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Im Jahr 1666 bittet ein junger Mann einen erfahrenen Reiter um Hilfe beim Erlernen des Reitens. Es entspannt sich ein Dialog zwischen Schüler und Reitmeister, der nicht nur Einblick in die Ausbildung von Pferd und Reiter im 17. Jahrhundert gewährt, sondern gleichsam den Leser in die wundersame Welt barocker Reiterei entführt. Der Leser fühlt sich in die Aufführung eines Theaterstücks versetzt, in dem nur drei Figuren handeln: ein Kavalier, ein Soldat und ein Hengst. Ein Buch für Reiter, die es ernst meinen mit Demut, Geduld und Caresse gegenüber ihrem Pferd.
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Seitenzahl: 196
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Repellon 1
für Baileys, Wotan, Mully u. BurschiGipsy, Hotte, Sting, Rübe u. Püppi
Vorwort
D
ER ERSTE
T
EIL
Diskurs - Von der Reiterei und Reitern
Diskurs - Von den Qualitäten des Schulpferds
Diskurs - Von der reiterlichen Bekleidung
Diskurs - Reiterliche Kleidung
Diskurs - Vom Zu-Pferd-Sitzen
Diskurs - Vom Reculieren oder Rücklenken
Diskurs - Vom Traktieren des Pferds
Diskurs - Vom Geradeaus-Reiten
Diskurs - Von Positur des Reiters und Pferds
Diskurs - Vom Abnehmen der Bügel
Diskurs - Vom Schränken und Treiben
Diskurs - Vom Nutzen des Schränkens
Diskurs - Vom Repellon
Diskurs - Vom Trab
Diskurs - Wie ein Ross zum Galopp aufnehmen
Diskurs - Von den Sporen
Diskurs - Andere Galopphilfen
Diskurs - Weitere Galopphilfen
Diskurs - Wie ein Ross zu zäumen ist
Diskurs - Vom Cavezon
Diskurs - Durchkommen und wechseln
D
ER ZWEITE
T
EIL
Diskurs - Levaden in Specie
Diskurs – Redoppieren
Diskurs - Courbetten I
Diskurs - Courbetten II
Diskurs - Courbetten III
Diskurs - Passagieren
D
ER DRITTE
T
EIL
Diskurs - Kapriolen
Diskurs - Grouppade
Diskurs - Salto-Pass
Anmerkungen
Die Wirkung einer Reitliteratur ist von der praktischen Erfahrung des Lesers abhängig. Je mehr reiterliche Praxis durchlaufen wurde, umso tiefer lässt sich in einen Text vordringen, selbst wenn dieser vor mehr als dreieinhalb Jahrhunderten geschrieben wurde. Wildensteins Text ist zwar aufgrund seines Alters nicht immer leicht verständlich und naturgemäß seiner Zeit in vielen Aspekten verhaftet. Doch lässt er sich zwischen den Zeilen lesen, und genau hier kommt die praktische Erfahrung des Lesers zum Tragen. Er wird aus Erfahrung wissen: Nicht alles, was geschildert wird, ist heute noch sinnvoll, anderes hingegen geradezu erfrischend modern.
Als Wildenstein im Jahr 1666 seine Schrift unter dem Titel Opusculum Equestre (Kleine Reiterschrift) im Eigenverlag herausgab, war sie als Darreichung an den Bayreuther Landesfürsten Christian Ernst gedacht. Sie sollte den Eindruck von Bescheidenheit erwecken, ebenso aber das militärische Interesse des Adressaten befriedigen. Nicht minder versuchte Wildenstein sein reiterliches Wissen auszubreiten, weshalb er Bezüge bei Reitmeistern wie Löhneysen (I/2) und Pluvinel (I/3 u. III/1) nahm: Ersterer der bedeutende Reitmeister deutscher Herkunft jener Zeit, der andere ein nicht weniger erfahrener Meister der Reitkunst und seines Zeichens Reitlehrer des französischen Königs Ludwig XIII. Diese Hintergrundcouleur dürfte dem barocken Regenten Christian Ernst gefallen haben, und dementsprechend werden die geschilderten Personen dann auch eingeführt.
Der Aufbau des Textes ist allerdings ungewöhnlich. Man fühlt sich gleichsam in die Aufführung eines Theaterstücks versetzt, in dem nur drei Figuren handeln: ein Kavalier, ein Soldat und als Hauptakteur ein Hengst. Und im Gegensatz zu anderen Reitbüchern jener Zeit, wird hier die Entwicklung von Pferd und Reiter von den Anfängen bis zur Schule über der Erde aufgezeigt. Wildenstein entwirft die Situation eines Reitunterrichts und lässt seine Charaktere darin handeln, ohne sich je direkt an den Leser zu wenden. Dieser kann sich auf die Position eines Betrachters zurückziehen und hat so Platz für eigene Gedanken. Dazu braucht es Vorstellungskraft und Fantasie. Beides lässt sich am besten mit einem schlichten Text stilisieren, der individuelle Bilder vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen lässt. Will sagen: dem inneren Bild des Reiters.
Mir ist es ein persönliches Anliegen einen historischen Text vorzulegen, der Vorzüge aufweist, welche sich in der modernen Reitliteratur nur noch sehr selten finden (Stichwort Karessieren. Stichwort Dauer der Ausbildung und Geduld. Stichwort Charakterbildung. Stichwort No Sports), um so den Beweis zu führen, dass eine Herangehensweise an das Pferd, die wir heute nachhaltig oder pferdegerecht oder gar emotional nennen würden, keine moderne Gefühlsduselei ist, sondern einer ebenso ernsthaften wie weitreichenden Ausbildung entspricht, wie sie Kriegspferden des 17. Jahrhunderts und ihren Reitern zugedacht war.
Aus Gründen der Authentizität habe ich darauf verzichtet, förmliche, für das heutige Gespür allzu gedrechselt erscheinende Floskeln zu vermeiden. Spezielle Begriffe und Bezeichnungen, die eindeutig aus der Zeit des Autors stammen, habe ich ebenso beibehalten, da ich keinen Grund darin sehe, sie heutigem Sprachgebrauch entsprechend zu verbiegen. Manch sprachliche Eigenheit ginge sonst in der modernisierten Sprache zwangsläufig unter. Reitliteratur hat ihren eigenen Duktus und ihre ganz eigene Terminologie. Diese gilt es unbedingt einzuhalten, soll der Sinn des Textes nicht verloren gehen.
In den geschilderten Reitausführungen bringt der Erfahrene dem Unerfahrenen das Reiten bei. Darüber hinaus ist es ein Kavalier, der einem Soldaten die Reitkunst nahebringt - um nicht zu sagen, der Ältere dem Jüngeren (und die Komposition der einstigen gesellschaftlichen Stellung andeutend), der Feinsinnige dem Draufgänger. Letzterem stellt Wildenstein ein mit körperlichen Vorzügen versehenes Pferd an die Hand, das jedoch ebenfalls unerfahren und ungestüm ist: Hier lernt der unerfahrene Reiter auf einem unerfahrenen Pferd. Keine guten Voraussetzungen für die Praxis, das wusste auch Wildenstein. Gleichwohl lässt er den Kavalier, seinem Alter Ego, die Herausforderung annehmen und alle Situationen meistern.
Es ist spannend zu sehen, mit welchen Mitteln der Kavalier seinem ungestümen Schüler samt dessen ungestümen Hengst Manieren beizubringen sucht: nicht etwa mit Gewalt oder Strenge, Strafe oder Zucht, sondern mit Geduld und Caresse, Ausdauer und Güte. Ein Verhalten, das nicht nur dem Reitschüler abverlangt wird, auch das Umfeld geht in dieser Art mit den Tieren um. So versorgen die Stallknechte alle Pferde aufs Beste (I/8) und reden ihnen sittsam zu (I/11). Man staunt, mit welch hohem Maß an Zuneigung die Personen den Pferden begegnen, und das, obwohl es gilt, einem großen, von Instinkten geleiteten Tier beizubringen, den Reiter zu verstehen und ihm willig zu folgen. Ein Grundmuster des Umgangs mit dem Pferd wird hier deutlich: Das Wesen des Tieres, sein Gemüt und auch seine ureigensten Veranlagungen sollen allzeit Beachtung finden – es ist eben nicht alles neu, was heutzutage als fortschrittlich gilt.
Den originalen Text in ein verständliches Hochdeutsch zu bringen war nicht immer einfach. Begriffe wie durchkommen, Durchlässigkeit, durchbrechen, an sich nehmen, aufnehmen, das Pferd fassen oder sich fassen (um nur einige Beispiele zu nennen) sind ohne einschlägige reiterliche Erfahrungen und ein gewisses Maß an Empathie nicht ohne Weiteres eingängig und müssen zuweilen seltsam anmuten. Ich habe mich daher bemüht, heutigem Sprachgebrauch entsprechend, die jeweils sinnvollste Übersetzung anzubieten.
Darüber hinaus schmälert das Alter des Textes das Geschilderte keineswegs, vielmehr bildet es ein Gegengewicht zur modernen Reitliteratur. Diese setzt zwar nicht weniger wertvolle Impulse, aber sie lässt meist etwas Entscheidendes aus: Reiten ist eben vor allem auch das Arbeiten an sich selbst, was im Umfeld barocker Reiterei Charakterschule genannt wird.
Auch unter reiterlichen Aspekten betrachtet ist Wildensteins Text ausschließlich als historische Quelle zu verstehen – eine unter vielen anderen. Es wird sich niemand diesem Text zuwenden, wenn er nicht auf der Suche nach etwas ist, das er in Quellen wie diesen zu finden hofft. Das kann vieles sein, und das Schürfen nach Erkenntnissen bleibt ihm frei überlassen. Ist er Reiter, sollte ihm bei der Lektüre klar werden: nicht alle Übungen sind heute noch als praktikabel anzusehen, geschweige denn gefahrlos nachzuvollziehen. Ich vertraue daher auf das geistige Rüstzeug des (reitenden) Lesers, mit dem er zu differenzieren weiß zwischen sinnvollen Reprisen und bloßem Dressieren eines Pferdes. Denn es ist weniger die Absicht des Textes als vielmehr der Inhalt, der zählt.
Ich wünsche dem Leser viele neue Impulse und Einsichten während der Lektüre. Zum Wohle der Pferde.
Thomas Thalmaier, Herbst 2022
Der erste Diskurs handelt von der Würde der Reiterei und worin diese löbliche Kunst besteht. Ebenso davon, wie ein Liebhaber dieser Kunst, wenn er sie erlernen will, beschaffen sein muss.
Soldat
Mein Herr, mit Eurer Erlaubnis! Einen Moment, ich bitte Euch. Man sagt mir viel von der Reiterei: was ist davon zu halten?
Kavalier
Guten Tag junger Herr! Ich kenn Euch nicht, aber ich kann nur sagen, unsere löblichen Alten Meister haben so viel auf die Kunst der Reiterei gehalten und so viele unsägliche große Kosten darauf verwandt, die jedoch nicht immer etwas mit dem Reiten zu tun hatten. Dennoch müssen wir uns die Alten auch noch bis heute gefallen lassen, weil wir uns kaum besser als sie erweisen.
Soldat
Ich meine, wenn einer sein Pferd auf gut reiterlich herum-werfen kann, mag er wohl einen Reiter ausmachen.
Kavalier
Ihr fragt zu Recht, doch nehme ich im Unterschied zu Euch an, dass der, den Ihr meint, ein wirklicher Reiter ist und nicht nur ein Bereiter. Letzterer ist dann nur ein guter Reiter nach seiner eigenen Art, wenn er für sich reitet und niemand die Fehler sieht.
Soldat
Welche Fehler? Große Herren machen auch Fehler? Wenn ich im Feld mit dem Feind zu tun habe, ob im Duell gegen einen Einzelnen oder in der Schlacht, wer achtet da auf meine Fehler? Ich meine, der größte Fehler ist doch der, wenn ich einem Feind unterliege.
Kavalier
Herr, das ist kein Fehler, sondern ein Unglück. Ich entnehme aber so viel aus Euren Darlegungen, dass Ihr nicht bei der Reiterei seid. Wisset aber unterdessen, dass es besser ist, mit geringer Mühe und schöner Anmut seinem Feind zu begegnen als ihm ungeschickt zu erliegen.
Soldat
Das ist zwar wahr, aber was wisst Ihr davon?
Kavalier
Oh, ich kann Euch versichern, alle couragierten Herren haben seit undenklichen Zeiten Grund gehabt, mehr auf eine zierliche Präsentation als auf ein albernes und ungeschicktes Treffen aus zu sein.
Soldat
Ach was? Hauptsache ist doch, ich besiege meinen Feind. Sei es aus Tugend oder aus Überzeugung, basta.
Kavalier
Ihr redet, wie es Euch in den Sinn kommt! Wisset aber und lernet, dass es weit rühmlicher und besser, ja auch sicherer ist, sich dem Feind mit besonderer Geschicklichkeit und aus gutem Grund zu ergeben, statt sich ihm aufs Geratewohl und mit blindem Glücke anvertrauen zu müssen.
Soldat
Gibt es denn auch in der Reiterei gewisse Gründe, wie man zu Pferd kämpfen soll?
Kavalier
Ja freilich. Die Bücher sind voll davon.
Soldat
Studiert und lernt ihr denn Reiterei aus den Büchern?
Kavalier
Zum Teil. Zunächst einmal sind gute, neue Bücher nie schlecht. Die beste Wissenschaft aber steckt in der Erfahrung, die aus täglicher Übung entsteht.
Soldat
Ihr macht mich neugierig und bringt mich auf eure Seite, obwohl ich zur Reiterei nie Lust gehabt habe.
Kavalier
Zur Reiterei muss man besondere Lust und Leidenschaft mitbringen. Ohne diese wäre es besser, ihr bleibt bei eurem Dünkel.
Soldat
Ich sage nicht, dass ich keine Lust dazu habe. Ich sage nur, dass ich sonst keine gehabt habe.
Kavalier
Wohlan denn! Ich lass es geschehen. Unterdessen seit gewiss, dass gute Reiter eher geboren werden, als dass man sie durch privaten Unterricht dazu macht.
Soldat
Was bedeutet das? Ich bin im Haus meiner Mutter, einer armen Bäuerin, und nicht als ein Reiter erzogen worden. Dann kann ich kein guter Reiter werden, wenn ich Euch recht verstehe?
Kavalier
So nicht, guter Freund. Ich will Euch hierdurch nur die besondere Lust vor Augen führen, die man zur Reiterei haben soll.
Soldat
Ihr hört ja, dass es mir an Lust nicht fehlt. Ich wollte, ich hätte heute schon ein schönes Ross von 1000 und mehr Talern, je schöner je lieber wäre es mir.
Kavalier
Das ist nicht die Lust, die ich an meinem Schüler zu sehen wünsche!
Soldat
Was versteht Ihr denn darunter? Ich möchte es gern wissen, weil ich es mir nun einmal vorgenommen habe, bei der Reiterei zu bleiben.
Kavalier
Wenn ich Euch in gutem Glauben und nur mit wenigen Worten sagen soll, was unter Lust der Reiterei verstanden wird und was dazu gehört, dann meine ich, dass Ihr mit ganzem Herzen ehrlich und geduldig sein müsst. Ebenso arbeitsam, und zum Dritten nicht weniger als ein nüchternes und mäßiges Leben führen sollt.
Soldat
Potz Schlapperbenk! Alle diese Dinge hat mir das Soldatenwesen schon ziemlich entwöhnt. Doch wenn es ums Arbeiten geht, will ich auch das Meine dazu tun.
Kavalier
Nicht nur mit Euren Armen, Fäusten und bald auch dem ganzen Leib müsst Ihr hier arbeiten. Sondern noch mehr mit dem Kopf und Eurer Vernunft, weil Ihr es nicht mit vernünftigen, sondern unvernünftigen Tieren zu tun habt, die dennoch wohlweislich mit aller Vernunft behandelt werden wollen.
Soldat
Ihr beurteilt die Sache und das Handeln in der Reiterei so hoch, dass ich dem vielleicht nie gerecht werde.
Kavalier
Das müsstet Ihr allerdings wissen: An einem guten Vorsatz, Anfang und Ende ist in allen Dingen, viel gelegen. So auch in der Reiterei.
Soldat
Den Vorsatz hätte ich wohl, wenn das Ende auch so glücklich wird.
Kavalier
Glück braucht man in allen Dingen, also auch in der Reiterei. Da man auf unbändigen und gleichsam wilden Tieren mit Leib- und Lebensgefahr sitzt, kann man sich ein Bein oder einen Arm, ja sogar den Hals brechen.
Soldat
Sei’s drum: den Krieg hab ich schließlich satt, zumal dabei wenig zu gewinnen ist und man gleichwohl tausend ähnliche Gefahren ausstehen muss. Ich will also in Gottes Namen nach Eurem Vorsatz anfangen, das Ende wird Gott vollbringen.
Kavalier
So ist’s recht. Jetzt gefallt Ihr mir weit besser als zu Beginn Eures Diskurses, als es schien, Ihr würdet das Mausern lernen wollen.
Soldat
Oh, nicht Mausern, sondern Dressieren und Bereiten.
Kavalier
Na, dann will ich Euch eine Adresse geben und einem meiner Freunde bestens empfehlen.
Soldat
Ich habe gehört, wer weit umgeht, der geht auch weit irre. Nein, Euch bitte ich, mich die löbliche und ritterliche Kunst der Reiterei zu lehren. Ich werde Euch mein Lebtag dafür dankbar sein.
Kavalier
Mein Freund, damit ich Euch nicht aufhalte und Ihr Euch nicht selbst betrügt, bekenne ich Euch frei, dass ich nicht in der Position bin, Euch diese Kunst zu lehren. Das werdet Ihr heute oder morgen beim Antritt dieser Kunst selbst erkennen.
Soldat
Ich bitte Euch dennoch, nehmt mich als einen Euren Diener an. Denn Euer Wissen ist in der Reiterei berühmt und kommt einem gleich, dessen Profession das Reiten ist. Ich will es Euch mit treuen Diensten und meinem Fließ danken.
Kavalier
Alles gut, alles gut. Das sagt Ihr zwar mit Bedacht, aber Ihr werdet es vielleicht noch bereuen, dass ihr bei mir den Anfang macht.
Soldat
Nun, es sei, wie es will, ich will’s wagen. Meine Gedanken haben mich noch nie getrogen:
Kavalier
So dann wage ich’s mit Euch in Gottes Namen! Nicht jeder Kunsterfahrene, der hiervon liest oder hört, wird mir zustimmen. Aber da ich hierbei keine eitle Ehre suche, sondern bloß zum Zeitvertreib und um mich manchmal selbst zu erfreuen diese Aufgaben angehe, sollt Ihr ebenso klar von mir unterrichtet werden, ohne hierbei auf besondere Fehler zu achten.
Soldat
Ich sage Euch hierauf schuldigsten Dank dafür, meine arme Person freiwillig anzunehmen. Ich werde euch dafür, wie es sich geziemt und Euch gebührt, Treue bezeugen mein Leben lang.
Kavalier
Nach meinem Unterricht habt Ihr dazu wohl allen Grund; denn es heißt: Leben und Ansehen gehen Hand in Hand, so kann man ebenso sagen: Eltern und Lehrer haben die Ehre, gleich angesehen zu werden. Das bedeutet: Lehrmeistern sei man nicht weniger treu als seinen eigenen Eltern.
Welches Alter, Farbe und andere Qualitäten ein Schulpferd haben soll
Soldat
Mein Herr, erlaubt, dass ich rede: Ich bin nun seit mehr als acht Tagen hier, ich wollte jetzt gern einen Anfang machen.
Kavalier
Wohlan! Du bist jetzt dran. Aber zu einem solchen Anfang gehört mehr.
Soldat
Was denn? Ich werde danach mit aller Möglichkeit trachten.
Kavalier
Es gehört hierzu vor allen Dingen ein schönes, junges Pferd im richtigen Alter, von guter Erscheinung, schöner Farbe und tadellos in allen seinen Extremitäten.
Soldat
Diese Worte verstehe ich nicht, sind mir allzu hoch. Könntet Ihr etwas deutlicher werden?
Kavalier
Nun, als das rechte und richtige Alter eines Schulpferdes versteht man ein Pferd von vollendeten vier Jahren. Unter einer guten Erscheinung sind nicht allein die inneren, sondern auch die äußeren Qualitäten des Körpers und aller seiner Glieder zu verstehen, an denen im Allgemeinen die inneren Kräfte zu erkennen sind: zum Beispiel, große Augen zeigen ein freudiges Gemüt an. Kurze und zusammen gesetzte Ohren? Füttere rasch und hurtig usw.
Anstatt Dir aber von den Qualitäten des ganzen Pferdeleibes ausgiebig zu erzählen, wie es der kleine Löhneysen und viele andere vor und nach ihm machen, will ich mich hier kurzfassen und Dich nur darauf hinweisen. Ich bringe nicht gerne Dinge vor, die mir nicht eigen sind.
Soldat
Denkt Ihr auch an die Farben bei diesen tadellosen Qualitäten?
Kavalier
Mit der Farbe ist wie mit dem Sprichwort: So viele Köpfe, so viele Ansichten. Gefällt dem einen das Fell gut wegen des Temperaments, mir aber gefällt kastanienbraun, das Pferd mit welcher Farbe wäre vorzuziehen?
Soldat
Ich will nicht Euren Unmut erregen. Aber ich verstehe nicht, was Ihr mir sagen wollt.
Kavalier
Ich will sagen, anhand dieser Beispiele kann man äußerliche bösen Zeichen eines Pferdes verstehen. Zum Beispiel die Beine, die, wenn sie übers Eck stehen, was die Italiener Traversati nennen. Oder Pferde, die alle vier Füße weiß haben, was die Spanier Quatralvos nennen. Dann, wenn ein Ross allein den hinteren rechten Fuß weiß hat, soll das ein derart gefährliches Zeichen sein, dass auch die Spanier hier von einem genau zu beobachtenden Pferd sprechen. Diese und was es noch unsägliche Fehler mehr gibt, soll und muss der verständige Bereiter beobachten. Weil aber die Reitbücher hiervon voll sind und gleichsam irrelevant viel Gerede davon machen, weise ich Dich hier und jetzt nur darauf hin, um der lieben Kürze willen.
Soldat
Und was für ein Pferd wollt ihr, das ich kaufe?
Kavalier
Wie gesagt, kauf ein Pferd mit solchen Gliedmaßen, worüber die Buchautoren informieren und dich unterrichten. Und dann, dass es recht kastanienbraun sei, nirgends mit Weiß gezeichnet außer einer schönen, ganz geraden schmalen Blesse, die am besten über den Augen anfängt und der Länge nach bis zu Nüstern herab geht.
Soldat
Aber mein Herr, solche Pferde sind heutzutage schwer zu bekommen. Sie sind kostbar und nur in großer Herren Ställen zu finden. Und was, wenn ich ein solches Pferd nicht bekommen sollte? Ist dann mein Wunsch, Reiten zu lernen, umsonst?
Kavalier
Nein, es ist ja nicht so, als wenn man auf einem anderen Ross, das nicht von dieser Qualität ist, die Kunst der Reiterei nicht begreifen könnte. Ich zeige dir hier nur, welche Qualitäten ein Pferd wenigstens haben sollte. Kannst Du ein goldenes Rad nicht bekommen, so bewirb dich um eine Speiche! Nicht jeder hat einen Geldbeutel wie die großen Herren. Aber man kann oft genauso viel bei einem hässlichen Ross sehen, lernen und erfahren wie bei einem schönen und wohlgestalteten.
Denn an einem Ungeschickten siehst du, wie es sein Tun mit schlechter Anmut und lauter Ungeschick verrichtet. An einem geschickten Pferd aber, wie es sein Tun mit guter Anmut und mit lauterem Geschick vollbringt.
Du lernst also umgekehrt an beiden. An dem einen Ungeschicklichkeit zu erkennen und deswegen zu meiden. Am Anderen, Geschicklichkeit zu beobachten und diese beherzt zu betreiben.
Soldat
So will ich mich dann in Gottes Name demnächst die Leipziger Messe besuchen und schauen, was ich bekommen kann.
Kavalier
Da wünsch ich Dir Glück.
Soldat
Ich will ein schönes Pferd kaufen, sollte ich auch all meinen im Krieg erworbenen Plunder dafür hergeben müssen.
Wie Schüler, die die Reiterei lernen, gekleidet sein sollen. Danach wird das zur Reiterei dienliche Pferd präsentiert.
Soldat
Mein Herr, ich bin mit der Gnade Gotte zurück aus Leipzig und präsentiere Euch hiermit mein eingekauftes Gut. Ich überlasse es nun Euch, das Pferd nach Eurem Verständnis zu begutachten.
Kavalier
Kehr es um, damit ich es von vorn betrachten kann.
Soldat
Wie Ihr wünscht.
Kavalier
Geh mit ihm ein Stück.
Soldat
Aber gern.
Kavalier
Par Dieu und ohne Scherz! Das hast du gut gemacht und ein Pferd von all den Qualitäten und der Farbe eingehandelt, wie ich es mir lange zu sehen gewünscht habe.
Soldat
Das höre ich gerne. Es ist aber teuer.
Kavalier
Sag den Wert.
Soldat
Der kostet 200 Goldmünzen. Ein Jahresgehalt.
Kavalier
Tja. Gute Pferde sind selten. Und teuer ist, was selten ist.
Soldat
Werde ich dann alles haben, was zur Reiterei vonnöten ist?
Kavalier
Nicht ganz, denn zur Reiterei gehören unter anderem zwei grundsätzliche Requisiten, zwei vornehme hauptsächlich. Nämlich ein gutes Pferd, das hast du. Und dann eine gute, schöne, zierliche und zur Reiterei dienliche Kleidung.
Soldat
Wie muss denn diese sein? Ich meine, meine Kleidung sei hierzu noch sauber genug.
Kavalier
Unter einer schönen Kleidung verstehe ich hier nicht eine herrliche Kleidung, wie etwa große Herren oder Cavaliers sie zu tragen pflegen. Sondern ein von gutem englischem Hirschleder gemachtes Paar Pumphosen, wie die edlen Pagen an großer Herren Höfen sie tragen. Von dem gleichen Leder sollte ein nach dem schlanken Leib geschnittenes französisches Wams sein, um deiner Positur Geltung zu geben - oder vielmehr, um dem Lehrer die Fehler deines Leibes hierdurch besser zu zeigen. Zum Dritten ein geschmeidiges, auf Pluvinellische Mode gearbeitetes Paar Stiefel, wo die Sporen mit langen und nur ein wenig eingebogenen Hälsen aufgesteckt werden. Und zum Vierten ein kleiner ansehnlicher Hut, der fest auf dem Kopf sitzt und über dessen Aufschlag ein feines, nach Belieben schwarzes, krauses Büschlein abwärts hängt.
Soldat
Wenn ich dann so gekleidet wäre, dürfte ich dann einmal aufsitzen?
Kavalier
Ja, das sei dir versprochen.
Soldat
Mit Eurer Erlaubnis gehe ich diese Stunde noch zum Schneider, damit ich bald aufsitzen kann.
Präsentiert die zur Reiterei gehörige Kleidung.
Soldat
Mein Herr, meine Reitkleidung ist nun fertig. Ich warte jetzt nur noch darauf, aufzusitzen.
Kavalier
Zieh die Sachen an und prüfe, ob sie Dir passen, wie ich es beschrieben habe.
Soldat
Ich weiß aber nicht, ob es Euch gefällt oder ob was fehlt oder verbessert werden muss.
Kavalier
Deine Staffierung gefällt mir vom Kopf bis Fuß recht gut. Also sitz in Gottes Namen nächsten Montag auf.
Handelt davon, wie man zierlich aufsitzen und sich ansonsten nach dem Aufsitzen auf dem Pferd verhalten soll.
Soldat
Na, dann will ich mal aufsitzen ...
Kavalier
...nicht so jäh, du Landsknecht! Warte, bis ich dir gesagt habe, wie man sich einem Pferd nähern soll, und behalte deine Rute in der Hand.
Soldat
Wie Ihr wünscht.
Kavalier
Also, nähere dich unerschrocken mit gesenkter Rute (nachdem du zuvor den Hut fest aufgesetzt hast) dem Pferd von vorne.
Soldat
Soll ich direkt auf den Kopf zugehen?
Kavalier
Nein, denn wenn das Pferd tückisch und untreu wäre, könnte es Dir leicht auf den Hals springen.
Soldat
Wie meint Ihr es dann, wie ich von vorne auf das Pferd zugehen soll?
Kavalier
Ich sage von vorn und nicht gegen den Kopf. Gemeint ist nach der vorderen linken Schulter zu, und zwar mehr von vorwärts als von rückwärts zur Schulter.
Soldat
(stellt sich, wie der Kavalier es wünscht)
Ist es so recht?
Kavalier
Da stehst Du schon ganz richtig.
Soldat
Aber wie beginne ich nun damit, dieses Pferd nach reiterlicher Art zu behandeln?
Kavalier
Jetzt darfst Du nicht lange zaudern, das Pferd kann sich sonst umwenden. Greife also sachte, jedoch nicht weniger wacker in die Zügel deines Pferdes, lass den Sattelknauf aus der Hand und teile die Zaumzügel mit dem Ringfinger voneinander, so wie sich dein kleiner Finger bei Führung des Cavezons auch verhalten soll.
Soldat
Muss ich denn das Cavezon besonders führen?
Kavalier
Natürlich, aber nicht in einer anderen Hand, sondern nur so, dass dein kleiner Finger den linken Zügel des Nasbands vom Rest der Zügel trennt. Die ganze Hand bleibt aufrecht, und der Daumen nicht der Länge nach darüber.
Soldat
Wie soll ich nun also aufsitzen?
Kavalier
Wie die es Dir vorstellst.
Soldat
Ich weiß aber nicht genau, wie.
Kavalier
Halte die Rute in der rechten Hand erhoben in Richtung des linken Ohres deines Pferdes.
Soldat
Ist es so richtig?
Kavalier