Geiseln des Großkhan - Peter Berling - E-Book

Geiseln des Großkhan E-Book

Peter Berling

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Beschreibung

Roç und Yeza sind unterwegs ins Reich des Großkhans, die Gefahr, in der sie schweben, bekümmert sie nicht. Denn zwischen ihnen ist eine ungekannte Lust entbrannt. Die von der Kirche in Rom und der französischen Krone ausgesandten Mörder versuchen sich gegenseitig aus dem Weg zu schaffen, der Kalif von Bagdad will um jeden Preis verhindern, dass die Gralskinder das mongolische Reich erreichen und selbst William von Roebruk, der unermüdliche Beschützer der Königlichen Kinder, scheint eigene Pläne zu entwickeln. Auch im mongolischen Reich haben die rivalisierenden Khane das Potenzial und die Macht des Königspaares längst erkannt: schließlich geht es um nichts anderes als um die Herrschaft über die Welt. Als William von Roebruk dem Großkhan schließlich Roç und Yeza überbringt, hofft er auf dessen Gunst. Denn als William I., Patriarch von Karakorum, könnte er in die Geschichte eingehen … Ein spannender historischer Roman von Peter Berling, der gleichzeitig das große Epos »Die Kinder des Gral« aus der Zeit der Kreuzzüge als Teil IX fortführt.

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Seitenzahl: 404

Veröffentlichungsjahr: 2013

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PETER BERLING

Geiseln des Großkhan

Folge IX des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral

Historischer Roman

WAS DAVOR GESCHAH IN FOLGE VIII

Im Banne der Assassinen

Roç und Yeza, den ›Königlichen Kindern‹, erscheint Alamut wie ein Paradies auf Erden, mehr noch, wie Materie gewordenes himmlisches Wunder. Allein schon die weltberühmte Bibliothek entschädigt sie für alle durchlittene Unbill. Doch bald werden sie mit den Schattenseiten konfrontiert: die sadistische, perverse Grausamkeit des Oberhauptes der Assassinen. Sie wollen dem Irrsinn entfliehen, aber selbst der Kalif von Bagdad mag ihnen die Hand nicht reichen, aus Furcht vor den Dolchen der Mördersekte.

Im fernen Karakorum findet der Kuriltay statt, die Generalversammlung aller Mongolen. Ein neuer Großkhan wird gewählt. Christliche Missionare erwähnen die Existenz des ›Königlichen Paares‹. Gleichzeitig wird der Papst von Rom alarmiert über die Gefahr für Kirche und Abendland, wenn Roç und Yeza in die Hand der Mongolen fallen. Die beiden ahnen noch nichts von dem Machtpoker, der um sie entbrannt ist. Sie haben das Observatorium entdeckt, den Himmel, Kosmos der letzten großen Weisheiten. Der dem Irrsinn anheimgefallene Imam lässt die Gesandtschaft der Mongolen ermorden, doch die unsichtbare Hand der Eingeweihten gibt das Steuer nicht aus der Hand. Für die kleinen Könige erzwingen sie deren Übergabe an den Großkhan …

I SAMARKAND[1]

Der Turm von Procida

Chronik des William von Roebruk

Insel Procida im Golf von Neapel, am Fest des hl. Augustinus 1252[2]

Wir waren in Ostia zu dem Segler aus Aragon hinausgerudert. Nicht dass wir heimlich an Bord gingen, aber der Kapitän hatte es vorgezogen, nicht grad im Hafen des Papstes Anker zu werfen, und war draußen vor der Reede geblieben.

Wir, das waren unter der Führung, besser Aufsicht Gavins, des Präzeptors der Templer, Crean de Bourivan, der erfolglose Gesandte der Assassinen, und wir drei vom Orden des heiligen Franz: Lorenz von Orta, Bartholomäus von Cremona und meine Wenigkeit. Außer der braunen Kutte hatten wir Brüder nichts Gemeinsames. Lorenz hielt sich für einen Minoriten sui generis und galt in der Prieuré als brillanter, wenn auch unkonformistischer Kopf. Er reiste nur mit uns, weil es sich auf seinem Weg nach Otranto so ergab, auf einer Mission, die er sich selbst erdacht hatte. Er wollte den jungen Grafen Hamo L'Estrange aus seiner Burg am Meer locken – oder vergraulen. Doch war das nur die Vorstufe zu Lorenz' bizarrem Plan, Hamo, den Sohn der Gräfin von Otranto, zur Abtretung von Malta zu bewegen, wo die Prieuré Roç und Yeza ›einzulagern‹ gedachte. Mich deuchte das alles ein ziemlich aberwitziges Unterfangen, bei dem die Rechnung offensichtlich nicht nur ohne den Wirt gemacht wurde, sondern auch ohne die Lieferanten, also diejenigen, in deren Händen sich die Kinder befanden. Die Zecher, die geheime Macht, deren spirituellen Räusche Roç und Yeza auszubaden hatten, würden besser daran tun, sich herauszuhalten. Wer von den Rittern der Tafelrunde sich einbildete, es genüge, mit trunkenem Kopf einen Plan auszuhecken, und der ›Große Plan‹ ginge simsalabim in Erfüllung, als habe eine Fee alle Mächte dieser Welt mit ihrem Zauberstab berührt, der kennt das Königliche Paar schlecht, zumindest nicht so gut wie ich.

Bartholomäus trug seine Minoritenkutte wohl nur als Deckmantel für seine konspirativen Machenschaften im Dienst des Grauen Kardinals. Wie ich aus eigener Erfahrung wusste, schreckte Barth weder vor Diebstahl noch vor Giftmischerei zurück und hatte nichts anderes im Sinn, als Roç und Yeza bei nächster Gelegenheit um die Ecke zu bringen. Wir beide waren verkuppelt worden, um die Mission König Ludwigs zu den Mongolen durchzuführen. Als Kuppelmutter hatte wohl Herr Rainaldo di Jenna fungiert, die als Kardinalerzbischof von Ostia verkleidete Graue Eminenz der Ecclesia catolica. Mich hatte sicher König Ludwig von Frankreich für diese ehrenvolle Aufgabe erkoren, der große Stücke auf mich hält und den Cremonesen gar nicht kennt. Aber wenn die glauben, Barth und ich würden gut zusammenpassen, dann stimmt das nur insoweit, als wir beide uns gegenseitig nicht riechen können. Er hasst mich, und ich verachte ihn. Gemeinsam ist uns nur, dass wir – jeder für sich – gar nicht vorhaben, nach Karakorum zum Großkhan zu reisen, sondern eigentlich nur Alamut erreichen wollen. Ich soll dort – so der Auftrag Gavins, von dem Crean nichts wissen darf – die Kinder herausholen und im Okzident in Sicherheit bringen, was mir übrigens auch der Kardinal angeboten hat, nur versteht der unter ›Sicherheit‹ etwas anderes. Dafür ist dann der perfide Cremonese zuständig.

Wir Brüder sollen vor Neapel von einem Schiff nach Konstantinopel übernommen werden, um dort den dritten im trauten Bunde, einen Priester namens Gosset[3], zu treffen, den wir beide nicht kennen. Der Franzose kommt direkt von König Ludwig aus Akkon[4] und wird uns Beglaubigungsschreiben und vor allem Zehrgeld mitbringen, die Reisekasse. So wie sich unser Ordensgründer das einmal vorgestellt hat – kein minderer Bruder darf ein Geldstück in der Tasche haben und nur das erbettelte Stück Brot für einen Tag –, so geht das ja heute längst nicht mehr. Die Mongolen würden Augen machen, wenn sich die Herren Gesandten plötzlich an die nächste Straßenecke begäben und die Vorüberreitenden um eine milde Gabe angingen!

Der aragonesische Segler, ein ausgesprochenes Kampfschiff, besaß einen starken Rammdorn und Enterbrücken am Bug sowie ein schwenkbares Katapult auf dem erhöhten Heck, das weit über das Ruder hinausragte und auch den Steuermann schützte. Gavin und Crean hatten Kajüten in dem mächtigen Aufbau bezogen und ließen sich nicht sehen. Ich traf den Kapitän auf der mit einer starken Reling gesicherten Plattform.

»Ich habe beim Einschiffen den Namen Eures Seglers gelesen«, begann ich das Gespräch. »›Nuestra Senora de Quéribus‹[5]. Ist der alte Löwe etwa Besitzer dieser schwimmenden Festung?«

Der Kapitän lachte. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr meinen Herrn Xacbert de Barbera[6] kennt?«

»Ich war vor Jahren sein Gast, vor acht um genau zu sein!«, erwiderte ich, erfreut, dass meine Vermutung so trefflich saß. »Aber die Anspielung auf die Heilige Jungfrau machte mich stutzig. Als catolicos hatte ich ihn nicht in Erinnerung!«

»Den Scherz – vielleicht eine Spitze für den eingefleischten Katharer«, vertraute mir der Kapitän gern an, »erlaubte sich unser König, Don Jaime[7] el Conquistador, als er dieses stolze Schiff aus dem Besitz des Rashid von Marrakesch meinem Herrn zum Geschenk machte. Jakob der Eroberer sprach zu ihm: ›Du denkst, diese Barke ist mein Dank für deine Mitwirkung bei der Eroberung von Mallorca. Du täuschst dich. Dafür kann ich dir nur mit meiner Freundschaft danken, denn ohne dich hätt' ich die Balearen nie gewonnen! Dieses Schiff soll dich die liebe Burg Quéribus verschmerzen lassen und dir Heimstatt sein, wenn dich Herr Ludwig dort endlich herausgesetzt hat.‹  ›Nie und nimmer wird Quéribus fallen, Don Jaime!‹ rief da mein Herr. ›Vierzig Jahre schon, fast mein Leben lang, trotzt die Burg den Franzosen!‹ ›Keine Feste ist uneinnehmbar, Xacbert, aber ein festes Schiff ist schwer zu fangen und für einen Ketzer wie dich auch angemessenen, sagte König Jakob. ›Und damit du gut beschützt bist, habe ich diese Burg im Meer der Obhut der Madonna anvertraut. Auch du solltest dich ihrer Gnade anempfehlen!‹« Der Kapitän schloss mit einem Lachen seinen Bericht. »Mein Herr Xacbert hat die Planken dieses Schiffes nie betreten. Er glaubt, wenn er es täte, verriete und verlöre er Quéribus. So lässt er mich und die Besatzung unter dem Banner Aragons dienen – bei allen Unternehmen, die gegen Frankreich gerichtet sind.«

»Und so seid Ihr jetzt auf dem Weg zu Manfred?«, fragte ich keck. »Denn der Anjou ist ja auch ein Capet.«

»Uns kümmert mehr, dass Herr Charles versucht, eine Kette durchs Mittelmeer zu ziehen, von Marseille bis Palermo – und damit bis Tunis. So schneidet er Barcelona, Tarragona, aber auch Valencia vom Handel mit dem Orient ab.«

»Häfen sind heute wichtiger als Burgen«, zeigte ich mich einsichtig, und der Kapitän war erfreut, einen so verständigen Gesprächspartner gefunden zu haben.

»Aragon muss sich auch darauf vorbereiten«, zog er mich ins Vertrauen, »für die Staufer, an ihrer Seite oder – wenn's sein muss – als ihre Nachfolger, Sizilien zu halten! Kaiser Friedrich konnte der vereinten Macht der Päpste und des Anjou trotzen. Er war Kaiser, auch wenn sie ihn für abgesetzt erklärten! Aber nun sind es nur noch zwei Könige, sosehr Herr Konrad[8] und Herr Manfred ihre brüderliche Liebe und Verbundenheit beteuern mögen.«

»Die unio regni ad imperium[9] besteht de facto nicht mehr!« wusste ich beizusteuern, und er nickte grimmig. »Und einzeln sind sie schlagbar!«

»Warum greift Aragon nicht ein?« entfuhr es mir.

»Wir warten, bis wir gerufen werden – und sei’s von der Göttin der Geschichte!«

Wir hatten Ponza längst umsegelt, waren so auch an Gaeta mit gebührendem Abstand vorbei und näherten uns jetzt von Westen her der Stadt am Vesuv. Die Bucht mit den Inseln wimmelte von Schiffen, nur war schwer zu erkennen, ob sie Freund oder Feind.

»Die Inseln können von den Belagerern, hier die Staufer, mit einer Garnison belegt werden«, sagte Gavin zu Crean, die beide auf dem Heck erschienen waren. Nicht etwa, um dies einmalig schöne Panorama mit dem Vulkanberg im Hintergrund zu genießen, sondern um die militärische Lage besser beurteilen zu können. »Doch sind die Besatzer keineswegs in der Lage, die Fischer mit ihren Booten davon abzuhalten, die vom Land her fest eingeschlossene Stadt zu versorgen; selbst Nachschub an Kriegsgütern und Soldaten schmuggeln sie unverfroren am helllichten Tag.«

»Solange es Herrn Manfred nicht gelingt, sie auf seine Seite zu ziehen«, erwiderte Crean. »Dann wäre der Spuk schnell vorüber, die Stadt würde eine Hungersnot um der Franzosen willen nicht einen Tag auf sich nehmen!«

»Sie warten wohl auf König Konrad, um sich zu ergeben, weil der ihnen mehr Milde verspricht als der Bastard!«

»Sprecht so nur nicht, wenn wir an Land gehen!« mahnte Crean. »Jeder hat hier seine Spitzel überall!«

»Ihr wollt den Neapolitanern doch nicht etwa Sinn für Legalität unterstellen?« mischte sich der Kapitän ein. »Bei denen geht die Liebe durch den Bauch, und nachdem Herr Konrad jetzt endlich Vaterfreuden erleben durfte, wird er von den Bedrängten hier sehnlichst erwartet, während sein Halbbruder Manfred ihm nicht gerade mit Begeisterung entgegenblickt.«

»Ah, ÿihm ist ein Sohn geboren worden? Wie wird er heißen?« fragte ich, weil ich seit Ostia um die von der Kirche nicht sonderlich begrüßte Schwangerschaft der Elisabeth von Bayern wusste.

»Konrad, wie die meisten Staufer, sofern sie nicht Friedrich heißen«, spottete Gavin. »Dem kleinen Konradin will der stolze Vater die Stadt in die Wiege legen!«

»Der wird wenig Freude daran haben!«, sagte Crean. »Parthenope ist launischer als jede Braut!«

»Ein faules Diebesgesindel, mörderisches Assassinenpack!«, schimpfte der Aragonese.

Gavin und Crean wechselten einen belustigten Blick und schwiegen. Wir näherten uns dem Hafen der vorgelagerten Insel Procida und ankerten in der Bucht, »damit uns diese Betrüger, Langfinger und Beutelschneider nicht so leicht an Bord klettern«, wie der Kapitän seine Vorsicht begründete. Er ließ uns an Land rudern. Erst Gavin und Crean, dann mich und meine beiden Ordensbrüder. Lorenz wollte sich gleich nach einer Möglichkeit zur Weiterreise nach Otranto umsehen. Bartholomäus wollte überhaupt nicht an Land, musste aber von Bord, weil die ›Nuestra Senora de Quéribus‹ als Blockadeschiff eingesetzt werden sollte. Überraschenderweise erwarteten Gavin und Crean mich. Der Grund war wohl, dass ich ihnen nicht abhanden gehen sollte, was in dem Menschengewühl des Hafens leicht hätte geschehen können. Bartholomäus wurde beauftragt, nach dem Schiff Ausschau zu halten, das uns nach Konstantinopel bringen sollte. Und ich trottete hinter dem Präzeptor der Templer und dem Gesandten Alamuts hinterher, die keineswegs zur Zitadelle der Insel strebten, sondern auf einen mächtigen Turm zuhielten, der am Rande des Fischerdorfes einsam auf einer Klippe stand.

Das Gemäuer schien unbewohnt. Wild wuchernde Himbeeren und Brombeergestrüpp bildeten einen natürlichen Schutzwall, von Feigenbäumen durchsetzt. Die Früchte waren noch nicht reif. Gavin zwängte sich zwischen zwei Stämmen hindurch und winkte uns, ihm zu folgen. Wir standen nun direkt am Rand der Felsenklippe, unter uns das Meer, das gegen die Felsen brandete. Ein weiterer Baum unter uns war kühn gekrümmt aus dem Stein hinausgewachsen. Gavin benutzte ihn als Leiter in den tosenden Abgrund, und sein Kopf verschwand hinter der Felskante. Ich folgte ihm tapfer und landete eines Mannes Länge tiefer auf einer in den Stein eingelassenen Platte aus Eichenbohlen. Als auch Crean gefolgt war, traten wir alle drei auf die gleiche Seite. Die verborgene Tür gab nach und entließ uns in einen niedrigen Gang. Hinter uns schloss sich die schwere Pforte mit einem Seufzer. »Das war einmal der letzte Ausweg«, scherzte Crean, »der Sprung ins rettende Meer. Jetzt scheint es der einzige Zugang zum Geheimwissen eures Ordens zu sein.«

Gavin war nicht zum Spaßen aufgelegt. »Dies ist keine Burg der Templer, aber der Zugang zu geheimen Nachrichten. Dafür müsstet Ihr, Crean, doch einen Sinn haben. Wären sie bequem zu erhalten, wären sie jedem zugänglich.«

Am Ende des Ganges fiel Tageslicht ein; eine moosbewachsene Treppe führte nach oben in den Innenhof der Burg, die von außen wie eine Ruine gewirkt hatte. Auch in diesem Geviert lagen viele Trümmer, herabgestürzte Steine und vermoderte Balken, alles überwachsen von Himbeersträuchern, die in voller Blüte standen. Doch der sich in die eine Ecke schmiegende Donjon[10] war noch gut erhalten oder ausgebessert worden. Sein einziger Eingang lag hoch über unseren Köpfen und war verschlossen. Diese Tür öffnete sich nun knarzend, und eine Leiter wurde langsam herabgelassen. Die Gestalt, die ihr folgte, kam mir bekannt vor. Es war der Arzt Johannes, der in Ostia den Elia gepflegt hatte, bis er heimreisen konnte nach Cortona. Johannes stieg leichtfüßig zu uns hinab. Er hielt sich nicht mit Begrüßungsfloskeln oder Vorreden auf. »Ich habe keine gute Nachricht für Euch – für uns alle«, sagte er.

»Ist Elia gestorben?«, fragte ich vorwitzig dazwischen, denn das hätte mir leid getan. Doch Gavin hatte für meine Kondolenz nur ein ärgerliches Abwinken übrig und schob sich so vor mich, dass ich mich ausgeschlossen fühlen sollte.

»Die Kinder«, sagte Johannes, »Roç und Yeza, sie sind den Mongolen in die Hände gefallen!«

»Unmöglich!« entfuhr es Crean. »Die Rose ist uneinnehmbar!«

»Sie sind schon auf dem Weg nach Karakorum.«

»Wie? Und keiner hat sie aufgehalten?« erregte sich der ansonsten so kühle und bedachte Crean. »Da muss etwas geschehen sein mit Alamut, nie und nimmer hätte der Imam das zugelassen!« setzte er verunsichert hinzu.

»Die Nachrichten, die ich hier empfange«, antwortete Johannes von Procida ungerührt, »befassen sich nicht mit Einzelheiten, geschweige denn mit Interna der Ismaeliten, sondern nur mit Fakten, die für uns« – er richtete sich an den Präzeptor – »von Belang sind.« Als müsse er sich vor dem Ranghöheren rechtfertigen, setzte er hinzu: »Ich habe diese Botschaft schon gestern erhalten, aber da wart Ihr schon an Ponza vorbei. So habe ich gewartet, bis mir von der Torre[11] Gaveta die ›Nuestra Senora‹ unseres Freundes Xacbert angekündigt wurde.«

»Es gibt keinen Grund, den Wahrheitsgehalt dieser Nachricht anzuzweifeln«, beschied Gavin seinen völlig niedergeschlagenen Gefährten. »Wir müssen uns der veränderten Situation stellen.« Er legte plötzlich den Arm um meine Schulter. »William von Roebruk«, sagte er feierlich, »nun musst du realiter und in personam zum Sitz des Großkhans reisen, ohne Umschweife. Roç und Yeza müssen aus den Händen der Tataren befreit und dem Abendland zurückgegeben werden.«

Ich dachte, jetzt kümmert Ihr Euch plötzlich um das Schicksal der Kinder! Dabei hatte die Prieuré sie in Alamut auf Vorrat vergraben und hegen gelassen wie das Erdhörnchen seine Nüsse, ohne auch nur einmal danach zu fragen, ob es den kleinen Königen dort gefiel.

Crean hieb in die gleiche Kerbe. »Was immer geschehen sein mag«, sagte er und straffte sich, »es kann nicht das Interesse der Assassinen und damit der gesamten westlichen Welt sein, das junge Herrscherpaar, auf dem unsere Hoffnung auf Versöhnung und Frieden ruht, bei denen zu wissen, die uns alle bedrohen. Roç und Yeza dürfen nicht zum Spielball der Macht werden, die kein Spiel der freien Kräfte duldet, sondern uns alle unterjochen oder auslöschen will!«

»Große Worte«, spottete Gavin, »helfen jetzt ebenso wenig wie Gejammere. Alamut hat versagt, und die Prieuré muss sich vorwerfen, dies nicht vorausgesehen oder verhindert zu haben.« Johannes von Procida schien mir der einzige unter uns mit einer natürlichen Begabung zur Verschwörung zu sein. Er blieb unbeeindruckt von dem ganzen Getue. »Nun sind die Kinder ja nicht in den Brunnen gefallen, sondern sie leben – und, wie ich die Mongolen einschätze, leben sie hochgeehrt und vor allem durch eine Mauer von Menschenleibern vor jeder Unbill geschützt.«

Crean hingegen schien von Panik ergriffen. »Aus diesem Verlies muss unser William sie befreien!«

»Als Missionar wird er zwar Zugang zu ihnen bekommen«, gab der Templer zu bedenken, »wie er sie aber entführt und über Tausende von Meilen durch mongolisches Land unangefochten zurückbringt, das müssen wir seinem Genius überlassen!«

Ach, sieh mal, dachte ich bei mir, was dem flämischen Tölpel plötzlich alles zugebilligt wird. »Als erstes«, sagte ich überlegen, »muss Bartholomäus von Cremona ausgeschaltet werden. Der stört nicht nur, der könnte dem Unternehmen sogar gefährlich werden.« Dass der Cremonese mit Mordauftrag reiste, unterschlug ich, denn beweisen konnte ich es nicht. Mir genügte, wenn er unschädlich gemacht wurde.

Da meldete sich der Arzt noch einmal zu Wort. »Mit Euch reist doch Lorenz von Orta. Könnte der nicht die Stelle des zweiten Missionars einnehmen? Für die Mongolen ist ein Franziskaner so gut wie der andere. Kennen tun sie beide nicht!«

»Das ist keine schlechte Idee«, gab Gavin zu. »Ab Konstantinopel spielt es keine Rolle mehr, wer dich begleitet«, wandte der Templer sich an mich. »Du brauchst dich um den Austausch nicht zu sorgen. Crean und ich erledigen das.«

»Und Lorenz?«, wagte ich zu fragen. »Lorenz von Orta ist an seinen Eid gebunden. Gehorsam ist das Mindeste, was wir von ihm erwarten. Eigentlich könnte ich mich längst um die Mitgliedschaft im Geheimen Bunde bewerben«, spottete ich nun. »So wie Ihr seit Jahren meine Dienste in Anspruch nehmt.«

»Wenn du von dieser Mission erfolgreich und vor allem lebend zurückgekehrt bist«, sagte Gavin und legte mir beide Hände auf die Schultern, »dann will ich derjenige sein, der deine Aufnahme vorschlägt, William von Roebruk!«

»Danke«, antwortete ich ungerührt. »Das zweite ist, dass Lorenz von Orta umgehend von seiner neuen geheimen Berufung unterrichtet werden muss, sonst hat er sich längst nach Otranto eingeschifft –« Ich konnte und wollte mir auch den Seitenblick zum Seitenhieb nicht verkneifen. Er galt dem Templer. Gavin registrierte mein ungebührliches Verhalten mit gerunzelter Stirn, während ich fortfuhr: »– und wir haben das Nachsehen.«

»Das übernehme ich«, bestätigte mir der Präzeptor wunschgemäß. »Ich weiß ihn auch zu finden, wenn er sich schon auf den Weg gemacht hat, und vor Konstantinopel ist seine Präsenz ja nicht vonnöten. Ich garantiere für sein pünktliches Erscheinen als ›Missionar Bartholomäus von Cremona im Auftrag des Königs von Frankreich‹.«

»Was hat er denn so Wichtiges in Otranto zu erledigen?«, wollte Crean darauf peinlicherweise wissen. »Wahrscheinlich besucht er dort doch nur den lieben Hamo und sein holdes Weib und lässt es sich bei den Mägden gut gehen?«

Mich ritt der Teufel, und ich kam Gavin mit der Antwort zuvor: »Er wird sich in Küche und Keller fein herausfüttern lassen, der jungen Gräfin vorschwärmen, wie aufregend das süße Leben am Goldenen Horn ist –«

»Quatsch!«, unterbrach mich Gavin erbost. »Kümmert euch nicht um Lorenz! Ich verbürge mich nicht für den schrulligen Minoriten, wohl aber für die zuverlässige Person, die mit dir, William, zum Großkhan reisen wird!«

»So lasst uns gehen!«, schlug Johannes von Procida vor. »Ich möchte wieder unter Menschen und habe Hunger!«

Wir verließen den Turm auf dem gleichen mühseligen Weg, auf dem wir gekommen waren, und schritten hinunter zum Hafen. Gavin ließ sich zu mir zurückfallen, während Crean und der Arzt rüstig vorneweg marschierten. »Wenn du mir zeigen willst, William«, knurrte er mich an, »dass du in Ostia gelauscht hast, ist dir das gelungen. Ich weiß längst, warum Barth ausgetauscht werden muss, und ich kann nur versichern, Lorenz wird –«

»Der macht mir weniger Sorgen«, sagte ich mit gespielter Erregung, dass er befürchten müsste, ich würde mein Stimme heben, »als Eure Person, Gavin! Ihr habt diesen völlig irrwitzigen Plan mit Malta aufgegriffen, ihm Leben eingeblasen wie der Scirocco, der mit heißen Odem die Segel der Piraten bläht und ihre Schiffe in böser Absicht gen Otranto treibt.«

»Als Dramatiker zu poetisch, William«, wies er mich spöttisch in die Schranken. »Als Poet zu dramatisch! Wenn du je Mitglied der Prieuré werden willst, gewöhn’ dir an, dich nicht zu entschuldigen. Jede auch noch so falsche Handlung wird von allen mitgetragen. Wenn sie sich nicht zurücknehmen lässt, wird sie durch eine Gegenmaßnahme neutralisiert.«

»Ein hübsches Spiel zu Lasten unschuldig Betroffener!«

»Wer ist schon unschuldig!« warf mir der Templer über die Schulter zu und schloss zu Crean und Johannes auf.

An der Mole fanden wir einen aufgeregten Bartholomäus vor. Er habe ein Schiff für unsere Überfahrt gefunden, nach Konstantinopel, doch der junge Herr Graf, der es gemietet habe, wolle nicht lange auf zwei Minoriten warten, sondern heute noch in See stechen.

»Wer ist es denn?«, fragte ich als sein Reisegenosse mit berechtigter Neugier.

»Graf Hamo L’Estrange!« teilte mir Barth voll geschwätzigen Stolzes mit. »Er hat seine Lehen Otranto und Malta dem Bastard Manfred zurückerstattet, um auf Drängen seines Weibes, die gerade mit einer Tochter niedergekommen ist, ein Erbe in Konstantinopel anzutreten. Sie wird ihm mit Sack und Pack folgen, sobald er dort Quartier gemacht hat. Wir können sogar bei ihm wohnen, in Konstantinopel!« fügte er begeistert hinzu. »Da seht Ihr!« wandte er sich triumphierend an Gavin. »Die letzten Anhänger der stauferischen Sache verlassen wie Ratten das sinkende Schiff!«

Der Präzeptor starrte mich nur nachdenklich an. Ich ersparte ihm mein Grinsen, dachte ich doch auch an seine Worte in Ostia, dass jeder Gedanke zum Plan gerinnt, jeder Plan zur Tat.

»Wo ist Lorenz von Orta?«, fragte der Templer endlich.

»Der war schon nach Otranto abgereist – so ein Pech! Wir hätten ihn mitnehmen und dort absetzen können, denn der Graf will noch sein zärtlich geliebtes Weib begrüßen, bevor er weitersegelt zum Goldenen Horn!«

»So ein Pech!«, sagte Gavin, sich selbst verspottend, und nahm mich beiseite. »Eil dich jetzt, damit Hamo nicht ohne dich abfährt.« Er legte ein drittes Mal seine Pranken auf meine Schultern und sah mir in die Augen. »Du bist noch jung und wächst mit den dir gestellten Aufgaben, William. Ich dagegen werde brüchig und fehlerhaft wie altes Eisen, zu viel Schläge habe ich im Dienste des ›Großen Plans‹ einstecken und austeilen müssen. Doch ich versichere dir, Lorenz wird rechtzeitig an deiner Seite sein!« Er gab mir einen aufmunternden Klaps. »Jetzt lauf!«

Bartholomäus drängte schon, und wir beide setzten uns in Trab. Ich verstand, dass der Templer Hamo nicht sehen wollte, hoffte aber insgeheim, dass er uns folgen würde, den Freund vor den auf die Triëre angesetzten Piraten zu warnen. Sonst würde ich es tun.

Wir drängelten uns durch eine gaffende Menge, vorbei an Lastenträgern, die geschäftig Waren und Kriegsgerät ausluden und am Kai stapelten, und Soldaten, die ihre Einheit suchten. Da trat uns plötzlich ein Fähnlein der Ordnungsleute entgegen – Deutsche, die schlecht italienisch sprachen. Sie hielten ihre Spieße auf uns gerichtet. »Ke spiate kwi tutto tschorno per naves?[12] Seid gar Spitzel, spie dell'Anschou?!«

Ich antwortete: »Nein, wir sind Gesandte im Auftrag des Königs zum Großkhan!«

»Dann bin ich der Sultan von Babylon!«, spottete der Hauptmann. »Marsch, ab mit euch ins Gefängnis! Dort wollen wir sehen, ob der Strick um eure feinen Hälse das Gewicht des Wanstes trägt!«

Das galt mir, denn Barth war hager. Doch auch er zog entsetzt den Kopf ein, als erst ihm, dann mir die Hände auf den Rücken gebunden wurden. Dann hieben sie mit den stumpfen Enden der Spieße auf uns ein und trieben uns einer unerfreulichen Bestimmung entgegen.

L. S.

Der mit dem bösen Blick

»Ich hab' sie in Buchara[13] gesehen«, zischte der Mann mit dem stechenden Blick, der vor dem Schreibpult im Kontor des wohlhabenden Malouf[14] stand, des mächtigsten Händlers in Samarkand. Anzusehen war dem stoppelbärtigen Kaufherrn sein Reichtum nicht, seine Kleidung war schäbig und voller Fettflecken. Einzig ein schwerer goldener Siegelring am kleinen Finger seiner Rechten mochte Verwunderung auslösen.

Malouf fixierte den Mann aus Bagdad[15]. »Wenn Ihr Euch sicher seid, Chaiman[16], dass es Mongolen waren, mit denen das Königliche Paar unterwegs ist«, dachte er laut, »dann führt ihre Reise zum Großkhan unweigerlich über Samarkand.«

»Das will ich meinen«, ereiferte sich der so Angesprochene, »ich bin mir auch sicher, dass mein Herr, der Dawatdar Aybagh, sich nicht anders verhalten würde. Es handelt sich also nicht um eine spontane Eingebung meiner unwesentlichen Person, sondern um die Vollstreckung eines geheimen Urteils – und das ist für Euch, Malouf, ein amir[17]!« Er schlurfte ans Fenster, um in die Dunkelheit hinauszusehen, wobei er ein Bein nachzog. Draußen, unten im großen Hof der Karawanserei, flackerten noch Feuer, doch die meisten Gäste des Handelsherrn hatten sich schon zur Ruhe gelegt. Pferde und Maulesel standen eng zusammengedrängt an die Gatter gebunden, Kamele lagerten mampfend beisammen. Es mochte noch eine Nachtwache bis zum Morgengebet, der salat alfajr, sein. »Sie müssen in der kommenden Nacht umgebracht werden, am besten im Schlafe«, sinnierte der Vertraute des Dawatdar, des Kanzlers am Hofe des Kalifen.

Malouf war durch dessen Vergünstigungen reich geworden. Er fürchtete um sein Monopol, und deshalb musste er gehorchen. »Es sollte nach Mord durch die Assassinen aussehen«, wandte der Kaufmann ein.

»Es wird so aussehen«, beruhigte ihn Chaiman, soweit er mit seinem bösen Blick Ruhe ausstrahlen konnte.

»Ein paar Mongolen könnten natürlich entkommen – schon damit die Nachricht von diesem unerhörten Vorfall nach Karakorum gelangt. « Malouf war gar nicht wohl bei seinen eigenen Worten. Es bedurfte nicht einmal dieser Unglücksboten. Der zuständige mongolische Gouverneur würde schon Meldung machen, aber zuvor würde ein Strafgericht über den Händler hereinbrechen, in dessen Haus der furchtbare Mord hatte geschehen können. Malouf fröstelte trotz der glühenden Holzkohle in dem Becken zu seinen Füßen.

»Der Dawatdar«, fasste Chaiman ungerührt zusammen, »legt Wert darauf, die Mongolen gegen Alamut einzunehmen und ihre Eroberungsgelüste von Bagdad abzulenken.«

»Ich verstehe«, zeigte sich Malouf einsichtig. Der Preis war entschieden zu hoch. »Empfangen wir also unsere Gäste in allen Ehren und sehen zu«, murmelte er zweideutig.

»Lassen wir sie in die Falle laufen!« Der Hinkefuß war für Klarheit.

◊ Lieber William, hier spricht Yeza.

Also, Du großer Befreier, selbst als Briefeschreiber wird Dein Talent, zur rechten Zeit am falschen Ort zu sein – oder nicht einmal das! –, missbraucht. Du hast es wie immer gut gemeint, aber Hasan, die Schlange, hatte den Apfel vergiftet. Wir sind aus dem Paradies vertrieben, aber nicht von einem Engel mit Flammenschwert, sondern von einem Kalb namens Khurshah. Die Assassinen haben sich gegenseitig vor das Schienbein getreten, und wir sind, dank Deiner umsichtigen Hilfe, frei, und auch mein Knöchel schmerzt nicht mehr. Mir dient ein neuer Ritter, der heißt Kito. Sein Vater ist ein großer mongolischer General, und beide sind Christen.

Vor allem aber hat er Roç und mir zwei erlesene Pferde aus der Zucht des Großkhans mitgebracht, was mich über den Verlust des Hengstes hinwegtröstet, den wir aus dem Stall des Imam geklaut hatten, jedoch am Fuße des Gebirges stehen lassen mussten. Die Mongolen sind sehr gute Reiter, ausdauernd und dabei noch immer voller Späße, die sie mit ihren – ziemlich kleinen –Pferden vollführen. Sie sitzen im gestreckten Galopp auf und ab oder lassen sich hinter den Leibern der Tiere fast bis zum Boden hängen, zum Schutz gegen Pfeile, die sie auch im vollen Lauf, und zwar sehr zielsicher, verschießen. Als mein Knöchel es wieder zuließ, habe ich ihnen vorgeführt, dass ich mit einem Bein auf dem Sattel stehen und auch während eines scharfen Ritts noch schießen und treffen kann. Weil der Sauertopf von Anführer unserer Eskorte, die uns zum Großkhan bringt, Ata el-Mulk Dschuveni, sah, wie sicher Roç und ich mit dem mongolischen Bogen umzugehen wissen, wurden uns bei Erreichen des Herrschaftsbereiches des Khanats der Goldenen Horde gleich solche Waffen besorgt. Und Roç übt nun jeden Tag mit Kito, der schon zwanzig ist und bereits viele Gegner getötet hat. Mein königlicher Liebster will sich in der Ausübung des Waffenhandwerks nicht von mir übertreffen lassen.

Ich habe übrigens gehört, dass auch die mongolischen Frauen ihren Mann stehen dürfen, was mich sehr freut. Den Khurshah haben wir übrigens nach Verlassen des Assassinengebiets, als wir sicher sein konnten, nicht mehr überfallen zu werden, laufen lassen. Dschuveni hat ihn einer aus China heimkehrenden Karawane übergeben, damit sie ihn gegen gute Belohnung bei seinem Vater in der Rose abliefern. Als Roç, der ja immer ein Herz für das Kalb hatte, den Einwand machte, die Händler könnten den zukünftigen Imam auf dem nächstbesten Sklavenmarkt verkaufen, hat der amin al chisana[18] – so lautet der Titel von Dschuveni – schallend gelacht, was sonst nie vorkommt, und geantwortet: »Selbst wenn sie sein Fleisch pfundweise verkaufen, werden sie niemals so viel für das Kalb erhalten wie von dem Schlächter in Alamut!«

»Und warum nehmt Ihr ihn nicht als Geisel zum Großkhan mit?« hab' ich da eingeworfen, zugegebenermaßen ziemlich bösartig, und der Kämmerer hat mich erstaunt angesehen.

»Einmal, weil ich mit Euch einen guten Tausch gemacht habe, zum anderen, weil man auch in der Auswahl von Geiseln Geschmack beweisen sollte. Mein Herr, Il-Khan Hulagu, hakim al gharb[19], könnte mir eine solch grobe Gabe verübeln.«

»Und zum dritten«, mischte sich Kito ein, »ich verspüre keine Lust, den fetten Jammerlappen noch während des Restes unserer langen Reise um mich zu haben!«

»Das kann ich Euch nachfühlen, Kito«, hab' ich da gesagt, »zumal Ihr ihm schon vorgeführt habt, wie man tumbem Vieh Bescheid stößt.« Da bekam er einen roten Kopf, und ich lachte, weil ich die Geschichte von dem Mädchen mit den Stiefeln aufgeschnappt und gleich richtig auf Aziza geschlossen hatte, während mein lieber Roç den Zusammenhang nicht verstanden hatte. Besser so; es würde vielleicht seine beginnende Freundschaft mit Kito trüben. So flüsterte ich, als Roç nicht hinhörte: »Die Ziege hat's verdient!« Womit ich offenließ, ob ich seine Leistung als Bock oder meine Verachtung für die Geiß hervorheben wollte.

Roç ist es immer peinlich, wenn ich kein sittsames Betragen an den Tag lege. Schon meine Kunststückchen auf dem Pferderücken fand er unschicklich, zumal ich dabei viel Bein zeigte. Meinen Dolch darf ich gar nicht erst hervorholen, weil das die mongolischen Krieger erschüttern könnte, die sicher nicht so blitzschnell eine Klinge auf zwei Finger genau zu schleudern vermögen – zwischen zwei Finger! Hüte Dich also, William, wenn Du mich das nächste Mal siehst und als unverbesserlicher Franziskaner nach mir grapschen willst! Mein Hintern ist jetzt schon solche Gelüste wert, nur meine Brüste lassen sich Zeit, allerdings will ich keine solchen Ziegeneuter wie Aziza. Klein und granatapfelrund sollen sie werden mit zwei Spitzen wie Haselnüsse. Das verrat’ ich nur Dir, Mönch, denn mein König will’s weicher, ›weiblicher‹, wie er es ausdrückt. Er nennt ÿiche ine Amazone, weil bei mir auch keiner merken würde, wenn eine gänzlich fehlte – Hauptsache, ich könnte vergiftete Pfeile abschießen! Die armen Männer!

Kito schaut mich nur noch scheu von der Seite an, weil ich so frivol zu erkennen gegeben hab', dass ich alles weiß, was sich auf dem Rücken des Khurshah abgespielt hat – auch von der Nachlese der »Geheimen Kämpfer«, nachdem Kito das Haus des Omar verlassen hatte und uns als Retter entgegenritt. Was denken sich die Männer eigentlich, William? Beantworte mir diese bescheidene Anfrage, wenn wir uns wiedersehen. Wir haben die wüstenartige Steppe hinter uns gelassen und nähern uns den Bergen von Turkestan. Vor uns liegt Samarkand!

Ich umarme Dich, Deine Yeza, O. C. M.

PS.: Diese Stadt ist einzigartig in ihren Farben! Da ist einmal das Licht, das, durch keinen Dunst getrübt, klarer ist, aber auch greller als sonst wo. Und erst die bunte Vielfalt der Gewänder, Stoffe und Teppiche! Hier trifft alles zusammen, was an Waren aus Indien und China in den Okzident gebracht wird, hier kreuzen sich die Sklavenkarawanen der Araber mit ihrem ›schwarzen Ebenholz‹ mit denen der Gewürzhändler von fernen Inseln. Sie tauschen und feilschen, geizen und verschleudern, übervorteilen und verteilen Almosen und treffen sich alle immer wieder in diesem größten Basar der Welt. Ein Kommen und Gehen, Tag und Nacht.

Wir sind im Haus des Kaufmanns Malouf abgestiegen, was nicht ganz richtig ausgedrückt ist, denn erstens ist dieser Malouf ein Handelsherr, wohl einer der reichsten dieser Stadt, und zweitens ist sein Haus wohl eher als Palast zu bezeichnen mit angeschlossener, von ihm unterhaltener Karawanserei. In ihrem Hof brennen mindestens zehn Feuer, über denen sich Hammel am Spieß drehen. Unter den Säulengängen ringsherum wird mehr Handel getrieben als in ganz Kairo oder Bagdad – oder in beiden zusammen! In den an diese Arkaden angrenzenden Schlafsälen können neun mal neunzig Reisende nächtigen. In jedem davon schlafen mehr als hundert, weil sie ständig überfüllt sind. Dazwischen plätschern Brunnen, an denen man sich waschen kann, und die Notdurft verrichtet man an marahid[20]. Die Tiere lagern im Hof und werden auch gefüttert. Die Kamele saufen ungeheure Mengen Wasser, tragen aber fünfmal so viel wie jedes Pferd und sind auch viel friedlicher, weil sie sich gern hinsetzen. Das nur, falls Du solche Angaben für Deine Chronik brauchst.

Wir sind in der Nacht angekommen und konnten gleich Betten in einem der Säle beziehen. Man begegnete dem Herrn amin al chisana des Hulagu hier mit viel Respekt, auch wir, al malik ual malika[21], sind den Leuten ein Begriff, ich hörte die Diener des Malouf ehrfürchtig unsere Namen flüstern. Jedenfalls wurden wir mit größter Gastfreundschaft empfangen, man reichte uns einen frischen Willkommenstrunk aus gepressten Früchten und gab uns Kissen und Decken. Die Betten sind aus Holz, immer drei übereinander, für das letzte braucht man eine Leiter. Das hab' ich natürlich genommen. Unter mir schläft Roç, er bewacht meinen tugendhaften Schlummer, und darunter Kito, der für uns verantwortlich ist. Über uns verläuft eine Holzgalerie, und unterm Dach sind wohl Warenspeicher, wie auch im Keller unter uns Wein, Öl und gepökelte Heringe eingelagert sind. So gehen die Gerüche von zweihundert abgestreiften Stiefeln einfach unter zwischen denen von Safran und Stockfisch, ranziger Butter und Dörrfleisch. Ich bin sofort ins Bett gegangen, deswegen ende ich hier.

Die Obige.

L. S.

Der Muezzin rief zur salat ad-dhuhur[22]. Der Hof der Karawanserei von Malouf lag friedlich in der Maiensonne, als der Hinkende mit dem stechenden Blick sich bei dem Handelsherrn melden ließ. Malouf hatte sich auf der schattigen Veranda seines Hauses mehrfach gegen Mekka verneigt – er war ein strenggläubiger Muslim – und rollte seinen Teppich wieder ein.

Malouf sprach außerhalb der vier Wände seines Kontors nicht gerne übers Geschäft. »Wenn die Sendung abgefertigt und verpackt ist, habe ich mir überlegt, dann wäre es vielleicht gut, wenn Bagdad ein paar von den damit befassten Dienern nach Karakorum schickt, damit sie dort ihren Lohn erhalten.«

Das gefiel Chaiman, als er den Sinn begriffen hatte, und sein Blick leuchtete auf wie der einer Schlange, die ein ganzes Nest junger Vögelchen entdeckt hatte. »Also müssen wir die Herren Diener gleich von Anfang an im Auftrage des Imams anheuern, damit sie wissen, für wen sie tätig werden. Könnt Ihr denn so viele entbehren?«

Der Kaufherr hob abwehrend die Hände. »Doch nicht meine eigenen Leute! Das würde auf mich zurückfallen!«

»Dann besorgt Euch welche auf dem Markt, stundenweise zu löhnende Lastenträger, Tagediebe, Hungerleider!«

»Unmöglich! Mich kennt hier jeder. Ich komm' gern für den Lohn auf, aber anheuern müsst Ihr sie schon selber, Chaiman!« Malouf lächelte gegen den bohrenden Blick an. »Ihr sollt auch die rechte Auswahl vornehmen, denn die zu leistende Arbeit verlangt geübte Hände. Wir haben es mit einer Ware zu tun, die sich nicht von ein paar Tölpeln einsacken lässt.«

»Ist das Eure Hilfe, Malouf?« Ein Auge des Chaiman zuckte und stach schief nach dem Hals des Gegenübers. »Glaubt Ihr, Ihr könntet mit Eurem Geld alles von Euch abwälzen?«

»Ich werde Euch sichere Namen nennen, deren Preise ich kenne«, schnaufte der Kaufherr. »Ich stelle Euch mein Haus zur Verfügung, die direkten und geheimen Zugänge zum Lagerraum unserer Ware – mehr kann ich nicht für Euch tun. Ich lebe hier in Samarkand, Ihr aber, Chaiman, reist nach dem Verpacken der Ware wieder ab.«

»Vorher!«, erwiderte der Mann aus Bagdad. »Ich besorge die Leute und bin danach nicht mehr auffindbar!«

»Und an mir bleibt alles hängen!« jammerte der Kaufmann. »Es muss so aussehen, als wäre der Schlag auch gegen mich gerichtet, sonst bin ich verloren!«

»Darauf könnt Ihr Euch verlassen, Malouf«, sagte Chaiman. »Zeigt mir jetzt die Örtlichkeiten, unsere gefiederten Freunde sind ausgeflogen, um auf dem Basar herumzupicken. Wir können in aller Ruhe die Löcher des Taubenschlags inspizieren, durch die unsere Frettchen heute Nacht hereinschlüpfen werden. Und gebt mir jetzt das Geld!« Ohne sich nach dem Hausherrn umzusehen, schlurfte er voraus.

◊ Roç an den lieben William, Samarkand in der dritten Dekade des Monats Mai A. D. 1252

Den ganzen Nachmittag streiften wir durch den Basar. Den kannst Du Dir gar nicht groß genug vorstellen, weil vor jeder der Karawansereien, die ihn umgeben, letztlich ein eigener Markt entstanden ist. Er ist auch nicht nach Quartieren der Handwerker geordnet wie in Bagdad oder Akkon, wo jede Zunft ihre eigene Gasse hat, sondern eben nach den untereinander rivalisierenden Handelshöfen, von denen der unseres Gastgebers Malouf der größte ist. Der hat uns natürlich einen Führer mitgegeben, der wohl dafür sorgen sollte, dass wir alles bei ihm einkaufen, doch ich habe Kito gesagt, wir wollten auch alle anderen Verkaufsstände sehen, und so haben wir uns mit Yeza selbstständig gemacht.

Das brachte einige Überraschungen mit sich, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie Zufall oder Schicksal waren. Der erste, der uns über den Weg lief – und dass wir ihn wiedererkannten, war ihm offensichtlich unangenehm –, war dieser Hinkefuß mit dem stechenden Blick, der uns in Bagdad nach der fehlgeschlagenen Audienz beim Kalifen zurück in unser stinkendes Quartier brachte. Der Mann hat den âin al hasud[23], an ihm klebt Unheil – wenn er es nicht selber ausheckt – wie an Ratten die Pestilenz, so sagt man doch. Er versuchte, sich zu verbergen, und war dann auch gleich wieder verschwunden. Ich sagte Kito nichts, wechselte aber mit Yeza einen Blick, der mir zeigte, dass sie ihn auch gesehen hatte und ebenso empfand wie ich. Ich glaube, der hieß Chaiman oder so ähnlich und war ein Mann des dicken Dawatdar. Diese Begegnung ereignete sich auf dem Persischen Markt.

Dann betraten wir den der Armenier. Eine Tributkarawane des König Hethoum machte dort gerade Station. Sie transportierte vor allem Sklavinnen, die für den Großkhan und seinen Hof bestimmt waren. Sie wurden in Käfigen gehalten. Die Wächter ließen niemanden zu nahe heran. Birnenbrüstige Tscherkessinnen, starkhüftige Georgierinnen, breithintrige Bulgarinnen, zwei blonde Polinnen und sogar eine Rothaarige mit weißer, gesprenkelter Haut aus dem Land der Iren. Wir bekamen die Frauen kaum zu Gesicht, sondern vernahmen nur die Kommentare der Leute, die sich vor uns drängten. Doch dann schrie Yeza leise auf und stieß mich an. »Shirat! Ich schwöre dir, ich habe Shirat gesehen!«

Ich sagte: »Du spinnst, wie soll Hamos Frau, inzwischen Gräfin von Otranto, in eine Sklavenkarawane geraten sein!?«

Doch Yeza schob mich energisch in die Menge und zerrte mich nach vorn. »Es war Shirat, ich bin doch nicht blöd oder blind!«

Die Wächter versperrten uns mit ihren langen Schlagstöcken den Weg, und die vergitterte Sänfte, auf die Yeza zeigte, wurde wieder hochgenommen und entzog sich schwankend unseren Blicken, die gerade noch die verhüllte Gestalt erhaschten, von der Yeza felsenfest behauptete, sie sei ihre alte Freundin Shirat gewesen. Von der Statur her konnte es stimmen. Die Frauen waren zu viert in den Käfig gepfercht, nur sie stand. Ihre Hände umklammerten die Gitterstangen, ihr Gesicht konnten wir nicht mehr sehen. Einfach unwahrscheinlich, dass es Shirat war, meinst Du nicht auch, William? Doch wenn Du Hamo das nächste Mal siehst, dann frag ihn nach dem Wohlergehen seiner kleinen Frau. Yeza gibt sonst keine Ruhe!

Wir zogen weiter auf den Markt der Inder, sicher der farbenfroheste, aufregendste, aber auch der schmutzigste! »Keiner versteht so schöne Saris zu fertigen oder Rohseide und einfaches Kattun zu bedrucken«, sagte Yeza, die sich mit Schärpen, Schals und schiroual[24] eindeckte, als wolle sie selbst damit einen Basar eröffnen. Zwei Träger folgten uns schon, denn sie hatte auch vorher nicht widerstehen können: Fußringe, Halsketten, Armreife, Fächer, Amulette, Spangen, Schließen, Kämme, Flakons mit öligen Elixieren und Duftwässerchen, Döslein mit zart getöntem Puder, fettigen Pasten aus roten Läusen für die Lippen, aus Kohlestaub für die Wimpern und Brauen, bläulichsilbrige Pülverchen für die Lidschatten – reicht's Dir, William? Meiner edlen damna noch lange nicht!

Aber da stand im Gedränge plötzlich Omar vor uns. Ich machte ihm schnell ein Zeichen, mich nicht anzusprechen, weil ja Kito, der Mongole, uns begleitete. Auch Yeza war, alhamdulillah[25], so versteinert, dass sie kein Wort herausbrachte, das den jungen Assassinen verraten hätte. So ging Omar an uns vorbei, aber ich hatte verstanden, dass er mir etwas mitteilen wollte. Ich schob Yeza und Kito in die Arme des nächsten Schmuckhändlers und zischte ihr zu: »Lenk ihn ab!« Sie behängte sich Stirn und Ohren mit Geschmeide, und Kito musste sein Urteil über die verführerische Wirkung abgeben. Ich war derweil zurückgetreten, weil ich sah, dass Omar auf der anderen Seite der Ladengasse verstohlen Handsignale gab. Wir hatten uns damit in Iskander vergnügt, und ich verstand sie immer noch zu entziffern: »Chiana, Verrat«, buchstabierte ich, »intuma ua murafikun bi chattar, du und deine Begleiter in Gefahr, … al leila, heute Nacht, … jahrus, wachen.« Dann war Omar, ohne mir oder Yeza noch einen Blick zu schenken, wieder verschwunden. Ich hatte den Eindruck, dass er von dem Zusammentreffen mit uns ebenso überrascht war wie wir und uns keineswegs gesucht hatte. Wieso war er überhaupt noch in Samarkand? Die vierzehn Fida'i waren doch schon Mitte März, also vor über zwei Monden, aufgebrochen, um den Großkhan der Mongolen in Karakorum zu ermorden, und wie ich das Gesetz der Rose kannte, wurden solche Befehle des Imams befolgt und ausgeführt. War Omar ein Deserteur? Seine Warnung war ernst zu nehmen, das stand für mich außer Frage, und ich musste auch Kito einweihen, alles andere wäre grober Leichtsinn.

Ich sagte abrupt zu Yeza: »Kauf dir lieber einen Brustpanzer oder ein Kettenhemd! Heute Nacht will man uns ermorden!« Kito sah mich strafend an, als würde ich üble Scherze treiben. So sagte ich: »Zucke bitte nicht mit der Wimper, und schau dich bloß nicht um. Wir werden nämlich beobachtet!«

Kito verwandelte sich sofort in den ›Geheimen Kämpfer‹, der er war, was ich daran sah, dass er seine Kräfte sammelte, ohne sich zu verspannen. Er lächelte Yeza weiterhin zu, die alles gehört hatte, aber ungerührt fortfuhr, Schmuck anzuprobieren. Ein kluges Mädchen! Ich erzählte in knappen Worten von der Warnung, die ich erhalten hatte, von einem sadiq al ladhi judahiin bi nafsihi min ajlina[26], einem Freund, der für uns durchs Feuer geht. »Er wird heute Nacht da sein, um Yeza und mich zu beschützen!« Das behauptete ich einfach so, obgleich Omar davon nichts bedeutet hatte. Ich wusste nicht einmal, wer die Meuchler sein würden, wie der heimtückische Anschlag vonstatten gehen würde und in wessen Auftrag er erfolgte. Das war mir auch erst einmal gleichgültig, aber ich war felsenfest davon überzeugt, dass Omar an unserer Seite kämpfen würde. Das dachte Yeza auch. Kito wollte sofort den Dschuweni benachrichtigen, aber Yeza meinte, das sei unnötig, der würde nur viel Aufhebens von dem Mordanschlag machen; sie wolle die Mörder nicht vergraulen, sondern ihnen den Empfang bereiten, den sie verdient hätten. Ich setzte hinzu: »Ich will unseren Feinden ins Auge schauen und sie erkennen, bevor ich sie vernichte!« Da ich den Mund recht voll genommen hatte, setzte ich hinzu: »Um ihnen eine Abfuhr zu erteilen, die sie ihr Leben lang nicht vergessen, genügen die sechs ›Geheimen Kämpfer‹.«

Kito lachte. »Du meinst, wir könnten mit einer noch so großen Überzahl fertig werden? Das stimmt nur, wenn der Gegner sich auf den Nahkampf einlässt, Mann gegen Mann!«

»Das wissen wir nicht«, sagte Yeza, »lasst uns die Bogenschützen in Bereitschaft halten.«

Wir verließen den Basar, gefolgt von drei Trägern mit riesigen Körben. Wer uns sah, mochte denken, welch heitere Reisegesellschaft!

Ich grüße Dich voller Erwartung der Dinge und werde Dir für Deine Chronik alles berichten – es sei denn, ich verliere heute Nacht mein junges Leben. Dann kümmere Dich um meine Witib. Nach der Aussteuer zu schließen, die sie gerade zusammengekauft hat, ist sie jetzt eine gute Partie,

Dein Roç

L. S.

Das Gastmahl des Kaufmanns

Die Taverne ›Babuschka‹ lag im russischen Viertel des Marktes von Samarkand und war bekannt für ihre harten Trinksitten, Schlägereien und Verbrüderungen unter Gesang und weiteren scharfen Getränken. Das war auch der Grund, aus dem Omar und seine Freunde hier nicht hängen geblieben waren, sondern die chamara[27] als Schule fürs Leben betrachteten. Hier in Samarkand befanden sie sich bereits innerhalb des mongolischen Herrschaftsbereiches, und sie hatten gelernt, sich darin zu bewegen wie Fische im Wasser. Je zwei von ihnen arbeiteten zusammen als Tagelöhner in einem anderen Quartier. Sie hatten sich eine neue Identität geschaffen. Und erst nach und nach hatte Omar ihnen erlaubt, sich mit ihm zu treffen, sodass kein Spitzel auf den Gedanken kommen konnte, es handele sich um eine geschlossene Truppe. Sie brachten Freunde mit, sprachen nie über Alamut, ja, nicht einmal arabisch, hatten sich neue Namen zugelegt und wirkten wie ein zufällig zusammengewürfelter Haufen.

Omar war der von allen anerkannte Anführer, auch wenn jedes Paar Fida'i das Recht hatte, eigene Wege zu gehen. Sein Plan, sich erst einmal in der Fremde zu assimilieren, war von allen als richtig anerkannt worden, wobei unterschwellig auch wohl eine Rolle spielen mochte, dass jeder der jungen Burschen ganz froh war, noch in der Gruppe aufgehoben zu sein, anstatt, allein auf sich und den Gefährten gestellt, im fernen Karakorum der Leibwache des Großkhans gegenüberzutreten.

Wenn sie sich insgeheim etwas mitzuteilen hatten, dann tranken sie zu zweit, zu dritt, zu viert, sie prügelten und verbrüderten sich, wobei sie sich zwangsläufig um den Hals fielen und alle Worte wechseln konnten, die zu sagen waren, bevor die moskowitische Wirtin oder eine ihrer zahllosen Töchter sich einmischte. Das geschah vor allem beim Trinken und In-den-Armen-liegen, denn das belebte das Geschäft. So verfuhr man auch heute, und für Omar ergab sich, mit blauem Auge, blutiger Nase und nassgeküsst, folgendes Bild: Ein merkwürdiger Mann, ein âaraj mâal äin al hasud[28], hatte sich an mehrere von ihnen herangemacht, um sie für einen Anschlag auf die Karawanserei des Malouf anzuwerben. Dabei waren wohl ein paar unliebsame Reisende ins Jenseits zu befördern, vor allem aber sollte ein gut bewachtes Prinzenpaar um die Ecke gebracht werden. Darauf würde er ein hohes Kopfgeld aussetzen.

Omar war sofort klar, dass es um Roç und Yeza und deren mongolische Eskorte ging. Aber er hörte sich erst einmal weiter die Berichte an, die sich mit seinen eigenen Erfahrungen deckten. Das Merkwürdige an dem Mann war, dass er sich bald als Assassine aus Masyaf[29] in Syrien ausgab, bald durchscheinen ließ, er handele im Auftrag des Imams von Alamut, aber auf die geheimen Erkennungszeichen der Bruderschaft überhaupt nicht reagierte. Entweder war er kein Assassine und versuchte es ahnungslos, weil Assassinen und bestellte Meuchelmörder so schön zusammenpassen, ohne zu merken, mit wem er es zu tun hatte, oder er war ein Spitzel, der Verdacht geschöpft hatte und sie aus ihrer Reserve zu locken versuchte. Jedenfalls mussten sie auf der Hut sein. Allerdings hatte der Kerl auch andere angeheuert, und zwar ausnahmslos üble Strolche, arbeitsscheues Gesindel, bekannte Straßenräuber und Beutelschneider. Das ließ darauf schließen, dass es ihm mit dem Mordanschlag ernst war.

»Also«, sagte Omar in einer Serie von Knüffen und Schlägen, Umarmungen und Küssen, »ich muss es Euch freistellen. Ich für meinen Teil, denn an mich ist er auch herangetreten, ich werde heute Abend dabei sein.«

»Ich auch, ich auch!«, schrien die meisten durcheinander, was ja unverfänglich ist.

»Eigentlich dachte ich, welch hübsche Gelegenheit«, fuhr Omar keuchend fort, »mal so richtig mit Mongolen ins Gemenge zu kommen. Dabei kann man ja nur lernen, aber jetzt bin ich mit von der Partie, allerdings auf der anderen Seite. Ich schlag' mich für das Leben des Königlichen Paares! Denn nimmer will ich glauben, dass die Rose ihren Tod beschlossen hat. Also kämpfe ich Schulter an Schulter mit den Mongolen!«

»Ich auch, ich auch!«, riefen die anderen erneut durcheinander. »Wir drehen den Spieß um! Wir nehmen sein Blutgeld und schlagen seinen Leuten die Schädel ein!«

Omar war erschöpft und wirkte sturzbetrunken, als er zum Abschluss torkelnd, aber wie ein Berserker, noch einmal jeden in der Runde anrempelte. »Wir treffen uns heute Abend, dort, wo Hinkebein uns hinbestellt hat, beim ›Koloss von Rhodos‹, dem Griechen!«

»Das ist der richtige Ort für ein solches Treffen«, flüsterte Karim, Omars Gefährte, der sich hier Aljoscha nannte. »Bei dem Fettwanst von Kneipenwirt verkehren nur Totschläger und Galgenvögel, Messerstecher und Schnurwürger, selten ein abgemusterter Soldat, der etwas auf sich hält.«