnt. In der Untersuchung der Forschungsrichtungen zu ‚Burnout und Gelassenheit‘, zur ‚Ethik‘, zur ‚Zeitforschung‘, zur ‚Systemischen Forschung‘, zu ‚Lernen, Entwicklung und Entscheidung‘, zur ‚Verhaltens- und Handlungsforschung‘, zur ‚Achtsamkeits- und Resonanzforschung‘ sowie zur ‚Mystik und Spiritualität‘ zeigt sich die inter-, multi- und transdisziplinäre Bedeutung der Geduld für ein vernetztes Handeln und Verstehen.
Die Auswertung der qualitativen Befragung junger Erwachsener zur Geduld belegt, dass ‚Geduld mit mir und mit anderen‘, die ‚erfahrene Gelassenheit und Ruhe am Beispiel von Vorbildern‘, ‚der Umgang mit Warten‘, ‚das Erleben von Geduld in konkreten Situationen‘, ‚die Reflektion von Stress und Entspannung‘, ‚die Formulierung motivierender Ziele‘ und die ‚Wahrung der (spirituellen) Autonomie‘ wesentliche Kriterien sind, die für das Einzelcoaching junger Erwachsener ausgesprochen werden können.
Die Studie gibt über die konkreten anwendungsbezogenen Empfehlungen für den Kontext des Coachings weitergehende Forschungs- und Denkempfehlungen für die gesellschaftliche Stärkung junger Menschen in den Systemfeldern ‚Familie‘, ‚Bildung‘ und ‚Arbeit‘. Hierbei geht sie auf die durch die ‚COVID-19‘-Erkrankung verursachte globale ‚Corona-Krise‘ ein.
Die Geduld wird insgesamt als eine stille, friedliche Kraft in der Begleitung von komplizierten und komplexen Herausforderungen und Krisen verstanden, die im Alltag dynamisch transformierend, revolutionierend und gesundheitsförderlich wirkt.
Inhalt
Kurzfassung
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
„Geduld“ als innovativer Gegenstand sozialpädagogischer Coachingforschung – Prof. Dr. Bernd Birgmeier
Ein Vorwort zur ‚Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung junger Erwachsener‘ – Prof. Dr. Niko Kohls
Einordnung und Danksagung
1 Einleitung
1.1 Forschungsthema und Ausgangslage
1.1.1 Auftrag aus der Burnout-Forschung für das Einzelcoaching
1.1.2 Auftrag aus der Kirchlichen Jugendarbeit
1.1.3 Auftrag aus den gestiegenen Belastungsphänomen junger Menschen
1.1.4 Auftrag für das Einzelcoaching
1.2 Problemstellung
1.3 Forschungsfragen
1.3.1 Forschungsfrage 1: Wissenschaftlicher Überblick zum Thema Geduld
1.3.2 Forschungsfrage 2: Einstellung junger Erwachsener zur Geduld
1.3.3 Forschungsfrage 3: Empfehlungskriterien im Einzelcoaching
1.4 Zielsetzung und Abgrenzung
1.5 Methodisches Vorgehen
1.6 Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Begriffsklärungen
2.1.1 Ressourcenorientierte Gesundheitsförderung
2.1.2 (Sozial-)pädagogisches Einzelcoaching
2.1.3 Gesellschaftliche Situation junger Erwachsener
2.2 Textanalytische Herausforderungen
2.2.1 Auswahl der Textstellen
2.2.2 Systematisierung der Textauswahl
2.2.3 Perspektiven der Textauswahl
2.2.4 Leitfragen der Textanalyse
2.2.5 Zeitliche, fachliche und kulturelle Struktur
2.3 Geduld im historischen Kontext
2.3.1 Geduld in der Antike
2.3.2 Geduld in den jüdisch-christlichen Wurzeln
2.3.3 Geduld in den Anfängen des Christentums
2.3.4 Geduld in der Entwicklung des klösterlichen Lebens
2.3.5 Geduld in der Industrialisierung
2.3.6 Geduld in der Gegenwart
2.3.7 Zusammenfassung: Geduld im historischen Kontext
2.4 Forschungsansätze zur Geduld als Ressource
2.4.1 Burnout und Gelassenheit
2.4.2 Kategorien der Ethik
2.4.3 Dimension Zeit
2.4.4 Systemische Perspektive
2.4.5 Lernen, Entwicklung und Entscheidung
2.4.6 Verhalten zwischen Handeln und Warten
2.4.7 Achtsamkeit und Resonanz
2.4.8 Mystik und Spiritualität
2.4.9 Zusammenfassung: Forschungsansätze zur Geduld als Ressource
2.5 Geduld in Studien
2.5.1 Rechercheziel
2.5.2 Schlagwörter
2.5.3 Recherchemethode der Studien
2.5.4 Resultate Forschungsfelder in Studien
2.5.5 Forschungsthemen der Studien
2.5.6 Zentrale Begriffe in Forschungsfeldern zur Geduld
2.5.7 Zusammenfassung: Geduld in Studien
3 Empirische Untersuchung Geduldals Ressource
3.1 Untersuchungsdesign
3.1.1 Wissenschaftstheoretischer Ansatz
3.1.2 Erkenntnisinteresse
3.2 Theoretischer Rahmen Forschungsinstrument: Qualitative Befragung
3.2.1 Datenerhebung und Stichprobenziehung theoretisch
3.2.2 Datenanalyse theoretisch
3.2.3 Methodische Begriffsklärungen einer qualitativen Inhaltsanalyse
3.3 Empirische Untersuchung
3.3.1 Forschungsethische Kriterien
3.3.2 Fragebogenaufbau
3.3.3 Umsetzung Datenerhebung und Stichprobenziehung
3.3.4 Umsetzung Datenanalyse
3.4 Auswertung und axiales Codieren ‚Befragung Geduld als Ressource‘
3.4.1 Auswertung ‚Überblick der Fragen‘
3.4.2 Auswertung ‚Kategoriensystem insgesamt‘
3.4.3 Auswertung ‚Selbsteinschätzung zur Geduld‘
3.4.4 Auswertung ‚Eigenschaften geduldiger Menschen‘
3.4.5 Auswertung ‚Definition zur Geduld‘
3.4.6 Auswertung ‚Wünsche für Vorhaben mit Geduld‘
3.4.7 Auswertung ‚Aktuelles Geduldserleben‘
3.4.8 Auswertung ‚Lernen von Geduld‘
3.4.9 Auswertung ‚Lernorte von Geduld‘
3.4.10 Auswertung ‚Vorbilder für Geduld‘
3.4.11 Auswertung ‚Gesundheitliche Gründe für Geduld‘
3.4.12 Auswertung ‚Gesundheitliche Hilfe von Geduld‘
3.4.13 Auswertung ‚Erfahrungen Situationen mit Geduld‘
3.4.14 Auswertung ‚Erfahrungen aus Situationen mit Geduld‘
3.4.15 Auswertung ‚Soziometrische Angaben‘
4 Diskussion
4.1 Interpretation der Untersuchung im Forschungskontext
4.1.1 Interpretation zum Phänomen der Geduld in der Forschung
4.1.2 Stellenwert der Geduld bei jungen Erwachsenen
4.2 Kriterien für Empfehlungen und Forschungsbedarfe
4.2.1 Forschungsbedarf insgesamt
4.2.2 Spezifischer Forschungsbedarf
4.3 Kritisches Hinterfragen der Ergebnisse
4.3.1 Evaluation der wissenschaftlichen Vorgehensweise
4.3.2 Passung der Methodenwahl
4.3.3 Befragung als geeignetes Instrument
5 Handlungsempfehlungen zur Geduld im Einzelcoaching
5.1 Geduld mit mir und anderen im wechselnden Kontext sehen
5.2 Gelassenheit und Ruhe am Beispiel von zuhörenden Vorbildern erfahren
5.3 Warten als Intervention des geduldigen Handelns in der Zeit verstehen
5.4 Konkrete, naheliegende Situationen zur Geduld besprechen
5.5 Gelegenheiten zur Reflexion von Stress und Entspannung ermöglichen
5.6 Motivierende Ziele für Herausforderungen formulieren
5.7 Geduld in Wahrung der Autonomie auch spirituell verstehen
6 Fazit und Ausblick
6.1 Orientierungspunkte für ein Fazit und Ausblick zur Geduld als Ressource
6.2 Geduld ein explorativer Auftrag aus der Burnout-Forschung
6.3 Geduld als geschichtliche Erfahrung persönlicher und gesellschaftlicher Krisen
6.4 Geduld als vernetzendes Wissen über Forschungsdisziplinen hinweg
6.5 Geduld eine übersehene Begegnung mit konkreten Problemlagen
6.6 Geduld eine Sichtweise junger Erwachsener
6.7 Geduld eine notwendige Diskussion in Praxis und Forschung
6.8 Geduld als Handlungsempfehlung für das Einzelcoaching
6.9 Sind ‚wir‘ bereit zur Geduld?
6.9.1 Verschiedenartigkeit in Familien und privaten Beziehungen
6.9.2 Bildungsdiskurse in Schule, Hochschule und Ausbildung
6.9.3 Arbeitswelt im schnellen Wandel
6.9.4 Geduld in der Corona-Krise 255
6.10 Ausblick
7 Literaturverzeichnis
Persönliche Angaben
Anhang
Anhang 1: Fragebogen Geduld als Ressource
Anhang 2: Auswertungstabellen
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Der Forschungsprozess
Abbildung 2: Einleitung Grundbegriffe
Abbildung 3: Geduld im historischen Kontext
Abbildung 4: Forschungsansätze zur Geduld
Abbildung 5: Forschungsfelder
Abbildung 6: Alltagswissen/ wissenschaftliches Wissen nach Schaffer
Abbildung 7: Inhaltliche strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz
Abbildung 8: Kategorienraster
Abbildung 9: Kategorien der Geduld
Abbildung 10: Einstiegsfragen Geduld im Kontext
Abbildung 11: Geduld im beruflichen Kontext
Abbildung 12: Geduld im privaten Kontext
Abbildung 13: Geduld im Umfeld
Abbildung 14: Geduld in unterschiedlichen Kontexten
Abbildung 15: Geduld in der heutigen Zeit
Abbildung 16: Lernen von Geduld
Abbildung 17: Geduld als gesundheitliche Hilfe bei Veränderungen
Abbildung 18: Bin ich religiös?
Abbildung 19: Geschlecht
Abbildung 20: Geduld in sechs ethischen Kategorien
Abbildung 21: Geduldiges Handeln als Prozess209
Abbildung 22: Kategorien der Geduld
Abbildung 23: Themen der Befragung
Abbildung 24: Ressourcen der Geduld
Abbildung 25: Handlungsempfehlungen zur Geduld im Einzelcoaching
Tabelle 1: Themencluster der Studien zur Geduld
Tabelle 2: Handlungsverständnis zur Geduld
Abkürzungsverzeichnis
Anm. Anmerkungen
BDKJ Bund Deutscher Katholischer Jugend
BSB Bettina Siebert-Blaesing
bzw. beziehungsweise
DGSv Deutsche Gesellschaft für Coaching und Supervision e.V.
DGSF Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie
d.h. das heißt
EJA Erzbischöfliches Jugendamt
ebd. ebenda
et al. und andere
FSJ Freiwilliges Soziales Jahr
FSJler/ FSJlerin Freiwilliger im Sozialen Jahr/ Freiwillige im Sozialen Jahr
geb. geboren
ggf. gegebenenfalls
JE Junger Erwachsener/ Junge Erwachsene
kath. katholisch
SG Systemische Gesellschaft
sic so stand es geschrieben
SNS Synergetisches Navigationssystem
u.a. unter anderem
v.Chr./ n.Chr. vor Christi Geburt/ nach Christi Geburt
vgl. vergleiche
WHO Weltgesundheitsorganisation
z.B. zum Beispiel
Vorwort
„Geduld“ als innovativer Gegenstand sozialpädagogischer Coachingforschung – Prof. Dr. Bernd Birgmeier
Wenn sich Coaching – wie es aktuelle Tendenzen in Aussicht stellen – weiterhin im Aufwärtstrend befindet und viele namhafte Experten dieser Beratungs-, Unterstützungs- und Begleitungsform vielfältige positive Entwicklungschancen bescheinigen, wird es in Zukunft nicht nur als personenbezogene Dienstleistung für (Sozial-)Manager und Führungskräfte aus öffentlichen und privaten Trägern der Sozialen Dienste immer interessanter werden, sondern v.a. auch für unterschiedlichste Adressat*innengruppen der Sozialpädagogik. Denn gerade für jene, die erschwerte Lebens- und individuelle Problemlagen zu meistern haben, könnte ein sozialpädagogisches Coaching eine zusätzliche, spezifische Hilfe (zur Selbsthilfe) bedeuten, mit der soziale Benachteiligungen abgebaut und persönliche Entwicklung und Lebensbewältigungskompetenzen gefördert werden könnten.
Die persönlichkeitszentrierte Entwicklung des Subjekts und die Arbeit an der Sinnfindung und Sinngebung für einen gelingenden Lebensentwurf ist somit nicht nur das Kernthema verschiedenster Ansätze humanistisch geprägter sozialpädagogischer Beratung, sondern ebenso das eines sozialpädagogischen Coachings. Dieses versteht sich als eine spezifische Teilform professioneller Beratung, Beziehung, Begegnung, Bildung, Betreuung und Begleitung von Menschen unterschiedlichster Lebensalter. Dabei hat sich das sozialpädagogische Coaching als Medium der Gestaltung und Bewältigung von Lebensaufgaben jedoch erst noch konzeptionell, (meta-)modelltheoretisch und ethisch zu begründen, empirisch zu belegen sowie wissenschaftlich abzusichern, um sich tatsächlich auch als innovative Form professionellen, methodischen Handelns in der Sozialpädagogik ausweisen zu können.
Auf der Basis der Lesart einer modernen Sozialpädagogik, die auf Ressourcen, Potentiale und Stärken ihrer Adressaten setzt, die Fragen des Selbstmanagements, der Selbststeuerung, der Selbstregulation, des Lernens und der Handlungsbefähigung rekrutiert und – wie im Coaching auch – die Hoffnung auf eine gelingende(re) Lebensbewältigung und auf eine gelingende Lebensführung teilt, lassen sich auch jene Forschungsarbeiten zuordnen, die sich seit 2005 am Lehrstuhl für Sozialpädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zur Entwicklung und Begründung eines dezidiert sozialpädagogischen Coachings bemühen.
Die vorliegende Studie von Frau Siebert-Blaesing reiht sich sehr eindrucksvoll in diese Forschungstradition mit ein. Sie ist als ein äußerst gelungener Versuch zu sehen, dort forscherische Pionierarbeit zum sozialpädagogischen Coaching zu leisten, wo sich bisher noch niemand vorzudringen wagte, und das Konzept des sozialpädagogischen Coachings nicht nur theoretisch als ressourcenorientierte und gesundheitsförderliche, innovative Denk- und Handlungslogik weiter zu denken und zu spezifizieren, sondern den Aspekt der „Geduld“ neu in das Repertoire sozialpädagogischer Coaching-Forschung einzuflechten und empirisch-evaluativ zu überprüfen.
Frau Bettina Siebert-Blaesing legt mit ihrer Studie eine Arbeit vor, die wohl einzigartig und von ihrem Wert her und von ihrer Relevanz für die Weiterentwicklung des sozialpädagogischen Coachings in seinen spezifischen Ausprägungen nicht hoch genug zu würdigen ist. Mit äußerster Akribie und verbindlicher wissenschaftlicher Objektivität bearbeitet die Autorin die gesamte relevante Literatur, die im Kontext der Hauptbegriffe „Geduld“, „Gesundheitsförderung“ und „Coaching“ erschienen ist.
Die Verfasserin kann zum einen durch ihre Recherche der geschichtlichen Quellen und der Sichtung bisher veröffentlichter empirischer Studien zum Themenkomplex eindrucksvoll verdeutlichen, dass „Geduld“ eine wesentliche psychosoziale Ressource bei langanhaltenden und schwierigen Herausforderungen und Krisensituationen ist und sie begründet plausibel die inter-, multi- und transdisziplinäre Bedeutung der „Geduld“ für ein vernetztes Handeln und Verstehen in sozialpädagogischen Handlungsfeldern. Zum anderen kann Frau Siebert-Blaesing durch ihre eigene empirische Forschung und durch eine beispielhaft akkurate Analyse und Interpretation der Ergebnisse sehr überzeugend belegen, dass sämtliche, mit „Geduld“ kontextuell verbundene Kriterien äußerst hilfreich sind für die Praxis eines sozialpädagogisch inspirierten Einzelcoachings mit jungen Erwachsenen.
Eine Vielzahl der Ergebnisse aus vorliegender Studie sind ebenso anschlussfähig für etwaige methodische Weiterentwicklungen, insbesondere der sozialpädagogischen Beratung sowie einer dezidiert gesundheitswissenschaftlich konzipierten Sozialpädagogik. Damit wird das notwendige systematische Reflektieren innerhalb der Sozialpädagogik und den Gesundheitswissenschaften befördert, die sich – so die Prognose – in Zukunft weiter annähern werden.
In vielerlei Hinsicht betritt Frau Siebert-Blaesing mit ihrer Forschungsarbeit wissenschaftliches Neuland, das es auf höchstem wissenschaftlichem Niveau zu erobern galt. Es ist der Autorin zu wünschen, dass ihre akademisch-wissenschaftliche Neugier zur Erkundung weiterer Gegenstandsbereiche des sozialpädagogischen Coachings niemals versiegt. Dem vorliegenden Buch wünsche ich viele interessierte LeserInnen, die sich durch das sozialpädagogische Coaching inspiriert fühlen und die das Thema „Geduld“ auch für ihre praktische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden fruchtbar machen möchten.
Eichstätt, den 15.12.2020 Apl. Prof. Dr. Bernd Birgmeier
Ein Vorwort zur ‚Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung junger Erwachsener‘ – Prof. Dr. Niko Kohls
Gesundheitsförderung ist ein interdisziplinäres wissenschaftliches Feld, das 1986 durch die Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation nicht nur gesundheitswissenschaftlich, sondern auch gesundheitspolitisch explizit und auf höchster Ebene adressiert wurde. Seit dieser Zeit entwickelt sich das Feld stetig weiter, naturgemäß wird es von den Entwicklungen in den theoretischen und angewandten Bezugswissenschaften aber auch gesellschaftlichen Prozessen nicht nur beeinflusst, sondern wirkt auch in diese hinein. Kurz gesagt, Gesundheitsförderung ist ein Thema der Zeit; Aufbau, Aufrechterhaltung, Wiederherstellung und vor allem Förderung von gesundheitsbezogenen Ressourcen, Kompetenzen, Fertigkeiten und Verhaltensweisen auf individueller und/oder gesellschaftlicher Ebene sind äußerst relevant. Mit diesem salutogenetischen Anspruch steht Gesundheitsförderung natürlich nicht allein in der wissenschaftlichen Landschaft, beispielsweise wird dies ja auch durch die Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Erziehungswissenschaften aber auch durch die Präventionsmedizin und Resilienzforschung angestrebt. Insofern wundert es nicht, dass auf Potenzialentfaltung und –entwicklung ausgerichtete Beratungs- und Unterstützungsangebote wie das Coaching sich auch zunehmenden Interesses erfreuen.
Der naheliegende, aber bisher nur selten explizit untersuchte Zusammenhang zwischen Gesundheitsförderung und Coaching wird in der vorliegenden Arbeit von Frau Siebert-Blaesing anhand einer etablierten, altehrwürdigen Tugend, der Geduld, für das Anwendungsfeld des Einzelcoachings junger Erwachsene systematisch und aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht. Besonders interessant ist dabei die Vorgehensweise von Frau Siebert-Blaesing, die konzeptionell-theoretische Arbeit mit empirischer Forschung kombiniert und synthetisch verbindet. So wird das Thema Geduld nicht nur historisch, philosophisch, ethisch, psychologisch, soziologisch beleuchtet, sondern auch neurobiologisch und verhaltenswissenschaftlich fundiert und extrem detailliert dargestellt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden auf dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse reflektiert und dann daraus praktische Handlungsempfehlungen entwickelt.
Vor allem die Tatsache, dass die empirische Studie im Kontext der Kirchlichen Jugendarbeit über einen Zeitraum von drei Jahren durchgeführt wurde, macht diese Studie extrem wertvoll und aus meiner Sicht zumindest im deutschsprachigen Raum auch einzigartig. Hier werden erstmals auf empirische Weise, mit einem dafür gut geeigneten strukturiert-qualitativen Ansatz, Ansichten, Haltungen und Einstellungen junger Menschen zum Thema Geduld und ihren Zusammenhang mit Gesundheit erhoben und detailliert analysiert, um daraus sieben praktische Handlungsempfehlungen für das Einzelcoaching abzuleiten. Da die Stichprobe für qualitative Studien groß ist, und eine äußerst hohe Rücklaufquote vorliegt, kann in dieser Zielgruppe sicherlich Repräsentativität vorausgesetzt werden, was nebenbei gesagt nicht immer in qualitativen Forschungsstudien vorkommt. Mit äußerster Akribie, methodologischen Geschick und Fleiß hat Frau Siebert-Blaesing einen äußerst umfangreichen Datensatz systematisch bearbeitet und so die empirische Essenz herausdestilliert.
Ähnlich verhält es sich mit dem theoretisch-konzeptionellen Teil, der im Hinblick auf die historischen, philosophischen und wissenschaftlichen Befunde ebenfalls umfassend erscheint, ohne dabei jedoch der Beliebigkeit zu verfallen. Auch hier wird deutlich erkennbar, dass Frau Siebert-Blaesing sich intensiv und aus unterschiedlichen Perspektiven, vor allem aber interdisziplinär, mit den unterschiedlichsten Aspekten von Geduld beschäftigt hat. Es gelingt ihr dabei auch, die facettenreichen Einzelbefunde zu verdichten und zu einer Synthese zusammenzuführen. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass die große Stärke der vorliegenden Arbeit in der breit angelegten, interdisziplinären Betrachtungsweise liegt. So viele Details und Einzelbefunde aus unterschiedlichen Disziplinen in einer gleichsam lesbaren wie verdaubaren Form darzustellen, stellt auf jeden Fall eine große Herausforderung dar. Frau Siebert-Blaesing ist dies in beindruckender Weise gelungen, wobei ihr Stil gleichsam präzise und konzise ist.
Frau Siebert-Blaesing legt mit der vorliegenden Abhandlung eine beachtliche Arbeit vor, die nicht nur inhaltlich-konzeptionell umfassend, methodologisch ausgefeilt und im Hinblick auf formale und stilistische Merkmale auf extrem hohem Niveau angesiedelt ist, sondern auch einen extrem hohen Reflexionsgrad erkennen lässt. Es ist auch für den informierten Leser sofort erkennbar, dass sich hier jemand über einen Zeitraum von sieben Jahren sehr intensiv und in kreativer Eigenleistung mit dem facettenreichen Konstrukt der Geduld befasst hat. Dieses ist zwar aus psychologischer Sicht wohl bekannt und beschrieben, durchaus auch im Sinne einer effektiven Selbstregulationskompetenz – man denke hier an die von Walter Mischel in den berühmten Marshmallowexperimenten untersuchte Fähigkeit von Kindern zum Belohnungsaufschub –, aber im Rahmen der deutschsprachigen Coaching- und Gesundheitsförderungsforschung bisher nicht umfassend rezipiert worden. Besonders deutlich wird das in der Diskussion mit den reflektierten Empfehlungen für die weitere Forschung und dem Fazit, das noch mit einer aktuellen Betrachtung der Rolle von Geduld auf dem Hintergrund der Coronakrise schließt.
Somit werden sowohl Theoretiker als auch Anwender von der Lektüre dieser Arbeit gleichermaßen profitieren können.
Coburg, den 27.12.2020 Prof. Dr. Niko Kohls
Einordnung und Danksagung
Als ‚Fachreferentin Jugend und Arbeit‘ in der Erzdiözese München und Freising begegne ich jungen Frauen und Männern in der Vielfalt ihrer Werdegänge und Fragestellungen. Das von mir und meinen (sozial-)pädagogischen Kolleg*innen genutzte Beratungsformat des Einzelcoachings gibt einen Rahmen vor, in dem junge Erwachsene mit einem bedeutsamen Anliegen zeitweise im Mittelpunkt stehen, in der Weite ihrer beruflichen und privaten Möglichkeiten gesehen werden können sowie in ihrem Lernprozess und ihrer Entwicklung beratend begleitet werden. Die exponierte Betrachtung der individuellen Berufs- und Lebenssituationen der jungen Erwachsenen zielt darauf ab, sie darin zu bestärken, die ihnen wichtigen Wünsche und Anliegen entdecken und umsetzen zu lernen.
Einige Einzelcoachingprozesse erweisen sich aber als schwierig und sind durch ein Gefühl von „Nichtvorankommen“ (Toussaint 2012, S. 36–37) geprägt. In der Reflexion zwischen dem professionellen Coach1 und dem/der Klient*in kann deutlich werden, dass ein angestrebtes Ziel aktuell schwer zu erreichen ist und erst einmal konkretisiert und in seiner Realisierbarkeit besprochen werden muss. Es gibt aber auch Coachingsituationen, in denen sich auf der Grundlage der Lebens- und Berufserfahrung erahnen lässt, dass sich ein Problem nicht sofort lösen wird, sondern Entwicklungszeit braucht und weit über die begrenzte Zeit eines Einzelcoachings hinausgeht. Für solche Fragestellungen bietet es sich an, Klient*innen im Einzelcoaching zur Geduld zu raten.
Die Fachliteratur greift die Geduld jedoch nur als ein wenig behandeltes Thema auf und bietet daher keine sichere Orientierung. Ungeklärt ist auch, ob die Geduld aktuell zum Erleben junger Erwachsener gehört und als Empfehlung im (sozial-)pädagogischen Coaching von ihnen als Hilfestellung in persönlichen und beruflichen Entwicklungsprozessen empfunden werden kann. Der Klärung der Ausgangslage stellt sich die vorliegende Untersuchung und lädt somit zu einer Entdeckung der Geduld als Ressource im Einzelcoaching junger Erwachsener ein.
Die in der vorliegenden Studie durchgeführte Befragung Geduld als Ressource wird über das Erzbischöfliche Jugendamt München und Freising als Promotionsprojekt, insbesondere in Absprache mit dem Fachreferat ‚Freiwillige Soziale Dienste‘, unterstützt. Hierbei sei besonders den beteiligten jungen Erwachsenen, den Mitarbeiter*innen sowie Kolleg*innen für ihr Engagement in diesem Projekt gedankt. Explizit danken möchte ich auch Prof. Dr. Bernd Birgmeier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt für die Erstbetreuung des Promotionsprojektes sowie Prof. Dr. Niko Kohls von der Hochschule Coburg für die Zweitbetreuung. Sie sind mir beide durch ihre hervorragende Betreuung ein bestärkendes Vorbild darin, die Arbeit nach wissenschaftlichen Kriterien, mit gegenseitiger Wertschätzung und Respekt sowie in der Suche an einer eigenen vernetzt-forschenden Spur auszurichten.
Ein komplexes Vorhaben, wie eine Promotion, Dissertation und Disputation, braucht einen kritischen Blick von außen. Für die ‚geduldige‘ Textkorrektur danke ich besonders Elisabeth Raschke, Klaus Roepfl, Barbara Wiedner, Sebastian Petry, Sonja Blaesing sowie Martha Hellinger. Ergänzend gab es viele Personen, die durch ihr konstruktives Feedback, ihren technischen/methodischen Support oder eine Empfehlung einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der vorliegenden Untersuchung genommen haben. Ein herzlicher Dank gilt dabei dem Team des FSJ in der Erzdiözese München und Freising (Caritas und BDKJ), den Kolleg*innen und Kooperationspartner*innen des Erzbischöflichen Jugendamtes München und Freising, dem lebendigen Netzwerk der systemisch-synergetischen Prozessforschung (insbes. Prof. Dr. Dr. Günter Schiepek), dem Philosophisch-Pädagogischen Dekanat an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt mit seinem Lehrstuhl für Sozialpädagogik, der Hochschule Coburg, den Kolleg*innen der Coachingrunde, des Promotionszirkels und des FAM e.V., den Mitarbeiter*innen des Tectum Verlages sowie meiner Familie, meinen Freund*innen und Nachbar*innen für ihre Unterstützung.
Aus der Untersuchung sollen vertiefte Erkenntnisse zum ‚Einzelcoaching‘ ‚junger Erwachsener‘ gewonnen werden. Dies wird unter dem besonderen Fokus auf die ‚Geduld‘ und die Herausforderungen der ‚Gesundheitsförderung‘ reflektiert. Als Leser*in bringen Sie eine neue, wertvolle Perspektive in das Verständnis und Zusammenwirken dieser Begriffe in der Wissenschaft sowie der Anwendung/Praxis der Begleitung und Beratung junger Menschen ins Spiel. Wenn Sie Rückfragen, Anmerkungen und Ideen zu dieser Studie haben, erreichen Sie mich per E-Mail unter: [email protected]. Über diese Mailanschrift können Sie gerne auch die Auswertungslisten der qualitativen Inhaltsanalyse zur Befragung Geduld als Ressource von mir erhalten. Im Sinne der inter-, trans- und multidisziplinären Zusammenarbeit freue ich mich über weitere Kooperationen und Vernetzungen zur Geduld, die miteinander entstehen können.
Nun wünsche ich Ihnen eine gute Lesezeit mit neuen Sichtweisen, Fragen und Erkenntnissen. Ihre
Bettina Siebert-Blaesing
Poing, den 21.03.2021
1 Der Begriff Coach wird in Orientierung an der Praxis des Coachings in dieser Arbeit geschlechtsneutral verwendet. Wird von Coaching gesprochen, so ist in dieser Arbeit das Einzelcoaching gemeint. Die Zitation erfolgt im Text nach dem Harvard-System mit Autor und Jahr (z.B. Müller 2019) mit einer Kenntlichmachung der Vollbelege im Literaturverzeichnis. Für Anmerkungen, weiterführende Hinweise sowie Internetquellen wird das deutsche Fußnotensystem genutzt. Für gendergerechte Formulierungen wird entweder ein Begriff wie folgt in zwei Geschlechtern (z.B. Klient und Klientin), als Abkürzungsform (z.B. Mitarbeiter*in) oder als genderumfassende Formulierungen (z.B. Teilnehmende) beschrieben. Es werden durchgehend alle Geschlechter (m/w/d) angesprochen. Wird von der vorliegenden Studie, Untersuchung bzw. Arbeit gesprochen, so ist die gesamte wissenschaftliche Arbeit Geduld als Ressource gemeint. Wird von der Befragung Geduld als Ressource gesprochen, so ist nur der empirische Untersuchungsteil dieser Arbeit gemeint.
1 Einleitung
1.1 Forschungsthema und Ausgangslage
Das (sozial-)pädagogische Coaching muss vielen Anforderungen genügen: Die Zunahme der psychosozialen Belastungsphänomene bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist ernst zu nehmen. Junge Erwachsenen äußern den Wunsch, eindeutig klare Grenzen zwischen der Arbeit und dem Privatleben zu ziehen, zuverlässige und sichere Zusagen über Zukunftsperspektiven zu erfahren sowie eine anerkennende Feedbackkultur zu erleben (vgl. Scholz 2014; Schnetzer 2019; Albert et al. 2019b)2. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es individuelle Sichtweisen innerhalb der Generationen gibt. Gleichzeitig ist aber auch der Bedarf an jungen Erwachsenen als (zukünftige) Fachkräfte und Führungskräfte bei Organisationen und Unternehmen in einem sich kontinuierlich dynamisch verändernden schulischen, betrieblichen und gesellschaftlichen Gesamtgefüge zu sehen (vgl. Scheller 2017). Zudem sind die Erfahrungen der Coaches im Beratungsprozess zu berücksichtigen. Das (sozial-)pädagogische Coaching ist gefordert, den beschriebenen Anforderungen mit geeigneten Methoden, Haltungen und Fragestellungen zu begegnen bzw. sie zu reflektieren. Von den (sozial-)pädagogisch tätigen Coaches junger Erwachsener verlangt die dialogische Grundhaltung des Coachings, die Klient*innen in ihrer individuellen Situation wahrzunehmen, sie zu respektieren und sie mit den vielschichtigen Möglichkeiten des Handelns und Entscheidens beratend zu begleiten. Als Grundbedingung für ein gelingendes Coaching stellen sich die Fragen, wie ein vertrauensvoller Zugang zu der Generation gegenwärtiger junger Erwachsener aufgebaut werden kann und gleichzeitig eine ressourcenstärkende Begleitung erfahrbar werden kann.
1.1.1 Auftrag aus der Burnout-Forschung für das Einzelcoaching
Im Einzelcoaching junger Erwachsener gibt es dabei Phasen, die mühsam erscheinen und in denen es langsam vorangeht. In der Beratung kann der Coach dazu neigen, einem jungen Menschen Geduld für die Klärung seines Anliegens zu empfehlen. Zu untersuchen ist, ob Geduld anzuraten ist, insbesondere, wenn das Coaching gesundheitsfördernd ausgerichtet ist und junge Menschen in ihren persönlichen Ressourcen unterstützen soll. Kritisch zu hinterfragen ist, ob Geduld für einen dynamischen, persönlichkeitsorientierten Entwicklungsprozess eventuell die Gefahr birgt, als zu angepasst und rückwärtsgewandt verstanden zu werden, um für die Beratung junger Menschen einen hilfreichen und motivierenden (vgl. Hüther 2016) Impuls zu geben. Dennoch bietet sich durch die Geduld möglicherweise aber auch die Chance, einem wichtigen Anliegen die notwendige Zeit zur Verfügung zu stellen. Das Thema der Untersuchung lautet von daher Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Einzelcoaching.
Die Burnout-Forscherin Ina Rösing (2014) fordert eine „Aufarbeit »fremder« (außerhalb von Burnout3 liegender) Forschung, Entwicklung neuer Meßansätze, breite Explorationsforschung, Langwierigkeit, Geduld“ (Rösing 2014, S. 256), um einen neuen Umgang mit psychosozialen Belastungen zu entwickeln. Unterstützung findet sie bei Matthias Burisch, der die Geduld als Haltung im Umgang mit Belastungen und Veränderungen versteht (vgl. Burisch 2014, S. 250). Dem explorativen Forschungsinteresse von Rösing folgt auch die vorliegende Arbeit mit ihrer Reflexion und empirischen Untersuchung der Geduld im Kontext des gesundheitsförderlichen Einzelcoachings junger Erwachsener.
1.1.2 Auftrag aus der Kirchlichen Jugendarbeit
Das Forschungsvorhaben entwickelte sich als qualitative Befragung von jungen Erwachsenen aus der (sozial-)pädagogischen Tätigkeit des ‚Fachreferates Jugend und Arbeit des Erzbischöflichen Jugendamtes München und Freising (EJA)‘ heraus, welches eine Einrichtung und Fachstelle der ‚Erzdiözese München und Freising‘ ist. Der Auftrag der Kirchlichen Jugendarbeit sieht vor, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene umfassend in ihren Lebensfragen, ihren Sorgen und Nöten zu begleiten, zu beraten und zu unterstützen. Der junge Mensch wird hierin unabhängig von seinem Glauben, seinem Geschlecht, seinem Status, seiner Lebenssituation durch ehrenamtliche Mitwirkungs- und Teilhabemöglichkeiten sowie hauptberufliche Unterstützung in allen Angeboten der Kirchlichen Jugendarbeit, wie es die Jugendverbände, die Einrichtungen der offenen Jugendarbeit, die kirchlichen Fachstellen und Initiativen exemplarisch bieten, begleitet. In enger Zusammenarbeit zwischen den ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, dem hautberuflichen Fachpersonal und einem breiten Netz an kooperierenden Organisationen und Initiativen stellt sich ein Handlungsrahmen und außerschulisches Feld zur Persönlichkeitsentwicklung und der mitgestaltenden „Subjektwerdung“ (Erzbischöfliches Jugendamt München und Freising 2010, S. 25) junger Menschen auf der Basis eines an christlichen Werten orientierten Menschenbildes. Inhaltlich folgt der Coachingansatz der Kirchlichen Jugendarbeit der Grundrichtung des II. Vatikanischen Konzils, das im Vorwort seiner Pastoralkonstitution Gaudium et Spes den umfassenden diakonischen Auftrag für ein Handeln in der Kirche betont:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“4
Die Umsetzung dieses Auftrages konkretisiert sich in den einzelnen Diözesen und Einrichtung vor Ort. Zum speziellen Auftrag des ‚Fachreferates Jugend und Arbeit‘ gehören die Beobachtung und konzeptionelle Aufbereitung der Entwicklungen und Lebensfragen junger Menschen im Übergang zwischen Schule, Ausbildung, Studium und Beruf für die Einrichtungen und Verbände der Kirchlichen Jugendarbeit der Erzdiözese München und Freising, die Beratung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und Multiplikatoren bei spezifischen Fragestellungen zum Thema ‚Arbeit‘ sowie die Vernetzung mit anderen Fachstellen, Einrichtungen, Organisationen und Initiativen. Das Einzelcoaching junger Erwachsener zählt zu den personenbezogenen Beratungsdienstleistungen des ‚Fachreferates Jugend und Arbeit‘ wie die ‚Patenschafts-Arbeit‘ und das ‚Mentoring‘ (vgl. Anders et al. 2007). Der Ansatz des Einzelcoachings, der über das ,Fachreferat Jugend und Arbeit‘ praktiziert wird, folgt dem christlichen Grundverständnis der Begegnung zweier Personen auf Augenhöhe sowie einem ressourcenorientiert-systemischen Prozessverständnis, das von der Entwicklungsfähigkeit junger Menschen in Übergangssituationen ausgeht (vgl. Siebert-Blaesing 2016, 2017).
In Kooperation mit dem Fachreferat ‚Freiwillige Soziale Dienste‘ als Träger des diözesanen ‚Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ)‘ wird das Einzelcoaching auch für die Freiwilligen im FSJ angeboten. Das FSJ wird in der Erzdiözese unter der gemeinsamen Verantwortung des diözesanen ‚Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ)‘ und des diözesanen ‚Caritasverbandes e.V.‘ in einer ‚Trägergemeinschaft‘ durchgeführt. Über das Programm des FSJ werden jährlich circa einhundert junge Erwachsene von September bis August des Folgejahres als Freiwillige*r (FSJler/ FSJlerinnen) in sozialen Einrichtungen tätig. Dabei werden sie durch ein intensives mehrwöchiges Bildungsprogramm begleitet (vgl. BDKJ Diözesanverband München und Freising – FSJ Referat 2019).
1.1.3 Auftrag aus den gestiegenen Belastungsphänomen junger Menschen
Qualifizierung, Selbstständigkeit und Selbstpositionierung gelten in der aktuellen Jugendforschung als wesentliche Ziele, denen sich junge Menschen zu stellen haben (vgl. BMFSFJ 2017). Darin zeigt sich die Anforderung, in einem globalen Markt der Bildung von Kindheit an in der Lebenslaufplanung mithalten zu müssen. Gleichzeitig verlängert sich die Jugendphase bis weit in ein nicht exakt definierbares Erwachsenenalter hinein. ‚Jung sein‘ bedeutet in der heutigen Zeit, sich kontinuierlich in einem Prozess des Lernens und der Übergänge zu befinden (vgl. Gaupp und Berngruber 2018, S. 4). Eine zunehmende Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigt Stresssymptome, die sich auch in Belastungsstörungen bis hin zu einem Burnout bemerkbar machen. Schulische und außerschulische Institutionen warnen vor einem Anstieg des Qualifizierungs-, Leistungs- und Handlungsdrucks auf junge Menschen und sehen für sie die notwendigen Spielräume und Freiräume sowie Selbstentfaltung, Erholung und Bindungsgelegenheiten für eine gesunde seelische Entwicklung gefährdet (vgl. Hemmerich 2012; Buchheim 2004, S. 339; Hurrelmann und Quenzel 2013; Robert Koch Institut 2018, S. 24). Sie fordern mehr Zeit und Raum für Ruhe, Geduld und Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Kaltwasser 2008, S. 11–14 und 2013; Schomäcker 2011; BLLV 2015, S. 5; Schulte-Körne in BLLV 2018, S. 40–41; Hüther 2016; aej & BDKJ 2017; Techniker Krankenkasse 2015; Techniker Krankenkasse 2017; Barmer GEK 2016; DAK 2019).
Die Generationen- und Jugendforschung (vgl. Scholz 2014; Albert et al. 2019b) zeigen gleichzeitig, dass die Generation der ab 1995 geborenen jungen Erwachsenen, die von Soziologen ‚Generation Z‘ (vgl. Scholz 2014) genannt wird, in einer digitalisierten, globalen und sich kontinuierlich verändernden Welt eine eigene Haltung zum Verhältnis von Arbeit und Privatleben entwickelt, die sich stärker von der Idee der Leistungsorientierung der Vorgängergeneration der jungen Erwachsenen der ‚Generation Y‘ abgrenzt (vgl. ebd., S. 38). Den jungen Erwachsenen insgesamt ist es aktuell wichtig, das Privatleben zu schützen (vgl. ebd., S. 146) und vom Beruf zu trennen sowie Sinn in ihrer Arbeit zu erfahren (vgl. ebd., S. 190). Sie haben konkrete Ansprüche an ein Gemeinschaftsgefühl als Ausdruck eines umfassenden Wohlbefindens an ihren Arbeitsplatz. Werden die beschriebenen Bedarfe nicht erfüllt, so treffen sie gegebenenfalls die Entscheidung, den Arbeitsplatz schnell zu wechseln (vgl. ebd., S. 113). Als Vorbilder sehen sie besonders ihre Eltern an gefolgt von Freunden. Der überwiegende Teil der jungen Erwachsenen äußert das Anliegen, eigene Kinder haben zu wollen. Gesellschaftlich ist jungen Erwachsenen ein Engagement für die Umwelt, für Nachhaltigkeit, ein gesundes Leben und ein achtsames Miteinander wichtig (vgl. Albert et al. 2019b). Die Sinnorientierung hat für heutige junge Menschen Priorität, verbunden mit dem Anliegen, sich beruflich positiv entwickeln zu können. Das geht jedoch nicht mehr unbedingt mit dem Wunsch nach einer Führungsposition und einem hohen Status auf dem Arbeitsmarkt einher (vgl. ebd., S. 174).
1.1.4 Auftrag für das Einzelcoaching
Für das Beratungsformat des Einzelcoachings junger Erwachsener bedeutet die oben beschriebene Situation, den Einfluss von Belastung und Leistungsorientierung wie auch der Entwicklung eigener (sinnvoller) Perspektiven innerhalb der individuellen Möglichkeiten und Grenzen der Lebenssituation der Klient*innen in geeigneter Form zu reflektieren und neue Handlungsansätze zur Stärkung junger Menschen zu entwickeln.
1.2 Problemstellung
Die Forschung zur Geduld steht im Kontext der vorliegenden Untersuchung vor dem Problem, dass eine wissenschaftliche Einschätzung fehlt, ob und wie Geduld als ein Ansatzpunkt für ein Einzelcoaching junger Erwachsener zur Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens empfohlen werden kann. Die Problemstellung kann in folgende drei Probleme untergliedert werden:
• Problem 1: Es gibt keinen Überblick darüber, wie Geduld sozialwissenschaftlich in der geschichtlichen Entwicklung sowie in der aktuellen Forschung gesehen wird und als Ressource in der Lösung komplexer (sozial-)pädagogischer bzw. psychosozialer Problemlagen berücksichtigt wird.
• Problem 2: Es ist bisher nicht bekannt, ob und in welcher Form junge Erwachsene selbst in einer beruflichen und privaten Übergangssituation Geduld als eine Ressource des gesundheitlichen Wohlbefindens sehen.
• Problem 3: Es fehlen Kriterien dafür, wie Geduld im (sozial-)pädagogischen Einzelcoaching junger Erwachsener unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung eingesetzt werden kann.
1.3 Forschungsfragen
Die im Folgenden formulierten Forschungsfragen (F) sind den oben genannten Forschungsproblemen wie folgt zugeordnet:
• Problem 1: F 1.1, F 1.2, F 1.3 und F 1.4;
• Problem 2: F 2.1 und F.2.2;
• Problem 3: F 3.1 und F 3.2.
Die Forschungsfragen werden im Folgenden formuliert und geben zugleich die grundlegende Struktur für die Untersuchung und die Ergebnisdiskussion der vorliegenden Studie vor.
1.3.1 Forschungsfrage 1: Wissenschaftlicher Überblick zum Thema Geduld
Um zu ermitteln, wie Geduld in der der sozialwissenschaftlichen Entwicklung sowie in der aktuellen Forschung gesehen wird und als Ressource in der Lösung komplexer (sozial-)pädagogischer Problemlagen berücksichtigt wird, werden folgende Forschungsfragen formuliert:
• F 1.1 Welche historischen Quellen zum Thema Geduld gibt es bereits?
• F 1.2 Welche aktuellen theoretischen Untersuchungen zum Thema Geduld lassen sich identifizieren?
• F 1.3 Welche aktuellen Studien zum Thema Geduld gibt es?
• F 1.4 Welche Forschungsfelder zum Thema Geduld lassen sich identifizieren?
1.3.2 Forschungsfrage 2: Einstellung junger Erwachsener zur Geduld
Um zu verstehen, welche Einstellung junge Erwachsene in einer beruflichen und privaten Übergangssituation zum Thema Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung haben, werden folgende Forschungsfragen formuliert:
• F 2.1 Welche Kategorien von Geduld lassen sich bilden?
• F 2.2 Wie verstehen junge Erwachsene Geduld im Hinblick auf
• das Erleben der eigenen Geduld im beruflichen und privaten Kontext,
• die Eigenschaften geduldiger Menschen,
• die Merkmale bzw. Definitionen von Geduld,
• eigene Vorhaben, für die Geduld relevant ist,
• die Frage, ob Geduld in der heutigen Zeit leichtfällt,
• die Frage, ob Geduld erlernbar ist und ggf. wo,
• die Frage, welche Vorbilder für Geduld sie haben,
• die Frage, wie sie Situationen mit Geduld bzw. Ungeduld im eigenen gesundheitlichen Wohlbefinden erleben,
• die Frage, ob sie Geduld als Hilfe für ein gesundes Leben sehen.
1.3.3 Forschungsfrage 3: Empfehlungskriterien im Einzelcoaching
Um Empfehlungskriterien zu entwickeln, die dazu geeignet sind, die Geduld im (sozial-)pädagogischen Einzelcoaching junger Erwachsener zur Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens zu nutzen, werden folgende Forschungsfragen formuliert:
• F 3.1 Welche Empfehlungen für die Berücksichtigung von Geduld in Coachingprozessen junger Erwachsener können ausgesprochen werden?
• F 3.2 Welche fortführenden Forschungs- und Praxisfelder schließen sich sinnvoll an?
1.4 Zielsetzung und Abgrenzung
Angeregt durch den Impuls der Burnout-Forscherin Ina Rösing folgt die vorliegende Untersuchung Geduld als Ressource somit dem Ziel, über eine Explorationsforschung die Geduld als eine bisher vernachlässigte Ressource der Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Einzelcoaching einzuordnen.
Ziel der Arbeit Geduld als Ressource ist es, geeignete Empfehlungskriterien zur Einbeziehung der Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung in der Praxis des (sozial-)pädagogischen Coachings insbesondere im Kontext der Kirchlichen Jugendarbeit auszusprechen.
Als empirische Eingrenzung wird die Lebenssituation junger Erwachsener während des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) ausgewählt, da sie von vielschichtigen Lebensentscheidungsfragen geprägt ist. Der Fokus der qualitativen Befragung liegt auf den Einstellungen von jungen Erwachsenen zwischen 18 und 26 Jahren zur Geduld im Kontext der beruflichen und privaten Übergangssituation, wie sie sich in der Bildungs- und Orientierungszeit des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) abzeichnet. Als Untersuchungsfeld wird das FSJ in der Kirchlichen Jugendarbeit in der Erzdiözese München und Freising gewählt.
Aufgrund der aktuellen Situation zur ‚Corona-Krise‘ während der Erstellung des Fazits der vorliegenden Untersuchung im Frühjahr 2020 (und der abschließenden Korrektur für den Druck im Übergang von 2020/2021) wird in einem gesonderten Kapitel 6.9 auf die Anforderungen seitens der globalen Krisensituation an das Coaching junger Erwachsener eingegangen soweit die psychosozialen Einflüsse zum gegenwärtigen Zeitpunkt absehbar sind.
1.5 Methodisches Vorgehen
Der erste Schritt der Untersuchung sieht eine hermeneutisch-verstehende sowie eine systemisch-kontextorientierte Recherche5 historisch relevanter Textstellen, geeigneter Forschungsansätze sowie aktueller Studien und Forschungsfeldern zur Geduld als Ressource der sozialwissenschaftlichen Einordnung vor. In der Recherche historischer Quellen werden biographische Angaben zur textgebenden Person im Haupttext bzw. als Ergänzung in der Fußnote angefügt, sofern sie das Verständnis der Quelle in ihrem Kontext stützen. Im empirischen Teil der vorliegenden Untersuchung wird über eine Befragung mittels eines Fragebogens anhand teiloffener Fragen und einer qualitativen Inhaltsanalyse eine Einschätzung gewonnen, ob, wie und in welcher Form junge Erwachsene die Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung verstehen. Anschließend werden Empfehlungen für die Praxis und die Forschung zur Einbeziehung der Geduld als Ressource im Einzelcoaching junger Erwachsener zur Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens formuliert. Insgesamt versteht sich das Forschungsprojekt als explorative Anwendungsforschung, um Erfahrungen des Coachings im Feld der Kirchlichen Jugendarbeit auf einer wissenschaftlichen Basis zu reflektieren sowie neue Erkenntnisse zu einer Begleitung junger Erwachsener in Coachingprozessen zu gewinnen.
1.6 Aufbau der Arbeit
Die Untersuchung ist folgendermaßen aufgebaut (vgl. Abbildung 1): Kapitel 2 enthält eine Recherche theoretischer Grundlagen. Dabei wird auf wesentliche Begriffe der Untersuchung, auf relevante historische Quellen, auf geeignete Forschungsansätze, Studien und Forschungsfeldern eingegangen. In Kapitel 3 wird die empirische Befragung zur Geduld als Ressource methodisch vorgestellt und in ihren Ergebnissen beschrieben. Das Kapitel 4 beinhaltet eine Diskussion der theoretischen und der empirischen Interpretationen. Die Untersuchung schließt in Kapitel 5 mit Handlungsempfehlungen zur Berücksichtigung der Geduld in der Praxis des (sozial-)pädagogischen Einzelcoachings junger Erwachsener sowie in Kapitel 6 mit einem Fazit und Ausblick ab.
Abbildung 1: Der Forschungsprozess, eigene Darstellung (Siebert-Blaesing 2020c)
2 Wird in der vorliegenden Arbeit ein einzelner Begriff/eine einzelne Aussage zitiert, so folgt die Quelle direkt nach dem Begriff bzw. der Aussage. Wird der ganze Satz mit einer Quellenangabe belegt, so steht diese am Ende des Satzes vor dem Punkt. Bezieht die Quelle sich auf den ganzen Absatz, so steht sie nach dem letzten Punkt des Absatzes.
3 Der Begriff ‚Burnout‘ wird alternativ auch als ‚Burn-out‘ in der Fachliteratur verwandt. Hierin handelt es sich nur um unterschiedliche Schreibweisen desselben Phänomens.
4 Vorwort der Pastoralen Konstitution Gaudium et Spes – Über die Kirche in der Welt von heute des II. Vatikanischen Konzils (veröffentlicht 1973); http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_ge.html, abgerufen am 26.04.2020.
5 Alle in der vorliegenden Untersuchung benutzten Quellen wurden im Zuge der Recherche einem Plagiatscheck bei www.bachelorprint.de (zuletzt abgerufen 21.04.2020) unterzogen, sorgfältig überprüft und bei Verdachtsfällen korrigiert.
2 Theoretische Grundlagen
In dem Kapitel 2.1 der theoretischen Grundlagen werden zuerst Begriffe geklärt, die für das Verständnis der vorliegenden Untersuchung zentral sind. Hiernach werden unter 2.2. die textanalytischen Herausforderungen beschrieben, die sich bei der Recherche von Quellen zur ‚Geduld‘ stellen. Danach werden relevante Aussagen zur Geduld in ihrem historischen Kontext (vgl. Kapitel 2.3) vorgestellt. Hiernach werden geeignete Forschungsansätze (vgl. Kapitel 2.4) zum Verständnis der ‚Geduld‘ als Alltagsressource eingeführt. Im vierten Schritt werden aktuelle Studien (vgl. Kapitel 2.5) zur ‚Geduld‘ in ihren Ergebnissen dargestellt und zu Forschungsfelder gebündelt.
2.1 Begriffsklärungen
Als theoretische Grundlagen werden im Kapitel 2.1 die ‚ressourcenorientierte Gesundheitsförderung‘, das ‚(sozial-)pädagogische Einzelcoaching‘ und die ‚Situation junger Erwachsener‘ eingeführt (vgl. Abb. 2). Anschließend werden textanalytische Vorrausetzungen definiert, die eine Grundlage für das Verständnis der in der historischen Quellenrecherche zum Thema ‚Geduld‘ grundlegend sind.
Abbildung 2: Einleitung Grundbegriffe, eigene Darstellung (Siebert-Blaesing 2020c)
2.1.1 Ressourcenorientierte Gesundheitsförderung
Die Begriffe ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ sind Gegenstand vieler sozial- und humanwissenschaftlicher Disziplinen, wie etwa der Medizin, der Psychologie, der Pädagogik, der Sozialpädagogik, der Sozialen Arbeit und der Soziologie (vgl. Hurrelmann und Richter 2013, S. 7). In den Sozialwissenschaften wird je nach Forschungsrichtung zwischen übergeordneten Gesellschafts- und Public-Health-Theorien (die vorrangig Fragen zur Gerechtigkeit und zur Bedeutung sozialer Einflüsse sowie Folgen und Wechselwirkungen von Gesundheit behandeln) und Lern- sowie Bewältigungstheorien (die stärker die subjektive Sicht und die konkreten Handlungsmöglichkeiten berücksichtigen) differenziert (vgl. ebd., S. 66). Das Verständnis von ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ unterliegt dabei einem kontinuierlichen prozesshaften Wandel (vgl. Beushausen 2013, S. 7; Zemp Stutz und Buddeberg-Fischer 2004, S. 309). Für die Soziale Arbeit, die Sozialpädagogik, die Pädagogik und die Psychologie sind die Entwicklung der Salutogenese sowie die Positionierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Gesundheitsförderung für ihr aktuelles Verständnis von ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ prägend und werden daher in Kürze dargestellt, um daraus das Gesundheitsverständnis abzuleiten, von dem in der vorliegenden Untersuchung ausgegangen wird.
2.1.1.1 Die Salutogenese und ihre Entstehung
Angeregt durch den von Aaron Antonovsky entwickelten Ansatz der Salutogenese (Antonovsky und Franke 1997) verändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Relation zwischen Krankheit und Gesundheit, indem Antonovsky Stressoren und Coping-Ressourcen (Widerstandsressourcen) in ein neues Verhältnis zueinander setzt. Ihn leitet die Frage, welche Widerstandsressourcen Gesundheit erhalten. Ging die Sicht auf die Gesundheit in der Wissenschaft und im Alltagsverständnis bisher von einem defizitorientierten, pathogenen Blick auf das Kranksein und von dem Ziel der vorrangigen Verhinderung von Krankheit aus (vgl. Zemp Stutz und Buddeberg-Fischer 2004, S. 309, S. 318), so fragt Antonovsky nun, wie auch bei Krankheit und unter widrigen Umständen mehr Gesundheit entstehen und gefördert werden kann. Diesen Prozess nennt er ‚Salutogenese‘. Gesundheit und Krankheit setzt er in eine fließende Beziehung zueinander. Für ihn kann eine Person gleichzeitig krank sein und sich in Richtung zu mehr Gesundheit entwickeln, wenn sie neben allen Stressoren und Belastungen einen ausreichenden Zugang zu Ressourcen findet. Das Optimum von Gesundheit zeichnet sich für Antonovsky durch einen Zustand des gesundheitlichen Wohlbefindens aus, der trotz großer sozialer, körperlicher und psychischer Probleme erfahren wird. In seinem Krankheits- und Gesundheitsverständnis misst Antonovsky besonders dem sozialen Umfeld einer Person als essenzielle Ressource eine hohe Bedeutung für die Entwicklung von Gesundheit bei und nimmt somit großen Einfluss auf die Entstehung von Konzepten und Programmen in der Sozialen Arbeit, der Sozialpädagogik und Pädagogik wie der Psychologie (vgl. Antonovsky und Franke 1997; Klemperer 2015; Blättner und Waller 2018; Ostermann 2010; Bengel 2001, 2001; Petzold 2010; Gfüllner 2015). Theodor Dierk Petzold erweitert Antonovskys Gesundheitsverständnis, indem er die „Selbstheilungsfähigkeit des Organismus“ (Petzold 2010, S. 176) als systemeigene Kraft fördern möchte. Für diese Ressource einer gesunden Entwicklung, die er als die bedeutendste ansieht, wünscht er sich eine „dynamische Prozessfähigkeit“ (ebd.), die sich ihm zufolge über die drei Fähigkeiten, a) fühlen zu können, was ungesund ist, b) handeln zu können, um Verbesserung zu ermöglichen und c) weitere Ressourcen über ein vernetztes Nachdenken aktivieren zu können, aufbaut (Petzold 2010, S. 176). Schiepek und Matschi (2013) gehen davon aus, dass nur die Ressourcen, die als solche identifiziert werden, auch wirken können. Eine Ressource sei immer auf ein bestimmtes Ziel bzw. einen Zweck ausgerichtet und werde über den Bewertungsvorgang einer Person bestimmt.
2.1.1.2 Positionierung der WHO zur Gesundheitsförderung
Die Veränderung des Verhältnisses zwischen ‚Krankheit‘ und ‚Gesundheit‘ zeichnet sich schon in der Präambel der WHO6 von 1946 sowie in der Ottawa Charta zur Gesundheit7 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1986 in ihrer Definition zur Gesundheitsförderung ab. Im Gegensatz zu der bisher bevorzugten Haltung und Strategie der gesundheitlichen „Prävention“ (Zemp Stutz und Buddeberg-Fischer 2004, S. 319–321), die frühzeitig einen nicht gewünschten Zustand durch eine geeignete personenbezogene Verhaltensprävention sowie gesellschaftlich wirkende Verhältnisprävention verhindern will, wird nunmehr ergänzend die „Gesundheitsförderung“ (Hurrelmann und Richter 2013; Blättner und Waller 2018) als ein bestärkender umfassender Prozess in einem gesundheitlich selbstbestimmten Leben von Einzelpersonen und Gruppen gesehen. In den Mittelpunkt der Gesundheitsförderung stellt die WHO seit 1946 ein „umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden“8 als Merkmal einer bedürfnis- und umweltorientierten sowie hoffnungsvollen Gesundheit. Verantwortlich für die Gesundheitsförderung sind nun nicht mehr vorrangig das medizinisch ausgebildete Fachpersonal, sondern alle Personen und Organisationen. Indem die WHO Gesundheit als wesentlichen Bestandteil des alltäglichen Lebens versteht, sieht sie die Gesundheit bestärkt durch die Ottawa-Charta als eine Querschnittsaufgabe an, die alle Lebensbereiche berührt, Ressourcen integriert und besonders die Politik in der Gesundheitsförderung in die Pflicht nimmt (vgl. ebd.). Eine Ressource ist basierend auf dem Gesundheitsverständnisses der WHO damit als eine Lebensquelle zu verstehen, die Menschen umfassend im Alltag zur Förderung des Wohlbefindens zur Verfügung steht sowie zugänglich gemacht wird. Das betrifft verschiedene Ebenen von der gesamten „Lebensführung“ (Sommerfeld et al. 2011; Sommerfeld 2013), über die „Lebensqualität“ (Knecht 2010), des Umgangs mit „Krisen und Widerfahrnissen“ (Birgmeier 2010b), die Ressourcenorientierung in der Psychotherapie (vgl. Willutzki und Teismann 2013; Schiepek und Matschi 2013; Menning 2015) bis hin zur Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse (vgl. Walach und Kohls 2008) wie etwa der „Hoffnung“ (Surzykiewicz und Maier 2015). Aktiviert und qualifiziert wird die Ressourcenorientierung durch eine Vernetzung geeigneter Unterstützer*innen des Gesundheits- und Sozialsystems sowie durch eine Förderung der individuellen Person in ihrem sozialen Gefüge.9 Der beschriebenen Richtung folgt in Deutschland auch das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 2019) mit seinem Wegweiser zum gemeinsamen Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention – bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Hierin fordert das BMG basierend auf einer vernetzten Absprache mit zahlreichen Organisationen, Experten*innen und Initiativen im Feld der Gesundheit eine weitrechende salutogene Vorgehensweise. Über diese Kooperation soll, ganz im Sinne der (Sozial-)Pädagogik und Sozialen Arbeit, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unter einer weitgehenden Partizipation von jungen Menschen und ihren Familien möglichst vor Ort (kommunal) gefördert und verbessert werden. Den anderen gesellschaftlichen Ebenen (z.B. Landkreis, Bezirk, Land, Bund) kommt der Auftrag zu, diesen Prozess durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.
2.1.1.3 Gesundheitsverständnis der Untersuchung
Da sowohl die Begriffe der ‚Gesundheit‘, des ‚Wohlbefindens‘ als auch der ‚Ressource‘ als weit gefasste Alltagsbegriffe benutzt werden, empfiehlt Doris Ostermann, sich dem unterschiedlichen Verständnis der genutzten Begriffe abhängig von den dahinterstehenden Interessenslagen der Akteure im Gesundheitsfeld bewusst zu sein und die jeweils individuelle Position zu definieren (vgl. Ostermann 2010, S. 83). Ihrem Rat folgend, wird ‚Gesundheit‘ in der vorliegenden Untersuchung im folgenden Sinne verstanden: Im Handlungsformats des Coachings wird explizit von einem Gesundheitsverständnis ausgegangen, das Gesundheit mental, emotional sowie im Handeln (auch) in der Alltagswelt junger Erwachsener verortet. Das Ziel einer Reflexion der Geduld im Sinne der Gesundheitsförderung ist es, Geduld somit als eine umfassende, für das Wohlbefinden förderliche Ressource zu untersuchen, die jungen Erwachsenen für ihre Lebensführung, berufliche und private Orientierung sowie Persönlichkeitsentwicklung zur Verfügung steht oder zugänglich gemacht werden kann.
2.1.2 (Sozial-)pädagogisches Einzelcoaching
Personenbezogene Beratung findet in vielen unterschiedlichen Kontexten und Formaten statt. Sie „hilft bei Problemen des menschlichen Zusammenlebens und -arbeitens und dient der menschlichen Entwicklung“10. In der (sozial-)pädagogisch und psychosozial orientierten Beratung steht die Weitergabe von Information, von Wissen und von Erfahrung und Einschätzungen im Vordergrund (Sickendiek et al. 2008). Dabei verfolgen die Beratungsprozesse die individuellen Förderung der „Selbstorganisation“ (Schiersmann und Thiel 2012, S. 21) einer Person, eines Teams oder einer Gruppe bezüglich einer relevanten Fragestellung oder bei einem Problem. Jürgen Kriz unterscheidet hierbei zwischen den Beratungsformaten der Therapie, der Beratung und dem Coaching, in denen jeweils verschiedene Perspektiven auf einen Fall gerichtet sein können (vgl. Kriz 2017, S. 18–20). Im folgenden Schritt wird das Beratungsformat des Coachings erläutert, um auf dieser Grundlage anschließend das Coachingverständnis dieser Arbeit zu definieren.
2.1.2.1 Coaching als Selbstoptimierung, persönliche Begegnung und Gesundheitsförderung
Bernd Birgmeier verortet Coaching wissenschaftlich schwerpunktmäßig in der Handlungsphilosophie, der Ethik, den Sozialwissenschaften, der Ökonomie, der Pädagogik bzw. den Erziehungswissenschaften und der Psychologie. Jede dieser Wissenschaften stelle spezifische Aspekte, wie etwa die Bedeutung des Lernens, der Beziehungen oder der Wirtschaftlichkeit von Handlungen in den Mittelpunkt (vgl. Birgmeier 2011a, S. 27). Coaching lasse sich als enge Verzahnung von Selbstreflexion, Handlungswissen und Handlungskompetenz verstehen (vgl. ebd., S. 17–30; vgl. Birgmeier et al. 2019).
Astrid Schreyögg sieht die Themen und Einsatzfelder im Coaching als differenziert und breit gefächert an, was verlangt, dass „der Coach über eine Vielzahl an methodischen Mustern verfügen muss, die den multipragmatischen und multidisziplinären Strukturmustern gerecht werden“ (Schreyögg 2011, S. 49; vgl. auch Birgmeier 2011b; Kriz 2016; Busse und Hausinger 2013).
Michael Fischer und Pedro Graf definieren Coaching als prozess-, ziel- und handlungsorientierte Beratung, Anleitung und Training von Personen in ihren professionellen Rollen, Aufgaben und Kontexten als integralen Bestandteil von Personalentwicklung in Organisationen (vgl. Fischer und Graf 2000).
Gerhard Roth und Alica Ryba beschreiben folgende Varianten des Coachings als übliche Formen: Selbstcoaching, Peer-Coaching, Einzelcoaching, Coaching durch Vorgesetzte, Coaching-Führungsstil, Gruppen-Coaching, Team-Coaching, Coaching-Kultur. Das Einzelcoaching ist aus ihrer Sicht die Coachingvariante, die in Deutschland überwiegt (vgl. Roth und Ryba 2016, S. 52).
Unabhängig davon, ob ein Coaching einzeln oder in einer Gruppe durchgeführt wird, betonen Rauen, Strehlau und Ubben die Bedeutung der vertrauensvollen Beziehung zwischen dem/der Klient*in und dem Coach. Hierfür setzen sie die Freiwilligkeit, Diskretion, gegenseitige Akzeptanz, die Selbstmanagementfähigkeiten von Klient*innen, Offenheit und Transparenz wie auch die Veränderungsbereitschaft als Kriterien für ein gelingendes Coaching voraus (vgl. Rauen et al. 2011, S. 153–155).
Oft folgt ein Coaching der Idee der Selbstoptimierung und damit der lernenden bzw. trainierenden Verbesserung von Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen (vgl. Conrad und Kipke 2015; Wallroth 2015). Marc-Ansgar Seibel (2019) hingegen verweist auf den doppelten Auftrag der Sozialen Arbeit, den Menschen einerseits in seinem individuellem Werden umfassend persönlich zu unterstützen sowie ihn gleichzeitig in der Ungerechtigkeit der “fluiden Moderne” (ebd.), die mit einer überfordernden Selbstoptimierungsidee einhergehe, strukturell (gesellschaftlich) zu stärken. Hierzu sei die Solidarität der Sozialen Arbeit unabdingbar.
Martin Buber (2014) rät dazu, jede Beratung (zu der in der Beratungsprofession auch das Coaching gehört, Anmerk. BSB), als eine interpersonelle Begegnung über die Zeit zu verstehen, die von einer wechselseitigen Wertschätzung, einem tatsächlichen Interesse an der anderen Person und einer Bereitschaft, miteinander als Persönlichkeiten zu wachsen, geprägt sein sollte.
Für Eric Mührel (2011, S. 75–81) bedeutet Coaching demnach angelehnt an das „dialogische Prinzip“ (Buber 2014) von Buber einen wechselseitigen Dialog, der in der Beziehung zwischen dem/der Klient*in und dem Coach sowohl auf ein gegenseitiges Verstehen der jeweiligen Lebens-, Berufs- und Arbeitswelt sowie auf ein Achten der Unterschiedlichkeit zweier Personen aufbaut. Eine solche Beziehung ereigne sich in der Idealform nicht als „Sozialtechnik“ (Mührel 2011, S. 75–81), sondern als Erleben einer tiefen Begegnung zweier Menschen.
Auch Reinhard Stelter definiert Coaching in Orientierung an Buber als einen mitmenschlichen Begegnungsprozess. Für ihn stellen der sinnvolle Dialog, die Wertehaltung und die Kollaboration die Grundelemente von Coaching dar. Mit seinem Ansatz des „Third Generation Coachings“ (Stelter 2019, S. 3–16) grenzt er sich von einem technokratischen wie konstruktivistischen Coachingverständnis ab, sondern sieht Coaching als einen professionellen sinnorientierten Begegnungs- und Lernprozess zwischen Personen (vgl. Stelter 2019).
Ein christliches Coachingverständnis geht von einer dialogischen Beziehung zwischen Coach und Klient*in aus. Exemplarisch fragt Jesus im Gleichnis von der Heilung eines Blinden in Jericho seinen Gesprächspartner etwa: „Was soll ich dir tun?“ (EÜ, Lukas 18,– 31–43). Erst der Auftrag des in diesem Fall blinden Gegenübers und im christlichen Sinne ‚sein Glaube‘ bewirken die Heilung als inneren Impuls der Veränderung. Das achtsame Gesehen- und Gehört-Werden in der Begegnung schafft den Rahmen für eine konstruktive Entwicklung in eine bessere Richtung.
Die European Association for Supervision and Coaching (EASC)11 sowie die Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSv)12 betonen als führende europäische bzw. deutsche Coachingverbände die Orientierung an der Gesundheit als einem der grundlegen Werte von Coaching.
Für ein gesundheitsorientiertes Einzelcoaching empfiehlt Matthias Lauterbach aufgrund der Zunahme der Komplexität der Lebenssituation von Klient*innen je nach Situation und Auftrag eine Kooperation mit Expert*innen sowie eine Berücksichtigung von Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit im Coaching (vgl. Lauterbach 2008, S. 43–44).
2.1.2.2 Coachingverständnis der Untersuchung
Der im Kontext dieser Arbeit verwendete Coachingansatz folgt primär der Idee der Förderung der Selbstorganisation und der Entwicklung der Persönlichkeit der Klient*innen im jungen Erwachsenenalter sowie der dialogischen Begegnung zwischen dem/der Klient*in und dem Coach in einer Beratungsbeziehung. Wird in dieser Untersuchung von Coaching gesprochen, so ist das Einzelcoaching gemeint. Gesundheit wird in dem fokussierten Coachingansatz als gesundheitsförderliche Haltung verstanden, die auf umfangreiche Ressourcen aufbaut und diese generiert. Die Geduld wird somit als eine solche Ressource im Coaching im spezifischen Feld der Beratung und Begleitung junger Erwachsener aufgefasst.
2.1.3 Gesellschaftliche Situation junger Erwachsener
Was junge Menschen unter ‚krank‘ oder ‚gesund‘ verstehen, prägt sich mit dem Beginn der Pubertät bis in das junge Erwachsenenalter aus, wird aber wesentlich durch den kulturellen Kontext und die Lebensbedingungen des Umfeldes im Sinne eines subjektiven Verständnisses von Gesundheit mitbestimmt (vgl. Blättner und Waller 2018, S. 72–73). Die aktuelle Situation junger Erwachsener zeichnet sich durch zwei gesellschaftliche Prozesse aus, die Einfluss auf die Gestaltung von Coachingprozessen nehmen. Einerseits erfahren junge Erwachsene in ihrer konkreten Lebenssituation verstärkt eine Zunahme von Qualifizierungs-, Leistungs- und Handlungsdruck, der mit einem Anstieg an psychosozialen Belastungssymptomen verbunden ist. Andererseits ziehen heutige junge Erwachsene als neue Generationen bewusst deutlichere Grenzen als die Vorgängergenerationen bezüglich der Beachtung privater und betrieblicher Ansprüche sowie Bedürfnisse und markieren somit eine Veränderung des Stellenwerts der Gesundheitsinteressen in der Arbeitswelt. Diese beiden Aspekte werden im Folgenden vorgestellt.
2.1.3.1 Zunahme von Druck und gesundheitliche Belastung bei jungen Menschen
Junge Menschen sind einem hohen Druck ausgesetzt: Der 15. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2017) betont, dass die frühzeitige Selbstständigkeit und berufliche Positionierung junger Menschen als gesellschaftliche Ziele gefordert werden.13 Hierdurch wird ein kontinuierlicher ‚Qualifizierungsdruck‘ erzeugt. Es ist zu überlegen, ob damit ausreichend Zeit und „Spielraum“ (Hemmerich 2012) zur Entwicklung einer gesunden Lebensweise bleiben, die den Aufbau stabiler Bindungen (vgl. Buchheim 2004, S. 339; Hurrelmann und Quenzel 2013) und die Verlängerung der Jugendphase in eine zeitlich unbestimmte Phase als „junges Erwachsenenalter“ (Gaupp und Berngruber 2018, S. 4; Erzbischöfliches Jugendamt München und Freising 2016) berücksichtigen.
Interessensvertreter*innen pädagogischer (vgl. Kaltwasser 2008, S. 11–14, 2013; Schomäcker 2011; BLLV 2015, S. 5) und psychologischer (vgl. Schulte-Körne in BLLV 2018, S. 40–41; Hüther 2016) Berufsgruppen sowie von Krankenkassen14 und Jugendverbänden15 sehen das gesundheitliche Wohlbefinden von jungen Menschen längerfristig gefährdet. Sie beurteilen es kritisch, dass der ‚Leistungsdruck‘ anhält und zunehmend Ruhe, Erholung, Entfaltung und Kreativität wegfallen. Besonders Lehrkräfte (als zentrale Ansprechpartner*innen in der Kindheit, Jugend und im jungen Erwachsenenalter, Anm. BSB) seien nicht ausreichend psychologisch geschult, um der Zunahme der Belastungsphänomene bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen angemessen zu begegnen. Gerd Schulte-Körne fordert von daher mehr Wissen über psychische Gesundheit und Belastungen bei Lehrkräften: „Wir brauchen in der Ausbildung der Lehrkräfte ein Umdenken: Wir brauchen mehr Wissen über psychische Gesundheit und über Belastungen.“ (Schulte Körne in BLLV 2018, S. 39)
Hinzu kommt, dass sich im Übergang zwischen Schule und Ausbildung, Studium oder Beruf die Möglichkeiten, autonome Entscheidungen (vgl. Keupp und Dill 2010, S. 7) zu treffen, erweitert haben, was individuell den ‚Handlungsdruck‘ bei jungen Menschen in Richtung eines erfolgreichen Lebens vergrößern kann. Besonders in der Lebensphase der jungen Erwachsenen zeichnet sich laut Untersuchungen der Techniker Krankenkasse sowie der Barmer Krankenkasse eine hohe Belastungsanfälligkeit ab, sobald geplante Vorhaben schwierig werden und Veränderungsphasen als Krise erlebt werden.16 Dieser Situation müssen auch alle Beteiligten im Aus- und Weiterbildungsprozess begegnen.
2.1.3.2 Selbstverständnis junger Erwachsener
Unter dem Begriff der jungen Erwachsenen werden zwei Generationen verstanden: Zur ‚Generation Y‘ zählen die jungen Menschen, die zwischen 1975 bis 1994 geborenen wurden. Die ab 1995 geborenen Personen werden in einem soziologischen Verständnis als ‚Generation Z‘ definiert. Die Übergänge zwischen beiden jung-erwachsenen Generationen sind fließend (vgl. Scholz 2014). Wird in dieser Untersuchung von den ‚jungen Erwachsenen‘ gesprochen, so sind beide Generationen gemeint. Der Fokus richtet sich aber besonders auf die ‚Generation Z‘ als hereinwachsende Generation in der Arbeitswelt.
Christian Scholz bietet eine Analyse der ab 1995 geborenen jungen Erwachsenen der ‚Generation Z‘. Diese zeichne sich in einer zunehmend wettbewerbsorientierten und digitalisierten Arbeitswelt besonders durch ihr ‚Gesundheitsbewusstsein‘ und ihre ‚realistische Haltung‘ aus. Sie beende Tätigkeiten und Beziehungen aber schnell wieder, sobald Zusagen nicht eingelöst würden. In Abgrenzung von den Vorgängergenerationen, die von der ‚Generation Z‘ als ‚Burnout-gefährdet‘ und überlastet erlebt würden, strebe sie nach ‚Schutz‘ und ‚Trennung‘ zwischen dem Privatleben und der Arbeitswelt, exemplarisch markiert durch geregelte Arbeitszeiten. Sie hinterfrage das Leistungsideal der Vorgängergenerationen, misstraue Marketingaussagen und meide Führung aus Karrieregründen. Als Aufgaben akzeptiere die ‚Generation Z‘ nur ‚konkret überprüfbare Handlungen‘ und Zusagen zu ‚sinnvollen Tätigkeiten‘ mit der Möglichkeit der guten ‚Zusammenarbeit‘. In einer als unübersichtlich empfundenen Welt pflegten junge Menschen der ‚Generation Z‘ ein besonders hohes Kooperationsinteresse mit Personen aus der ‚eigenen Generation‘. Andere Generationen seien dort hilfreich, wo möglichst regelmäßiges positives Feedback gegeben werden könne.17
2.2 Textanalytische Herausforderungen
In dem folgenden Schritt der Untersuchung von Quellen zur Geduld als Anregung für ein (sozial-)pädagogisches Handeln stellen sich die Auswahl von Textstellen sowie deren Systematisierung in einem zeitlichen Verlauf als zwei textanalytische Herausforderungen. Als Formulierung lassen sich die jeweiligen Textstellen auch außerhalb des Kontextes zwar lesen und als passend oder unpassend für eine heutige Situation einschätzen. Ein tatsächliches Verstehen einer Aussage kann aber erst stattfinden, wenn sie in ihrem jeweiligen Kontext verortet wird. Dafür ist die Arbeit von fachkundigen Biograf*innen, Expert*innen und Übersetzer*innen relevant. Veit-Jakobus Dieterich (1995, S. 11–19) weist darauf hin, dass eine Textaussage nur in einem biografisch gedeuteten Zusammenhang zu verstehen ist und damit mehr den jeweiligen Zeitgeist und die Interessen der Interpretation spiegelt als das Leben der Person.
2.2.1 Auswahl der Textstellen