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Dieses Stück aus der Geschichte einer ausserordentlichen und unerwarteten Revolution, hat keine andere Bestimmung, als dem künftigen Geschichtschreiber einige Thatsachen hinzustellen, von denen der Verfasser das Glück hatte, größtentheils Augenzeuge zu seyn. Er bekennt, kein anderes Verdienst dabey zu haben, als das Verdienst der Zuverlässigkeit und Lebhaftigkeit in der Schilderung von Scenen, wobey er Zuschauer war, und selbst dieß Verdienst kann er sich nicht hoch anrechnen, da er nur getreu und treffend niederschreiben durfte, was unter seinen Augen vorging. Wenn er indessen hier und da kleine charakteristische Züge aufgriff und in den Zusammenhang verwebte, wenn er den Hergang in seiner natürlichen Verkettung ohne Uebertreibung und unnützen Schmuck erzählte, wenn er, so viel in menschlichen Kräften steht, partheylos blieb, und wenn er mit kurzen aber treffenden Winken den Anfang und den wahrscheinlichen Ausgang dieser merkwürdigen Staatsveränderung anzugeben, glücklich genug gewesen ist, und für das alles den Beyfall des gegenwärtigen Lesers und des künftigen Geschichtschreibers hoffen darf.
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Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Geschichte
der
großen Revolution
in
F r a n k r e i c h.
LUDWIG XVIII
Prätendent von Frankreich
Geschichte dergroßen Revolution in F r a n k r e i c h.
von
Friedrich Schulz.
Dieses Stück aus der Geschichte einer ausserordentlichen und unerwarteten Revolution, hat keine andere Bestimmung, als dem künftigen Geschichtschreiber einige Thatsachen hinzustellen, von denen der Verfasser [2] das Glück hatte, größtentheils Augenzeuge zu seyn. Er bekennt, kein anderes Verdienst dabey zu haben, als das Verdienst der Zuverlässigkeit und Lebhaftigkeit in der Schilderung von Scenen, wobey er Zuschauer war, und selbst dieß Verdienst kann er sich nicht hoch anrechnen, da er nur getreu und treffend niederschreiben durfte, was unter seinen Augen vorging. Wenn er indessen hier und da kleine charakteristische Züge aufgriff und in den Zusammenhang verwebte, wenn er den Hergang in [3] seiner natürlichen Verkettung ohne Uebertreibung und unnützen Schmuck erzählte, wenn er, so viel in menschlichen Kräften steht, partheylos blieb, und wenn er mit kurzen aber treffenden Winken den Anfang und den wahrscheinlichen Ausgang dieser merkwürdigen Staatsveränderung anzugeben, glücklich genug gewesen ist, und für das alles den Beyfall des gegenwärtigen Lesers und des künftigen Geschichtschreibers hoffen darf; so hat er seine Absicht erreicht, und so glaubt er sich doppelt be[4]lohnt, weil in der Mühe selbst, die er sich dabey gab, schon im voraus Belohnung für ihn lag.
Paris, den 5ten September 1789.
S.
[5]
Von dem Augenblick an, wo sich die Nation in ihren Stellvertretern zu Versailles versammelt sah, schien ein neuer Geist sich ihrer zu bemächtigen. Abscheu gegen die jüngst vergangenen, Ungewißheit über die gegenwärtigen, und Hoffnung auf die zukünftigen Zeiten, erbitterten, bewegten und erheiterten die Gemüther wechselsweise.
Die Erinnerung an die jüngst vergangenen Zeiten führte alle politische und moralische Schrecknisse mit sich. Vier und zwanzig Millionen Menschen waren von einem despotischen Bündnisse ihres Könige beraubt und wechselsweise der Kabale, der Ungerechtigkeit, der Armuth, dem Hunger und dem Kriege preis gegeben worden. Die Minister hielten mit ihren [6] Helfershelfern alle Kanäle zum Blute der Nation offen, unterdrückten den unschuldigen Armen durch ungerechte Richter und zitterten vor dem strafbaren Reichen mit ihnen; sie raubten Millionen ihre Freyheit und mußten diesen Raub durch Kerker und oft durch Mord behaupten. Sie konnten nicht eher ruhig seyn, als bis sie ihre Macht zur despotischen Willkühr erhoben; dieß konnten sie nicht eher, als bis sie die Freyheit bis auf das leiseste Gefühl derselben verdrungen; und dieß konnten sie nicht eher, als bis sie ihre Schlachtopfer durch Verzweiflung an sich selbst zu schmeichelnden Sklaven, durch eröffnete Kanäle zur Ueppigkeit und zum Luxus, zu marklosen Wüstlingen, durch ewig angeregtes Streben nach Selbsterhaltung zu Egoisten, durch aufgethürmte Schwürigkeiten gegen Verbesserungen des Ganzen, zu sorglosen, singenden und hüpfenden Automaten, und durch die Nothwendigkeit mit dem Strome zu schwimmen, zu Wesen ohne Liebe, ohne Freundschaft, ohne moralische Grundsätze umgeschaffen hatten. Nichts war übrig geblieben, als Minister, Spione, Schließer und Sklaven.
[7] Aber das System ungeheurer Eingriffe und Anmaßungen hatte seinen höchsten Grad erreicht, und da mußte es sich durch sich selbst zerstören. Der Funke der Freyheit, der hier und da in einem kühnen Geiste, in einem warmen Herzen, in einem aufgeklärten Verstande versteckt lag, der oft in den Grüften der Bastille und in den Kerkern des Chatelet, zu ewiger Erstickung verurtheilt, neue Kraft gewann, und durch unsichtbare Schläge, welche die natürliche Inkonsequenz oder Unvorsichtigkeit der Unterdrücker selbst hervorlockte, auf das nie zu verwüstende moralische Gefühl, den einzigen in uns übrig gebliebenen Stellvertreter der Gottheit, elektrisch wirkte: dieser göttliche Funke schnellte endlich empor, und entflammte neue Hoffnung in allen Gemüthern, und mit dieser Thätigkeit, Märtyrersinn und Patriotismus.
Nie reißt sich der Mensch ungestraft von dem Menschen los. Er ist geschaffen, zu geben und zu empfangen, und er ist bald allein, wenn er bloß empfangen, und eben so bald, doch mit etwas mehr Ehre für sein Herz, obgleich nicht für seinen Verstand, wenn er bloß geben will. [8] Jene Alleinherrscher, die alles um sich her in Tribut gesetzt hatten, waren im erstern Falle. Wenn sie den politischen Faden, der sie an die Menschheit knüpfte, zerreissen konnten: so konnten sie den natürlichen, der sie in eine nothwendige Beziehung mit derselben setzte, nicht vernichten. Je mehr sie raubten, desto mehr verlor diese, und je mehr diese verlor, desto weniger Nahrung fanden sie für ihre Raubsucht. Sie mußten also zurück schreiten, dem Geplünderten wieder Eigenthum, dem Sklaven wieder Freyheit, dem Muthlosen wieder Muth, dem Angstvollen wieder Selbstgefühl und dem Unterdrückten wieder Gerechtigkeit geben, um ihnen allen das alles wieder nehmen zu können.
Aber was man zum Wohl der Nation und zur Rettung des Staats thun wollte, waren nur trügerische Schattenbilder, welche die unternehmendsten aller despotischen Diener, der Prinzipalminister, Erzbischof von Sens, und der Großsiegelbewahrer, Lamoignon, ihrem Herrn vorführten, um ihrer Despotie einen vortheilhaften Anstrich zu geben. Sie leg[9]ten der Nation neue Lasten auf, zerrissen die Parlamenter, die sie nicht registriren wollten, brachten eine Cour pleniere in Vorschlag, die diese ersetzen sollte, die sie für die Wächterinn der Fundamentalgesetze der Nation geltend machen wollten, und die doch im Namen derselben die neu ausgeschriebenen Gefälle durch ihnen unterworfene Kreaturen gut zu heißen bestimmt war. Um dem Könige die Parlamenter unwiederbringlich verhaßt zu machen, verfälschten sie ihre Schlüsse, und gaben einigen harten Worten derselben, die nur auf sie gingen, die Wendung, als ob sie die geheiligte Person des Königs angriffen. Nun konnten sie es wagen, den Sitz der Gerechtigkeit zu stürmen, und aus dessen Mitte zwey ihrer furchtbarsten Widersacher, Espremenil und Goeslard, mit Gewalt hinweg zu reißen; den Grafen von Artois durch seine Eigenliebe und seinen renommistischen Unternehmungsgeist anzuregen, daß er mit gewaffneter Hand in den Tempel des Rechts drang und Ungerechtigkeit zu erzwingen sich unterfing; die Glieder des Adels, die sich den neu ergrübelten Abgaben widersetzten, als Bundesgenossen der [10] Parlamenter, als Rebellen und Aufwiegler des Volks zu verschreyen, und ihnen, als sie durch Abgeordnete erschienen, Bastille, Galgen und Bürgerkrieg anzukündigen; und endlich, um den König in einem für sie vortheilhaften Unmuthe zu erhalten, ihm vorzuspiegeln, sein Volk, das bis jetzt unter dem Drucke der Abgaben geseufzt hätte, fühlte von diesen neuen Lasten nichts, und dieß wäre der Grund, warum der Adel sich seinen Verfügungen aufrührerisch widersetzte.
Diese Schritte waren zu gewagt, zu ungeheuer, als daß nicht allgemeiner Aufstand dadurch hätte erregt werden sollen. Einige Provinzen waren schon unter den Waffen, und allmählig würde ganz Frankreich in eine einzige fürchterliche Gährung zusammen geschmolzen seyn, die dem Könige, den Ministern und einem Theile des Volks selbst Verderben gebracht haben würde, wenn nicht plötzlich Zwiespalt und Eifersucht unter der Kabale selbst ausgebrochen wären. Breteuil, ein Mann voll unbegrenzter Ansprüche, sah sich bey jener Alleinherrschaft [11] zurückgesetzt. Er forderte seinen Abschied vom Könige, weil seine Kollegen mit einem entgegen gesetzten Vorschlage durchgedrungen waren. »Sire,« sagte er: »Ew. Maj. erinnern sich, daß ich in Ihrem Konseil Maaßregeln vorgeschlagen habe, die denen entgegengesetzt sind, deren Befolgung Sie anbefohlen haben. Dieser Schritt bringt mich in eine drückende Verlegenheit. Die Provinzen, deren Einwilligung und Unterzeichnung mir übertragen ist, heften unwillige Augen auf mich. Ich beschwöre Ew. Maj., mich von diesem peinlichen Verhältnisse zu befreyen und mir meinen Abschied zu geben.«
Diese dem Schein nach gerade und uneigennützige Aeußerung verfehlte ihrer Wirkung auf das Herz eines Königs nicht, der längst gern alles gut zu machen bestrebt gewesen wäre, wenn er gewußt hätte, wo das Uebel verborgen läge. »Nein, Breteuil, Sie bleiben,« sagte er: »und gerade deßhalb bleiben Sie, weßhalb sie fort wollen. So ist wenigstens einer da, der widerspricht.«
[12] Nach diesem Schritte war Breteuil der Eifersucht und dem Hasse der übrigen preis gegeben, und es war kein anderes Mittel, seinem Sturze zu entgehen, als die andern zu stürzen.
Der Graf von Artois und die Königinn durch diesen, waren auf seiner Seite. Von ihnen erfuhr der König auf einmal, in welches Labyrinth der Erzbischof und Lamoignon ihn geführt hatten. Aber ersterer, als Begünstigter der Königinn, ward entschuldigt und mit kräftigen Empfehlungen zur Kardinalswürde nach Rom geschickt, während letzterer mit Schande und Spott seiner Würde entsetzt wurde. Er erschoß sich bald nach seinem Sturze.
Das Wohl der Nation war der Vorwand zur Entfernung beyder gewesen; man mußte also fortfahren, mehrere Schritte zu thun, die dieß Wohl befestigen sollten. Man hinderte den König nicht, die Parlamenter zurück zu rufen und in ihre vorige Rechte wieder einzusetzen; die [13] neuen Abgaben zu unterdrücken und Minister von anerkannter Gerechtigkeitsliebe, Beschützer des Volks, aus ihrer Finsterniß wieder hervorgehen zu lassen.
So hatten die Stärkern der Kabale gesiegt; aber nicht durch die Kraft der Tugend, sondern durch Neid und durch Gewaltthätigkeit einer Herrschsucht, die sich auf den Trümmern der vorigen Herrschsucht erheben wollte; durch Weiber, die der Eigensinn, andre Weiber zu besiegen, stark machte; durch gemiethete Federn und gekaufte Gewissen. Wäre dieß nicht der Fall gewesen, warum verjagte man nicht zugleich die Le Noir, D’Agoult, Mauri, Vermond, D’Harcourt, Beaumarchais und ihre Verbrüderten? Warum hatte man nicht ein strafendes Auge auf die Foulon, Berthier, Launay, Flesselles? Warum zerstörte man nicht die Kerker, welche die Opfer des Ministerdespotismus verschlangen, und die Möglichkeit, ihnen durch erschlichene Verhaftsbefehle, die man sich oft nicht einmal die Mühe gab, zu erschleichen, neue Opfer zu bringen? Aber es ist gewiß, daß es nur eine [14] Kabale war, welche die andere Kabale verjagte, um sich mit allen ihren Planen, Kreaturen und Maaßregeln an ihre Stelle zu schwingen. Die Folge enthüllte und bestätigte dieß mit einer großen und blutigen Revolution.
Sie riefen einen Mann zurück, dessen wohlthätiger Wille nichts als Gutes wollte, den sie deshalb verjagt hatten, den sie jetzt eben deshalb zurückrufen mußten, den sie fürchteten, und dessen heilsame Absichten und Verfügungen sie auf ihre Rechnung zu ziehen strebten, um dadurch einen Schirm zu bekommen, der ihre eigennützigen Plane bedeckte. Sie wollten nur durch seine Hand aus der dringendsten Verlegenheit gerettet seyn und ihn dann von neuem verjagen.
Necker kam zurück und wollte, statt daß seine gewissenlosen Vorgänger den Schaden nur zu überheilen suchten, denselben gründlich ausheilen. Gänzliche Reform des politischen Zustandes von Frankreich war das Augenmerk seines Kopfes, und daraus langsam herfließende [15] Verbesserung der Moralität das Augenmerk seines Herzens. Nie muß ein größerer Kopf mit einem schöneren Herzen verschwistert gewesen seyn; nie muß von beyden ein göttlicherer Plan seine Entstehung erhalten haben.
Er hatte selbst zu schmerzlich unter dem despotischen Joche der Minister gelitten, als daß es nicht sein erster Gedanke hätte seyn sollen, ihren alles umfassenden Einfluß zu hemmen. Wie die Sachen jetzt standen, bey den tausend Auswegen, die ihnen autorisirte Mißbräuche und die Immoralität der Nation selbst eröffneten, wäre dieß vergebliche Arbeit gewesen: man mußte ihnen einen König entgegensetzen, der endlich erführe, daß er für die Nation und nicht, daß die Nation für ihn da sey, daß die Ansprüche derselben auf ihn älter wären, als seine Ansprüche auf sie, daß es eher Menschen als Könige, eher nützliche Bauern als Edelleute, eher freye Leute als Sklaven gegeben hätte.
Diese Winke, so neu sie für einen gebohrnen Beherrscher seyn mochten, faßten dennoch [16] Wurzel, theils, weil sie natürliche Wahrheiten enthielten, theils weil vertraute Räthe selbst, aber nicht ohne andre Plane im Herzen, sie vorbereiteten und unterstützten, theils weil die Noth drang, theils weil man den zum zweytenmal zurückgerufenen Retter nicht gleich in den ersten Tagen von neuem verjagen wollte. Man behielt es sich bis zu dem Zeitpunkte vor, wo er Ordnung in die allgemeine Unordnung gebracht haben würde, ihn von der Spitze eines Volkes, das sich in ihm wieder zu fühlen anfing, gewaltthätig hinweg zu reissen. So billigte der König ernstlich seine Plane; aber zwey oder drey der Minister nur nothgedrungen und mit giftigen Einschränkungen, die sie theils in sich tief verschlossen, theils durch Warnungen, behutsam zu gehen, von Zeit zu Zeit gegen ihn äußerten.
Die Versammlung der Generalstände des Königreichs kam zu Stande, und mit ihr ging eine neue Sonne über die Nation auf. Ihr König kündigt sich in einer Rede an ihre Stellvertreter, als der erste Freund seines Volks an. Sein Siegelbewahrer, Baren[17]tin, hebt eine andre mit dem Worte öffentliche Freyheit an, erklärt den Namen Staatsbürger für den edelsten unter allen und sagt: »Nur lasterhafte und unnütze Glieder des Staats sind verächtlich, alle nützliche Beschäftigungen sind ehrwürdig: der Lehrer der Religion, der Vertheidiger des Vaterlandes, der Rächer der Bosheit und der Beschützer der Unschuld, der Schriftsteller, welcher Patriotismus, Weisheit und Kultur der Wissenschaften befördert, der Landmann, dem endlich der Weise seine rechte Stelle zuerkannt hat: alle diese tragen nur Einen Namen, und dieser ist Sohn des Vaterlandes. Jetzt,« setzt er hinzu: »da die Kirche reich genug ist, da der Adel mit Ehre und Geld belohnt wird, müssen die Besitzungen dieser beyden Stände sich den allgemeinen Anlagen unterwerfen.« – Der Minister der Finanzen endlich, sagt mit einer Rührung und mit einem Feuer, die, selbst wenn jene stumm geblieben wären, mit mehr Nachdruck gesprochen haben würden, als die vorsichtige, wohlanständig abgemessene Rede des Großsiegelbewahrers, Necker sagt: »Glauben Sie [18] mir, meine Herren, es gibt nur eine einzige große Nationalpolitik, nur einen einzigen Grundsatz aller Ordnung, aller Macht, alles Glücks: es ist der Grundsatz einer reinen, einer vollkommenen Moral!« – Was konnte nicht die Nation von diesem König und diesem Freunde ihres Königs, mit den Edelsten aus ihrer Mitte vereinigt, alles erwarten!
Und in der That erwartete das Volk eine neue glückliche Existenz von ihren vereinigten Bemühungen, und nur wenige fürchteten sie, welche den übrigen auch nicht einmal die Hoffnung eines bessern Schicksals hätten lassen können, wenn sie mit ihren Absichten nicht in Widerspruch kommen wollten. Sie faßten wieder Muth, als sie sahen, daß gespaltenes Interesse die Nationalversammlung beunruhigte, und glaubten, daß sie auf dem Wege sey, sich eben so fruchtlos zu zerschlagen, als die Versammlung der Notabeln, und die Schande und Verantwortung nur auf den Weg zu nehmen, die ihnen sonst selbst in reichlichem Maaße hätten zufallen müssen.
[19] Die ungleiche Vertheilung der Abgaben unter den drey Ständen, war der Grund dieser Spaltung. Diese Ungleichheit gab der Regierung zu allen Zeiten Mittel an die Hand, die Staatsbürger zu entzweyen und die weisesten Berathschlagungen zu zerreissen. Das besondre Interesse der einzelnen Stände war mit dem allgemeinen der Nation in einem harten Kampfe, und mußte es so lange bleiben, bis es entschieden war, ob man, wenn man Aufopferungen wagte, sie der Freyheit, als dem allgemeinen Gute aller drey Stände, oder der Haabsucht der Minister brachte, die diese angenommen, aber deßhalb die Lasten nicht von dem dritten Stande gewälzt haben würden. Die Vorrechte des Adels und der Geistlichkeit waren ein Theil ihrer Freyheit, die sie dadurch gegen den Despotismus behaupteten, und sie konnten sie nicht aufgeben, weil sie sonst bald eben so bedrängt als der dritte Stand gewesen wären. Dieser war erbittert auf die beyden erstern, weil sie bey ihrer weniger gedrückten Lage, noch dazu die Pflanzschulen waren, aus welchen seine Unterdrücker hervorgingen. Er hatte Stellvertreter, [20] deren Geist nicht für friedliche Verständigung war, die statt zu bitten, Machtsprüche donnerten, und statt zu überzeugen, Furcht erweckten. Auf ihrer Seite waren drey Theile der Nation.
Die Stadt Paris mit ihrer Million Einwohner war die genaue Beobachterinn der Nationalversammlung. In ihrer Mitte hatte sich eine kleine Welt gebildet, die in den Flügeln eines ungeheuren Pallastes alles einschloß, was dem menschlichen Verstande mit allen seinen Bedürfnissen, und der menschlichen Sinnlichkeit mit allen ihren Launen, volle Befriedigung verschaffen konnte. Dieß war das Palais Royal, vorher die Schule der Frivolität, jetzt die Schule des Patriotismus. Papiere aller Art, besonders die auf die merkwürdige Krise des Staats Bezug hatten, wurden hier verkauft, gelesen, gebilligt oder verworfen, verlacht oder verbrannt, je nachdem die Nachrichten, die sie enthielten, dem allgemeinen Wunsche der Nation zusagten oder widersprachen. Der Politiker kam hieher, um seine Grundsätze geltend zu machen, er mochte sich zur aristokratischen oder zur demokra[21]tischen Partey halten; der Bürger, um zu hören, wie die Arbeiten für sein Wohl abliefen; der Taglöhner, um zu erfahren, ob er Hoffnung hatte, sein Brod wohlfeiler zu essen und seinen Wein besser zu trinken; der Weltbürger endlich, um zu wissen, ob sich das Wohl der Welt im allgemeinen und das Wohl der Franzosen insbesondere bis zu seinen wohlthätigen Träumen von Universalglückseligkeit erheben würde. Alle sprachen, hörten, fühlten mit gleichem Feuer, mit gleichem Interesse. Dieß gab eine Masse von Gluth, die sich den übrigen Bewohnern der Hauptstadt, jedes Alters, jedes Standes, jedes Geschlechts mittheilte, und durch die Millionen Kanäle, die aus den Provinzen in dieses ungeheure Magazin von Weisheit und Thorheit, von Bosheit und Edelmuth zusammen liefen, gewaltsam durch das ganze Land zurück strömte. So ward das Palais Royal bald Gesetzgeber der Staatsbürger, mit derselben Autorität, die es für die Stutzer und Stutzerinnen einer halben Welt hatte.
[22] Der dritte Stand, als der zahlreichste, hatte vom Anfange den stärksten Einfluß auf die versammleten Haufen daselbst. Die beyden andern Stände hatten auch ihre Verfechter, aber bald ward es gefährlich für diese, mit Nachdruck für jene zu sprechen. Je näher die Nationalversammlung einer Vereinigung zu kommen schien, desto näher kamen sich die einzelnen Parteyen im Palais Royal. Man glaubte sich in die schönen Zeiten der griechischen und römischen Republiken zurück versetzt, wenn man hier einen Greis auf einen Tisch springen und zu den Zuhörern mit Wahrheit und Nachdruck sprechen, wenn man dort einen jungen Mann in der Mitte eines gedrängten Haufens feurig schwärmen, wenn man unter allen diesen Weiber, Mädchen und Kinder, mit weitoffnem Auge und Munde horchen sah, und wenn man ein wüthendes Beyfallsgeschrey für den Mann, der gut sprach und ein wildes Mißvergnügen gegen den, der schlecht sprach, ausbrechen hörte.
Um diese Zeit war es, wo man mehrere Ludwigs-Ritter aus dem Palais verjagte, und [23] wo man einen Abbee auf einen Tisch hob und ihn zwang, mit kahler Scheitel und auf den Knieen der Nation Abbitte zu thun, gegen die der Geist seines Standes aus ihm nicht schonend genug gesprochen hatte. Die Aristokraten und Abbees verschwanden nun entweder, oder blieben parteylos, oder schlugen sich anscheinend zur Partey des dritten Standes.
Die Minister und viele Mitglieder der beyden erstern Stände des Reichs, sahen diese Gährung mit Zittern Tag zu Tag gewaltsamer aufbrausen. Aus dem Mittelpunkte des Patriotismus strömten fast täglich Gesandschaften nach Versailles, mit Rednern an ihrer Spitze, die durch ein heiliges bis jetzt in Frankreich ganz unerhörtes Feuer beseelt, durch die Schranken in das Herz der Nationalversammlung brachen, und sie mit Worten und Gründen zur Eintracht ermahnten, die den Verstand wie das Herz der Stellvertreter der Nation angriffen, dem dritten Stande Muth machten, und den ersten und zweyten in Schrecken setzten. Man erstaunte, wenn diese Redner und ihre Begleiter sich als [24] Bevollmächtigte dieses oder jenes Klubbs, dieses oder jenes Kaffeehauses ankündigten: denn man sahe daraus, daß das Wohl der Nation ein Gegenstand der Berathschlagungen der Nation selbst geworden war, daß Millionen Köpfe selbst dachten, Millionen Stimmen jetzt schrieen, die wenig Wochen vorher weder laut zu denken noch zu sprechen gewagt hatten. Die Furcht der bösen Sache arbeitete mit dem Muthe der guten Sache zu ein und eben demselben Zwecke, und die beyden ersten Stände gaben aus Furcht, was ihnen der dritte durch Entschlossenheit abdrang. Die Vereinigung der drey Stände war die Folge davon.
Als die Nachricht von dieser glücklichen Veränderung nach Paris kam, gerieth alles in einen freudigen Aufruhr, strömte alles nach dem Palais Royal, wo unter hundert Haufen hundert Redner standen, die mit einem Feuer, das einer höhern Begeisterung glich, den Zuhörern was vorgefallen war ankündigten, wiederholten und mit immer gleichem Interesse wiederholten. Es war gegen Abend. Im Nu brannten tausend [25] Lampen im Palais, und ein einziger losgelassener Schwärmer gab das Signal zu einem Freudenfeuer, das so rauschend war, als eine Freude dieser Art bey dem Charakter dieser Nation seyn mußte. Sie zeigte sich unter allen Symptomen eines hinreissenden Wahnsinns, und selbst das furchtsame Geschlecht trug Patronen und Schwärmer in Schürzen zu, um das schreckliche Geräusch nicht durch Mangel an Pulver unterbrechen zu lassen. Es dauerte den ersten Tag von acht Uhr des Abends bis um drey Uhr des Morgens und in die Augen von einer halben Million Menschen kam kein Schlaf. Den andern Tag derselbe Auftritt, vielleicht noch wilder, den dritten Tag derselbe, doch mit etwas mehr Mäßigung.
Greise, die vielleicht seit Jahren nicht aus dem sechsten Stockwerk herabgestiegen waren, kamen mit den Gefährtinnen ihren Alters, um mitten unter Buben ihren Schwärmer in die allgemeine Feuermasse zu werfen; Mütter mit ihren Säuglingen, um diesen durch den schlängelnden Blitz Freude zu machen, wenn sie solche [26] auch über die Veranlassung derselben noch nicht fühlen konnten; Väter mit ihren Töchtern und Söhnen, die sonst vielleicht diese vor dem Sitze der Ueppigkeit und Wollust gewarnt hatten, gingen jetzt mit Wohlgefallen unter den Arkaden desselben umher, und glaubten die Unschuld ihrer Kinder unter Menschen, die nur Eine Empfindung jetzt begeisterte, in Sicherheit; Arme, in der einen Hand ihr trocknes Abendbrod, das dießmal nur halb so groß war, als sonst, weil sie für die andre Hälfte eine Pulverpatrone gekauft hatten; und endlich selbst jene unglücklichen Geschöpfe vom andern Geschlechte, die gegen alles übrige gleichgültig seyn müssen, weil sie es gegen ihr edleres Selbst sind, mischten sich jetzt, ihr trauriges Handwerk vergessend, unter die berauschte Menge, und gaben den Savoyarden, ihren Freunden, das Geld zu Freudenfeuern, das sie den Abend zuvor unter Freuden ohne Mitgefühl für Freuden voll Ekel und Nachreue verdient hatten.
Dieses Aufbrausen der Nation, welches mitten unter dem Frohlocken und den Freuden[27]sprüngen etwas Fürchterliches und Wildes hatte, das selbst ihre Freunde erschreckte, wirkte mit desto größerer Gewalt auf ihre Feinde. Diese stellten zu Versailles den allgemeinen Ausbruch der Freude als einen Ausbruch politischer Erbitterung vor, und vermochten den König, die um Paris zerstreut stehenden Truppen näher zusammen und sogar bis vor die Thore der Stadt rücken zu lassen, während in der Stadt selbst durch öffentliche Blätter und Anschläge von Seiten des Königs um Ruhe gebeten wurde. Ruhe zu befehlen