Geliebte Honigmaus - Tom Landon - E-Book

Geliebte Honigmaus E-Book

Tom Landon

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Beschreibung

Tom Landon, Autor und Regimekritiker, aufgewachsen und sozialisiert im niederösterreichischen Petzenkirchen, beschreibt in seiner Biographie den Wert der Vorbildrolle eines Alkoholikervaters und Schlägers. Eine dramatische Romanze mit schockierenden Details.

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Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Geliebte Honigmaus

Dieses Buch sei in Respekt jenem Kind

gewidmet, welches zu sein einst meine

Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Finale
Der Autor
Werkübersicht des Autors Tom Landon

Kapitel 1

Was für ein Tag, mein Liebling. Was für ein Tag. Dir habe ich Gedichte gewidmet, Gemälde. Mein Herzblut – so sagt man. Es ist der 15. Oktober 2003 und ich empfinde Übelkeit und Betäubung. Offenbar hat meine kleine Familie mir ein böses Virus aus dem nahe gelegenen Einkaufsladen mitgeschleppt. Nun ja.

Warum ich Dir gerade heute – und eben erst heute – schreibe: Ich konnte mich nicht fassen, nicht die Größe finden, Dir unbeeinflusst und unbedarft zu schreiben, was mich seit Jahren und Jahrzehnten wiederkehrend mit Trauer und Fassungslosigkeit belegte. Heute aber bin ich, heute kann ich und heute werde ich. Ich liebe Dich.

Also, meine geliebte Honigmaus, Dir sei dieses Buch. Dir und nur Dir allein, denn Du bist mein Gewissen - so sagt man auch. Und Du bist mir mein Leben. Meine Geschichte:

Kapitel 2

Großmutter Maria ist eine schreckliche Person. Ihre Falschheiten, ihre Lügen, ihre Hetze und auch meine kindliche Ohnmacht sind ihre Habe. Ihr Kapital. Vor einigen Tagen erst saß ich auf ihrem Schoß und lief plötzlich schreiend davon. Lachend rief sie mir ihre blöde Frage nach: „Aber Tommerl, was hast Du denn?“ Diese dumme Person hatte mir tatsächlich einen ihrer Finger in den Po geschoben. Damals wurde mir kotzübel. Was für ein Schwein. Bestimmt würde Gott sie dafür strafen. Da ich eben nicht wusste, ob ich von meiner Mutter für diese Geschichte Glauben oder Unglauben erhalten würde, behielt ich diese bis heute für mich. Heute? Ja, heute gilt Großmutter nicht nur als gestorben. Heute ist sie tot.

Hustend lag meine Mutter neben mir im Bett. Da wir (ich war eben erst vier Jahre alt geworden) zu jener Zeit ein recht ärmliches Leben führten, lagen auch noch meine drei Geschwister und der übel nach Alkohol, Zigarettenrauch, ungeputzten Zähnen und Schweiß riechende Vater im Kämmerchen an der Küche. Durchfallerkrankungen, Ohrenstechen, Halskratzen und Schnupfen wurden derart ebenso ausgezeichnet verbreitet, wie Angst und Starre. Mein Vater war schwerer Alkoholiker. Und?

Nun ja, die Vorkommnisse der nächsten Jahre und Jahrzehnte waren allesamt ungewollt – sagt meine Mutter. Und alles sollst Du wissen. Alles, Du meine Honigmaus.

Kapitel 3

Guten Morgen, mein Leben! Heute ist Geburtstag angesagt. Wie so oft hatte ich von einem Familienmitglied die Kotzkrankheit empfangen. Da es an der Tür geläutet und ich zurecht den Besuch meines Nachbarn und Freundes Herwig erwartet hatte, sprang ich in meine neuen Hausschuhe, lief - von Kälte geschüttelt und Schwindel betäubt - auf den Flur, erbrach die grob zerkauten Frühstückseier über die Holzschuhe meines Vaters und konnte eben noch die Buntheit blanker Eiweißteile in wirrer Kombination mit gelben Dotterresten erkennen. Danach wurde mir schwarz vor Augen. Nicht – so war mir Minuten später bewusst -, weil die Krankheit mich zu Boden geworfen hatte, nein, mein Vater zog es vor, mir aus Ärger über den kurzfristigen Verlust seiner geliebten Holzschuhe einen Fausthieb auf den Hinterkopf zu widmen. „Herzlichen Glückwunsch, Du Trottel!“

Eben war erst Weihnacht, mein Vater war besoffen und fluchte auf meine unwillige Mutter, schon ist Geburtstag und ich bekomme Geschenke. Danke, Vati. Du hast mir gezeigt, wie kein Mensch sein darf.

Wenn ich Dir, meine Honigmaus, nun all diese vermeintlich schrecklichen Dinge offenbare, so sei nicht traurig: Seit ich denken kann, bin ich an diesen Ereignissen gewachsen. Und niemals habe ich meinen Vater gehasst. Nein, ich habe ihn geliebt. Verehrt. Geheiligt. Jede Minute mit ihm, meinem Vati, war mir ein Jahr meines bis dorthin kurzen Erdenlebens wert. Wahrlich. Um ein einziges Lächeln, eine Geste des Lobes, der Anerkennung und Wertschätzung erhalten zu dürfen, saß ich stundenlang stillschweigend an seiner Seite und beobachtete den Korkschwimmer seiner Angelrute. Und wenn ein Fisch biss, dann schaute er zu mir und grinste mich breit an. Jenes Grinsen, welches zweifelsohne an Blödheit nicht zu übertreffen schien, war mir Trost und Heilung. Jeder Tritt, jeder Faustschlag und jede Form der Beschimpfung war ihm dann verziehen. So war ich ihm sein Sohn und er mir mein Vater.

„Lege Dich hin, Du blöde Sau!“ Zitternd stand ich – das rechte Ohr an die Wand zum Schlafzimmer gepresst – im Kabinett meiner Großmutter. „Ich sage es Dir zum letzten Mal: Lege Dich endlich hin, Du blöde Sau!“

Es war Sonntag, der Tag des Herrn. Vati schob uns in das Nebenzimmer und bat Mutti auf recht sonderbare Weise, mit ihm das Bett zu teilen. Niemals – so schwor ich mir damals -, niemals werde ich Sex haben. Das schmerzvolle Stöhnen meiner Mutter ließ eher auf eine betäubungslose Operation am offenen Schenkelbruch schließen, als auf schöne Dinge.

Kapitel 4

Meine große Liebe hieß damals Sabine. Da ich seit dem ersten Tag erlebter sexueller Nötigung der Mutter durch den Vater eine tiefe Abneigung gegen jede Form der Geschlechtlichkeit hatte, beschloss ich für meinen kleinen Körper die Geschlechtslosigkeit. Monate später war Sommer und die Zeit täglicher Treffen mit Sabine. Unsere Rendezvous fanden stets an der Sandkiste auf dem nahe gelegenen Spielplatz statt. Um meine nicht zu unterdrückende genitale Freude zu verbergen (ohne meine Zustimmung hatte sich also doch Geschlechtlichkeit entwickelt), straffte ich meine braun-/weiß-gestreifte Badehose stets der Länge nach. Was für eine Schande. Ich war also auch ein sexueller Bastard geworden.

Für dieses Mädchen, Sabine also, hatte ich dereinst wahre Liebe empfunden. Rein, gläubig, vertraut und einzigartig. Und doch sollte mich diese kleine Ratte (so meine Empfindung aus sozialer Inkompetenz) schon in zartem Alter betrügen. Wöchentlich bekam ich von meiner Mutter einen Schilling Taschengeld. Da ich bereits zu jener Zeit ein großzügiger Knabe war, überlegte ich mir die Teilung in Süßigkeiten. Natürlich dachte ich dabei nicht an mich und meine lukullischen Bedürfnisse. Nein, Sabine sollte alles haben. Ich wollte sie verwöhnen, meiner aktuellen und vermeintlich ewigen Liebe die großen kapitalistischen Freuden zu Füßen legen. Aber: Sabine hatte eine Freundin - und Ulrike (so hieß die kleine Schlange) wollte auch die Taschen voll. Also sparte ich eifrig meine Kröten und lud diese kleinen Blutsauger zu einem Besuch im besten Laden der Ortschaft ein. Freilich überstiegen die gierigen Selektionen meiner Begleiterinnen binnen Sekunden mein Budget, doch konnte man sich auf zwei Traubenzucker-Lutscher, vier Erdbeerschnüre und einen in Schokolade getunkten Schaumkuss einigen. Noch bevor ich die freundlichen Nasenlöcher der beiden Tanten zu Gesicht bekam, hatte ich bezahlt und stand alleine vor dem Geschäft. Kichernd und zischelnd zog man es offenbar vor, sich zu verdünnisieren, anstelle dem Krösus zu danken. Mein kleiner Geldbeutel war leer und mein Herz gebrochen. Sabine hatte also eher Laune, mit Ulrike zu spazieren. Wie ich später erfahren musste, war Sabine ohnehin vergeben. Sie küsste lieber Herbert. Ich war unglücklich.

Es schien mir, als hätte Sabine niemals Herzensbildung erhalten. Aus der einstigen großen Liebe des kleinen blonden Gebers (meiner selbst also) würde gewiss eine mittelmäßige Schülerin mit dem Berufsziel der Fabriksarbeiterin werden (so meine nicht gänzlich Rache-lose Vision). Zwei geschiedene Ehen und der stetige Wechsel von Geschlechtspartnern sollten das Dasein der jungen Dame komplettieren. Ja, Sabine mochte ich mir ersparen.

Was mir jedoch geblieben, war mein Petzenkirchen. Ein kleines Dorf im niederösterreichischen Voralpengebiet. Hügelig bis bergig verweilt diese heutige Marktgemeinde bis an das Ende meiner bewegten Tage in den Tiefen meines Herzens.

Zur Zeit dieser ersten Liebschaft bestand die Population jener Ortschaft hauptsächlich aus Arbeitern. Jeder kannte jeden und alle kannten meinen Vater. Erstaunlicher Weise hielten die meisten seiner angelnden Mit-Zecher ihn für einen Ehrenmann. Dauernd markierte er den hilfsbereiten, fleißigen und humorvollen Macher. War er besoffen, so zeigte er stets die Wandlung zur schlagenden, spuckenden und fluchenden Bestie. Er war ein Schwachkopf. Wenn – so weiß es die Welt – Dummheit mit Brutalität sich paart, dann droht Gefahr.

Auch an einem dieser gefährlichen Tage wurde es Abend. Die Nacht war herein gebrochen und wie ein bekannt böses Omen drangen die Flüche des Mannes der Mutter an meine Ohren: „Du weißt doch, wie Du mich behandeln musst! Wie? Schmerzen? Ach, lass Dich doch von einem Rehbock schustern (ficken), Du dumme Sau!“ Was mein Zeuger damit meinte, war die seiner Ansicht nach mangelnde sexuelle Bereitschaft meiner Mutter. Dieser Mann wusste, wie man Frauen anmacht. Ein Gigant der innerehelichen Kunst des Beischlafs. Ein Oberarsch.

In dieser Nacht also zog es meine Mutter vor, sich in das nun schon entstandene Kinderzimmer zurück zu ziehen und die gefährlichsten Stunden in der vermeintlich sicheren Kammer der allesamt minderjährigen Kinder zu verbringen. Da das Zimmer nebst einem schweren Ofen nur mehr die zwei massiven Stockbetten der vier Kinder als Barrikaden zu bieten hatte, schob meine Mutter eines der beiden Doppelbetten von innen vor die Zimmertür. Wie schön. Kurz nach Mitternacht folgte der Auftritt meines Vaters: Sich dauerhaft räuspernd und dümmlich mit imaginären Gesprächspartnern unterhaltend, drückte er von außen die Zimmertür nach innen. Das schwere Stockbett bewegte sich knarrend. Panik. Ich hatte fürchterliche Angst. Noch bevor er zum finalen Schub ansetzte, schrie meine Mutter auf und rannte gegen das Türblatt. Fluchend zog er ab. Mit einem durchdringenden Schlag riss er hinter sich die Türe des elterlichen Schlafzimmers zu und verlor sich endlich im betäubenden Suff. Was für ein Blödmann.

Als meine Mutter etwa eine Stunde später und aus Platzgründen doch in ihr eigenes Zimmer ging, packte mich der Schlaf der Erschöpfung. Es sollte nur wenige Minuten dauern, bis ich im Traum den Besuch des Vaters wieder vor mir hatte. Vor Angst wollte ich zur Toilette und gab meinem Drang zu urinieren nach. Leider träumte ich noch und lag zudem im Bett. Ich hatte mich bepisst. Da nun Bruder Günther von meiner Unruhe wach geworden war, versuchte ich ihm meine nassen Hosen mit einem Übermaß an Schweiß zu erklären. Natürlich wusste er, was die Nässe eigentlich bewirkt hatte: „Du hast Dich angebrunzt, Idiot.“ Ich zog mich um, deckte den nassen Fleck auf der Matratze mit einem Handtuch ab und stopfte mir ein Unterhemd in die frischen Hosen. Man konnte ja nicht wissen. In den Sekunden vor dem Einschlafen schwor ich mir, groß und stark zu werden. Niemals mehr wollte ich Angst vor anderen Menschen haben. Heute bin ich groß, stark und habe vor keinem Menschen Angst. Danke, Vati. So entwickelt man seine Kinder. Und: Deine Anglerkollegen hatten Recht: Du warst ein Ehrenmensch.

Die Nacht war vorüber, dem gestrigen Kämpfen folgte der morgendliche Streit. Da der erinnerungslose Säufer argumentorisch in der Ecke stand, flüchtete er sich zu seinen geliebten Goldfasanen im winterlichen Garten unseres Zweifamilienhauses. Weil nun seine Liebe zu jenen Federtieren so enorm war, löste er den blutigen Streit zwischen zwei Hähnen auf spezielle Weise: So riss er einem der beiden Kämpfer bei lebendigem Leibe den Hals aus dem Körper. Schließlich erschlug er den zweiten Streithahn am tragenden Balken des Geheges. Es gab Fasanen-Braten. Ein Festessen. Mahlzeit.

Kapitel 5

Das Doppelhaus, in dem wir wohnten, stand in einer Aufschüttung, die den früheren Dorfteich unter sich begraben hatte. Wo einst Kinder in Waschtrögen auf jener gigantischen Pfütze herum ruderten, sickerte an diesem Tag Grundwasser durch das Fundament des Kellers. Da mein Vater ohnehin schon wutentbrannt durch die Gegend schoss, provozierte der Anblick des völlig überschwemmten Kellers den kapitalen Ausbruch: Unsere älteste Miezekatze marschierte neugierig zur Falltüre, um sich offenbar ein Bild von den witzig im Sickerwasser treibenden Gegenständen zu machen. Gummistiefel wippten im muffigen Nass und aufgequollene Sperrholzbretter lagen an der Oberfläche. Da meinem Vater in diesen Minuten die maximale Hitze hoch gekommen war und ihm die Nähe der Katze wohl wenig passte, kickte er das arme Tier wie einen Fußball in den überfluteten Keller. Unter lautem Quieken, Fauchen und Heulen landete Mieze schließlich im dreckigen Wasser. „Scheiß Katzenvieh, blödes!“

Oh, ich hatte vergessen zu erwähnen, dass mein Vater vor der profimäßigen Ausübung des Saufens ein bekannt begnadeter Fußballer war. Ein Mann voller Talente also. Bravo! Was für die moralische Kleinheit dieses Holzkopfes sprach, war der Umstand, dass sein fußballerisches Talent die zu dieser Zeit in Österreich namhaften Trainer und Funktionäre auf ihn aufmerksam machte. Um einen derart großen Sportsmann nicht verkommen zu lassen, lud man meinen Vorfahren also zu mehreren Probetrainings der österreichischen Nationalmannschaft ein. Dem Sohn einer österreichisch-ungarokroatischen Kriegspaarung versprach die Zukunft also ein Dasein in Wohlstand und Anerkennung. In gewohnt enttäuschender Manier zog es mein Herr Papa jedoch vor, sich mit Kollegen zu treffen und den ersten Trainingstag schlicht zu versaufen. Vati blieb – vermutlich aus Liebe zur Heimat und inniger Zuneigung für seine drittklassigen Vereinskollegen – in Petzenkirchen und erhielt einen Fixplatz in der Reservemannschaft. An der Seite fetter Schweinebäuche und roter Säuferköpfe feierte mein Vater Horst den wohlverdienten Abstieg in die unterste Liga – des österreichischen Fußballs. Was die Zecher-Qualitäten anging, so hatte der gute Mann das Zeug zum Superstar. Bundessäufer-Niveau also.

Es war Freitag – und ein kirchlicher Feiertag. Die mittelgroße Küche kochte vor Hitze und die ohnehin verqualmte Luft war zudem geschwängert von Bratenduft und anderen durchaus appetitlichen Gerüchen. Mittagszeit: „Also, entweder hat hier jemand in das Backrohr geschissen, oder ich rieche Schweinebraten!“ Mein Vater gab auf diese Weise zu verstehen, dass gedeckt werden dürfe. Maximal flink trug meine Frau Mutter also den fein geschnittenen Braten, die ansehnlich zerteilten Grillhühner, die pikant marinierten roten Rüben und den gigantischen Bottich an Kartoffelsalat auf. Trotz aller Mühe hatte die Gattin meines Vaters vergessen, dass unser betrunkener Angelsportler die Rosmarin auf den Brathähnchen keinesfalls leiden mochte. „Du weißt ganz genau, dass ich dieses scheiß Gras nicht mag, blöde Sau!“ Nervös und sichtlich angstvoll kratzte Mutti an den Hühnerteilen und versuchte so dem Wunsche des Gemahls nachzukommen. „Nein, was bist Du für ein Trampel! Willst Du mich verarschen? Der ganze Dreck schmeckt ohnehin nach dem blöden Zeug! Fresse ich nicht. Nein, diese Scheiße fresse ich nicht!“ Kurze Widerrede meiner Mutter, hochroter Kopf des Vaters, lautes Klirren – und die Schüssel mit den roten Rüben (der roten Bete) knallte gegen die Wand hinter dem glühend heißen Ofen. Geduldig sammelte Mutter ihre Kinder ein, führte uns allesamt in das kalte Nebenzimmer und beschwichtigte: „Der Vati hat heute schlechte Laune. Morgen geht es ihm wieder besser.“ Als Mutter das Zimmer verlassen hatte, wusste ich nur eine Sache zu sagen: „Vati hat einen Vogel.“ Meine Geschwister waren empört. Wie konnte der kleinste Spross des großen Zeugers nur solche Dinge sagen?

Kapitel 6

Auf diese tristen Wintertage folgte ein glücklicher Frühling. Karin R. war in mein Leben gekommen - und ich liebte sie. Die Tochter eines Elektrikers hatte rotblondes Haar, niedliche Sommersprossen und hübsche Augen. Eines Tages durfte ich auf dem Gepäckträger ihres Fahrrades mitkommen. Schon nach der ersten Kurve hatte ich im Feuer meiner Umklammerung vergessen, beide Beine vom Antriebsrad fern zu halten. Natürlich riss es mir gleich den linken Fuß in die Speichen. Sofort hielt Karin an, zog mir unter mitfühlenden Blicken das Bein aus den Speichen, streichelte meine Wangen und drückte mein Gesicht an ihren Busen. Da aus dem einstigen Mädchen eine junge Dame geworden war, fühlte ich am Bein keinerlei Schmerz, in meinem Gesicht aber ihre netten Brüste. Ich war entzückt. Sofort hatte ich Hoffnung, dass es mir bei einem ähnlichen Unfall mit meinem Schwarm das Bein abriss. So hätte ich nämlich bestimmt das Glück, dass Karin mich heilend auf den Mund küssen würde. „Ach, Karin, Dich wollte ich heiraten.“

Kapitel 7

Wieder war Sommer geworden und die Sonne sollte über Wochen keine Regenwolken aufziehen lassen. Wie beinahe täglich saß ich am hölzernen Rand der Sandkiste auf dem Kinderspielplatz des Dorfes. Die reifen Früchte waren gefallen und der stattliche Birnbaum am Sandhaufen spendete zeitweise Schatten. Da sich unzählige Insekten am matschigen Fallobst delektierten, waren auch Hornissen gekommen, um sich ihre Opfer zu suchen. Eine niedlich dickliche Biene hatte sich eben an einer Obstsaftpfütze nieder gelassen. Nichts ahnend genoss sie wohl den zuckrigen Saft und pumpte diesen sichtlich gierig in sich hinein. Völlig unerwartet und absolut lautlos ließ sich eine riesige Hornisse aus dem dichten Blattwerk des Birnbaumes in die Tiefe fallen und krallte sich die kleine Pummelbiene. Nur kurz jammerte das süße kleine Opfer und schwieg hernach für immer. Gleich war die Hornisse mit der Bienenleiche wieder im Birnbaum-Laub verschwunden und begann gut hörbar, den festen Panzer der kleinen Imme aufzubrechen. Das Knacken aus den Maulzangen der Hornisse durchdrang meine Knochen, mein Gemüt und meine Seele. Also nahm ich voll Zorn die größte Birne in meiner Nähe und schoss die Hornisse vom Baum. Da ich dieses Ungetüm glücklich getroffen hatte, landete das Tier nur wenige Meter von mir entfernt im Sandkasten. Mit einem Satz war ich beim verletzten Killer der lieben Biene und trampelte das blöde Vieh bloßen Fußes etwa zehn Zentimeter tief in den Sand. „Du bist wie mein Vater! Meist sieht man Dich nicht, unverhofft kommst Du – und wenn Du da bist, dann müssen alle um ihr Leben fürchten.“

„Na, Honigmaus, bekomme ich ein Küsschen?“ Meine geliebte Nachbarin Verena Q. Stand hinter mir. „Verena! Ich war schon so sehr traurig. Wo warst Du so lange?“

Die beste Freundin meiner Schwester Manuela war für einige Tage in Wien gewesen. Verena war ein Engel. Bescheiden, intelligent, ruhig und nachdenklich. Selbst als ich meiner Schwester Heupferde in den Puppenwagen gesteckt hatte, war Verena nicht böse. Sie fand meine Idee dieser naturnahen Überraschung sogar lustig. Meine Schwester hingegen zog mich am Ohr. Egal, man kann nicht alle Kreaturen lachen machen. Um mich für einige Grobheiten zu rächen, zeichnete ich eine Hexe mit Riesenwarze auf der Nase. Darunter schrieb ich „Das ...“. Für umfangreichere schriftdeutsche Ergüsse reichten meine Kenntnisse leider nicht. Also sprach ich bei der Übergabe der Hexenzeichnung an meine Schwester noch „... ist Manuela.“ hinterher. Sie verstand trotzdem: „Danke, Dummkopf.“

Kapitel 8

Schulbeginn! „Grüüüüüüß Gott!“ Geräuschvoll und kichernd nahmen meine neuen Klassenkollegen Platz. Da ich aber lähmend nervös war, hatte ich tatsächlich verschlafen, mich ebenso zu setzen. „Wohl, junger Mann, muss man Dich zweimal bitten?“ Aus dem Stand ließ ich mich auf die harte Sitzfläche des Holzstuhls fallen. Die Horde tobte. Unfreiwillig war ich zum Klassenkasper des ersten Schultages geworden. Frau Direktor schüttelte den Kopf: „Na, das kann ja heiter werden.“