Gefährliche Gier - Claudia Praxmayer - E-Book
SONDERANGEBOT

Gefährliche Gier E-Book

Claudia Praxmayer

0,0
5,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Preis der Bluterde: Der erschütternde Umwelt-Thriller »Gefährliche Gier« von Claudia Praxmayer jetzt als eBook bei dotbooks. Im Dschungel lauert der Tod … Die engagierte Artenschützerin Dr. Lea Winter ist für ein Naturschutzprojekt für Gorillas im Kongo verantwortlich – und entsetzt, als sie erfährt, dass skrupellose Geschäftemacher nicht davor zurückschrecken, die majestätischen Tiere auszurotten, um in ihrem Lebensraum nach Coltan zu schürfen. Wild entschlossen, die Gorillas zu retten, reist Lea selbst in den kongolesischen Dschungel. Doch dort muss sie am eigenen Leib erfahren, dass Gewalt und Korruption in diesem Land an der Tagesordnung sind: Lea findet sich im Visier einer gefährlichen Mafia wieder, deren Wurzeln tief in die westliche Welt reichen … Aufrüttelnd und von erschreckender Aktualität: Claudia Praxmayer erzählt in ihrem fesselnden Thriller, welchen grausamen Preis das Erz Coltan hat, das in jedem Smartphone und vielen anderen technischen Geräten steckt. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der temporeiche Thriller »Gefährliche Gier« von Claudia Praxmayer, auch bekannt unter seinem alten Titel »Bluterde«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 427

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Im Dschungel lauert der Tod … Die engagierte Artenschützerin Dr. Lea Winter ist für ein Naturschutzprojekt für Gorillas im Kongo verantwortlich – und entsetzt, als sie erfährt, dass skrupellose Geschäftemacher nicht davor zurückschrecken, die majestätischen Tiere auszurotten, um in ihrem Lebensraum nach Coltan zu schürfen. Wild entschlossen, die Gorillas zu retten, reist Lea selbst in den kongolesischen Dschungel. Doch dort muss sie am eigenen Leib erfahren, dass Gewalt und Korruption in diesem Land an der Tagesordnung sind: Lea findet sich im Visier einer gefährlichen Mafia wieder, deren Wurzeln tief in die westliche Welt reichen …

Aufrüttelnd und von erschreckender Aktualität: Claudia Praxmayer erzählt in ihrem fesselnden Thriller, welchen grausamen Preis das Erz Coltan hat, das in jedem Smartphone und vielen anderen technischen Geräten steckt.

Über die Autorin:

Claudia Praxmayer ist gebürtige Salzburgerin und hat Biologie studiert. Sie arbeitet in München als selbstständige PR-Beraterin und Autorin mit dem Schwerpunkt Medizin und Naturwissenschaft. Als aktives Mitglied des NABU Deutschland engagiert sie sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im Bereich Artenschutz und setzt sich für bedrohte Tierarten ein.

Claudia Praxmayer veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Reihe um Lea Winter mit den Bänden »Spuren aus Eis«, »Wolfsbrut« und »Gefährliche Gier«.

Die Autorin im Internet:

www.praxmayer.de

www.facebook.com/Claudia-Praxmayer-185365548303539

***

Überarbeitete eBook-Neuausgabe November 2019, Oktober 2022

Dieses Buch erschien bereits 2013 unter dem Titel »Bluterde« bei Knaur eBook.

Copyright © der Originalausgabe 2013 Knaur eBook. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG München

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock/Mikhail Semenov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-96148-735-6

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Gefährliche Gier« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Claudia Praxmayer

Gefährliche Gier

Thriller

dotbooks.

Prolog

Vorsichtig bog er den Farn zur Seite. Jetzt hatte er freie Sicht auf sie. Endlich. Er lächelte.

Milla. Seine Milla.

Zierlich war sie, fast dünn. Trotzdem. Sie hatte es geschafft. Entspannt saß sie im Schatten eines großen Ebenholz-Baumes und beobachtete ihren Sohn Kivu beim Spielen. Kivu, ihren Erstgeborenen. Das Gesichtchen vor Konzentration in Falten gelegt. Seine ganze Aufmerksamkeit galt einem hellen Fleck, den die Sonne zitternd auf den Boden malte. Seine kleinen Finger griffen danach, doch der Kringel blieb stur liegen. Das Stöckchen daneben zeigte sich weniger widerspenstig. Aufmerksam befühlte und beschnupperte er es und versank in ein Spiel, das ihn auf das Leben vorbereitete.

Dr. Femi Oranghi stand von seinem Beobachtungsposten auf und bewegte sich leise rückwärts. Er war zufrieden. Milla, das jüngste Gorilla-Weibchen aus der Kibango-Gruppe, machte seine Sache als Mutter gut.

Kapitel 1

Lea ließ ihnen Zeit, das Gehörte zu verarbeiten. Sie wusste aus Erfahrung, wie schwer es den Zuhörern fiel, die Realität zu akzeptieren. Gelegentlich wurde sie in ihren Vorträgen sogar als Lügnerin beschimpft. Sie konnte das verstehen. Würde sie nicht selbst mit Gorillas arbeiten, hätte sie vermutlich auch Zweifel. Es war schwer zu begreifen, was im Kongo passierte. Lea wandte sich wieder dem Publikum zu und betrachtete die Gesichter in den ersten Reihen.

»Geschätzte 5.000 bis 7.000 Grauergorillas leben noch in der Demokratischen Republik Kongo. Wenn wir es nicht schaffen, den Verlust ihres Lebensraums und die Wilderei einzudämmen, werden sie in 10 bis 15 Jahren ausgestorben sein.«

Sie machte eine Pause und beobachtete die Reaktion auf ihre Worte. Es funktionierte. Langsam wich der Zweifel aus den Gesichtern und machte der Betroffenheit Platz. Zehn Jahre waren greifbar, dieser Zeitraum ließ niemanden die Wahl, unbeteiligt zu bleiben. Lea war überzeugt, dass den meisten Menschen die Zukunft der Erde herzlich egal war – solange nicht ihr eigenes Leben betroffen war. Gegen diese Ignoranz wollte sie kämpfen. Sie konnte einfach nicht anders. Ihr Großvater hatte ihr die Liebe zur Natur ins Herz gepflanzt. Schon als kleines Mädchen war er mit ihr auf Expedition gegangen - in den Wald und auf die Felder, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Kaum neun Jahre alt, kannte sie alle Bäume, Blumen, Gräser und Pilze, konnte die Fährte eines Rehs von der einer Hirschkuh unterscheiden und wusste, wo Dachse und Füchse ihre Bauten anlegten.

Im hinteren Drittel des Saals hob jemand die Hand.

»Sie haben eine Frage?«

Ein Mann stand auf. Er war auffällig korrekt gekleidet. Männer im Jackett begegneten Lea für gewöhnlich nur, wenn sie Vorträge in Unternehmen hielt. Sonst war ihr Publikum bunt gemischt – Studenten, Senioren, aktive Umweltschützer. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Was wollte der Kerl? Sie wappnete sich für eine verbale Breitseite und spannte unbewusst ihren Körper an.

»Ich würde gerne wissen, was man dagegen unternehmen kann?« Beinahe hätte Lea laut gelacht. Sie wurde langsam paranoid. »Gute Frage.«

Sie löste sich vom Stehpult und machte einen Schritt auf das Publikum zu.

»Das Problem ist vielschichtig. Zum einen muss dafür gesorgt werden, dass die illegale Entnahme von Rohstoffen wie Holz oder Mineralien aus den Nationalparks aufhört, um die Zerstörung der Lebensräume zu verhindern. Klingt einfacher, als es ist, da die schwierige politische Situation und die permanenten Unruhen im Kongo hier eine wesentliche Rolle spielen. Zum anderen müssen Alternativen für die lokale Bevölkerung geschaffen werden – die Menschen müssen überleben können, ohne auf die Ressourcen der Nationalparks zurückzugreifen. Ebenfalls eine große Herausforderung.«

Der Mann beobachtete sie aufmerksam und neigte den Kopf zur Seite.

»Und Sie lieben Herausforderungen, oder?«

Lea fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie straffte ihre schmalen Schultern.

»Es geht hier ausschließlich darum, für diese Probleme sinnvolle Lösungen zu entwickeln.«

Sie sah ihm direkt in die Augen.

»Um das zu schaffen, reicht guter Wille und Geld alleine leider nicht aus. Wir sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, eine gute Verbindung zu den Menschen vor Ort zu haben. Wir müssen ihre Sorgen, Nöte und Bedürfnisse aber auch ihre Kultur kennen, um realistische Maßnahmen zu entwickeln. Und genau darum bemühen wir uns bei der »Wildlife Protection Society«. Sie hielt ihn mit ihrem Blick fest, wie ein Löwe seine Beute. Der Fremde nickte.

»Ich stimme Ihnen zu. Probleme in Afrika durch die europäische Brille zu betrachten wäre vermessen.«

Leas Augen brannten, ihre Nackenmuskeln fühlten sich an wie ein gespanntes Gummiband. Der Tag im Büro und der Vortrag waren anstrengend gewesen. Sie klappte ihr Laptop zu, rollte die Kabel sorgfältig zusammen und sortierte ihre Unterlagen zu einem sauberen Stapel. Sie freute sich darauf, endlich nach Hause zu kommen. Duschen, essen, lesen.

»Ihr Vortrag war sehr beeindruckend, Frau Dr. Winter.«

Lea drehte sich um und stand unvermittelt dem Mann im Anzug gegenüber. Jetzt, bei Licht und aus der Nähe fiel ihr auf, dass er einen durchdringenden Blick aus seltsam grünen Augen hatte - neben seiner eleganten Kleidung das Auffälligste an ihm.

»Danke. Freut mich, dass er Ihnen gefallen hat.«

Sie hatte keine Lust auf Konversation mit dem Fremden und ihr Tonfall war eine Spur kühler als beabsichtigt. Er streckte ihr seine kräftige Hand entgegen.

»Ian McAllister.«

Sein Deutsch war beinahe akzentfrei, aber Lea erkannte die kleinen Unterschiede in der Betonung sofort. Er sprach wie ihr Vater.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. McAllister. Darf ich fragen, was Sie in meinen Vortrag geführt hat?«

»Nennen Sie mich Ian. Um es kurz zu machen: Ihr Gorilla-Projekt im Kahuzi-Biega-Nationalpark.«

Lea war irritiert. Zum zweiten Mal an diesem Abend fragte sie sich, was dieser Mann von ihr wollte. Als ob er ihre Gedanken lesen konnte, fuhr er fort:

»Ich arbeite für Interpol. Genauer gesagt für die Environmental Crime Unit.«

Er legte eine Visitenkarte auf ihre Unterlagen.

»Ich erkläre Ihnen gerne mehr. Haben Sie Zeit für einen Drink?«

Als sie das Museum verließen, stellte Lea fest, dass McAllister unwesentlich größer war als sie selbst und beglückwünschte sich zu ihrer Entscheidung vom Morgen, flache Schuhe zu tragen. Sie steuerten eine Weinbar in der Chausseestraße an. Lea wählte einen Tisch in der hinteren Ecke des Lokals, etwas abseits von den anderen Gästen. Sie bestellte ein Glas Sauvignon Blanc und wartete darauf, dass McAllister den Anfang machte.

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie vorher überfallen habe. Aber ich bin nur noch bis morgen in Berlin und wollte Sie unbedingt treffen.«

Er lehnte sich über den Stehtisch etwas nach vorne. Lea beobachtete die Bewegung ihres Gegenübers amüsiert. Was sollte das werden? Ein konspiratives Treffen?

»Ich hatte Termine beim LKA hier in Berlin. Bei dieser Gelegenheit habe ich von Ihnen und Ihrer Organisation gehört«.

War es der Wein oder die Müdigkeit? Lea hatte das Gefühl, dass der Abend immer surrealer wurde.

»Was haben wir mit dem Landeskriminalamt zu tun?«

McAllister lächelte schmal.

»Überhaupt nichts. Aber ich leite bei Interpol eine internationale Arbeitsgruppe, die sich mit dem illegalen Schmuggel von Rohstoffen aus dem Kongo beschäftigt. Mein deutscher Kollege erwähnte Ihr Gorilla-Projekt im Kahuzi-Biega-Nationalpark. Das hat mich neugierig gemacht.«

»Glauben Sie etwa, wir haben da unsere Finger im Spiel?« Jetzt war es an ihrem Gegenüber, laut aufzulachen.

»Nein, natürlich nicht. Ich sammle Informationen. Deshalb möchte ich Sie bitten, mir von Ihrem Projekt zu erzählen. Schließlich engagieren Sie sich in einem Gebiet, das reich an Bodenschätzen ist. Es könnte doch sein, dass Ihre Kollegen vor Ort das ein oder andere beobachten.«

Leas Hände zitterten und sie stellte fest, dass ihr das Zuhören schwerfiel. Ihr Blutzuckerspiegel hatte gerade den absoluten Tiefpunkt erreicht. Ohne die Augen von ihrem Gesprächspartner zu nehmen winkte sie Max, dem Kellner.

»Sorry Ian, ich habe heute kaum etwas gegessen. Wie sieht es mit Ihnen aus?«

McAllister nahm eine der abgegriffenen Speisekarten, die Max auf den Tisch gelegt hatte.

»Gute Idee, ich könnte auch einen Bissen vertragen.«

Er studierte die Karte aufmerksam und Lea hatte Zeit, ihn genauer zu betrachten. Wieder fielen ihr seine Wolfsaugen in dem sonst unauffälligen, aber nicht unangenehmen Gesicht auf. Seine Haut war hell, sein Haar braun und drahtig, fast wie Fell. Sein Körper wirkte auf sportliche Art kompakt. Der Anzug saß gut.

»Können Sie mir etwas empfehlen?«

Obwohl sie die Karte so gut wie auswendig kannte, ließ Lea ihren Blick darüber schweifen, um sich wieder zu sammeln.

»Wie wäre es mit dem warmen Ziegenkäse an Blattsalaten? Schmeckt gut und passt zu ihrem Rotwein.«

Max klemmte die Speisekarten unter den Arm, nahm ihre Bestellung auf und verschwand.

»Um auf Ihre Frage zurückzukommen. Was genau möchten Sie über unser Projekt wissen?«

McAllister griff nach seinem Glas und ließ den dunkelroten Wein darin kreisen.

»Wir haben Informationen, dass es in Ihrem Projektgebiet eine illegale Coltan-Mine gibt und Grund zur Annahme, dass eine Rebellengruppe den Erzabbau dort kontrolliert. Was mich interessiert ist, ob Ihre Leute davon wissen oder ob es vielleicht sogar schon Begegnungen mit den Rebellen gegeben hat.«

»Interpol interessiert sich also auch für die Bodenschätze im Kongo?«

Lea schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf. Es war spät geworden und sie würde wieder einmal nicht genug Schlaf bekommen. Sie ließ den Schlüssel in die Silberschale auf dem Sideboard fallen. Eigentlich war sie zu müde zum Duschen, doch sie wusste, dass sie es nicht ertragen könnte, klebrig und verschwitzt in ihrem Bett zu liegen. Sie ließ das warme Wasser lange über ihren verspannten Nacken laufen, bevor sie ihre kurzen, dunklen Haare unter einem Schaumberg begrub. In ein Badetuch gehüllt ging sie auf ihrem Weg ins Schlafzimmer am Anrufbeantworter vorbei. Das rote Licht blinkte. Zwei neue Nachrichten. Vermutlich Jens, der schon vor ein paar Stunden versucht hatte, sie auf dem Handy zu erreichen. Aber sie hatte keine Lust, die Sprachkonserve abzuhören und nahm sich vor, ihn am nächsten Tag anzurufen.

Erschöpft in ihr Kissen geschmiegt ließ sie den Abend mit McAllister noch einmal Revue passieren. Gesprächsfetzen summten wie Bienen in ihrem Kopf und langsam entzogen sich die Gedanken ihrer Kontrolle. Der Engländer hatte es geschafft, sie zu beeindrucken. Sie glitt hinüber in den Schlaf und träumte von britischen Geheimagenten, die sich eine Verfolgungsjagd mit einem Gorilla lieferten.

Am nächsten Morgen stand Lea im Gedränge an der S-Bahn Station Hackescher Markt. Schüler mit schweren Ranzen, Arbeiter in Blaumännern, sorgfältig geschminkte Frauen und Menschen mit grauen Gesichtern und Klamotten wogten um sie herum. Sie bemerkte es kaum. Wenigstens hatte sie bis zum Savignyplatz noch sieben Stationen Zeit, wach zu werden. Sie zwang sich, ihren Tag gedanklich zu strukturieren. Die morgendliche Tasse Kaffee im Büro war das erste, was ihr dazu einfiel. Dann Post und E-Mails abarbeiten, danach Meeting mit Dagmar und Bodo. Die Statusbesprechung zum Kongo-Projekt mit den beiden Gründern der Wildlife Protection Society oder WPS, wie alle im Büro die Organisation abkürzten, würde bestimmt eine Stunde dauern. Kurze Mittagspause, danach musste sie dringend an ihrem Blog arbeiten. »GorillaTalk« war eine Herzensangelegenheit. Vor knapp einem Jahr hatte sie begonnen, über die bedrohten Grauergorillas und die schwierige Arbeit ihres Kollegen Femi Oranghi und seiner Ranger in einem der gefährlichsten Länder der Welt zu bloggen. Lea war klar, wie wichtig das weltweite Netz für WPS und die Projekte war. Der Erfolg gab ihr Recht. Mittlerweile verfolgten über 800 Menschen ihren Blog und kommentierten das Geschriebene. Natürlich waren auch Spinner darunter, die sich mit unqualifizierten Kommentaren zu Wort meldeten. Aber die meisten Leser waren ernsthaft am Schicksal der Tiere und ihres Lebensraums interessiert. Lea schrak hoch. Über ihre Grübeleien hätte sie um ein Haar ihre Station verpasst. Schnell raffte sie ihre Sachen zusammen und sprang in letzter Minute aus der Bahn. Draußen erwartete sie die kühle Aprilluft, die den letzten Rest ihrer Schlaftrunkenheit vertrieb. Fröstelnd zog sie ihre Strickjacke enger um sich und machte sich auf den Weg zum Büro. Im Treppenhaus stieß sie beinahe mit Dagmar Elbmeier zusammen.

»Morgen Lea! Die rundliche Frau musterte sie von oben bis unten und schmunzelte amüsiert.

«So verpennt wie du aussiehst, hast du heute Nacht wohl zu viel Sex und zu wenig Schlaf gehabt?«

Lea mochte die raubeinige Geschäftsführerin. Wäre sie ihr nicht vor zwei Jahren auf einem Symposium in Hamburg in die Arme gelaufen, würde sie vermutlich immer noch halbherzig ihrem Laborjob am Max-Planck-Institut in Tübingen nachgehen. Evolutionsbiologie. Die Entscheidung, ihren Job und ihre Freunde für den Artenschutz aufzugeben, war ihr anfangs schwergefallen. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, ihren Traum zu leben. Tagelang hatte ihre Vernunft gegen sie gearbeitet. Sei nicht dumm, Lea! Renommiertes Institut, sicherer Job, anständige Bezahlung. Was willst du mehr? Eine Endlosschleife von Existenzangst getriebener Beweisführung. Erst eine Flasche Rotwein konnte die nörgelnde Stimme zum Schweigen bringen. Lea erinnerte sich daran, was ihr Großvater über wahre Berufung und Leidenschaft erzählt hatte. Noch in der gleichen Nacht setzte sie sich, beschwipst wie sie war, an den Rechner und schrieb Dagmar eine E-Mail. Sie hatte ihre Zusage nie bereut.

»Schön wär’s, aber ich habe mir die halbe Nacht mit einem Typen von Interpol um die Ohren geschlagen. Und bevor du auf dumme Gedanken kommst: rein geschäftlich natürlich.«

Dagmar blieb auf der Treppe stehen und drehte sich schwer atmend zu ihr um. Eine Strähne hatte sich aus ihrem hochgesteckten, roten Haar gelöst.

»Interpol? Was hast du geschäftlich mit Interpol zu tun?« Lea verdrehte die Augen und lachte.

»Schau mich nicht so entsetzt an. Ich werde es euch später im Meeting erklären.«

Dagmar runzelte die Stirn und setzte sich wieder in Bewegung Richtung dritter Stock. Wie so oft bei alten Häusern in Berlin gab es keinen Fahrstuhl. Obwohl es noch früh war, durchzog schon der Duft nach Kaffee den Flur des WPS-Büros. Lea stellte ihre Tasche auf den Schreibtisch. Im Bad wusch sie sich die Hände ausgiebig mit Seife, bevor sie in die Küche ging, um sich eine Tasse Kaffee zu nehmen. Der Kontakt mit S-Bahn-Haltestangen, Treppengeländern und Türgriffen rief massive Ekelgefühle in ihr hervor. Sie umschlang die heiße Tasse mit beiden Händen, wärmte ihre klammen Finger auf und schlenderte in ihr Büro. Jens lachte, wenn sie das tat. Er war überzeugt, dass ein paar Kilo mehr auf den Rippen Abhilfe gegen kalte Hände und Füße schaffen würden.

Jens! Beinahe hätte sie wieder vergessen, dass sie ihn anrufen wollte. Jens, ihre Dauer-Affäre. Guter Sex ohne Verpflichtung. Ganz nach ihrem Geschmack. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, riss ein Post-it vom Block, machte sich eine Notiz und klebte sie an ihren Computer. Der Rechner, ein altes Ungetüm, fuhr hoch. Lea loggte sich ein und die Nahaufnahme eines Gorillas, der sich eine Handvoll Blätter ins Maul stopfte, erschien. Ihre Miene hellte sich auf. Obwohl sie den Bildschirmschoner schon seit Monaten auf ihrem Computer hatte, lockte ihre das versonnene Gesicht von Milla immer noch ein Lächeln auf die Lippen. Milla, ihr haariges Patenkind im Kongo und Femis Sorgenkind. Dagmars Kopf erschien in der Tür.

»Lea, wir müssen unser Meeting auf morgen verschieben. Ich bekomme Besuch aus dem Primatenzentrum in Göttingen.«

Lea nickte, die geschenkte Zeit kam ihr sehr gelegen. Seit Tagen manifestierte sich ihr schlechtes Gewissen in Form eines dicken Stapels Unterlagen auf ihrem Schreibtisch - sie hatte genug zu tun. Sie öffnete ihr Notizheft und fügte der Liste für den heutigen Tag noch schnell einen weiteren Punkt hinzu: E-Mail an Femi bzgl. McAllister ...

Omari Malamba kniete sich auf den schlammigen Boden, legte seine Waffe ab und untersuchte vorsichtig die Zweige. Sie waren geknickt und das Gras dazwischen flacher als gewöhnlich. Für ein ungeübtes Auge war der Unterschied kaum zu erkennen, aber Omari Malamba war nicht nur der Chef der WPS-Wildhüter-Truppe, sondern auch ihr bester Fährtenleser. »Sie müssen vor Kurzem hier durchgekommen sein.«

Er hob die Hand und gab den Männern mit zwei Fingern das Zeichen zum Weitergehen. Femi Oranghi betrachtete ihn zufrieden. Omari war ein Glücksgriff für das Projekt. Er hatte den bulligen Mann vor drei Jahren von der Parkbehörde übernommen, als wieder einmal kein Geld da war, um die kargen Gehälter der Parkranger zu bezahlen.

Sie arbeiteten sich mit ihren Macheten schweigend durch den Dschungelfilz, als plötzlich ein sonderbarer Geruch in der Luft lag. Der Primatologe und seine vier Wildhüter rochen die Gorillas, bevor sie das erste schwarze Gesicht durch die krautigen Sträucher erkennen konnten. Sie verlangsamten ihre Schritte, um die Tiere nicht zu erschrecken. Ein grüner Vorhang, gewoben aus Lianen und Kletternesseln, verdeckte die Sicht. Femi schob ihn vorsichtig zur Seite und hatte freien Blick auf eine Lichtung, auf der sich vierzehn Grauergorillas dem Fressen und Spielen widmeten.

»Es ist Kiku mit seiner Gruppe«, flüsterte er seinen Männern zu. Sie ahnten alle, dass der mächtige Silberrücken sie längst bemerkt hatte, obwohl er sich völlig unbeteiligt gab. Gemächlich entlaubte er einen Zweig, indem er ihn wie einen Strohhalm durch sein mächtiges Gebiss zog. Während er die Blätter mit kräftigen Kiefern zu Brei zermalmte und nach dem nächsten Imbiss angelte, beobachtete er sie aus seinen dunklen Augen.

Omari fischte ein Klemmbrett aus seiner Tasche und begann mit den üblichen Aufzeichnungen über Gruppengröße, Gesundheitszustand der Tiere und Fressverhalten. Die anderen Männer suchten währenddessen den Boden nach Gorilla-Dung ab, der regelmäßig auf Krankheitserreger untersucht wurde. Femi fluchte leise. Er wollte sich einen besseren Stand verschaffen, um bei den Videoaufnahmen eine ruhige Hand zu haben, aber das borstige Gestrüpp widersetze sich seinen schweren Stiefeln. Ein dünner Schweißfilm überzog seine Stirn. Er wollte sich mit dem Ärmel seiner Jacke das Gesicht abwischen, hielt aber mitten in der Bewegung inne.

Kiku erhob sich von seinem Fressplatz, stemmte die massigen Oberarme in den Boden und reckte seinen Kopf fast arrogant in die Höhe. Mit dem typischen Brummen, als ob sich ein heiserer alter Mann räuspern würde, bewegte er sich langsam auf ein paar Weibchen der Gruppe zu. Femi beeilte sich, die Videokamera in Anschlag zu bekommen. Er nestelte hektisch am Linsendeckel herum und registrierte, dass Kiku aus seinem Blickfeld verschwunden war. Während seine Finger weiter versuchten, den Deckel abzuschrauben, wanderten seine Augen über die Lichtung. Keine Spur von Kiku.

Ein paar Meter vor ihm begannen die Farne zu wirbeln wie ein Meer bei Sturm und ein in grelles Kreischen zerschnitt die Stille.

Femi erstarrte, als der gewaltige Gorillamann durch den grünen Hintergrund brach. Mit der Wucht eines Panzers schoss er direkt auf ihn zu. Fünf Meter, vier, drei - kurz bevor Kiku den Forscher erreicht hatte, drehte er nach rechts ab und verschwand lautstark im Unterholz.

Femi atmete langsam aus. Obwohl er das Spiel kannte, trieb es sein Adrenalinspiegel jedes Mal in die Höhe. Er wusste, dass ihn der Silberrücken nicht wirklich angreifen, sondern demonstrieren wollte, wer hier im Regenwald der Chef war. Entgegen der gängigen Meinung war King Kong nicht repräsentativ für diese friedfertigen Primaten.

Hinter ihm gluckste Omari.

»Du warst schon zu lange nicht hier Femi. Kiku erkennt dich nicht mehr.«

Am späteren Nachmittag ging ein kräftiger Regenschauer nieder. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich der Boden in knöcheltiefen Schlamm und die Männer kämpften sich halb rutschend zurück zum Camp. Sie waren hungrig und müde, als sie das provisorische Lager erreichten. Als Jüngstem der Truppe fiel Adolphe die Aufgabe zu, das Essen zuzubereiten. Er verschwand in einem der drei Zelte und stöberte in der luftdichten Metallkiste nach geeigneten Zutaten. Femi wollte die Pause nutzen, um seine Beine im Zelt auszustrecken. Er zog das feuchte T-Shirt aus, wischte sich damit das Gesicht ab und rieb seine Haare trocken. Dann kramte er ein Hemd aus seinem Rucksack und zog es über. Er legte sich auf seine Matte und hörte zu, wie sich die Männer draußen in Lingala unterhielten. Er genoss den Klang der Sprache mit den vielen weichen Nasallauten und melodischen französischen Elementen. Erinnerungen an seine Kindheit in Kinshasa überschwemmten sein Gehirn. Er dachte an seine Mutter. Sie hatte sich mit ihm so gut wie nie auf Französisch unterhalten, Lingala ging ihr leichter von den Lippen. Obwohl ihn das monotone Gemurmel vor dem Zelt schläfrig gemacht hatte, nahm er die Veränderung in Omaris Stimme sofort wahr. Es ging um die Coltan-Mine, die hier in der Nähe lag. Femi wusste, dass er Omari und seinen Männern mit der Betreuung des neuen Forschungsgebietes einiges zumutete. Mit den Rebellen war nicht zu spaßen. Seine Ranger würden viel darum geben, weiter mit ihren anderen Kollegen im relativ sicheren Ostteil des Kahuzi-Biega-Nationalparks auf Gorilla-Patrouille zu gehen und Touristen zu führen. Aber Femi brauchte die besten Männer hier – im Westteil des Parks.

Omari spähte durch die Zeltplanen.

»Essen ist fertig. Es ist trocken, wir können draußen sitzen.«

Lange war nur das Kratzen der Löffel in den Blechnäpfen zu hören. Als der letzte Rest Saka Saka, Maniokbrei mit Palmöl, in den Mägen der Männer verschwunden war, lehnte sich Femi zurück und blickte in die vier schweigenden Gesichter.

»Es gab letzte Woche also wieder Stress?«

Omari nickte.

»Wir brauchen Verstärkung hier draußen. Ein bis zwei Männer.«

Femi strich sich langsam mit Daumen und Zeigefinger über den schmalen Bart.

»Ich habe bereits mit WPS in Deutschland gesprochen und um Geld für einen zusätzlichen Mann gebeten. Ich hoffe, dass Lea mir nächste Woche Bescheid gibt.«

Joseph sprang auf, griff nach der betagten Kalaschnikow neben sich und schüttelte sie heftig.

»Femi! Die Waffen sind alt, die Ausrüstung schlecht und wir zu viert. Wie sollen wir es da mit den Rebellen aufnehmen?«

Femi hob die Hand und bedeutete ihm, sich wieder hinzusetzen.

»Gar nicht, weil das nicht euer Job ist. Ihr sollt unsere Gorilla-Gruppen beobachten und dafür sorgen, dass die Wilderer ihre Finger von ihnen lassen.«

Josephs Gesicht zog sich zusammen.

»Du weißt genau, dass sich die Tiere oft im Einzugsgebiet der Minen herumtreiben. Die Rebellen sehen es gar nicht gerne, wenn wir dort Gorillas zählen.«

»Schluss jetzt Joseph«,schnitt Omari ihm das Wort ab.

 »Ich habe Femi schon von unserer Begegnung mit dem Kommandanten erzählt. Er weiß Bescheid.«

Die Schultern der Männer waren gebeugter, als die Müdigkeit forderte, und ihre Augen tasteten unruhig die Umgebung ab.

»Er hat gesagt, wir sollen uns von hier verpissen.«

Omaris Handkante bewegte sich wie ein Messer blitzschnell über seine Kehle.

»Dieser Crocodile will natürlich nicht, dass wir ihm bei seinen illegalen Geschäften in die Quere kommen. Außerdem erschwert ihr mit euren Patrouillen die Fleischbeschaffung für das Camp.«

Femi stocherte mit einem Stock im Boden.

»Aber es ist wichtig, dass wir hier sind. Egal, ob uns alle für verrückt erklären. Diese Bastarde killen jedes Tier, das ihnen zwischen die Finger kommt und das mitten im Nationalpark!«

Er brach den Stock in kleine Teile und schleuderte ihn ins Gebüsch. Als Antwort kam ein leises Rascheln zurück.

Der Cursor am Bildschirm blinkte nervtötend. Leas Finger lagen auf den Tasten, bereit jeden Anflug von Kreativität sofort in Buchstaben umzusetzen. Doch ihre rechte Gehirnhälfte verweigerte den Dienst. Lea betrachtete die Scheibe ihres Bürofensters, an der Regentropfen im Sonnenlicht blinkten. Typisch Aprilwetter, dachte sie.

Normalerweise flogen ihr die Sätze für »Gorilla Talk« nur so zu, aber heute gab es anscheinend ein großräumiges Landeverbot für Ideen. Was McAllister tatsächlich über die Erzminen im Kongo wusste? Bestimmt mehr, als er in dem Gespräch vor zwei Wochen zugegeben hatte. Wie sein Alltag bei Interpol aussehen mochte? Lea konnte sich einfach nicht konzentrieren. Abrupt schob sie ihren Bürostuhl nach hinten und stand auf. Sie lief ein paar Minuten in ihrem Büro auf und ab, streckte sich und atmete tief durch. Warum nicht aus der Not eine Tugend machen? Noch im Stehen tippte sie ein paar Notizen in ihren Computer. Wenn sie ohnedies darüber grübelte, konnte sie McAllister’s Thema auch gleich zu ihrem machen. Das war die Idee! Das würde ihr Gelegenheit geben, ihren Sponsor Movia öffentlich zu loben. Zufrieden mit ihrem Gedankenblitz zog sie den Stuhl wieder zu sich und begann zu schreiben.

Gorilla Talk 16

»Coltanabbau gefährdet Grauergorillas«

... Fast jedes Mal, wenn ich zu meinem Handy greife, packt mich das schlechte Gewissen. Zwar weiß ich, dass in meinem Modell von Movia garantiert keinen Kondensator eingebaut ist, der Coltan bzw. Tantal (Bestandteil von Coltan)aus dem Kongo enthält. Trotzdem. Wie viele Handys mag es wohl geben, die ohne das oft illegal abgebaute Metall aus dem krisengebeutelten Staat keinen Piep von sich geben würden? Und wie sieht es eigentlich mit meinem Laptop aus? Ist das frei von »Blut-Coltan«, mit dem die Rebellen ihre Waffen finanzieren? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht genau, denn die Hersteller sind äußerst schweigsam, wenn man sie danach fragt. Was uns natürlich nicht davon abhält, sie immer wieder mit lästigem Nachfragen zu nerven ...

Wie Ihr wisst, liegen mitten in unserem neuen Gorilla-Projektgebiet im Kahuzi-Biega-Nationalpark einige der illegalen Coltan-Minen, die von Rebellen kontrolliert werden. (Ehemaligen Hutu-Kämpfer, die nach dem Völkermord 1994 aus Ruanda geflohen waren und den Ost-Kongo seit vielen Jahren terrorisieren. Siehe Gorilla Talk 2). Unser »Wildlife Protection Society« Team vor Ort ist bei seiner Arbeit ständig großen Gefahren ausgesetzt. Erst letzte Woche gab es wieder Schwierigkeiten mit der Truppe um Jean Mudaku – von allen nur »The Crocodile« genannt. (Ziemlich passend, wie ich finde!).

Die Rebellen bedrohen nicht nur die Menschen im Kongo, auch die Natur leidet dramatisch unter der Coltan-Gewinnung: Bäume werden für den Bau der illegalen Schürfer-Camps abgeholzt, riesige Flächen gerodet, um den Boden für die Erzgewinnung freizulegen und Feuerholz zum Kochen und Heizen gewonnen – ohne Rücksicht auf Verluste! So wird Stück für Stück der Lebensraum der Grauergorillas und vieler anderer Arten zerstört. Was aber noch viel schlimmer ist: Die Rebellen und die Schürfer müssen essen und sie nehmen, was der Dschungel hergibt: Buschfleisch. Ich muss Euch nicht extra sagen, dass in den Kochtöpfen nicht nur Waldschweine landen, oder? ...

Lea lehnte sich zurück, fischte ein Reinigungstuch aus ihrer Schublade und wischte sich damit sorgfältig die Finger ab. Ihre Augen flogen über den Text, sie war noch nicht zufrieden mit ihrem Blog. Sie plante Movia mehr als zwei Zeilen zu widmen – sie wusste, was sie ihrem großzügigen Sponsor schuldig war. Lea wälzte Formulierungen in ihrem Kopf hin und her. Ein verantwortungsbewusstes, deutsches Unternehmen ..., sie korrigierte sich: Vorzeigeunternehmen. Staatlich gefördert, im Sozial- und Umweltbereich engagiert, Produktion in Deutschland ...

Sie erinnerte sich an die Werksführung in Frankfurt an der Oder, zu der sie Peter Messner, der Marketing-Vorstand von Movia, eingeladen hatte. Zu ihrer Überraschung hatte Messner überhaupt keine Berührungsängste, legte alle Zertifikate und Unbedenklichkeitsnachweise vor, die sie forderte. Ihre anfänglichen Bedenken, einen Handy-Hersteller als Sponsor zu haben, schmolzen dahin. Als Dagmar ihr noch dazu signalisierte, dass es um die WPS-Mittel nicht gut bestellt war, gab sie sich einen Ruck und akzeptierte das Angebot.

Lea verschob Wörter und formulierte Sätze neu, um Movia mehr Platz einzuräumen. Am Ende löschte sie die ganze Passage wieder und klickte auf »Text hochladen«. Erleichtert, den Blog endlich online zu haben, machte sie sich auf die Suche nach Dagmar. Im Büro ihrer Chefin war es völlig still. Auch in der Küche keine Spur von Dagmar und auch nicht in Bodos Büro gegenüber. Lea nahm sich einen Apfel aus der Obstschale und ging zurück zu ihrem Schreibtisch, um Dagmar per E-Mail um einen Termin zu bitten. Beim Anblick ihres elektronischen Postfaches seufzte sie. Übervoll – schon wieder! Während sie die neuen Nachrichten scannte, knabberte sie die letzten Reste des süßen Fruchtfleisches vom Gehäuse. Mails von Dagmar, Herrn Messner, Jens, ihrer Freundin Jasmin und von Femi. Endlich Nachrichten aus dem Kongo – Futter für ihren Blog! Sie wollte gerade Femis Mail öffnen, als ihre Augen an einer anderen Stelle im Posteingang hängen blieben.

Ihr Gehirn hatte unbewusst etwas wahrgenommen.

Ein Wort. Ein ungewöhnliches Wort.

»Aletheia«.

Der Absender einer E-Mail, die sie vorher übersehen hatte.

Die Betreffzeile war leer.

Aletheia. Lea dachte nach. Der Name sagte ihr nichts. Ihr Computer-Mensch hatte ihr oftmals eingeschärft, solche Mails unter keinen Umständen zu öffnen. Sie tippte das Wort in eine Suchmaschine ein. Zu ihrer Überraschung spuckte der Rechner innerhalb einer zehntel Sekunde Informationen dazu aus.

Aletheia: Griechische Göttin der Wahrheit und Tochter des Zeus ...

Sie öffnete die E-Mail.

Von: Aletheia

An: [email protected]

Lea,

Ihr Blog gefällt mir!

Aber wie gut kennen Sie Ihren Sponsor Movia wirklich?

A.

Kapitel 2

Gorilla Talk 17

Gorillas - wahre Familientiere

Unsere Ranger im Kahuzi-Biega-Nationalpark wurden kürzlich Zeugen berührender Szenen: Schon bei den letzten Patrouillen war den Männern aufgefallen, dass Mana, eines der ältesten Weibchen aus der Gruppe um Silberrücken Kimbangu, schwächer wurde. Vor zwei Tagen fanden sie Mana nach einer regnerischen Nacht tot in ihrem Schlafnest. Aber sie war nicht alleine. Ihr vierjähriger Sohn Kambo lag bei ihr – er hatte wohl die ganze Nacht bei seiner sterbenden Mutter verbracht. Um ihr ein Gefühl von Nähe zu geben? Um sie zu wärmen? Wir können nur raten. Als unsere Männer auftauchten, konnten sie beobachten, dass er Mana nicht von der Seite wich und ihr immer noch liebevoll das Fell pflegte (man nennt das »Grooming«). Wenn Femi mir von solchen Ereignissen berichtet, weiß ich, dass es sich lohnt, für jeden einzelnen dieser bedrohten Gorillas zu kämpfen ...

Femi Oranghi lief weiter, die Kalaschnikow vor der Brust. Zweige peitschten in sein Gesicht, Dornen rissen an seiner Khakihose. Sein Blick war geradeaus gerichtet und seine Lippen beteten lautlos immer wieder dasselbe Mantra:

»Bitte nicht! Bitte nicht!«

Der Dschungel war still. Totenstill.

Femi hatte sein Ziel erreicht und fiel schwer atmend auf die Knie. Tränen liefen über seine Wangen, denn jetzt hatte er Gewissheit: Das schwarze, haarige Knäuel im Buschgewirr war ein Gorilla. Auf den letzten Metern hatte er sie erkannt. Milla. Die kleine, zierliche Milla. Sein Sorgenkind.

Ihre Augen waren weit aufgerissen und ein riesiges Loch klaffte in ihrer Brust. Sie lag im Unterholz. Femi strich ihr über das kalte Gesicht und schluchzte. Erst als Omari ihn vorsichtig an der Schulter berührte, löste sich der Schock. Er stand auf und drehte sich um – Omari, Joseph, Adolphe und Malike standen mit betroffenen Gesichtern vor ihm.

Joseph senkte die Augen.

»Wir haben noch einen gefunden.«

Femi presste die Backenzähne aufeinander.

»Wen?«

»Kimbangu«. Er liegt da drüben.«

Joseph deutete mit seiner Waffe hinter sich. Wortlos schob sich der Primatologe an seinen vier Rangern vorbei und stampfte auf die Baumgruppe zu. Erst als er die behaarte Hand zwischen den Blättern sah, wurden seine Schritte langsamer. Dort lag Kimbangu, der Silberrücken, der seine Familie so klug und umsichtig geführt hatte.

Tot.

Sein Körper ragte wie ein riesiger schwarzer Berg aus dem Gestrüpp.

»Diese Schweine. Drei Kugeln von hinten.«

Femis Stimme bebte vor Zorn. Er wusste, die Killer wären nie so nahe an die Gruppe gekommen, wären die Tiere nicht an menschliche Gegenwart gewöhnt gewesen. Er war stolz darauf gewesen, dass sich Kimbangus Gruppe in relativ kurzer Zeit an die regelmäßigen Patrouillen seiner Ranger gewöhnt hatte. Sie wollten die Tiere vor Wilderern schützen.

Über Adolphes steil nach oben gezogenen Augenbrauen stapelten sich Stirnfalten.

»Ob sie noch in der Nähe sind?«

Omari schüttelte den Kopf.

»Das waren keine Wilderer! Die hätten die Tiere mitgenommen oder ihnen zumindest Kopf und Hände abgehackt.«

Adolphe wurde blass.

»Aber wer sonst?«

Femi fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als ob er damit bedrohliche Gedanken verscheuchen könnte.

»Es ist eine Drohung. Und sie gilt uns. Wir ...«

Ein Rascheln in der Nähe von Millas totem Körper ließ den Primatologen abrupt verstummen. Niemand hatte in dem Chaos an Kivu gedacht – Millas erstes Baby. Er war erst ein paar Monate alt und ohne seine Mutter im Dschungel dem sicheren Tod ausgeliefert. Femi wusste aus Erfahrung, dass Gorillababys immer in der Nähe ihrer Mütter blieben –

»Vielleicht ist es Kivu! Schnell!«

Die Männer schlichen zurück zu dem Gebüsch, aus dem das Geräusch gekommen war. Auf Omaris Kommando bog Joseph vorsichtig ein paar Äste auseinander. Nichts. Er wühlte sich tiefer in das grüne Dickicht. Ein brauner Schatten huschte eilig an ihm vorbei. Er machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Eine Buschratte. Er hatte den feisten Nager beim Fressen aufgeschreckt. Systematisch durchkämmten sie das Gestrüpp. Keine Spur von Kivu.

»Entweder ist Kivu tot oder sie haben ihn mitgenommen«, überlegte Omari laut.

»So ein Gorilla-Baby bringt auf dem Schwarzmarkt viel Geld.«

Femi wandte sich wortlos ab und ging zu seinem Rucksack. Er holte die Videokamera aus dem Seitenfach und begann mit zitternden Händen, das Massaker zu dokumentieren. Er würde das Material brauchen – für die Parkaufsichtsbehörde, das WPS-Büro in Berlin, möglicherweise die Medien. Bei dem Gedanken, wie sehr sich diese Aufzeichnungen von jenen vor zwei Tagen unterscheiden würden, durchfuhr ihn ein Schauer. Der Silberrücken Kiku und seine Gruppe war friedlich beim Fressen und Spielen. Und jetzt das. Er richtete seine Kamera auf Kimbangu und registrierte, dass Joseph in einiger Entfernung etwas rief. Aber die Aufnahmen der toten Gorillas forderte seine ganze Aufmerksamkeit. Beim Zoom auf die Einschusslöcher fühlte er eine Welle von Übelkeit in sich aufsteigen. Er sicherte die Aufnahme und versuchte, mit ein paar tiefen Atemzügen seine Wut in den Griff zu bekommen. Das hektische Treiben und die aufgeregten Stimmen in seinem Rücken lenkten ihn ab. Laut fluchend drehte er sich zu seinen Männern um. Was er sah, ließ ihn verstummen.

Der April zeigte sich von seiner besten Seite. Berlin war seit Tagen von frühlingshaftem Sonnenschein durchzogen. Lea riss alle Fenster und Türen in ihrer Wohnung auf und rückte dem letzten Wintermief auf den Pelz. Das Bettzeug landete auf dem Balkon, die frisch gewaschenen Winterpullis wurden in den hintersten Winkel ihrer Schränke verbannt. Leise summend wischte sie Schubladen aus, den Putzeimer immer neben sich. Ihre Freunde hielten sie für durchgeknallt, weil ihr am ersten warmen Wochenende nichts Besseres einfiel, als den Besen zu schwingen. Lea ließen die Sticheleien kalt. Sie war mit täglichem Putzen, Wischen und Schrubben aufgewachsen. Ihre Mutter war Ärztin und hatte penibel auf Hygiene geachtet. Händewaschen nach dem Spielen, Händewaschen, wenn sie den Hund gestreichelt hatte, Händewaschen, bevor sie einen Keks naschen durfte. Als Kind hatte sie dagegen rebelliert. Heute musste sie sich eingestehen, dass die Abwesenheit von Reinigungstüchern sie nervös machte. Nach dem Tod ihres Großvaters – bakterielle Lungenentzündung -, waren die hygienischen Helfer zu einer festen Größe in ihrem Leben geworden. Mit anderen Worten: Seit ihrem 21. Lebensjahr hatte ihre Neurose sie fest im Griff.

Lea schnappte sich den Eimer und ging ins Badezimmer. Die Sonne fiel durch das Fenster und ließ Staubpartikel in der Luft flirren. Schwungvoll versprühte sie eine halbe Flasche Badreiniger und machte sich ans Werk. Während sie den Spiegel im Badezimmer wienerte, betrachtete sie ihr Gesicht. Ein paar Lachfalten um die Augen, eine auffällige Zornesfalte zwischen den Augenbrauen, aber für Mitte Dreißig sah sie noch ganz gut aus. Ob McAllister sie attraktiv fand? Sie drehte ihren Kopf langsam von einer Seite zur anderen, studierte ihr Profil. Du benimmst dich wie ein Teenager!, kommentierte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Sie hatten sich nur ein einziges Mal getroffen, aber ihr E-Mail-Verkehr hatte sich in den letzten Wochen deutlich intensiviert. Mittlerweile ging sie sogar vor dem Schlafengehen noch einmal online, um ihr elektronisches Postfach zu checken. Sie mochte seine sture Art, ihre auf Englisch verfassten Mails prinzipiell auf Deutsch zu beantworten. Nie versäumte er es, sich nach dem Fortgang des Gorilla-Projektes zu erkundigen. Und jedes Mal endeten seine Mails mit der Frage, wann sie nach London käme. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Was wohl passieren würde, wenn sie tatsächlich in seiner Stadt auftauchte? Ein Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit. Sie verscheuchte den Gedanken, wischte ein letztes Mal mit dem feuchten Zeitungspapier über das Glas und sammelte die Papierknäuel vom Boden auf. Als sie den Müllsack aus der Ecke holen wollte, klingelte es an der Tür. Lea streifte ihre Gummihandschuhe ab und betätigte die Gegensprechanlage.

»Hey Putzteufel! Wenn du nicht schnell die Tür aufmachst, schmilzt das Eis!«

Jasmin. Lea schmunzelte und drückte auf den Türöffner. Sie kannte die Freundin seit dem Biologie-Studium und der Zufall hatte sie beide nach Berlin geführt. Ein Grund, warum Lea sich in der Stadt so wohl fühlte. Jasmins dunkler Schopf tauchte im Flur auf, in der rechten Hand schwenkte sie eine Papiertüte.

»Schoko, Joghurt, Pistazie. Ich hoffe, es ist was dabei für deinen verwöhnten Gaumen.«Lea räumte den Wohnzimmertisch notdürftig frei und stellte Teller auf den Tisch. Während Jasmin zwei riesige Eisbecher vorsichtig aus der Tüte hob, fragte sie beiläufig:

»Und? Hast du schon einen Flug nach London gebucht?«

Femi saß müde hinter dem Steuer seines klapprigen Landrover 109. Er schwitzte. Nur der Fahrtwind, der durch das mit Dreck bespritzte Seitenfenster strömte, verschaffte ihm etwas Erleichterung. Eine kurze Nacht und zwei Stunden Quälerei über schlammige, von Grasbuckeln durchsetzte Wege im Nationalpark lagen hinter ihm. Ihm war klar, wie viel Glück er gehabt hatte. Oft war die Strecke zu dieser Jahreszeit mit dem Auto unpassierbar, weil Wassermassen sie unterspülten. Ein Stück weiter vorne sah er die Straße nach Matale durch die Bäume schimmern. Oder das, was in seiner Heimat als Straße bezeichnet wurde - eine rot-braune Piste mit unberechenbaren Fahrrinnen und tiefen Kratern, die man selbst mit dem Geländewagen besser umfuhr. Sie schlug eine Schneise durch das Grün. Femi hatte keine Augen für die üppige Vegetation. Das Fahren forderte seine ganze Konzentration. Eine Unachtsamkeit und der Reifen war platt oder eine Achse angeschlagen und er durfte unter keinen Umständen mit dem Auto liegenbleiben. Nicht die Reparatur oder fehlende Ersatzteile machten ihm Angst, sondern die Rebellen. Ein kaputtes Auto hieß keine Chance auf Entkommen. Für das neue Projektgebiet hatte er für seine Ranger eine klare Regel aufgestellt: Nie alleine unterwegs!

Gerade eben brach er sie selbst.

Ein einzelner Mann in einem Auto, das wegen der schlechten Straßen nur langsam vorankam – leichte Beute für die Rebellen hier am Rande des Kahuzi-Biega Nationalparks.

An den wenigen Stellen, an denen die Piste gut befahrbar war, huschten seine Augen weit voraus, um mögliche Straßensperren rechtzeitig zu erkennen. Wie allen Menschen, die im Kongo aufgewachsen sind, lag ihm die Wachsamkeit im Blut.

Wieder ein Buckel, dem er nicht ausweichen konnte. Der Landrover knallte mit voller Wucht darüber. Unkontrolliert rollte seine Wasserflasche durch den Beifahrer-Fußraum, die Armaturen und sein Maschinengewehr klapperten synchron dazu. Das Auto bot viel Platz für seine große Gestalt, trotzdem schmerzte sein Rücken von dem permanenten Gerüttel. Erschöpfung legte sich wie ein klebriges Spinnennetz über ihn. Nur Wut und Trauer halfen ihm, dagegen anzukämpfen. Femi wollte möglichst schnell zurück nach Bukavu, Gespräche führen mit der Parkaufsichtsbehörde. Sie mussten etwas tun! Er würde ihnen die Videos zeigen, die Bilder sprachen für sich.

Drei tote Gorillas.

Immer noch sah er Omari und Joseph vor sich, wie sie den Körper des jungen Kono aus dem Baum zerrten. Zuerst hatten sie das Gorillamännchen übersehen. Er lag nicht wie Milla und Kimbangu auf der Erde, sondern hing leblos zwischen den Ästen. Wie ein Kinderdrachen, der sich unglücklich verfangen hatte.

Er konnte das Steuer gerade noch rechtzeitig herumreißen, als er die Kinder hinter der Biegung auftauchen sah. Zu dritt schoben sie eine Art Tchukudu, ein selbstgebasteltes Fahrrad aus Holz, wie er es nur aus der Gegend um Goma kannte. Es überraschte ihn, so ein Gefährt hier zu sehen. Langsam fuhr er an ihnen vorbei. Sie transportierten einen alten Plastikkanister mit Wasser. Matale war also nicht mehr weit. Er drehte seinen linken Arm, um einen Blick auf das Ziffernblatt seiner Uhr zu werfen. Es war zwei Uhr. Vor Einbruch der Dunkelheit würde er es nicht mehr bis nach Bukavu schaffen, dafür war er zu spät vom Camp losgekommen. Er würde also in Izege bei Omaris schweigsamen Bruder Unterschlupf suchen müssen. Der Gedanke, seine müden Glieder ausstrecken zu können, beflügelte ihn. Er umfasste das Lenkrad fester und streckte den Rücken durch. Von der Piste aus konnte er Matale nicht sehen, aber er wusste, dass ein ausgetretener Pfad, der auf der rechten Seite auftauchte, zu der kleinen Ansammlung von Hütten führte. Zwei Stunden später stellte er den Landrover abseits der Straße im Gebüsch ab und tarnte ihn mit Zweigen und Gras, so, wie Omari es immer tat. Bisher hatte die Strategie immer funktioniert. Er musste dem Dorfchef Bescheid geben, damit die Männer, die Nachtwache hielten, ein Auge darauf hatten.

Omaris Bruder begrüßte ihn freundlich und führte ihn zur Gästehütte, die auf der anderen Seite des runden, platt getretenen Dorfplatzes lag.

»Wie geht’s meinem Bruder?«

»Ganz gut. Er hat viel Arbeit. Ich soll dich grüßen.«

»Mhm.«

Femi war immer wieder einmal erstaunt, wie unterschiedlich die beiden Brüder waren.

»Hast du Hunger?«

Femi schüttelte den Kopf.

»Ich bin hundemüde.«

»Verstehe.«

»Ich werde morgen sehr früh aufbrechen. Danke für Deine Gastfreundschaft!«

»Okay. Grüß Omari von mir.«

Er drehte sich um und ließ Femi vor der Hütte stehen.

Ihre Mauern bestanden aus einer dicken Schicht getrocknetem Lehm, die kunstvoll auf einem Geflecht aus Zweigen aufgebracht worden war. Das Dach war mit Reet eingedeckt und geschickte Hände hatten aus Schilf eine Türe geflochten. Femi betrat seine Unterkunft und warf seinen Rucksack auf die festgestampfte Erde. Er dachte kurz darüber nach, seine Essensvorräte zu plündern, aber die Müdigkeit war stärker als der Hunger. Er schlurfte hinüber zum Bett, nicht mehr als ein Rahmen aus geschälten Ästen mit einem Bambusgerüst als Liegefläche, und legte seine Waffe neben das Kopfende. Er ließ sich auf die harte Unterlage fallen. Wenn er es morgen erst einmal bis nach Kabare geschafft hatte, dann lag der längste und gefährlichste Teil der Strecke hinter ihm – ein tröstlicher Gedanke. Er lauschte den Vogelstimmen in der Dämmerung. Es waren nur wenige. Femi wusste, dass der Hunger die Dorfbewohner dazu trieb, die Vögel zu fangen. Bei dem Versuch, nicht darüber nachzudenken, schlief er ein.

Von Kabare nach Bukavu war es nur noch ein Katzensprung. Femi entspannte sich und genoss die Vorfreude auf das, was sich ihm in wenigen Minuten bieten würde. Die Hügel um Bukavu, die sanft zum Kivu-See abfielen. Die Wege, die sich in Serpentinen dem funkelnden Wasser entgegen wanden. Die alten Kolonialvillen, die das Seeufer sprenkelten. Die Stadt lag malerisch in einer Bucht am südlichen Ende des Sees. Aus der Distanz betrachtet war Bukavu eine Schönheit. Auf den ersten Blick sah man ihr nicht an, dass sie schon oft Schauplatz von Krieg und Gewalt gewesen war. Die Fernsicht ließ Armut, Dreck und Kriminalität einfach unter einem sanften Schleier von Nebel, der vom See aufstieg, verschwinden.

Femi passierte das Krankenhaus und bog von der Route de Katana links in den einzigen Kreisverkehr ein, den Bukavu zu bieten hatte. Er wollte direkt zu seinem Freund Vitale Matete bei der Parkaufsichtsbehörde, dem Institute Congolaise pour le Conservation de la Nature (ICCN). Vitale war dort einer der leitenden Inspektoren der Region und einer der wenigen Menschen, denen er bei der ICCN vertraute. Die Organisation funktionierte zwar wie eine Behörde, wurde aber von der Regierung kaum finanziell unterstützt, was dazu führte, dass Korruption und Ausbeutung des Nationalparks an der Tagesordnung waren. Femi schätzte Vitale sehr, denn er gehörte zu den Männern bei der ICCN, die sich nicht von den Rebellen oder der kongolesischen Armee schmieren ließen. Wegschauen lag ihm nicht und seine Integrität war vielen ein Dorn im Auge.

Femi parkte direkt vor dem ICCN-Büro in der Avenue de Lumumba. Er fand Vitale im hinteren Teil des spärlich eingerichteten Büros, wo er in einem Stapel Papier wühlte. Der Mann mit dem ledernen Gesicht strahlte ihn an.

»Ein seltener Gast!«

Femi streckte ihm die Hand entgegen.

»Hallo Vitale, wie geht es dir?«

»Wenn ich dein Gesicht sehe vermutlich besser als dir.«

Femi zog wortlos einen Stuhl heran und setzte sich. Er nestelte die Videokamera aus der Seitentasche seines Rucksacks, klappte das Display auf und spulte das Video zurück.

»Ich habe schlechte Nachrichten. Sie haben drei Gorillas in unserem neuen Projektgebiet getötet. Schau dir das an.«

Vitale beugte sich über Femis Schulter und blickte konzentriert auf den winzigen Bildschirm. Als Milla im Bild erschien, sog er laut Luft ein.

»Ich bin noch nicht fertig. Da kommt noch mehr.«

Als die Aufzeichnung beendet war, drehte sich Femi um und sah Vitale direkt ins Gesicht.

»Und?«

Vitales Augen waren hart, auf seiner Oberlippe hatten sich Schweißperlen gebildet.

»Es hat nichts gefehlt?«

»Nein.«

Vitale nickte bedächtig.

»Das habe ich befürchtet.«

»Verdammt, Vitale, wir müssen etwas tun! Wir können nicht zulassen, dass Crocodile drei Gorillas abschlachten lässt.«

»Kapierst du es nicht oder willst du es nicht kapieren, Femi? Das war eine Warnung! Das nächste Mal zielen sie nicht mehr auf die Gorillas, sondern auf euch.«

»Hast du jetzt auch die Hosen voll, Vitale?«

Vitale drehte ihm den Rücken zu und blickte durch das vergitterte Fenster auf die belebte Avenue de Lumumba.

»Ihr müsst euer Projektgebiet verlegen.«

Seine Stimme war ruhig und bestimmt.

»Spinnst du? Du weißt genauso gut wie ich, dass wir die Bestandsaufnahme der Gorillas gerade in diesem Gebiet brauchen. Ich lasse mir nicht von diesen verdammten Hutu-Verbrechern vorschreiben, wo ich meine Forschung zu betreiben habe. Schlimm genug, dass sie unser Land ausplündern und tyrannisieren, aber ...«

»Du hast mich nicht verstanden Femi. Entweder du verlagerst das WPS-Projektgebiet freiwillig oder ich sorge dafür, dass ihr die Genehmigung verliert.«

»Das kann nicht dein Ernst sein!«

»Schlimm genug, dass wir drei Gorillas verloren haben. Ich kann nicht zulassen, dass auch noch Menschen zu Schaden kommen. Und genau das wird passieren, wenn ihr nicht von dort verschwindet. In den letzten Jahren sind hier im Kongo mehr als 100 Ranger ums Leben gekommen. Omari und seine Männer gehören immer noch dem ICCN an. Ich bin für sie genau so verantwortlich wie du!«

»Dann sollten wir sie vielleicht fragen, wie sie selbst darüber denken!«

Femi überragte Vitale um mehr als einen Kopf, doch den Inspektor schien das nicht zu beeindrucken. Er machte einen Schritt auf ihn zu, bis er nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war und senkte seine Stimme zu einem gepressten Flüstern.

»Okay. Letzte Chance: Sag Omari, er soll in mein Büro kommen, wenn er wieder in Bukavu ist. Allein! Und bis dahin werdet ihr eure Patrouillen auf ein Minimum reduzieren. Verstanden?«

»Lea, gehst du mit uns Essen?«

Dagmars laute Stimme kam vom Flur. Lea blickte kurz hoch.

»Nein, danke.«

Ihre Chefin lehnte sich an den Türrahmen und musterte sie.

»Heute so kurz angebunden? Was ist los mit dir?«

»Nichts. Ich habe einfach nur keinen Hunger.«

»Wir gehen zu deinem Lieblings-Thai. Soll ich dir was mitbringen? Vielleicht einen scharfen Glasnudelsalat?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Aber Chili ist gut gegen alle Arten von Bakterien«, legte ihre Chefin nach. Lea konnte Bodo im Flur auflachen hören. Sie verzog ihre Lippen zu einem Grinsen und schüttelte den Kopf.

»Danke, lass gut sein. Ich habe heute einfach einen schlechten Tag.«

Ihre Chefin zuckte mit den Schultern und machte sich mit den Kollegen auf den Weg. Um sich wieder auf Kurs zu bringen, griff Lea nach einer wissenschaftlichen Veröffentlichung über evolutionäre Anthropologie, die sie schon lange durcharbeiten wollte. Prompt musste sie den ersten Absatz zwei Mal lesen, bevor ihr Gehirn die Arbeit aufnahm. Gerade als sie anfing, mit dem sperrigen Thema warm zu werden, klingelte das Telefon. Nicht jetzt, dachte sie und schielte mit einem Auge auf das Display. 00243 ... ein Anruf aus dem Kongo! Sie riss den Hörer aus der Station.

»Femi!«

Knistern und Knacken drang an ihr Ohr, dazwischen ein leises »Hallo Lea.«

Seine Stimme klang wie aus einem anderen Universum.

»Schlechte Nachrichten. Crocodiles Männer haben drei unserer Gorillas getötet.«

Obwohl die Verbindung schwach war, konnte Lea ihn atmen hören.

»Lea, bist du noch dran?«

Sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Eine Frage lag ihr auf den Lippen. Sie hatte Angst vor der Antwort.

»Wen haben sie erwischt?«

»Kimbangu und Kono ...«

Er machte eine Pause.

»Und Milla.«

Das Blut in Leas Ohren rauschte wie ein Orkan. Ihr Gehirn schaltete auf Leerlauf. Im Vakuum ihres Denkens tauchte das versonnene Gesicht von Milla auf. Ihrem Patenkind. Sie durfte damals den Namen für die kleine Gorilladame aussuchen. Eine nette Geste von Femi. Leas Augen brannten. Sie brauchte eine halbe Ewigkeit, um ihre Stimmbänder wieder in Bewegung zu bringen.

»Oh Gott, Femi!«

»Ich erspare dir die Details. Eine Kopie meiner Videoaufnahmen und ein Bericht sind schon auf dem Weg zu euch. Du kannst es dir selbst ansehen, wenn du in der Verfassung dazu bist.«

Femis nüchterne Art überraschte sie, aber half ihr, den Schock etwas abzuschütteln.

»Was ist mit Kivu?«

»Wir wissen es nicht. Er war nicht bei Milla. Gut möglich, dass sie ihn verschleppt haben.«

Lea schob den Unterkiefer nach vorne.

»Was machen wir jetzt?«

»Ich war bereits bei Vitale Matete von der Parkaufsichtsbehörde. Er ist unser Freund - eigentlich.«

»Was heißt das?«

Sie hasste es, wenn sie Femi alles aus der Nase ziehen musste.

»Nichts. Er wird uns nicht helfen. Das Eisen ist ihm zu heiß!«

Lea schlug mit ihrer Faust so heftig auf den Schreibtisch, dass Stifte, Tasse und die Ladestation des Telefons einen Satz machten.

»Das kannst du doch nicht einfach so akzeptieren! Schließlich geht es hier um Gorillas, die in seinem Park getötet wurden!«

»Verdammt Lea, wir sind hier im Kongo! Vitale steht bei einigen Leuten ganz oben auf der Abschussliste – und das meine ich wörtlich. Er muss höllisch aufpassen.«

»Dann sag mir endlich, was wir tun können und nicht, was wir nicht tun können«, brüllte sie in den Hörer.

»Besorg mir zusätzliche Ranger und Waffen. Das macht das Leben für uns und die Gorillas sicherer.«