Gesundheitliche Ungleichheit zwischen Paarmüttern und Alleinerziehenden in Europa - Ann-Christin Renneberg - E-Book

Gesundheitliche Ungleichheit zwischen Paarmüttern und Alleinerziehenden in Europa E-Book

Ann-Christin Renneberg

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Beschreibung

Ann-Christin Renneberg spürt die Einflussfaktoren auf, die gesundheitliche Ungleichheit zwischen Alleinerziehenden auf der einen und Paarmüttern auf der anderen Seite verursachen, und zwar im europäischen Vergleich. Sie legt dabei besonderes Augenmerk auf die Determinanten, die mit der Arbeitsmarktintegration der Mütter in Zusammenhang stehen. Unter Nutzung von Daten aus dem European Working Conditions Survey (EWCS) und von Makroindikatoren bringt Renneberg individuelle und strukturelle Erklärungsfaktoren in einer Mehrebenenanalyse zusammen. Hierbei zeigt sich auf der Mikroebene die Relevanz der Ressourcen zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit zwischen Müttern sowie auf der Makroebene die Bedeutsamkeit des Gesundheitssystems und der Kinderbetreuung. Dabei können Alleinerziehende allerdings je nach Land auf eine stark unterschiedliche Ressourcenausstattung zurückgreifen. Unerwarteterweise sind zeitliche Belastungen für Alleinerziehende nicht zwangsläufig von Nachteil, wie Renneberg ermittelt hat. Aus ihren Analysen lässt sich ableiten, dass die Gesundheit der Mütter insbesondere durch eine bessere Abstimmung einerseits wohlfahrtsstaatlicher und andererseits betrieblicher Maßnahmen erheblich verbessert werden und so zu einer Reduktion von gesundheitlicher Ungleichheit beigetragen werden könnte. Das Buch richtet sich an am Thema Interessierte, an Studierende, Lehrende und Forschende, die sich mit sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit, Wohlfahrtsstaats-, Arbeitsmarkt- und Familiensoziologie beschäftigen.

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Seitenzahl: 419

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

Inhaltsverzeichnis

I. Abkürzungsverzeichnis

Danksagung

1. Einleitung

2. Definition und Determinanten von Gesundheit

2.1 Der Gesundheitsbegriff

2.2 Determinanten von Gesundheit

2.2.1 Demographische Faktoren und Familienstand

2.2.2 Soziale Position und Ressourcen

2.2.3 Soziales Kapital

2.2.4 Wohnumgebung

2.2.5 Verhaltensweisen und kulturelle Aspekte

2.2.6 Psycho-Soziale Determinanten

2.2.7 Erwerbsarbeit

2.2.8 Arbeitsbedingungen

2.2.9 Politische Maßnahmen

3. Gesundheitliche Ungleichheit zwischen Alleinerziehenden und Paarmüttern: Stand der Forschung

4. Gesundheitstheoretische Konzepte auf der Mikroebene

4.1 Modell der Gratifikationskrisen

4.1.1 Gleichgewicht von Aufwand und Belohnung

4.1.2 Anerkennung

4.2 Ressourcentheorien

4.2.1 Systemisches-Anforderungs-Ressourcen Modell

4.2.2 Transaktionales Stressmodell

4.2.3 Conservation of Resources

4.3 Rollenkonflikte

4.3.1 Inter-Rollen Konflikte

4.3.2 Rollenüberlastung und multiple Rollen

4.4 Zwischenfazit

5. Makrotheoretische Aspekte

5.1 Das Flexicurity-Konzept

5.1.1 Zentrale Dimensionen von Flexicurity

5.1.2 Regime

5.2 Familienpolitik

5.2.1 Finanzielle Transferleistungen

5.2.2 Kinderbetreuung

5.3 Gesellschaftliche Einstellungen zur Müttererwerbstätigkeit

5.4 Gesundheitssysteme

5.4.1 Die Gesundheitssystem-Regime

5.4.2 Gesundheitsversorgung

5.4.3 Finanzierung der Gesundheitsversorgung

5.5 Zwischenfazit

6. Erklärungsmodell: Mikro- und Makroebene gesundheitlicher Ungleichheit

7. Hypothesen

8. Methode: Die Mehrebenenanalyse

8.1 Fixed-, Random- und Mixed-Effekt-Modelle

8.1.1 Vorteile von Random-Intercept-Modellen

8.1.2 Nachteile von Random-Intercept-Modellen

8.2 Estimated Dependent Variable Approach

8.3 Statistisches Vorgehen

9. Datengrundlage

10. Operationalisierung

10.1 Abhängige Variablen

10.2 Erklärende Variablen auf der Mikroebene

10.3 Erklärende Variablen auf der Makroebene

11. Deskriptive Ergebnisse

11.1 Gesundheit

11.2 Erwerbsarbeit

11.3 Familienkontext

11.4 Ressourcen

12. Ergebnisse der Mehrebenenanalyse

12.1 Selbsteingeschätzte Gesundheit

12.1.1 Ergebnisse auf der Mikroebene

12.1.2 Institutionelle Determinanten und gesellschaftliche Einstellungen

12.2 Mentale Gesundheit

12.2.1 Ergebnisse auf der Mikroebene

12.2.2 Institutionelle Determinanten und gesellschaftliche Einstellungen

12.3 Zusammenfassung – Mentale und selbsteingeschätzte Gesundheit im Vergleich

13. Diskussion der Ergebnisse

13.1 Theoretische Einordnung der Ergebnisse

13.2 Politische Implikationen

13.3 Fazit

14. Anhang

15. Literaturverzeichnis

Impressum

 

1. I. Abkürzungsverzeichnis

AME Average Marginal Effects

AT Österreich

BE Belgien

BG Bulgarien

BIP Bruttoinlandsprodukt

CY Zypern

CZ Tschechien

DE Deutschland

DK Dänemark

EDV Estimated Dependet Variable Approach

EE Estland

ES Spanien

EU Europäische Union

Eurofound European Foundation for the Improvement of Living and

Working Conditions

EVS European Value Survey

EWCS European Working Conditions Survey

FI Finnland

FR Frankreich

GB Großbritannien

GR Griechenland

HU Ungarn

ICC Intraklassen-Korrelationskoeffizient

IE Irland

ILO International Labour Organization

ISCED International Standard Classification of Education

IT Italien

LFS Labour Force Survey

LT Litauen

LU Luxemburg

LV Lettland

m.E. meines Erachtens

MT Malta

NA No Answer

NL Niederlande

NUTS Nomenclature des unités territoriales statistiques (Dt.: Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik)

OECD Organisation for Economic Co-operation and Development

OLS Ordinary Least Squares

PL Polen

PT Portugal

RO Rumänien

SE Schweden

SI Slowenien

SK Slowakei

WHO World Health Organization

 

2. Danksagung

Ich möchte mich bei all jenen bedanken, ohne die diese Arbeit nie entstanden wäre und die an ihrer Fertigstellung einen großen Anteil haben:

An erster Stelle gilt mein Dank Prof. Dr. Petra Böhnke, die mir die Möglichkeit zur Promotion gegeben hat und ohne die diese Arbeit in ihrer jetzigen Form nie entstanden wäre. Ich danke ihr vor allem für die intensive wissenschaftliche Betreuung und fachlichen Diskussionen, durch die nicht nur diese Arbeit profitiert hat, sondern durch die ich mich auch persönlich und fachlich weiterentwickeln konnte.

Auch sei Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger gedankt, die mir als 2. Betreuerin wertvolle Anregungen gegeben hat. Vor allem für die Diskussion der Makrotheorien und der Ergebnisse bin ich ihr sehr dankbar. Ebenfalls bedanke ich mich bei Prof. Dr. Stefanie Kley für die Übernahme des Zweitgutachtens.

Meinen Kollegen Isabel Valdés Cifuentes, Janina Zeh und Sebastian Link danke ich für ihren kollegialen Rückhalt und die fachlichen Diskussionen. Außerdem bin ich für ihre Anregungen, Motivation und Unterstützung sehr dankbar. Außerdem danke ich Prof. Dr. Clare Bambra, Dr. Katie Thomson und Dr. Adetayo Kasim für die methodische Diskussion meiner Arbeit während meines Forschungsaufenthalts an der Universität Durham. Auch für die freundliche Aufnahme und kollegiale Zusammenarbeit möchte ich ihnen danken.

Großer Dank geht auch an meine Freunde, die mich mit ihrer großen Geduld immer unterstützt haben, mir zu jeder Zeit mit praktischen Ratschlägen zur Seite standen und mich in schwierigen Phasen motiviert und aufgemuntert haben. Besonders bedanke ich mich bei Kirsten Gattermann und Stephanie Hoppert für das Lesen des Manuskriptes und ihre wertvollen Anmerkungen.

Herzlich danke ich auch meinen Eltern, Geschwistern und Großeltern, die mich in meinen Entscheidungen und auf meinen ganzen Lebensweg immer unterstützt haben und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Meinem Mann, Raphael, danke ich für seine Liebe, Ruhe und Geduld in allen Lebenslagen sowie für seine alltägliche Unterstützung.

 

 

3. 1. Einleitung

Gesellschaftliche Wandlungsprozesse wie die Erhöhung der Scheidungsrate und die Reduzierung der Fertilitätsrate tragen dazu bei, dass der Anteil Alleinerziehender1 in den meisten Ländern Europas in den letzten Jahren stetig gestiegen ist (Maldonado/Nieuwenhuis 2014: 4; Rousou et al. 2013: 425; Jaehrling et al. 2011: 12; Heimer et al. 2009: 8; Daly 2005: 380–383; Kiernan et al. 1998: 124–126). 2011 sind 16 % aller Familien in der EU Alleinerziehende, dabei schwankt der Anteil Alleinerziehender erheblich zwischen den EU-Ländern. Lettland hat mit 33 % den höchsten Anteil an Alleinerziehenden, gefolgt von Slowenien mit 25 %, Polen mit 22 % und Tschechien mit 21 %. Der niedrigste Anteil an Ein-Eltern-Familien findet sich in Zypern mit knapp 10 %. Deutschland und Schweden liegen mit einem Anteil von jeweils 13 % ebenfalls unter dem Durchschnitt in der EU. Die Verantwortung für die Kinder bleibt nach einer Trennung oder Scheidung zum weitaus größeren Teil in den Händen der Mütter: 84 % der Ein-Eltern-Familien werden in der EU von einer Mutter geführt. In Schweden, Rumänien und Spanien gibt es mit 20-23 % vergleichsweise viele alleinerziehende Väter, während sie in Estland nur 9 % der Alleinerziehenden ausmachen. Deutschland und Großbritannien liegen mit einem Väteranteil von 15 % und 14 % an den Alleinerziehenden im europäischen Mittelfeld (Eurostat 2015: 5f.).

Die Familien Alleinerziehender sind zahlreichen Risiken ausgesetzt. Dazugehört ein vergleichsweise hohes Armutsrisiko sowie ein erhöhtes Risiko, Sozialleistungen zu beziehen (Maldonado/Nieuwenhuis 2014: 5; Bahle et al. 2013: 193f.; Chzhen/Bradshaw 2012: 488f.; Fondazione G. Brodolini 2007: 9f.; Bradshaw et al. 1996: 9). Nach der Trennung haben vor allem Mütter finanzielle Einbußen hinzunehmen, während bei den Vätern kaum eine Veränderung festzustellen ist (Andreß et al. 2003: 50). Dies ist für die Mütter besonders gravierend, da sie in den meisten Fällen für die finanzielle Sicherheit ihrer Kinder hauptverantwortlich sind.

Doch Alleinerziehende haben nicht nur mehr ökonomische Probleme als Paarfamilien2, sondern sind auch gesundheitlich gegenüber Paarmüttern benachteiligt. So bewerten alleinerziehende Mütter ihren eigenen Gesundheits­zustand überdurchschnittlich häufig als ‚weniger gut‘ oder ‚schlecht‘ und sind häufiger von De­pressionen und Angstzuständen betroffen als Mütter in Paarfamilien. Dieser Befund ist empirisch gut dokumentiert, wird aber vor allem auf eine schlechtere ökonomische Lage in Verbindung mit einem geringeren sozialen Status zurückge­führt. Armut und der Bezug von Sozialhilfe werden ebenfalls als gesundheitsrelevante Einfluss­faktoren identifiziert (Hancioglu 2014: 85; Burström et al. 2010: 914; Avison et al. 2008: 245; Cooper et al. 2008: 341; Fritzell et al. 2007: 2483; Ringbäck Weitoft et al. 2002: 575; Pérez/Beaudet 1999: 23; Benzeval 1998: 1347f.; Brown/Moran 1997: 26f.). Neben dem ökonomischen Hintergrund und individuellen Merkmalen wie Alter und Bildung könnten aber auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen, um die gesundheitliche Benachteiligung Alleinerziehender zu erklären.

Politisch wird der Arbeitsmarktintegration von Alleinerziehenden ein hoher Stellenwert beigemessen, um die Lebenssituation der Familien zu verbessern und Armut zu reduzieren. Alleinerziehende stehen dadurch häufig im Visier von Aktivierungspolitiken3. Als Voraussetzung für eine stabile Erwerbsbeteiligung werden politische Maßnahmen zentral, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und damit die Chancen der Alleinerziehenden auf dem Arbeitsmarkt erhöhen (Eydoux 2015: 2f.; Millar 2011: 27; Knijn/Smit 2009: 486f.; Leitner et al. 2008: 185; Lewis et al. 2008: 262; Lewis 1997: 51f.; Kiernan et al. 1998: 7).

Kaum Beachtung wurde bisher aber den gesundheitlichen Konsequenzen geschenkt, die mit der Arbeitsmarktintegration verknüpft sind. Mit dem Beschäftigungsverhältnis sind gesundheitliche Belastungen verbunden, die durch die Arbeitszeiten oder Arbeitsplatzunsicherheit entstehen (Keller/Seifert 2013: 31; Hennig et al. 2012: 515–518; Langhoff et al. 2012: 466f.; Busch/Ducki 2010: 25).

Der Beschäftigungskontext ist mit ganz unterschiedlichen Risiken behaftet, die im Zusammenhang mit der Gesundheit der Mütter stehen könnten. Ein wichtiger Aspekt könnte dabei das Beschäftigungsverhältnis sein. Sowohl aus der Vollzeit- als auch aus einer atypischen Beschäftigung4 resultieren Gesundheitsgefahren, die besonders bei Alleinerziehenden zutage treten sollten. Die Forschung hat gezeigt, dass eine Vollzeitbeschäftigung mit Vereinbarkeitsproblemen und Mehrfachbelastungen einhergeht, welche gerade bei Alleinerziehenden, die kaum Unterstützung durch einen Partner für die Kinderbetreuung oder Haushaltsarbeit erhalten, zu Belastungen führen (Klenner et al. 2011: 273). Atypische Beschäftigungsformen gehen auf der anderen Seite auch mit Unsicherheiten und Existenzängsten einher, die besonders befristet Beschäftigte und Leiharbeiter betreffen (Keller/Seifert 2013: 31; Langhoff et al. 2012: 466f.; Busch/Ducki 2010: 25). Im Vergleich mit Paarmüttern arbeiten Alleinerziehende wesentlich häufiger in einer befristeten Beschäftigung (Engelbrecht/Jungkunst 2001: 3) und könnten infolgedessen auch höheren Gesundheitsbelastungen ausgesetzt sein.

Hinsichtlich der Erwerbseinbindung von Alleinerziehenden zeigen sich länderspezifische Variationen: So arbeiten Alleinerziehende in Italien und Deutschland überwiegend in Vollzeitstellen und gehen zu einem wesentlich höheren Anteil einer Erwerbsarbeit nach als Mütter aus Paarfamilien (Keller et al. 2012: 7f.; Statistisches Bundesamt 2010: 5, 17-20; Engelbrecht/Jungkunst 2001: 2; Bimbi 1997: 177). In Schweden und Großbritannien sind Paarmütter insgesamt häufiger in Erwerbsarbeit zu finden. Wenn Alleinerziehende hier berufstätig sind, arbeiten sie vermehrt in Teilzeitstellen (Burström et al. 2010: 917). Die Belastungen, die durch die Erwerbsarbeit für die Mütter entstehen, sollten sich zwischen den Ländern aufgrund dieser länderspezifischen Variationen in der Erwerbseinbindung unterscheiden.

Die zeitlichen Arbeitsbelastungen spielen für die Gesundheit der Mütter eine große Rolle. Die Arbeitszeit steht zum einen in einer direkten Verbindung mit dem Beschäftigungsverhältnis (Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung). Zum anderen ist aber auch die Lage der Arbeitszeit bedeutsam. So ist bekannt, dass die zeitlichen Arbeitsbedingungen der Alleinerziehenden schlechter als die der Paarmütter sind. So müssen Alleinerziehende häufiger am Wochenende und in der Nacht, im Schichtdienst oder über 40 Stunden in der Woche arbeiten (Engelbrecht/Jungkunst 2001: 3). Lange Arbeitszeiten sind dabei vor allem mit Konsequenzen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbunden. So berichten Frauen, die unter 30 Wochenstunden in Erwerbsarbeit verbringen, eine bessere Vereinbarkeit als jene, die mehr als 40 Stunden die Woche erwerbstätig sind. Damit gehen gleichzeitig auch Risiken für die Gesundheit der erwerbstätigen Mütter einher, die eine hohe Anzahl an Wochenarbeitsstunden leisten müssen. Durch eine Teilzeitbeschäftigung kann hingegen die Vereinbarkeit gefördert werden (Hennig et al. 2012: 515–518).

Ein weiterer Faktor, der direkt mit der Erwerbsarbeit verbunden ist, ist das Lohnniveau. Eine niedrig entlohnte Beschäftigung erscheint im speziellen für Alleinerziehende problematisch zu sein, da ein geringes Einkommen nicht durch einen zweiten Verdiener aufgefangen werden kann, wie es überwiegend in Paarfamilien der Fall ist. Bei Alleinerziehenden wird durch die schlech­te wirtschaftliche Lage, Arbeitsplatzunsicherheit und Belastungen durch Familien- und Erwerbsarbeit eine Kumulie­rung von Stressoren wahrscheinlich, die in einer schlechteren Gesundheit Alleinerziehender münden (Klenner et al. 2011: 241; Sperlich et al. 2011a: 738; Sperlich et al. 2011b: 388f.).

Zur Kompensation der Risiken, die mit der Erwerbsarbeit einhergehen, kommt dem Wohlfahrtsstaat eine bedeutsame Rolle zu. Durch sozial- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen könnten Verluste im Einkommen und eine Abnahme der Beschäftigungsstabilität ausgeglichen bzw. reguliert werden. Im Wohlfahrtsstaat selbst findet hingegen ein Wandel zu einer stärkeren Ausrichtung auf Flexibilisierung und Aktivierung statt, welche mit einer Stärkung der Verantwortung des Einzelnen für sich und seine Familie, einer Kürzung der Transferleistungen und einer Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen für Arbeitslose einhergeht. Alleinerziehende geraten dadurch besonders unter Druck, da sie als Familienernährerinnen für die ökonomischen Bedürfnisse ihrer Familie aufkommen müssen (Dingeldey 2011: 41; Marten 2007: 196; Ostner 2000a: 51; Ostner 2000b: 188).

Die europäischen Länder sind durch höchst unterschiedliche wohlfahrtsstaatliche Absicherungslogiken hinsichtlich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sowie der Vereinbarkeitsarrangements geprägt (Leschke 2009: 383–386; Fink 2000: 408; Kilkey 2000: 255f.). Es sollte den Ländern entsprechend auch unterschiedlich gut gelingen, den Risiken, die durch die Beschäftigung entstehen, zu begegnen. Den unterschiedlichen sozialen Sicherungssystemen im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Auswirkungen der Erwerbsarbeit, insbesondere bei vulnerablen Gruppen wie Alleinerziehenden, wurde bisher kaum Beachtung geschenkt.

Unklar ist bisher, welche Auswirkungen das Beschäftigungsverhältnis und die Arbeitsbedingungen von Müttern auf die Gesundheit haben und welche Unterschiede es hierbei in Europa gibt. An diese Forschungslücke will dieses Arbeit anschließen: Ziel ist es herauszufinden, in welchen europäischen Ländern eine gesundheitliche Benachteiligung Alleinerziehender festzustellen ist. Anschließend wird versucht, die gesundheitliche Ungleichheit zwischen den Müttern zu erklären. Aufgrund der Relevanz der Erwerbsintegration und der Aktivierung in Erwerbsarbeit wird der Blick auf Determinanten gerichtet, die im Zusammenhang mit dem Beschäftigungskontext stehen. Dazugehört nicht nur das Beschäftigungsverhältnis, sondern auch die Arbeitszeiten sowie soziale, finanzielle und Zeitressourcen, die über die Erwerbsarbeit vermittelt sind. Es gilt somit die Frage zu beantworten, welche Beschäftigungsfaktoren für die Gesundheit der Mütter und insbesondere der Alleinerziehenden von Relevanz sind.

In der bisherigen Forschung zur Müttergesundheit wurden institutionelle Kontextfaktoren weitestgehend ausgeblendet, dabei stellen sie ökonomische Ressourcen bereit und sind ausschlaggebend, um erwerbstätig sein zu können. Die institutionellen Rahmenbedingungen könnten durch die Förderung der Ressourcenausstattung und Vereinbarkeit sowie durch die Minimierung von Arbeitsplatzunsicherheit im Zusammenhang mit der Gesundheit stehen. Aus diesem Grund sollen auch institutionelle Kontextfaktoren wie familien- und gesundheitspolitische Leistungen sowie das Niveau von Arbeitsmarktflexibilisierung und sozialer Sicherheit berücksichtigt werden.

Ebenfalls sind die gesellschaftlichen Einstellungen zur Müttererwerbstätigkeit und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in den jeweiligen Ländern bedeutsam: Die Abweichung von gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensweisen kann zu Stigmatisierungen oder moralischen Konflikten im Individuum führen, die ebenfalls eine Beziehung zur Gesundheit der Mütter aufweisen (Treas/Tai 2011: 919). Weiterhin soll geprüft werden, ob bestimmte individuelle und institutionelle Determinanten sowie die gesellschaftlichen Einstellungen den Zusammenhang zwischen Gesundheit und familiärer Lebensform moderieren.

 

Zur Beantwortung der forschungsleitenden Fragen wird wie folgt vorgegangen: Zu Beginn wird der Gesundheitsbegriff näher vorgestellt und zu verwandten Begriffen wie dem der Lebensqualität oder des Wohlbefindens in Verbindung gesetzt. Auch wird hier auf den Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität Bezug genommen, der sowohl Aspekte der Gesundheit und der Lebensqualität miteinander verbindet und für den weiteren Verlauf der Arbeit von besonderer Bedeutung ist (Kap. 2.1).

Darauffolgend werden unterschiedliche, aus der Forschung bekannte Determinanten von Gesundheit bzw. Krankheit aufgezeigt. Dabei werden auch Determinanten in den Fokus gerückt, die im Verlauf dieser Arbeit keinen Schwerpunkt bilden, die aber im Allgemeinen relevant für die Gesundheit der Individuen sind. Ziel des Kapitels soll es sein, einen ersten Überblick über Determinanten aus unterschiedlichen Bereichen zu geben (Kap. 2.2).

Im nächsten Schritt werden die Forschungsergebnisse bezüglich des Zusammenhangs von Erwerbsarbeit, Ressourcen, Haushaltskontext und Gesundheit bei Müttern vorgestellt. Es geht dabei um die Frage, welche dieser Determinanten sich bisher als relevant erwiesen haben, um die gesundheitliche Ungleichheit zwischen Alleinerziehenden und Paarmüttern zu erklären bzw. zu reduzieren. Weiterhin wird geprüft, ob bestimmte Determinanten stärker in einer Beziehung zur Gesundheit Alleinerziehender als zur Gesundheit der Paarmütter stehen. Länderspezifischen Unterschieden wird dabei besondere Beachtung geschenkt. Auch wird aufgeführt, was bereits über den Zusammenhang zwischen Müttergesundheit und sozial-, familien-, arbeitsmarkt- und gesundheitspolitischen Maßnahmen bekannt ist. Schlussendlich werden aus dem Forschungsstand Forschungslücken abgeleitet, an die die vorliegende Arbeit anknüpfen soll (Kap. 3).

Der zweite Teil der Arbeit kann mit dem Oberbegriff ‚Theorien‘ überschrieben werden. Nachdem bereits einiges über den empirischen Zusammenhang von Müttergesundheit und ihren Determinanten erläutert wurde, wende ich mich den theoretischen Grundlagen zu, die den Zusammenhang zwischen den im Vordergrund stehenden Determinanten der Erwerbsarbeit, Arbeitszeit, Ressourcen sowie der Haushaltszusammensetzung mit der Gesundheit näher betrachten. Im ersten Schritt werden Theorien verwendet, die ihren Schwerpunkt auf der Mikroebene (Kap. 4) haben. Dazugehört das Modell der Gratifikationskrisen (Kap. 4.1). Hier steht das Verhältnis von Anerkennung, Gehalt und Karrierechancen zur erbrachten Leistung im Vordergrund. Ein Ungleichgewicht führt zu gesundheitlichen Einschränkungen.

Eine stärkere Fokussierung auf Ressourcen vollzieht sich dann im Anforderungs-Ressourcen Modell (Kap. 4.2.1). Anforderungen, welche die Umwelt oder das Individuum selber stellen, können nur dann erfüllt werden, wenn ausreichend Ressourcen vorhanden sind, die die Erfüllung der Anforderungen unterstützen. Nachfolgende Theorien legen ihren Schwerpunkt auf Ressourcen, die helfen, die Bewältigung von belastenden Situationen zu verbessern (Kap. 4.2.2) oder das Eintreten bzw. die Erwartung von Ressourcenverlusten als belastend definieren (Kap. 4.2.3).

Ein Mangel an Bewältigungsressourcen kann in Konflikten münden. Eine besondere Relevanz für Mütter nimmt dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Rollenkonflikte entstehen dann, wenn die Anforderungen in der Berufs- und Familienrolle nicht mehr bewältigt werden können. Nicht zu bewältigende Konflikte können zu einer gesundheitlichen Belastungsquelle werden (Kap. 4.3).

Neben Faktoren auf der Individualebene der Akteure sind auch Determinanten auf der institutionellen Ebene (Makroebene) von Relevanz. Theoretisch werden diese Determinanten im fünften Kapitel behandelt. Zu diesen zählt das Verhältnis von Arbeitsmarktflexibilisierung und sozialer Sicherheit (Flexicurity, Kap. 5.1), welches hinsichtlich der sozialen Absicherung der Beschäftigten eine große Rolle spielt. Arbeitsmarktunsicherheiten der Beschäftigten, die durch ein hohes Flexibilisierungsniveau entstehen, können durch eine umfangreiche soziale Absicherung ausgeglichen werden. Gleichzeitig ist Aktivierung ein zentraler Bestandteil des Flexicurity-Konzeptes, um bspw. die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen und die Arbeitslosenzahlen zu reduzieren. Damit sind für Mütter Belastungen verbunden, die durch den Druck zur Arbeitsaufnahme (Whitworth 2013: 842) sowie Arbeitsplatzunsicherheit entstehen. Da Alleinerziehende häufiger in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen beschäftigt sind (Engelbrecht/Jungkunst 2001: 3), sollten sie auch eher gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sein, die durch eine gute Balance von Flexibilisierung und sozialer Sicherheit reduziert werden könnten.

Für Mütter ist auch die Familienpolitik ein wichtiger Punkt, da durch die institutionellen Betreuungsarrangements die Vereinbarkeitsmöglichkeiten maßgeblich mitbestimmt werden und Transferzahlungen die finanzielle Situation der Familien verbessern sollten (Kap. 5.2). Insbesondere Alleinerziehende könnten davon profitieren, dass gut ausgebaute Kinderbetreuungsmöglichkeiten Vereinbarkeitskonflikten entgegenwirken und finanzielle Transferzahlungen die ökonomische Situation der Alleinerziehenden verbessern.

Im darauffolgenden Subkapitel bewege ich mich weg von familienpolitischen und hin zu kulturellen Aspekten. Im Vordergrund steht die gesellschaftliche Akzeptanz der Erwerbsbeteiligung von Müttern. Dies ist neben den institutionellen Betreuungsarrangements wichtig, damit die Mütter durch die Aufnahme einer Erwerbsarbeit keine gesellschaftliche Stigmatisierung erfahren, die ebenfalls mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verknüpft sein könnte (Kap. 5.3).

Der Zugang zum Gesundheitssystem und die damit verbundenen Kosten sind von Relevanz, da sie bestimmen, ob sich Personen mit finanziellen Problemen eine ärztliche Versorgung leisten können. Da Alleinerziehende häufiger von Armut und finanziellen Engpässen betroffen sind (Jaehrling et al. 2011: 158; Chzhen/Bradshaw 2012: 488, 496; Kilkey/Bradshaw 1999: 161f.), ist für diese Gruppe die finanzielle Absicherung und der Zugang zu kostenfreier Gesundheitsversorgung besonders wichtig (Kap. 5.4). Zu guter Letzt wird ein Zwischenfazit (Kap. 5.5) gezogen und die einzelnen Theorien in einem Erklärungsmodell (Kap. 6) zusammengebracht, welches die Grundlage für die Ableitung der Hypothesen (Kap. 7) bildet.

Im dritten Teil dieser Arbeit stehen die empirischen Auswertungen im Mittelpunkt. Zu Beginn dieses Teils wird das empirische Vorgehen näher erläutert (Kap. 8). Damit wird die Grundlage für das Verstehen der Ergebnisse der Mehrebenenanalyse gelegt. Dieses Vorgehen wurde gewählt, da es erlaubt, die Mikro- und Makroebene aus dem Erklärungsmodell auch empirisch zusammenzubringen. Die Datengrundlage (Kap. 9) und die Operationalisierung der Variablen (Kap. 10) werden sodann für beide Ebenen erläutert.

Im Anschluss werden zuerst die deskriptiven Ergebnisse für die Länder der EU vorgestellt (Kap. 11), hierbei werden die unterschiedlichen Determinanten in eine Verbindung zur Gesundheit gesetzt und Unterschiede zwischen den Müttern aufgezeigt. Darauffolgend werden die Ergebnisse der Mehrebenenanalyse für die Mikro- und Makroebene vorgestellt (Kap. 12). Um einen differenzierteren Überblick über gesundheitliche Folgen zu erhalten, wird neben der selbsteingeschätzten Gesundheit (Kap. 12.1) auch die mentale Gesundheit (Kap. 12.2) der beschäftigten Mütter berücksichtigt. In einem abschließenden Zwischenfazit werden die Ergebnisse der mentalen und selbsteingeschätzten Gesundheit zusammengebracht und verglichen (Kap. 12.3).

Im vierten und letzten Teil werden die Ergebnisse diskutiert. Hierbei wird als Erstes auf die theoretische Bedeutung der Ergebnisse (Kap. 13.1) unter Rückgriff auf die einzelnen Hypothesen und verwendeten Theorien Bezug genommen. Aus den Ergebnissen werden politische Implikationen für eine bessere gesundheitliche Absicherung erwerbstätiger Mütter und Alleinerziehender abgeleitet (Kap. 13.2). Ein abschließendes Fazit bringt die einzelnen Teile der Arbeit noch einmal zusammen und zeigt die Limitationen der Arbeit sowie den weiteren Forschungsbedarf auf (Kap. 13.3).

 

1 Es gibt keine einheitliche Definition von Alleinerziehenden. So variiert das Alter des jüngsten Kindes, bis zu dem Alleinerziehende als alleinerziehende Mütter gelten können. Häufig wird die Volljährigkeit als Obergrenze genutzt. In anderen Studien wird die Obergrenze bei 16 Jahren gezogen, da die Kinder dann nicht mehr auf die Betreuung der Eltern angewiesen sind. Im deutschen Kontext ist auch bis 25 Jahre eine gängige Altersgrenze, da bis zu diesem Alter finanzielle Unterstützungen wie das Kindergeld an die Eltern ausgezahlt werden und von den Eltern Unterhaltszahlungen an ihre Kinder erwartet werden, solange diese sich noch in einer Ausbildungsphase befinden. Wie lange Eltern ihre Kinder finanziell unterstützen müssen oder Transferzahlungen erhalten, unterscheidet sich aber innerhalb der EU (Chzhen/Bradshaw 2012: 489; Peuckert 2012: 349).

2 In der vorliegenden Arbeit liegt eine Partnerschaft vor, wenn ein Paar zusammen im gleichen Haushalt lebt. Die Definition bezieht damit sowohl verheiratete als auch unverheiratete Paare mit ein. Dem Ehestatus wird in dieser Arbeit keine weitere Beachtung geschenkt, da die Vorteile eine Partnerschaft bzw. die Belastungen für Alleinerziehende unabhängig von der Institution der Ehe vorhanden sein sollten. Auch wenn mir bewusst ist, dass in manchen Ländern wie Deutschland, Eheleuten noch weitere steuerliche Vorteile zu Teil werden, auf die unverheiratete Paare keinen Anspruch haben. Auch aus datentechnischen Gründen kann in den Analysen nicht zwischen verheirateten und zusammenlebenden, aber unverheirateten Paaren differenziert werden.

3 Unter Aktivierungspolitiken werden Maßnahmen verstanden, die Erwerbslose schneller wieder in Arbeit bringen sollen. Insbesondere Problemgruppen am Arbeitsmarkt wie Ältere, Migranten und Mütter rücken in den Fokus dieser Politik. Ziel dieser Politik ist es, die Anzahl an Erwerbslosen und Sozialleistungsbeziehern zu reduzieren (Bogedan 2005: 5f.; Halvorsen/Jensen 2004: 461f.). Inwieweit auch Alleinerziehende aktiviert werden, unterscheidet sich aber zwischen den EU-Ländern (Haux 2013: 124–129). Genauere Informationen zum Aktivierungskonzept und zur Aktivierung Alleinerziehender finden sich im Kapitel 5.1.2.2.

4 Unter dem Begriff ‚atypische Beschäftigung‘ werden Beschäftigungsformen zusammengefasst, die von einem unbefristeten Vollzeitbeschäftigungsverhältnis, dem sog. Normarbeitsverhältnis, abweichen. Dazugehören Soloselbständige, Leiharbeiter, Teilzeitbeschäftigte, geringfügig und befristet Beschäftigte (Keller et al. 2012: 1; Laß 2012: 80; Keller/Seifert 2011: 1; Mückenberger 1985: 422f.).

 

4. 2. Definition und Determinanten von Gesundheit

Die Debatte um gesundheitliche Ungleichheit, ihre Ursachen und Konsequenzen beginnt in den 1980er Jahren mit dem britischen Black Report, welcher Unterschiede in der Sterblichkeit und Krankheitsanfälligkeit zwischen Angehörigen unterschiedlicher sozialer Klassen aufzeigt (Geyer 2010: 251f.). Unter gesundheitlicher Ungleichheit werden „systematic differences in health between different socioeconomic groups within a society” (Whitehead 2007: 473) verstanden. „As they are socially produced, they are potentially avoidable and are widely considered unacceptable in a civilised society” (ebd.). Ungleichheiten in Mortalität, Morbidität und selbsteingeschätzter Gesundheit nach sozioökonomischen Status sind in jedem europäischen Land vorzufinden. Gesundheitliche Ungleichheit ist somit ein weitverbreitetes Phänomen (Kunst 2009: 371f.).

Ziel dieses Kapitels soll es sein, die Entwicklung des Gesundheitsbegriffes vorzustellen und ihn in Beziehung zu verwandten Begriffen wie dem der Lebensqualität und des Wohlbefindens zu setzen. Verschiedene individuelle und strukturelle Ansätze zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit werden anschließend kurz vorgestellt.

 

2.1 Der Gesundheitsbegriff

Eine einheitliche Definition von Gesundheit gibt es bislang nicht. Die Definitionen unterscheiden sich dabei insbesondere unter den Fachdisziplinen Soziologie, Psychologie und Medizin (Erhart et al. 2006: 335; Hartmann 2010: 46). In der Medizin wird Gesundheit in erster Linie als Abwesenheit von Krankheit definiert: „Gesundheit ist die Abwesenheit von Krankheit, wobei Krankheit definiert ist als Abweichungen von der natürlichen funktionalen Organisation eines typischen Mitgliedes einer Spezies“ (Heitz 2014: 41).

Diese Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit vernachlässigt, dass Gesundheit und Krankheit keine statischen Zustände sind, sondern, dass sich die Individuen häufig zwischen den beiden Polen bewegen. Es kann daher eher von einem Balancezustand gesprochen werden,

„d.h. einen Zustand objektiven und subjektiven Befindens einer Person, der dann gegeben ist, wenn die Person sich in Einklang mit körperlichen, seelischen, sozialen Bereichen ihrer Entwicklung, den eigenen Möglichkeiten, Zielen und den äußeren Lebensbedingungen befindet“ (Franck 2007: 20).

Dieses Gleichgewicht muss von den Personen immer wieder neu hergestellt werden und ist von persönlichen Merkmalen wie dem Selbstvertrauen und Faktoren in der Umwelt wie Arbeits- oder Wohnbedingungen abhängig (ebd.: 20f.; s. Kapitel 2.2). Auch die subjektive Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit wird vernachlässigt, wenn man nur die medizinische Perspektive heranzieht. Vor allem bei der psychischen Gesundheit ist die eigene Wahrnehmung von außerordentlicher Relevanz. Abweichungen von der Norm lassen sich bei psychischen Erkrankungen weitaus schwieriger objektiv Messen, als dies bei körperlichen Beeinträchtigungen der Fall ist (Heitz 2014: 39, 60f.).

Die Weltgesundheitsorganisation definiert psychische Gesundheit als

„clinically significant conditions characterized by alterations in thinking, mood (emotions) or behaviour associated with personal distress and/or impaired functioning. Mental and behavioural disorders are not just variations within the range of ‘normal’, but are clearly abnormal or pathological phenomena“ (World Health Organization 2001: 21).

Bei der Definition der psychischen Gesundheit ist die Funktionsfähigkeit zur Bewältigung von Belastungen ein zentrales Element. Psychische Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung, um am sozialen Leben teilhaben und seine gesellschaftlichen Rollen erfüllen zu können.

Auch das heutige soziologische Verständnis von Gesundheit geht über die Abwesenheit von Krankheit hinaus. Neben der physischen und psychischen Gesundheit wird auch das Wohlbefinden in der Definition berücksichtigt. Dieses weiter gefasste Verständnis von Gesundheit wird im Wesentlichen durch das Gesundheitsverständnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geprägt. In ihrer Verfassung von 1946 wurde folgende Definition von Gesundheit festgehalten, welche bis heute unverändert Bestand hat: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity“ (World Health Organization 1946: 100).

Der Begriff Gesundheit wird hier im Sinne der gesundheitsbezogenen Lebensqualität verwendet. „Gesundheitsbezogene Lebensqualität kann verstanden werden als Selbstbericht von sozialen, psychischen, körperlichen und alltagsnahen Aspekten von Wohlbefinden und Funktionsfähigkeit“ (Bullinger 2000: 1). Damit ist die Gesundheit gemeint, wie sie von den Einzelnen wahrgenommen und erlebt wird, so also, wie sie auch im Leben der Individuen von Relevanz ist. Modernisierungsprozesse haben dazu geführt, dass die Ansprüche der Individuen an Gesundheit vielschichtiger und stärker ausdifferenziert sind als jemals zuvor. Gesundheit ist dadurch nur schwer objektivierbar, da sich das Erleben von Gesundheit und Krankheit von Mensch zu Mensch unterscheidet (Hartmann 2010: 47; Erhart et al. 2006: 337; Faltermaier 2009: 46–49; Schumacher et al. 2003: 2).

Der Begriff der Lebensqualität entstammt ursprünglich der sozialen Indikatoren Forschung. Hier wird nach einem Maß für objektive Lebensqualität gesucht, insbesondere rücken dabei Einkommen, materielle Absicherung und die Gesundheitsversorgung in den Fokus. Später geraten auch subjektive Indikatoren, wie die Lebenszufriedenheit in den Blick (Schumacher et al. 2003: 1). Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wird dabei als Teil der allgemeinen Lebensqualität begriffen. Wenn die Gesundheit schlecht ist, wird auch die Lebensqualität insgesamt reduziert. Dies kann damit begründet werden, dass Gesundheit eine wichtige Voraussetzung ist, um an anderen Bereichen wie Berufs- und Weiterbildungen aktiv teilnehmen zu können. Auch die gesellschaftliche Teilhabe insgesamt wird maßgeblich durch die körperlichen und psychischen Möglichkeiten beeinflusst. Mobilitätseingeschränkte Personen haben bspw. weniger Möglichkeiten am kulturellen und sozialen Leben der Gesellschaft teilzunehmen, wenn bestimmte Orte nur schlecht zugänglich sind. Diese Bereiche sind wiederum eng mit der allgemeinen Lebensqualität verknüpft (Radoschewski 2000: 166f.).

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist ein mehrdimensionales Konstrukt, welches sich im Anschluss an Patrick und Erickson (1988) in vier Hauptbereiche unterteilen lässt:

„ (1) Krankheitsbedingte körperliche Beschwerden, die von vielen Patienten als primäre Ursache für Einschränkungen der Lebensqualität betrachtet werden. (2) Die psychische Verfassung im Sinne von emotionaler Befindlichkeit, allgemeinem Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit. (3) Erkrankungsbedingte funktionale Einschränkungen in alltäglichen Lebensbereichen wie Beruf, Haushalt und Freizeit. (4) Die Ausgestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Interaktionen sowie erkrankungsbedingte Beeinträchtigungen in diesem Bereich“ (Schumacher et al. 2003: 3).

Die meisten soziologischen Definitionen von Gesundheit haben drei zentrale Elemente gemein: Wie auch in den medizinischen Definitionen von Gesundheit ist die Abwesenheit von Krankheit ein zentraler Bestandteil. Das allgemeine Wohlbefinden, welches sowohl psychische und physische Aspekte umfasst, ist das zweite zentrale Element der Gesundheitsdefinition. Drittens sollten gesellschaftlich zugewiesene Rollen und Aufgaben ohne Leistungsminderung erfüllt werden (Dann 1991: 106).

Das individuelle Gesundheitsverständnis weist große Variationen auf. Was persönlich unter Gesundheit verstanden wird, unterscheidet sich nach Geschlecht und Altersgruppen. Jüngere fühlen sich bspw. dann gesund, wenn sie aktiv an sportlichen Aktivitäten teilnehmen können, während für Ältere Beschwerdefreiheit ausreicht, um sich gesund zu fühlen. Für Frauen ist Gesundheit oftmals gleichzusetzen mit Wohlbefinden im körperlichen und psychischen Bereich, bei Männern steht hingegen die Leistungsfähigkeit sowie Beschwerdefreiheit im Mittelpunkt ihres Gesundheitsverständnisses (Trompetter 2014: 18; Schwartz et al. 2012: 39; Schulze/Welters 1998: 102f.).

Im Gesundheitsverständnis zeigen sich auch Unterschiede zwischen Nationen: So gibt fast die Hälfte der Deutschen an, „Gesundheit als körperliches und psychisches Wohlbefinden“ zu definieren, aber nur ein Drittel der Engländer ist ebenfalls dieser Überzeugung (Mattes 1998: 162). Eine neuere Studie zeigt, dass auch 42 % der Briten unter Gesundheit in erster Linie ein umfassendes Wohlbefinden verstehen und nur 13 % ausschließlich Beschwerdefreiheit mit dem Gesundheitsbegriff assoziieren (Trompetter 2014: 18). In Portugal zeigt sich, dass die psychische Gesundheit für die Portugiesinnen eine wesentlich wichtigere Rolle im Gesundheitsverständnis spielt als bei deutschen Frauen, die vergleichsweise stark auf körperliche Aspekte der Gesundheit Bezug nehmen. Psychische Gesundheit spielt in Deutschland vor allem in Verbindung mit Stress eine bedeutsame Rolle (Flick et al. 1998: 155–157). In Deutschland werden insgesamt vier unterschiedliche Hauptdefinitionen in der Bevölkerung herausgefiltert: Dazugehört neben der Beschwerdefreiheit, der Funktionsfähigkeit und dem Wohlbefinden auch die „Widerstandskraft gegen äußere Einflüsse“ (Trompetter 2014: 18).

Gesundheit ist somit nicht nur aus einer wissenschaftlichen Perspektive schwer zu definieren, sondern es zeigen sich auch Unterschiede zwischen Personen nach Geschlecht und Alter sowie länderspezifische Differenzen. Welche Determinanten für die individuelle Gesundheit als relevant erachtet werden, kann sich je nach Gesundheitsdefinition unterscheiden. Beruht das Gesundheitsverständnis der Individuen nur auf der Beschwerdefreiheit, kann diese womöglich leichter erreicht werden als eine vollständige Zufriedenheit mit allen körperlichen und psychischen Aspekten. Dies kann dann auch die Einschätzung der eigenen gesundheitsbezogenen Lebensqualität beeinflussen.

 

2.2 Determinanten von Gesundheit

Zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit gibt es zahlreiche Erklärungsansätze, die unterschiedliche Bereiche des menschlichen Lebens berücksichtigen. Die wichtigsten Ansätze sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Wichtig ist hierbei, dass die vorgestellten Ansätze nicht gleichwertig in ihrem Einfluss auf die Gesundheit sind. Die individuellen Auswirkungen sind von persönlichen Erfahrungen und Bewältigungsmöglichkeiten1 abhängig und variieren zwischen Personen.

 

2.2.1 Demographische Faktoren und Familienstand

Hinsichtlich der demografischen Faktoren finden sich Unterschiede in der Gesundheit nach Geschlecht und Alter. Jüngere Personen haben insgesamt die beste Chance einen guten Gesundheitszustand zu berichten (Bambra et al. 2010: 409). Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Alter ist in den mediterranen Ländern am größten, mittel in den kontinentalen und skandinavischen Ländern und am geringsten in den liberalen Ländern2. Die gesundheitliche Ungleichheit steigt aber über alle Altersgruppen an (ebd.). Depressionen sind hingegen unter den 18-19-Jährigen am häufigsten und bei den 65-Jährigen am seltensten vorzufinden (Kurth 2012: 987). Mit zunehmendem Alter nimmt die Gesundheit der Frauen in Bezug auf Krankheiten und körperliche Fitness ab, während sie bei der selbsteingeschätzten und psychosozialen Gesundheit mit dem Alter zunimmt (Macran et al. 1996: 1211).

Einige Studien beschäftigten sich mit der gesundheitlichen Ungleichheit im hohen Lebensalter. Auch hier zeigen sich große Ungleichheiten. Jüngere Ältere haben so einen besseren physischen Gesundheitszustand als hochaltrige Personen (Kümpers 2008: 8). Im Vergleich mit 50-54-Jährigen haben insbesondere Personen ab 70 Jahren signifikant häufiger psychische Einschränkungen. Frauen berichten insgesamt häufiger depressive Symptome und die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen nimmt mit dem Alter deutlich zu (Buber/Engelhardt 2011: 86).

Hinsichtlich der Geschlechterunterschiede zeigt sich, dass in neun von 13 Ländern signifikante Unterschiede in der Gesundheitseinschätzung nach Geschlecht auffindbar sind: In Dänemark, Schweden, Norwegen, den Niederlanden, Italien, Spanien und Portugal berichten mehr Frauen einen eingeschränkten Gesundheitsstatus als Männer. In Großbritannien und Finnland haben hingegen mehr Männer einen schlechten Gesundheitszustand. Für die Gesundheitseinschätzung wurden in Deutschland, Belgien, Frankreich und Irland keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern gefunden (Bambra et al. 2009: 39). Auch berichten Frauen häufiger depressive Symptome als Männer (van de Velde et al. 2013: 691). Die Ergebnisse sind aber nicht immer eindeutig: In Großbritannien wird in einem Teil der Studien kein Zusammenhang zwischen Geschlecht und Gesundheit gefunden (Rodriguez 1999: 6f.). In anderen Studien haben Männer gesundheitliche Nachteile gegenüber Frauen (Drever et al. 2004: 593).

Es finden sich aber nicht nur Ergebnisse, die auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen hindeuten, sondern auch Evidenzen für Unterschiede innerhalb der Geschlechtergruppen. So haben verheiratete Frauen und Männer weniger Beschwerden als Alleinerziehende, die besonderen Belastungen ausgesetzt sind (Popay/Jones 1990: 509f.; Lademann/Kolip 2005: 31; Arber et al. 2014: 17). Die Heterogenität der Geschlechtergruppen wird stärkere Beachtung geschenkt, wenn man innerhalb der jeweiligen Gruppe nach Ehestatus und Elternschaft differenziert.

Sowohl in qualitativen als auch in quantitativen Studien zeigt sich, dass Alleinerziehende im Vergleich mit Paarmüttern einen schlechteren psychischen Gesundheitszustand aufweisen und auch ihre eigene Gesundheit schlechter einschätzen. Unterschiede in körperlichen Beeinträchtigungen sind weniger stark ausgeprägt oder konnten gar nicht festgestellt werden (Hancioglu 2014: 84; Sperlich et al. 2011b: 389; Cooper et al. 2008: 337; Lange/Saß 2006: 123; Sperlich/Collatz 2006: 132; Helfferich et al. 2003: 14f.; Targosz et al. 2003: 719). Auch ergeben sich Unterschiede in der Gesundheit zwischen alleinerziehenden und verpartnerten Vätern (Westin/Westerling 2006: 184), diese sind aber weniger groß als die zwischen alleinerziehenden und verpartnerten Müttern (Helfferich et al. 2003: 8, 20).

 

2.2.2 Soziale Position und Ressourcen

Die soziale Position in der Gesellschaft beeinflusst die Verteilung der Risikofaktoren und damit auch die Betroffenheit von gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Dahlgren/Whitehead 2006: 24f.). Die Gesundheitschancen variieren mit dem Einkommens- und Bildungsniveau sowie dem sozialen Status: Je höher Bildung und Einkommen ausfallen, desto besser ist in allen europäischen Ländern die Gesundheit (Arber et al. 2014: 17; Cullati et al. 2014: 22; Lampert/Mielck 2008: 8f.; Wege et al. 2008: 340f.; Richter/Hurrelmann 2007: 3f.; Mackenbach 2006: 4) und desto geringer ist das Mortalitätsrisiko (Lampert et al. 2007: 16).

Die Ungleichheit zwischen den Statusgruppen in der Gesundheit setzt sich auch bei Betrachtung konkreter Gesundheitsindikatoren fort. Im Bereich der chronischen Gesundheitsdefizite und bezüglich der Anfälligkeit für Schlaganfälle, Krankheiten des Nervensystems, Herzkrankheiten und Herzinfarkte, Diabetes und Arthritis sind Personen mit einem geringen sozioökonomischen Status3 häufiger betroffen als Personen mit einem hohen Status. Keine Ungleichheiten in der Betroffenheit lassen sich bei Krebs-, Haut- und Nierenerkrankungen feststellen. Allerdings ist die Überlebensrate unter den Krebspatienten mit einem hohen sozioökonomischen Status höher. Allergien hingegen sind bei Personen aus den oberen Statusschichten häufiger zu finden (Lampert/Kroll 2008: 225f.; Mackenbach 2006: 4, 25-27).

Allerdings haben nicht alle Personengruppen die gleiche Chance auf eine gute finanzielle Ressourcenausstattung. So ist die Lage der alleinerziehenden Mütter häufig wesentlich prekärer als die der Väter. Alleinerziehende Väter erwirtschaften ein höheres Einkommen und sind weitaus seltener auf staatliche Transferzahlungen angewiesen als alleinerziehende Mütter. Es wird davon ausgegangen, dass Väter belastende Situationen besser bewältigen und mehr Ressourcen zur Verfügung haben, welche die Bewältigung unterstützen und dadurch weniger Belastungen ausgesetzt sind als alleinerziehende Mütter (Westin/Westerling 2006: 184; Helfferich et al. 2003: 8, 20).

Neben dem ökonomischen Kapital kann im Anschluss an Bourdieu weiterhin zwischen sozialen und kulturellen Kapital differenziert werden. Soziales Kapital umfasst die sozialen Netzwerke sowie zwischenmenschliche Beziehungen. Kulturelles Kapital kann in unterschiedlichen Formen auftreten: Dazugehört eine durch die Sozialisation erworbene Bildung, die die Verhaltensweisen grundlegend mitbestimmt. Weiterhin kann kulturelles Kapital auch in Form von Kulturgütern wie Büchern, Gemälden oder Musikinstrumenten auftreten oder in Form von Schulabschlüssen und Bildungstiteln, die deren Inhabern ein gewisses Niveau an kulturellem Kapital zuschreiben (Bourdieu 1983: 183–191). Ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital stehen in einem engen Zusammenhang mit der Gesundheit: Je höher die Kapitalausstattung einer Person ausfällt, desto besser schätzt sie auch ihren eigenen Gesundheitszustand ein (Pinxten/Lievens 2014: 1106).

 

2.2.3 Soziales Kapital

Ebenfalls gibt es zahlreiche Studien, welche sich explizit mit dem Zusammenhang von sozialen Kapital und Gesundheit befassen. Soziale Beziehungenkönnen mit einem direkten Gesundheitseffekt verbunden sein, indem sie das Wohlbefinden fördern und das Selbstwertgefühl steigern. Soziale Netzwerke prägen gesundheitsrelevante Verhaltensweisen und haben dadurch auch einen indirekten Effekt auf die Gesundheit. In Netzwerken, in denen Sport und gesunde Ernährung praktiziert werden, wird eher auf gesundheitsschädliches Verhalten aufmerksam gemacht und Aufklärungsarbeit geleistet. Soziale Beziehungen können noch einen weiteren indirekten Effekt haben, indem sie als Puffer fungieren und die Auswirkungen von gesundheitsschädlichem Stress durch emotionale Unterstützung reduzieren (Hartung 2011: 245f.; Wilkinson/Marmot 2003: 22f.).

Die Nachbarschaft ist ein wichtiger Bestandteil sozialen Kapitals, da Nachbarn gleichartig von strukturellen Nachteilen betroffen sind, die mit der Wohnumgebung zusammenhängen. In den Ergebnissen für drei deutsche Städte zeigt sich, dass das Vertrauen in die Nachbarschaft abnimmt, wenn der Anteil an Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern in der Nachbarschaft hoch ist oder wenn die durchschnittliche Wohnfläche pro Person gering ist. Die Gesundheit ist in diesen Fällen aufgrund des geringen Sozialkapitalniveaus in der Nachbarschaft beeinträchtigt (Siegrist et al. 2006: 171, 176f.).

 

2.2.4 Wohnumgebung

Nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch die Wohnumgebung steht in einem direkten Zusammenhang mit der Gesundheit. Verantwortlich dafür sind in erster Linie ökologische Faktoren wie Luft- und Wasserverschmutzung sowie Lärmbelästigung durch angrenzenden Straßen-, Zug- und Fluglärm. Studien haben gezeigt, dass Fluglärm eine Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Auch Schienenlärm geht mit einer erhöhten Anzahl von Krankheits- und Todesfällen einher (Greiser 2014: 862f.). An Tagen mit einer erhöhten Belastung durch Ultrafeinstaub in der Luft steigen die Todesfälle und Erkrankungen ebenfalls an. Ultrafeinstaubpartikel, die durch den Autoverkehr freigesetzt werden und zu 40 % aus Ruß bestehen, sind für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen verantwortlich. Insbesondere das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist signifikant erhöht (Zscheppang/Kirch 2012: 4.e1; Peters 2005: S82f.).

 

2.2.5 Verhaltensweisen und kulturelle Aspekte

Erklärungsansätze, die ihren Ausgangspunkt auf Verhaltensweisen und kulturelle Aspekte legen, nehmen vor allem die Rolle von Sport, Ernährung, Alkohol- und Drogenkonsum in den Blick. Diese Verhaltensweisen können sich aufgrund individueller Charakteristika wie Risikoaversität und Selbstvertrauen oder aufgrund kulturell erwarteter Verhaltensweisen zwischen Personen und Gesellschaften unterscheiden (Bartley 2004: 65–67). So können Unterschiede in der Mortalität zwischen Männern und Frauen auf Verhaltensunterschiede zurückgeführt werden. Männer sterben aufgrund eines gesundheitsriskanteren Verhaltens früher als Frauen. Männer rauchen mehr und trinken häufiger Alkohol. Außerdem sterben sie häufiger im Zuge von Unfällen oder Schlägereien. Auch kulturelle Rollenerwartungen spielen dabei eine Rolle. Männer sehen sich eher in der Rolle des hart Arbeitenden und sich zur Wehr Setzenden. Diese Rollenklischees gehen mit einer erhöhten Unfallrate mit Todesfolge in der Gruppe der Männer einher (Lademann/Kolip 2005: 31; Eickenberg/Hurrelmann 1997: 120–123).

Auch gesundheitliche Ungleichheiten zwischen Statusgruppen können durch Verhaltensweisen erklärt werden. Insbesondere mit Rauchen und Alkoholkonsum sind negative Gesundheitseffekte assoziiert. Rauchen, Alkoholkonsum und ungesunde Ernährungsweisen treten in den unteren Statusgruppen häufiger auf. Höhere Bildung und ein höheres Einkommen tragen hingegen zu einem gesundheitsbewussteren Verhalten bei (Mackenbach 2006: 30–32; Lampert/Kroll 2008: 227).

 

2.2.6 Psycho-Soziale Determinanten

Zu den Psycho-Sozialen Determinanten von Gesundheit zählen kritische Lebensereignisse und Gratifikationskrisen. Der durch die Determinanten erzeugte psychosoziale Stress führt zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Zu den kritischen Lebensereignissen zählen Trennung, Arbeitslosigkeit, Reduzierung des Einkommens, ein Todesfall im Verwandten- oder Bekanntenkreis sowie Sorgen um die eigenen Kinder oder andere Familienmitglieder. Untersuchungen zeigen, dass es vor allem die negativen Lebensereignisse sind, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, während positive Lebensereignisse wie eine Heirat, ein Schulabschluss oder die Geburt eines Kindes nahezu ohne Auswirkungen auf den Gesundheitszustand bleiben. Wieder zeigen sich die bereits bekannten Statusunterschiede: Personen mit einem hohen sozioökonomischen Status erleben weniger gesundheitsbelastende Ereignisse als Personen aus unteren Statusgruppen (Geyer 2001: 210; Billings/Moos 1982: 107–111; DeLongis et al. 1982: 126–131).

Bei den Gratifikationskrisen spielt das Verhältnis von Leistung und Belohnung im Beruf eine Rolle. Ein Ungleichgewicht von Leistung und Belohnung führt zu gesundheitsschädlichen Gratifikationskrisen4 (s. Kapitel 4.1). Insbesondere über den Zusammenhang von Arbeitsstress und Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen bislang zahlreiche Studien vor, die einen negativen Zusammenhang aufzeigen (Dragano/Siegrist 2012: 281; Mackenbach 2006: 31).

Durch den verstärkten Wettbewerb kommt es zu Umstrukturierungen in den Unternehmen, die mit "Entlassungen, Standortverlagerungen, Arbeitsverdichtungen und erhöhten Leistungsdruck einhergehen" und zu einem "grundlegenden Belastungswandel" führen (Schmucker 2011: 2.e2). Die Arbeitsmarktreformen tragen hier zu einer zunehmenden Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt bei, welche vor allem durch Maßnahmen zur Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte vorangetrieben wird und in Gratifikationskrisen münden kann.

 

2.2.7 Erwerbsarbeit

Zwischen Erwerbsarbeit und Gesundheit kann in fast allen Studien ein positiver Zusammenhang gefunden werden. Im Vergleich mit Arbeitslosen haben Beschäftigte einen signifikant besseren Gesundheitszustand. Arbeitsplatzunsicherheit ist besonders mit negativen Gesundheitseffekten assoziiert (Caroli/Godard 2014:17; Wagenaar et al. 2012: 767f.; Burchell 2009: 371; Ferrie 2006: 96f., 99f.; Matthews/Power 2002: 803–805; Mohr 1997: 181f.)5.

Nicht jede Form der Erwerbsarbeit ist aber im gleichen Maße gesundheitsförderlich. So konnte in Italien nachgewiesen werden, dass befristet Beschäftigte im Vergleich mit unbefristet Beschäftigten eine schlechtere Gesundheitseinschätzung aufweisen (Minelli et al. 2014: 8f.). Ähnlich wie in Italien haben auch in Deutschland Vollzeitbeschäftigte mit befristeten Verträgen im Vergleich mit Vollzeitbeschäftigten mit einem unbefristeten Vertrag ein signifikant höheres Risiko, einen schlechten Gesundheitszustand zu berichten (Rodriguez 1999: 6f.). In Großbritannien stehen insbesondere Gelegenheitsjobs und Saisonarbeit in einer negativen Beziehung zur Gesundheit der Beschäftigten (Bardasi/Francesconi 2004: 1678).

Zahlreiche Studien liegen vor, die insbesondere den Leiharbeitern einen schlechten Gesundheitszustand attestieren. Die gesundheitlichen Einschränkungen ergeben sich durch einen geringeren Lohn, mehr Überstunden als in der Stammbelegschaft, ein eingeschränktes betriebliches Mitbestimmungsrecht und wenig Spielraum bei der Arbeitsgestaltung (Schunck et al. 2013: 557f.; Becker et al. 2012: 28; Busch/Ducki 2010: 25).

 

2.2.8 Arbeitsbedingungen

Schlechte Arbeitsbedingungen wie körperlich belastende Arbeitsweisen tragen ebenfalls zu einer schlechten Gesundheit bei (Bambra et al. 2014: 124). Im mittleren Erwachsenenalter, zwischen 30 und 44 Jahren, ist die Wahrnehmung einer Gesundheitsgefahr durch schlechte Arbeitsbedingungen besonders ausgeprägt. Zeit- und Leistungsdruck sind vor zeitlichen Belastungen durch Überstunden und einem schlechten Arbeitsumfeld wie Lärm, Hitze oder Kälte die am häufigsten genannten Belastungsfaktoren. Männer sind von schlechten Arbeitsbedingungen insgesamt häufiger betroffen als Frauen (Kroll et al. 2011: 2f.).

Die direkten Arbeitsbedingungen wie Über- und Unterforderung am Arbeitsplatz, Schichtarbeit, Lärm, Schmutz und Hitze sowie Arbeitsplatzunsicherheit führen zu Belastungen, die in einem negativen Zusammenhang mit der Gesundheit der Beschäftigten stehen. Nicht nur körperliche Belastungen, sondern auch psychische Beanspruchungen können aus den Anforderungen der Arbeitswelt resultieren (Friedrich-Gärtner 2011: 14.e1; Eppel 2007: 27f.; Oppolzer 1993: 15f.; Greif 1991: 2f.; Semmer 1984: 200f.). Treten mehrere der genannten Belastungen gleichzeitig auf, kann es zu einer Kumulierung kommen, welche gesundheitliche Risiken verstärkt (Oppolzer 2009: 17f.).

Hohe gesundheitliche Belastungen gehen dabei auch mit Schichtdienst sowie Nacht- und Wochenendarbeit einher. Insbesondere in der Nacht ist die Leistungsfähigkeit reduziert, sodass die Arbeit nur mit Mehraufwand erledigt werden kann, was zu Lasten der Kraftreserven geht und zu Übermüdungserscheinungen führt (Oppolzer 1993: 147f.). Die Arbeitszeiten stehen aber auch vermittelt über die Work-Life Balance in einer Verbindung zur Gesundheit der Beschäftigten. Vor allem lange und unregelmäßige Arbeitszeiten können die Work-Life Balance negativ beeinflussen. Je besser der Work-Life Balance ist, desto besser ist auch die Gesundheit der Beschäftigten. Bezüglich der Work-Life Balance ergeben sich länderspezifische Unterschiede. Die beste Work-Life Balance wird von Skandinaviern und Beschäftigten in den liberalen Ländern berichtet. In den süd- und osteuropäischen Ländern wird die Work-Life Balance von Männern und Frauen am schlechtesten bewertet (Lunau et al. 2014: 424–426).

 

2.2.9 Politische Maßnahmen

Diese Länderunterschiede stehen in einer Verbindung mit familienpolitischen Leistungen. Vereinbarkeitspolitiken, die dem skandinavischen Modell mit gut ausgebauter Kinderbetreuung und generösen finanziellen Ersatzleistungen folgen, beeinflussen die Work-Life Balance der Beschäftigten positiv (Lunau et al. 2014: 424–426) und haben dadurch auch Einfluss auf die Gesundheit. Dies zeigt sich auch daran, dass in den skandinavischen und osteuropäischen Ländern kein Zusammenhangzwischen Arbeits- und Familienanforderungen und dem Gesundheitsstatus besteht. Während in den kontinentalen, liberalen und südeuropäischen Ländern ein negativer Zusammenhang auszumachen ist. Dies wird damit begründet, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen durch öffentliche Kinderbetreuung und der Aufteilung der Fürsorge zwischen beiden Elternteilen in den skandinavischen Ländern stärker gefördert wird als in anderen Ländern (Artazcoz et al. 2014: 652–654).

Staatliche Politiken tragen zu einer Reduzierung der gesundheitlichen Belastungen bei. So können Arbeitszeitbegrenzungen und Sicherheitsvorschriften die körperlichen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz begrenzen (Schmucker 2011: 2.e1). Durch eine Förderung unbefristeter Beschäftigung bzw. eine stärkere Regulierung befristeter Beschäftigung könnten gesundheitliche Belastungen ebenfalls abgebaut werden. Befristete Beschäftigungsverhältnisse sind aufgrund der mit ihr verbundenen Arbeitsplatzunsicherheit mit psychischen Beschwerden verknüpft (Dahlgren/Whitehead 2006: 65).

Auch langfristige Konsequenzen werden reduziert, indem benachteiligende Situationen durch den Wohlfahrtsstaat aufgefangen werden. Insbesondere sozioökonomische Ungleichheiten in der Gesundheit könnten mit Hilfe sozialpolitischer Maßnahmen reduziert werden. Hierzu gehören auch die belastenden Auswirkungen von Armut (Lampert/Kroll 2008: 232f.; Bartley 2004: 171). Bartley (2009) betont die zentrale Rolle der Bildung: Insbesondere die Bildungschancen müssten Verbesserungen erfahren, um effektiv vor Armut zu schützen. Vor allem Personen in den unteren Statusschichten sollten durch Bildungsmaßnahmen ihre ökonomische Situation verbessern und dadurch ihren Gesundheitszustand steigern können (ebd.: 110).

Durch einen Ausbau des Zugangs zu Grünflächen, schadstofffreien Wohnungen und eine ausreichende Wohnungsgröße könnten die gesundheitlichen Risiken der Wohnumgebung minimiert werden (Lampert/Kroll 2008: 234). Die Stadtplanung sollte das Ziel verfolgen, zu einer Verbesserung der Gesundheit und der Lebensqualität beizutragen. Es gibt aber bisher keine Konzepte, die Mindeststandards festschreiben. Hier stehen Politik und Wohnungsbaugesellschaften in der Pflicht, Konzepte für einen gesundheitsförderlichen Stadt- und Wohnungsbau zu entwickeln (Süß 2012: 10.e1).

Soziale Ungleichheiten6 werden im Gesundheitssystem fortgesetzt, wodurch gesundheitliche Ungleichheiten entstehen bzw. vertieft werden. Maßgeblich hierfür sind die anfallenden Kosten für ärztliche Behandlungen und Arzneimittel, die direkt bezahlt und nicht über Versicherungsleistungen abgedeckt werden. Ungleichheiten durch das Gesundheitssystem sind dann größer, wenn das System marktwirtschaftlich organisiert ist und kaum staatlich reguliert wird. Die Preise sind dann hoch und der Zugang zu Versorgungsleistungen ist eingeschränkt, was insbesondere gesundheitliche Konsequenzen für die unteren Statusschichten mit sich bringt (Dahlgren/Whitehead 2006: 68, 74). Auch die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen wie Darmspiegelungen, Augenuntersuchungen und Brustkrebsfrüherkennungen variiert mit dem sozioökonomischen Status. Personen mit einem hohen Status nehmen häufiger an Vorsorgeuntersuchungen teil als Personen mit einem niedrigen Status (von dem Knesebeck/Mielck 2009: 45).

 

In dieser Arbeit findet eine Konzentration auf Mütter statt, um der Heterogenität der Geschlechtergruppen Beachtung zu schenken. Außerdem bekommen Mütter bei einer Trennung oder Scheidung die Erziehung zu einem wesentlich höheren Teil überantwortet. Folglich ist der Anteil alleinerziehender Mütter deutlich höher als der alleinerziehender Väter (Eurostat 2015: 5). Dadurch reicht die Anzahl der befragten alleinerziehenden Väter in den wenigsten Datensätzen aus, um diese als separate Gruppe zu betrachten. Aufgrund der unterschiedlichen Ressourcenausstattung und Arbeitsmarktintegration wäre es aber wichtig, nicht alle Alleinerziehende in einer Gruppe zusammenzufassen, sondern Mütter und Väter getrennt voneinander zu betrachten (Westin/Westerling 2006: 184). In diesem Zusammenhang wird auch davon ausgegangen, dass der politische Kontext wie Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiken unterschiedliche Auswirkungen auf Mütter und Väter haben (Fritzell et al. 2012: 200). Da entsprechende Kontextfaktoren in dieser Arbeit Berücksichtigung finden sollen, erscheint es nicht angebracht, Mütter und Väter zusammen zu analysieren.

In dieser Arbeit stehen weiterhin das Beschäftigungsverhältnis, die Arbeitszeiten und Ressourcen im Vordergrund. Vor allem dem Beschäftigungsverhältnis kommt eine große Bedeutung zu, da es das Unsicherheits- und Ressourcenniveau maßgeblich mitbestimmt und ein zentraler Bestandteil menschlichen Lebens ist (Siegrist 2008: 221; Oppolzer 1994: 125f.). Dadurch steht die Erwerbsarbeit in enger Beziehung zur Gesundheit des Einzelnen. Arbeitsbelastungen haben zumeist einen lang anhaltenden Einfluss auf die Gesundheit der Individuen, denen sich die Beschäftigten kaum entziehen können. Durch die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Müttern (Keller/Haustein 2015: 737; Prognos AG 2012: 11; Kümmerling et al. 2008: 2; Stolz-Willig 2004: 71) hat auch die Relevanz dieser Faktoren in dieser Gruppe deutlich zugenommen.

Insbesondere über den Zusammenhang zwischen der Gesundheit der Mütter und ihrer Erwerbseinbindung ist bisher nur wenig bekannt. Im nächsten Kapitel sollen die Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Müttergesundheit und Arbeitszeit, Beschäftigungsverhältnis, Haushaltszusammensetzung und Ressourcenausstattung vorgestellt werden. Es wird dabei gezeigt, welche Erklärungskraft den jeweiligen Determinanten bei der Erklärung der Ungleichheit zwischen Alleinerziehenden und Paarmüttern zukommt oder welche Belastungen von ihnen ausgehen.

 

1 Die Bewältigungsmöglichkeiten sowie Faktoren, die diese einschränken oder fördern, stehen in den Ressourcentheorien (Kap. 4.2) im Vordergrund.

2 Genauere Informationen zu den jeweiligen Länderclustern sind in Kapitel 5 enthalten. Unter mediterranen Ländern werden die Länder Südeuropas wie Spanien, Italien und Griechenland verstanden. Liberale Länder sind Großbritannien und Irland. Kontinentale Länder sind bspw. Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und Luxemburg. Die skandinavischen Länder setzen sich aus Dänemark, Schweden und Finnland zusammen. Diese Ländereinteilung folgt einer bekannten Typologisierung von Esping-Andersen (1998) und wurde um weitere Cluster wie das Süd- (Ferrera 1996) und Osteuropäische (Keune 2009) ergänzt. Die Cluster werden aufgrund ähnlicher Schwerpunkte in politischen Maßnahmen bzw. wohlfahrtsstaatlichen Leistungen gebildet.

3 Der sozioökonomische Status setzt sich aus Informationen zum Bildungsniveau und zum Einkommen zusammen. Ein niedriger Status bedeutet, dass die Person in der Regel einen niedrigen Schulabschluss und ein geringes Einkommen aufweist.

4 Weitere Studien, die sich mit dem Zusammenhang von beruflichen Gratifikationskrisen und Gesundheit beschäftigen und zu dem Ergebnis kommen, dass ein Ungleichgewicht von Leistung und Belohnung zu einer schlechten Gesundheitseinschätzung, psychischen Problemen und koronaren Herzerkrankungen führt, sind: Siegrist/Siegrist 2010; Larisch et al. 2002; Siegrist/Theorell 2006; Stansfeld et al. 1999; Niedhammer et al. 2004;Godin et al. 2005; Bosma et al. 1998. Einen guten Gesamtüberblick über den internationalen Forschungsstand gibt Peter 2002.

5 Einen guten Überblick über bisherige Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Arbeitsplatzunsicherheit und Gesundheit geben Sverke et al. 2006.

 

6 Der Begriff der sozialen Ungleichheit verweist auf ungleiche gesellschaftliche Positionen, die in Folge einer Rangordnung nach Prestige, Bildung und Vermögen entstehen. Je höher die Position in der Gesellschaft ist, desto besser ist im Allgemeinen der Zugang zu wertvollen Gütern. Daraus ergeben sich dauerhafte Vor- bzw. Nachteile, die den individuellen Handlungsspielraum bestimmen (Solga et al. 2009: 15).

5. 3. Gesundheitliche Ungleichheit zwischen Alleinerziehenden und Paarmüttern: Stand der Forschung

Alleinerziehende1 sind gegenüber Paarmüttern in mehreren Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wie der körperlichen Funktionsfähigkeit, Beeinträchtigungen durch Schmerzen, Vitalität und körperlicher Energie, sozialer Funktionsfähigkeit, Beeinträchtigungen durch emotionale Probleme, psychisches Wohlbefinden und bezüglich der subjektiven Gesundheitseinschätzung benachteiligt. Besonders ausgeprägt sind diese Unterschiede hinsichtlich psychischer und emotionaler Probleme, der Vitalität, der Gesundheitseinschätzung sowie der sozialen Funktionsfähigkeit. Diese Differenzen können nicht vollständig durch Alter und sozialen Status erklärt werden (Helfferich et al. 2003: 14f.).

Alleinerziehende sind dabei nicht nur zum Zeitpunkt des alleinerziehend Seins gegenüber Paarmüttern benachteiligt, sondern auch darüber hinaus. Jede Mutter, die über einen Untersuchungszeitraum von 14 Jahren einmal alleinerziehend war, hat ein höheres Risiko, Stress zu erfahren und depressive Symptome aufzuweisen als Mütter, die nie eine Phase des alleinerziehend Seins erlebt haben. Die Belastungen, die Alleinerziehende ausgesetzt sind, beeinflussen so den gesamten Lebenslauf der Mütter2 (Avison et al. 2008: 244).

Als besonders relevante Erklärungsfaktoren der bestehenden Ungleichheit zwischen Alleinerziehenden und Paarmüttern erweisen sich das Einkommen und der Beschäftigungsstatus sowie Vereinbarkeitsprobleme, die zu zeitlichen Stress führen (Council of Europe 2014: 3; Sperlich et al. 2011b: 393; Lange/Saß 2006: 122; Sperlich/Collatz 2006: 131; Hofmann/Swart 2002: 222; Neubauer 1989: 114–118). Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Faktoren wie Bildung und Einkommen zeigt sich in vielen europäischen Ländern, bspw. auch in Großbritannien (Ridge/Millar 2011: 95, Kuh et al. 2002: 1961f.; Benzeval 1998: 1347f.; Brown/Moran 1997: 26) und Schweden (Fritzell et al. 2007: 2485f.; Fritzell/ Burström 2006: 263; Burström et al. 1999: 754f.).

Im Vergleich mit anderen Frauen haben Alleinerziehende ein höheres Risiko, mit Zahlungen im Rückstand zu sein und sich Geld leihen zu müssen, um alltägliche Ausgaben begleichen zu können (Cooper et al. 2008: 337). Es sind insbesondere die finanziellen Belastungen der Alleinerziehenden, die in einem Zusammenhang mit der Gesundheit stehen. Aber nur diese Determinante erklärt die Benachteiligung der Alleinerziehenden nicht vollständig (Hope et al. 1999: 1645). Einfache psychische Störungen können bspw. durch die finanzielle Situation erklärt werden, aber schwerwiegende psychische Erkrankungen weisen auch bei Einbezug finanzieller Belastungen signifikante Ungleichheiten zwischen Alleinerziehenden und Paarmüttern auf. Insbesondere die Determinanten „Geld leihen müssen“ und „Schulden haben“ stehen in einem signifikanten Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit der Mütter und können einen Teil der Kluft zwischen ihnen erklären (Cooper et al. 2008: 337f.). Auch Paarmütter erleben gesundheitliche Belastungen, wenn sie unter ökonomischen Druck stehen. Insgesamt sind aber Alleinerziehende weitaus häufiger von finanziellen Problemen betroffen (Fritzell/Burström 2006: 257, 259).