Gefährlicher Glaube - Pia Lamberty - E-Book

Gefährlicher Glaube E-Book

Pia Lamberty

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Beschreibung

Gerade in einer Zeit voller Umbrüche und Veränderungen suchen viele Menschen Halt und Orientierung in esoterischen Welterklärungsmodellen. Horoskope verraten, was die eigene Zukunft bringen wird. Der spirituelle Heiler wird zur Leitfigur. Der Esoterikmarkt boomt! Ist der Glaube an unsichtbare Kräfte, die unser Leben in die richtige Bahn lenken sollen, nur eine harmlose Spinnerei? Oder bringt der Esoterik-Trend gefährlichere Risiken mit sich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag?

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Seitenzahl: 372

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorinnen

Weitere Titel der Autorinnen

Titel

Impressum

Widmung

Einleitung

Kapitel 1

Zwischen Astrologie und Wunderheilung: Warum glauben Menschen an esoterische Welterklärungsmodelle?

Kapitel 2

Von Mondwasser, kosmischen Antennen und geistartigen Kräften: Esoterik geht durch den Magen

Kapitel 3

Kosmische Therapien und Handauflegen gegen Krebs: Wer heilt, hat recht?

Mythen über Medizin

Wie Esoteriker uns in die Irre führen

Kapitel 4

Von Hellsehern und Life-Coaches: Das große Geschäft mit dem »Psychomarkt«

Kapitel 5

Das Wissenschaftsparadox: Zwischen Wissenschaftsleugnung und Pseudowissenschaft

Kapitel 6

Ein magischer Filter für die Welt: Esoterik im digitalen Zeitalter

Kapitel 7

»Ich zeige dir den Weg!« – Endstation »Sekte«?

Kapitel 8

Zwischen Klangschalen und Reichskriegsflagge: Esoterik als Einstieg in rechtsextreme Gruppierungen

Kapitel 9

Krisen, Kriege, Katastrophen: Die Rolle der Esoterik beim Umgang mit gesellschaftlichen Problemen

Fazit

Danksagung

Literaturverzeichnis

Über das Buch

Gerade in einer Zeit voller Umbrüche und Veränderungen suchen viele Menschen Halt und Orientierung in esoterischen Welterklärungsmodellen. Horoskope verraten, was die eigene Zukunft bringen wird. Der spirituelle Heiler wird zur Leitfigur. Der Esoterikmarkt boomt! Ist der Glaube an unsichtbare Kräfte, die unser Leben in die richtige Bahn lenken sollen, nur eine harmlose Spinnerei? Oder bringt der Esoterik-Trend gefährlichere Risiken mit sich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag? Die Bestseller-Autorinnen klären auf.

Über die Autorinnen

Pia Lamberty ist Psychologin und Expertin im Bereich Verschwörungsideologien. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel). Darüber hinaus ist sie Mitglied im internationalen Fachnetzwerk Comparative Analysis of Conspiracy Theories. Sie ist regelmäßiger Interviewpartner für nationale und internationale Medien (u.a. TAGESSCHAU, REPORT MÜNCHEN, MONITOR, DIE ZEIT, SPIEGEL, VICE).

Katharina Nocun ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin. Sie leitete bundesweit politische Kampagnen, u.a. für die Bürgerbewegung Campact e.V., Mehr Demokratie e.V. und den Verbraucherzentrale Bundesverband. Sie ist regelmäßig Gast in zahlreichen TV- und Talkshow-Formaten (ILLNER, LANZ, MAISCHBERGER). Ihr Podcast Denkangebot war 2020 für den Grimme Online Award nominiert.

Weitere Titel der Autorinnen

Fake Facts

True Facts

Titel auch als Hörbuch erhältlich

PIA LAMBERTY | KATHARINA NOCUN

GEFÄHRLICHERGLAUBE

DIE RADIKALE GEDANKENWELTDER ESOTERIK

QUADRIGA

Originalausgabe

Dieser Titel ist auch als Hörbuch und Print erschienen

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Copyright © 2022/2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Textredaktion: Angela KuepperUmschlaggestaltung: U1berlin/Patrizia Di StefanoUmschlagmotiv: © geen graphy/shutterstock.com,© oxygen/Getty Images

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-1496-9

quadriga-verlag.de

lesejury.de

 

Für unsere Familien

Einleitung

Wir sind mit Esoterik aufgewachsen. Und damit stehen wir vermutlich nicht allein da. In den 1990ern und frühen 2000ern füllten klobige Edelstein-Amulette und -Armbänder in Boutiquen für Modeschmuck ganze Regale – sortiert nach passendem Sternzeichen oder magischen Eigenschaften. Im Religionsunterricht hörten wir aufmerksam zu, wenn vor Sekten und Satanismus gewarnt wurde. Nach Schulschluss steckten wir trotzdem mit unseren Freunden die Köpfe zusammen und studierten Anleitungen zum Gläserrücken oder Handlesen aus »Mädchenzeitschriften«. Als Teenager lauschten wir den Ausführungen von Hellsehern, die in einer der vielen damals so populären Nachmittags-Talkshows übersinnliche »Erkenntnisse« zum Besten gaben. Es erschien uns nicht weiter merkwürdig, dass es im Musik-Versandkatalog magische Anhänger zu kaufen gab. Oder dass die Stadtbücherei Ratgeber über esoterische Heilverfahren im Programm hatte. Wir lachten darüber, wenn Phoebe aus der Sitcom Friends sich beklagte, dass nach einer Aura-Reinigung etwas schiefgegangen sei, weshalb sie jetzt von einer alten New Yorker Dame besessen sei.1 Wie sagt man so schön: Leben und leben lassen.

Doch je älter wir wurden, desto mehr wuchs die Erkenntnis in uns heran, wie schnell aus einem vermeintlich harmlosen Hobby bitterer Ernst werden kann. Was mit dem Kauf eines magischen Amuletts beginnt, kann in einer kostspieligen Dauerschleife aus Esoterik-Seminaren, -Coachings und Lebensberatung enden – Betroffene werden in eine Schuldenfalle und gar nicht so selten in die emotionale Abhängigkeit getrieben. Viele kennen aus ihrem erweiterten Familien- oder Freundeskreis zudem Geschichten von Menschen, die sich einer dringend angeratenen medizinischen Behandlung verweigern und stattdessen auf einen Wunderheiler oder obskure »feinstoffliche« Präparate setzen. Einige Sinnsuchende, die sich nach spirituellem Wachstum und freier Entfaltung ihrer Persönlichkeit sehnen, landen am Ende in hochgradig manipulativen und ausbeuterischen Gruppierungen unter Leitung eines Gurus oder Mediums.

Hinzu kommt: Die gesellschaftliche Dimension esoterischer Weltbilder wird oft vollkommen ausgeblendet. In Teilen der Esoterik-Szene meint man, ein spirituelles Erwachen der Menschheit stünde kurz bevor. Der Glaube an große Veränderungen im Zuge eines astrologisch begründeten »Wassermann-Zeitalters« war ein zentrales Element der New-Age-Bewegung der 1970er-Jahre. Weltfrieden, weil die Sterne richtig stehen und unsere Spiritualität »erwacht«? Was auf den ersten Blick wie ein hoffnungsvolles Märchen vom guten Leben klingt, kann zu einer schleichenden Entpolitisierung führen. Wozu für Veränderung kämpfen, wenn das spirituelle Bewusstsein es doch richtet? »Meditieren statt demonstrieren« – ein solcher Ansatz ist toxisch für die Demokratie.

Und dann gibt es natürlich auch noch ein anderes Extrem. Wer sich mit Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus beschäftigt, kommt an Esoterik nicht vorbei. In zahlreichen Ländern versammelten sich auf Demonstrationen gegen eine vermeintliche »Corona-Diktatur« sowohl esoterisch orientierte Gruppierungen als auch bekennende Rechtsextremisten. Was wie eine neue Entwicklung erscheint, hat jedoch eine Vorgeschichte. Anhänger so mancher esoterischer Pseudomedizin wittern seit jeher eine jüdische Weltverschwörung hinter Impfkampagnen. Braune Esoterik war schon lange vor Corona Teil der Szene.

Wir laden Sie ein, gemeinsam mit uns in die Welt der Wunderheiler und Geisterbeschwörer einzutauchen. Lassen Sie uns einen Blick hinter die Fassade vermeintlich harmloser spiritueller Seminare und Ratgeber werfen. In diesem Buch haben wir zahlreiche Erlebnisberichte, Studien und Stimmen von Experten zusammengetragen, um die häufigsten Fragen im Zusammenhang mit der Esoterik-Szene zu beantworten. Was bringt Menschen eigentlich dazu, an Zauberwesen und magische Kräfte zu glauben? Welche psychologischen Bedürfnisse spielen hierbei eine Rolle? Ist es wirklich so, dass gerade persönliche und gesellschaftliche Krisen ein Möglichkeitsfenster für Gurus und Hellseher schaffen? Und wenn ja – wie funktioniert so etwas ganz konkret, und welche Rolle spielt dabei das Internet? Was sind typische Warnsignale bei Gruppierungen, bei denen man unbedingt aufhorchen sollte? Und ab wann gefährden esoterische Überzeugungen womöglich die eigene Gesundheit?

Fragen über Fragen. Auf den nachfolgenden Seiten werden Sie so manche Antwort darauf finden.

Kapitel 1

Zwischen Astrologie und Wunderheilung:Warum glauben Menschen an esoterischeWelterklärungsmodelle?

Wir alle versuchen die Welt für uns verständlich zu machen. Ein tief in uns verankertes Bedürfnis danach, Zusammenhänge zu durchdringen und vielleicht sogar einen tieferen Sinn in Ereignissen zu erkennen, begleitet die Menschheit seit jeher. Die einen greifen dafür auf wissenschaftliche Belege oder die Einschätzung von Fachleuten zurück. Andere wiederum folgen einem spirituellen Ansatz, um sich in der Welt zu verorten. Gerade in Zeiten voller Umbrüche und Veränderungen suchen jedoch viele Menschen Halt und Orientierung in esoterischen Welterklärungsmodellen: Horoskope zeigen vermeintlich, was die eigene Zukunft für einen selbst bereithält, der spirituelle Heiler wird zur Leitfigur, die aus Krisenzeiten herausführen soll, und esoterische Influencer versprechen einfache Lösungen für komplexe Lebensfragen.

Als wir Freunden aus dem Ausland von unserem Buchprojekt erzählten, reagierten einige irritiert: »Ich dachte immer, ihr Deutschen wärt so rational! Esoterik ist bei euch ein Thema? Wirklich?« Aber derartige Angebote sind tatsächlich keineswegs nur für eine kleine Minderheit attraktiv: Die Autoritarismus-Studie2 des Psychologen Oliver Decker und seiner Kollegen kam für das Jahr 2020 zu dem Schluss, dass Aberglaube tief in der deutschen Gesellschaft verankert ist. Die bevölkerungsrepräsentativen Daten wurden zu Beginn der Covid-19-Pandemie zwischen Mai und Juni 2020 erhoben.

Prozentuale Zustimmung zu Aberglauben in Deutschland(Decker et al., 2020)

Stimmt sicher nicht

Stimmt wahrscheinlich nicht

Stimmt wahrscheinlich

Stimmt sicher

Glücksbringer bringen manchmal tatsächlich Glück.

29,2

29,1

34,9

6,8

Es gibt Wahrsager, die die Zukunft wirklich voraussehen können.

44,1

32,6

19,7

3,6

Manche Wunderheiler verfügen tatsächlich über übernatürliche Heilkräfte.

40,3

30,7

23,5

5,4

Das Sternzeichen bzw. das Geburtshoroskop eines Menschen hat einen Einfluss auf den Verlauf seines Lebens.

36,2

30,9

28,2

4,7

Die Studie zeigt zwar, dass nur ein kleiner Teil der Gesellschaft vollends überzeugt ist, dass Sternzeichen, Wunderheiler oder Wahrsager einen Einfluss auf das Leben haben. Schließt man allerdings auch diejenigen mit ein, die meinen, dass Derartiges zumindest wahrscheinlich ist, liegt man schon bei Zustimmungswerten von rund einem Viertel bis einem Drittel der Befragten.

Aber nicht nur in Deutschland wird der Einfluss esoterischer Glaubenssätze auf die moderne Gesellschaft gemeinhin unterschätzt. Das US-amerikanische National Science Board erhebt seit 1979 die sogenannten Science and Engineering Indicators. Im Rahmen dieser Untersuchung wird unter anderem auch nach der Bewertung von Astrologie gefragt.3 Demnach sind in den USA 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung überzeugt, bei Astrologie handele es sich um eine echte Wissenschaft. Darüber hinaus zeigt auch diese Studie, dass ein nicht unwesentlicher Teil – nämlich ein Drittel der US-Bevölkerung – zwar nicht vollkommen überzeugt ist, aber der Astrologie als Wissensquelle zumindest tendenziell etwas abgewinnen kann. Auch in den USA gibt es somit Millionen von Menschen, die zwar nicht ihr komplettes Leben nach den Sternen ausrichten würden, aber folglich zumindest dafür anfällig sind, Dinge zu glauben, die jeglicher evidenzbasierter Grundlage entbehren.

Prozentuale Zustimmung zur Bewertung von Astrologie als wissenschaftlich(National Science Board, 1979–2018)

https://www.nsf.gov/statistics/seind14/index.cfm/chapter-7/c7s2.htm

Doch wie ist diese Anfälligkeit zum Aberglauben innerhalb der Gesellschaft eigentlich verteilt? Schaut man sich die Ergebnisse der deutschen Autoritarismus-Studie genauer an, stößt man auf deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen stimmten signifikant häufiger Aussagen zu Aberglauben zu (18,4 Prozent) als Männer (8,8 Prozent).4 Diesen Befund bestätigen auch andere internationale Studien. Woher diese Unterschiede kommen, ist vermutlich auf diverse Faktoren zurückzuführen und hat viel mit der Sozialisation zu tun. Viele Mädchen werden bereits in jungen Jahren mit esoterischen Ansätzen konfrontiert. Vor allem Zeitschriften mit der Zielgruppe junge Frauen sind voll von esoterischen Inhalten. Darin heißt es dann: »Dein Sternzeichen verrät dir, als welches Tier du wiedergeboren wirst«, »Mega-Trend: Hexen! So entdeckst du deine magische Seite« oder »Zaubersprüche und Rituale für Anfänger«. Auch wir erinnern uns noch allzu gut daran, wie häufig wir als Teenager mit dergleichen konfrontiert wurden. Ob Gummibärchenorakel oder Gläserrücken – an esoterischen Inhalten kommen junge Mädchen kaum vorbei. Während Jungs meist eher technische Inhalte präsentiert bekommen, werden viele Mädchen von früh an auf das »Gefühlvolle« oder »Spirituelle« reduziert.

Durch diese Zusammenhänge rücken Frauen in der Esoterik recht häufig als Zielgruppe ins Zentrum. Immer wieder kommt es sogar vor, dass entsprechende Angebote als feministisches Empowerment vermarktet werden. Dabei verbirgt sich dahinter oft genug eine reine Mogelpackung. In vielen esoterischen Weltbildern wird von einem dualen Geschlechterverhältnis ausgegangen, das wiederum stereotyp mit verschiedenen Eigenschaften assoziiert wird. Das »männliche Prinzip« repräsentiert in diesem Weltbild den kühlen und rationalen Teil. Das »weibliche Prinzip« steht im direkten Kontrast dazu für Naturverbundenheit und eine Form von intuitiver Weisheit, die keiner Wissenschaft bedarf. Vielfach wird sogar behauptet, es existiere eine universelle Weiblichkeit, aus deren kollektivem Bewusstsein Frauen Kraft schöpfen könnten.5 Es gibt unzählige Workshop-Angebote, bei denen Teilnehmende ihre »weibliche Kraft« erforschen, mehr über die »heilige Menstruation« erfahren oder die eigene »Yoga-Göttin« in sich entdecken lernen sollen.

Die schottischen Soziologen Marta Trzebiatowska und Steve Bruce haben sich intensiv mit Geschlechterbildern in der Esoterik befasst und kommen zu dem Schluss, dass vieles im Milieu der ganzheitlichen Spiritualität von Frauen für Frauen angeboten wird – nicht zuletzt die beliebtesten Angebote, die sich mit Heilung und Wohlbefinden beschäftigen. »Es ist daher möglich, dass die anfängliche Kluft zwischen Männern und Frauen gering war, sich aber später aufgrund der geschlechtsspezifischen Natur der Kurse, Workshops und Behandlungen der alternativen Spiritualität verstärkt und vergrößert hat.«6 Es gibt zudem einen weiteren einleuchtenden Erklärungsansatz für die Unterschiede zwischen beiden Gruppen. In einer von Sexismus und Diskriminierung geprägten Welt versprechen spirituelle Angebote Frauen eine Form der Aufwertung, denn es geht scheinbar um »die Würdigung des weiblichen Prinzips schlechthin«. Statt Empowerment zu leben, werden in der Esoterik aber oft zutiefst antifeministische Geschlechtsstereotype manifestiert und untermauert. »Nur in der Mutterrolle findet die Frau echte Erfüllung«, oder »Fürsorglichkeit ist ein weibliches Prinzip«, heißt es dann beispielsweise. Dass die generelle Konstruktion von Geschlechts-Dualismus Menschen ausschließt, die jenseits einer binären, heterosexuellen Logik leben, wird zudem gern vergessen.

Die vorangegangenen Überlegungen machen also zwei Dinge deutlich: 1. Der Glaube an esoterische Konzepte ist in der Bevölkerung weiter verbreitet, als viele vielleicht denken. 2. Es besteht ein Unterschied zwischen den Geschlechtern, für den es unterschiedliche Erklärungsansätze gibt. Um generell zu verstehen, warum Menschen an Dinge glauben, die anderen vollkommen abwegig erscheinen, begeben wir uns zunächst in die Welt der Wissenschaft. Wenn Forscher herausfinden möchten, warum Menschen esoterischen Konzepten folgen, stehen sie allerdings erst einmal vor einer Herausforderung: Was genau fällt eigentlich unter den Begriff Esoterik, und wie lässt sich das Phänomen eingrenzen?

Bei Esoterik handelt sich um einen Sammelbegriff, der schwer zu fassen ist. Der britische Soziologe Karl Thompson beschreibt die sogenannte New-Age-Bewegung als »spirituellen Supermarkt«, aus dem sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann. Dabei werden verschiedenste Ansätze und Glaubenstraditionen nach Gusto so miteinander vermischt, dass es für einen selbst am besten passt, um so dem eigenen Seelenfrieden näherzukommen. Man habe es Thompson zufolge hier in der Regel mit einem »zusammengestoppelten Spektrum von Überzeugungen und Praktiken« zu tun, die beispielsweise »auf Buddhismus und Taoismus, Psychologie und Psychotherapie, Heidentum, Hellsehen, Tarot und Magie basieren«.7 Auch christliche Mystik wird häufig ins esoterische Weltbild integriert.

Der Begriff der Esoterik meint im eigentlichen Wortsinn eine Form der Geheimlehre, die nur bestimmten Menschen zugänglich ist. »Esoterik ist eine okkulte, elitäre Geheimwissenschaft, die nur erleuchtete Eingeweihte begreifen können. Sie entzieht sich der rationalen Auseinandersetzung«, schreibt die Soziologin und Autorin Jutta Ditfurth dazu.8 Im Gegensatz dazu steht die Exoterik – das der Allgemeinheit zugängliche Wissen. Zur Esoterik gehören beispielsweise Astrologie, Mythen, okkulte Praktiken oder Magie. Auch viele sogenannte alternative Heilmethoden werden zur Esoterik gezählt. Sogar radikale Impfablehnung kann – muss aber nicht – esoterisch geprägt sein. Trennscharf abgrenzen lässt sich das allerdings oft nicht.

Dann gibt es natürlich noch die Spiritualität, bei der das eigene Leben auf eine höhere Wirklichkeit hin ausgerichtet werden soll. Der Begriff kann religiös verstanden werden, indem er sich auf Konzepte von Göttlichkeit bezieht, das muss aber nicht immer so sein. Häufig bedient man sich in esoterischen Kreisen aber christlicher Figuren. Insbesondere biblische Engel spielen dabei immer wieder eine große Rolle. Im Esoterik-Fachhandel kann in Anlehnung an die Namen von Erzengeln beispielsweise das »Essenz-Spray Tzadkiel« gegen »Bitterkeit aus der Vergangenheit« geordert werden. Anwendern wird geraten: »Die Hände und Arme wie mit Engelsflügeln durch die Aura führen. Fühlen Sie, wie sich die Essenz im Aurafeld ausbreitet.« Für einen seligen Schlaf sorgt hingegen die »Bettwäsche Erzengel Michael«.

Es ist ein gängiger Brauch in der Welt der westlichen Esoterik, Elemente verschiedenster Religionen in einen neuen Kontext zu setzen. Deutlich wird dies beispielsweise beim Schamanismus. In der westlichen Esoterik existiert eine Vielzahl an fadenscheinig schamanistischen Angeboten, bei denen etwa Klaus-Peter aus Eckernförde vorgibt, sein vermeintlich ursprüngliches Wissen weiterzugeben. Derartiges wird auch als Neoschamanismus oder Pseudoschamanismus bezeichnet. Dass eine solche Übernahme traditioneller Ideen indigener Kulturen häufig mindestens respektlos ist, wird dabei gern ausgeblendet. Im Jahr 1993 verabschiedete eine Versammlung der Lakota-, Dakota- und Nakota-Nationen einstimmig eine »Kriegserklärung gegen Ausbeuter der Lakota-Spiritualität«. Darin heißt es: »Zu lange haben wir unter der unaussprechlichen Demütigung gelitten, dass unsere wertvollsten Lakota-Zeremonien und spirituellen Praktiken von nicht-indigenen ›Möchtegernen‹, Krämern, Kultisten und selbst ernannten New-Age-Schamanen und ihren Anhängern entweiht, verspottet und missbraucht wurden.«9 Auch die Kabbala, eine mystische Tradition des Judentums, wird immer wieder in esoterische Weltbilder eingebaut. Kulturelle und religiöse Versatzstücke werden einfach in die eigene Weltsicht integriert, ohne dass darüber nachgedacht wird, inwiefern es vielleicht unangebracht ist, sich die Kultur anderer anzueignen und diese damit auch ein Stück weit zur Modereligion zu machen.10

All die zuvor genannten Beispiele verdeutlichen eine zentrale Erkenntnis: Es ist gar nicht so leicht zu fassen, was eigentlich mit Esoterik, Spiritualität, Okkultismus oder New Age genau gemeint ist. Das macht es für eine wissenschaftliche Betrachtung und vor allem die empirische Auseinandersetzung mit der Thematik nicht gerade leichter. Was genau soll gemessen werden? Wie vergleicht man die Ergebnisse? Kann man überhaupt eine systematische Forschung betreiben, wenn noch nicht einmal klar ist, was mit dem Begriff eigentlich gemeint ist? Um ein wenig Ordnung in dieses vermeintliche Chaos zu bringen, ist es sinnvoll, zunächst die verschiedenen Kernelemente der Esoterik herauszuarbeiten. Es gibt nämlich Themen, die immer wieder auftauchen – so heterogen und vielfältig dieses Milieu auch sein mag.

Die Kernelemente des esoterischen Denkens

Der Fokus auf Selbstoptimierung: Oftmals geht es bei esoterischen Praktiken darum, das eigene Leben zu verbessern und mit dem »wahren Selbst« in Kontakt zu treten. Gemäß vieler Konzepte ist man dabei für das eigene Glück komplett selbst verantwortlich – äußere Faktoren spielen kaum eine Rolle mehr. Ein solcher Fokus auf das eigene Selbst ist ein durchgängiges Motiv in der esoterischen Praxis. Der Wunsch nach Selbstoptimierung ist der Grundsatz, nach dem unzählige Ratgeber-Bücher, Workshops und Kurse operieren. Eine ausgeprägte Beschäftigung mit dem eigenen Selbst kann manchmal auch als Form der Flucht verstanden werden. 2016 urteilte die Autorin Margarete Stokowski im Spiegel: »In Zeiten von Pegida, AfD und brennenden Flüchtlingsheimen scheinen Achtsamkeit, Detox und Ausmalbücher kein Trost zu sein, sondern eine neue Art von infantilem Eskapismus: eine Art Pastell-Biedermeier. Das Draußen wirkt so bedrohlich, dass die Flucht in den eigenen Dünndarm als einziger lebenswerter Ausweg erscheint.«11 Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Befürwortung von esoterischen Praktiken auch empirisch mit einem stärkeren Individualismus einhergeht. In so einem Weltbild liegt der Fokus vor allem auf dem eigenen Selbst und den persönlichen Zielen.12

Das Selbst als höchste Instanz: In den unterschiedlichen Ausprägungen der Esoterik wird sich immer wieder auf verschiedenste Gottheiten bezogen. Diese sind dort aber in der Regel entweder weniger zentral oder stärker personalisiert als beispielsweise bei den Weltreligionen. Oft geht es auch gar nicht um externe Gottheiten, die über allem stehen, sondern vielmehr die eigene Göttlichkeit, die es zu entdecken gilt. »Die Innere Göttin« sei »unsere Körperseele, ein unerschöpflicher Quell an Weisheit und Lebenskraft«, heißt es dann beispielsweise. Für nur 395,– Euro wird das Weiblich-Göttliche laut einem Online-Angebot nicht nur befreit, sondern auch gleich geheilt – samt »Harmonisierung der feinstofflichen Energien in deinen Geschlechtsorganen«.

Wenn man auf Menschen trifft, die sich als erleuchtet wahrnehmen – und dies direkt allen ungefragt mitteilen –, wirkt es oft so, als diente die esoterische Weltsicht auch dazu, sich über andere zu stellen und ein Gefühl der Überlegenheit zu erzeugen. Die niederländischen Psychologinnen Roos Vonk und Anouk Visser sagen, dass Spiritualität eigentlich der Idee folgt, über das eigene Selbst hinauszuwachsen. Allerdings klaffen dabei Anspruch und Realität manchmal doch recht weit auseinander. »Ein zugrunde liegendes Thema in allen spirituellen Trainings, von Achtsamkeit und Meditation bis hin zu Heilung und Aura-Lesen, ist, dass sie die Bindung an das persönliche Selbst und Ego-Bedürfnisse wie soziale Anerkennung und Erfolg reduzieren«, schreiben die beiden in einem Aufsatz. Ironischerweise spielen bei spirituellen Trainings jedoch manchmal auch Motive eine Rolle, die überhaupt nicht »erleuchtet« wirken: »Menschen können aufgrund ihrer spirituellen Entwicklung darauf abzielen, erfolgreicher, respektierter oder mehr geliebt zu werden. Auch wenn dies nicht die anfänglichen Motive sind, können diese Vorteile auf dem Weg entdeckt werden.«13 Anstatt die »höchste Wahrheit« zu finden, geht es dann eigentlich nur um die eigene Person – oder, wie die beiden Wissenschaftlerinnen es nennen, um »spirituelle Überheblichkeit«.

Die beiden kamen außerdem zu dem Schluss, dass diese spirituelle Überheblichkeit weniger etwas mit einem niedrigen Selbstwertgefühl als vielmehr mit stärkeren Ausprägungen von Narzissmus zu tun hat. Narzissmus als Persönlichkeitseigenschaft beschreibt die Tendenz, dass Menschen glauben, besonders großartig zu sein. Infolgedessen erwarten sie besonders viel Bestätigung. Dieses Merkmal ist bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Mit hohen Werten von Narzissmus gehen oft Selbstzentriertheit, mangelnde Rücksichtnahme und fehlende Empathie einher. In besonders starken Ausprägungen kann Narzissmus auch zur Persönlichkeitsstörung werden. Aussagen, denen Menschen mit hohen Narzissmus-Werten eher zustimmen, lauten zum Beispiel: »Wenn ich die Welt regieren würde, wäre sie ein viel angenehmerer Aufenthaltsort« oder »Ich neige dazu anzugeben, wenn sich mir Gelegenheit dafür bietet«.

Die Schweizer Beratungsstelle infosekta beschreibt genau diesen Mechanismus: Aus narzisstischer Sicht sei insbesondere die Vorstellung attraktiv, »mithilfe esoterischer Techniken könne ein Mensch alles verstehen, durchschauen bzw. den tieferen Sinn dahinter erkennen«.14 Esoterische Angebote versprechen also, narzisstische Bedürfnisse zu befriedigen. Gerade für Menschen mit starkem Hang zum Narzissmus ist es schmeichelhaft zu hören, man sei »erleuchtet« oder trage eine »göttliche Kraft« in sich, die einen irgendwie besonders macht und von anderen abhebt.

Eine weitere Grundidee innerhalb der Esoterik ist, dass man die Welt durch seine eigenen Gedanken oder magische Handlungen direkt beeinflussen könne. Das eigene spirituell »erwachte« Selbst steht dann sozusagen über allem. Das ist auch ein wichtiger Unterschied zu vielen Religionen: Darin wird Omnipotenz in der Regel einem Gott oder mehreren Göttern zugeschrieben, in der Esoterik wird aber der Gläubige selbst oft zur Gottheit. Durch die Brille einer solchen Überzeugung kommen einige Menschen dann zu dem Ergebnis, keine aufwendige Psychotherapie zu benötigen, um schwierige Beziehungen aufzuarbeiten. Ein Wochenendworkshop mit esoterisch aufgeladener Familienaufstellung scheint ausreichend, um tiefgehende Konflikte zu lösen, so die Beratungsstelle infosekta.

Das holistische Weltbild: Im Esoterik-Bereich wird vermutlich kein Begriff so häufig genutzt wie »Ganzheitlichkeit«. Bei einem ganzheitlichen Ansatz geht es erst einmal darum, nicht nur auf einzelne Faktoren zu schauen, sondern das Wechselspiel verschiedener Einflüsse zusammenzudenken. Krankheit wird nicht ausschließlich in Bezug auf die körperlichen Aspekte betrachtet, sondern als Interaktion von Körper und Geist verstanden. Allerdings kann der Begriff der Ganzheitlichkeit auch Tür und Tor öffnen für vollkommen evidenzfreie Behandlungen, die sogar gefährlich werden können – etwa wenn Krebs als geistige Blockade verstanden wird.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass der individuelle Glaube an alternative Heilmethoden sowie der Glaube an Übersinnliches häufig mit einem holistischen Weltbild einhergehen.15 In psychologischen Modellen zu verschiedenen Denkstilen werden analytische und holistische Denkstile einander gegenübergestellt: Während analytisches Denken sich dadurch auszeichnet, dass Menschen eher dazu neigen, Ereignisse auf der Grundlage von Logik zu erklären und Widersprüche zu vermeiden, zeichnet sich holistisches Denken dadurch aus, die Beziehungen zwischen den Dingen zu betrachten und sich eher auf erfahrungsbasiertes Wissen zu stützen. Widersprüche werden innerhalb eines solchen Weltbilds eher ausgehalten und führen seltener dazu, dass eine Überzeugung direkt verworfen wird.16 Dementsprechend spielen Intuition und das eigene Bauchgefühl bei Menschen mit einem holistisch geprägten Denkstil auch eine größere Rolle. Es geht stärker darum, wie Dinge sich anfühlen; wissenschaftliche Fakten werden demgegenüber vernachlässigt. Ein holistisches Weltbild begünstigt, dass Anhänger von Esoterik glauben, eine »tiefere Wahrheit« sei hinter allem verborgen. Etwas, das so groß ist, dass es sich dem logischen Denken entzieht und nur durch Übersinnliches oder spirituelle Praktiken wahrgenommen werden kann.

Magisches Denken als Grundlage: Ein weiteres Kernelement esoterischer Ansätze ist das magische Denken. Beim magischen Denken geht es keineswegs nur um Kobolde, Elfen oder die Wirkweise von Zaubertränken, sondern auch darum, dass man beispielsweise glaubt, dass sich allein durch die Kraft der Gedanken Geschehnisse in der Welt beeinflussen lassen. Magisches Denken bezeichnet in der Psychologie die Tendenz, dass Ereignisse, die nicht miteinander zusammenhängen, als miteinander verbunden wahrgenommen werden. Beispielsweise, wenn jemand dreimal auf Holz klopft, in der Hoffnung, so Krankheiten abwenden zu können. Wenn Kinder glauben, dass die Sonne nur dann scheinen wird, wenn zuvor der Teller leer gegessen wurde, ist auch das eine Form magischen Denkens. Man nimmt die Welt dann in einer Art und Weise wahr, die physikalische Prinzipien ausblendet. Viele Menschen neigen dazu, zu glauben, dass sich positive oder negative Energien auf sie selbst oder Objekte übertragen würden und man sozusagen spirituell kontaminiert werden kann.17 Auch dies zählt zum magischen Denken. Würden Sie beispielsweise einen Pullover vom Secondhandshop mit gutem Gefühl tragen, wenn Sie wüssten, dass er vorher im Besitz eines bösartigen Menschen gewesen ist?

Bei Kindern tritt magisches Denken sehr häufig auf – gerade im Alter zwischen zwei und sieben Jahren.18 Erinnern Sie sich vielleicht noch daran, wie Sie als Kind die Hände vor die Augen gehalten und geglaubt haben, so für andere Menschen zu verschwinden? Oder an die Zahnfee, die den verlorenen Zahn mitnimmt und dafür ein Geschenk dalässt? Beides sind typische Beispiele für kindliches magisches Denken. Ein derartiges Verhalten ist für Kinder vollkommen normal und lässt tendenziell mit zunehmendem Alter nach. Auch da gibt es aber Ausnahmen. In seiner Extremform kann magisches Denken sogar ein Bestandteil von Schizophrenie sein. Betroffene denken dann beispielsweise, sie würden ihre Gedanken von fremden Mächten eingeflüstert bekommen. An sich ist magisches Denken aber kein psychopathologisches Phänomen, also nicht automatisch Bestandteil einer psychischen Erkrankung.19

Verschiedene Studien konnten zeigen, dass magisches Denken und die Nutzung von New-Age-Praktiken wie Tarot oder Astrologie zusammenhängen. Je stärker das magische Denken ausgeprägt ist, desto eher greifen Menschen zu esoterischen Verfahren. Obwohl viele Menschen magisches Denken in gewissen Zügen auch noch im Erwachsenenalter ausleben, gibt es natürlich Unterschiede, wie stark das eigene Leben dadurch bestimmt wird. Nicht jeder konsultiert schließlich gleich ein Medium oder pendelt den Arbeitsvertrag aus. Man klopft auf Holz, um Unglück abzuwehren, trägt die Glücksunterhose bei wichtigen Fußballspielen oder hofft, dass die schwarze Katze kein Unglück bringt. Magisches Denken beeinflusst manchmal sogar die Entscheidungen von gänzlich unesoterischen Unternehmen. Eine US-amerikanische Untersuchung von 2013 ergab, dass von 629 gelisteten Eigentumswohnungen mit 13 oder mehr Stockwerken nur 55 überhaupt eine 13. Etage hatten. Laut der Studie hatten 91 Prozent der Gebäude mit einer 13. Etage diese in etwas weniger Unheimliches wie 12B oder 14A umbenannt, um potenzielle Kunden nicht abzuschrecken.20

Eine Studie aus Spanien konnte zeigen, dass soziale Isolation während der Covid-19-Pandemie mit einem Anstieg von magischem Denken und pseudowissenschaftlichen Einstellungen einherging. Erklärt wurde dieser Anstieg mit der Theorie der sozialen Marginalisierung, nach der die Entstehung pseudowissenschaftlicher Überzeugungen infolge von sozialer Isolation und Ausgrenzungserlebnissen verstärkt werden kann.21 Die deutsche Psychologin Claudia Barth hat sich in ihrer Forschungsarbeit intensiv mit Esoterik auseinandergesetzt und sagt: »Im Rahmen meiner Untersuchungen wurde der Nutzen von Esoterik vornehmlich von jenen Menschen beteuert, die bereits einiges in ihrem Leben erreicht hatten, aber doch an irgendeinem Punkt gescheitert sind. Oft erzählten sie mir viel aus ihrem Arbeitsleben, wie sie versuchten, alle Anforderungen, die an sie gestellt wurden, zu erfüllen, wie sie schließlich scheiterten und wie die Esoterik ihnen half, wieder auf die Füße zu kommen.«22 Magisches Denken wird somit von einigen Menschen als eine Art Kompensationsmechanismus genutzt, um mit Krisen umzugehen.

Der Glaube an eine gerechte Welt: Als Menschen müssen wir damit umgehen, dass es in der Welt nicht immer gerecht zugeht. Diejenigen, die reich geboren werden, haben es prinzipiell einfacher, auch reich zu bleiben. Krankheiten fragen nicht nach Schuld. Kinder werden in Kriege und Armut geboren. Es gibt unterschiedliche Wege, mit diesen Ungerechtigkeiten umzugehen. Man kann sich mit ihnen auseinandersetzen und versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Man kann aber auch so tun, als wären die Ungerechtigkeiten irgendwie gerechtfertigt, indem man sie als Teil einer »natürlichen Ordnung« begreift. Derartige legitimierende Mythen aus der Welt der Esoterik können somit zur Stabilisierung und Rechtfertigung von Ungerechtigkeiten beitragen.23 Bei legitimierenden Mythen glaubt man dann beispielsweise, dass Frauen ja zu Recht schlechter bezahlt würden, weil ihnen die Familie wichtiger sei als die eigene Karriere. Oder dass es zu Recht in der Gesellschaft Gruppen gebe, die dominieren, und andere, die von ihnen beherrscht würden, da dies nun einmal der natürliche Lauf der Dinge sei.

Was das alles mit Esoterik zu tun hat? Auch in der Esoterik gibt es eine Weltsicht, die oft davon geprägt ist, dass alles in der Welt eine natürliche Ordnung hat. Der Psychoanalytiker Bert Hellinger, der sich durch esoterisch geprägte Familienaufstellungen einen Namen gemacht hat, ging beispielsweise davon aus, es gebe eine Grundordnung des Lebens. »Das zweite Lebensbasisprinzip, die Rangordnung, verlangt, dass jeder in seiner Familie den ihm bestimmten Platz einnimmt, der nur ihm zukommt. […] Wenn sich ein später Dazugekommener über jemanden erhebt, der vor ihm da war, verstößt er gegen diese Rangordnung«, heißt es auf der Internetpräsenz einer nach Hellinger benannten Schule. Die Psychologin und Autorin Heike Dierbach hat sich intensiv mit der Szene esoterischer Familienaufstellungen auseinandergesetzt und sieht derartige Ansätze sehr kritisch: »Gerade krebskranke Frauen mussten sich dort oft anhören, ihre Krankheit selbst verursacht zu haben – meist, weil sie angeblich ungerecht zu einem Mann waren.«24 Hinter solchen Denkmustern stand womöglich die Annahme, diese Frauen hätten gegen die »natürliche Rangordnung« der Geschlechter verstoßen.

In der Theorie zum Gerechte-Welt-Glauben des US-amerikanischen Psychologieprofessors Melvin J. Lerner geht es darum, derartige Gesellschaftsvorstellungen wissenschaftlich zu fassen. Der Gerechte-Welt-Glaube meint die generelle Erwartung, dass es in der Welt gerecht zugehe und dass alle das bekämen, was sie verdienen würden.25 Typische Sätze, die zum Glauben an eine gerechte Welt passen, lauten beispielsweise: »Alles geschieht aus einem bestimmten Grund«, oder »Man erntet, was man sät«. Innerhalb eines solchen Weltbilds muss man sich nicht mehr damit auseinandersetzen, welche Ungerechtigkeiten es in der Welt gibt, was die eigene Rolle darin ist und wie man dagegen vorgehen könnte. Die Verantwortung wird nicht nur ausgelagert, schlimmer noch: Es kommt sogar zur Täter-Opfer-Umkehr. Je stärker der Glauben an eine gerechte Welt, desto eher werden beispielsweise Menschen, die HIV-positiv oder krebskrank sind, abgewertet. Innerhalb dieses Weltbilds müssen sie ja schließlich selbst schuld an ihrer Erkrankung sein, weil sonst die spirituelle Ordnung infrage gestellt werden müsste.26 Ähnliche Befunde zeigten sich im Rahmen einer Studie zur Untersuchung der Abwertung von Menschen im globalen Süden, die in Armut leben. Nur wenn man Menschen für ihre Armut selbst verantwortlich macht, lässt sich das Bild einer gerechten Welt aufrechterhalten.27

Es gibt also fünf Kernelemente, die uns in der Esoterik immer wieder in unterschiedlichen Ausprägungen begegnen: der Fokus auf Selbstoptimierung, die Betrachtung des Selbst als höchste Instanz, ein holistisches Weltbild, der Hang zu magischem Denken und der Glaube an eine gerechte Welt. Aber lässt sich eigentlich messen, wie anfällig man selbst für all das ist? In der wissenschaftlichen Forschung hat sich gezeigt, dass es tatsächlich Persönlichkeitsmerkmale gibt, die vorhersagen, wie sehr Menschen an Astrologie und dergleichen glauben. Wissenschaftler sprechen dabei vom esoterisch-affinen Persönlichkeitstyp. Diese Neigung wird mithilfe des sogenannten Esoterik-Neigungs-Inventars erhoben.

Der Esoterik-Neigungs-Inventar

Wir bitten Sie nun, die folgenden Fragen zu Ihrer Persönlichkeit zu beantworten, um Ihre Werte anschließend bestimmen zu können.

Ich bin eher zurückhaltend, reserviert.

☐ Ja (1 Punkt)

☐ Nein (0 Punkte)

Ich schenke anderen leicht Vertrauen, glaube an das Gute im Menschen.

☐ Ja (0 Punkte)

☐ Nein (1 Punkt)

Ich bin bequem, neige zur Faulheit.

☐ Ja (1 Punkt)

☐ Nein (0 Punkte)

Ich bin entspannt, lasse mich durch Stress nicht aus der Ruhe bringen.

☐ Ja (1 Punkt)

☐ Nein (0 Punkte)

Ich habe nur wenig künstlerisches Interesse.

☐ Ja (1 Punkt)

☐ Nein (0 Punkte)

Ich gehe aus mir heraus, bin gesellig.

☐ Ja (0 Punkte)

☐ Nein (1 Punkt)

Ich neige dazu, andere zu kritisieren.

☐ Ja (1 Punkt)

☐ Nein (0 Punkte)

Ich erledige Aufgaben gründlich.

☐ Ja (0 Punkte)

☐ Nein (1 Punkt)

Ich werde leicht nervös und unsicher.

☐ Ja (1 Punkt)

☐ Nein (0 Punkte)

Ich habe eine aktive Vorstellungskraft, bin fantasievoll.

☐ Ja (0 Punkte)

☐ Nein (1 Punkt)

Ergebnisse des Persönlichkeitstests

0–3 Punkte:

Sie haben das Bedürfnis, von anderen Menschen gemocht und bewundert zu werden, und dennoch neigen Sie dazu, sich selbst gegenüber kritisch zu sein. Sie haben zwar einige persönliche Schwächen, sind aber im Allgemeinen in der Lage, sie zu kompensieren. Sie haben beträchtliche ungenutzte Kompetenzen, die Sie nicht zu Ihrem Vorteil genutzt haben.

4–6 Punkte:

Manchmal haben Sie ernsthafte Zweifel daran, ob Sie die richtige Entscheidung getroffen oder das Richtige getan haben. Sie bevorzugen ein gewisses Maß an Veränderung und Abwechslung und werden unzufrieden, wenn Sie durch Einschränkungen und Begrenzungen eingeengt werden. Außerdem sind Sie stolz darauf, ein unabhängiger Denker zu sein, und akzeptieren die Aussagen anderer nicht ohne zufriedenstellende Beweise. Sie haben jedoch immer wieder festgestellt, dass es unklug ist, zu offen zu sein und sich anderen gegenüber zu offenbaren.

7–10 Punkte:

Äußerlich diszipliniert und selbstbeherrscht, neigen Sie innerlich dazu, sich Sorgen zu machen und unsicher zu sein. Manchmal sind Sie extrovertiert, aufgeschlossen und gesellig, ein anderes Mal sind Sie introvertiert, vorsichtig und zurückhaltend. Einige Ihrer Wünsche sind eher ungewöhnlich und unrealistisch.28

Haben Sie sich in der Auswertung unseres kleinen Tests wiedererkannt? Dachten Sie vielleicht: Diese Beschreibung trifft wirklich genau auf mich zu? Oder zumindest in Teilen? Haben Sie sich dabei ertappt, dass sehr persönliche Punkte angesprochen wurden, die sogar engen Freunden nicht aufgefallen wären? Wenn ja, dann geht es Ihnen wie einem Großteil der Menschen. Sie haben gerade nämlich Bekanntschaft mit dem sogenannten Barnum-Effekt gemacht. Das von uns vorgestellte »Esoterik-Neigungs-Inventar« existiert nicht, die Texte der Auswertungen waren vollkommen generisch. Es gibt auch keinen »esoterisch-affinen Persönlichkeitstyp«.

Wir haben tatsächlich eine sehr bekannte Skala namens Big Five Inventory (BFI-10) genutzt, die zur Erfassung von fünf grundlegenden Dimensionen der Persönlichkeit eingesetzt wird. Mithilfe solcher Fragen wird zum Beispiel geschaut, wie offen man grundsätzlich für neue Erfahrungen ist, oder auch, wie gewissenhaft Personen sind.29 Die Fragen, die Sie beantwortet haben, sind also Teil eines echten Messinstruments der Persönlichkeitspsychologie, die Antworten sind aber kompletter Unsinn. Damit waren Sie, liebe Leser, Teil eines kleinen Experiments, das so oder so ähnlich auch in Wirklichkeit abläuft, wenn der Barnum-Effekt untersucht wird.

Der Begriff selbst geht auf Phineas Taylor Barnum zurück, der Mitte des 19. Jahrhunderts das damals beliebte Barnum’s American Museum in den USA betrieb. Bis zu 15.000 Zuschauer am Tag wurden dort mit einem Wachsfigurenkabinett, historischen Ausstellungsstücken, Tieren aus aller Welt und Theatervorstellungen unterhalten. Barnums Motto lautete: »A little something for everybody« – für jeden ist etwas dabei. Und genau nach diesem Prinzip funktioniert der Barnum-Effekt, der auch unter dem Begriff »Täuschung durch persönliche Validierung« bekannt geworden ist. Was das Ganze mit Esoterik zu tun hat? Dazu kommen wir gleich. In der Psychologie wird schon seit den 1920er-Jahren zu diesem Effekt geforscht. Bekanntheit erlangte insbesondere eine 1949 von dem Psychologen Bertram Forer veröffentlichte Studie. Die Texte für seinen Test stellte er basierend auf Horoskopen zusammen, die er am Kiosk erstanden hatte.30 In Studien zum Barnum-Effekt wird Personen in der Regel erzählt, dass sie einen Persönlichkeitstest machen würden. Anschließend bekommen alle Teilnehmenden den exakt gleichen Text als vermeintlich »persönliche Auswertung« präsentiert. Es handelt sich dabei um den nach bestimmten Regeln verfassten sogenannten Barnum-Text. Im Anschluss werden die Versuchsteilnehmer dann gefragt, wie sehr sie sich in dem Resultat widergespiegelt sehen. Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen sind beeindruckend: Eine überwältigende Mehrheit gibt regelmäßig an, dass sie durch den angeblichen Persönlichkeitstest fast perfekt beschrieben worden sei.31

Der Barnum-Effekt kommt oft bei astrologischen Analysen zum Zuge. Im Jahr 1968 wurde im Rahmen eines Experiments 150 Versuchspersonen ein angeblich personalisiertes Horoskop vorgelegt. 94 Prozent der Teilnehmenden gaben anschließend an, sie hätten sich darin wiedererkannt. Wie im Beispiel zuvor hatten jedoch auch sie alle exakt denselben Text zugeschickt bekommen: Das Horoskop war auf Grundlage des Geburtsdatums eines bekannten Serienkillers erstellt worden.32

Das Geheimnis derartiger Zustimmungswerte lüftet sich beim Blick auf die Mechanismen dahinter. Typisch für Barnum-Texte ist, dass es ihnen an Objektivität und Falsifizierbarkeit mangelt. Sie beschreiben vor allem Eigenschaften, die Menschen besitzen möchten. Wer ist nicht gern ein »unabhängiger Denker« oder hat »ungenutzte Kompetenzen«? Derartige Texte docken also gezielt an unser Grundbedürfnis nach einer positiven Selbstwahrnehmung an und spielen mit dieser. Gleichzeitig sind viele Aussagen aber derart schwammig, dass sie kaum widerlegt werden können. Trifft es nicht auf jede Person zu, dass sie manchmal gesellig ist, manchmal aber eben nicht? Wer macht sich nicht manchmal Sorgen, äußert diese aber nicht? Genau solche Methoden werden sowohl von Medien und Gurus als auch bei Horoskopen oder Kartenlegern häufig eingesetzt.33

Aber auch jenseits der Esoterik entfaltet der Barnum-Effekt seine Wirkung. Sind Sie ein Mensch vom Typ Introvertierter Intuitiver Denker und Beurteiler (INTJ) oder doch eher Extrovertierter Empfinder, Fühler und Beurteiler (ESFJ)? Wer selbst schon einmal Erfahrungen mit Online-Dating gemacht hat, kennt diese Kürzel vielleicht von Nutzerprofilen auf Tinder und Co. Die kryptischen Buchstabenkombinationen stehen für Persönlichkeitstypen, die auf Basis eines in diversen Variationen von verschiedenen Webseiten angebotenen Persönlichkeitstests ermittelt werden. Diese Tests behaupten, die Persönlichkeit von Menschen ließe sich in nur sechzehn Typen aufteilen. Von allen Menschen. Weltweit. Mit einer Handvoll Fragen. In unter einer Stunde. Angeblich ist das Ganze so genau, »dass es fast ›ein bisschen unheimlich ist‹«. Zumindest, wenn man einer der vielen Test-Webseiten Glauben schenken mag.

Ein besonders populäres Beispiel für Persönlichkeitstests ist der sogenannte Myers-Briggs-Typenindikator, der auch in Unternehmen zu den am häufigsten eingesetzten Verfahren unter anderem bei der Bewerberauswahl gehört,34 aus wissenschaftlicher Perspektive allerdings höchst fragwürdig ist.35 Der US-amerikanische Psychologe David J. Pittenger kritisierte 1993 in einem Fachbeitrag: »Da der Typ als konstantes Merkmal gilt, würden wir erwarten, dass sich die Persönlichkeit der Menschen nicht mit der Zeit ändert. Mehrere Studien zeigen jedoch, dass selbst bei einem kurzen Test-Retest-Intervall (zum Beispiel 5 Wochen) bis zu 50 Prozent der Menschen einem anderen Typ zugeordnet werden.«36 Pittenger hat eine These, warum die Tests trotzdem derart populär sind: »Wenn Sie Leuten sagen, dass sie ›innovative Denker und gute Problemlöser sind und gut darin sind, Menschen zu verstehen und zu motivieren, aber möglicherweise Schwierigkeiten haben, die Details eines Projekts zu befolgen‹, werden sie glauben, die Aussage sei eine genaue Beschreibung ihrer Selbst, unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Dieses Phänomen ist als ›Barnum-Effekt‹ bekannt.«

Um die Persönlichkeit eines einzelnen Menschen valide bestimmen zu können, braucht es nicht nur eine psychologische Ausbildung, sondern auch umfangreiche wissenschaftlich fundierte Tests, die nicht mal eben kurz in wenigen Minuten durchgeführt werden können. Das Beispiel soll zeigen: Selbst wenn Sie Horoskope und Ähnliches für Humbug halten, kann es sein, dass Sie sich von sogenannten Psychotests täuschen lassen. Das kann uns allen passieren. Denn egal ob unwissenschaftliche Persönlichkeitstests oder Horoskop – hierbei wird immer wieder auf ähnliche Methoden gesetzt, für die Menschen nachweislich empfänglich sind.

Betonung positiver Eigenschaften: Wer freut sich nicht, zu lesen, dass man »weiß, worauf es ankommt«, »im Team viel Gespür entwickelt« und »Venus aufs Gas drückt«. Wer hört nicht gern, dass er ein »äußerst hingebungsvoller und herzlicher Beschützer« sei, der immer bereit ist, die »Liebsten zu verteidigen«. Oder dass erfolgreiche Promis, Politiker und Wissenschaftler die gleiche Persönlichkeit hätten wie man selbst. Wer derart umschmeichelt wurde, ist anschließend meist nicht mehr ganz so kritisch bei der Beurteilung der Validität von Aussagen. Schließlich steht das Ergebnis im Einklang mit dem grundlegenden Bedürfnis, von unserer Umwelt positiv wahrgenommen zu werden.

Kritik, die keine ist: Eine andere Methode besteht darin, Kritik zu formulieren, die eigentlich keine ist. Wenn Sie hören, dass Sie immer viel zu perfektionistisch sind oder »zur Selbstkritik neigen«, kann das schmeicheln. Oft heißt es auch, man würde über »beträchtliche Fähigkeiten verfügen«, die man aber ungenutzt lässt. Auch hier schaut man dann nicht mehr so genau hin, woher das Gegenüber das eigentlich wissen will – und ob das überhaupt stimmt.

Ansprechen von generischen Ängsten und Sorgen: Es gibt Ängste, die derart weit in der Gesellschaft verbreitet sind, dass man eigentlich immer einen Treffer landet, wenn man sie anspricht. Wer würde schon verneinen, dass einem seine Gesundheit wichtig ist oder man möchte, dass es der eigenen (Wahl-)Familie gut geht? Formulierungen, die damit spielen, fühlen sich für viele Menschen wie eine individuelle Beschreibung an, sie sind es aber nicht.

Nutzen von vagen und ungenauen Aussagen: Barnum-Texte werden nie konkret, sondern bleiben immer vage, damit sie auf möglichst viele Menschen passen. Die darin getroffenen Aussagen sind also letztendlich nicht falsifizierbar. »Ich werde manchmal unzufrieden, wenn ich mich eingeschränkt fühle, und mag ein gewisses Maß an Veränderung« ist somit letztendlich ein Nullsatz, der nicht überprüft werden kann.

Die Betrachtung des Barnum-Effekts macht deutlich, dass die in einigen Sparten der Esoterik zum Einsatz kommenden Methoden uns auch in anderen Bereichen begegnen. Das Beispiel führt zudem vor Augen, wie schnell selbst vermeintlich hochrationale Menschen auf zweifelhafte Persönlichkeitsanalysen hereinfallen können – insbesondere, wenn sie an die jeweiligen Aussagen glauben wollen.

Ein weiteres Grundprinzip der menschlichen Informationsverarbeitung, das von Heilern, Wahrsagern oder Lebensberatern ausgenutzt wird, ist die oft einseitige Suche nach bestätigenden Informationen, Wissenschaftler sprechen hierbei auch vom Bestätigungsfehler. Dieser Effekt kommt oft zum Tragen, wenn Anhänger esoterischer Behandlungsansätze online sehr selektiv nach positiven Erfahrungsberichten suchen – und dabei kritische Artikel vollkommen ausblenden. Der Mensch neigt dazu, eher solchen Aussagen Glauben zu schenken, die sich im Einklang befinden mit den jeweiligen eigenen Einstellungen und Werten.37 Dieser Mechanismus ist an sich erst einmal nicht verkehrt, schließlich kann er auch als Abwehrmechanismus gegen groben Unsinn fungieren. Wenn beispielsweise jemand etwas behauptet, das komplett gegen unsere Weltsicht geht, werden wir schneller hellhörig und verlangen mehr Belege. Die Behauptung, man habe ein Einhorn gesehen, wird mehr skeptische Reaktionen provozieren, als wenn die Person berichtet, im Park ein Eichhörnchen gefüttert zu haben.

Grundprinzipien menschlicher Informationsbewertung

Im Alltag folgen Menschen bei der Bewertung von Informationen oft dem Ansatz des positiven Testens von Hypothesen. Das heißt, wir suchen nicht nach Belegen, die unserer Meinung widersprechen würden, sondern erinnern uns insbesondere an Informationen, die zu unserer Haltung passen und halten gezielt danach Ausschau. »Objektiv wissenschaftlich wäre es, gleichermaßen nach bestätigenden und widerlegenden Hinweisen zu suchen. Durch diese einseitige Informationssuche wird der Mensch tendenziell zu einer Bestätigung seiner Vermutung kommen«, wird das Phänomen im Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik erklärt.38

Der Bestätigungsfehler hilft uns, die Welt zu ordnen. Er kann aber auch dazu führen, dass wir uns lieber in Umfelder begeben, die unsere eigene Weltsicht nicht infrage stellen. Das kann der neue Freundeskreis mit Faible für spirituelle Heilverfahren sein, die verschwörungsideologische Telegram-Gruppe oder der Esoterik-Stammtisch im eigenen Ort. Wir bewegen uns nur noch in unserem eigenen Mikrokosmos, in dem alle die Welt so sehen, wie wir es tun. Diese Form der selektiven Wahrnehmung kann auch dazu führen, dass Menschen sich beim Lesen von Horoskopen, Persönlichkeitstests und Co. nur an das erinnern, was ihnen zugesagt hat. Wenn eine Vorhersage nicht eingetroffen ist oder eine Zuschreibung nicht auf die eigene Persönlichkeit passt, wird sie einfach wieder vergessen.

Der Bestätigungsfehler beeinflusst übrigens nicht nur Laien in ihren Urteilen. Der Mediziner Jerome Groopman machte in seinen Studien darauf aufmerksam, dass der Bestätigungsfehler auch zu Fehldiagnosen in Arztpraxen führen kann. Wenn ein Arzt bereits mit starken Vorannahmen in das Gespräch mit dem Patienten geht, kann es passieren, dass er nur nach Belegen sucht, die seine eigene Hypothese bekräftigen, und Hinweise außen vorlässt, die dagegensprechen.39

Die gute Nachricht ist: Wir sind solchen Verzerrungen nicht schutzlos ausgeliefert. Es hilft bereits, sich bewusst zu machen, dass diese Effekte existieren.40 Viele Menschen werden sicherlich skeptisch sein, wenn sie hören, dass der Charakter aller acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten angeblich durch zwölf Tierkreiszeichen bestimmt werden kann. Es gibt aber auch Momente, in denen man selbst vielleicht nicht ganz so misstrauisch ist. Wer einen Persönlichkeitstest macht oder einen Termin bei einem Positiv-Denken-Coach bucht, sollte deshalb stets schauen, ob es sich hier wirklich um einen validen Ansatz handelt oder eher um einen Marketinggag oder esoterische Pseudowissenschaft.

Insgesamt zeigt sich also: In vielen Gesellschaften gibt es einen gar nicht so kleinen Anteil an Menschen, die esoterischen Glaubenssätzen etwas abgewinnen können. Die Forschung dazu zeigt, dass diese Ansätze für Menschen eine Funktion erfüllen können. Gerade in Krisenzeiten versprechen sie, einfache Lösungen für komplexe Fragen zu liefern, und bieten eine simple Möglichkeit, sich anderen Menschen gegenüber aufzuwerten. Dabei werden psychologische Grundbedürfnisse angesprochen, die wir alle in uns tragen. Das Beispiel der zweifelhaften Persönlichkeitstests zeigt zudem, dass Aufklärung über gängige Tricks von selbst ernannten Gurus und Hellsehern einem auch in gänzlich unesoterischen Bereichen weiterhelfen kann. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir alle Trugschlüssen und Denkfehlern aufsitzen können. Der beste Schutz davor, Betrügern und Gurus auf den Leim zu gehen, ist und bleibt eine kritische Auseinandersetzung – nicht nur mit anderen, sondern vor allem auch mit sich selbst.

Kapitel 2

Von Mondwasser, kosmischen Antennenund geistartigen Kräften:Esoterik geht durch den Magen

Es ist ein geschäftiger Aprilmorgen im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel, doch uns zieht es nach drinnen. Vor uns gleiten lautlos die elektrischen Schiebetüren eines Bio-Supermarkts zur Seite. In der Auslage der angeschlossenen Bäckerei werden Dinkelbrötchen, Vollkorn-Snacks für zwischendurch und köstlich aussehende Kuchenstücke präsentiert. Doch wir haben ein anderes Ziel im Sinn und steuern auf die rechte hintere Ecke des geräumigen Geschäfts zu. Vor dem großen Regal mit Wasserflaschen machen wir Halt. Eine holt den Notizblock aus der Tasche, die andere nimmt Flasche für Flasche die unterschiedlichen Produkte aus dem Regal und studiert sie eingehend. Wir sind etwas ganz Bestimmtem auf der Spur, nämlich der sogenannten Barcode-Verschwörung.

Vor einigen Jahren kam in der Esoterik-Szene die Idee auf, mit Tinte auf Papier gedruckte Barcodes hätten eine bedrohliche Eigenschaft. In der Esoterik-Zeitschrift Borderlands