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Gesünder, Fitter, Roh! – hol' mit Rohkost das Beste aus dir raus! Obwohl sie sich bewusst ernährt, fühlt sich Kriss Micus oft schlapp. Sie forscht nach – und entdeckt die Rohkost für sich. In einem kulinarischen Selbstversuch ernährt sie sich ein Jahr lang roh und dokumentiert, welche Auswirkungen die Essensumstellung auf ihr Leben und ihre Gesundheit hat. Gesünder, Fitter, Roh! ist eine spannende Einführung in das Trendthema Rohkost und eine informative Mischung aus Ratgeber und Erfahrungsbericht. Unterhaltsam und ehrlich erzählt Kriss Micus von der gewagten Ernährungsumstellung, erläutert medizinische Fakten und teilt ihre Lieblingsrezepte und Ernährungstipps. Ihr Fazit: »Es gibt nichts Besseres als Rohkost!«
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Stefan ist groß, drahtig und hat ein sehr sympathisches, etwas entrücktes Lächeln. Ich treffe ihn an einem sonnigen Frühlingsmorgen im April 2008 im spanischen Malaga. Er steht zwischen üppig gewachsenen Tomatenstauden und drallen Kohlköpfen und zieht geduldig Karotten aus der Erde.
Stefan lebt seit vielen Jahren in Spanien und arbeitet als Koch in einem kleinen Bio-Berghotel. Meine Mutter arbeitet an einer Reportage darüber. Sie ist Journalistin und Buchautorin und führt Interviews in der ganzen Welt – diesmal in Malaga. Weil sie mich für drei Tage vom Unistress in Bayreuth erlösen wollte, hat sie mir ein Flugticket nach Andalusien geschenkt. Ein Wochenende am Mittelmeer. Wunderbar!
Jetzt stehe ich mit ihr im weitläufigen Hotelgarten und Stefan erzählt uns mit vor Begeisterung blitzenden Augen, dass er Rohköstler sei. Er spricht ruhig, bedächtig, überlegt sich jedes Wort ganz genau. Fast schon liebevoll legt er die geernteten Möhren in einen Weidenkorb und schlendert damit hinüber zur Terrasse seines nahe gelegenen kleinen Häuschens. Er zieht zwei Stühle für uns heran, setzt sich auf eine Bank und erzählt. Dass er seit Jahren Rohköstler sei und dies in seinen Augen die einzig gesunde Ernährungsform. Er isst morgens, mittags und abends Salat, Gemüse und Obst, sortiert nach Farben, immer in einer bestimmten Reihenfolge. »Und nichts anderes?«, frage ich ungläubig dazwischen. Er lächelt mich jetzt freundlich an und sagt in mildem Tonfall: »Was denn Kriss? Etwa Brot? Niemals. Brot ist tot!«
Ich werde neugierig. Wie hält er das denn durch? Wie viel Disziplin und Überzeugung müssen in ihm stecken? Ich bin fasziniert. Es ist das erste Mal, dass ich einen Rohköstler treffe.
Und während Stefan jetzt herzhaft in eine Möhre beißt, erzählt er uns auch, dass es ihm gerade nicht gut gehe. Er habe sich von seiner Freundin getrennt, nach drei glücklichen gemeinsamen Jahren. Bei einem Strandspaziergang habe es einen heftigen Streit gegeben. Plötzlich sei sie in die nächste Strandbar gegangen und habe sich eine Pizza bestellt. Als er das Wort Pizza ausspricht, schließt er die Augen. Getroffen von der Vorstellung an Essen, das er niemals mehr herunterbekäme, weil es in seinen Augen viel zu ungesund ist. Aber auch von der Missachtung seiner Freundin, die seine Grundsätze Bissen für Bissen verraten hat. Angeblich genüsslich. Für Stefan war das zu viel an Aggression. Es hat danach einen schlimmen Streit gegeben. Jetzt ist sie weg und er ist einsam.
»Sie wollte mich damit verletzen, oder?«, will er wissen und sieht meine Mutter fragend an. Die nickt mitfühlend, ergreift tröstend seine Hand. »Ich glaube, sie hatte einfach nur Lust auf Pizza. Geben Sie ihr noch eine Chance!«, meint sie leise und Stefans Augen flackern hoffnungsvoll.
Meine Mutter liebt Menschen und ihre Geschichten und hört immer zu. Geduldig und einfühlsam. Sie versteht jeden und alles. Natürlich auch Stefan, der sich angegriffen fühlt, weil seine Freundin »einfach eine Pizza gegessen« und damit sich selbst geschadet und die gemeinsamen Ziele verraten hat. Ich bin ratlos! Für mich ist das alles fremd. »Verändert man sich immer so, wenn man nur auf Salatblättern herumkaut?«, dachte ich damals.
Ich ahne nicht, dass Stefan in Wirklichkeit ein echter Trendsetter ist, ein Avantgardist der Ernährungsbewussten. Gut, beim Thema Pizza hat er mit seinem Enthusiasmus über das Ziel hinausgeschossen. Etwas Toleranz wäre besser gewesen. Eine Ernährungsform sollte kein Dogma sein. Aber wir schrieben das Jahr 2008 und Stefan hat damals schon auf die heilende Kraft von Frischkost vertraut, zu einer Zeit, als »raw« und »roh« in Amerika, Deutschland und dem Rest der Welt höchstens ein paar Tausend Fürsprecher hatte. Rohkost war eine absolute Nischenernährung.
Ich denke in letzter Zeit oft an Stefan. Immer dann, wenn ich mit meiner Ernährungsform auf Unverständnis stoße. Oder ich gar anecke, wenn ich sage, dass ich Rohköstlerin bin und »Brot tot und ohne Nährstoffe« ist. Dann sehe ich ihn im Kohlfeld stehen: schlank, gesund, mit dicken braunen Locken, samtweicher, faltenfreier Haut und lebendigen, wachen Augen. Ich hätte nie gedacht, dass er damals bereits 55 Jahre alt war, er sah aus wie Mitte dreißig. Ich denke dann daran, dass ich auch einmal etwas irritiert auf sein klares Ja zur Rohkost und dessen Folgen reagiert habe. Doch dies geschah nur aus Unwissenheit.
Nehmen Sie jeden Morgen eine Tablette ein und Sie werden sich bald besser fühlen«, sagt mein Haus-arzt mit dem sinnigen Namen Dr. Heiter, ohne mich anzusehen, und kritzelt schnell etwas auf seinen Rezeptblock.
»Was schreiben Sie mir denn auf?«, frage ich irritiert. Er weiß doch, dass ich nur in absoluten Notfällen zu Tabletten greife.
»Oh, das ist nur L-Thyroxin. Ein Schilddrüsenmedikament. Sie leiden unter einer Schilddrüsenunterfunktion. Ich verschreibe Ihnen sicherheitshalber das höherdosierte Medikament, 150 Milligramm, und in drei Monaten kommen Sie bitte zu einem Kontrolltermin.«
»Fleisch gab es in meiner Kindheit höchstens im Restaurant.«
Dr. Heiter steht jetzt auf, murmelt ein mechanisches »Auf Wiedersehen« und drückt mir das Rezept in die Hand. Ich bin alles andere als heiter, als ich in den gläsernen Praxisflur hinaustrete. Ich und Tabletten, das passt nicht zusammen.
Sekunden später stehe ich an diesem kalten Januarnachmittag auf der Straße und fühle mich wirklich mitgenommen. Wieso bin ausgerechnet ich jetzt krank? Ich, die sich doch immer ach so gesund ernährt, die noch nie geraucht hat, keinerlei Alkohol trinkt und deren einziges Laster darin besteht, ab und zu eine Tüte Gummibärchen zu vernaschen. Aber ich denke, dass mein Organismus ein solches wöchentliches Ernährungsverbrechen verkraften sollte. Offenbar nicht! Denn jetzt habe ausgerechnet ich, die das Thema gesunde Ernährung seit vielen Jahren wie ein Transparent vor sich her trägt, eine dieser teuflischen Zivilisationskrankheiten, die nachweislich auf einen ungesunden Lebensstil zurückzuführen sind und die sich rasant ausbreiten. Mit meinem Handy recherchiere ich, dass mittlerweile jeder dritte Deutsche an einer krankhaften Veränderung der Schilddrüse leidet und Frauen viermal häufiger erkranken als Männer. Das darf doch alles nicht wahr sein!
Während ich mich auf den Weg zur nächsten Apotheke mache, mustere ich die Menschen, die mir entgegenkommen. Sie sind zum großen Teil übergewichtig. Viele haben eine ungesunde Hautfarbe. Ein Mann raucht. Sein Kopf leuchtet feuerrot wie eine Warnboje. Ich möchte wetten, dass er an zu hohem Blutdruck leidet. Ein Junge saugt gierig an einer Limonadenflasche. Er ist allerhöchstens acht Jahre alt. Die Eltern spazieren entspannt nebenher.
Ich kann es nicht fassen. Wie können sie bei dem Zuckerzeug wegsehen? Es sind ungefähr 18 Stückchen Würfelzucker, die der Kleine mit wenigen Schlucken wegschlürft. Und aus einem Café kommen zwei mollige Frauen und teilen sich fröhlich schnatternd eine Tüte Schokotrüffel. Es ist traurig, aber all diese Menschen sind dabei, sich krank zu essen. Werbung, falsche Erziehung, schlechte Vorbilder und eine große Portion Unwissenheit lassen sie wahllos zugreifen. Essen ist für sie vielleicht noch ein kurzer Genuss, langfristig aber tut es ihnen nicht gut.
Andererseits sind diese vielen Ernährungssünder garantiert noch nicht auf dem Weg zur Apotheke. Ich dagegen schon! Irgendetwas läuft hier falsch. Ich muss mein ganzes Lebenskonzept auf den Prüfstand stellen.
Ich bin vegetarisch aufgewachsen. Meine Mutter liebt Tiere und kann mittlerweile nicht einmal mehr ansatzweise nachempfinden, wie jemand sie essen kann. Fleisch gab es in meiner Kindheit höchstens im Restaurant, wohin wir mittags allerdings häufig gingen, weil meine Mutter nicht gern kocht. Ich durfte dann bestellen, was ich gern mochte, am liebsten Schweineschnitzel und Hühnchenfilets. Meine Mutter aber konnte sich nicht verkneifen, mir von den »niedlichen Schweinen« zu erzählen, die »gern im Sonnenlicht tollen« oder von »fröhlich gackernden Hühner-Mamas und ihrer heiteren Jungkükenschar«. Auf die Dauer hatte ich da als Fleischesserin keine Chance!
Ich bin dann sehr zu ihrer Freude auf Nudeln mit Tomatensoße umgestiegen und tendierte schnell dazu, Vegetarierin zu werden. Ich ernährte mich nach dem Vorbild meiner Mutter von Nudeln, Gemüse und natürlich jeder Menge Obst, ihrer Lieblingsnahrung. Denn Obst kann man schnippeln, dafür muss man nicht lange in der Küche stehen, und gesunde Ernährung – oder besser das, was sie dafür hielt –, war ihr schon immer wichtig.
Ich habe also eine Vergangenheit, was Ernährungsbewusstsein angeht. Wie alle Jugendlichen wollte ich Mamas Dunstkreis jedoch auch in diesem Punkt verlassen und ernährungsmäßig flügge werden. Nach dem Abitur zog ich zunächst nach Bayreuth, dann nach Wuppertal, studierte erst Volkswirtschaft, dann Wirtschaftswissenschaften. Und ich wurde nicht etwa zur Fleischesserin, nein, ich toppte sogar meine Mutter und mutierte nach und nach zur Veganerin. Seit sechs Jahren verzichte ich also nicht nur auf Fleisch, sondern konsequent auf alle tierischen Produkte, also auf Eier, Käse, Milchprodukte und mittlerweile sogar auf Honig.
Klar liebe ich Tiere. Sie gehören in ihre natürliche Umgebung und nicht auf meinen Teller. Allerdings bin ich auch aus gesundheitlichen Gründen Veganerin. Denn Milchprodukte sind entgegen der landläufigen Meinung alles andere als gesund. Dies gilt zumindest dann, wenn die Tiere, die die Milch liefern, unter so schrecklichen Bedingungen leben müssen, wie es die Milchindustrie zulässt. Die glücklichen Kühe auf der Blümchenweide sind nun einmal die Ausnahme oder lediglich ein Instrument der Werbestrategen à la »Lila-Laune-Kuh«. In der Regel stehen diese sympathischen Kreaturen monatelang in dunklen, engen Ställen zusammengepfercht in ihrem eigenen Dreck.
Sie werden mit Antibiotika und Psychopharmaka vollgestopft, damit sie nicht krank und verrückt werden. Zudem bekommen sie dauerhaft jede Menge chemische Nahrungsergänzungsmittel, damit sie möglichst schnell schlachtreif werden, oder sie erhalten Hormonpräparate, die die Milchproduktion anregen.
Damit wir Menschen diese Fülle an schädlichen Stoffen nicht über die Milch aufnehmen, wird sie mit Ammoniak angereichert. Zur Erinnerung: Ammoniak ist der chemische Fachbegriff des Hauptbestandteils im Urin. Klingt lecker?! Im Supermarkt-Kühlregal bekommen wir dann eine nährstofffreie, mit Antibiotika versetzte Masse von etwas, das einmal ein Nahrungsmittel für ein kleines Kalb war, um diesem innerhalb kürzester Zeit zu seinem achtfachen Körpergewicht zu verhelfen. Und das soll gesund sein?
Da Käse aus Milch besteht, gilt für ihn dasselbe. Und wie es mit Eiern aussieht, wenn die Hühner mit falschen Nahrungsmitteln, Hormonen und Chemie vollgepumpt werden, kann man sich denken.
Wir Menschen sind übrigens das einzige Säugetier, das noch Milch zu sich nimmt, nachdem es die Wachstumsphase überwunden hat. Zudem sind wir auch das einzige Säugetier, das die Milch anderer Säugetiere trinkt. Es gibt keine Ziege, die versucht, an der Zitze einer Kuh zu nuckeln. Das passiert nur in absoluten Notlagen, wenn das Überleben nicht anders gesichert werden kann. Man kennt ja die Berichte, in denen ein Katzenbaby an den Zitzen einer Hundemama saugt. Das macht es jedoch nur, wenn die eigene Mama nicht zur Verfügung steht, also auf keinen Fall freiwillig.
Die gesammelten Erkenntnisse, gewonnen aus sechs Studien, vier Büchern und jeder Menge amerikanischer Artikel, haben mir gereicht und dazu geführt, dass ich eine von circa 800.000 Veganerinnen und Veganern in Deutschland wurde. Und das, obwohl ich Quark & Co. geschmacklich wirklich gern mag. Doch mein Verstand hat gewonnen.
Stattdessen esse ich die ganze Palette an Soja rauf und runter: Sojaquark, Sojajoghurt, Sojamilch, Sojasahne, Sojapudding, Seidentofu als Rührei-Ersatz und, und, und. Dazu liebe ich leckere Sojafrikadellen, verschlinge Sojawürstchen als Snack zwischendurch und brate mir abends liebend gern Sojaschnitzel und Tofukäse. Wunderbar!
Auch darüber hinaus esse ich sehr bewusst. So verzichte ich penibel auf jegliche Zusatz- und Konservierungsstoffe. Ich lehne Zuckerzusatz, Glutamat oder andere Geschmacksverstärker ab, verweigere Inhaltsstoffe, deren Namen ich nicht aussprechen kann, oder Zutaten, die sich hinter Nummern- und Buchstabenkombinationen verstecken. Ich drehe jede Packung erst um und lese die Zutatenliste, bevor ich ein Produkt in den Einkaufswagen lege. Für mich gilt die Faustregel: Ich esse nichts, was mehr als drei Inhaltsstoffe hat. Ansonsten gilt: Hände weg!
Ich verzichte fast komplett auf Süßigkeiten und trinke jeden Tag zwei Liter Wasser. Ich gehe ein paar Mal pro Monat ins Fitnessstudio. Seit ich vor zwei Jahren nach Frankfurt gezogen bin und für eine amerikanische Personalvermittlung als Beraterin arbeite, jogge ich sogar regelmäßig am Mainufer entlang. Ich liebe den Blick auf die Skyline.
Es geht mir bei meinem vorbildlichen Lebensstil also rundherum wunderbar! Nun ja, zumindest war es längere Zeit so. Bis vor zwei Monaten. Damals ging es plötzlich bergab. Ich fühlte mich immer schlapper und wurde jeden Abend früher müde. Um zwanzig Uhr ist Büroschluss und statt mich danach noch mit meinen Kollegen in den benachbarten Lokalen zu treffen, hatte ich plötzlich nur einen Wunsch: nach Hause, aufs Sofa.
Für einen Single wie mich ist das keine leichte Entscheidung. Denn zu Hause in meiner 48-Quadratmeter-Wohnung erwartet mich nichts außer einer Badewanne und einem iPad zum Surfen und Lesen im Bett. Doch selbst dazu war ich zu müde. Zudem wurde meine Haut auf einmal trocken und unrein, meine Haare wirkten struppig. Und es gab noch etwas, das mir wirklich zu schaffen machte: Ich hatte zwei Konfektionsgrößen zugenommen.
Für viele mag es vielleicht affig klingen, sich darüber zu beklagen. Ich war jedoch immer sehr schlank und habe mir so auch gefallen. Mehr als die Optik beunruhigte mich aber die Frage, ob ich krank sei. Denn bei meinem Ernährungsstil durfte ich unmöglich so viel zunehmen. Irgendetwas stimmte nicht mit mir und ich musste wissen, was es war.
Es gab genug Anlass, zum Arzt zu gehen. Mein Dr. Heiter hat mir allerdings kaum zugehört und stattdessen sofort die Untersuchungsmaschinerie angeworfen. Zwei Stunden wurde ich durchgecheckt.
Heute kam der Anruf, dass der Laborbericht da sei. Ich habe mir freigenommen und mich sofort auf den Weg gemacht. Und jetzt weiß ich endlich, was die Ursache für meine Beschwerden und die auch bildlich ausufernde optische Veränderung ist: ein heftig durcheinandergewirbelter Stoffwechsel. Na toll!
Frierend und mit rot gefrorener Nasenspitze stehe ich jetzt endlich in der Apotheke auf der Frankfurter Zeil und gebe mein Rezept ab. Die Chefin bedient mich persönlich und klärt mich auf: »Nehmen Sie die Tablette am besten morgens, etwa eine halbe Stunde vor dem Essen. Es dauert ein bisschen, bis Sie die volle Wirkung merken. Aber so nach circa drei bis sechs Monaten sollten Sie richtig eingestellt sein.«
Eingestellt? Ich hake nach: »Heißt das, dass ich vielleicht erst nach einem halben Jahr wieder fit bin? Und muss ich so lange auch das Medikament nehmen?«, frage ich und denke mit Schaudern an meine viel zu engen Röcke, in die ich mich unmöglich noch so lange hineinquetschen kann.
Die Apothekerin sieht mich erstaunt an. »Lange? Nun ja, Sie nehmen das Medikament doch Ihr Leben lang«, antwortet sie. Sie sagt das so entspannt, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, ein Leben lang irgendwelche Pillen zu schlucken.
Mir stockt der Atem. Darauf bin ich nicht vorbereitet. Ich habe eine innere Abscheu gegen Tabletten und auch überhaupt keine Erfahrung damit. In meiner ganzen Kindheit und Jugend gab es keine. Unsere Hausapotheke bestand aus einer Packung Pflaster im Küchenregal. Meine Mutter lehnte Pillen ab. Ihre Geheimwaffe gegen Krankheiten war das Glas frisch gepresster Orangensaft zum Frühstück und der Apfel zum Abendessen. Gegen Kopfschmerzen schickte sie mich an die Luft. Bei Magenschmerzen gab es Fencheltee. Und wenn ich eine Erkältung hatte, erhöhte sie für ein paar Tage die Dosis an Zitrusfrüchten und machte Omas Wadenwickel. Ich habe sie mit ihren tradierten Rezepten ab der Pubertät zwar nicht mehr ernst genommen. Aber ich muss sagen: Ich war so gut wie nie krank!
Während meines Studiums ging es mir auch immer gut. Schwierig wurde es erst, als ich meinen Master in Wirtschaftswissenschaften in zwei statt der vorgesehenen vier Semester durchzog. Das war Rekordzeit! Es gab allerdings Phasen, besonders zu Zeiten, in denen ich an meiner Masterarbeit schrieb, da wusste ich nicht, ob ich mein Zeugnis überhaupt noch lebend in Empfang nehmen könnte. Ich war mehr als einmal körperlich fix und fertig, hatte in den Endlosvorlesungen nach einer durchgearbeiteten Nacht Ohrensausen und Sternchen vor den Augen.
Die meisten meiner Kommilitonen schwärmten von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln, von Ritalin für die Konzentration, Valium für die Ruhe, Modafinil zum Wachbleiben. »Damit kannst du garantiert 48 Stunden durcharbeiten«, war der Standardsatz in den Vorlesungen und dann wurden unter dem Tisch die Packungen getauscht. Meine Freundin Annika erzählte mir damals fröhlich, dass sie nach vier Wochen Dauermedikamentierung ihre Note in »Statistische Methoden« bei der dritten Wiederholung auf eine 1,4 verbessert habe. Na bravo!
Es ist die Jagd nach der besten Bewertung, die eine ganze Generation zu Medikamentenjunkies gemacht hat. Mich nicht! Denn ich bin mit der Prägung meiner Mutter in die Welt gezogen. Ich habe auf Orangensaft und Apfelspalten gesetzt und mein Studium zwar abgemagert und übernächtigt, aber ohne Chemie, dafür vitaminreich überlebt. Und nicht nur das. Ich habe auch den täglichen Zwölf–Stunden-Dauereinsatz bei meinem ersten Arbeitgeber, dem Internetgiganten Google in Dublin, durchgehalten und setze den Karriereweg nun mit zwanzig Kollegen in einem Frankfurter Großraumbüro fort. Im Winter schnieft hier fast jeder. Die Viren werden durch die Heizung wunderbar im Raum verteilt.
»Ich habe ständig mit Menschen zu tun. Aber früher war ich kerngesund, nie krank.«
Täglich besuche ich Personalchefs, Finanzleiter und Geschäftsführer großer Unternehmen, abends führe ich Gespräche mit meinen zu vermittelnden Kandidaten. Ich habe ständig mit Menschen zu tun. Aber bis vor 2 Monaten war ich kerngesund, nie krank, hatte auch im Winter kaum Infekte. Wegen meiner guten Ernährung und der »Saftapotheke« meiner Mutter war ich bis vor Kurzem fest davon überzeugt, dass das so bleibt. Pustekuchen! Jetzt soll ich Tabletten nehmen, mein Leben lang. Ich habe schon Probleme, die Anti-Baby-Pille zu schlucken. Und dazu noch Hormone in Form eines Schilddrüsenmedikaments? Ich will das nicht. Was habe ich falsch gemacht?
Zuhause klappe ich als erstes meinen Laptop auf und wende mich an Dr. Google, meinen Freund und Helfer in nahezu allen Lebenssituationen. Ich habe diesen Such-Giganten während meiner Zeit in Dublin kennen- und wirklich lieben gelernt. Keine, aber auch wirklich keine Frage muss unbeantwortet bleiben, wenn man eine Suchmaschine nutzt. Es kann losgehen. Der Abend wird lang, denn ich surfe durch die aufregendsten Studien rund um das Thema Schilddrüse, die meisten davon sind auf Englisch. Und was ich erfahre, macht mich sprachlos. Als ich kurz vor Mitternacht mein Notebook schließe, ist klar, dass mein ganzes bisheriges Ernährungskonzept falsch ist! Ich muss die Reset-Taste drücken und zwar sofort.
Gerade habe ich gelesen, dass meine heißgeliebten Sojaprodukte die Funktion der Schilddrüse beeinträchtigen und weitere Hormonstörungen auslösen können, wenn man sie in großen Mengen verzehrt. Soja enthält sogenannte Isoflavone. Isoflavone sind pflanzliche Stoffe, die auch als Phytoöstrogene bezeichnet werden, weil sie in ihrer chemischen Struktur dem menschlichen Hormon Östrogen ähneln und daher hormonähnlich wirken können.
Schon circa 38 Milligramm Isoflavone können den Stoffwechsel schädigen. Das sind weniger als zwei Gläser Sojamilch oder zwei Portionen Tofu oder eine Handvoll gerösteter »Sojanüsse«. Zudem stören Sojaprodukte die Aktivität bestimmter Enzyme, was die Funktion der Bauchspeicheldrüse beeinträchtigt, die Denkleistung vermindert und die Hirnalterung fördert. Zu viel Soja kann sogar dement machen. Ich bin bedient.
Ich habe mich sozusagen krank gegessen, weil ich wahllos alles in mich hineingestopft habe, auf dem Soja stand. Ich habe nicht darauf geachtet, ob mein Soja zu hundert Prozent »bio« ist und ob es eine natürliche Fermentierung hat. Dabei wäre dieser Umstand wichtig gewesen, denn der Großteil der nicht biozertifizierten Produkte, die heute massenhaft industriell hergestellt werden, ist genetisch verändert. Dieses Soja enthält bis zu 30 Prozent weniger Cholin, ein Mineral, das wir für die Entwicklung unseres Nervensystems benötigen, dafür aber zweihundert Prozent mehr Lectine, die in starkem Zusammenhang mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten stehen. Doch wie gehe ich jetzt damit um? Soll ich auf Soja verzichten? Ich schlafe unruhig in dieser Nacht.
»Was machst du denn nun? Wenn du die Medikamente nicht nimmst, wirst du ja nie wieder dein normales Gewicht erreichen«, fragt mich Caro, als wir am nächsten Tag in der Mittagspause beim Italiener sitzen. Caro ist nicht nur meine beste Freundin, sie ist auch meine Kollegin. Wir sitzen im Büro nur wenige Tische voneinander entfernt. Sie managt alle Personalangelegenheiten in unserer Firma. Caro ist ein eher entspannter Typ. Sehr gelassen, sehr humorvoll. Sie kocht und isst gern, auch Fleisch, hat einen netten Freund und »ruht in sich«, wie ich immer gern sage. Wir gehen fast jeden Tag zusammen in die Mittagspause. Im Sommer sitzen wir am liebsten auf der sonnigen Dachterrasse unseres gläsernen Bürohochhauses. Im Winter gehen wir gern essen: asiatisch, mongolisch, spanisch. Es gibt alles. Aber ich esse oft nur Salat, der ist international – und bis gestern aß ich ihn gern mit Tofu.
»Du kannst doch nicht immer nur Salat essen«, fragt Caro weiter, beißt herzhaft in ein Saltimbocca à la Romana und schüttelt beim Blick auf meinen Berg Grünzeug mitfühlend den Kopf.
Nachdenklich balanciere ich mit meinem Messer eine saftige Cocktailtomate auf ein knackiges Blatt Eisbergsalat, drapiere einen Avocadostreifen darauf und schiebe mir das köstliche Arrangement in den Mund. Hmh – lecker. Ich liebe das Frische, Knackige.
Muss eine warme Mahlzeit am Tag sein?
Wirkt sich die Temperatur einer Mahlzeit auf die Ernährung eines Menschen aus? Die Antwort lautet: Nein! Es ist völlig egal, ob wir warm oder kalt essen, wichtig ist nur, dass wir dem Körper die richtigen Nährstoffe in der richtigen Mischung zuführen.
