Gegenübertragung und andere Schriften zur Psychoanalyse - Paula Heimann - E-Book

Gegenübertragung und andere Schriften zur Psychoanalyse E-Book

Paula Heimann

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Beschreibung

Endlich liegen die Beiträge der bedeutenden Psychoanalytikerin Paula Heimann aus den Jahren 1942 – 1980 gesammelt in deutscher Sprache vor. Der Band enthält Arbeiten aus den 1940er bis 1950er Jahren, die sich eng an Melanie Klein orientieren, und die bedeutenden Schriften nach ihrem Bruch mit Klein. In diesen Texten diskutiert Heimann verschiedene klinische Probleme und Fragen der therapeutischen Technik, etwa solche zum psychoanalytischen Setting, zur Sublimierung, zur analen Phase oder zur Übertragung. Bahnbrechend wurde ihr ab 1950 entwickeltes Konzept der Gegenübertragung. Ihr tiefgehendes Verständnis sowohl der kleinianischen Objektbeziehungstheorie als auch der Freudschen Theorie und Technik sind auch für den heutigen Leser ein Quell der Erkenntnis. • Gegenübertragung als zentrales Konzept der Psychoanalyse bis heute wirkend • Paula Heimann war maßgeblich am Wiederaufbau der Psychoanalyse in Nachkriegsdeutschland beteiligt • Klassische Beiträge zur psychoanalytischen Theorie und Technik und ihrer Geschichte Dieses Buch richtet sich an: - Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker

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Seitenzahl: 899

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Paula Heimann

Gegenübertragung und andere Schriften zur Psychoanalyse

Vorträge und Aufsätze aus den Jahren 1942-1980

Mit einer neuen Einführung von Werner Bohleber,

mit einem Vorwort von Pearl King(1)

und einer Einführung der Herausgeberin Margret Tönnesmann

Mit Übersetzungen aus dem Englischen von Elisabeth Vorspohl

Impressum

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »About Children and Children-No-Longer. Collected Papers 1942 – 80« bei Routledge, Taylor & Francis Group, London and New York.

First published in 1989 by Routledge 27 Church Road, Hove, East Sussex BN3 2FA.

Simultaneously published in the USA and Canada by Routledge 711 Third Avenue, New York NY 10017.

© 2016 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Roland Sazinger, Stuttgart

Gesetzt von Kösel Media GmbH, Krugzell

Print-ISBN: 978-3-608-94941-4

E-Book-ISBN: 978-3-608-10967-2

E-PDF-ISBN: 978-3-608-20334-9

Dieses E-Book entspricht der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Inhalt

Vorwort für die englische Ausgabe von Margret Tönnesmann

Dank

Einführung zur deutschen Ausgabe

Paula Heimann: Ihre Konzepte neu betrachtet.

Das Ich und seine Funktionen

Das Entwicklungsmodell

Die Todestriebthese und die Regression des Ichs

Paula Heimann und die Ich-Psychologie

Das Konzept der Gegenübertragung und die intersubjektive Ausrichtung der Psychoanalyse

Ich-Spaltung, Dissoziation und Trauma

Literatur

Paula Heimanns Suche nach der eigenen Identität als Psychoanalytikerin: ein Memoire zur Einführung

Einführung der Herausgeberin

Die Abgrenzung gegen Melanie Klein

Frühe Entwicklung

Aggression und Destruktion

Behandlungstechnik

Kapitel 1Beitrag zum Problem der Sublimierung und ihrer Beziehung zu Internalisierungsprozessen (1939/1942)

Kapitel 2Anmerkungen zur Theorie des Lebens- und des Todestriebs (1942/1943/1952c)

Kapitel 3Anmerkungen zum psychoanalytischen Konzept der introjizierten Objekte (1948/1949)

Geschichte des Introjektionskonzepts

Begriffsverwendung

Introjizierte Objekte

Introjektion und Ambivalenz

Introjektion und Über-Ich-Bildung

Zusammenfassung

Kapitel 4Zur Gegenübertragung (1949/1950)

Kapitel 5Beitrag zur Neubewertung des Ödipuskomplexes – die frühen Stadien (1951/1952a)

Einleitende Bemerkungen

Die Theorie der Triebe

Unbewusste Phantasien

Erste Objektbeziehungen

Das Stadium des ganzen Objekts

Die Frühstadien des Ödipuskomplexes

Der frühe Ödipuskomplex beim Jungen

Kastrationskomplex

Der frühe Ödipuskomplex des Mädchens

Die Rolle der Introjektion

Schlussfolgerung

Anhang: Die polymorphe Phase der Triebentwicklung

Kapitel 6Vorläufige Anmerkungen über einige Abwehrmechanismen in paranoiden Zuständen (1951/1952a)

Kapitel 7Die Dynamik der Übertragungsdeutungen (1955/1956)

Unbewusste Phantasie in der Übertragung

Der Analytiker als Ergänzungs-Ich des Patienten

Kapitel 8Bemerkungen zur Sublimierung (1957/1959)

I 

II 

Nachtrag von 1974

Kapitel 9Anmerkungen zur frühen Entwicklung (1958)

Der »psychoanalytische Säugling«

Somatische Erinnerungen

Das Geburtstrauma

Kapitel 10Bemerkungen zur Gegenübertragung (1959/1960)

Kapitel 11Beitrag zur Diskussion über »Die kurativen Faktoren in der Psychoanalyse« (1961/1962a)

Kapitel 12Bemerkungen zur analen Phase

I 

II 

Kurze Literaturübersicht

III 

Meine These

IV 

Einige Bemerkungen über die Natur der Analität

Einige Bemerkungen zum analen Arbeitsmodell

Kapitel 13Kommentar zu Dr. Katans und Dr. Meltzers Vorträgen über »Fetischismus – somatischer Wahn – Hypochondrie« (1963/1964)

Kapitel 14Bemerkungen zum Arbeitsbegriff in der Psychoanalyse

Einführung

Psychische Arbeit und Therapie

Die psychoanalytische Grundregel

Die Traumarbeit

Die Witzarbeit

Die schöpferische Arbeit

Die Trauerarbeit

Zwei Modelle des psychischen Apparats

Die psychoanalytische Situation: Milieu und Arbeitsteam

a) Milieu

b) Das Arbeitsteam

Fragmente aus einer Analyse

Die Vorbesprechung

Die erste Analysenstunde

Diagnostische und technische Überlegungen

Die erste Erinnerung

Vorgeschichte zum ersten Traum

Der erste Traum

Die ersten vier Wochen – Allgemeine Beobachtungen

Phantasien

Die medizinische Behandlung des Diabetes

Humor

Das Trennungserlebnis

Wärme

Trauer

Nach der Krise

Schöpferische Arbeit

Schlussbemerkung

Kapitel 15Entwicklungssprünge und das Auftreten der Grausamkeit

I 

II 

III 

IV 

V 

Kapitel 16Kommentar zu Otto Kernbergs Beitrag »Strukturderivate der Objektbeziehungen« (1965/1966)

Strukturmodelle

Frühinfantile Abwehrmechanismen

Internalisierung

Spaltung versus Verdrängung

Kapitel 17Die Beurteilung von Bewerbern für die psychoanalytische Ausbildung (1967/1968)

Einleitung

Anmerkungen zur Bibliographie

Synkretismus

Das Unbehagen in der Psychoanalyse

Quo vadis Psychoanalyse?

Die Ziele der psychoanalytischen Ausbildung und die aus ihnen abgeleiteten Kriterien

Kapitel 18Postskriptum zu »Die Dynamik der Übertragungsdeutungen« (1969, 1955/1956)

Postskriptum

Kapitel 19Einleitende und abschließende Bemerkungen der Moderatorin zur Diskussion über »Die übertragungsfreie Beziehung in der psychoanalytischen Situation« (1969/1970a)

Abschließende Bemerkungen der Moderatorin (Paula Heimann)

Kapitel 20Wesen und Funktion der Deutung (1970b)

I. Aspekte des Wesens der Deutung

II. Die Funktion der Deutung

III. Die Sprache einer Deutung

IV. Zeitliche und inhaltliche Spanne einer Deutung

Kapitel 21Die Fehlleistung als Opferhandlung – Versagen oder Triumph? (1975a)

I. Fehlleistungen

Dr. Sterbas Unfall

II. Narzissmus

III. Kollektive Alternativen

IV. Selbstbehauptung

V. Opfer

Kapitel 22Weitere Gedanken zum Erkenntnisprozess des Analytikers (1975/1977)

Operationale Konzepte

Ich-Konfigurationen im Erkenntnisprozess des Analytikers

Der Analytiker als teilnehmender Beobachter, der zuhört

Der Analytiker als Partner in einem besonderen Dialog

Der Analytiker als sein eigener Supervisor

Kapitel 23Über die Notwendigkeit für den Analytiker, mit seinem Patienten natürlich zu sein (1978)

Einleitung

Aus einer Supervision

Aus einer Analyse

Kapitel 24Über Kinder und solche, die keine mehr sind (1979/1980)

Professionelle Überlegungen

Der Geschwisterkomplex

Die Verzweiflung der Kinder

Über Kinder lernen

Vorgaben und Einschränkungen des Herausgebers

Übereinstimmungen und Einwände

Wissenschaftliche Kriterien

Exakte Deutungen

Bibliographie ausgewählter Publikationen Paula Heimanns

Literatur

Namensregister

Sachregister

Vorwort für die englische Ausgabe von Margret Tönnesmann

Dieses Buch präsentiert eine Auswahl der Schriften Paula Heimanns in chronologischer Reihenfolge, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, »die Entwicklung ihrer Arbeitsphilosophie einschließlich der Veränderungen ihrer Sichtweisen« nachzuvollziehen, wie sie selbst 1978 in einem Einleitungsentwurf schrieb, als sie die Veröffentlichung vorbereitete. Das jeweils erste genannte Datum bezieht sich auf den Vortrag der Arbeit, das zweite ist das Jahr der Veröffentlichung. Zwei Beiträge, Kapitel 9 und Kapitel 20, werden hier zum ersten Mal publiziert, fünf Beiträge, Kapitel 8, 14, 15, 18 und 23, zum ersten Mal in englischer Sprache.

Nicht alle Veröffentlichungen Paula Heimanns konnten in diese Sammlung aufgenommen werden. Wir haben uns an ihrer eigenen Auswahl, die sie 1978 vorbereitete, orientiert, mussten aber einige der Artikel ausschließen. Allerdings haben wir eine unseres Wissens vollständige Bibliographie ihrer Schriften erstellt. Weil sie in mehreren Sprachen veröffentlicht hat, ist es möglich, dass wir Publikationen in fremdsprachigen Fachzeitschriften, die uns nicht zugänglich sind, übersehen haben.

Paula Heimann hat ihre Vorträge in verschiedenen Ländern gehalten, und so sind teils wörtliche Wiederholungen und Überschneidungen unvermeidlich. Wir haben solche Texte gleichwohl in diese Sammlung aufgenommen, wenn einzelne Passagen in einem neuen, für das Vortragsthema relevanten Kontext wiederkehren.

Dank

Ich danke Pearl King(2) für das Memoire, mit dem sie diese Sammlung der Schriften Paula Heimanns einleitet. Kein Analytiker aus der British Psycho-Analytical Society(1) wäre dazu besser geeignet als sie. Pearl King(3) hat viele Jahre lang persönlich erlebt, wie Paula Heimann das Leben der Society(2) mitgestaltete, durfte für das Archiv der Gesellschaft ausführliche Gespräche über ihren beruflichen Werdegang mit ihr führen und hat sie als Kollegin und ehemalige Dozentin hoch geschätzt. So lernt der Leser dank dieser Erinnerungen auch den Menschen Paula Heimann kennen.

Ich danke David Tuckett, dem Herausgeber der New Library of Psychoanalysis, für seine Unterstützung. Er hat mir bei der Vorbereitung des Manuskripts immer wieder Mut gemacht.

Ann Hayman, Pearl King(4), John Padel und Eric Rayner haben mir beim Verfassen der »Einführung der Herausgeberin« wertvolle Hilfe geleistet. Auch ihnen gilt mein Dank.

Besonders danken möchte ich meiner Kollegin und Freundin Faith Miles, die mir bei der langwierigen Sichtung und redaktionellen Bearbeitung der unveröffentlichten Beiträge Paula Heimanns zur Hand ging. Ihre Mitarbeit war auch deshalb so wertvoll, weil sie mehrere Jahre lang bei Paula Heimann in Supervision(1) war.

Meine Sekretärin Yvonne Jackson-Brown hat das Manuskript gut gelaunt und geduldig wieder und wieder getippt. Dafür hat sie einen besonderen Dank verdient.

Die Großzügigkeit von Paula Heimanns Angehörigen, die ihren literarischen Nachlass verwalten, ermöglichte es uns, in diese Sammlung sieben Arbeiten aufzunehmen, die in englischer Sprache bislang nicht zugänglich waren. Ich danke auch dem Vorstand und dem Finanzkomitee des Institute of Psycho-Analysis für die Finanzierung der Übersetzungen und der Redaktionsarbeiten.

Herausgeberin und Verlag danken den folgenden Institutionen für Abdruckgenehmigungen: The International Journal of Psycho-Analysis (Kapitel 1, 4, 5, 6, 7, 11, 12, 13, 16, 17, 19); The Hogarth Press Ltd. and The Institute of Psycho-Analysis (Kapitel 2); The British Journal of Medical Psychology (Kapitel 3, 10); The Institute for Psycho-Analysis, Chicago (Kapitel 21); dem Journal of the American Psychoanalytic Association (Kapitel 22) und der Nouvelle Revue de Psychanalyse (Kapitel 24).

Margret Tönnesmann

Werner Bohleber

Einführung zur deutschen Ausgabe

Paula Heimann: Ihre Konzepte neu betrachtet.

In ihrer Einleitung hat Margret Tönnesmann die Entwicklung von Paula Heimanns Denken nachgezeichnet und in die damalige psychoanalytische Theorielandschaft eingeordnet. Sie hat den Weg von Paula Heimann nach ihrer Abwendung von Melanie Klein in drei großen Theoriesystemen verortet:

In Freuds (1)Triebtheorie,

in den Richtungen der britischen (1)Objektbeziehungstheorien, die wie Winnicott und Balint(1) die Bedeutung der Umwelt für die seelische Entwicklung betonen,

in der amerikanischen Ich-Psychologie und deren Konzepten der Ich-Funktionen.

Heimann hat keine eigene theoretische (1)Synthese aus diesen drei unterschiedlichen psychoanalytischen Denksystemen entwickelt. Das war nicht ihr Anliegen. Die klinische Situation war für sie die »fruchtbare Matrix« der Psychoanalyse, und in ihrem Nachdenken über die Konzepte und Theorien bezog sie sich immer wieder darauf zurück. Sie war der Überzeugung, dass wir die Stimmigkeit und Fruchtbarkeit theoretischer Annahmen durch Versuch und Irrtum erproben und immer wieder überprüfen müssen, inwieweit sie sich bewährt haben oder weiterentwickelt werden können bzw. verworfen werden müssen. Ihre sorgfältige und genaue (1)Wahrnehmung der klinischen Phänomene – also dessen, was in der analytischen Situation wirklich passiert – war für sie immer wieder die Grundlage, um ihre Konzepte und Theorien zu überdenken. Sie war sich dessen bewusst, wenn sie die beschreibende Beobachtung verließ und theoretische Elemente einführte. Diese Haltung ließ sie allzu abstrakte Theorien und metapsychologische Annahmen meiden, sie begrenzte sich auf klinisch verifizierbare Hypothesen. Denn eine »Suche nach den letzten Ursachen« für klinische Phänomene setze uns der Gefahr aus, deren »aktuellen Dynamismus« zu übersehen. Heute – nach vielen Debatten über den Pluralismus in der Psychoanalyse – wird verschiedentlich genau dieser Weg präferiert, um in einen fruchtbaren Dialog der Schulen zu kommen, nämlich auf der Ebene des klinischen Austausches über Konzepte zu diskutieren, die auf der mittleren Ebene zwischen der klinischen Beobachtung und den abstrakteren Metatheorien angesiedelt sind (so z. B. Wallerstein 2005; Bohleber et al. 2013; 2016).

Wie Margret Tönnesmann in ihrer Einleitung schreibt, hat Paula Heimann 1978 bei der Zusammenstellung ihrer Arbeiten für die Buchveröffentlichung an vielen Stellen vermerkt, dass sie hier eigentlich neu formulieren müsste. Schon damals hatte sich die Psychoanalyse seit der Erstpublikation mancher ihrer Arbeiten weiterentwickelt, was umso mehr für die fast 40 Jahre danach gilt. Deshalb möchte ich die Weiterentwicklung einiger der zentralen psychoanalytischen Topoi Paula Heimanns innerhalb der psychoanalytischen Community über den Zeitraum hinaus nachzeichnen, den Margret Tönnesmann 1989 bei der Erstpublikation dieses Buches überblicken konnte.

Bevor ich damit beginne, möchte ich die Bedeutung betonen, die Paula Heimann für den Aufbau und die weitere Entwicklung der Psychoanalyse in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hatte. Sie war die Lehranalytikerin von Alexander Mitscherlich(1) und kam immer wieder zu Vorträgen und (2)Supervisionen nach Deutschland, vor allem ans Sigmund-Freud-Institut nach Frankfurt. Einige ihrer Arbeiten erschienen auch in der Zeitschrift Psyche. Zu ihrem Leben, Werk und ihrer Beziehung zur deutschen Psychoanalyse verweise ich auf das ausgezeichnete Buch von Maren Holmes (2016).

Das (1)Ich und seine Funktionen

Paula Heimann hat von Anfang ihrer klinischen Tätigkeit an dem Ich und seinen Funktionen eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Schon in ihrer ersten Arbeit zur (1)Sublimierung von 1939 beschäftigt sie sich mit der Hemmung des Ichs, seine schöpferische Tätigkeit zu entfalten. In ihrem Gebrauch des Ich-Konzeptes pendelt sie zwischen einem Ich, wie es Freud für die ganze Person benutzte – Hartmann hat es später mit dem Begriff des Selbst konzeptualisiert –, und dem Ich als Instanz der Struktur-Theorie. Bei der Betrachtung der (1)Ich-Funktionen steht für Heimann deren schöpferische Leistung im Mittelpunkt, sie spricht von einem angeborenen primären Drang des Ichs nach Sublimierung. Das schöpferische Element entspringt den Tiefen des Ichs und erweitert es. Es ist ein angeborener Faktor, der unabhängig von den (1)Objektbeziehungen besteht, aber dessen Entfaltung von ihnen abhängig ist. Heimann rekurriert auf die amerikanische (1)Ich-Psychologie von Heinz Hartmann und sein Konzept der Autonomie des (2)Ichs und der »primären (1)Ich-Energie«. Im Zusammenhang des schöpferischen Ichs verweist sie auch auf Ernst Kris und sein Konzept der »(1)Regression im Dienste des Ichs«.

Bei ihrer Untersuchung der Schicksale des (1)Narzissmus ist der schöpferische Narzissmus die dritte Stufe, nach dem primären Narzissmus der undifferenzierten Phase und dem objektfeindlichen (1)Narzissmus der (1)Selbstbehauptung der analen Phase. Heimann hat im Rahmen einer (2)Ich-Psychologie ihre Narzissmustheorie über die Hartmannsche Konzeptualisierung hinaus weiterentwickelt. Sie verbindet die Stadien des (2)Narzissmus mit bestimmten Formen von (2)Objektbeziehungen und von (1)Ich-Kreativität. Damit nimmt sie etwas vorweg, was dann Heinz Kohut(1) mit anderen Begrifflichkeiten in seiner Narzissmustheorie weiter ausformuliert hat. Exemplarisch kann ihr Narzissmus-Modell dafür stehen, wie sie Konzepte aus bestimmten psychoanalytischen Theoriesystemen aufgreift, sie aber dann in Auseinandersetzung mit der klinischen Realität eigenständig weiterentwickelt. Wir werden dies noch bei anderen Konzepten sehen können.

Das Entwicklungsmodell

Das Entwicklungsmodell der (3)Ich-Psychologie half Heimann, ihre Absetzung von den kleinianischen Theorien auf den Begriff zu bringen. In Interpretation der Strukturtheorie Freuds spricht sie von zwei Modellen des psychischen (1)Apparates. Im ersten Modell von »Ich und Es« ist das (1)Es das älteste, von Geburt an existierende System, während das Ich nur die Oberfläche des Es darstellt und durch den Einfluss der Realität als eigene Instanz ausgebildet wird. Das Ich ist insofern »eine zweitrangige Bildung«, die ihre Kräfte vom Es entlehnt. Auf dieser frühen Entwicklungsstufe beruhen die psychischen Prozesse auf einem »oral-metabolischen Prinzip«. Das Ich nimmt alle äußeren Stimuli auf und behält das Nützliche, stößt aber das Nutzlose wieder aus. »(1)Introjektion und (1)Projektion werden zu Architekten der Struktur«. Heimann entwickelt – Hartmann (1952) folgend – aufgrund von Äußerungen Freuds in »Die endliche und unendliche Analyse« (1937 c) ein zweites Modell, in dem »das Ich als eine ebenso primäre Formation anerkannt wird wie das Es« (14. Kapitel). Ich und Es sind »primäre Entitäten«, »die zuerst als undifferenziertes Ich/Es existieren« (16. Kapitel). Heimann betont, dass die Eigenschaften des Ichs nicht nur aus Abwehrkämpfen erworben werden oder aus (1)Identifizierungen mit seinen (1)Objekten herstammen, sondern auch auf angeborenen Faktoren beruhen. Das Ich verfügt auch über eigene Energiequellen, was Hartmann als »primäre (2)Ich-Energie« bezeichnet. Er war es auch, der den Begriff »undifferenzierte Phase« einführte. Sie spielte bei Freud nur eine untergeordnete Rolle, avancierte aber in der (4)Ich-Psychologie und bei Heimann zu einem zentralen Konzept. Aus dieser undifferenzierten Matrix entfalten sich (3)Ich und (2)Es, beides sind primäre Strukturen. Heimann ist bewusst, dass sie die Unterschiede der Modelle bei Freud zu scharf zeichnet, denn Freud selbst drückt sich vorsichtiger aus (1937 c, S. 86).1 Aber die Betonung der Unterschiede erlaubt Heimann, ihre eigene Absetzung von Melanie Klein zu begründen und sich dabei gleichzeitig auf Freud zu stützen. Melanie Klein verorte ihre Theorien der frühkindlichen (3)Objektbeziehungen im ersten Modell, und das Ich sei bei ihr eine sekundäre Bildung, die sich aus den unbewussten (1)Phantasien entwickelt. Das zweite Modell habe sich Klein nie zu eigen gemacht. »Sie betonte das oral-metabolische Prinzip des ersten Modells, indem sie sämtliche wichtigen Entwicklungsprozesse der Herrschaft des Oralprimats unterstellte« (16. Kapitel).

Während Klein von einem differenzierten Selbst und (2)Objekt von Beginn des Lebens an ausgeht, existiert für Heimann zu Beginn eine symbiotische Verschmelzung des Selbst mit der Mutter. Das rudimentäre Selbst ist eine narzisstische Organisation auf der Ebene des primären (3)Narzissmus und von narzisstischer (1)Omnipotenz geprägt. Das (3)Objekt wird zunächst als Erweiterung des Selbst wahrgenommen. Erst nach und nach weicht die Undifferenziertheit. Durch die Weiterentwicklung der (2)Ich-Funktionen wird ein Erkennen des Selbst und des Objektes (zunächst als orales (4)Objekt) möglich. Heimann hält Kleins Theorie der infantilen paranoid-schizoiden und depressiven (1)Position für unhaltbar. Beide Positionen seien ein klinisches Syndrom, das aber »nicht direkt auf den Säugling in der Wiege übertragen werden kann, weil die (1)Regression mit dem ursprünglichen Zustand nicht identisch ist« (13. Kapitel). Die Psychoanalyse versteht sie als einen Entwicklungsprozess mittels Differenzierung, die im analytischen Prozess stattfindet. Die schöpferische Kreativität des Ichs hat sowohl in der persönlichen Entwicklung des Einzelnen als auch in der Analyse eine leitende Funktion. Entwicklung ist für Heimann ein Voranschreiten aus einem Zustand der Verschmelzung zu größerer Differenziertheit und aggressiver (2)Selbstbehauptung in der analen Phase und über weitere Stationen zu mehr Eigenständigkeit des reifen Individuums. Auf diesem Weg ist die (1)Adoleszenz eine »formative Krise«. Das Ziel der Entwicklung liegt darin, zu einer reifen Identität und zu einer persönlichen seelischen Autonomie zu finden. Pathologische Prozesse konzeptualisiert Heimann als regressive Entdifferenzierung, in der sowohl das (5)Objekt als auch das Selbst ihre individuelle Identität verlieren. In der pathologischsten Form der Störung kehrt die ursprüngliche infantile Undifferenziertheit wieder.

Mit dieser Auffassung der seelischen Entwicklung als eines fortschreitenden Differenzierungsprozesses steht Heimann ganz in der Tradition der (5)Ich-Psychologie, die die Selbst- und Identitätsentwicklung als einen Weg beschreibt, der durch Loslösung aus Zuständen infantiler Abhängigkeit und durch sukzessive Trennung von den Primärobjekten zu Individuation und reifer Autonomie führt. Peter Blos lehnt sich dabei an die Konzepte von Separation und Individuation von Margaret Mahler an. Nach Edith Jacobson führt der Adoleszente einen Kampf um Freiheit und Individualität mit dem Ziel, eine Autonomie des Ich und (1)Über-Ichs zu erreichen und sich zu einer autonomen Persönlichkeit zu entwickeln. Diese Konzeptionen einer reifen Autonomie des Ichs wurden allerdings schon von Vertretern der (6)Ich-Psychologie selbst kritisiert. Mit dem Aufkommen der Selbst-Psychologie, der Bindungs- und Säuglingsforschung sowie der Lebenszyklusforschung verfielen sie dann gänzlich der Kritik. Der ich-psychologische Leitbegriff der autonomen reifen Persönlichkeit wurde durch den Begriff eines Selbst abgelöst, das einer intersubjektiven Matrix entstammt, die sich nicht auflöst, sondern sich durch die Entwicklungsphasen hindurch transformiert. Daraus aber zu folgern, dass das Selbst immer in intersubjektive Bedingungen eingebunden bleibt, wie dies intersubjektive Theorien tun, verdunkelt wiederum die Fähigkeit des Selbst, sich reflexiv aus diesen Bedingungen heraus zu bewegen. Das alte ich-psychologische Konzept der Autonomie des Ichs ist nicht einfach überholt. Es ist heutzutage in anderen Konzepten enthalten, so z. B. in der Bindungstheorie im sog. explorativen System und in der kognitiven Fähigkeit, von sich selbst zu abstrahieren und andere Perspektiven einnehmen zu können. Die Entwicklungsforschung spricht nicht mehr von einer autonomen (1)Ich-Entwicklung, sondern von den beiden Entwicklungskräften von Bezogenheit (relatedness) und Selbst-Definition (Blatt & Levy 2003) und deren synergistischer Interdependenz. Was hier Selbst-Definition heißt, ist eine Fähigkeit, die dem Selbst erlaubt, ein begrenztes Maß an Autonomie zu entwickeln sowie ein gewisses Maß an Freiheit von der Einbindung in die Beziehungswelt zu erlangen. Heimann hatte etwas Ähnliches im Sinn, wenn sie über den Prozess der (2)Sublimierung schreibt, dass der Mensch nicht nur ein soziales Wesen ist, sondern auch ein Einzelgänger, und jede schöpferische Tätigkeit der Einsamkeit bedarf (8. Kapitel).

Die Todestriebthese und die (2)Regression des Ichs

Obwohl zunächst eine »begeisterte Anhängerin« (15. Kapitel) der Todestriebthese Freuds und Melanie Kleins, ersetzt Heimann diese durch eine dualistische (2)Triebtheorie von (1)Libido und (1)Destruktivität, wie sie sich auch in der (7)Ich-Psychologie findet. Sie betont, dass mit dieser Theorie alle klinischen Phänomene unabhängig von der Todestriebthese einer psychologischen Erforschung zugänglich sind. Objektiv gesehen erfahre das Kind die Primärmächte von Leben und Tod durch seine Mutter. Schwere Störungen der mütterlichen Fürsorge beeinflussen die Wurzeln des Ich und alle seine Funktionen und beinträchtigen die Identitätsbildung. Der Wunsch, zu sterben oder tot zu sein, ist eine Folge einer regressiven Dynamik bis hin zur undifferenzierten Phase und einer weitgehenden Entdifferenzierung aller seelischen Prozesse. Er ist verbunden mit unbewussten (1)Phantasien, die um Rache gegen das gehasste erste Liebesobjekt kreisen und von dem magischen Glauben geleitet sind, dass dann alles wieder gut werde.

Paula Heimann und die (8)Ich-Psychologie

Ich habe einige der zentralen Konzepte von Heimann kurz dargestellt und gezeigt, wie sie sich bei der Entwicklung ihrer eigenen psychoanalytischen Konzeption an die amerikanische Ich-Psychologe anlehnte, deren Anspruch war, das Freudsche Erbe weiterzutragen und weiterzuentwickeln. Für Paula Heimann war es damit auch möglich, ihr eigenes Erbe der Freudschen Triebtheorie aus ihrer (1)Ausbildung in Berlin mit ihrer (2)Objektbeziehungstheorie, die der britischen Middle Group nahestand, zu verbinden. Heute würden wir von einem pluralistischen Theorieansatz sprechen. Um ihn näher einordnen zu können, muss ich zunächst die Entwicklung der amerikanischen (9)Ich-Psychologie und ihre Öffnung gegenüber den (3)Objektbeziehungstheorien kurz nachzeichnen. Die (10)Ich-Psychologie hatte in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg über drei Jahrzehnte eine monolithisch hegemoniale Stellung inne, während sich in der Psychoanalyse in Europa schon früh, angefangen mit Melanie Kleins Psychoanalyse sowie den anderen britischen objektbeziehungstheoretischen Ansätzen und Lacans Psychoanalyse Alternativen zur (11)Ich-Psychologie entwickelt hatten. Pluralität war den europäischen Psychoanalytikern von daher eher vertraut, auch wenn sie mit heftigen Anerkennungskämpfen verbunden war.

In der amerikanischen (12)Ich-Psychologie selbst wurden die britische (4)Objektbeziehungspsychologie und die kleinianische Psychoanalyse lange Zeit als Bedrohung der eigenen hegemonialen (1)Position wahrgenommen. Untersucht wurden die intrapsychischen Konflikte des Patienten, und der Analytiker hatte in der Behandlung eine außenstehende neutrale Position, die ihm eine objektive (2)Wahrnehmung der Konflikte des Patienten ermöglichen sollte. Potentiell störende Gegenübertragungen galt es durch Selbstanalyse auszuschalten. Robert Wallerstein (2000) beschreibt in seinem Überblick über die Entwicklung der amerikanischen (13)Ich-Psychologie, wie alarmiert man auf die frühen Arbeiten von Paula Heimann und Margaret Little über die Ubiquität der Gegenübertragung und deren potentiellen Wert für ein vertieftes Verständnis des analytischen Prozesses reagierte, denn diese Sichtweise platzierte den Analytiker direkt in der analytischen Situation (die er doch von außen beobachten sollte). Annie Reich (1951) hatte ihre Arbeit zur Gegenübertragung wie Heimann erstmals 1949 vorgetragen. In ihr festigte sie die ich-psychologische Position, dass Gegenübertragung zwar häufig vorkomme, aber ein unerwünschtes Eindringen von Anteilen des Analytikers in den analytischen Prozess sei. Es gelte sie zu kontrollieren, damit sie keinen schädlichen Einfluss ausüben könne. Wallerstein stellt fest, dass damit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Gegenübertragung »für weitere 20 Jahre aus dem amerikanischen psychoanalytischen Diskurs verbannt« wurde. Erst Anfang der 1970er Jahre bekam die monolithische Position des ich-psychologischen Paradigmas Risse. Wallerstein sieht drei miteinander zusammenhängende Linien, entlang deren sich die weitere Entwicklung vollzog (S. 662 f.):

die wachsende Anerkennung des Pluralismus, eingeläutet durch die Selbstpsychologie Heinz Kohuts(2), die sich mit ihrem abweichenden metapsychologischen Ansatz in der amerikanischen und internationalen Psychoanalyse behaupten konnte,

die Verbreitung von ursprünglich britischen objektbeziehungstheoretischen Paradigmen einer Zwei-Personen-Psychologie und von interpersonalen und intersubjektiven Ansätzen,

innere Weiterentwicklungen der ich-psychologischen Perspektive.

Vor allem die interpersonal-intersubjektiven Paradigmen haben in den letzten Jahrzehnten eine außerordentlich starke Verbreitung innerhalb der amerikanischen Psychoanalyse erfahren. Die Gründe dafür sind vielfältig und können hier nicht weiter erörtert werden. Sicher haben (3)Kohuts Selbstpsychologie und die objektbeziehungstheoretischen(4) Ansätze einer Zwei-Personen-Psychologie das Feld aufgebrochen, ebenso wie der über die Jahrzehnte steigende Einfluss der Arbeiten von Hans Loewald, der innerhalb des ich-psychologischen Rahmens eine intersubjektive Konzeption der Beziehung des Analysanden zum Analytiker als neuem (6)Objekt entwarf. Der Analytiker wurde zum Mitspieler auf der analytischen Bühne. Auch Roy Schafer (1995) sieht diese Entwicklung nicht nur als eine von außen, von anderen Theorierichtungen angestoßene Entwicklung, sondern als eine Bewegung, die schon in Hartmanns Grundgedanken der Adaptation angelegt war, den er aus der biologischen Forschung seiner Zeit bezog. (1)Anpassung habe nichts mit Konformität zu tun, sondern ist ein feldtheoretisches Konzept der Anpassung des Organismus an die Umwelt, in der er lebt. Von daher – so Schafer – ist der Weg nicht so weit zu den modernen Ansätzen, die das Selbst immer in der Beziehung von Selbst und Anderem verankern, so dass Veränderungen des Selbst nur durch den nonverbalen und verbalen Austausch im intersubjektiven Feld von Analytiker und Analysand stattfinden können.

Das heutige Feld der (14)Ich-Psychologie ist uneinheitlich; zwar finden wir noch eine relativ reine (15)Ich-Psychologie in moderner Form, aber viele Autoren kombinieren eine intrapsychische Sicht je nach Erfordernis der analytischen Situation mit einem intersubjektiv ausgerichteten Standpunkt, der ihnen hilft, die Übertragungs-Gegenübertragungsmatrix besser zu erfassen.

Das Konzept der Gegenübertragung und die intersubjektive Ausrichtung der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse kämpft schon lange mit dem Problem der Intersubjektivität. Der Befund, dass sie der Beziehung von Analytiker und Patient inhärent ist, war lange Zeit verdeckt geblieben (ausführlicher dazu Bohleber 2012; 2013). Ebenso wie bei der Frage, ob eine objektive Erkenntnis der psychischen Realität durch den Analytiker möglich ist, hat sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten auch bei anderen zentralen psychoanalytischen Problemstellungen – sozusagen unterhalb der metapsychologischen Grundpositionen – eine Wende hin zu einer stärker intersubjektiven Ausrichtung vollzogen. Vor allem die konzeptuelle Diskussion der Gegenübertragung, der projektiven (1)Identifizierung und des Enactment sowie der Rolle des Analytikers als klinische Autorität hat die Entwicklung vorangetrieben. Ich werde mich im Folgenden auf die Gegenübertragung, die projektive (2)Identifizierung und das Gegenübertragungsenactment begrenzen.

Freud sah in der Gegenübertragung eine den analytischen Prozess störende (1)Übertragung des Analytikers auf den Patienten, die seine Fähigkeit, zuzuhören und dem Patienten zu antworten, beeinträchtigte. Sie galt es durch ein Stück Selbstanalyse aufzulösen, um durch diese »psychoanalytische Purifizierung« (Freud 1912e, S. 380) wieder der blanke Spiegel sein zu können und zu einer möglichst objektiven Erkenntnis der psychischen Realität des Patienten zu kommen. Theodore Jacobs (1999) und Joshua Holmes (2014) weisen aber darauf hin, dass Freud mit seiner Metapher vom Telefonhörer – die die unbewusste Kommunikation zwischen Analytiker und Patient versinnbildlicht – implizit vorwegnahm, dass die Gegenübertragung ein Weg ist, um das Unbewusste des Patienten zu verstehen. Freud selbst war jedoch am Thema der Gegenübertragung nicht weiter interessiert. Obwohl in der Zeit nach Freud die Auffassung der Gegenübertragung als störende Übertragung des Analytikers dominierte, gab es immer wieder Ansätze zur Kritik dieser Position und zur Entfaltung des positiven Beitrags, den die Gegenübertragung für die analytische Erkenntnis leisten kann, so z. B. bei Helene Deutsch, Sándor Ferenczi, Michael Balint(2), Donald Winnicott und anderen.2

Aber erst Paula Heimanns Arbeit von 1950 wurde zu einem Wendepunkt und zum »Markstein« (Sandler 1976) einer veränderten Auffassung der Gegenübertragung. Als Gegenübertragung bezeichnet Heimann alle Gefühle, die der Analytiker gegenüber seinem Patienten empfindet. Sie ist das Forschungsinstrument, mit dessen Hilfe er das Unbewusste des Patienten erforschen kann. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das Unbewusste des Analytikers das Unbewusste des Patienten versteht. Diese Verbindung auf der tiefen Ebene kommt dann in einer unmittelbaren emotionalen Reaktion des Analytikers an die Oberfläche. Die unbewusste (3)Wahrnehmung »ist schärfer und weitsichtiger als sein bewusstes Erfassen der Situation« (4. Kapitel). Gegenübertragung ist ein integraler Bestandteil der analytischen Beziehung und sie ist eine »Schöpfung des Patienten« (ebd.). Der Analytiker übernimmt die Rolle, die der Patient auf ihn projiziert, aber er darf sich an der Szene, die der Patient reinszeniert, nicht als Mitspieler beteiligen. Er muss seine Gefühle der analytischen Aufgabe unterordnen.

Dieses Verständnis der Gegenübertragung begann in den Jahren nach 1950 mehr und mehr Verbreitung zu finden, oft in Verbindung mit dem kleinianischen Konzept der projektiven (3)Identifizierung. Die Verbreitung verlief regional unterschiedlich, zunächst vor allem in England, einigen europäischen Ländern und in Lateinamerika (dort vor allem durch Heinrich Racker und Leon Grinberg), während sich die ich-psychologisch ausgerichteten Analytiker in den USA dieser Auffassung verschlossen. Bei ihnen läuteten, wie Wallerstein (2000) und Jacobs (1999) schreiben, nach der Publikation der Arbeiten von Heimann und Little, die klar von kleinianischen Ideen beeinflusst waren, die Alarmglocken. Die von Annie Reich und anderen vertretene »klassische« Auffassung Freuds, dass Gegenübertragung kein Königsweg zum Unbewussten ist, sondern das Ergebnis von inneren Konflikten des Analytikers, beherrschte für zwei Jahrzehnte die ich-psychologische(16) Community in den USA. Erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nahm die Kritik an dieser theoretischen Positionierung langsam zu und mündete dann in einen »Dammbruch« (Jacobs 1999). In den 1980er und 1990er Jahren erschien eine Flut von Arbeiten in den psychoanalytischen Zeitschriften zum Thema Gegenübertragung. Jacobs vermutet, dass zukünftige Historiker der Psychoanalyse diesen Zeitraum wohl als die Periode der Gegenübertragungsjahre kennzeichnen werden. Hinshelwood hat eine Statistik der Veröffentlichungen zur Gegenübertragung im PEP Archive erstellt. Vor der Publikation von Heimanns Arbeit seien nur 90 Arbeiten zu dieser Thematik erschienen, während es im Zeitraum danach bis zum Jahr 1999 fast 3700 Arbeiten gewesen seien (Hinshelwood 1999, Anm. 2). Meine eigene Untersuchung ergab, dass die meisten dieser Arbeiten in den 1980er und vor allem in den 1990er Jahren publiziert wurden.

Ich kann hier die Entwicklung der Debatte um die Gegenübertragung nicht nachzeichnen, sondern möchte nur einige Anmerkungen dazu machen:

1. Im Verlauf der Debatte avancierte die Gegenübertragung zu dem zentralen Instrument des Analytikers, um die (2)Übertragung zu verstehen. Dabei wurde zwischen »normaler Gegenübertragung« (Money-Kyrle 1956), mit der der Analytiker die Produktionen des Patienten verstehend begleitet, und den Brüchen in dieser Gegenübertragung unterschieden, die dann eine spezifische Selbstreflexion der eigenen (3)Übertragungsreaktionen des Analytikers notwendig macht. Selbst wenn es sich dabei um ungelöste Konflikte oder Charakterprobleme des Analytikers handelt, so kann das nicht heißen, dass in diesem Fall die Gegenübertragung nur sein Problem ist, das er zuerst lösen müsse, sondern es gilt, die Art und Weise zu reflektieren, mit der der Patient gerade diese Reaktion im Analytiker provoziert (Kernberg 1965). Auch Heimann will hierin kein qualitativ anderes Problem sehen, sondern spricht von quantitativen Unterschieden zwischen »normaler Gegenübertragung« und etwaigen neurotischen Übertragungsproblemen des Analytikers.

2. Die zunehmend differenziertere Analyse des Wechselspiels von (4)Übertragung und Gegenübertragung hat das klinische Feld der Psychoanalyse für interpersonal-intersubjektive Konzeptionen geöffnet. Diese Entwicklung wurde durch die Verbindung der Gegenübertragung mit dem Konzept der projektiven (4)Identifizierung weiter vorangetrieben.3 In der ursprünglichen kleinianischen Version des Konzepts werden Aspekte des Selbst des Patienten, in der Regel solche, die ihm als unerträglich erscheinen, aus Abwehrgründen in das (7)Objekt, den Analytiker, hinein projiziert, um dann dort kontrolliert werden zu können. Der Analytiker ist mit Hilfe der Analyse seiner Gegenübertragung in der Lage, diese Aspekte des Selbst des Patienten zu erkennen. Die Ausarbeitung des seelischen Vorgangs, durch den unerträgliche Teile des Selbst projektiv in einem Anderen untergebracht, dort lokalisiert und kontrolliert werden, hat mitgeholfen, das Denken in zwei voneinander getrennten Subjekten aufzulockern und einer intersubjektiven Sichtweise den Weg zu bahnen. Zwar gehen viele Kleinianer davon aus, dass das, was vom Patienten projektiv im Analytiker untergebracht wird, nur mit dem projizierenden Subjekt zu tun habe und dafür kein Entgegenkommen im Verhalten des Analytikers notwendig sei, aber Bion(1) erweiterte diese Sicht der Dinge. Für ihn ist die projektive (5)Identifizierung nicht nur ein pathologischer Prozess, der der (1)Abwehr dient, sondern eine Interaktion, und zwar eine wichtige Form nonverbaler Kommunikation zwischen Mutter und Kind. Er hat diese Auffassung zu seinem Container-Contained-Modell ausgearbeitet und für das Verständnis des analytischen Prozesses fruchtbar gemacht. Die projektive (6)Identifizierung wurde als ein Weg erkannt, durch den unverstandenes und unverdautes psychisches Material des Patienten im Analytiker einem Verstehen zugeführt und dem Patienten dann in einer annehmbaren Form zurückgegeben werden kann.

Heimann lehnte nach ihrer Trennung von Melanie Klein das Konzept der projektiven (7)Identifizierung ab, weil darin mehrere unterschiedliche Prozesse miteinander vermengt würden.(2)Projektion verlagere etwas aus dem (4)Ich nach außen, aber führe nicht zu einer (2)Identifizierung, denn (3)Identifizierung bewirke eine qualitative Veränderung im (5)Ich.4 Außerdem müsse der Analytiker von sich aus bereit sein, etwas zu introjizieren. »(3)Projektion in ein (8)Objekt« beschreibe eine (2)Phantasie und sei kein seelischer Mechanismus (13. Kapitel). Heimann kritisiert das Konzept anhand ihrer Erkenntnisse aus der Behandlung von Patienten, bei denen infantile Erfahrungen mit einer ablehnenden und übergriffigen Mutter reaktiviert wurden. Für Heimann tritt die sog. projektive (8)Identifizierung »als Gegenübertragungsphänomen auf, wenn der Analytiker in seinen Wahrnehmungsfunktionen versagt, so dass er sich, statt den Übertragungscharakter rechtzeitig zu erkennen, unbewusst mit seinem Patienten identifiziert, der zu diesem Zeitpunkt in der Identifizierung mit seiner ablehnenden und intrusiven Mutter agiert und seine eigenen Erfahrungen mit umgekehrten Rollen reinszeniert« (16. Kapitel). Aber Heimann konnte sich mit ihrer Kritik der projektiven Identifizierung nicht durchsetzen.

In den 1980er und 90er Jahren hat das Konzept der projektiven Identifizierung einen enormen Aufschwung erlebt, weil es auch Analytikern aus anderen Schultraditionen hilfreich erschien, um die eigenen Gegenübertragungsreaktionen besser verstehen zu können. Das Konzept wurde aus der kleinianischen Theorie herausgebrochen und in andere theoretische Gebäude transponiert. Es war dabei vor allem sein interpersonaler Aspekt, der es für andere nützlich machte. So gehen z. B. viele moderne amerikanische Ich-Psychologen(17) davon aus, dass es passende Eigenschaften der Person des Analytikers geben muss, damit sich die (4)Projektion überhaupt an ihm anhaken kann. Andere, wie Thomas Ogden, gehen noch weiter und verstehen die gegenseitig stattfindende projektive Identifizierung als den Basismechanismus des intersubjektiven Zusammenspiels von Analytiker und Analysand. Dennoch gibt es in der amerikanischen Psychoanalyse auch Erklärungen der Gegenübertragung – wie Jacobs in seinem Übersichtsartikel bemerkt –, die an Heimanns Idee eines direkten Kanals zwischen dem Unbewussten des Patienten und des Analytikers festhalten, über den die projizierten mentalen Inhalte des Patienten in die Psyche des Analytikers übermittelt werden. Andere Auffassungen wiederum bestreiten, dass es einen direkten unbewussten Kanal geben könne, über den die Projektionen des Patienten geradlinig in der Psyche des Analytikers repräsentiert werden.

3. Auch wenn das Konzept der Gegenübertragung bei Heimann ganz auf den Beitrag des Patienten ausgerichtet war, der sich dem Analytiker durch seine Selbstanalyse erschließen kann, so bahnte es doch der Subjektivität des Analytikers den Weg, als Erkenntnisinstrument einen herausragenden Stellenwert zu erlangen. Heimann betonte, dass die analytische Beziehung eine Zweierbeziehung ist und der Analytiker die Rolle übernehmen muss, die der Patient reinszeniert. 1978 ging sie noch einen Schritt weiter und sprach von der Gegenseitigkeit und der reziproken Beeinflussung von Patient und Analytiker. Aber den Schritt zu einer dezidiert intersubjektiven Auffassung tat sie nicht. Sandler (1976) machte dann unter Bezug auf Heimann diesen Schritt und führte aus, dass der Analytiker eine Bereitschaft zur Rollenübernahme haben muss. Indem er die Rolle übernimmt, kann er in seiner Selbstanalyse die (5)Objektbeziehung erkennen, die ihm der Patient »aufzwingt«. Es kann aber auch sein, das er dies erst erkennt, nachdem er seine Reaktionen in Handeln umgesetzt hat. Damit nimmt Sandler das Konzept des Enactments vorweg.

Vor allem in den USA hat sich seit den 1990er Jahren eine intensive Diskussion um das Konzept des Enactments entwickelt, die sich mit der über die Gegenübertragung verband. Enactments sind Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene, die sich nicht verbal symbolisch ausdrücken, sondern als Handlungen. Nicht nur motorisches Verhalten ist damit gemeint, sondern darunter fallen auch paraverbale Phänomene, Schweigen und die Sprache selbst, wenn sie als Handlung verstanden werden muss. Lange Zeit wurde ein Teil dieser Phänomene in der Psychoanalyse unter dem Begriff des Agierens subsumiert. Sie hatten allerdings für eine Psychoanalyse, die sich als Redekur verstand, eine negative Bedeutung. Darin liegt auch einer der Gründe, weshalb die Psychoanalyse lange Zeit keine Handlungstheorie entwickelt hatte. In diese Lücke stieß das Konzept »enactment«, das sich als Bezeichnung für die gegenübertragungsinduzierten Handlungen des Analytikers innerhalb kürzester Zeit zu einem wesentlichen Bestandteil der Behandlungstechnik entwickelt hatte.

Theodore Jacobs (1986) prägte den Begriff »Gegenübertragungsenactment«. Er charakterisiert damit subtile, kaum wahrnehmbare Gegenübertragungsprobleme, die die Art des Analytikers, zuzuhören und zu intervenieren, durchdringen. Bei Jacobs stehen die problematischen Aspekte des Enactments des Analytikers im Vordergrund. Im Grunde handelt es sich für ihn um subtile »acting-outs« auf Seiten des Analytikers. Die Diskussion des klinischen Phänomens ging dann aber in den USA in eine etwas andere Richtung und konzentrierte sich mehr auf das Enactment als intersubjektives Beziehungsphänomen. Unter Gegenübertragungsenactment versteht man heute gemeinhin die Handlungen des Analytikers, die von den Regeln abweichen, wie etwa (1)Frustration, Ungeduld, Ärger und Langeweile. Sie können sich verbal in Formulierungen oder begleitenden Untertönen, aber auch nonverbal ausdrücken. Dieses Konzept des Gegenübertragungsenactment holte die Subjektivität und Vulnerabilität des Analytikers aus dem Dunkel eines nicht adäquaten analytisch-technischen Handelns heraus und machte sie zu unvermeidlichen Bestandteilen der Behandlungstheorie, die, wenn sie erkannt und gedeutet werden können, meist eine positive Auswirkung auf die Behandlung haben. Die Gegenübertragungsenactments sind durch unbewusste Konflikte des Analytikers mitmotiviert. Stimuliert werden sie auf einer unbewussten Ebene durch Worte und Verhaltensweisen des Patienten, in denen sich eine unbewusste (2)Phantasie aktualisiert. Im Sinne einer Gegenübertragung klinken sich die Konflikte des Analytikers sozusagen in die des Patienten ein und führen zu einer Interaktion, die für beide Partner eine unbewusste Bedeutung hat. In diesem Sinne kann man das Enactment als eine beziehungsspezifische, gemeinsam kreierte Erfahrung verstehen. Sie hat den Charakter einer affektiv unmittelbaren Begegnung, die nachträglich einem Verstehen zugeführt werden kann. Gegenübertragungsenactments ereignen sich in jeder Analyse und sind unvermeidbar, um Fortschritte und seelische Veränderungen zu erreichen.

Diese behandlungstechnischen und theoretisch-konzeptuellen Einwicklungen bewirkten, dass sich viele ich-psychologisch(18) ausgerichtete Analytiker dem intersubjektiven Denken öffneten. (1)Impulse dazu kamen in jener Zeit auch noch von der aus der interpersonalen Schule Sullivans hervorgegangenen relationalen Psychoanalyse. Gabbard (1995) kommt bei seinem Vergleich der Konzepte der projektiven (9)Identifizierung und des Gegenübertragungsenactments zum Ergebnis, dass beide Konzepte trotz bestehender Unterschiede auch große Ähnlichkeiten aufweisen. Obwohl es zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Phänomene der Gegenübertragung sind, liegt ihre hauptsächliche Gemeinsamkeit darin, dass sie als gemeinsame Schöpfung von Analytiker und Patient angesehen werden. »Der Auffassung, dass die Gegenübertragung eine gemeinsame Schöpfung darstellt, zu der beide, Analytiker und Analysand, einen Beitrag geleistet haben, pflichten mittlerweile sowohl klassische Psychoanalytiker als auch moderne Kleinianer, Objektbeziehungstheoretiker(5) und die Vertreter des sozialen Konstruktivismus bei« (1995, S. 985).

(1)Ich-Spaltung, Dissoziation und Trauma

In den 1960er Jahren entwickelte Paula Heimann in Auseinandersetzung mit dem kleinianischen Spaltungsbegriff ihr eigenes Konzept der Ich-Spaltung und ansatzweise ein darauf basierendes Verständnis von Traumatisierungen. Die (1)Spaltung in gute und böse innere (1)Objekte in der Frühentwicklung entspricht ihrer Meinung nach weder den Prozessen der seelischen Entwicklung noch denen der klinischen Realität. Die (2)Introjektion guter befriedigender Erfahrungen erfolgt ihrer Meinung nach ins (6)Ich. Sie stellen überhaupt keine Arbeitsanforderung an den psychischen (2)Apparat, sondern werden direkt ins Ich assimiliert und stimulieren seine autonomen Funktionen sowie seine kreativen Fähigkeiten. Erfahrungen negativer Valenz, vor allem mangelnde Fürsorge oder schlimme Erfahrungen, können nicht aktiv vom infantilen Ich introjiziert werden, sondern das Ich ist ihrem Eindringen passiv und wehrlos ausgeliefert. In der seelischen Struktur bilden diese Introjekte eine Substruktur. Heimann greift hier auch Begriffe aus den Studien über Hysterie von Breuer(1) und Freud auf und spricht von »separaten psychischen Gruppen«. Die Annahme eines spezifischen (1)Spaltungsmechanismus erscheint ihr klinisch selbst bei schweren Störungen nicht begründet. Heimann konzipiert ihren Begriff der Ich-Spaltung anhand von Freuds Ausführungen vor allem im Abriss der Psychoanalyse (1940 a) und anhand seiner Traumatheorie in ihren verschiedenen Versionen (1895 d; 1920 g; 1926 d). Ich-Spaltungen können mit der (1)Verdrängung und mit verwandten Mechanismen wie der Besetzungsverschiebung erklärt werden. Sie treten auch bei Neurosen auf und sind ein Teil der ubiquitären Psychopathologie. Ihre Konzeption der Verarbeitung von Erfahrungen »negativer Valenz« beim Säugling und beim Kleinkind ist für Heimann auch das Modell zur Erklärung des Traumas. Bei der traumatischen Erfahrung wird das Ich überwältigt; es ist überstarken Reizen hilflos ausgesetzt und kann sich den intrusiven Einbrüchen nicht widersetzen, so dass es zu »passiv erlittenen (3)Introjektionen« (16. Kapitel) kommt. Das Ich kann sie nicht integrieren. Infolge der Schädigung seiner synthetischen (1)Funktionen entstehen Dissoziationen und Zerrissenheiten im Ich. Es bilden sich »separate psychische Gruppen«.

Diese Heimannsche Konzeption kann mit modernen Traumatheorien durchaus verbunden werden, was ich noch kurz darstellen möchte. Wenn Heimann (2)Ich-Spaltung als Vorgang beschreibt, der infolge von »passiv erlittenen Introjektionen« zu »alternierenden Ich-Zuständen(1)« oder zu »separaten psychischen Gruppen« führt, dann hat sie damit Elemente eines modernen Begriffs der Dissoziation als psychische Abwehrformation bei Traumatisierungen vorweggenommen. Breuer(2) und Freud nahmen beim psychischen Trauma eine (2)Spaltung des Bewusstseins (»double consciousness«) an, eine Dissoziation, die zu autohypnotischen abnormen Bewusstseinszuständen führt (1895 d, S. 91). Heimann hat nicht rezipiert, dass Freud in den Studien über Hysterie den Begriff der Dissoziation, den er von Janet übernahm, benutzte, ihn aber dann durch den für ihn dynamischeren Begriff der (2)Verdrängung ersetzt hat. Er integrierte damit stillschweigend den bewusstseinsspaltenden Aspekt der Dissoziation in sein neues Verdrängungskonzept, aber damit verschwanden auch der Dissoziationsbegriff und die dissoziativen Phänomene – sieht man von Fairbairn ab – aus der psychoanalytischen Diskussion. Bei allen späteren Versionen des kleinianisch geprägten Spaltungsbegriffs, der in der psychoanalytischen Theoriebildung weithin dominierte, spielte das Trauma keine Rolle mehr, und die klinisch vorfindbaren veränderten Bewusstseinszustände nach Traumatisierungen konnten nicht mehr angemessen diagnostiziert und erklärt werden. Erst die moderne Traumaforschung schaffte hier Abhilfe. Dissoziation gilt heute als eine spezifische Reaktion des Ichs auf ein schweres Trauma. Ihr Hauptmerkmal wird als Unterbrechung der integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses und der Identität definiert. Die Dissoziation verhindert eine Überstimulation des Bewusstseins und seine Überflutung mit unerträglichen Angst- und Schmerzgefühlen. Weil die Fähigkeit des Ichs, traumatische Erfahrungen affektiv und mental zu verarbeiten, zusammenbricht, zerreißt die psychische Textur des Selbst, und ein dissoziativer Selbst-Zustand tritt ein, der mit den daraus resultierenden Erinnerungen und Affekten abgekapselt wird. Wird dieser Selbst-Zustand in der Zeit nach der Traumatisierung wieder aktiviert, indem traumatische Erinnerungen intrusiv ins Bewusstsein einbrechen, so kommt es zu dissoziativ veränderten Bewusstseinszuständen.

Paula Heimann hat keine Traumatheorie ausgearbeitet, sondern nur Ansätze dazu formuliert. Aber indem sie den kleinianischen Spaltungsbegriff nicht übernahm, sondern einen eigenen Begriff der (3)Ich-Spaltung entwickelte, blieb ihre Konzeption für moderne Traumatheorien anschlussfähig.

Literatur

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Pearl King

Paula Heimanns Suche nach der eigenen Identität als Psychoanalytikerin: ein Memoire zur Einführung

Ich begrüße die Publikation der Gesammelten Schriften Paula Heimanns, die von Margret Tönnesmann zusammengestellt wurden. Ihre Einleitung ist Paula Heimanns theoretischem und klinischem Verständnis ihrer Arbeit als Psychoanalytikerin gewidmet. Ihre Erläuterungen über die Entwicklung der zahlreichen Beiträge, die Paula Heimann zur Psychoanalyse geleistet hat, dienen dem Leser als hilfreiche Orientierung.

Man hat mich gebeten, in diesen Erinnerungen Paula Heimanns persönlichen Hintergrund und die Ereignisse zu skizzieren, die für ihre Schriften und ihre Beiträge zur Psychoanalyse besonders einflussreich waren. Ich stütze mich nicht nur auf meine persönliche Bekanntschaft mit Paula Heimann, die mir eine warmherzige, Mut machende und kreative Kollegin gewesen ist, sondern auch auf Informationen, die sie mir gab, als ich sie 1974 im Zusammenhang mit meiner Erforschung der Geschichte der British Psycho-Analytical Society(3) interviewte.

Paula Heimann wurde 1899 in Danzig geboren. Sie starb 1982 in London. Beide Eltern waren russischer Abstammung und hatten vier Kinder. Das dritte, ein Mädchen, starb. Danach wurde Paula geboren. Sie hatte immer das Gefühl, als Ersatz für diese Schwester empfangen worden zu sein, und vermutete, dass ihre Mutter zur Zeit ihrer Geburt sehr depressiv war. Als Kind hielt sie es für ihre Aufgabe, die Mutter zu trösten und zu umsorgen. Die Mutter konnte die Hilfe aber auch anerkennen und war ihrer Tochter sehr dankbar. Diese familiäre Situation spielt im Kontext der späteren analytischen und außeranalytischen Erfahrungen Paula Heimanns eine wichtige Rolle.

Wie zur damaligen Zeit in Deutschland üblich, absolvierte Paula Heimann ihr Studium der Medizin und Psychiatrie an mehreren verschiedenen Universitäten. Noch während der Ausbildung(2) heiratete sie einen Internisten, und 1925 wurde ihr einziges Kind, die Tochter Mirza(1), geboren. Die Familie ließ sich schließlich in Berlin nieder, wo Paula psychiatrische Patienten in Behandlung nahm. Irgendwann fragte eine Kollegin sie, ob sie nicht vielleicht Psychoanalytikerin werden wolle. Sie bewarb sich 1928 am Berliner Psychoanalytischen Institut, wurde von Max Eitingon(1), dem Vorsitzenden der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft(1), interviewt und zur Ausbildung(3) zugelassen. Eitingon(2) schickte sie zu Theodor Reik(1) in Analyse, der seit kurzem, aus Wien kommend, in Berlin praktizierte. Zu Paula Heimanns Lehrern zählten Fenichel(1), Hanns Sachs(1), Franz Alexander(1), Karen Horney(1) und Radó(1). Sie stand der Arbeit etlicher Berliner Analytiker kritisch gegenüber, weil sie ihrer Ansicht nach die Rolle der Aggression(1) und die Bedeutsamkeit des Todestriebes(1) unterschätzten. 1932 wurde sie als assoziiertes Mitglied in die Berliner Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. Als Hitler(1) 1933 in Deutschland an die Macht kam, bot Ernest Jones(1) Eitingon(3) schriftlich an, jüdischen Psychoanalytikern, die sich bedroht fühlten, zu helfen. Er lud sie ein, nach London zu kommen. Paula wurde von Eitingon(4) aufs wärmste empfohlen; er hatte eine Schwäche für sie, weil sie genauso wie er aus einer russischen Familie stammte. Etwa zur selben Zeit wurde Paulas Mann(1) eine Arbeitsstelle in der Schweiz angeboten; er verließ Deutschland unverzüglich, denn aufgrund seiner linkspolitischen Interessen war er besonders gefährdet. Während Paula noch überlegte, ob sie nach London übersiedeln sollte oder nicht (die Schweizer Regierung stellte weder ihr noch ihrer Tochter Mirza(2) ein Visum aus, so dass sie ihrem Mann nicht nachreisen konnte), brannte der Reichstag; irgendjemand versuchte, sie mit der Behauptung, sie habe in ihrer Wohnung ein Fest veranstaltet, um den Brand zu feiern, hineinzuziehen. Die Polizei kam während einer Behandlungsstunde und verhaftete sie. Sie wurde verhört, zahlreiche ihrer Bücher wurden beschlagnahmt, doch schließlich ließ man den Verdacht fallen. Die Erfahrung machte ihr allerdings klar, dass sie ihres Lebens in Berlin nicht mehr sicher war. Sobald sie ihr Visum bekommen hatte, brach sie zusammen mit Käthe Friedländer(1), ebenfalls Psychoanalytikerin, nach London auf. Ihre Tochter kam derweil bei einer römisch-katholischen Familie in Berlin unter und sollte dort bleiben, bis Paula in London eine geeignete Wohnung fand. Weil sie selbst natürlich nicht nach Deutschland zurückreisen konnte, um Mirza(3) abzuholen, wurde das Kind schließlich von einer arischen Freundin nach London begleitet. Paula und ihre Kollegin erhielten Visa, die es ihnen ermöglichten, im East End, damals eine sehr arme Gegend, als Psychoanalytikerinnen zu praktizieren. Sie mieteten sich in einem Guesthouse ein und begannen, nach einem geeigneten Praxisraum zu suchen. Die Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge galt lediglich für Stadtbezirke, in denen sie den Einheimischen keine Konkurrenz machten; aus diesem Grund stand »East End« auf ihren Visa. Sie fanden einen Raum und nahmen die Arbeit auf, doch ihre Patienten klagten ständig, dass sie sich beobachtet fühlten. Zuerst vermuteten sie, gleich mehrere paranoide Patienten zu haben, aber als sie ihre Aufzeichnungen miteinander verglichen, stellte sich heraus, dass ihre Praxisräume zu einem Bordell gehörten und dass die Aufsicht führende »Madam« das Kommen und Gehen ihrer Patienten scharf beobachtete. Schließlich bot sich ihnen die Möglichkeit, im Bezirk West Central zu praktizieren, was sich als günstiger erwies.

Paula war im Juli 1933 in London eingetroffen, mitten in der Ferienzeit, so dass es eine Weile dauerte, bis sie andere Analytiker kennenlernte. Jones(2) gab ihr eine Liste mit den Namen von Kollegen, denen sie einen Höflichkeitsbesuch abstatten sollte, darunter auch Melanie Klein(1). Im November 1933 wurde Paula zum außerordentlichen Mitglied der British Society(4) gewählt. Sie fand die Wissenschaftlichen Sitzungen noch steifer und förmlicher als die entsprechenden Veranstaltungen in Berlin. Melanie Klein(2), Joan Riviere(1) und Susan Isaacs(1) pflegten, so erzählte sie mir, in der ersten Reihe zu sitzen. Es war klar, dass Melanie Klein(3) damals bei den meisten Mitgliedern der britischen Gesellschaft hohes Ansehen genoss. Paula erzählte auch von zwei Ehepaaren, die gut zu ihr waren, als sie aus Deutschland ankam: Melitta(1) und Walter(1) Schmideberg(2) – Melanie Kleins(4) Tochter und Schwiegersohn, beide ebenfalls Psychoanalytiker und Paula noch aus der Berliner Gesellschaft bekannt – sowie Helen(1) und William Gillespie(1), die sie erst in London kennenlernte.

Im April 1934 informierte Jones(3) die Mitglieder darüber, dass Melanie Kleins(5) ältester Sohn bei einer Wanderung im Gebirge tödlich verunglückt war. Paula schickte ihr ein Kondolenzschreiben und erhielt daraufhin von Walter(3) Schmideberg(4) die Nachricht, dass Melanie Klein(6) sich über ihren Besuch freuen würde. Paula hatte Melanie Klein(7) 1932 auf dem Wiesbadener Kongress erlebt und fand ihre Betonung der Rolle der Aggression(2) und des Todestriebs(2) sehr ansprechend. Sie berichtete mir: »Selbstverständlich habe ich sie besucht, und sie war verzweifelt, natürlich.« Melanie Klein(8) erzählte ihr viele Dinge über sich selbst, die nichts mit dem Todesfall zu tun hatten. Paula hatte sie gefragt, weshalb sie sich an sie – eine Fremde – gewandt habe und nicht an eine ihrer englischen Freundinnen, zum Beispiel Joan Riviere(2). Die Engländer seien ihr zu fremd, und außerdem sprächen sie nicht Deutsch, gab Melanie Klein(9) zur Antwort. Paula Heimann berichtete, sie sei auf Kleins(10) Bedürftigkeit eingegangen und habe sie auf ihren Wunsch hin regelmäßig besucht. Als Melanie Klein(11) eines Vormittags beschloss, ausgehend von ihrer eigenen Trauererfahrung einen Artikel über die Trauer(1) zu verfassen, bot Paula ihr an, ihr als Sekretärin zur Hand zu gehen. Nach und nach erholte Melanie Klein(12) sich von ihrem Verlust. Ihr muss auch bewusst geworden sein, dass Paula, deren Ehe mittlerweile in die Brüche gegangen war, Hilfe brauchte. Sie lebte emotional isoliert, ohne enge Freunde, ihre ökonomische Lage war ausgesprochen prekär, sie musste sich als Flüchtling durchschlagen und war von ihren ehemaligen Freunden und allen Beziehungen in Deutschland abgeschnitten. Eines Tages gab Melanie Klein(13) ihr eine Deutung(1): Sie wünsche sich, von ihr analysiert zu werden. Paula erwiderte, dass sie keine Analyse finanzieren könne. Melanie Klein(14) antwortete, sie würde das Honorar reduzieren, habe aber ohnehin im Laufe des nächsten Jahres keinen freien Platz. Die beiden Frauen setzten ihren sozialen Umgang miteinander fort und veranstalteten unter anderem Picknicks zusammen mit den Schmidebergs(5)(2). Als Paula Melanies(15) Tochter Melitta(3) fragte, ob sie etwas dagegen habe, wenn sie zu ihrer Mutter in Analyse ginge, antwortete diese, sie habe schon damit gerechnet. Paula sagte, sie hoffe, dass ihre Beziehung nicht darunter leiden würde. Später berichtete sie mir, dass dies sehr wohl der Fall gewesen sei. Nach einem Besuch bei ihrem früheren Analytiker, Theodor Reik(2), der nach Holland emigriert war, nahm Paula Melanie Kleins(16) Angebot an.

In den Jahren zwischen 1933 und 1939 besuchte Paula Heimann die Scientific Meetings regelmäßig, beteiligte sich allerdings selten mit eigenen Diskussionsbeiträgen. Sie war aber fleißig und lernte nicht nur Englisch. Jones(4) hatte darauf bestanden, dass sie auch das britische Lizentiat in Medizin erwarb. 1938 wurde ihr die formale Qualifizierung von der University of Edinburgh erteilt. Sie erzählte mir, dass sie Jones(5) später sehr dankbar dafür gewesen sei, sie gedrängt zu haben, damals aber habe sie sehr wenig Geld gehabt und es sei ihr sehr schwergefallen.

In derselben Phase begannen Walter(6) und Melitta(4) Schmideberg, sich zunehmend kritisch über Melanie Kleins(17) theoretische Ansichten zu äußern. Unterstützt wurden sie dabei in der British Society(5) vor allem von Edward Glover(1) und Barbara Low(1). Als sich 1938 auch eine Reihe Wiener Analytiker der Gesellschaft anschlossen, erstarkte der Widerstand gegen Melanie Klein(18) beträchtlich und wuchs sich für sie zu einer realen Bedrohung aus. In ebendiesem Kontext hielt Paula Heimann 1939 vor der British Psycho-Analytical Society(6) ihren Mitgliedsvortrag »A contribution to the problem of sublimation« (eine erweiterte Fassung dieser Arbeit erschien 1942 unter dem Titel »A contribution to the problem of sublimation and its relation to the processes of internalization«5 Im selben Jahr wurde sie zum Ordentlichen Mitglied der Gesellschaft gewählt und 1940 als Kontrollanalytikerin anerkannt und somit befähigt, Kandidaten zu supervidieren. Lehranalytikern wurde sie indes erst 1944; ihren ersten Ausbildungskandidaten nahm sie 1945 in Analyse. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass zwischen 1941 und 1945 die intensiven Diskussionen über Melanie Kleins(19) Theorien und ihren Beitrag zur Psychoanalyse, vor allem aber auch über die Frage stattfanden, ob diejenigen, die Kleins(20) Sichtweise unterstützten, überhaupt zur Kandidatenausbildung und zum theoretischen Unterricht zugelassen werden sollten.

Als die Kontroversen über Melanie Kleins(21) Theorien ihren Höhepunkt erreichten, beschloss man, sie zu bitten, ihre Auffassungen in einer Reihe von Vorträgen dazulegen, die dann in schriftlicher Form von den Mitgliedern kommentiert werden sollten. Melanie Klein(22) plante vier Vorträge, verfasst von ihr selbst sowie von Susan Isaacs(2) und Paula Heimann. Paula wandte ein, dass sie zu unerfahren sei, wurde aber überstimmt. Die drei setzten sich zusammen, und Melanie Klein(23) schickte sich an, zu diktieren, was sie vortragen sollten, doch Susan Isaacs(3) rebellierte und sagte, sie könne so nicht arbeiten. Paula Heimann, die nach wie vor bei Melanie Klein(24) in Analyse war, hatte Probleme, sich zur Wehr zu setzen, durfte aber schließlich den Entwurf mit nach Hause nehmen, um ihn zu überarbeiten. Für Paula war diese Situation sehr schwierig. Sie sagte jedoch, dass sie sich von Susan Isaacs(4) unterstützt gefühlt habe, mit der sie einen der vier Vorträge gemeinsam verfasste. Die zehn »Wissenschaftlichen Sitzungen«, die schließlich stattfanden, wurden als »Freud/Klein-Kontroversen(1)« bekannt (King & Steiner 2000 [1991]).

Im Anschluss an diese Debatten und die Neuorganisation der Ausbildung(4) – sie erfolgte nun in zwei Kursen, A und B – begann Paula Heimann, sich aktiver an der Ausbildung(5) und am wissenschaftlichen Leben der Gesellschaft zu beteiligen. Ich weiß nicht, wann sie ihre Analyse bei Melanie Klein(25) beendete, glaube aber, dass sie sie in unregelmäßigen Abständen immer wieder einmal aufsuchte, wenn sie Hilfe brauchte. Paula erkannte an, dass sie des analytischen Beistandes bedurfte, und war dankbar für die Unterstützung, die sie während der schwierigen Vorkriegszeit in der Analyse gefunden hatte. Dass Melanie Klein(26) ihr aber später nahelegte, niemandem zu sagen, dass sie noch immer bei ihr in Analyse sei, bereitete ihr großes Unbehagen. Es versetzte sie in eine Position geteilter Loyalitäten, denn sie fühlte sich hin- und hergerissen zwischen Melanie Klein(27) einerseits und ihrer eigenen Integrität und Wahrheitsliebe andererseits. Heute können wir den auf Melanie Klein(28) ausgeübten Druck gut nachempfinden, denn wir wissen nun, dass Glover(2) und andere den Kleinianern unter anderem vorwarfen, Kollegen in Analyse zu halten, um auf diesem Weg ihr Verhalten in der Society(7) zu beeinflussen. Melanie Klein(29) muss damals das Gefühl gehabt haben, um das Überleben ihrer Theorien und Beiträge zur Psychoanalyse zu kämpfen.

Ich begegnete Paula Heimann zum ersten Mal als Kandidatin Ende der 1940er Jahre. Sie veranstaltete ein Seminar über Freuds(1) behandlungstechnische Beiträge und hatte mich gebeten, die wesentlichen Punkte aus der Arbeit »Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung« ((2)Freud 1912e) zusammenzufassen. Als ich Freuds(3) nachdrückliche Empfehlung referierte, der Psychoanalytiker solle »sich während der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt: die Operation so kunstgerecht als möglich zu vollziehen« (S. 380 f.), erhob sie zu meiner Verblüffung energisch Einspruch. Sie hat ihre Sichtweise später in ihrem Vortrag »On counter-transference« dargelegt, den sie 1949 auf dem 16. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Zürich hielt, an dem auch ich teilnahm. Hier schreibt sie: »Meine These lautet, dass die emotionale Reaktion des Analytikers auf seinen Patienten in der analytischen Situation eines der wichtigsten Instrumente für seine Arbeit darstellt. Die Gegenübertragung(1) des Analytikers ist ein Instrument, mit dessen Hilfe er das Unbewusste des Patienten erforschen kann.« Und weiter heißt es: »Dieser Rapport auf der tiefen Ebene tritt in Gestalt von Gefühlen an die Oberfläche, die der Analytiker in Reaktion auf seinen Patienten empfindet, in seiner ›Gegenübertragung‹«.6

Als ihre Schüler wurden wir von ihr ausdrücklich dazu ermuntert, eine ganze Bandbreite unserer affektiven Fähigkeiten, die wir zuvor als Tabu betrachtet hatten, zu nutzen. Wir konnten auf diese Informationsquelle rekurrieren, um nicht nur zu klären, welchen Gebrauch unsere Patienten von uns machten und welche Figuren aus der Vergangenheit sie auf uns projizierten, sondern auch, um die subtilen Verzerrungen zu erforschen, die das Zusammenspiel von Phantasie(3) und Realität, Wahn und Verzweiflung hervorbringt, wenn der Patient seine guten und schlechten Erfahrungen mit den realen Eltern zu verarbeiten versucht; auch die psychischen Ausgestaltungen dieser Erfahrungen ließen sich mithilfe dieses Instruments analysieren. Heute wird Paula Heimanns Auffassung weithin anerkannt, doch als sie ihre Sicht erstmals darlegte, hielten viele Analytiker ihre Thesen für Häresie. Später erst erfuhr ich von Paula, dass Melanie Klein(30) erzürnt über diesen Beitrag war und sie überreden wollte, ihn zurückzuziehen – mit der Begründung, dass er Willi Hoffer(1) nicht zusage. Ernest Jones(6) jedoch gratulierte ihr zu der Arbeit, und sie weigerte sich, ihren Standpunkt aufzugeben. Fortan wurde der Ansatz, den sie in diesem und weiteren Artikeln beschrieben hat, zur Inspiration für viele jüngere Analytiker, aber auch für die späteren Arbeiten mancher Kleinianer.

Damals hielten wir Paula Heimann für Melanie Kleins(31) »Kronprinzessin«. Häufig war sie es, die in den Scientific Meetings den kleinianischen Standpunkt vertrat und dem Vortragenden entweder ihren Segen, eine Abfuhr oder eine Lektion erteilte – je nach seinem wissenschaftlichen Standpunkt. Freilich wurden auch ihre Beiträge von anderen hinterfragt, doch ob man ihnen zustimmte oder nicht, gaben sie stets Anlass zum Nachdenken.

Während dieser Phase wurden die Ausbildungsaktivitäten der British Psycho-Analytical Society(8) vom Sekretär des Unterrichtsausschusses koordiniert, der von den Mitgliedern gewählt wurde und einen Sitz im Vorstand hatte. Bis zum Juli 1954 stammten die Sekretäre des Unterrichtsausschusses aus der Mittelgruppe. Nun beschloss man, zwei »Joint Training Secretaries« zu ernennen, einen aus der kleinianischen und einen aus der »B«-Gruppe. Paula Heimann und Hedwig Hoffer(1) verständigten sich darauf, das Amt gemeinsam zu übernehmen, und wurden gewählt. Paula saß nicht zum ersten Mal im Unterrichtsausschuss, sondern gehörte ihm seit 1949 an. Sylvia Payne(1) war, so glaube ich, die »Architektin« dieses Experiments; sie erzählte mir, dass ihr die Art und Weise, wie Paula Heimann und Hedwig Hoffer(2) zusammenarbeiteten, gut gefallen habe. Ich wurde 1955 gebeten, in der Ausbildung(6) mitzuwirken, und nahm meinen ersten Lehranalysanden noch während ihrer Amtszeit an; beide haben mich sehr unterstützt, und ich kann mich persönlich dafür verbürgen, dass sie gut kooperiert haben.

Im selben Jahr, 1955, wurde ein Komitee gegründet, das die Aktivitäten zur Feier von Freuds(4) 100. Geburtstag organisieren sollte. Es bestand aus Sylvia Payne(2), der Präsidentin der British Society(9), als Vorsitzender, sowie Paula Heimann und Hedwig Hoffer(3). Ich wurde zur Sekretärin ernannt. Da ich eng mit Paula kooperierte, konnte ich beobachten, dass sie sich in einer gemischten Gruppe, in der sie keinen spezifischen Standpunkt vertreten oder unterstützen musste, wohler fühlte; es gefiel ihr besser, sich für die Society(10) insgesamt einzusetzen, als nur in einer bestimmten Gruppierung Ansehen und Autorität zu besitzen.

1955 hielt Paula auf dem Genfer Kongress ihren Vortrag »Dynamics of transference interpretations«.7 Er fand großen Anklang; viele von uns hielten ihn für eine recht orthodoxe, hilfreiche Formulierung des kleinianischen Übertragungsverständnisses. Ebenfalls auf diesem Kongress trug Melanie Klein(32)