Gespenster-Krimi 70 - Marlene Klein - E-Book

Gespenster-Krimi 70 E-Book

Marlene Klein

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Beschreibung

Franky-Boy fegte mit seinem kompletten Unterarm den Tisch im Hinterzimmer seines Etablissements leer. Sofort begann Gussy auf den Knien herumzukriechen und die Spielkarten aus den Kippen zu pulen.
Was für ein Speichellecker! Warum beschäftigte er ihn überhaupt?
Die Antwort war einfach: Er brauchte solche Typen, die ohne zu fragen alles für ihn taten. Außerdem waren die selten. Nein, Gussy musste noch ein wenig bleiben, bevor er einen Arschtritt bekam. Auf dem nun leeren, wenn auch nicht sauberen Tisch begann er nun aufzubauen, was er für seine wölfischen Freunde besorgt hatte ...


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Inhalt

Cover

Nacht der Entscheidung

(Teil 2 von 2)

Special

Vorschau

Impressum

Nacht der Entscheidung

(Teil 2 von 2)

von Marlene Klein

Franky-Boy fegte mit seinem kompletten Unterarm den Tisch im Hinterzimmer seines Etablissements leer. Sofort begann Gussy auf den Knien herumzukriechen und die Spielkarten aus den Kippen zu pulen.

Was für ein Speichellecker! Warum beschäftigte er ihn überhaupt?

Die Antwort war einfach: Er brauchte solche Typen, die ohne zu fragen alles für ihn taten. Außerdem waren die selten. Nein, Gussy musste noch ein wenig bleiben, bevor er einen Arschtritt bekam. Auf dem nun leeren, wenn auch nicht sauberen Tisch begann er nun aufzubauen, was er für seine wölfischen Freunde besorgt hatte ...

Er summte dabei das Lied mit, zu dem eins seiner Mädchen gerade wenige Meter weiter seine Show abzog. Marvin Gayes »I Heard It Through The Grapevine«. Tiffany wollte ja »Sexual Healing«, das war Franky-Boy aber zu platt, zu offensichtlich.

Dieser Song bot Tiff genügend Möglichkeiten, ihren süßen Arsch zu schwingen. Franky-Boy setzte seine Schritte im Rhythmus und legte jeden einzelnen Gegenstand mit einer tänzelnden Geste ab. Er war bestens gelaunt.

John und Nick teilten sich seit zwei Wochen oben ein Arbeitszimmer seiner Mädchen. Aber Alissa hatte ihr Kommen für heute Abend zugesagt. An der Kleinen hatte er einen Narren gefressen. Vielleicht würde sie sich ja doch noch mal für ihn alten Kerl ausziehen. Gegen Geld? Wohl kaum. Nettigkeiten und Geschenke? Vielleicht schon eher. Diese kleine Wildkatze. Sie forderte ihn heraus. Machte ihm Appetit. Und wenn er hungrig wurde, musste er essen.

Gussy packte die Karten weg und holte aus der Abstellkammer einen Handfeger und Kehrblech. Schweigend kehrte er die Asche und die Kippen zusammen, während Franky-Boy »Honey, honey, yeah« summte.

Endlich wieder Platz im Aschenbecher. Der war aus Blech und hatte den Flug auf den Boden unbeschadet überstanden. Auch mal ne Möglichkeit, den Ascher auszuleeren. Franky-Boy besah sich seine Waffen-Ansammlung und war zufrieden. Er grinste und wippte mit dem Kopf.

Alissa, Nick und John würden bestimmt zufrieden sein. Für den großen Auftritt holte er eine Tischdecke, die eigentlich für den Schankraum vorbehalten war, und breitete sie über den Waffen aus. Ja, das würde gut werden.

Alissa lenkte ihren Kleinwagen Richtung Liverpool. Sie freute sich, die Jungs wiederzusehen. Auch wenn sie sie nicht wirklich gut kannte, waren sie ihr doch ans Herz gewachsen.

Franky-Boy hatte das Treffen für 23 Uhr festgelegt, wenn der Laden schon geöffnet hatte. Einen Grund hierfür kannte sie nicht. Ihr Navi führte sie zielsicher in die Innenstadt, direkt vor Franky-Boys Laden. Rocky stand vor der pinken Tür, was sie nicht wunderte. Sie hielt in zweiter Reihe und ließ das Fenster runterfahren.

»Hey, Rocky, wo kann ich hier parken?«

»Im Hof.«

Alissa sah die Straße hinunter, wo die Häuser lückenlos Fassade an Fassade standen. »Wie komme ich dahin?«

Rocky löste sich von der Tür und kam zum Auto.

»Steig aus, ich fahr dir die Karre hin. Du bist spät dran, Franky-Boy, John, Nick und Gussy warten schon im Hinterzimmer. Und Franky-Boy lässt man nicht warten.«

Alissa stieg aus, warf einen Blick auf ihre Uhr: »Ich bin nicht spät dran, sondern genau pünktlich! Das nennt man Zeitmanagement, Kleiner! Ich geh schon mal vor, wenn der Herr Türsteher mich rein lässt.«

Rocky winkte lässig in Richtung Eingang und murmelte, dass er gleich folgen würde, quetschte sich fast schon angewidert in Alissas alte Kiste, legte geräuschvoll den Gang ein und brauste los, als würde er in einer Corvette sitzen.

Alissa betrat den Laden. Laute Musik schlug ihr entgegen. Auf der großen Bühne strippte ein hübsches, junges Ding, von dem sie hoffte, dass es überhaupt achtzehn war. Aber bewegen konnte die Kleine sich, dass musste sie ihr lassen. Und die Blicke der zu 98 Prozent männlichen Zuschauer zog sie auch auf sich.

Die Nischen waren gut mit Gästen besetzt. Sie vermutete, dass eine Runde ein Junggesellenabschied war. Eine andere Nische war mit Anzugträgern besetzt, Banker vermutlich, die nach Feierabend irgendeinen Deal feierten. Sie öffnete ihre Jacke, hier war eine Bullenhitze, durchquerte den Raum und begab sich hinter die Tür mit der Aufschrift »Privat«. Sie kannte noch das betreffende Hinterzimmer.

Schwungvoll zog sie die Tür auf, stellte sich in den Türrahmen und fragte mokant in die Runde: »Ihr wollt doch wohl nicht ohne mich anfangen, Jungs?«

Nick war schon den ganzen Tag nervös. Heute um 23 Uhr wollte Franky-Boy seine Pläne und Waffen darlegen, und Alissa wollte wieder zu ihnen stoßen. Er hatte noch mehrfach ihr Profilbild angesehen, aber ihr nur einmal ein unverbindliches »Was machst du gerade?« geschickt.

Mehr traute er sich nicht. Die ganzen halbnackten oder auch mal ganz nackten Mädchen in Franky-Boys Bar waren für ihn der Horror. Manche lächelten ihn sogar an oder zwinkerten ihm zu, gerade so als würden sie gerne ... Als würden sie ihn ...

Er blieb zu Öffnungszeiten des Etablissements auf seinem Zimmer, und die laute Musik, das Lachen und Kichern und die eindeutigen Geräusche, die hier allgegenwärtig waren, waren schon zu viel für ihn.

Sein Vater fühlte sich hier pudelwohl. Er saß auf Franky-Boys Kosten an der Bar und flirtete mit den Girls, hatte aber keins mit aufs Zimmer genommen. Als Ausgleich für Franky-Boys Großzügigkeit half er mal an der Bar und mal an der Tür aus. Je nachdem, wo gerade Not am Mann war.

Für die verschüchterte Art seines Sohnes hatte er nur abfällige Bemerkungen übrig, und Nick hatte sich in den letzten Wochen so einiges anhören müssen. Das hatte nicht gerade dazu beigetragen, sein Selbstwertgefühl zu steigern.

Nick war enttäuscht, als er das Hinterzimmer betrat und keine Alissa mit ihrem bezaubernden Lachen, den langen Haaren und den Lachfältchen da saß. Die Zeiger der Uhr zuckten unaufhörlich Richtung 23 Uhr. Wo blieb sie denn? Oder kam sie am Ende gar nicht? Hatte sie es sich anders überlegt? Hatte er etwas falsch gemacht? Hatte er sie mit dieser einen WhatsApp-Nachricht zu sehr bedrängt?

Punkt 23 Uhr stand Franky-Boy auf und fasste das Tischtuch an, das er über die Waffen drapiert hatte, um die Spannung zu erhöhen. »Okay, Folks, ich habe hier etwas Geiles für euch, das wird euch gefallen und die Drecks-Vampire in die Hölle schicken. Bereit? Ich zähle bis drei! Eins ... Zwei ...«

»Ihr wollt doch wohl nicht ohne mich anfangen, Jungs?«

Alissa!

Franky-Boy grummelte. Diese Frau hatte seinen so wunderbar vorbereiteten Waffen mit nur einem Satz die Show gestohlen. John und Nick sprangen sofort auf, fielen ihr um den Hals und ließen den guten, alten Franky-Boy mit seiner Tischdecke in der Hand stehen.

Kleines Biest.

Nach der Begrüßung setzten sich alle um den Tisch herum. Rocky kam dazu, wurde aber nicht groß beachtet. Rocky in diesem Zimmer war keine Besonderheit in Gegensatz zu Alissa.

»Wer ist an der Tür?«, fragte Franky-Boy.

»Ich dachte Gussy könnte ...«, begann Rocky, wurde aber von Franky-Boy durch eine Lachsalve gestoppt.

Der Angesprochene hob kurz erstaunt seinen Kopf.

»Gussy ist ein guter Witz!«, gluckste Franky-Boy und schlug ihm wieder kräftig auf die Schulter.

Der fand es angebracht auch zu lachen. Auch wenn er ja gerade selbst die Witzfigur war.

»Adam soll gehen!«, fuhr Franky-Boy fort.

»Adam hilft Jim an der Bar, der Laden ist voll!«

Franky-Boy lehnte sich nach vorne über seine zugedeckte Überraschung, verengte die Augen zu Schlitzen und blaffte Rocky an: »Jim soll mal nicht heulen, sondern was arbeiten für sein Geld. Wenn ich sage, Adam geht an die Tür, gibt es keine Widerrede. Ist das klar?«

Rocky stand sofort auf und verließ das Zimmer, um die neue Arbeitsverteilung weiterzugeben.

»Können wir jetzt verdammt noch mal anfangen?«, blaffte Franky-Boy.

Keiner wagte es, noch irgendeinen Ton zu sagen.

Er fuhr theatralisch fort: »Lady and gentlemen! Choose your weapons!«

Franky-Boy hätte Schauspieler werden sollen. Mit einem Ruck zog er das Tischtuch runter und gab den Blick frei auf eine sonderliche Ansammlung verschiedener Dinge, die alle dreifach vorhanden waren. Da waren zum einen, ordentlich untereinandergelegt, drei Pistolen mit kurzem Lauf, schwarzem Hartplastikgehäuse und silbernen Schlitten. Daneben folgen drei gleiche, unteramdicke und etwa einen Meter lange Holzpfähle, deren Ende spitz zulief und deren Sinn und Zweck Nick eher als Pfosten in einem Gehegezaun für Kaninchen sah als in einem Kampf gegen Vampire. Zum Dritten lagen da drei gleiche Messer, mit einer etwa fünfzehn Zentimeter langen, geraden, silbernen Klinge, die an beiden Seiten geschärft war, und mit einem braunen Holzgriff. Dazu passend eine Scheide, die man sich an den Gürtel stecken konnte.

Beifall heischend blickte Franky-Boy großspurig in die Runde, doch der Applaus blieb aus.

»Was soll das sein?«, fragte John ernüchternd und hielt eine Pistole hoch.

Franky-Boy nahm wieder Platz und steckte sich vor Beantwortung der Frage erst mal eine Zigarette an. Nachdem er zwei, drei Mal an ihr gepafft hatte, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich brannte, begann er zu erklären: »Dies, mein Lieber, ist eine Walther P22, Halbautomatik, sieben Schuss Magazinkapazität, je ein Ersatzmagazin. Die Patronen ...«, er öffnete mit einer geübten Bewegung am Auslösemechanismus den Magazinhalter, und das Magazin rutschte in seine geöffnete Hand, die Kugeln blitzen und blinkten, »... geweihtes Silber. Frag mich nicht, wie ich an die rankomme. Freu dich, dass ich sie habe.«

John war nicht überzeugt. »Franky-Boy, dir ist schon klar, das Nick und ich Werwölfe sein werden und unsere Pranken nicht den Abzug betätigen können! Was also sollen wir mit dem Bullshit?«

Wie eine Schlange, die lange ihr Opfer angestarrt hat, um dann blitzschnell zuzuschlagen, flog eine weibliche Hand quer über den Tisch und schnappte sich eine der Pistolen. Die anwesenden Herren starrten daraufhin Alissa an.

»Was? Ihr könnt sie als Wölfe nicht bedienen, also nehme ich sie mir.« Entschuldigend zuckte Alissa mit den Schultern.

»Du kommst auf keinen Fall mit, das ist gar keine gute Idee!« Johns Stimme klang nicht wirklich besorgt, sondern eher sauer.

Franky-Boy sah seine Autorität in diesem Zimmer untergraben. »Ob die Kleine mitkommt entscheide immer noch ich. Ist schließlich mein Plan!«

»Und wie lautet deine Entscheidung?«, erkundigte sich Alissa neugierig.

»Sie kommt mit!«

»Ha! Siehste!«

Alissa war glücklich. Aber John war keiner von Franky-Boys Söldnern und es seit Jahrzehnten gewohnt, ihm die Stirn zu bieten. Als er nochmals »auf keinen Fall« in Richtung des Clubbetreibers zischte, wurde es Nick endgültig zu viel.

Er ließ seinen Kopf auf die Tischplatte vor sich sinken und schlug seine Arme darüber. Was für eine Truppe! Wie sollten sie sich so David stellen, geschweige denn den Vampiren, die er nach Franky-Boys Meinung, noch mitbringen würde? Worauf hatte er sich hier eingelassen? Er war absolut verloren. Am Arsch. Er würde ein Opfer der Vampire werden! Ende Gelände. Aus der Traum von der Ewigkeit des Werwolf-Lebens!

Auch wenn er die Optik ausgeschaltet hatte, er hörte noch immer sehr gut, was im Raum gesprochen wurde.

»Wir brauchen die Kleine.« Der Amerikaner.

»Das lasse ich nicht zu, das ist zu gefährlich!« Sein Vater.

»Fragt mich mal einer? Hallo, ich bin da und eine erwachsenen und mündige Frau!« Und auch die Einzige im Zimmer.

»Und was soll der Scheiß mit den Messern?« John.

»Absolut tödlich für Vampire. Geweihtes Silver.« Wieder das rülpsende Walross.

»Ja, und absolut tödlich für mich, du Idiot! Ich werde auf keinen Fall mit einem silbernen Messer durch die Gegend rennen!«

»Du bist so verdammt undankbar!«

»Du großer Planer bist scheiße-schlecht vorbereitet!«

Nick konnte hören, wie die beiden Streithähne ihre Stühle nach hinten schoben und sich erhoben, was ihn veranlasste, auch wieder den Kopf zu heben. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Alissa aufsprang, sich zwischen die beiden stellte und jedem eine Hand auf die Brust legte.

»Stopp, stopp, stopp, stopp!«, sagte sie. »Ihr wollt doch den Vampiren keine Arbeit abnehmen und euch gegenseitig fertigmachen, oder?«

Wenn Blicke hätten töten können, wären John und Franky-Boy beide tot umgefallen. So hörten sie mal ausnahmsweise auf Alissa und schnaubten tief durch, sodass ihre Nasenflügel bebten.

»Gut so, Jungs«, lobte Alissa »und jetzt machen wir mal zehn Minuten Pause, trinken ein Bier und treffen uns wieder hier. Okay?«

John stürmte als Antwort aus dem Raum.

»Ich brauche frische Luft«, war das Erste, was Nick sagte, seit er Alissa begrüßt hatte. Und damit verließ er auch die Reichweite des Zigarettendunstes.

Nick betrat den Hinterhof des Clubs. Der Ort, an dem sein Vater vor vielen Jahren Franky-Boys Vater gebissen und zum Werwolf gemacht hatte. Und diese seltsame Verbindung ihren Anfang genommen hatte.

Irgendeine Bank oder andere Sitzmöglichkeit suchte er hier vergebens, also setzte er sich auf die Stufe vor der Hintertür. Neben sich entdeckte er – wie könnte es anders sein – einen überquellenden Aschenbecher. Der Hof war bis auf die letzte Stellmöglichkeit zugeparkt. Sein Toyota, der Ford seines Vater, unter einem Carport ein riesiger Hummer und ganz hinten ein schnuckeliger Kleinwagen.

Er tippte auf Alissas Auto und glaubte es schon vor ihrer Wohnung gesehen zu haben. Passend zu dem Gedanken, öffnete sie die Tür hinter ihm und setzte sich neben ihm.

»Hi«, sagte sie nur.

»Hi«, antwortete er genauso knapp.

Alissa blickte in den wolkenlosen Himmel über ihnen. Wenn das so blieb, würde morgen ein richtig schöner Tag werden. Nun standen Myriaden von golden und silbern blitzenden Sternen am Himmelszelt.

»Der Mond ist genau halbvoll. Sieht aus wie abgeschnitten. Ist das zunehmender oder abnehmender Mond?«

»Zunehmend.«

»Du hast ja noch nicht mal hingesehen!«

»Alissa«, begann Nick, hob den Kopf und sah sie an, »ich kenne meinen Zyklus. Wir sind eine Woche nach Neumond und eine Woche vor Vollmond. Also zunehmender Halbmond. Da brauche ich nicht hinzuschauen.«

Alissa schluckte nach dieser Rüge und rieb sich die Oberarme. »Mir ist kalt.«

»Dann geh doch wieder rein.« Das war ein ganz ernst gemeinter Vorschlag von Nick, dem es lieber gewesen wäre, er könnte hier alleine und ohne Störung seinen Gedanken nachhängen.

»Warum bist du eigentlich so ein Ekel?«

»Ich?«

»Oh, Nick, manchmal habe ich das Gefühl, das Leben rauscht so an dir vorbei, ohne dass du daran teilnimmst.«

Nick erwiderte nichts. Was sollte er auch sagen? Er wandte den Blick von Alissa und tat so, als ob er den Inhalt des Aschenbechers viel interessanter fand als ein hübsches, gleichaltriges Mädchen. Kurz darauf hörte er, wie die Tür ging, und sie ihn wieder allein gelassen hatte.

Zehn Minuten später trafen sich alle wieder im Hinterzimmer. John hatte anscheinend wirklich ein Bier getrunken und sich beruhigt.

»Okay, dann nehmen Nick und ich wenigstens so nen sch... – so nen Pfahl. Bevor wir ganz unbewaffnet da antanzen.«

Franky-Boy nickte nur.

»Was ist denn mit dem ganzen klassischen Mist?«, fragte Alissa.

»Klassischer Mist?«, hakte Franky-Boy nach.

»Na, Knoblauch und Kreuze, kann doch nicht schaden, wenn zumindest die menschlichen Teilnehmer sich damit ausrüsten.«

Wo sie recht hatte, hatte sie recht.

»Besorg ich uns«, stimmt Franky-Boy zu.

»Gut«, schloss John die Vorstellung der Waffen ab. »Dann erzähl doch mal von deinem Plan. Wie gehen wir vor?«

»Unser Team besteht aus Nick und dir als Wölfe. An Menschen haben wir Alissa, Rocky und meine Wenigkeit. Wir sind zu fünft. Das Einkaufszentrum hat bis 20 Uhr geöffnet. Sonnenuntergang ist um 20.16 Uhr. Ihr bleibt hinten in einem Van, den wir uns noch leihen müssen. Alissa fährt Euch auf das Dach des Parkplatzes. Dort verwandelt ihr Euch im Laderaum des Vans, ich hoffe, es gibt nicht mehr zu viele Zeugen. Aber wenn ihr Euch woanders verwandelt, hört ihr nur noch auf eure Triebe, und ich kriege euch nicht mehr vor Ort.«

»Hab ich kapiert. Weiter«, unterbrach John.

»Rocky und ich sitzen in einem zweiten Transporter. Unsere Aufgabe ist es, einen der Vampire lebend zu fangen, damit der uns zu ihrem Versteck und zu Cassian führt. Am besten noch in derselben Nacht. Wenn Mitternacht ist und David plus x andere Vampire kommen, öffnet Alissa per Funkfernbedienung die Rücktüren des Transportes, und David fallen zwei Werwölfe vor die Füße. Sollten es mehr Vampire sein, knallen Rocky, Alissa und ich die Bande mit den Walthers ab.«

»Bis auf den einen?«, Johns Zwischenfrage.

»Bis auf den einen«, bestätigte Franky-Boy und zog an seiner Zigarette, der er danach mit einem lässigen Schnippen die Asche abklopfte.

Rocky und Nick hatten während der Plan-Erläuterung wie immer geschwiegen, und auch Alissa hatte sich zurückgehalten. Aber Nick fühlte doch eine überfällige Frage in sich aufsteigen und wollte sie jetzt doch endlich mal stellen: »Wer ist Cassian, und warum glaubst du, dass er dahintersteckt? David hat den Namen nicht erwähnt.«

Franky-Boy blies einen Rauch-Kringel in die Luft und sah erwartungsvoll zu John McRander. Dieser blickte zurück, bevor sich beide zunickten und Nick ansahen.

»Mein Gefühl sagt mir, dass es jetzt wieder interessant wird«, meldete sich Alissa und lehnte sich wieder in ihrem Stuhl wie in einem Kinosessel zurück.

»Gut, mein Sohn«, begann John, »Es gab schon einmal eine Schlacht zwischen Werwölfen und Vampiren. Im Januar 1650 in der Nähe eines Kaffs in Deutschland, Sternbach. Im ausgehenden Mittelalter gab es eine Unmenge Vampire und Werwölfe, so viele, dass beide Arten befürchteten, dass sie verhungern würden, weil es bald nicht mehr genug Menschen als Opfer geben würde. Jede fühlte sich alleinig legitimiert, auf der Erde zu wandeln, die andere Seite, war ihnen jeweils ein Dorn im Auge. Ein Konkurrent um die knappe Nahrung. In dieser Januar-Vollmond-Nacht kam es zu einem Kampf mit tausenden Beteiligten, die aus ganz Europa angereist waren. Die Schlacht tobte erbarmungslos, die Witterungsbedingungen waren katastrophal, Eiseskälte und Schneetreiben. Als der Morgen graute, hatten insgesamt nur vier Teilnehmer die Schlacht überlebt. Drei Vampire und ein Werwolf. Man erzählt sich, dass das Fell des Werwolfs nach dieser Schlacht seine Farbe verloren hatte und weiß leuchtete. Außerdem war er so eingefroren, dass er als Eiswolf in die Legende einging. Er ist sozusagen der Vorfahr der meisten heute lebenden Werwölfe. Und sein Name war Ian Sean McRander.«

John machte eine Pause und ließ den Namen erst mal auf die anwesenden wirken. Absolute Stille herrschte im Hinterzimmer des Clubs, selbst Franky-Boy ließ seinen Qualm geräuschlos durch die Nasenlöcher entweichen.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit brach Alissa die Stille. »Du bist aber nicht der Eiswolf, oder John?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »So alt bin ich dann auch noch nicht. Das muss irgendein Vorfahre von uns sein. Ich bin ihm nie begegnet.«

Franky-Boy wollte die Geschichte noch komplettieren. »Was jetzt nicht heißt, dass jeder Wolf von McRander abstammt. Nicht alle Werwölfe waren an der Schlacht beteiligt. Die Wölfe vom Balkan haben ihr eigenes Süppchen gekocht. Und alle, die nicht aus Europa stammten, waren sowieso nicht dabei. Asien, Afrika, Amerika, dessen Kolonialisierung und Besiedlung durch die Briten quasi noch in den Kinderschuhen steckte. Die »Mayflower« war 1620 in See gestochen, gerade mal dreißig Jahre vorher. Es gibt noch irrsinnig viele andere Sippen.«

Nick fühlte seine Frage immer noch nicht beantwortet. »Und wer ist jetzt Cassian?