Geheimbünde - Gisela Graichen - E-Book

Geheimbünde E-Book

Gisela Graichen

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Beschreibung

Sie agieren im Verborgenen. Mythen und Verschwörungstheorien ranken sich um sie: Geheimbünde faszinieren die Menschen seit jeher. Es heißt, sie lenken die Geschicke des Vatikans. Sie bestimmen die Agenda des amerikanischen Präsidenten. Und sie sind die Drahtzieher hinter Finanzkrisen und Kriegen. Dieses Buch enthüllt die Hintergründe und die Macht der geheimen Gesellschaften. Sind sie tatsächlich ein Hort des Bösen, oder erlangt man durch sie tiefere Erkenntnisse? Die Autoren suchen nach Symbolen, versteckten Hinweisen und entlarven Halbwahrheiten. Ob Illuminaten oder Freimaurer, Rosenkreuzer oder Skull and Bones, Prieuré de Sion, Mithras-Kult, Opus Dei, Propaganda Due oder Tempelritter – jeder Bund bietet Schutz. Und die Geheimbünde selber nutzen die Aura der verborgenen Macht für ihre Zwecke. Es geht um das Wissen einer Elite, das nur wenige besitzen, aber viele wollen. Ein neues, spannendes, detailreiches Standardwerk über Verschwörungstheorien und das Wirken von Geheimgesellschaften. Es erklärt die Faszination, die sie auf uns ausüben, und hinterfragt ihren Mythos.

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Gisela Graichen

Alexander Hesse

Geheimbünde

Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand

Zitat

Einführung

Streng geheim

Verschwörungstheorien und verschwiegene Gesellschaften

Apollo 18

Menschen vor den Menschen?

Versunkene Welten – Science-Fiction im Wüstensand

Antikes High-Tech

Verlorenes Wissen

Sekten, Clubs und Bünde

Ich bastele mir eine Verschwörungstheorie

Metamorphosen

Die Mysterien der Isis

Die Wirklichkeit einer Parallelwelt

Gehorsam dem Guten Hirten

Fact und Fiction

Kapitel 1

Skull and Bones

Geheimorden amerikanischer Macht

Die Wurzeln: Deutschland, Deutschland über alles

Schreie aus der Gruft: Rituale der Knochenmänner

Netzwerker im Namen des Bösen? Skull and Bones und die Politik

Alte Knochen klappern besser

Kapitel 2

Opus Dei

Der Kreuzzug der neuen Templer

Flucht ins Irrenhaus

Ein Geheimbund mit Killerinstinkt?

Der Exerzierplatz Gottes

«Herz beiseite – erst die Pflicht»

Ein spirituelles Schneeballsystem

Kampfstern im Universum Kirche

Die langen Arme des heiligen Kraken

Weiße Freimaurerei?

Kapitel 3

Propaganda Due

Die Terror-Loge

Der Pate des Terrors

Das Gespenst der bleiernen Zeit

Der Stammgast

Die geheime Armee

Ein Millionenspiel auf Leben und Tod

Der lange Schatten der P2

Kapitel 4

Die Prieuré de Sion

Das Geheimnis um die Blutlinie Jesu

Ein etwas unheiliger heiliger Mann

Der Schatz von Rennes-le-Château

Das geheimnisvolle Grab

Das Vermächtnis des Abbé Begou

Vom «San Greal» zum «Sang Real»

Die Renovierung von St. Maria Magdalen

Von der Sünderin zur Heiligen

Erinnerungen aus dem alten Ägypten

Das Geheimnis des Abbé Saunière

Vier Hochstapler und ein Todesfall

Das wahre Geheimnis der Prieuré de Sion

Kapitel 5

Die Freimaurer

Eine verborgene Welt

Baumeister von Gottes Gnaden

Kirche, Kneipe, Konspiration: Die Geburt der modernen Freimaurerei

Freimaurerei im Jahrhundert der Aufklärung

Särge, Totenschädel und geheime Codes

Zwischen Bürgerbund und Ritterspielen

Von den Wüsten Palästinas in die Nebel Schottlands

Dan Brown und die Kirche der Rätsel

Ritter Kadosch und die Rächer der Templer

Bruderkrieg im Bürgerkrieg: Frankreichs große Revolution

Brüder, zu den Waffen! Die Gründung der USA

Im Reich der 97 Grade

Schüsse in Sarajevo

Diktatoren, Reflexe und ein guter Rat von Helmut Schmidt

Kapitel 6

Die Illuminaten

Zwischen Jesuitenangst und Neuer Weltordnung

Adam Weishaupt, erster Präsident der USA?

Ein einsamer Kämpfer

«Wir sind die Streiter gegen die Finsterniß»

Der Krieg der Geheimbünde

Schlimmer als die Pest

In geheimer Mission: Frankreich

Das Geheimnis der «Schwedenkiste»

Die Kolonie der Illuminaten

Kapitel 7

Die Rosenkreuzer

Der Orden der Wissenden

Kann ein Geheimbund eine neue Welt erschaffen?

Der Geheimbund der Alchemisten

Auf der Jagd nach dem Grünen Löwen

Zwei ungleiche Brüder

Preußens Krone im Bann der Rosenkreuzer

Der Krieg der «Geheimen Kirche»

«Der Tod existiert nicht, er ist nur eine Illusion.»

Heim ins Reich der Sterne

Kapitel 8

Die Templer

Zwischen Öffentlichkeit und Geheimhaltung

Einfache Anfänge: Die Kreuzzüge

Die Templer in der «Öffentlichkeit»

Päpstliche Privilegien

Grund und Boden, Handel und «Bankgeschäfte»

Das Templer-«Netzwerk»

Die Templer als Modell: Johanniter und Deutscher Orden

Rolle und Selbstverständnis

Regeln und Aufnahmerituale

Öffentliche Kritik und Prozess

Kapitel 9

Mysterium Mithras

Ein orientalischer Geheimkult in Deutschland

Mithras-Taumel in London

Antike Mysterien

Aus den Verfolgten werden Verfolger

Der Kaiser und sein Gott

Des Kaisers neuer Favorit

Der FC Mithras

Scheinhinrichtungen

Der Sieben-Stufen-Weg der Einweihung

Mit Magie und Zauber

Ex oriente lux

Wettbewerb der Religionen

Des Kaisers neuer Tempel

Kapitel 10

Verschwörungstheorien

Von der Mondlandung bis zum 11 . September

Der Roswell-Zwischenfall

Die Mond-Mission

Die Legende des Dritten Turms – Das World Trade Center 7

Die Protokolle der Weisen von Zion – Mythos einer jüdischen Weltverschwörung

Anhang

Literatur

Register

Die Autoren

Abbildungsverzeichnis

Informationen zum Buch

Sie agieren im Verborgenen. Mythen und Verschwörungstheorien ranken sich um sie: Geheimbünde faszinieren die Menschen seit jeher. Es heißt, sie lenken die Geschicke des Vatikans. Sie bestimmen die Agenda des amerikanischen Präsidenten. Und sie sind die Drahtzieher hinter Finanzkrisen und Kriegen.

Dieses Buch enthüllt die Hintergründe und die Macht der geheimen Gesellschaften. Sind sie tatsächlich ein Hort des Bösen, oder erlangt man durch sie tiefere Erkenntnisse? Die Autoren suchen nach Symbolen, versteckten Hinweisen und entlarven Halbwahrheiten. Ob Illuminaten oder Freimaurer, Rosenkreuzer oder Skull and Bones, Prieuré de Sion, Mithras-Kult, Opus Dei, Propaganda Due oder Tempelritter – jeder Bund bietet Schutz. Und die Geheimbünde selber nutzen die Aura der verborgenen Macht für ihre Zwecke. Es geht um das Wissen einer Elite, das nur wenige besitzen, aber viele wollen.

Ein neues, spannendes, detailreiches Standardwerk über Verschwörungstheorien und das Wirken von Geheimgesellschaften. Es erklärt die Faszination, die sie auf uns ausüben, und hinterfragt ihren Mythos.

Informationen zu den Autoren

Gisela Graichen studierte Publizistik, Rechts- und Staatswissenschaften und ist Diplom-Volkswirtin. Für das ZDF hat die Buch- und Filmautorin unter anderem die erfolgreiche Archäologiereihe «Schliemanns Erben» und die Wissenschaftsserie «Humboldts Erben» entwickelt. Sie lebt in Hamburg.

Alexander Hesse studierte Publizistik, Politikwissenschaften und Betriebswirtschaft. Er ist Geschäftsführer einer TV-Produktionsfirma in Köln. Von 2006 bis 2012 leitete er die Redaktion Geschichte und Gesellschaft im ZDF, war dort unter anderem verantwortlich für «37°» und «Terra X».

Er lebt in Wiesbaden und Köln.

Gemeinsame Bücher: Die Deutsche Hanse. Eine heimliche Supermacht (Rowohlt 2011, zus. mit Rolf Hammel-Kiesow); Die Bernsteinstraße. Verborgene Handelswege zwischen Ostsee und Nil (Rowohlt 2012).

«The prince of darkness is a gentleman.»

William Shakespeare King Lear, Act III, Scene IV, Line 140

Einführung

Streng geheim! Verschwörungstheorien und verschwiegene Gesellschaften

Punkt 13 Uhr, jeden Donnerstag, trifft sich im feinen Überseeclub, Neuer Jungfernstieg 19, eine Gruppe einflussreicher Hamburger zum Lunch: Wirtschaftsführer, hohe Militärs und Bankiers, Politiker und der Bischof. Aufmerksame Passanten bemerken, dass sie sich vor der schweren Eichentür mit «Freund» und Nachnamen oder nur mit dem Nachnamen begrüßen. Man trägt einen gedeckten Anzug, Krawatte ist Pflicht. Das Treffen wird genau 90 Minuten dauern. Der Ablauf ist immer gleich: Verlesung der Regularien durch den Präsidenten, interne Gespräche, Lunch, ein exakt 20 Minuten langer Vortrag durch ein Mitglied oder einen ausgewählten Gast. Anwesend sind rund 30 Personen. Ein fünfköpfiger Aufnahmeausschuss entscheidet, wer aufgenommen wird. Selber bewerben kann man sich nicht, man muss von einem Mitglied vorgeschlagen werden, das als Pate für den Kandidaten fungiert. In einem «Ego-Bericht» stellt man sich nach der Aufnahme den Mitgliedern vor, Gäste sind dabei nicht erlaubt. Rund tausend Mitglieder gibt es in Hamburg – von etwa 1,8 Millionen Einwohnern. Bei der Aufnahme heftet der Präsident dem neuen Mitglied eine kleine Nadel mit Rad ans Revers, das Erkennungszeichen. Punkt 14:30 Uhr beendet der Präsident durch einen Schlag auf die Glocke das Meeting. Man verschwindet so rasch, wie man gekommen ist. Es tagten: die Rotarier.

Das gleiche Ritual, aber in anderer Zusammensetzung, findet immer mittwochs um 13 Uhr im benachbarten Hotel Vier Jahreszeiten statt. Die Herren – ausschließlich Herren werden hier aufgefordert, Mitglied des Clubs zu werden – parken bevorzugt in der in einer Seitenstraße gelegenen Hotelgarage, von wo aus man direkt durch einen Wirtschaftsgang ins Hotel gelangt. Sie treffen sich in einem abgelegenen Raum ohne Fenster. Auch hier tagen die Rotarier.

Gegründet wurde Rotary 1905 von vier Herren in Chicago zur «Pflege der Freundschaft» und zur Ausführung gemeinnütziger Projekte. Inzwischen gibt es 1,2 Millionen Rotarier weltweit in 200 Ländern und Regionen, 50000 in Deutschland. Das Zentralbüro ist in Evanston, Illinois, der amtierende Präsident von Rotary International ist ein Japaner.

All dies sind deutlich Zutaten für eine geheime Gesellschaft, die unsere Welt beherrscht. Und so wird von Außenstehenden entsprechend gemunkelt, verdächtigt, verurteilt: Rotary – ein weltumspannendes Netzwerk von Führungskräften, die sich exklusiv und abgeschottet treffen, um die Welt zu verändern. Letzteres stimmt sogar, doch Schein ist nicht gleich Sein. Rotary ist keine Sekte und kein Geheimbund.

Geheimbünde setzen Verschwörungen voraus – und umgekehrt. Wo Informationen fehlen, gedeihen Verschwörungstheorien. Und die können gefährlich werden. Dagegen sind die Behauptungen, die Amerikaner seien nicht wirklich auf dem Mond gelandet, eher harmlos.

Apollo 18

1969 schauten 600 Millionen Menschen live im Fernsehen zu, wie die Raumfähre Eagle landete und Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat. Alles gezinkt, behauptet eine der beliebtesten Verschwörungstheorien, die Amerikaner landeten gar nicht auf dem Mond, die Übertragung war eine riesige Fälschung, eine Hollywood-Produktion (s. S.319). Neuerdings wird eine weitere, unglaubliche Hypothese verbreitet: Im Internet erzielt der Suchbegriff «Apollo 18» knapp 60 Millionen Ergebnisse, millionenfach wird er weltweit angeklickt! Nach der angeblich letzten Mission Apollo 17 habe es eine weitere – geheime – Mondlandung im Rahmen des Apollo-Programms gegeben, von der wir nie etwas erfuhren, weil sie schiefging und die drei Astronauten nicht wieder zur Erde zurückkehrten. Man weiß nur so viel, und darüber gibt es selbstverständlich höchst geheimes NASA-Filmmaterial, dass die Mondrückseite von Aliens bewohnt ist und die drei Amerikaner auf dieses außerirdische Leben stießen. Verdächtig ist: Die drei angeblichen Astronauten kamen alle bei Autounfällen um, so wurde es ihren Angehörigen mitgeteilt. Was die Verschwörungstheoretiker natürlich bestärkt.

Eine Verschwörung setzt einen verschwiegenen Bund von Mitwissern voraus. Je mehr Beteiligte involviert sind, desto unwahrscheinlicher ist eine geheime Operation. Und doch: Trotz eines Dutzends Astronauten auf dem Mond, trotz der Überwachung jeder Sekunde durch Tausende Mitarbeiter der US-Raumfahrtbehörde NASA, trotz Zehntausender Wissenschaftler, die in aller Welt mit Material der Mondlandungen arbeiten, ist die Vorstellung nicht auszurotten, die Mondlandung habe nie stattgefunden. Unzählige Blogger glauben auch an die Version «Apollo 18» und tauschen sich in Netzwerken enthusiastisch über Geheimbünde und Verschwörungstheorien aus. Was ist wahr? Was ist Fiktion? Schwierig wird es erst recht, wenn keine Beweise vorliegen und es keine Zeitzeugen mehr gibt. Bei Begebenheiten etwa, die rund 70 Millionen Jahre zurückliegen.

Menschen vor den Menschen?

Gab es tatsächlich eine «Menschheit vor der Menschheit»? Die auch unter Wissenschaftlern vehement diskutierte Theorie bringt es aktuell bei Google auf fast 8830000 Ergebnisse. Nicht vor rund 500000 Jahren sei demnach der erste Homo sapiens aufrecht auf der Erde herumgewandert, sondern er lebte angeblich schon einmal vor 65 Millionen Jahren zur Zeit der Dinosaurier. Hinweise lassen sich genügend finden: im Flussbett des texanischen Paluxy River zum Beispiel. 1908 wurden hier angeblich zeitgleich entstandene Brontosaurus-Fußspuren und menschliche Abdrücke freigespült. 1934 entdeckte man unweit der Fundstelle in dinozeitlichen Gesteinsschichten Werkzeuge wie einen Hammer mit abgebrochenem Holzstiel. Oder die humanoid wirkenden Fußspuren, die 1986 im Süden der japanischen Insel Kyushu durch Holger Preuschoft von der Ruhr-Universität Bochum freigelegt wurden. Sie sind 44 Zentimeter lang, haben vier sehr lange Zehen und eine weit abstehende Großzehe. Das Alter der Abdrücke: 15 Millionen Jahre.

Starben die Menschen vor den Menschen zusammen mit den Dinos aus, oder hat sich eine kleine Gruppe in Afrika erhalten, der Kern unserer heutigen Menschheit? Noahs Erben sozusagen? Und wodurch gingen unsere unbekannten Vorfahren unter? Durch eine Epidemie, eine vorsintflutliche Pest, die nicht wie im 14. Jahrhundert in Europa «nur» ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte? Gab es einen weltweiten Atomkrieg? War eine neue Waffe wie die Neutronenbombe über den Erdball gerast, die alles Lebende zu Staub zerbröselte? Erlebten unsere namenlosen Ahnen gewaltige Vulkanausbrüche, die ihren Himmel für Jahrhunderte verdunkelten und alles Dasein beendeten? Ließ ein Meteoriteneinschlag wie vor 65 Millionen Jahren in Mexiko, der zum Aussterben nicht nur der Saurier führte, die Erde erbeben? Neue Untersuchungen zeigen, dass der Killer aus dem Weltraum nicht die alleinige Ursache war, sondern eine Serie von klimaverändernden Katastrophen. Wurde die Menschheit von einer Naturkatastrophe wie der Sintflut ausgelöscht, von der uns die älteste Erzählung der jetzigen Menschheit berichtet, das Gilgamesch-Epos, und später auch die Bibel?

Woran war diese vorige Menschheit, so es sie gegeben hat, gescheitert? Die Geschichte zeigt: Große Zivilisationen gehen auch und vor allem an sich selbst zugrunde. Wie die Bewohner der Osterinsel, die falsche gesellschaftliche Entscheidungen trafen. Oder die Maya, deren Untergang durch Übervölkerung und übermäßige Ausnutzung vorhandener Ressourcen verursacht wurde.

Handfeste Belege für die Existenz von Menschen vor den Menschen gibt es nicht wirklich, auch die Paluxy- und Kyushu-Fußabdrücke und weitere «Beweise» sind selbstverständlich umstritten. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. «Verbotene Archäologie» nennt man solche Theorien neuerdings. Doch haben sich vielleicht Hinweise im menschlichen Gedächtnis erhalten? Wie der Ägyptologe Jan Assmann – im Zusammenhang mit Mozarts Freimaurertum und der «Zauberflöte» – so schön formuliert: «… uralte labyrinthische Verirrungen, die in die Tiefe der Zeit führen und an den Ursprung des Wissens». Haben sich tatsächlich archetypische Erinnerungen an längst vergangene Zeiten erhalten, gespeichert im kollektiven Bewusstsein, wie die Erinnerung an Dinosaurier, die als Drachen und Lindwürmer in unseren Märchen und Sagen weiterleben? Oder die Geschichten vom untergegangenen Atlantis und eben der Sintflut und dem Überleben einer kleinen Gruppe um Noah? Wir wissen es nicht. Und Nichtwissen ist seit jeher ein fruchtbarer Humus für Verschwörungstheorien.

Aber so unwahrscheinlich diese Hypothese klingt: So manch Unverständliches in unserer Entwicklungsgeschichte würde durch das erklärt werden, was wir hilflos unter dem Begriff «verlorenes Wissen» zusammenfassen.

Sitzung der Freimaurerloge «Zur Gekrönten Hoffnung» um 1790 mit Wolfgang Amadeus Mozart (vorne rechts). Bis zu seinem Tod ist er ein engagiertes Mitglied. Seine letzte vollendete Komposition KV 623 galt der Einweihungsfeier eines neuen Tempels.

Versunkene Welten – Science-Fiction im Wüstensand

Archäologen stoßen in allen Erdteilen immer wieder auf Funde und Befunde, die verblüffen und ratlos machen. 1922 zum Beispiel wurde in Pakistan von dem britischen Archäologen Sir John Marshall eine vor über 4000 Jahren versunkene Stadt entdeckt: Mohenjo-Daro, der «Hügel der Toten», das geschäftige Handelszentrum einer vergessenen, geheimnisvollen Zivilisation am Indus. Die perfekt am Reißbrett durchgeplante Stadt lag sieben Meter tief im Boden verborgen. Ausgräber Michael Jansen, Professor für Stadtbaugeschichte an der TH Aachen: «Für mich hat diese Stadt die größte Faszination, ein Brasília des 3. Jahrtausends v. Chr., das damals schon für die Zukunft gebaut wurde.» Errichtet vor 4500 Jahren für eine Einwohnerzahl von etwa 40000, eine für die damalige Zeit unvorstellbare Größe, verrät sie technische und ökologische Kenntnisse, um die manche heutige Zivilisation die Erbauer beneiden würde. Für jedes Haus gab es bis zu 20 Meter tiefe, zylindrisch rundgemauerte Brunnen, die frisches Grundwasser lieferten. Das Straßennetz wird von der «First Street» dominiert, einer zehn Meter breiten Prachtstraße, von der im rechten Winkel die Straßen und davon die Gassen abgehen. Die Hauseingänge führen in einen Innenhof, zu Frischwasserbrunnen und Badezimmern. Die Badewannen entwässern in einem Gefälle nach außen, auch die Sitztoiletten mit Wasserspülung sind an den Außenwänden angebracht. Vertikale Hausabflüsse aus ineinander steckbaren Tonröhren leiten das Abwasser in unterirdische Kanäle, die es im genau berechneten Neigungswinkel aus der Stadt führen – über die Wasserscheide hinaus zum Indus.

Den Erbauern war also bewusst, dass Abwässer, lässt man sie einfach im Boden versickern, in das Grundwasser geraten und mit dem nächsten Eimer aus dem Brunnen ins Trinkwasser gelangen. Wir brauchten 4500 Jahre, um den Bezug zu erkennen. Erst im 19. Jahrhundert schafften wir in unseren Städten eine vergleichbare Infrastruktur zur Abwasserentsorgung. Ein Grund für die großen abendländischen Epidemien. Die Botschaft der versunkenen Stadt: Wären den Hamburgern diese Zusammenhänge klar gewesen, hätte sie 1892 nicht die verheerende Choleraepidemie getroffen. Erst der hinzugezogene Arzt Robert Koch, der die Bakteriologie, die Wissenschaft von den Ursachen der Infektionskrankheiten, entwickelte und dafür 1905 den Nobelpreis erhielt, stellte fest: Die Cholera kommt aus dem Brunnen. Ein Beispiel für verlorenes Wissen der Menschheitsgeschichte.

Die vorgeschichtlichen Ingenieure errichteten die wetterfesten Backsteinhäuser aus gebrannten Ziegeln, die genau unserem heutigen Standardformat entsprechen: von gleicher Größe und addierbarem Kantenverhältnis 1:2: 4. «Wir haben in viereinhalbtausend Jahren nichts verbessern können», sagt Michael Jansen. Auch die 1700 Quadratmeter große Badelandschaft im Zentrum – selbstverständlich mit Frischwasserzufuhr, Brauchwasserableitung und nicht einsehbaren Umkleidekabinen – ist aus den vorfabrizierten Steinen gebaut. Im Schwimmbad sind die Ziegel bis zur damaligen Wasseroberfläche fugenlos verlegt und zusätzlich mit Bitumen wasserfest versiegelt. Die Erbauer wussten also, dass das natürlich vorkommende Erdpech wasserunlöslich ist. Mohenjo-Daro ist die Verwirklichung von Informationen nicht nur über Bautechnologie. Jansen ringt beinahe hilflos um eine Erklärung: «Als ob es hier plötzlich zu einer Explosion von Wissen gekommen sei.»

Mohenjo-Daro, die versunkene Stadt am Indus. Im Zentrum, mit 1700m2, das erste Großbad der Menschheit, mit Privatkabinen, Frischwasserzufuhr und Brauchwasserableitung – erbaut vor 4500 Jahren!

Woher kam plötzlich diese ungeheure Konzentration von Kenntnissen, dieses Knowhow «aus heiterem Himmel», das danach für Tausende von Jahren wieder vergessen wurde?

Wir wissen es nicht. Auch die rätselhafte, eigenständige Schrift dieser Hochkultur ist bis heute nicht entschlüsselt. Und so müssen im Netz Noahs Erben oder die Außerirdischen herhalten.

Antikes High-Tech

«Aus heiterem Himmel» muss auch ein antiker Computer gefallen sein, den im Jahre 1900 Schwammtaucher in einem Schiffswrack aus der Zeit um 70v.Chr. auf dem Boden des Mittelmeers entdeckten. Das Schiff war aus Afrika gekommen und westlich von Kreta gesunken. Das Objekt, das es nicht geben kann, wurde nach der benachbarten Insel benannt: Antikythera. Nach einem Jahrhundert Forschung entpuppten sich die geborgenen Rostklumpen als erster Computer unserer Welt mit einer technischen Raffinesse, die damals eigentlich kein Mensch beherrschen konnte. Schon die ersten Untersuchungen zeigten, dass der unmögliche Fund aus Zahnrädern und Zeiger besteht. Das ließ die Experten auf eine Uhr schließen. Doch die wurde erst mehr als tausend Jahre später im europäischen Mittelalter erfunden.

Das feinmechanische Wunderwerk ist Produkt eines technischen, astronomischen und mathematisch-physikalischen Wissens, das danach wieder verlorenging: ein Kalendercomputer, eine analoge Rechenmaschine mit 30 Zahnrädern und epizyklischen Getriebezügen, die den elliptischen Verlauf der Planeten nachbildeten, und einem Differenzialgetriebe, das einen Sonnen- und einen Mondkalender synchronisierte – eine Getriebeart, wie sie in Westeuropa erst im 14. Jahrhundert «erfunden» wurde.

Der Antikythera-Computer, geborgen aus einem 2000 Jahre alten Schiffswrack

Verlorenes Wissen

Der Eurotunnel zwischen Calais und Dover gilt uns als technische Sensation. Seit 1753 hatte man immer wieder die Machbarkeit der epochalen Idee geprüft, war aber an technischen Problemen gescheitert. Erst vor gut zwanzig Jahren war es zum ersten Mal seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 13000 Jahren möglich, trockenen Fußes vom europäischen Festland nach Großbritannien zu gelangen. Von beiden Seiten hatte man die Röhren gleichzeitig vorangetrieben. Der als Wunderwerk der Ingenieurkunst gefeierte Durchstich erfolgte 1990. Die Planer hätten aus Geschichte lernen können. Auf der griechischen Insel Samos können sie ein 2500 Jahre altes Bauwerk studieren, das der Geschichtsschreiber Herodot fasziniert als Weltwunder einstufte. Eines der genialsten Werke antiker Technik war bis zu seiner Entdeckung verschüttet und vergessen. Und auch danach brauchten die Wissenschaftler zwanzig Jahre, um ein altes Geheimnis zu entschlüsseln.

Um die Stadt Samos auch bei einer Belagerung mit Trinkwasser zu versorgen, ließ Tyrann Polykrates eine Quelle außerhalb der stark befestigten Stadtmauer anzapfen und den Quellaustritt verbergen. Ein durch das Bergmassiv führender Tunnel leitete das Wasser im genau richtigen Gefälle in die Stadt. Die Stollen von über einem Kilometer Länge waren von beiden Enden gleichzeitig quer durch den Berg getrieben worden und trafen sich mitten im Fels. Wie hatten die Ingenieure das geschafft mit den Mitteln ihrer Zeit? Wie gelang ihnen das richtige Gefälle der Leitung, sodass das Quellwasser nach zweieinhalb Kilometern gleichmäßig in Samos ankam? Ausgräber Hermann Kienast vom Deutschen Archäologischen Institut Athen, selbst Architekt, ist voller Bewunderung für die antiken Kollegen: «Wir haben zwei Jahre gegraben und dann zwanzig Jahre gebraucht, um zu verstehen, wie es gemacht wurde.» Kienast vergleicht die «bis in unsere Tage unübertroffene Ingenieurleistung» mit der «Mondlandung heutiger Zeit». Die von Millionen Menschen angezweifelt wird. Und ob das verlorene Wissen einst von Noahs überlebenden Erben in unsere Welt gebracht wurde, werden wir wohl nie erfahren.

Verschwörungstheorien setzen Gruppierungen und verschwiegene Bünde voraus, die gut organisiert im Geheimen ihre Ziele verfolgen – von angeblichen Mondlandungs- und Alienlügen der NASA (s. S.319) bis zur Weltherrschaft, wie sie Freimaurer (s. S.129), Illuminaten (s. S.177) oder Skull and Bones (s. S.33), dessen Mitglied John Kerry zurzeit als US-Außenminister um die Welt reist, vermeintlich anstreben. Von der einstigen Freimaurerloge Propaganda Due (P2, s. S.77) und der katholischen Organisation Opus Dei (s. S.53) ganz zu schweigen. Und ob die Gold- und Rosenkreuzer (s. S.201) heutzutage tatsächlich nur Rituale in ägyptischen Gewändern vollziehen oder doch noch immer versuchen, Gold künstlich herzustellen, wissen nur sie selbst. Oder auch nicht? Weiß das gemeine Mitglied irgendeiner Organisation immer, welche Ziele der oberste «Gute Hirte» wirklich verfolgt? Natürlich nicht, mutmaßen die Verschwörungstheoretiker.

Wirklichkeit und Legende sind nicht so einfach zu trennen. Geheimbünde, Orden – der Deutsche Orden existiert noch, ist aber kein Geheimbund –, Bruderschaften, rechte Burschenschaften, Sekten wie Scientology, Logen wie die der Freimaurer oder reine Serviceclubs wie Rotary werden munter durcheinandergeworfen.

Sekten, Clubs und Bünde

Als «Antwort und Reaktion» auf die Furcht vieler Menschen vor den Gefahren «sogenannter Sekten» sah sich der Deutsche Bundestag zur Einrichtung der Enquete-Kommission «Sogenannte Sekten und Psychogruppen» veranlasst. Wie schwierig die Einschätzung diverser Gruppen ist, zeigt sich schon im Vorwort des Endberichts, der Bundestagsdrucksache 13/​10950 vom 9. Juni 1998: «Seit dem Ende der 60er Jahre erlebt unsere Gesellschaft tiefgreifende Veränderungen. Ehemals klare Vorgaben in Lebensführung, Werthaltung und Sinnstiftung werden zunehmend unverbindlicher. Neue Formen der Lebens- und Sinngestaltung entwickeln sich und konkurrieren miteinander. Gleichzeitig werden dem Einzelnen hohe Leistungskraft sowie ein großes Maß an Flexibilität, Mobilität und Entscheidungsbereitschaft abverlangt. Dies führt zu starken Verunsicherungen. Als eine Antwort und Reaktion auf diese Entwicklung ist in den letzten 20 Jahren eine mittlerweile unüberschaubare Vielzahl von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen entstanden. Ein Teil von ihnen bietet alternative Lebenswelten, in denen Zuwendung, Gemeinschaft, Orientierung gesucht wird, auch ‹Zuflucht› vor den Anforderungen der Gesellschaft oder Möglichkeiten religiöser Hingabe oder Sinnstiftung. Ein anderer Teil dagegen verheißt die ‹ideale Anpassung› an die Herausforderungen der Moderne durch das Versprechen einer unrealistischen Steigerung und Stärkung individueller Leistungskraft. Viele Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland beobachten diese Entwicklung mit zum Teil großer Besorgnis.» Auch das Bundesverfassungsgericht beruft sich in einem Urteil zum Begriff «Sekte» vom 26. Juni 2002 auf den Endbericht der Kommission.

Der ursprünglich wertneutrale Begriff verbindet sich heute mit negativen Vorstellungen einer möglichen Gefährdung von Menschen und Gesellschaften. Als wichtige Merkmale einer Sekte gelten:

Beschneidung von (Meinungs- und Bewegungs-)Freiheiten des Individuums

Gehirnwäsche

bedingungsloser Gehorsam

Personenkult um den Anführer

wirtschaftliche Ausbeutung des Einzelnen

hohes Konfliktpotenzial zwischen abhängigem Mitglied und seinen Angehörigen

fast unüberwindliche Hürden bei einem gewollten Ausstieg

Zuweilen kommen noch die Vorwürfe unkontrollierter Macht des Führungspersonals und sexueller Missbrauch hinzu.

Diese mutmaßlichen oder tatsächlichen Erkennungszeichen unterscheiden Sekten deutlich von Religionen wie dem Katholizismus (sehen wir einmal vom Personenkult um den Papst ab), von Geheimbünden wie Freimaurern und Rosenkreuzern oder Serviceclubs wie Rotary, Lions und Zonta. Mitglieder dieser Gruppierungen können jederzeit aus den Gemeinschaften wieder austreten, keiner zwingt sie zu Spenden, die Präsidenten werden gewählt und wechseln jährlich, jedes Mitglied kann wohnen, wo es will, und arbeiten, was es will, und religiös gebunden sein, wie es will. Die Ehepartner sind gerne gesehen, und die Familien werden zu vielen Veranstaltungen eingeladen.

Gibt es denn einen Unterschied zwischen Freimaurern und Rotary zum Beispiel? Ja, auch der ist deutlich: Anders als die Freimaurer nimmt Rotary inzwischen gleichberechtigt Frauen als Mitglieder auf. Im Hamburger Überseeclub finden sich donnerstags um 13 Uhr auch Rotarierinnen ein: Chefärztin, Senatorin, Gerichtspräsidentin und die Bischöfin (und auch die Autorin). Es geht nicht um obskure Einweihungsrituale im Tempel bei Kerzenschein. Am rauen Stein, an sich selbst, soll nicht gearbeitet werden, auf keine Meinung wird eingeschworen, und zur Geheimhaltung wird man auch nicht verpflichtet. Im Gegenteil, mit Hilfsaktionen wie die weltweite Ausrottung von Polio geht man gern in die Öffentlichkeit. Und zum Gelingen der Hilfsprojekte in der näheren Umgebung tragen die bewusst unterschiedlichen Berufe der Mitglieder und damit ihre Verbindungen und ihr besonderes Fachwissen bei. Jeder bringt seine individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten ein. Jede Berufssparte soll im Club nur einmal vertreten sein. Der freundschaftliche Austausch, das Zuhören, das Lernen vom anderen sind Hauptziele und Motivation zur Mitgliedschaft bei Rotary. Im Gegensatz zu Sekten oder Geheimbünden wird der Unterschied in Gedanken und Glauben, Ideen und Einstellungen, Anschauungen und Ansichten gerade gewollt. Dass bisweilen auch berufliche Verbindungen geknüpft werden, daran ist nichts geheim, das geschieht in jedem Golf- oder Ruderclub. Deswegen sind es noch lange keine Geheimbünde.

Doch das Spiel damit lockt. Und zuweilen stellen sich Geheimbünde wie die von Dan Brown beschriebene Prieuré de Sion nur als Produkt einer Verschwörungstheorie heraus, die uns die Existenz dieser angeblich tausend Jahre alten geheimen Gesellschaft «verkaufen» will (s. S.95): «Die Prieuré de Sion, der Orden der Bruderschaft von Sion, wurde im Jahr 1099 gegründet und ist eine Geheimgesellschaft, die bis heute existiert.». (Dan Brown, «Sakrileg»)

Ich bastele mir eine Verschwörungstheorie

Wie bastelt man sich eine Verschwörungstheorie? Das ist nicht schwer. Man nehme ein paar bekannte historische Gestalten, die es nachweisbar gab, zum Beispiel Leonardo da Vinci (Freimaurer) oder Isaac Newton (der Freimaurer und vermutlich Rosenkreuzer war, aber kein Mitglied der Prieuré de Sion, genauso wenig wie da Vinci, weil es diese «Geheimgesellschaft» schlichtweg nie gab). Angeblich jahrhundertealte Dokumente werden «durch Zufall» gefunden, hier in der Pariser Nationalbibliothek unter der Bezeichnung «Dossiers Secrets», die eine Mitgliederliste erlauchter, berühmter Namen enthalten. Wer kann beurteilen, ob sie gefälscht ist, wer will und kann das nachrecherchieren? Dazu gebe man eine gehörige Prise an kleinen, profanen, nachprüfbaren Tatsachen (ein Pfarrer kommt plötzlich zu Reichtum, es gibt auffällig viele Marienbilder im Dorf), reiße Zitate anerkannter Zeitgenossen aus dem Zusammenhang, mische Wahrheit, Halbwahrheiten und Phantasie, sammele Indizien, die passen könnten, verbinde sie zu einer logisch scheinenden Kette und – wie im Fall der Prieuré – würze das Ganze endlich mit dem großen Geheimnis: Jesu Nachfahren leben. Dieses Wissen muss geschützt werden, durch einen Geheimbund selbstverständlich.

Denken Sie sich eine Verschwörungstheorie aus, sammeln Sie Hinweise, die sich einfügen lassen, stellen Sie sie ins Netz. Sie werden sich wundern, wie viele Anhänger Sie bald in den einschlägigen Foren haben, wie das Beispiel «Apollo 18» zeigt.

Das Faszinosum dieser geheimen Gesellschaften, wie es sich auch in den Millionenauflagen des amerikanischen Erfolgsautors Dan Brown zeigt, ist ungebrochen. Alles Verborgene, Ungeklärte, Zweifelhafte zieht magisch an. Es entspricht dem menschlichen Wesen, «dazugehören» zu wollen, zu der Elite der «Wissenden». Wir spüren, es muss mehr geben, als unsere Schulweisheit uns lehrt, wir ahnen, dass jenseits von Logik und Vernunft Unbekanntes, Diffuses, Rätselhaftes zwischen Erde und Himmel lauert. Fantasy und Mystery haben Hochkonjunktur. Auch die Aliens boomen. Zahllose Filme, Computerspiele und Serien wie «Stargate» begeistern und fesseln ein Millionenpublikum weltweit, verbinden uns mit außerirdischen Lebensformen, deren Spuren wir angeblich auf unserer Erde finden. Im Fokus stehen die ägyptischen Pyramiden, gern auch in Verbindung mit ägyptischen Mysterien wie dem Isis-Kult. Denn Geheimbünde sind keine Erfindung der Neuzeit. So scheint es ob dieser Massenbeschallung nicht verwunderlich, dass aktuell in unseren Großstädten geheime Isis-Zirkel entstehen – in Rom, in Köln, in Berlin.

Metamorphosen

Der Kitzel reizt, nach verschwiegenen Initiationsriten in einen konspirativen Bund aufgenommen zu werden, vereinigt durch das Gelübde des Schweigens und des Gehorsams. Auch in der Antike gab es geheime Gesellschaften, die im Verborgenen ihre Rituale feierten und Weihungen vollzogen. Die Riten sind immer geheim, eben ein Mysterium. Der Myste erfährt durch die Einweihung eine Hilfe zur Selbstverwandlung, zur Umwandlung des Ichs in ein besseres, letztlich immer vollkommeneres Wesen. Nicht zufällig sprechen Mozarts «Zauberflöte» und die amerikanische Erklärung der Menschenrechte vom «Menschenglück». (the pursuit of happiness). Beide sind mit freimaurerischem Hintergrund verfasst. Nur die Mysteriengemeinschaft verfügt über Mittel und Wege zum Heil im Jetzt, zur Erlösung auch nach dem Tod und zum Weg der Wahrheit. Nur der Eingeweihte kann dieses Heils teilhaftig werden. In der Bewahrung uralten geheimen Wissens spielen vertrauliche Passwörter und Parolen, rätselhafte Formeln und Klopfzeichen, verstohlene Signale und dem Außenstehenden unerklärliche Gesten, Symbole und dunkle Andeutungen eine Rolle, «die in den Logen umso sorgfältiger überliefert und beachtet werden, als niemand ihre eigentliche Bedeutung kennt». (Jan Assmann). Damals wie heute.

Archäologisch belegt und schon bei Homer erwähnt sind die Mysterien im Heiligtum von Eleusis (nahe Athen) ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. Sie werden bei der Gründung der Illuminaten eine wichtige Rolle spielen. Bei Todesstrafe war es verboten, die Opferhandlungen zu Ehren der Göttinnen Demeter und ihrer Tochter Persephone und die Initiationsriten zu verraten. Die Zeremonien, denen sich der Einzelne unterziehen musste, um Eintritt in die Kultgemeinschaft zu erlangen, unterlagen einem strikten Schweigegebot. Die Kenntnis der Geheimnisse verbindet die Geweihten und schmiedet den Bund zusammen, so wie heute die Freimaurer (s. S.129), die Mitglieder von Skull and Bones (s. S.33) und schon in der Antike die Mithras-Anhänger (s. S.267). Deren Kult galt einst als Konkurrent des ähnlich ausgerichteten und etwa zeitgleich entstandenen Christenkults. Auch zu dessen Ritualen wie Taufe und Abendmahl wurden ursprünglich nur Eingeweihte zugelassen.

Der antike Mensch konnte sich in mehreren Mysterien einweihen lassen. Nur das Christentum duldete keinen anderen Gott und bestand auf seinem Alleinstellungsmerkmal – vielleicht ein Grund für seinen Siegeszug über zwei Jahrtausende. Mit seinem Triumph über die «Heiden» im 4. Jahrhundert wurden die tausend Jahre bestehenden antiken Mysterienkulte durch Verfolgung und Zerstörung ihrer Tempel beendet.

Wie der Mithras-Kult ist auch der ursprünglich ägyptische Isis-Kult bis ins 4. Jahrhundert im heutigen Deutschland nachweisbar. Das ägyptische Götterpaar Isis und Osiris gelangte hellenisiert im Imperium Romanum zu großer Verehrung, in Pompeji wurde der Isis-Kult gar zum Stadtkult.

Die Mysterien der Isis

Der Kult der «Göttin der 1000 Namen» gehörte zusammen mit dem Mithras-Kult zu den einflussreichsten Mysterienkulten im römischen Imperium. Von der Themse (London) bis zum Nil (Philae) stieß man auf ihre Heiligtümer. Auch in Köln und in Mainz – hier beim Bau der Einkaufsgalerie «Römerpassage», die Überreste sind im Untergeschoss zu besichtigen – wurden Isis-Tempel ausgegraben. In Pompeji hat sich ihr großes Heiligtum aus der Zeit vor dem Ausbruch des Vesuvs 79n.Chr. beinahe unbeschädigt erhalten. Mozart besuchte es vierzehnjährig mit seinem Vater und soll hier die ersten Anregungen zu seiner «Zauberflöte» bekommen haben. In Herculaneum sah er die wunderbaren Wandmalereien mit den Darstellungen der Isis-Mysterien, denen wir in der «Zauberflöte» begegnen, das Ritual der Einweihung, den «Weg von der Täuschung zur Erkenntnis, von der Illusion zur Klarsicht, vom Aberglauben zur Wahrheit». (Jan Assmann).

Ihren Beinamen erhielt Isis, weil sie alle Eigenschaften von mütterlichen Gottheiten vereinigte: Herrin des Lebens, Königin und Helferin der Toten, warmherzige Retterin, zärtliche Mutter und innig Liebende. Die volkstümliche Universalgöttin, an die sich vor allem Frauen und weniger Begüterte wandten, gab auch durch Zauberei und Magie göttlich-mütterlichen Schutz. Anders als die fernen, abstrakten römischen Götter verkörperte sie die schützende Muttergöttin, die auch über den Tod hinaus den Menschen nicht allein lässt. Isis sprach nicht kalten Verstand und sachlichen Intellekt an, sondern bediente mit spirituellem, orientalischem Zauber Emotionen, Sinne und die Seelenbedürfnisse der Menschen.

Die heimlichen, nächtlichen Zusammenkünfte, die exotische Sinnlichkeit, die Prozessionen mit Musik und Tanz und erregenden Düften brachten dem Kult den Vorwurf der Unmoral und Sittenverderbnis ein und führten nicht selten zu einem Skandal bei den entzückten, hingebungsvollen Damen der höheren Schichten. Auch die römischen Hetären outeten sich als Isis-Dienerinnen. So wurde er bald als Halbweltkult verschrien. Doch Plutarch nannte die Allgöttin Isis die Wissende, die nach Wahrheit und Erkenntnis sucht. Sie stand für die Weisheit des Orients statt griechisch-römischer, kühler Ratio. Sie war für alle da, nahm alle Menschen an ihre mütterliche Brust, versprach Wärme, Nahrung und Geborgenheit. Die Darstellung der Göttin mit dem auf ihrem Schoß sitzenden Horuskind war besonders beliebt. Den Christen fehlte eine solche Muttergottheit, fehlte das Weibliche in ihrer Religion. Dieses Vakuum füllte man auf dem Konzil von Ephesos 431n.Chr. mit der «Gottesgebärerin», der Muttergottes und Jungfrau Maria. Nach dem Sieg des Christentums verschmolz Isis mit Maria. Auch die Darstellung der Isis lactans mit dem Kind auf dem Schoß wurde übernommen. Die Berliner Althistorikerin Ines Eisenbruch stellt fest: «Ein archetypisches, ägyptisches Bild wird zur berühmtesten Darstellung der Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm.»

Die ägyptische Isis, Schwester und Gemahlin des Osiris, Mutter des Horus. Den Ägyptern galt sie als Göttin der Liebe und als Zauberin. Im römischen Imperium etabliert sich der Isis-Kult unter Kaiser Caligula.

Wie einst der ägyptischen Göttin werden heute Maria Kummer und Sorgen anvertraut und wird ihr für Hilfe und Errettung gedankt, wie es tausendfach auf den Gnadentäfelchen in den katholischen Schutz- und Fürbitte-Kapellen zu lesen ist.

So ist es nicht verwunderlich, dass die heutigen Isis-Gemeinden überwiegend von Frauen gegründet werden, die ihre Altäre mit ägyptischen und antiken Devotionalien schmücken und die Göttin Isis in überlieferten Ritualen und Texten anbeten. Mit offener Häme wird in den einschlägigen Netzwerken darüber diskutiert, dass in Rom ganz in der Nähe des einst zerstörten Isis-Tempels im Geheimen ein neues Iseum gegründet wurde. Seit den 70er Jahren gibt es eine internationale Gemeinschaft zur Verehrung der Isis – «Fellowship of Isis» – mit mehreren Iseen in Deutschland. Schon wieder ein Geheimbund?

Der überdimensionierte Fuß ist das einzige sichtbare Überbleibsel des antiken Isis-Heiligtums in Rom.

Die Wirklichkeit einer Parallelwelt

Nicht nur im Netz wähnt man sich in einer Parallelwelt. Sie sind mitten unter uns, die Freimaurer, Rosenkreuzer oder Mitglieder anderer geheimer Gesellschaften – als unsere Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunde. Wir ahnen es in den meisten Fällen nicht. Nur mit dessen Einwilligung darf ein Mitglied seinen Bruder outen. Verschlüsselte Erkennungszeichen, Codes und Symbole umgeben uns tatsächlich, die Nichteingeweihten verstehen sie nur nicht. Was man nicht kennt, lehnt man ab, es macht Angst – oder man will dazugehören, zu der vermeintlichen Elite der Auserwählten, Wissenden. Massenkompatible Filme und Bücher berichten von geheimen Orden, Orten und Kulten und von Bünden, die angeblich fortleben, wie die Templer. Da wabert erschreckend Unaufgeklärtes in den einschlägigen Foren. Nicht nur ein gestörter norwegischer Massenmörder wähnt sich als Tempelritter.

Die folgenden Seiten sollen helfen, etwas Licht in die brodelnde Gerüchteküche zu bringen. Welche geheimen Gesellschaften gibt es tatsächlich? Welches sind die Hintergründe, was passiert bei den Zusammenkünften, wer ist Mitglied? Welche Rolle spielen Esoterik und Magie? Gibt es Strafen bei Ungehorsam? Warum hieß die Presseabteilung der Freimaurer bis vor kurzem «Amt für Abwehr»? Warum rief Helmut Schmidt die Freimaurer dazu auf, sich der Allgemeinheit zu öffnen? Was ist dran an den Verschwörungstheorien zur Weltbeherrschung? Wie gefährlich sind sie, die geheimen Machenschaften der Bünde, die angeblich im Verborgenen Verbot und Ausrottung überlebt haben? Was hat es auf sich mit Initiationsriten, Tempel, Auge, Pyramide und dem Ein-Dollar-Schein? Gibt es «gute» und «böse» Geheimbünde? Was ist wirklich – und was ist Phantasie und Fiction?

Manche Verschwörungen können wir historisch belegen wie die Ermordung Caesars. Wir kennen die Namen der Verschwörer. Schwieriger wird es bei dem überzeugten Freimaurer Mozart. Der wurde vermeintlich ermordet, weil er in seiner Oper «Die Zauberflöte» Aufnahmerituale verrät. Und war die «Schwarze Hand», der serbische Geheimbund, der in Sarajevo den Ersten Weltkrieg auslöste, tatsächlich eine Freimaurerloge? Auch bei der besonders beliebten Verschwörungstheorie der angeblichen Vergiftung von Papst Johannes PaulI., der plötzlich 1978 nach einem Pontifikat von nur 33 Tagen starb, gibt es Gerüchte. Vatikan und Familie lehnen eine Obduktion ab. Gemunkelt wird, er habe die korrupten Machenschaften der Vatikanbank aufdecken wollen und deren Verbindung zu der inzwischen aus der Freimaurerei offiziell ausgeschlossenen Loge Propaganda Due (s. S.77), zu deren Mitgliedern auch Silvio Berlusconi gehört. Die Loge P2 und ihre mutmaßlichen Nachfolgeorganisationen P3 und P4 verbinden die geheimnisumwitterten Organisationen, denen man – nicht nur in Italien – gerne alles anhängt: Vatikan, Mafia, korrupte Politiker und die CIA, der man auch die Ermordung Kennedys und den Anschlag auf das World Trade Center zutraut.

Ein deutliches Beispiel, wie gefährlich eine Verschwörungstheorie sein kann, die bewusst von einer Gruppe in die Welt gesetzt wird, sind neben der Dolchstoßlegende nach dem Ersten Weltkrieg, die zum Aufstieg Hitlers beitrug, die «Protokolle der Weisen von Zion». (s. S.352). Das Anfang des 20. Jahrhunderts verfasste antisemitische Pamphlet hat bis heute eine unerträgliche Wirkung: Obwohl die Fälschung längst nachgewiesen wurde, glauben noch immer Antisemiten und Anhänger von Verschwörungstheorien in der ganzen Welt an seine Authentizität. Insbesondere in den arabischen Staaten kursieren sie auch im Internet. Die Palästinenser-Organisation Hamas benutzt in ihrer Charta die Protokolle der angeblichen zionistischen Geheimversammlung als Begründung für ihre terroristischen Ziele.

Gehorsam dem Guten Hirten

Was macht Geheimbünde für den Einzelnen so anziehend? Eine Auswahl: Die Attraktivität eines exklusiven Clubs. Das Gefühl, zu einem Bund von Auserwählten zu gehören, zu einer Elite der Wissenden, die zu höheren Erkenntnissphären gelangen. Erkenntnis und Trost auch im ganz persönlichen, täglichen Leben. Die geschickte Vermittlung des Gefühls, etwas ganz Besonderes zu sein. Das Geheimnis der sehr emotionalen Einweihungsriten zu erleben – und es im Schweigegelöbnis zu bewahren. Die Furcht vor Ächtung und Strafen, die zugleich eine Faszination ausübt. Eine klare Hierarchie, die bedingungslosen Gehorsam verlangt. Man ist in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter aufgehoben, zusammengeschmiedet durch geheimes Wissen. Man ist nie mehr allein. In Zeiten von Verunsicherung und Wandel findet der Einzelne Geborgenheit, Zuwendung, Sicherheit, Schutz.

Es ist bezeichnend, dass geheime Gesellschaften und Verschwörungen vor allem in Zeiten des Umbruchs gedeihen können. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg zum Beispiel oder im 18. Jahrhundert, die Zeit der Blüte von Freimaurern, Rosenkreuzern und Illuminaten, die auch die Französische Revolution angezettelt haben sollen. Traditionelle gesellschaftliche und religiöse Vorstellungen und Formen lösten sich auf. Das bisher gültige Weltbild war durch die Aufklärung ins Wanken geraten. Etwas Neues musste das Vakuum füllen. Der Vergleich mit der zu groß und für den Einzelnen zu unübersichtlich gewordenen Welt des späteren römischen Kaiserreichs und seinen florierenden Mysterienkulten bietet sich an. Und der Bogen wird auch zum Heute in Zeiten der Globalisierung mit seinen sich ändernden Strukturen, Idealen und Ideologien gezogen. Die Suche nach wirtschaftlicher, (welt)politischer und privater Sicherheit und nach persönlichem Glück, die Staat und Kirche vielen nicht mehr vermitteln können, führt zunehmend ins Esoterische, Spirituelle und in die schützenden Arme von verschwiegenen Gemeinschaften.

Ja, es gibt «gute» und «böse» geheime Gesellschaften. Grund genug, genau hinzuschauen.

Fact und Fiction

Und die Menschheit vor der Menschheit? Gab es die? Oder hat sich da jemand eine Verschwörungstheorie gebastelt? Mit unseren heutigen wissenschaftlichen Möglichkeiten können wir keine Beweise liefern – weder für noch gegen die Behauptung. Das ist der Boden, auf dem Verschwörungstheorien gedeihen.

Doch so unwahrscheinlich es klingt: Unsere jetzige Menschheit ist dem Aussterben tatsächlich schon mehrmals knapp entgangen. Vor rund 70000 Jahren war sie fast ausgelöscht. Die National Geographic Society hat vor wenigen Jahren eine israelisch-amerikanische Studie mitfinanziert, die in der US-Zeitschrift «American Journal of Human Genetics» veröffentlicht wurde und weltweit Aufsehen erregte. Die Forscher können eines der dramatischsten, aber bisher weitgehend unbekannten Kapitel unserer Geschichte nachweisen: Bis auf geschätzte maximal 2000 (!) Individuen, die verstreut in winzigen Gruppen zusammenlebten, war die Menschheit aufgrund extremer Klimabedingungen fast ausgestorben. «Spiegel online» am 19. November 2012: «Für die Verbliebenen hing das Überleben von Zufällen ab: Eine Seuche, eine Hungersnot, ein Unwetter – und auch die letzten Menschen wären gestorben.» Es war nicht das erste Mal, dass die Menschheit an der Klippe stand. Wie Genetiker der Universität von Utah jetzt herausfanden, entgingen auch die Frühmenschen vor einer Million Jahren nur knapp dem Aussterben.

So leicht lässt sich also die Theorie «Menschheit vor der Menschheit», die auf den ersten Blick als totale Spinnerei erscheint, nicht abtun. Spencer Wells von der National Geographic Society: In der DNA der Menschen stehe ein «wahres Heldendrama» geschrieben.

Manche dieser Dramen zeigen sich auch in Geschichte und Wirken von Geheimbünden, konspirativen Gemeinschaften und den Erfolgen von nicht auszurottenden Verschwörungstheorien. Die folgenden Seiten sollen auf die Spur dieser dunklen Legenden und diversen Wahrheiten führen. Denn: Wer hat das einzig wahre Wissen?

Kapitel 1

Skull and Bones Geheimorden amerikanischer Macht

Es ist der Abend eines Apriltages im Jahr 1964. Lange nach Sonnenuntergang hallen durch den Korridor eines Studentenwohnheims die Schritte von vier jungen Männern. Ihre Aufgaben sind klar verteilt. Zwei sind die «Schüttler», also die Männer fürs Grobe. Einer ist der «Wachposten». Und es gibt den «Sprecher». Der hat das Sagen. Zunächst wird der Toilettentrakt überprüft. Keiner drin? Gut. Der Wachposten sorgt dafür, dass dies so bleibt. Vor der Tür eines Studenten – nennen wir ihn George W. Bush – stoppt der Rest des Trupps. Einer der Schüttler klopft heftig gegen die Tür. Sie öffnet sich. Der Sprecher tritt vor und spricht: «Neophyt Bush?» Bush nickt und wird ein wenig blass. Das Wort «Neophyt», also «Neuaufgenommener», signalisiert ihm, dass es ernst wird. Nun beginnt der unschöne Teil jenes berüchtigten Spiels, das sich stets im Frühjahr am Studienort des zukünftigen US-Präsidenten wiederholt. Alles geht jetzt sehr schnell. Bush wird von den «Schüttlern» gepackt und über den Flur in die Toilette gezerrt. Er muss sich mit dem Gesicht zur Wand stellen. Die Tür wird geschlossen. Der Sprecher steht nun unmittelbar hinter ihm und zischt: «Tritt morgen Abend zur vereinbarten Zeit unten aus dem Harkness Tower und geh auf der High Street nach Süden. Du darfst weder Metall noch Schwefel, noch Glas am Körper tragen. Durchschreite die Heiligen Säulen des Herkules und nähere dich dem Tempel. Nimm das rechte Buch in deine linke Hand und klopfe drei Mal ans heilige Tor. Behalte gut, was du hier gehört hast, aber schweige still.» Dem Neophyt Bush wird ein weißes Päckchen vor die Füße geworfen. Der Trupp marschiert in Zweierreihe davon und lässt in der Toilette einen reichlich mitgenommenen Studenten zurück.

Die Eliteuniversität Yale um 1901. Bis heute gibt es hier gleich mehrere Studentengeheimbünde, doch keiner ist so rätselhaft wie Skull and Bones.

George W. Bush weiß, dass sein Leben ab jetzt anders verläuft. Bald schon wird er Mitglied eines Bundes sein, der ebenso legendär wie verrufen ist. Wenn er das Spiel mitspielt, wird er zur Führungselite Amerikas gehören – mit besten Verbindungen in Politik und Wirtschaft, so wie sein Vater schon. Denn was er gerade erlebt hat, ist Teil des Aufnahmerituals des sagenumwobenen Studentenbundes Skull and Bones. Bush wird ein «Bonesman», ein «Knochenmann». Dem Totenschädel mit den gekreuzten Beinknochen, dem Symbol von Skull and Bones, wird er ein Leben lang huldigen. Er wird nach seiner Studienzeit auf den Ehemaligen-Treffen des Geheimbundes auf Augenhöhe mit Konzernchefs, Ministern, Senatoren und CIA-Mächtigen stehen.

Zugegeben: Man weiß nicht genau, ob der spätere US-Präsident George W. Bush exakt dieses Aufnahmeritual durchleben muss. Denn Geheimhaltung ist oberste Pflicht aller Mitglieder von Skull and Bones. Aber man weiß: 1968 wird George W. Bush an der Eliteuniversität Yale in den Geheimbund aufgenommen, so wie schon sein Vater, sein Großvater und einer seiner Onkel vor ihm. Die Universität Yale in New Haven an der amerikanischen Ostküste hat den Ruf, eine der renommiertesten Hochschulen der Welt zu sein. Und die Crème de la Crème der Studenten repräsentiert Skull and Bones, den berühmtesten und exklusivsten unter den geheimen Universitätsclubs Yales.

Als Skull and Bones im Jahr 1832 gegründet wird, legt Yale neben der Wissensvermittlung ein besonderes Augenmerk darauf, den Studenten beizubringen, wie man sich nach oben kämpft und oben bleibt. Der Konkurrenzdruck in der Studentenschaft ist enorm hoch. Was auf jeden Fall heute wie damals gilt: Wer in Yale seinen Abschluss macht, dem stehen die Türen der Wall Street, der großen Kanzleien, Konzerne und Regierungsbehörden weit offen. Und es heißt, wer zudem auch einem der geheimen Studentenbünde von Yale angehört, dem öffnen sie sich sogar noch ein wenig weiter.

«Wer sie auch sind, woher sie auch kommen,

Wohin sie sich auch begeben,

Ihr Abzeichen zeigt, sie sind der Welt feind

Und spotten dem ehrlichen Leben.

Oh sei dir, geliebtes Yale,

Des Totenkopfs bewusst.

Und meide wie einen treulosen Freund

Die Schlange an deiner Brust.»

Anonym, The Iconoclast, 13. Oktober 1873(Alexandra Robbins, «Bruderschaft des Todes»)

Skull and Bones ist der älteste von mehreren Geheimbünden, die es in Yale gibt. Weder Scroll and Key noch Wolf’s Head oder eine der anderen Verbindungen kann es mit Skull and Bones aufnehmen. Das Versammlungshaus gleicht einer Festung. Wenn die anderen die Atmosphäre ihrer Clubs als intellektuell anregend preisen, um die Gunst der Besten zu gewinnen, verweist Skull and Bones primitiv-arrogant und hemmungslos elitär darauf, dass die Mitglieder nicht nur die Geschichte der Universität, sondern auch der USA, ja sogar der Welt geprägt haben. Nächstenliebe und Gemeinwohl sind nicht die Sache von Skull and Bones. Dennoch – oder gerade deswegen? – gewinnt der Geheimbund immer wieder die besten Studenten für sich.

Verschwörungstheoretiker glauben zu wissen, was dies für Folgen hat: Die Mitglieder des Geheimbundes weben seit 180 Jahren ungestört an einem Netz, das die gesamten USA überzieht und sie zu einem willenlosen Instrument ihrer Interessen macht. Ziel von Skull and Bones ist es, die vielzitierte Neue Weltordnung durch die militärische und wirtschaftliche Überlegenheit der USA zu sichern. Denn die ermöglicht es seinen Mitgliedern, sich schamlos zu bereichern und grenzenlose Macht zu erlangen.

Tatsächlich kann wohl kein anderer Studentenbund der Welt auf dermaßen reiche und mächtige Mitglieder verweisen wie Skull and Bones. Der Bund umfasst ca. 800 Männer – und neuerdings auch Frauen. Es sind ausschließlich Studenten im letzten Jahr ihres Studiums. Nur die 15 besten erhalten Zutritt und dürfen sich «Ritter» nennen. Ihre Qualität misst sich zu einem guten Teil daran, ob sie dem Ostküsten-Adel angehören, den alten und oft sehr reichen Dynastien mit puritanisch-englischen Wurzeln: den Bundys, Rockefellers, Bushs, Harrimans, Tafts oder Whitneys, um einige zu nennen. Die Auserwählten werden intern nach ihrer Studienzeit als «Patriarchen» bezeichnet und besetzen nach Ansicht von Verschwörungstheoretikern zwecks systematischer Unterwanderung der Vereinigten Staaten Schlüsselpositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Führung der Supermacht USA ist demnach nichts anderes als eine verkappte Geheimregierung von Skull and Bones.

Alles, aber auch wirklich alles, was die Mitglieder über Skull and Bones erfahren, unterliegt strengster Geheimhaltung. Und das hat schon allein in Bezug auf die Räume des Clubhauses, «Tomb». (Gruft) genannt, seinen guten Grund. Darin wimmelt es angeblich von Skeletten und Särgen. Man bedient sich der Räumlichkeiten des Clubgebäudes nicht nur für luxuriöse Abendessen, sondern auch für das Initiationsritual. Es heißt, es umfasst Masturbation, nackt im Sarg liegen und einen Ringkampf der Neulinge im Schlamm. Danach erhält jeder von ihnen 15000Dollar. Bis vor wenigen Jahrzehnten gehörte bizarrerweise auch eine Standuhr zu den Willkommensgeschenken. Darüber hinaus darf der Aufgenommene nun die Dienste der angeblich früher im Clubhaus untergebrachten Prostituierten in Anspruch nehmen. Und natürlich gehört es zum guten Ton, die Bruderschaft herbeizurufen, wenn der Bund der Ehe geschlossen wird. Die Knochenmänner vollziehen dann ein Skull-and-Bones-Ritual, das den Eheleuten wohl verdeutlichen soll, dass die Loyalität des Bonesman im Zweifelsfall dem Geheimbund zu gelten hat – und nicht dem Ehepartner. Dabei stellen sich Altmitglieder von Skull and Bones Arm in Arm im Kreis um die Frischvermählten auf und singen ihnen ein Lied.

Das düstere Skull-and-Bones-«Vereinsheim» in Yale, 64 High Street, genannt «Tomb», die Gruft

Welche von diesen Geschichten ist wahr und welche nur Legende? Es stimmt, dass eine Standuhr lange Zeit ein Standardgeschenk für neue Mitglieder war. Außerdem wird mitunter von einem hohen Handgeld berichtet. Und sicherlich sind die Aufnahmerituale bizarr – wenngleich es für sexuelle Handlungen nicht den Hauch eines Beweises gibt. Die Geschichte von Skull and Bones sei nicht nur die Geschichte eines bemerkenswerten Geheimbundes, schreibt die amerikanische Journalistin Alexandra Robbins, sondern sie sei auch die Geschichte eines bemerkenswerten Bündels von Geheimnissen.

Darüber hinaus zeigt die Geschichte von Skull and Bones aber auch, wie mächtig ein Geheimbund und dessen Mitglieder binnen relativ kurzer Zeit werden können. Und dies sogar ohne ausgeklügelte Hierarchie und tiefgründige Ritualwelten, sondern allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Netzwerk.

Die Wurzeln: Deutschland, Deutschland über alles

Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn William Huntington Russell, Spross einer durch Opium-Schmuggel nach China reich gewordenen Ostküsten-Familie, sich nicht 1831 an Bord eines Seglers begeben hätte, um im guten alten Europa ein paar Auslandssemester zu verbringen. Man weiß leider nicht, welche Universität er sich aussucht, nur, dass sie in Deutschland liegt. Dort steht die studentische Szene noch ganz unter dem Eindruck der 1830 ausgebrochenen sozialen Unruhen in einigen Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes. Auch die Juli-Revolution in Frankreich im gleichen Jahr hallt noch nach. Konservative und liberale Kräfte ringen um die politische Vorherrschaft. Noch haben die restaurativen Kräfte des Adels die Oberhand. Doch das Bürgertum kämpft hartnäckig um mehr Rechte. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 haben zwar die studentischen Burschenschaften wegen ihrer nationalen Umtriebe verboten. Aber sie existieren im Untergrund oder kaschiert als Landsmannschaften weiter.

Man kann nur darüber spekulieren, wie intensiv Russell sich mit dieser studentischen Subkultur beschäftigt. Aber als er in die USA heimkehrt, mag er sich an sie erinnern. Zurück in Yale ist Russell entsetzt über den politischen Druck, dem nun auch die amerikanischen Studentenbünde ausgesetzt sind, ausgelöst durch eine Anti-Freimaurer-Hysterie, die zu jener Zeit in den USA die innenpolitische Debatte beherrscht. Sie erweist sich für die harmlosen studentischen Zirkel in Yale als verheerend. Codes und Geheimwörter müssen herausgegeben werden. Die Bünde lösen sich auf.

Zusammen mit 14 anderen Studenten organisiert Russell aus Protest gegen diese Entwicklung den Bund Skull and Bones, der dem frömmelnden amerikanischen Zeitgeist trotzt und sich in einer Art «Jetzt erst recht»-Manier im Laufe der Jahre ein vor Geheimnistuerei und Düsternis nur so strotzendes Negativ-Image zulegt. Sie fühlen sich als Elite der Elite. Bis heute titulieren Bonesmen Nichtmitglieder abschätzig als «Barbaren».

Das Wappen des geheimen Studentenbundes. Die Bedeutung der Zahl 322 ist ungeklärt.

Von Anfang an kennzeichnet totale Geheimhaltung Skull and Bones. Es ist noch nicht lange her, da gehörte es für Bonesmen zum guten Ton, den Raum zu verlassen, wenn der Name ihres Bundes ausgesprochen wurde. Neben den gekreuzten Knochen unter dem Totenkopf wird die Zahl 322 das immer wiederkehrende Symbol des Bundes. Niemand weiß genau, was dahintersteckt. Eine Theorie strickt die Legende, Skull and Bones sei ein Ableger des legendären Geheimbundes der Illuminaten, der sich 1776 in Bayern gründet. Denn jeder Bonesman trägt wie die Illuminaten einen Geheimnamen. Skull and Bones verfügt zudem wie der Geheimbund aus Bayern über eine eigene Zeitrechnung (Jahreszahl plus 322; Tageszeit plus fünf Minuten). Der Illuminaten-Theorie folgend, hat auch die Zahl 322 einen Bezug zum bayerischen Geheimbund. Demnach verweist sie auf den eigentlichen Gründer von Skull and Bones, den Illuminaten Adam Weishaupt, der am 322. Tag des Jahres 1830 stirbt.

Tatsächlich aber existieren die Illuminaten schon seit über 40 Jahren nicht mehr, als Russell in Deutschland studiert. Der Geheimbund ist zu jener Zeit so gut wie vergessen. Er wird erst Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt. Was Russell in seiner Studienzeit in Deutschland hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit auffällt, sind die trotz Verbots das studentische Leben prägenden Studentenverbindungen. Das mag Russell so beeindruckt haben, dass vielleicht aus diesem Grund noch heute eine Skull-and-Bones-Hymne nach der Melodie des Deutschlandliedes gesungen wird.

Doch es lassen sich noch andere Reminiszenzen an Deutschland rekonstruieren. In der Literatur wird stets angegeben, das Symbol aus Totenschädel und gekreuzten Knochen habe seinen Ursprung in der Bewunderung für das Piratentum. Vielleicht schaute sich Russell dieses Symbol aber auch bei den deutschen Studenten ab. Zu jener Zeit ist die Erinnerung an die Lützower Jäger in studentischen Kreisen noch sehr wach. Das preußische Freikorps wird in den Befreiungskriegen 1813/​1814 zur Legende. Zum einen aufgrund ihrer ebenso spektakulären wie verlustreichen Kämpfe. Zum anderen aber auch aufgrund der Tatsache, dass in ihren Reihen besonders viele Studenten in den Krieg ziehen. Nach der Vertreibung der Franzosen tragen die Studenten ihre auffälligen schwarzen Uniformen weiter. Auf ihren Husarenhelmen prangt das Emblem, das sich Skull and Bones zu eigen machen wird: ein Schädel mit zwei gekreuzten Oberschenkelknochen. Oder pilgert Russell während seines Studienaufenthalts in Deutschland vielleicht nach Königsberg, der Heimatstadt Immanuel Kants? Dann entlehnt er das Skull-and-Bones-Symbol vielleicht dem Emblem der dortigen Freimaurerloge «Zum Todtenkopf und Phoenix».

Nach der Gründung von Skull and Bones und den anderen maßgeblichen Geheimbünden versucht die Universitätsleitung von Yale wiederholt, gegen die Studentenverbindungen vorzugehen, indem sie deren Mitgliedern die finanzielle Unterstützung ganz oder teilweise verweigert. Doch sie mehren nur den Ruhm des Bestraften. Als die ersten Mitglieder von Skull and Bones, Scroll and Key und Wolf’s Head auch in der Universität Karriere machen, bricht der Widerstand zusammen.

Schreie aus der Gruft: Rituale der Knochenmänner

Bald schon entscheiden die in die Leitung Yales aufgestiegenen Mitglieder der Geheimbünde, was an der Universität passiert und was nicht – und in herausragender Weise Bonesmen. In ihren Reihen befindet sich mit William Howard Taft bereits der erste von drei Präsidenten, die der Geheimbund bei ihrem Aufstieg ins Weiße Haus unterstützt. Längst schon hat sich Skull and Bones den Bau eines Vereinshauses leisten können. Es ist ein grauer, im griechisch-römischen Stil gehaltener Klotz in der 64 High Street. Die Mauern der «Gruft» haben lediglich schmale Fenster aus dunklem Glas.

Im Herbst 1887 gelingt es einer Gruppe Studenten des konkurrierenden Geheimbunds File and Claw, die Festung der Bonesmen zu stürmen. Magisch angezogen von den gruseligen Gerüchten über die Vorgänge in der Gruft, brechen sie durch ein mehrfach gesichertes Kellerfenster in die Clubräume des schon damals mächtigsten aller amerikanischen Studentenbünde ein. Im ersten Raum finden sie den Grabstein eines Mannes namens Sperry und überall Totenschädel. Dann ein Gemälde, das vier Totenschädel zeigt, darunter die deutschen Worte «Wer war der Thor, wer Weiser, wer Bettler oder Kaiser?».

An der düster-morbiden Atmosphäre hat sich laut Aussage der wenigen gesprächigen Bonesmen nichts geändert. Einer von ihnen erwähnt die «ohne Ausnahme deprimierende Sammlung vom Tanz mit dem Tod». Schon im Foyer begrüßt den Besucher eine Tafel mit dem Spruch «Gedenke des Todes». Angesichts des Leistungsdrucks, der an der Yale-Universität seit jeher herrscht, ist diese Ansammlung von Todes-Memorabilia durchaus logisch. Sie mahnt die Mitglieder von Skull and Bones, ihre Lebenszeit effektiv zu nutzen, um Ruhm und Ehre der Universität, besonders aber von Skull and Bones zu mehren. In ihrem Buch «Bruderschaft des Todes» beschreibt die Journalistin Alexandra Robbins den «Inneren Tempel», in dem die Rituale von Skull and Bones stattfinden: «Der Raum selbst misst ungefähr 4,5 mal 4,5 Meter, hat eine etwa 1,2 Meter hohe Wandvertäfelung aus schwarzem Walnussholz und Wände, an denen eine Reihe wertvoller Ölgemälde hängen (…). Selbstverständlich finden sich auch in diesem Zimmer Schädel und gekreuzte Knochen, aber auch eine riesige Vitrine mit einem Skelett (…), das die Mitglieder von Skull and Bones (…) als ‹die Madame› bezeichnen. Sie sind überzeugt davon, dass es sich um die Gebeine von Madame de Pompadour handelt, der modebewussten Mätresse König LudwigsXV. (…). Früher lag einmal zu Füßen des Skeletts ein Kindersarg, und das Gerippe, das einst darin geruht hatte, baumelt nun über dem Kaminsims.»

Studenten, die etwas auf sich halten, erweitern diese Sammlung durch möglichst spektakuläre Fälle von «Crooking», sprich: Sie werden zu Dieben. Im Jahr 1918 plündern Bonesmen das Grab des Indianerführers Geronimo in Fort Sill und bringen dessen Schädel in die Gruft des Geheimbundes. Unter den Grabschändern ist der Vater des 41. und der Großvater des 43. US-Präsidenten, Prescott Bush. Das bezeugen Dokumente – deren Echtheit von den Anwälten des Geheimbunds in Abrede gestellt wird. Forderungen der Nachfahren Geronimos auf Herausgabe des Schädels scheitern. Die Bonesmen sind bereit, einen Schädel herauszugeben, aber es ist der eines zehnjährigen Jungen. Eine Durchsuchung der Gruft ist natürlich undenkbar – auch wenn sich außerdem der Schädel des mexikanischen Revolutionsgenerals Pancho Villa und und der Grabstein des Yale-Gründers Elihu Yale im Besitz der Bonesmen befinden sollen.

Bleibt die Frage, ob diese Artefakte Teil der Kulte sind, die in der Gruft gefeiert werden. Die spärlichen Informationen über die Einweihungsrituale sind widersprüchlich. Vor einigen Jahren gelingt es einem Fernsehteam, eine nächtliche Initiation im Innenhof des Skull-and-Bones-Gebäudes zu filmen. Das nicht sehr deutliche Filmmaterial hinterlässt den Eindruck eines chaotischen Vorgangs. Einer der Neulinge muss einen Schädel küssen, es gibt Anzeichen einer vorgetäuschten Hinrichtung, Schreie gellen durch den Innenhof. Es wird viel geflucht und mit sexueller Gewalt gedroht. Schwierig zu sagen, ob die Aufnahmen authentisch sind oder das Filmteam auf ein Täuschungsmanöver hereinfällt.

Als relativ sicher kann gelten, dass eine Sarg- oder Wiederauferstehungsszene Teil des Rituals ist, da sie in der einen oder anderen Form immer wieder bei Geheimbünden vorkommt. Der Neuaufgenommene legt sein altes Leben ab und wird als Bundesmitglied wiedergeboren. Anscheinend orientierten sich die Gründungsmitglieder von Skull and Bones an Freimaurer-Ritualen. Darauf deutet das Verbot, Metallteile am Körper zu tragen, wenn die Neulinge «die Gruft» aufsuchen, um das Aufnahmeritual zu durchleben. Ein solches Verbot gilt auch für die Lehrlingsinitiation in den freimaurerischen Johannislogen.

In der Regel werden die Rituale im bis auf zwei Stühle und einen Tisch ausgeräumten «Inneren Tempel» durchgeführt, im legendären Raum 322. Ehemalige Studenten, die «Patriarchen», leiten das Ritual. Der Ritualführer trägt den Titel «Onkel Toby». Der Name entstammt einer Figur aus Laurence Sternes Roman «Tristram Shandy». Onkel Toby ist ein wegen einer Verletzung im Schambereich außer Dienst gestellter Offizier. Der kleinste Ehemalige steckt in einem Teufelskostüm. Er ist der «kleine Satan». Weitere sind als Don Quixote, als Papst und als Elihu Yale verkleidet. Der Rest des Publikums besteht aus Studenten, den «Rittern». Sie tragen Skelettkostüme und sorgen für eine infernalische Geräuschkulisse. Ein aus dem Jahr 1940 stammendes Skull-and-Bones-Dokument beschreibt das Ritual im dürren Telegrammstil: «Neuling wird in einen Sarg gelegt, in die Mitte des Gebäudes geschafft. Neuling wird besungen und in die Gesellschaft wiedergeboren. Aus dem Sarg geholt und in Robe mit Symbolen darauf gekleidet. Ein mit seinem Namen versehener Knochen wird am Anfang jedes Treffens auf den Knochenhaufen geworfen. Die Neulinge werden in ein Schlammbad gestürzt.»

Demnach haben also Generationen von amerikanischen Wirtschaftsführern, Senatoren, hohen Staatsbeamten sowie drei Präsidenten der USA ein Schlammbad als einen der Höhepunkte ihres Studentenlebens in Erinnerung. Keine sehr erhebende Vorstellung.

Skull and Bones ist bis heute eine hermetisch abgeriegelte Welt, neben der sich jeder staatliche Geheimdienst wie ein geschwätziges Kaffeekränzchen ausnimmt. Die absurd anmutenden Rituale sind sicherlich nicht der Grund dafür. Sie erfüllen wohl lediglich den Zweck, einen Ausgleich zum Universitätsleben zu bilden, das in früheren Zeiten rigide Benimmregeln und strenge Hierarchien kennzeichnen.

Für die legendäre innere Geschlossenheit von Skull and Bones sorgen hingegen zwei Rituale, die im Ergebnis auf das Gleiche hinauslaufen: Erpressbarkeit. Unter dem Gemälde einer Frau, das Bones-intern «Eheglück» heißt, muss jeder Neu-Ritter die vor dem Feuer eines gigantischen Kamins versammelte Runde seines Jahrgangs mit Intimitäten aus seinem Sexual- und Beziehungsleben versorgen und sich die Kommentare seiner Mitstudenten anhören. Ebenso gefürchtet sind die Sitzungen, in denen die «Ritter» einen Vortrag über ihr bisheriges Leben halten müssen. Auch diese Vorträge werden von der Runde kritisch hinterfragt. Für viele der Studenten ist dies aufgrund ihrer Herkunft und Erziehung sicherlich eine zutiefst irritierende wie prägende Erfahrung. Sie lernen Lebenswelten kennen, in die sie vielleicht nie wieder so detailliert Einblick bekommen. Und von sich geben sie Dinge preis, die sie möglicherweise niemandem sonst erzählen werden. Die intimen Geständnisse sind das Erz, aus dem der eiserne Ring des Schweigens geschmiedet ist, der Skull and Bones umgibt. Sie bilden den Faden, aus dem Skull and Bones das berüchtigte Netz webt, das in den Augen vieler eine Bedrohung für die Menschheit ist.

Netzwerker im Namen des Bösen? Skull and Bones und die Politik

Als der britische Wirtschaftswissenschaftler Antony Sutton im Jahr 2002 stirbt, wird der eine oder andere Bonesmen gejubelt haben. In der Wissenschaftsszene gilt Antony Sutton schon zeit seines Lebens als Außenseiter, weil er sich traut, Hinweisen auf eine Verschwörung gigantischen Ausmaßes nachzugehen, in deren Mittelpunkt Skull and Bones steht. Sutton opfert für diese Arbeit seine Karriere: «Nach konventionellen Maßstäben bin ich ein Versager. Ich bin aus