Geschichte des Risorgimento - Gabriele B. Clemens - E-Book

Geschichte des Risorgimento E-Book

Gabriele B. Clemens

0,0

Beschreibung

Das Risorgimento, die Zeit der Nationalstaatswerdung, hatte von jeher eine besondere Bedeutung in der Geschichtsschreibung Italiens. Besonders der deutschsprachigen Forschung nicht nur zur Geschichte Italiens sondern auch der transnationalen und vergleichenden Geschichte der Nationalstaatsgründungen fehlt jedoch seit langem ein aktuelles und fundiertes Überblickswerk zur Geschichte des Risorgimento. Gabriele Clemens legt ein solches nun vor. Sie beginnt ihre Darstellung schon vor der Französischen Revolution, noch im Ancien Régime, um 1770, und endet 1870 mit der Eroberung Roms durch die Truppen des noch jungen Nationalstaats, nimmt also ein gutes Jahrhundert italienischer Geschichte in den Blick. Ihre ausgewogene und gut lesbare Darstellung verbindet dabei die Perspektive der politischen Kulturgeschichte mit einem wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Ansatz und setzt zugleich neue Akzente, etwa hinsichtlich der Rolle des Adels und des Bürgertums. Die lange behauptete Mobilisierung der Massen durch Kunst, Musik und Literatur und auch die Bedeutung des zum Mythos gewordenen Garibaldi werden grundlegend hinterfragt und der Weg in den Nationalstaats als der Werk einer staatstragenden Elite beschrieben, die konsequent in transnationalen Netzwerken handelt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 520

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Italien in der Moderne

herausgegeben von

Gabriele B. Clemens

Christof Dipper

Oliver Janz

Sven Reichardt

Wolfgang Schieder

Petra Terhoeven

Band 27

Gabriele B. Clemens

Geschichte des Risorgimento

Italiens Weg in die Moderne (1770–1870)

Böhlau Verlag Wien Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2021 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress.

Umschlagabbildung: Das Treffen am Teano zwischen Guiseppe Garibaldi und Vittorio Emanuele (Lithografie nach dem Gemälde von Carlo Ademollo; (c) akg-images / Fototeca Gilardi)

Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien

Satz: Bettina Waringer, WienEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN: 978-3-412-52097-7

Inhalt

Vorwort

1. Das Ancien Régime

2. Italien unter französischer Herrschaft 1789–1814

2.1   Jakobinische Politisierung (1789–1796)

2.2   Die Zeit der Schwesterrepubliken – das Trienno (1797–1799)

2.3   Das napoleonische Italien

2.4   Säkularisation und Immobilienspekulation

2.5   Die Alten Meister als Prestigeobjekte

2.6   Napoleonische Amalgampolitik: Elitäre Geselligkeit und die italienischen Höfe

2.7   Infrastruktur und Bildungswesen

2.8   Das Militärwesen

2.9   Kirchenpolitik und Volksreligiosität

2.10 Die Krise der Jahre 1811–1814

3. Der Wiener Kongress, Restaurationen und Revolutionen

3.1   Die neue, alte Staatenordnung

3.2   National- und verfassungspolitische Ideen nach 1815

3.3   Die südeuropäischen Revolutionen von 1820, 1821 und 1830

3.4   Italiener im Exil

4. Die Wirtschaft

4.1   König Landwirtschaft

4.2   Manufakturen und industrielle Anfänge

4.3   Europäische Unternehmernetzwerke

4.4   Mobilität und Migration

5. Gesellschaft und Kultur

5.1   Die sozialen Probleme

5.2   Die kleine Mittelschicht und die dominanten Eliten

5.3   Salons und Gesellschaften

5.4   Oper, Bildende Künste und Literatur

5.5   Schulen, Universitäten und Akademien

5.6   Religion, Konfessionen und gelebte Frömmigkeit

6. Die Revolutionen von 1847–1849

6.1   Die konstitutionellen Revolutionen 1847/48

6.2   Der erste Unabhängigkeitskrieg und die Revolutionen von 1849

7. Der Weg zum Nationalstaat

7.1   Die reaktionären Staaten und das liberale Königreich Sardinien-Piemont

7.2   Der zweite Unabhängigkeitskrieg und die Proklamation des Königreichs Italien (1860/61)

7.3   Der dritte Unabhängigkeitskrieg und die Eroberung Venetiens und Roms (1866 und 1870)

8. Durchstaatlichung und Widerstand

8.1   Zentralismus versus Föderalismus

8.2   Die politische Klasse: Gewinner und Verlierer

8.3   Il grande brigantaggio: Bürgerkrieg oder Bandenkriminalität?

Schlussbetrachtungen

Regententabellen der italienischen Staatenwelt 1770–1870

Auswahlbibliographie

Abbildungsverzeichnis

Kartenverzeichnis

Register

Vorwort

Das vorliegende Buch bietet einen aktuellen Überblick zur italienischen Geschichte des Risorgimento (1770–1870), der sowohl die klassischen Themen der italienischen Politikgeschichte und sozioökonomische Aspekte als auch die Ergebnisse der italienischen Kulturgeschichte der letzten zwanzig Jahre berücksichtigt. Mit Risorgimento bezeichnet die Geschichtsschreibung jene Epoche, in der die italienische Nationalstaatsgründung vorbereitet und besiegelt wurde. Namensgeberin war eine liberale Zeitung in Turin, die von führenden Politikern im Umfeld der 1848er Revolution herausgegeben wurde. Risorgere ist zu übersetzen mit „wiederaufstehen“ oder „wiedererblühen“. Doch dieser Titel führt ein wenig in die Irre, denn es konnte kein Nationalstaat wiedererstehen, der vorher nie bestanden hatte. Der Weg Italiens hin zum modernen Nationalstaat war äußerst komplex und hing letztendlich vor allem von Verschiebungen im europäischen Mächtesystem und inneritalienischen Reformprozessen ab. Viele der dazu vorliegenden Bücher beginnen die Geschichte des Risorgimento mit dem Einmarsch der französischen Truppen im Jahr 1796. Hier wurde ein anderer chronologischer Zuschnitt gewählt. Das erste Kapitel ist dem ausgehenden Ancien Régime gewidmet, denn wenn eine Darstellung mit der napoleonischen Zeit beginnt, blendet sie die Italien stark prägende Reformära der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts aus. Den Schlusspunkt bildet der Untergang des Kirchenstaates mit der Eroberung Roms im Jahr 1870, womit – abgesehen vom Trentino und Triest – Italien seine heute noch bestehenden Grenzen erhalten hat.

Der Stand der italienischen Forschung zur Geschichte des Risorgimento ist, verglichen mit dem Interesse, das die deutsche Historiographie der Sattelzeit (1750-1850) und den sich daran anschließenden Jahrzehnten bis zur Nationalstaatsgründung schenkt, erheblich besser. Geprägt wurde sie in den letzten rund zwanzig Jahren besonders von kultur- und diskursgeschichtlichen Arbeiten. Dabei griffen die Autorinnen und Autoren die Thesen von Benedict Anderson, Ernest Gellner und Eric J. Hobsbawm auf, die den Prozess der Nationalstaatsbildung als Erfindung von intellektuellen Eliten beschreiben. Einen Meilenstein setzte in diesem Zusammenhang zweifellos der italienische Historiker Alberto M. Banti. Kein Buch hat in den letzten Jahren die Historiker in Italien und die Italien-Historiker weltweit zu derart heftigen Diskussionen über die Themen Nation und Nationalgefühl im 19. Jahrhundert angeregt wie sein Titel La nazione del Risorgimento aus dem Jahr 2000. Ob man will oder nicht: Alle nachfolgenden Untersuchungen müssen sich an ihm abarbeiten und mit ihm auseinandersetzen. Mit großer Skepsis rezipiert von denjenigen, die mit strukturgeschichtlichen und eher klassischen politischen Ansätzen arbeiten, mit Enthusiasmus hingegen begrüßt von Forschern, die selbst mit iconological, linguistic, spatial und anderen turns experimentieren. Banti setzt sich zur Aufgabe, Sinn und Bedeutung des damaligen national-patriotischen Wortgebrauchs zu entschlüsseln und konstruiert mit von ihm ermittelten Leitbildern und Themen einen „Kanon“. Dieser wird entwickelt aus Beispielen bekannter und gut rezipierter Literatur sowie aus Geschichtswerken, politischen Schriften der wichtigsten italienischen Intellektuellen, der Historienmalerei und der romantischen Oper.

Bei aller Brillanz einzelner Studien werden nie Fragen nach der Wirkmächtigkeit beziehungsweise Rezeption des „Kanons“ gestellt. Sie wird einfach voraussetzungslos behauptet. Aber reichen wirklich Lieder, Gedichte, romantische Geschichten, Bilder und Opern aus, um Menschen zu motivieren, für einen Nationalstaat zu kämpfen? Wie viele haben überhaupt freiwillig gekämpft und auf welcher Seite? Und wollten die Eliten alle den Nationalstaat, so wie er entstanden ist? Die Masse der Italiener hatte ohnehin existenziellere Sorgen und war kaum motiviert, Haus und Hof zu verlassen, um für eine abstrakte Idee zu kämpfen. Welche Rolle spielten ökonomische und machtpolitische Motive? Wer waren die Gewinner, wer die Verlierer in diesem komplizierten Prozess? Es herrschte unter den politischen Akteuren keineswegs Einigkeit darüber, wie der neue Staat zu gestalten sei und wie weit er sich denn überhaupt geographisch erstrecken sollte.

In der vorliegenden Überblicksdarstellung wird auch einer Gruppe prominent Rechnung getragen, die in älteren Studien noch vernachlässigt wurde: jener tausenden Italiener, die meist unfreiwillig Jahrzehnte ihres Lebens im politischen Exil verbrachten. Diese Exilsituation und die Rückkoppelung ihrer europäischen Diskurse in die Heimat sind in Ansätzen gut erforscht, wobei bisher vor allem transfergeschichtliche Prozesse in Europa und Amerika herausgearbeitet wurden. Zurückgekehrt nach Italien sollten die meist aus den adligen und bürgerlichen Eliten stammenden Exilanten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das liberale Königreich Sardinien-Piemont und das junge italienische Königreich in Schlüsselpositionen entscheidend mitgestalten. Dabei prägten die transnationalen politischen, militärischen und kulturellen Erfahrungen, die sie teilweise jahrzehntelang in den europäischen Nachbarländern gemacht hatten, ihr politisches Handeln nach 1848/49. Aber nicht nur für dieses Phänomen, auch für andere Aspekte der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschichte werden transnationale, vor allem europäische Transferprozesse im Folgenden Beachtung finden, weil sich auch die Protagonisten souverän im europäischen Rahmen bewegten.

Darüber hinaus vernachlässigen alle aktuellen Bücher zur Geschichte Italiens im langen 19. Jahrhundert weitgehend ökonomische Fragestellungen. Dabei ist die Entwicklung Italiens hin zu einem modernen europäischen Nationalstaat ohne wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte nur eingeschränkt nachvollziehbar. Zum einen waren die wichtigsten Politiker zugleich sehr erfolgreiche adlige Großagrarier, genannt sei hier nur Graf Camillo Benso di Cavour, der erste Ministerpräsident des neuen Nationalstaats, zum anderen war gerade eine sehr erfolgreiche Landwirtschaft Motor für die industrielle Entwicklung. Das Engagement des Adels wird hierbei bislang zu gering gewichtet, dabei spielte er in Italien noch bis weit in das 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle nicht nur als wirtschaftlicher Akteur. Darüber hinaus bewirkte die Industrialisierung im Norden Europas Transformationen der Handelsströme und neue Entwicklungen in der Landwirtschaft des Mezzogiorno, des italienischen Südens. Ohnehin hatten die stark unterschiedlichen agrarischen Strukturen große Auswirkungen auf Vermögensschichtung und Bildung. Die drückende Armut großer Teile der ländlichen Bevölkerung war ein zentrales Problem sowohl für die Einzelstaaten als auch für den jungen Nationalstaat. Sie führte zu beachtlichen nationalen, internationalen und globalen Migrationsprozessen. Und natürlich muss die Frage gestellt werden, wie sich diese (Bildungs-)Armut wiederum auf politische Partizipationsprozesse auswirkte. Das von Giuseppe Mazzini immer wieder beschworene Volk interessierte sich nämlich herzlich wenig für seine politischen Ideen. Darüber hinaus löst die Frage nach den sozialen und institutionellen Gründen für die Rückständigkeit des italienischen Südens immer wieder heftige Diskussionen aus. Historische Faktoren spielen auch in aktuellen Debatten eine eminente Rolle. Zu betonen gilt hingegen aber auch, dass das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg auf langfristigen Wachstumsprozessen beruht, die im frühen 19. Jahrhundert wurzeln. Schließlich fokussieren jüngere Arbeiten Transferprozesse des europäischen Unternehmertums in Italien. Auch diese Forschungen werden im vorliegenden Buch berücksichtigt.

Diese Geschichte Italiens auf dem Weg in die Moderne wäre ohne die materielle und ideelle Unterstützung der folgenden Institutionen und Personen kaum zu realisieren gewesen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte meinen Antrag auf Freistellung von der Lehre großzügig und trug so maßgeblich zum Entstehen des vorliegenden Buches bei. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Christof Dipper, Malte König und Jens Späth. Sie haben als kluge Korrekturleser nicht nur Flüchtigkeitsfehler korrigiert, sondern mit ihren kritischen Kommentaren und kenntnisreichen Anmerkungen einseitige Interpretationen meinerseits vermieden. Amerigo Caruso, Silvia Cavicchioli und Marco Meriggi standen mir jederzeit mit ihrem immensen Wissen über die Geschichte des Risorgimento mit Rat und Tat zur Seite, auch ihnen gilt mein ganz besonderer Dank. Meinem Lehrstuhlteam, allen voran Doris Kurz und Immanuel Geleszus, Junes Arib und Silvain Laschek danke ich für die Erstellung der Register sowie die nicht immer einfache Beschaffung der Bildrechte in Museen und Galerien. Alexander Reverchon erstellte dankenswerterweise die ansprechenden Karten. Schließlich gilt mein Dank Kirsti Doepner vom Böhlau Verlag. Am Rande des Historikertages in Münster hat sie mich nachdrücklich zu diesem Buch ermuntert, das ich schon länger schreiben wollte. Vor allem hat sie nicht die Geduld verloren, da nicht zuletzt wegen der wenig förderlichen Arbeitsbedingungen in der Coronakrise der Abgabetermin des Manuskripts mehrmals verschoben wurde.

Gabriele B. Clemens

Saarbrücken, im April 2021

1. Das Ancien Régime

Das Risorgimento, die Zeit der Nationalstaatswerdung, hatte von jeher eine besondere Bedeutung in der Geschichtsschreibung Italiens. Doch wann beginnt es und wann ist diese Epoche abgeschlossen? Periodisierungen helfen, Geschichte zu verstehen und zu interpretieren: Sie sind zugleich aber immer umstritten und Gegenstand mehr oder weniger gewinnbringender Diskussionen. Es gibt gute Gründe, bei der Betrachtung des Risorgimento mit der Französischen Revolution 1789 anzusetzen, da diese auch die italienischen Staaten in ihren Grundfesten erschütterte und sie aufgrund von Kriegshandlungen sukzessive von der Landkarte verschwinden ließ oder von Grund auf neu gestaltete. Es spricht aber auch viel dafür, mit dem Ancien Régime zu beginnen, da nur vor dem Hintergrund des Wissens um den Zustand der italienischen Staaten vor 1789 die Veränderungen in Folge der Revolution begriffen werden können. Deshalb setzt dieses Buch rund zwanzig Jahre vorher um 1770 an.

In der Frühen Neuzeit gab es keinen italienischen Flächenstaat. Seit dem Untergang des Römischen Reiches war das Territorium in zahlreiche Herrschaften aufgeteilt. Im Norden bildete sich im Mittelalter ein „Wald“ von rund 100 prosperierenden Stadtrepubliken, die jedoch in der Frühen Neuzeit den zu mächtigen Staaten gewordenen Nachbarn jenseits der Alpen keinen Widerstand entgegensetzen konnten und nacheinander von französischen und spanischen Truppen erobert wurden. Schließlich setzten sich in Norditalien die österreichischen Habsburger durch. Allein die ehemals mächtigen Seerepubliken Genua und Venedig konnten sich noch widersetzen und behaupteten ihre Herrschaft über die Stadt und das Umland. Ihre Rolle als Global Player hatten sie im ausgehenden Ancien Régime aber schon lange verloren. Zur Republik Venedig gehörten nur noch Korfu, die ionischen Inseln und Dalmatien. Genua beherrschte weiterhin die ligurische Küste. 1768 sah es sich gezwungen, die Insel Korsika an Frankreich zu verkaufen, da es nicht gelang, die korsische Autonomiebewegung effektiv zu bekämpfen. In Mittelitalien herrschten seit mehr als tausend Jahren die Päpste, im Süden nacheinander Araber, Normannen, Staufer, Franzosen, Spanier und Bourbonen. Nur im Nordwesten vermochten die Savoyer ihre Unabhängigkeit zu bewahren sowie ihr Territorium sukzessive zu vergrößern.

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war Italien während des spanischen (1701–1714) und österreichischen Erbfolgekriegs (1740–1748) erneut Objekt von Kriegszügen und der europäischen Diplomatie. Erst mit dem Frieden von Aachen 1748 fanden die häufigen Herrschaftswechsel ein Ende. Es wurde eine territoriale Ordnung geschaffen, die für Stabilität sorgte, den Raum für Reformen bot und nach der französischen Epoche auf dem Wiener Kongress im Großen und Ganzen erneut bestätigt wurde. Der dominante österreichische Einfluss in der Sattelzeit (1750–1850) spiegelte sich nicht nur im Besitz des lombardischen Herzogtums wider, das wie Mantua direkt von Wien aus regiert wurde. Das ebenfalls von den Österreichern beherrschte Herzogtum Toskana war zwar formal unabhängig, doch auch hier war der Einfluss Wiens unübersehbar. Über weite Regionen Mittelitaliens, von Bologna bis nach Gaeta, erstreckte sich der Kirchenstaat, jedoch hatte die Papstherrschaft nach der Renaissance und der Prachtentfaltung im Barock ihren Zenit überschritten. Im Süden schloss sich das Königreich Neapel-Sizilien an, das die größte Insel Italiens als „Nebenland“ mit einem eigenen Vizekönig regierte. Seit 1734 saß eine Nebenlinie der spanischen Bourbonen auf dem Thron, die über familiäre Netzwerke mit Madrid und Wien verbunden war. Maria Karolina (1752–1814), eine der Töchter Maria Theresias (1717–1780), verheiratet mit Ferdinand I. (1751–1825) aus der Linie der spanischen Bourbonen, war eine durchsetzungswillige Königin, die sehr enge Kontakte nach Wien unterhielt. Sie versuchte gemäß den Leitlinien ihres Bruders Kaiser Joseph II. (1741–1790) den Süden zu modernisieren. Auch das Herzogtum Parma und Piacenza war auf dem Aachener Frieden an die spanischen Bourbonen vergeben worden. Maria Amalia (1756–1804), eine weitere Tochter der österreichischen Kaiserin, wurde mit dem Herzog von Parma verheiratet. Es handelte sich dabei um Ferdinand (1751–1802), den Enkel der spanischen Königin Elisabeth (1692–1766), die wiederum aus dem Haus Farnese stammte, das vor dem Aussterben der männlichen Linie in dem kleinen Herzogtum geherrscht hatte. In direkter Nachbarschaft befand sich das Herzogtum Modena unter der Dynastie der Este. Es bildete eine Art Pufferstaat zwischen dem Kirchenstaat, dem Herzogtum Toskana und der Lombardei sowie der Republik Venedig.

Die zweitgrößte Insel, Sardinien, ehemals spanischer und österreichischer Besitz, gehörte seit 1720 zum Königreich Sardinien-Piemont. Verglichen wird dieses Königreich gerne mit Preußen aufgrund seiner militärischen Tradition, seiner fortschrittlichen Verwaltung und seinem allmählichen Aufstieg von einem kleinen Herzogtum in Savoyen zur wichtigen Ordnungsmacht in Norditalien. Doch hinkt dieser Vergleich, denn anders als Preußen war es jederzeit bedroht von Frankreich und Österreich. In der Hauptstadt Turin residierte die Dynastie der Savoyer als einzige italienische Herrscherfamilie. Alle Italiener von den Savoyern im äußersten Norden bis zu den Bewohnern auf Lampedusa im Süden wurden absolutistisch regiert, wobei Kirche und Adel außerordentlich mächtige Stände blieben. In den letzten Jahrzehnten vor den Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich setzten jedoch in der Mehrzahl der italienischen Staaten tiefgreifende Reformversuche ein und das intellektuelle Klima erfuhr entscheidende Impulse von italienischen Aufklärern.

Die Reformbemühungen wurden nach dem Frieden von Aachen 1748 intensiviert. Der Dichter Giosuè Carducci (1835–1907) bezeichnet dieses Jahr symbolisch als Beginn des spirituellen Risorgimento, ein Jahrhundert vor der Revolution von 1848. Doch diese nationalistische Interpretation greift zu weit zurück. Zwar lassen sich in das Vorfeld der Französischen Revolution durchaus Forderungen einzelner Patrioten und Literaten datieren, die eine Nation fordern, aber sowohl die politischen als auch die intellektuellen Eliten agierten noch weitgehend isoliert und auf regionaler Ebene. Darum sollen in diesem Buch die unterschiedlichen einzelstaatlichen Entwicklungen bis zur nationalstaatlichen Einigung berücksichtigt werden, um so gleichzeitige Entwicklungen, aber auch verzögernde Elemente auf dem Weg Italiens in die Moderne zu skizzieren.

In der Forschung besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Geschichte Italiens im ausgehenden 18. Jahrhundert gekennzeichnet war von staatlichen Reformen, an denen sich die europaweit berühmten italienischen Aufklärer aktiv beteiligten, anders als die gleichzeitig publizierenden französischen Aufklärungsphilosophen, die immer eine Staatsferne charakterisierte. In allen italienischen Regionen kam es zu einer Reihe von antifeudalen Maßnahmen, zu Reformen in Justizwesen, Verwaltung und Finanzen, zu Säkularisierungsmaßnahmen (unter Ausnahme des Kirchenstaates) sowie zu humanitären Reformen und mehr Toleranz. Folter und Todesstrafen wurden partiell abgeschafft. Die staatstheoretische Grundlage dieser Maßnahmen bildeten die Naturrechtsdiskussionen mit ihrer Idee vom Herrschaftsvertrag, der allen Untertanen Rechte zusprach. Die großen britischen und französischen Aufklärer Locke, Montesquieu, Voltaire und Rousseau wurden rezipiert, die Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert in Livorno gedruckt mit einer Widmung für den Großherzog der Toskana. Und doch verlief eine charakteristische Trennlinie zwischen den Staaten, die systematisch die besten Köpfe der Aufklärung an den Reformen beteiligten (Lombardei, Toskana, Neapel-Sizilien, Parma-Piacenza und Modena) und denjenigen, die lediglich auf verwaltungstechnische Reformen setzten (Piemont, der Kirchenstaat, die Seerepubliken Venedig und Genua).

Unumstritten ist, ob die habsburgische Lombardei aufgrund der Reformen Maria Theresias und ihres Sohnes Joseph II. das fortschrittlichste Land auf dem Apennin war. Die bedeutenden administrativen Reformen im Bereich der Besteuerung und der Aufbau des berühmten Katasters erfolgten noch unter Maria Theresia, grundlegende Maßnahmen der Säkularisierung wie die Abschaffung der kirchlichen Zensur und der Inquisition unter der gemeinsamen Herrschaft von Mutter und Sohn. Er verfolgte ab 1780 mit der Auflösung der Zünfte und antifeudalen Maßnahmen den Reformweg konsequent weiter, wobei dieses Vorgehen das reiche lombardische Patriziat gegen den Kaiser aufbrachte. Wesentliche Impulse gingen in Mailand von dem Ökonomen Pietro Verri (1728–1797) aus, der in zahlreichen Verwaltungsämtern tätig war. In seinen Schriften konzentrierte er sich auf den Fortschritt im Handel. Von den Physiokraten beeinflusst, versuchte er auf seine Weise, die Handelsfreiheit mit der Entwicklung der Landwirtschaft zu versöhnen. Gemeinsam mit seinem Bruder, dem Dichter Alessandro Verri, gab er die kurzlebige, aber äußerst prominente Zeitschrift Il Caffè (1764–1766) heraus. Voltaire bezeichnete die Gruppe, der auch der Jurist Cesare Beccaria (1738–1794) angehörte, als École de Milan, als Schule von Mailand. Beccaria wurde als radikaler Strafrechtsreformer weit über Italien hinaus rezipiert. Sein auf der Naturrechtsphilosophie basierendes Hauptwerk Dei delitti e delle penne (Von den Verbrechen und Strafen) aus dem Jahr 1764 wurde in 22 Sprachen übersetzt. Der Staat dürfe nur verhältnismäßig strafen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, Gesetze seien konsequent anzuwenden. Die Todesstrafe und Folter lehnte Beccaria ab und im darauffolgenden Jahr wurde Letztere abgeschafft. Als weiteren durchsetzungsfähigen Beamten sei auf Pompeo Neri verwiesen, der den Kataster in der Lombardei realisierte. Er hatte zuvor die Landvermessung im Herzogtum Toskana auf den Weg gebracht. Überhaupt fällt auf, dass in beiden habsburgischen Herzogtümern qualifizierte Beamte aufgrund ihres Expertenwissens agierten. Die Reform des toskanischen Strafrechts war wiederum das Werk des Mailänders Beccaria.

Der Bruder des Kaisers, Leopold I. (1747–1792), und sein Neffe, Ferdinand III. (1769–1824), reformierten als Teil des Familienkartells das Herzogtum Toskana ohnehin nach denselben Grundsätzen. Auch hier wurde die Verwaltung zentralisiert, Zünfte, kirchliche Gerichtsbarkeit und die Inquisition abgeschafft. Hinzu kamen eine Bodenreform zugunsten kleinerer und mittlerer Grundbesitzer, die Entwässerung von Sumpfgebieten in der Maremma, die Abschaffung der Salzsteuer sowie der lokalen Wegegelder. Wie in der Lombardei opponierte das großgrundbesitzende Patriziat, weil die Schaffung eines modernen Beamtentums und die von diesem initiierten Reformen seinen Einfluss bedrohten. Die Abschaffung der Fideikommisse und des Freihandels vermochte es jedoch nicht zu verhindern: Erstere hatten bisher aufgrund eines privilegierten Erbrechts die Besitzzersplitterung verhindert und die zweite Maßnahme beeinträchtigte die sicheren Gewinne auf dem Agrarmarkt. Dennoch dominierte der Adel nicht nur die Ämter in den zentralen Ministerien sowie den Provinz- und Kommunalverwaltungen, denen Leopold I. weitreichende Verwaltungsrechte eingeräumt hatte. Die aristokratischen Eliten nutzten auch konsequent Ämtermonopole in Verwaltung, Militär und Diplomatie sowie ein dichtes Netzwerk von Patronage am Hof, um sich zu bereichern.

Die Schwester Leopolds I. und Josephs II., Maria Karolina, beeinflusste in den Jahren vor der Revolution ihren wenig an den Regierungsgeschäften interessierten Gatten dahingehend, ebenfalls gemeinsam mit den führenden Aufklärern Neapels das Königreich zu modernisieren. Nach 1770 setzte die Politik der Abschaffung von feudalen Privilegien und Reformen gegen die mächtigen Baroni ein. In der Basilikata erfolgte mit der Aufteilung der Domänen eine Bodenreform. Ferner wurde die Macht der Kirche mit der Beschlagnahmung von Klostergütern und der Ausweisung der Jesuiten reduziert. Ein 1782 eingerichteter oberster Finanzrat sollte die finanzielle und steuerliche Rationalisierung fortsetzen. Die Tarife der Binnenzölle wurden gesenkt. Für die Reorganisation der Armee und den Neuaufbau der Flotte konnte Lord John Francis Edward Acton (1736–1811) aus der Toskana gewonnen werden. Der einflussreichste Aufklärer am Hof war zweifelsohne der aus neapolitanischem Adel stammende Gaetano Filangieri (1757–1788), der als Vertreter des paternalistischen Gesetzesstaats schon mit Anfang zwanzig ein fünfbändiges Oeuvre Scienza della legislazione publizierte. Der erste Band seiner „Wissenschaft von der Gesetzgebung“ erschien 1780, der letzte posthum 1791. Europäische Zeitgenossen betrachteten das Werk als grundlegende Philosophie der Verfassung. Auch Filangieri geißelte das Feudalrecht und plädierte für ein auf Vernunft basierendes Rechtssystem. Dieses Werk fand internationale Anerkennung und begründete den Ruhm Filangieris. Nicht nur Johann Wolfgang Goethe suchte auf seiner Italienreise 1787 den Kontakt zum führenden Kopf Neapels, auch Benjamin Franklin, der Filangieris Schriften während seiner Zeit als amerikanischer Botschafter in Frankreich gelesen hatte, stand mit ihm in Briefkontakt. Er schickte dem Rechtsphilosophen seinen Entwurf der amerikanischen Verfassung mit der Bitte um einen Kommentar. Die über 70 Editionen und Übersetzungen von Filangieris Standardwerk im 18. und 19. Jahrhundert trugen entscheidend dazu bei, die italienischen Diskussionen über das Ende des Ancien Régime in den Kontext der europäischen Aufklärung zu integrieren.

Mit Benjamin Franklin verband ein weiterer bemerkenswerter Reformer Süditaliens, Domenico Caracciolo dei Duchi di San Teodoro (1715–1789), ein paralleles Karrieremuster: Beide kamen als Diplomaten mit aufklärerischem Gedankengut in Kontakt, das sie ihr Leben lang prägen sollte. Caracciolos Stationen als Diplomat führten ihn nach Turin, London und Paris, wo er Jacques Necker (1725–1802) und Jean Baptiste d’Alembert (1717–1783) kennenlernte. 1781 wurde Caracciolo zunächst als Vizekönig in Palermo eingesetzt (1780–1786), wo er sich mit Elan für aufklärerische Reformen einsetzte. Im Zentrum seiner Maßnahmen standen eine gerechtere Steuerverteilung und der Aufbau eines Katasters, was der mächtige Feudaladel zu hintertreiben wusste. Immerhin wurden die Privilegien des Adels eingeschränkt. Daraufhin berief die Königin Caracciolo nach Neapel, wo unter seiner Regie der Reformprozess intensiviert werden sollte.

Während die Königin von Neapel ganz gezielt Intellektuelle aus den Akademien und Zirkeln der Freimaurerlogen an den Hof zog und ihnen hohe Verwaltungsämter anvertraute, mussten Aufklärer im Kirchenstaat und im Königreich Sardinien-Piemont mit Verfolgung rechnen. Dennoch setzte auch in diesen beiden Staaten ein Reform- und Modernisierungsprozess ein. Im Kirchenstaat kämpfte Papst Pius VI. (1717–1799) gegen neue Ideen auf religiösem oder philosophischem Gebiet, während unter seinem Vorgänger Clemens XIV. (1705–1774) auf internationalen Druck der intransigente Jesuitenorden abgeschafft worden war (1773). Sein Nachfolger konzentrierte sich auf wirtschaftliche Maßnahmen, die durchaus mit denen in den Nachbarstaaten vergleichbar waren. Die Landwirtschaft sollte mit einer merkantilistischen Politik gefördert werden und auch im Kirchenstaat wurde ein Kataster eingeführt.

Als Musterland straffer moderner Verwaltung galt das Königreich Sardinien-Piemont. Hier hatten die Reformen schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter Karl Emanuel III. (1701–1773) eingesetzt. Was Ludwig XV. und Ludwig XVI. im benachbarten Frankreich vergeblich versuchten, gelang den Königen in Turin: den Feudalismus entschiedener zu bekämpfen. Die fiskalischen Privilegien von Adel und Kirche wurden einerseits effizient eingeschränkt, andererseits war das Bündnis zwischen Thron und Altar und Thron und Aristokratie in keinem weltlichen Staat Italiens so eng wie in Piemont. Zwar büßte der piemontesische Adel einen Teil seiner Feudalrechte im 18. Jahrhundert ein, wuchs aber, weiterhin privilegiert durch militärische und administrative Karrierechancen, zu einem staatstragenden Beamtenadel heran. Die überwiegend erst in der Frühen Neuzeit geadelten Familien fokussierten sich loyal auf das Haus Savoyen. Symbolisches Abbild des Aufstiegs der Savoyer war der Ausbau der Residenz in Turin nach dem Vorbild der französischen Prachtarchitektur.

Neuere Studien beschränken sich aber keineswegs darauf, die prominentesten Aufklärer und ihre Werke hervorzuheben. Analysiert werden Kommunikation, Zirkulation von Ideen, akademische Geselligkeit bis hin zur öffentlichen Meinung, außerdem die Geschichte der Editionen und Verbreitung von Büchern, die Geschichte der Bibliotheken sowie der Lektüre. Um das politische und gesellschaftliche Klima jener Jahrzehnte vor der Revolution besser zu erfassen, gilt es, diese Ausnahmeintellektuellen in ihren Rahmenbedingungen zu schildern. Sie waren Teil einer europaweit transnational agierenden Öffentlichkeit, die sich trotz Zensur und Versammlungsverboten ausbildete.

Vor allem die Akademien und Freimaurerlogen nutzten die Eliten, um über aktuelle Themen zu diskutieren. Es entstanden europaweit Netzwerke von Gelehrten und eine dichtere Kommunikation und die Buchproduktion stieg exponentiell. Kommt der Akademiebewegung in diesem Prozess überall eine große Bedeutung zu, so ist sie in Italien allein schon aufgrund ihrer ungleich größeren Zahl und ihren älteren Traditionen etwas ganz Besonderes. Allein für Neapel lässt sich vom 15. bis zum 20. Jahrhundert eine Gesamtzahl von 197 Akademien ausmachen; in Rom sind im entsprechenden Zeitraum 185 Akademien nachzuweisen. In anderen italienischen Metropolen verhielt es sich ähnlich. Vor 1800 lässt sich die Existenz von annähernd 2000 Akademien oder gelehrten Gesellschaften in rund 350 größeren Gemeinden und Städten belegen. Die meisten entstanden im Umfeld von Regierungssitzen oder ehemaligen Hauptstädten: Bologna, Florenz, Ferrara, Mailand, Neapel, Padua, Palermo, Rom, Siena, Venedig oder Verona. Viele Akademien hatten vergleichbare Ursprünge: Zunächst bildeten sich humanistische private Zirkel, oft entstanden aus Freundschaften, in denen eine kleine Gruppe Erfahrungen austauschte, diskutierte, Kontakte zu in- und ausländischen Gleichgesinnten suchte und zudem die Geselligkeit pflegte. Teils handelte es sich dabei um sehr kurzlebige Initiativen, teils entstanden aus diesen privaten Gelehrtenzirkeln aber bedeutende Akademien wie diejenigen Neapels, Mantuas oder Paduas. Kennzeichnend für die frühe Phase sind skurrile Namen wie die Accademia degli Audaci, Accademia dei Cupi, dei Delicati, dei Depressi (Akademie der Tollkühnen, der Finsteren, der Heiklen, der Bedrückten) usw. Wenige Akademien, die sich in dieser Zeit konstituierten, hatten längeren Bestand, wie etwa die berühmte römische Accademia dei Lincei (Akademie der Luchse).

Im 18. Jahrhundert wurden zunehmend wissenschaftlich ausgerichtete Akademien gegründet und eine Institutionalisierung setzte ein mit Satzungen, Ämtern und regelmäßigen Versammlungen. In diese Zeitspanne fiel die Gründung der königlichen Akademien in Neapel (1778) und Turin (1783). Sie zählten zum Typus der staatlichen Gründungen, der ebenfalls europaweit Verbreitung fand. Als Vorbilder dienten die Royal Society in London (1660), die Académie royale des sciences in Paris (1665) oder die Akademien in Berlin (1701), Sankt Petersburg (1724) sowie Stockholm (1739). Diese landesfürstlichen Prestigeobjekte unterschieden sich, was ihre finanzielle Ausstattung und den Ruf der Akademiker anbelangte, beträchtlich von den älteren kleinen meist privaten Ursprungs. Sie achteten streng auf Wissenschaftlichkeit. Weiterhin kam es im 18. Jahrhundert zu einer förmlichen Gründungswelle von Agrarakademien, die sich dem Fortschritt in der Landwirtschaft verschrieben hatten. Es galt, eine rasch wachsende Bevölkerung vor Erntekrisen und Hungerkatastrophen zu bewahren. 1753 gingen die Accademia dei Georgofili in Florenz und die im selben Jahr stattfindende Gründung in Palermo voran, 40 weitere Agrargesellschaften sollten ihnen folgen. Aber nicht nur eine Spezialisierung für Fragen der Agrarwirtschaft lässt sich nachweisen, sondern auch eine für archäologische Forschungen. In Neapel rief der König 1755 die Reale Accademia Ercolanese ins Leben, um die zahlreichen Ausgrabungsfunde von Herculaneum auszuwerten und einer europäischen elitären Öffentlichkeit zu präsentieren. Die von den Akademiemitgliedern publizierten Prachtbände mit den Ausgrabungsergebnissen verschenkte er über Diplomaten an europäische Fürsten. Die wichtigsten italienischen Akademien standen über Korrespondentennetzwerke und Ehrenmitgliedschaften in Verbindung mit den großen Akademien in London, Sankt Petersburg, Stockholm und Paris. Bei der Pariser Académie royale des sciences stellten die Italiener die meisten ausländischen Korrespondenten. Die Publikationen der italienischen Wissenschaftler erfuhren so schneller und effizienter Verbreitung.

Zielten die Akademien nicht direkt auf Gemeinnützigkeit ab, so verfolgten sie doch naturwissenschaftliche und kulturelle Interessen wie die französischen Sociétés savantes (Gelehrtengesellschaften). Gemeinsam war ihnen im 18. Jahrhundert der Glaube an die Aufklärung und den Fortschritt, den sie mit den Mitgliedern der zahlreichen Freimaurerlogen teilten. Sie sind zu den frühesten standesübergreifenden Gesellschaften zu zählen. Die ersten Großlogengründungen dieser international vernetzten Bewegung fanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland statt. In ihnen versammelten sich Adlige und Bürger, allen voran Diplomaten, Offiziere, Kaufleute, Intellektuelle und vereinzelt hochrangige Kleriker. Nach ihren mystischen Sitzungen, deren Ritual von den mittelalterlichen Bauhütten und der Tradition des Templerordens abgeleitet wurde, trafen sich die Logenbrüder zur Diskussion. Im Vordergrund des weitgehend antiständisch-egalitär geprägten Zusammenseins stand das Ideal einer humanitären Ethik, wobei Wahrheits- und Nächstenliebe, Toleranz und Selbstkritik zur vollkommenen Bildung des Einzelnen führen sollten. Zu einer Welle sehr früher Logengründungen kam es in Neapel, Florenz und Venedig in der ersten Jahrhunderthälfte, worauf die Kirche mit Exkommunikationen und Verurteilungen reagierte. Freimaurer wurden verhaftet und gefoltert. Im milderen Klima des letzten Jahrhundertdrittels setzte eine zweite Gründungswelle ein und es entstanden neue Logen unter anderem in Livorno, Turin, Genua, Mailand, Neapel und sogar in Rom. Eine entscheidende Rolle spielten bei den (Gründungs-) Aktivitäten europaerfahrene Diplomaten, Kaufleute und Militärs sowie die zahllosen Adligen, die während ihrer Grand Tour Italien bereisten. Es gehörte für den europäischen Adel zum guten Ton und zur Ausbildung, eine Kavalierstour zu unternehmen, die sie zunächst nach Paris und dann nach Italien führte. Einerseits lernten sie so die Welt der Höfe kennen, andererseits ging es um kulturelle Erziehung. Gerade in Italien genossen die vermögenden Eliten reichlich Anschauungsmaterial, um ihre ästhetische Erziehung und Kunstkennerschaft voranzutreiben. Abends fanden sie Aufnahme in die elitäre städtische Geselligkeit der Logen und Salons.

Natürlich standen die Logen unter scharfer Beobachtung der Polizei. Wenn sich Eliten in größerer Zahl regelmäßig trafen und über Toleranz, Gleichheit, Geist und Humanität diskutierten, reagierten die Herrschenden alarmiert. Nicht zuletzt wurden die Logen auch genutzt, um politische Seilschaften zu bilden. Die 1768 in Turin etablierte Loge war der Treffpunkt der Offiziere. Der Erbprinz, Viktor Amadeus III. (1726–1796), war dort Mitglied, und der Thronfolger instrumentalisierte die Loge Mystérieuse als eine Art Parallelhof, um gegen seinen alten Vater (Karl Emanuel III., 1701–1773) und dessen mächtigen Minister Giambattista Lorenzo Bogino Stimmung zu machen. Diese wie andere Logen entwickelten sich zum ersten Treffpunkt der aristokratischen Gesellschaft, wo die versammelten „Brüder“ Prestige erwerben und Netzwerke jenseits der starken Familienstrukturen aufbauen konnten.

Europaweit wurde über das Schicksal der Freimaurerei in Neapel diskutiert, wo die junge Königin Maria Karolina ihr Engagement für die Loge einsetzte, um sich vom übermächtigen Einfluss ihres Schwiegervaters Carlo von Spanien und seinem verlängerten Arm, dem Minister Marchese Bernardo Tanucci zu befreien. Ihr Vater, Franz Stephan, ein entschiedener Anhänger der Freimaurerei, war der erste Regent, der einer Loge angehörte und die Erziehung seiner Söhne einem Logenmeister anvertraute. Im süditalienischen Königreich war die Freimaurerei hingegen verboten. 1773 unterstützte die Königin den kaiserlichen Botschafter Josef Wilczek und neapolitanische Adlige dabei, eine große nationale Loge mit dem sprechenden Namen lo Zelo (der Eifer) zu gründen. Zu den Mitgliedern zählte unter anderem Gaetano Filangieri. Als zwei Jahre nach der Gründung bekannt wurde, dass sich junge Kadetten aus dem königlichen Regiment der Loge angeschlossen hatten, beeinflussten der spanische König und Tanucci Ferdinand IV. massiv dahingehend, die Freimaurerei abermals zu verbieten. Es kam zur öffentlich inszenierten Verhaftung von Logenmitgliedern vor den Toren der Stadt auf Capodimonte und zu einem Prozess, der europaweites Echo fand. Den Logenbrüdern wurde Majestätsbeleidigung vorgeworfen, was bei einer Verurteilung zur Todesstrafe führen konnte. Das Verfahren wurde zu einem zähen Machtkampf, denn die Freimaurer waren bestens vernetzt und nutzten ihre internationalen Kontakte, um öffentlich Druck aufzubauen. Schließlich wurde der Prozess eingestellt und die Logenbrüder kamen frei. Maria Karolina wurde als Heroin der Freimaurer gefeiert und der Überfall auf Capodimonte und seine Folgen grub sich bei den Aufklärern in das historische Gedächtnis als Sieg der Vernunft gegenüber Intoleranz und Willkürherrschaft ein.

Die Anhänger der Aufklärung nutzten aber nicht nur Akademien und Logen zum Gedankenaustausch. Sie trafen sich auch in den zahlreichen städtischen Salons und Cafés, wo sie bespitzelt wurden. Die Zirkulation von Ideen erfolgte über eine blühende Briefkultur und vor allem über Printmedien. Für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts ist ein enormer Anstieg von Druckerzeugnissen zu verzeichnen. Die Buchproduktion lag zu Beginn des Jahrhunderts bei 45.000 Bänden und stieg gegen dessen Ende auf 60.000 Werke an. In Neapel waren doppelt so viele Bücher zu kaufen wie hundert Jahre zuvor. Venedig konnte seinen traditionellen Ruf als europäische Hauptstadt des Buchdrucks noch behaupten. Während in anderen italienischen Städten häufig für den lokalen und regionalen Gebrauch produziert wurde, gingen in der Serenissima 60–80 Prozent der Produkte in den Export. Beliefert wurden von Venedig aus Spanien, der süddeutsche Raum, Wien, der Balkan, Griechenland und alle italienischen Staaten. Doch der Zenit der patrizischen Betriebe war überschritten und in den anderen italienischen Staaten war ein sprunghafter Anstieg von Druckereien zu verzeichnen. Wie in Venedig war es vornehmlich patrizisches oder adliges Kapital, das in diesen expandierenden Markt floss. Diese Eigentumsverhältnisse schützten bis zu einem gewissen Grad vor staatlicher Verfolgung. Abgesehen von Venedig dominierten französische Händler aus der Dauphiné den Buchhandel. Sie waren in den wichtigsten italienischen Städten vertreten, wobei sie über Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen den transnationalen Handel im westlichen Mittelmeer organisierten. Importiert wurde vor allem französische Literatur.

Waren die zahllosen, eher risikoscheuen Drucker und Verleger meist Kleinunternehmer mit ein oder zwei Pressen und lange von den Aufträgen des Staats, des Adels und der Kirche abhängig, so entwickelte sich Ende des 18. Jahrhunderts ein neuer, politischerer Typ von Druckern und Verlegern, der in der französischen Zeit in höhere Positionen aufstieg. Zensur und Überwachung waren an der Tagesordnung und die katholische Kirche setzte die Werke der französischen und italienischen Aufklärung regelmäßig auf den Index. In der Toskana herrschte noch die größte Freiheit im Verlagswesen. Aber letztendlich ließ sich die Zirkulation von Büchern, erlaubten und verbotenen, nicht verhindern, allenfalls behindern oder verzögern. Die italienischen Eliten besaßen Ende des 18. Jahrhunderts hervorragend sortierte Bibliotheken, in denen die Hauptwerke der europäischen Aufklärung selbstverständlich ihren Platz einnahmen.

2. Italien unter französischer Herrschaft 1789–1814

Die Auswirkungen der großen Revolution, die Frankreich in seinen Grundfesten erschütterten, waren auch in weiten Teilen Italiens zu spüren. Die Herrschenden schauten gebannt und mit zunehmendem Entsetzen auf die politische Entwicklung im Nachbarland, vor allem als sich die Revolution seit dem Sommer 1792 immer mehr radikalisierte. Sie reagierten mit dem Abbruch der Reformpolitik und (wiederum) verstärktem obrigkeitlichem Druck. Die vormals geförderten Logen mussten schließen, die Zensur wurde verschärft, die politisch Verdächtigen wurden engmaschiger überwacht und eingesperrt. Zahlreiche Anhänger der Revolution flohen nach Frankreich. Maria Karolina in Neapel und Maria Amalia in Parma mussten ohnmächtig hinnehmen, dass ihre Schwester Marie Antoinette auf dem Schafott starb. Dieser und zahllose weitere Morde an französischen Adligen machten nicht nur sie zu erbitterten, auf Rache sinnenden Revolutionsfeindinnen. Darüber hinaus flohen bereits im Sommer 1789 die Brüder des französischen Königs, tausende Adlige, Offiziere und Priester nach dem Sturm auf die Bastille und den Plünderungen der französischen Schlösser in benachbarte Länder, unter anderem in das Königreich Sardinien-Piemont. Dort in Turin agitierten sie gegen die revolutionäre Regierung.

Die bäuerlichen Unterschichten blickten wiederum mit großen Hoffnungen nach Frankreich. Sie wünschten sich, die drückenden Belastungen von Pacht und Steuern abschütteln zu können. Zwar hatte es schon zuvor bäuerliche Erhebungen gegeben, aber durch die schlagartige Abschaffung der Feudalrechte im August 1789 in Paris erhielten ihre Forderungen neuen Auftrieb. Der revolutionäre Funke übersprang die Grenze und 1792 kam es zu antifeudalen Massenprotesten in Piemont, 1793 dann auch im weit entfernten Süditalien. Desgleichen begrüßten einzelne Intellektuelle die liberalen Errungenschaften der Revolution, doch die Mehrheit blieb vorsichtig. Die aufklärerischen Eliten begegneten als Anhänger eines Reformweges der Entwicklung im Nachbarland mit Skepsis und jenen großen revolutionären Ereignissen, die man als Journées bezeichnet, mit ostentativer Ablehnung: etwa dem Sturm auf die Bastille, dem Zug der Marktweiber nach Versailles oder überhaupt jeglichen Protesten der Volksmassen. Nach dem Tod des Königs befürchteten sie nicht umsonst eine weitere politische Radikalisierung.

2.1 Jakobinische Politisierung (1789–1796)

Vergleichsweise klein war die Zahl der italienischen Jakobiner, jenen Anhängern einer radikalen Revolution, die für ihre Ziele auf italienischem Boden kämpften. Ihre berühmteste Gallionsfigur war zweifelsohne Filippo Buonarroti (1761–1837), ein Nachfahre von Michelangelo Buonarroti. Als Sohn einer toskanischen Patrizierfamilie, die enge Beziehungen zum Großherzog der Toskana pflegte, wurde Filippo 1773 Page am Hof. Er studierte Jura in Pisa und entwickelte sich zu einem glühenden Anhänger Jean-Jacques Rousseaus und seiner Ideen vom Gesellschaftsvertrag. Wie andere Patrizier investierte er in den aufblühenden Buchhandel und betätigte sich darüber hinaus als Journalist. Seine Verbreitung revolutionären Gedankenguts führte zu staatlicher Verfolgung, der sich Buonarroti 1789 durch Flucht nach Korsika entzog. Hier setzte er seine publizistische Tätigkeit fort und gab den L’amico della libertà italiana und das Journal patriotique de Corse heraus. Seine radikale revolutionäre Gesinnung dürfte ihn 1792 für den Posten eines Kommissars des Distrikts Corte empfohlen haben. Diesen Kommissaren oblag die Überwachung der politischen Gesinnungen in der radikalen Phase der Revolution. Buonarroti erwarb die französische Staatsbürgerschaft und bekämpfte 1793 die Gegenrevolutionäre Korsikas. Als hervorragenden italienischen Vorkämpfer der jakobinischen Prinzipien schickte man ihn als Revolutionsagenten in seine alte Heimat. Im April 1794 wurde er zum Kommissar der Republik von Oneglia ernannt, die er bis zum 12. Mai 1795 regierte. Diese kleine ligurische Küstenstadt war im Zuge des ersten Koalitionskrieges von Frankreich erobert worden. Oneglia entwickelte sich kurzfristig zum Laboratorium der jakobinischen Reformen und wurde zum Hauptquartier der italienischen Revolutionäre, organisiert nach den Prinzipien einer Republik mit Gütergemeinschaft, unterstützt von den Bauern des Umlandes. Nach dem Ende der Terrorherrschaft wurde Buonarroti vom gemäßigten Direktorium wiederum für seine Ideen einer sozialen Revolution verfolgt. Das von ihm propagierte Konzept einer Mischung aus revolutionärem Patriotismus, utopischem Kommunismus und radikalem Republikanismus war nicht mehr erwünscht. Konnte die kleine patriotische Jakobinerbewegung in diesen Jahren nur wenig ausrichten – auch in den anderen italienischen Städten, etwa in Turin, Bologna, Neapel, Palermo und Rom, wurden alle politischen Aufstandsbewegungen gleich im Keim erstickt –, so bewirkte sie doch langfristig viel für die politischen Diskurse und Bewegungen im 19. Jahrhundert. Von diesen Patrioten, so bezeichneten sich die italienischen Jakobiner selbst, wurde zum ersten Mal die Forderung artikuliert, die Halbinsel in einen Nationalstaat zu verwandeln.

Das Experiment von Oneglia war nur während der kurzen Phase der französischen Jakobinerherrschaft möglich gewesen. Die italienischen Radikalen erhofften sich von weiteren militärischen Interventionen Frankreichs die Befreiung vom „Joch der Tyrannen“. Buonarroti versuchte nach dem Ende der Republik von Oneglia mit allen Mitteln, die Direktoren in Paris zum Eingreifen in Italien zu bringen. Die nun folgenden weiteren Kriegshandlungen brachten dann tatsächlich ganz Italien sukzessive unter die französische Herrschaft, mit Ausnahme Siziliens und Sardiniens, die von den Briten geschützt wurden. Dabei importierten die Soldaten und Offiziere ebenso revolutionäres Gedankengut wie auch Publikationen. Ihre Verheißungen von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ sowie „Krieg den Palästen und Friede den Hütten“ blieben unerfüllt, denn im Prinzip handelte es sich um machtstrategische Eroberungskriege, in deren Folge es zwar zu grundlegenden Reformen und Modernisierungsmaßnahmen kam, jedoch nicht im Sinne der Jakobiner, sondern der liberalen Notabeln.

Die italienischen Fürsten beteiligten sich mehrfach an den europäischen Koalitionen gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich, um sich vor einer weiteren Expansion des mächtigen Nachbarn zu schützen. Doch vergeblich, den Verlust ihrer Herrschaft konnten sie nicht aufhalten. Betroffen war zunächst Piemont, das sich Österreich, Preußen und Großbritannien im ersten Koalitionskrieg angeschlossen hatte. Bereits 1792/93 fielen die Revolutionstruppen in das Land ein und annektierten Savoyen und Nizza, wobei sie sich auf das Prinzip der natürlichen Grenzen beriefen. 1795 war Preußen aus dieser ersten Koalition ausgeschieden, Großbritannien und Österreich waren jedoch entschlossen, den Krieg fortzuführen. Habsburg erhoffte sich eine weitere Machtausdehnung in Italien. Frankreich reagierte darauf mit dem großen Kriegsplan von Lazare Carnot, der als einer der fünf Direktoren für militärische Angelegenheiten verantwortlich war. Die französischen Armeen sollten sowohl vom Rhein über Franken und Bayern als auch durch Oberitalien nach Österreich marschieren, um es so niederzuwerfen. Das Kommando für die Italienarmee wurde im März 1796 dem erst 27-jährigen Napoleon Bonaparte übertragen. Er nutzte diese Chance, um sein außerordentliches taktisches Talent zu zeigen und seinen Ruhm als Feldherr zu etablieren. Das in diesen Feldzügen erworbene Prestige schuf die Basis für seine zukünftige eigenständige Politik, denn seine Erfolge machten ihn zu einer der tonangebenden Persönlichkeiten Frankreichs. Direktiven der Regierung ignorierte er mehrfach, indem er unbefugt diplomatische Verhandlungen führte oder Kampfhandlungen ohne entsprechende Anweisungen weitertrieb. Bereits im April musste König Viktor Amadeus III. einen Waffenstillstand akzeptieren, der Bonaparte Piemont als Aufmarschgebiet überließ und die Abtretung von Nizza und Savoyen bestätigte. Völlig überraschend wurden die Österreicher in der legendären Schlacht von Lodi am 10. Mai 1796 von den Franzosen geschlagen. Die Mailänder bejubelten Bonaparte als Befreier bei seinem Einzug in die Stadt. Die Toskana erklärte ihre Neutralität und blieb zunächst unberührt vom Krieg. Im Juni 1796 drangen die französischen Truppen weiter nach Süden in den Kirchenstaat vor, eroberten zudem die Herzogtümer Parma-Piacenza und Modena sowie die zum Kirchenstaat gehörende Emilia Romagna. Am Ende des Jahres 1796 schaffte es Bonaparte an der Spitze einer erschöpften Armee, eine drohende Niederlage in einen Sieg zu verwandeln, indem er die Nachhut der österreichischen Armee auf der Brücke von Arcole schlug. Diese Episode wurde verewigt im berühmten Gemälde von Antoine Gros, der mit dieser ikonischen Darstellung dazu beitrug, Bonapartes Ruf als genialer Stratege zu mehren. Bis zum Februar 1797 besiegte Bonaparte die Österreicher bei Mantua und Trento. Nachdem der General im selben Monat große Teile der Terra ferma, des Festlands Venedigs okkupiert hatte, erzwang er das Ende der Adelsrepublik. Der letzte Doge, Ludovico Manin, musste abdanken. Die italienische Kampagne hatte ihr militärisches Ziel erreicht: Österreich war aus der Lombardei vertrieben worden und befand sich in einer diplomatisch schwachen Position.

2.2 Die Zeit der Schwesterrepubliken – das Trienno (1797–1799)

Mit Trienno bezeichnet man in der italienischen Geschichtsschreibung die Jahre 1797–1799. Gekennzeichnet waren sie zum einen von wegweisenden liberalen Reformen im Justizwesen und in der Verwaltung, zum anderen von Besatzungskosten, steigenden Steuern und Lebensmittelpreisen. Die militärischen Eroberungen wurden mit diplomatischen Verträgen abgesichert. Im Februar 1797 musste der Papst im Frieden von Tolentino die Emilia Romagna abtreten. Die zu zahlenden hohen Kontributionen in Höhe von 15 Millionen Francs verschärften die ohnehin bestehenden ökonomischen Probleme im Kirchenstaat. Schon vor der Annexion hatten liberale Patrizier dort im Dezember 1796 die Cispadanische Republik gegründet, zu der Reggio Emilia, Modena, Bologna und Ferrara gehörten. Mit dem Frieden von Campo Formio im Oktober 1797 sanktionierte Österreich die weiteren französischen Eroberungen in Norditalien. Es verzichtete auf die Lombardei, dafür erhielt es Venedig, Dalmatien und Istrien. Die Jakobiner reagierten enttäuscht, hatten sie doch gehofft, dass auch diese Gebiete der neuen Republik angeschlossen würden. Weiterhin stimmte Kaiser Franz II. der erzwungenen Umformung der oligarchischen Adelsrepublik Genua in die Ligurische Republik zu. In der Lombardei war zuvor die Cisalpinische Republik entstanden, in die nach dem Frieden von Campo Formio die Cispadanische Republik integriert wurde. Diese vergrößerte „Cisalpina“ mit Mailand als Hauptstadt wurde als souveräner und formell unabhängiger Staat zum Zufluchtsort für Demokraten und moderate Liberale aus Süd- und Mittelitalien. Mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern, die zuvor in sechs verschiedenen Staaten gelebt hatten, stellte dieser neue oberitalienische Staat einen erheblichen Fortschritt für die Anhänger eines Nationalstaates dar. Bonaparte kehrte nach Paris zurück, und nur zehn Tage nach dem Frieden von Campo Formio wurde ihm das Kommando der Armée d’Angleterre übertragen, um nun den stärksten Feind Frankreichs niederzuwerfen. Er konzentrierte sich dabei auf die Auseinandersetzungen mit den Briten um die Macht im Mittelmeer, da er einen direkten Angriff auf Großbritannien wegen des schlechten Zustands der französischen Flotte für wenig vielversprechend hielt. Sein Ziel war es, die Briten in Ägypten zu bekämpfen.

In Italien breitete sich derweil der Machtbereich der Franzosen immer weiter aus. Nur zwei Monate nach dem Frieden von Campo Formio kam es in Rom erneut zu Unruhen. Am 28. Dezember protestierten Patrioten vor der französischen Botschaft, dem Palazzo Corsini an der Via Lungara. Die päpstlichen Soldaten griffen ein und im Tumult wurde der französische Botschaftsrat General Duphot getötet. Dieser und weitere von den Patrioten orchestrierte Aufstandsversuche gaben den Vorwand einzugreifen. Louis-Alexandre Berthier (1753–1815), der von Bonaparte den Oberbefehl über die Truppen übernommen hatte, marschierte nach Rom und nahm die Stadt am 10. Februar 1798 ein. Am 28. Februar wurde auf dem Forum das Ende der weltlichen Herrschaft des Papstes und der Römischen Republik verkündet, inszeniert als souveräner Akt des Volkes. Die Beteiligung an diesem revolutionären Akt wird auf maximal 500–700 Personen geschätzt. Berthier schrieb selbst in seiner privaten Korrespondenz, dass er in der Stadt nur auf Fassungslosigkeit und keinerlei patriotischen Elan gestoßen sei.1 Der Papst, Pius VI. (Giovanni Angelo Braschi), weigerte sich, auf seine weltliche Herrschaft zu verzichten, woraufhin er verhaftet und nach Frankreich verbracht wurde. Dort starb er, fast 82-jährig, am 20. August 1799. Die tausendjährige Herrschaft der Päpste über Rom und den Kirchenstaat fand so ein vorläufiges Ende. Die Wahl des neuen Papstes Pius VII. musste im habsburgischen Venedig durchgeführt werden.

In Neapel nutzte die Regierung das vermeintliche Machtvakuum nach Bonapartes Abreise für neue Kriegshandlungen. Angestachelt von Königin Maria Karolina und Lord Acton, befahl Ferdinand IV. seinen Truppen, Richtung Norden zu ziehen. Sie gelangten bis Rom, wo sie von General Championnet nicht nur energisch zurückgeworfen wurden, sondern im Gegenzug eroberte dieser auch noch Süditalien und zwang das Königspaar zur Flucht nach Sizilien. In Neapel riefen die Patrioten im Januar 1799 daraufhin die Republik aus. Zwei Monate später erfolgte die französische Invasion in der Toskana. Da der piemontesische König schon im Dezember 1798 zur Abdankung gezwungen worden war, floh auch er auf seine Insel, nämlich nach Sardinien. So beherrschten die Franzosen im Frühjahr 1799 das gesamte italienische Festland mit Ausnahme Venedigs. Enttäuscht und resigniert mussten die Jakobiner zusehen, wie Piemont einfach von Frankreich annektiert und in französische Departements aufgeteilt wurde.

Die Politik der Jahre 1796–1799 kennzeichnet ein janusköpfiger Charakter. Die französischen Generäle verhandelten als Repräsentanten der Grande Nation mit Jakobinern und Liberalen vor Ort gemäß den Anordnungen des Direktoriums, das wiederum parallel mit den noch amtierenden Monarchen Verträge abschloss. Zugleich agierte Bonaparte als Repräsentant der Revolution, der die Schwesterrepubliken entstehen ließ, und führte eigenmächtig seine Generäle zu immer neuen Feldzügen, um das französische Revolutionsmodell zu verbreiten. Bei allen „Schwester“-Republiken handelte es sich um Gebilde, in die einerseits massiv von Paris aus hineinregiert wurde, in denen die liberalen italienischen Eliten aber andererseits bereitwillig die ihnen gebotenen Chancen zur politischen Partizipation ergriffen, die für sie vor dem Einmarsch der französischen Truppen nicht bestanden hatten und die ihnen nach dem Wiener Kongress wieder genommen wurden. Die örtlichen Notabeln propagierten formal eigenständige Republiken. Der Zeit dieses Triennio (der drei Jahre von 1796–1799) wird von der italienischen Forschung nicht zufällig große Bedeutung zugemessen: Für viele Historiker setzt mit diesen Jahr der Beginn der modernen Geschichte Italiens ein. Das Triennio wird bewertet als epochale Phase eigenständiger politischer Projekte und relativer Unabhängigkeit. Nach rund dreihundert Jahren „Fremdherrschaft“ hatten die italienischen Eliten zum ersten Mal wieder die Möglichkeit, selbst zu regieren, wenn auch in Abhängigkeit von Frankreich. Während dieser drei ephemeren und transitorischen Jahre wurden grundlegende politische und rechtliche Innovationen eingeführt, die nachhaltig Wirkung entfalteten, unabhängig von den politischen Regimen, die sich in den nächsten Jahrzehnten ablösten.

Bonaparte kooperierte mit den italienischen Liberalen und besetzte wichtige Posten aus dieser Gruppe, wohingegen er die Jakobiner nur in der Übergangsphase nach den militärischen Eroberungen benutzte, um sie nach der Machtkonsolidierung systematisch aus allen Ämtern zurückzudrängen. Während der drei Jahre ihrer Existenz boten diese Republiken, bei allen regionalen Unterschieden, gemeinsame Grundzüge. Alle, mit Ausnahme Neapels, orientierten sich am Modell der französischen Verfassung von 1795, sie führten Rechtsgleichheit, Steuerreformen und Verwaltungsmodernisierungen ein. Die Republik im Süden wurde autonom von einer Gruppe demokratischer Patrioten geschaffen, deren führender Kopf der Philosoph und Jurist Mario Pagano (1748–1799) war. Er arbeitete eine Verfassung nach dem Modell der Französischen Republik von 1793 aus.

Von diesem Einzelfall abgesehen ist festzuhalten, dass sich die Politik auf dem Apennin, wo Frankreich direkt oder indirekt herrschte, immer nach den Pariser Direktiven ausrichtete. Die italienischen Verfassungen von 1797 garantierten konsequente Gewaltenteilung und bürgerliche Freiheiten. Wie in Paris lag die Exekutive in der Hand eines fünfköpfigen Direktoriums. Über die Legislative entschieden zwei Kammern, ein Rat der Ältesten und ein Generalrat, die wiederum das Direktorium besetzten. Gewählt wurden die Deputierten auf der Basis des Zensuswahlrechts, was die Jakobiner naturgemäß enttäuschte, da dieser Modus die Bevorzugung der Notabeln implizierte. Die ersten Gesetze der neu etablierten Gremien schafften alle ständischen Privilegien ab. Alle Bewohner waren fortan rechtlich gleichgestellte Bürger. Diese moderne Staatsbürgerschaft war verbunden mit Gedanken-, Religions-, Presse- und Assoziationsfreiheit. Von grundlegender Bedeutung war die Neuorganisation des Justiz- und Verwaltungswesens: Sie umfasste die Übernahme der französischen Gerichtsordnung, öffentliche und mündliche Verfahren sowie die Gleichheit aller vor Gericht. Der Adel verlor nicht nur seine Titel und seine Wappen, sondern auch die Patrimonialgerichtsbarkeit und damit viel von seiner Macht auf dem Land. Weiterhin wurde die Verwaltung modernisiert und zentralisiert. Wie in Frankreich wurde die neue Republik in etwa gleichgroße Departements und Distrikte unterteilt, benannt jeweils nach naturräumlichen Gegebenheiten wie Flüssen, Bergen oder dem Meer. Mit dieser Namensgebung wollte man mit den traditionellen territorialen Bezeichnungen und damit verbundenen Erinnerungen brechen. Jedes Departement wurde von einem fünfköpfigen Rat regiert, Friedensrichter und Verwaltungsbeamte wurden gewählt. Obwohl die Verfassung auch die Wahl der Verwalter an der Departementsspitze vorsah, wurden diese einfach von Bonaparte eingesetzt. Ohnehin hatten die obersten Militärs vor Ort die letzte Entscheidungsgewalt während der Republiken. Als problematisch erwies sich die Übernahme des Modells der französischen Kirchenpolitik. Die Einführung von Zivilstandsregistern, der Zivilehe und der Möglichkeit einer Scheidung fanden zwar Akzeptanz und bedeuteten bereits einen massiven Einflussverlust der Kirche. Aber wie weit sollten die Trennung von Kirche und Staat und die Religionsfreiheit gehen? Darüber wurden endlose Debatten geführt. So wurde in der Ligurischen und Cisalpinischen Republik zum Beispiel beschlossen, den Katholizismus als Staatsreligion beizubehalten.

Zunächst herrschte Euphorie bei den involvierten politischen Akteuren. In offiziellen Reden priesen sie die Generosität der Mutterrepublik und feierten den Genius Bonapartes. Als Vorbild diente ihnen die Trikolore, sie wurde mit den Farben Grün, Weiß und Rot in der Cisalpinischen Republik eingeführt und später zur Flagge der nationalen Bewegung und des italienischen Nationalstaats. Weiterhin übernahm man Amtsbezeichnungen und Symbole aus Frankreich. Da sich die neuen Bezeichnungen an der von den Revolutionären glorifizierten Römischen Republik der Antike orientierten, fanden sie in Italien rasch Akzeptanz. Häufig wird die Cisalpina als jakobinische Republik bezeichnet, doch es reicht ein Blick auf die Hauptakteure in Mailand, um zu begreifen, dass dort in Wirklichkeit liberale Politiker dominierten. Wie in Paris war das Direktorium von Regierungskrisen, Personenwechseln und Kurzlebigkeit gekennzeichnet. Zwischen Juni 1797 und April 1799 lösten sich drei Direktorien nacheinander ab. Alles in allem besetzten 16 Männer diese fünf Posten. Ausnahmslos entstammten sie der adlig-bürgerlichen Elite Oberitaliens, ein Drittel den reichen Patrizierfamilien Mailands, Bergamos oder Bolognas, die übrigen zwei Drittel waren in Kaufmanns- oder Juristenkreisen sozialisiert worden. Es handelte sich auch nicht um hitzköpfige junge Politiker, sondern um reife Männer im Alter zwischen 35 und 60 Jahren. Viele von ihnen hatten Rechtswissenschaften studiert. Radikale Jakobiner sucht man in ihren Reihen vergebens. Die sogenannten jakobinischen Konstitutionen Italiens waren wie ihr französisches Vorbild aus dem Jahr 1795 gekennzeichnet von einer Kehrtwende hin zu den Notabeln und einer Abwendung vom Volk aufgrund der schockierenden Erfahrungen des Terrors Robespierres.

Aber nicht nur in der Cisalpina, schon zuvor in der Cispadanischen Republik sowie in Neapel waren es vor allem junge Aristokraten, die bereit zu sein schienen, auf ihre privilegierten Karrierechancen und feudale Rechte im Süden zu verzichten. Dafür partizipierten sie nun maßgeblich an der Macht, die ihnen geboten wurde durch die Konstitutionen und die neuen politischen Gremien, deren Deputierte über einen hohen Zensus gewählt wurden. Auf dieser konstitutionellen Basis war es in Lucca und Genua möglich, dass die Transformation einer aristokratischen in eine demokratischere Republik vom Adel angenommen wurde. Die französischen Innovationen wurden nicht als umstürzend wahrgenommen, weil die alten dominierenden Gruppen nur durchmischt wurden. Es kam eben nicht zum Untergang des Patriziats, sondern erzkonservative Politiker wurden von jüngeren Liberalen abgelöst, die aus denselben Familien stammten. Die politischen Subjekte der republikanischen Verfassungen waren die Besitzenden.

Großer Beliebtheit erfreuten sich die Schwesterrepubliken in weiten Kreisen Italiens nicht. Als problematisch erwies es sich, dass, obwohl formal staatliche Souveränität auf dem Papier stand, weiterhin hohe Steuern und Kontributionen nach Paris abzuführen waren. Hinzu kamen die ständigen Forderungen der Armee vor Ort. Die Schwesterrepubliken mussten ihren Beitrag für die Kriege leisten. Für die Italiener bedeuteten diese ständigen Kriegszüge extreme Belastungen, die Offiziere, die Truppen und ihre Pferde mussten versorgt werden und es galt, die hohen Kontributionen zu zahlen. Wie viel Geld aus den besetzten Gebieten nach Frankreich geflossen ist, bleibt schwierig zu messen, das gesamte Ausmaß ist nicht bekannt. Während der italienischen Kampagne kam es überall zu Requirierungen von Geld und Palästen. Darüber hinaus hat die französische Armee in allen eroberten Gebieten sofort gezielt Kunstraubaktionen durchgeführt. Nun war Beutekunst nichts Neues, neu aber war, dass man bei den entwendeten Objekten gezielt gemäß ästhetischen Theorien und Leitlinien der modernen Kunstwelt vorging. Den Truppen folgte rasch eine Gruppe von Kommissaren, die im Auftrag des Direktoriums Kunstgegenstände, Bücher, archäologisches Fundgut und vieles andere mehr für die große Nation sichern sollte. Es wurde nicht wahllos alles Wertvolle abtransportiert, sondern gezielt Stücke ausgewählt, um in Paris eine möglichst vollständige Sammlung geschätzter Meisterwerke zu präsentieren. Ideologisch wurde diese umfangreiche Verlagerung von Kulturgütern mit dem universellen Anspruch der Revolution gerechtfertigt; sie war Teil der offiziellen Museumspolitik. Die Beschlagnahmungen in den europäischen Nachbarländern, zunächst im heutigen Belgien, in Luxemburg und den Rheinlanden und ab 1796 in Italien, wo die Ausbeute aufgrund des exzeptionellen kulturellen Erbes aus Renaissance und Barock besonders üppig ausfiel, stützte sich auf die kühne Rechtfertigung, wonach die Werke der Kunst und Wissenschaft ein Produkt der Freiheit seien und ergo den Tyrannen entrissen werden müssten, um dann im Land der Liberté – also in Frankreich – eine adäquate Heimstätte zu finden. Sie sollten in Paris die nationale Erziehung fördern, indem neu gegründete Institutionen wie die Bibliothèque nationale und das Kunstmuseum im Louvre mit besonders wertvollen Exponaten ausgestattet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Paris stilisierte man somit zur europäischen Kulturhauptstadt. Die Beutestücke aus Italien wurden in aufwendig inszenierten Triumphzügen in die Hauptstadt überführt. Zu bewundern waren im Louvre fortan Raffaels „Schule von Athen“ aus der Mailänder Kunstsammlung der Ambrosiana, aus Bologna Guido Renis „Der Kindermord von Bethlehem“, aus Verona der vierteilige Hauptaltar der Kirche San Zeno von Andrea Mantegna und aus den Vatikanischen Museen die Laokoon-Gruppe, um nur einige herausragende Werke zu nennen. Darüber hinaus wurden vom Markusdom in Venedig die vier Bronzepferde der Quadriga des Westportals, die seit dem 13. Jahrhundert als Teil der Fassadengestaltung die Basilika schmückten, abmontiert und nach Paris verbracht.

Im Sommer 1799 brachen die jungen Republiken unter den Angriffen von zwei Seiten zusammen. Zum einen machte sich massiver konservativer und kirchlich aufgestachelter Widerstand breit, zum anderen nutzten die europäischen Mächte die Abwesenheit Bonapartes in Ägypten zu einer Neuauflage ihrer Koalition. Die Aufstände und die antifranzösische Stimmung gegen die Besatzer, mit einer starken religiösen Komponente, waren häufig vermischt mit Elementen einer populären Ablehnung der Repräsentanten des „Atheismus“. Hinzu kamen der Groll der unzufriedenen Bauern und städtische Unruhen gegen die Profiteure des neuen Regimes, die im großen Stil Ländereien kauften, die zuvor der Kirche gehört hatten und nun in den Republiken säkularisiert und versteigert worden waren. Aus dieser Gesamtlage resultierte ein weißer Terror, der mit demselben Elan Jakobiner, Patrioten und französische Soldaten denunzierte und die abgesetzten Herrscher und den in Gefangenschaft lebenden Papst bejubelte. Dessen Martyrium stand ohnehin symbolisch für alle Exzesse der neuen Zeit.

Die Gewalttaten wurden mit besonderer Schärfe in Kampanien, Kalabrien und in der inneren Toskana ausgeführt, wo sie die Form eines regelrechten Guerillakampfes annahmen. Im Mai 1799 überzog eine Armee von Pfarrern und fanatisierten Bauern aus der Umgebung von Arezzo, die sogenannte Armata aretina, mit dem Schlachtruf Viva Maria die östliche Toskana und Umbrien mit Terror. Nachdem sie Arezzo sowie Siena eingenommen hatten, drang sie im Juli in Florenz ein und verfolgte jeden unnachgiebig, der den Anschein eines frankophilen Patrioten hatte. In Piemont führten monarchische Offiziere die Bewegung Massa cristiana, eine vom Klerus beeinflusste Partisanengruppe, an. Zu den mit Abstand heftigsten Auseinandersetzungen kam es jedoch in Süditalien.

In Neapel war die politische Instrumentalisierung der Volksbewegung am offensichtlichsten. Der Kopf der Freischärler war der einer angesehenen kalabresischen Fürstenfamilie entstammende Fabrizio Ruffo di Baranello (1744–1827). Er hatte im Kirchenstaat Karriere gemacht. Im Gegensatz zu den meisten Männern an den Höfen von Rom und Neapel war Kardinal Ruffo kein Reaktionär, sondern ein Befürworter aufgeklärter Reformen. Er bot dem König im Exil die Wiedereroberung des Festlandes an. Im Februar 1799 zog er mit wenigen Mitstreitern los. Es handelte sich hierbei um ein konservatives, ähnlich abenteuerliches Unternehmen wie jener populärere Zug, den Garibaldi sechzig Jahre später von Palermo nach Neapel anführen sollte. Unterstützt von einem legendären Banditen namens Fra Diavolo mobilisierte Ruffo die Bauern in Kampanien und Kalabrien für seine königlich-christliche Armee. Die Zahl der Anhänger wuchs rasch, weil der Kardinal den bäuerlichen Unterschichten soziale Wohltaten versprach. Diese sogenannten Sanfedisten marschierten am 13. Juni 1799 in Neapel ein, unterstützt von Admiral Nelsons britischen Truppen, die angelandet waren. Ruffo zielte auf eine Stärkung der bourbonischen Monarchie und bot einen versöhnlichen Umgang mit den Republikanern nach dem Abzug der Franzosen an. Doch der Kardinal hatte die Rachsucht von Maria Karolina und Ferdinand unterschätzt; angefeuert von Nelson wollten sie die Patrioten vernichten. Ferdinand wartete Ruffos Sieg ab, kehrte mit seinen Höflingen nach Neapel zurück und ließ die Jakobiner und Patrioten von Sondergerichten aburteilen. Die Führer der Republik, die sich für eine moderne bürgerliche Gesellschaft engagiert hatten, wurden ermordet. Pietro Colletta (1775–1831), ein neapolitanischer Offizier, Zeitzeuge und liberaler Geschichtsschreiber, der selbst eingekerkert wurde, hat in seiner Geschichte des Königreichs Neapel rückblickend festgehalten: „Es starben die Bekanntesten des Königreichs, ungefähr 300, ohne die Toten in den Kämpfen oder in den Tumulten zu zählen; unter den Unglücklichen einige Caraffa, Riario, Colonna, Caracciolo, fünf Pignatelli und weitere zwanzig illustre Häuser. An ihrer Seite sieht man die berühmtesten Literaten und Wissenschaftler. […] Nie hat eine Stadt oder ein Königreich so reich an Talenten verarmen müssen aufgrund so vieler Toter.“2 Nirgendwo anders hatten sich so viele junge Adlige mit so viel Verve für eine Republik engagiert. Die Gefangennahme und Verurteilung von 534 Patrioten, von denen 119 hingerichtet wurden, unter ihnen intellektuelle Aristokratinnen und Aristokraten wie Eleonora Pimentel, Luisa Sanfelice und Ettore Caraffa, prägten die Erinnerung an Novantanove (99) bei den Zeitgenossen nachhaltig. Novantanove stand für die Hoffnungen und das Scheitern des revolutionären Milieus in Neapel. Die getöteten Patrioten wurden so zu frühen Märtyrern der demokratischen und liberalen Nationalstaatsbewegung.

Die Krone interpretierte die Republik Neapels hingegen als einen verwerflichen Versuch des Adels, gegen das absolutistische Regime zu agitieren, und war der festen Überzeugung, dass er nichts anderes verdiene, als dass seine Macht gebrochen würde. Der Besitz der involvierten Familien wurde sequestriert und die nun folgende Restauration führte zu einer kompletten Rückkehr zum alten Regierungssystem. Maria Karolina verfolgte sogar vorübergehend Pläne, den Feudalbesitz einzuziehen, um den Adel zu ruinieren. Dabei übersah sie aber, dass dies die Kirche in einem erheblichen Maße getroffen hätte. Sie besaß einen erheblichen Anteil am Feudalbesitz im Süden und auf ihre Unterstützung war der König zwingend angewiesen.

Die Franzosen hatten ihren politischen Verbündeten nicht helfen können. War Neapel noch vor dem Eintreffen der Truppen der zweiten Koalition gefallen, so führten deren militärische Siege in Nord- und Mittelitalien zum Zusammenbruch der Republiken. Die zweite Koalition, besiegelt zur Jahreswende 1798/99 von Großbritannien, Österreich, Russland, dem Osmanischen Reich, Portugal, Neapel und dem Kirchenstaat, hatte bald Erfolge aufzuweisen. In Italien eroberten österreichische und russische Truppen unter General Alexander Suworow verlorenes Terrain zurück. Die Franzosen mussten sich im April 1799 aus der Lombardei zurückziehen und die Regierung der Cisalpinischen Republik floh nach Frankreich. Im Mai standen die österreichisch-russischen Truppen schließlich in Turin und die Römische Republik fand im September 1799 ihr Ende. Nur André Masséna behauptete sich in Genua. Der Rückzug der Franzosen wurde in allen Territorien von massiven Repressionen gegenüber Patrioten begleitet, doch agierten die Herrschenden im Norden weniger erbarmungslos und klüger als in Neapel. Überall wurden die Republiken abgeschafft und die Institutionen des Ancien Régime wiedereingeführt.

Zur Jahrhundertwende wurde auch das Papsttum wiederhergestellt. Im österreichischen Venedig fand vom Dezember 1799 bis zum März 1800 das Konklave statt. Es standen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber, die auch fortan die kirchenpolitischen Diskussionen bestimmen sollten: zum einen die gemäßigten und liberalen Politicanti (die Politischen). Sie standen den politischen Veränderungen in Europa offener gegenüber. Zum anderen die Zelanti (die Eiferer), sie hofften auf eine vollständige Restauration des Ancien Régime. Gewählt wurde Kardinal Luigi Barnaba Graf Chiaramonti (1742–1823) als Pius VII., der den Gemäßigten zuneigte. Österreichische und neapolitanische Truppen geleiteten den neuen Papst nach Rom. Gegenüber den revolutionären Errungenschaften zeigte er sich offen, sofern sie nicht gegen katholische Grundsätze verstießen. Diesen moderaten Prinzipen entsprechend wählte er seinen Staatssekretär aus: Ercole Consalvi, der gemäß den Ideen der Aufklärung zu regieren versuchte. Das brachte selbstverständlich die den Kirchenstaat dominierenden Zelanti gegen ihn auf. Diese Konfliktkonstellation sollte das 19. Jahrhundert bestimmen. Die Majorität der hohen Würdenträger des Kirchenstaates war zu keinerlei Kompromiss bereit, sie lehnte liberale oder gar moderate Reformen apodiktisch ab.

Aber die monarchische Restauration (1799/1800) währte nur kurze Zeit. Österreich und Russland verfolgten völlig unterschiedliche Kriegsziele und die zweite Koalition zerbrach. In Wien konzentrierte man sich auf die Machtfestigung in Italien. Derweil verloren die russischen Truppen Schlachten in der Schweiz und machten dafür die mangelnde Unterstützung seitens des Bündnispartners verantwortlich. Der Zar zog seine Truppen zurück. Währenddessen war Bonaparte aus Ägypten nach Paris zurückgeeilt und durch den schlecht organisierten Staatsstreich vom 18. Brumaire VIII (9. November 1799) an die Macht gekommen. Das unfähige Direktorium ersetzte er durch ein dreiköpfiges Gremium aus Konsuln, das er selbst als Erster Konsul anführte. Ein Friedensangebot Napoleons lehnten Großbritannien und Österreich ab. London versuchte ein europäisches Gleichgewicht und seine Vormachtstellung im Mittelmeer durchzusetzen; Wien wollte die Bestimmungen des Friedenvertrages von Campo Formio nachverhandeln, um Italiens Landkarte neu zu ordnen.