Gesundheitspsychologie - Toni Faltermaier - E-Book

Gesundheitspsychologie E-Book

Toni Faltermaier

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Beschreibung

Welche Bedingungen tragen zur Entstehung von körperlichen und psychischen Krankheiten bei? Was erhält Menschen gesund? Welche Anforderungen sollte eine wissenschaftlich fundierte Prävention und Gesundheitsförderung erfüllen? Dieses Buch stellt auch in der 3., aktualisierten Auflage eine systematische Einführung in die Gesundheitspsychologie dar. Der Autor gibt eine Übersicht über zentrale Theorien, aktuelle Forschungsergebnisse und Anwendungsmöglichkeiten der Gesundheitspsychologie. Ausgehend von den Problemen des medizinischen Gesundheitssystems entwickelt er die Grundfragen und -begriffe einer modernen Psychologie der Gesundheit. Theoretische Modelle der Krankheitsentstehung, Salutogenese und Resilienz werden als Orientierung herangezogen, um psychosoziale Einflüsse auf den Gesundheits- und Krankheitsprozess und ihre Bedeutung für die Praxis der Prävention und Gesundheitsförderung zu beschreiben.

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Inhalt

Cover

Titelei

Geleitwort

1 Einleitung: Warum Gesundheitspsychologie?

2 Die Gesundheitspsychologie als wissenschaftliche Disziplin

2.1 Der Gegenstand und die Fragen der Gesundheitspsychologie

2.2 Historische Wurzeln und interdisziplinäre Bezüge der Gesundheitspsychologie

2.2.1 Gesundheitspsychologie und Psychosomatik

2.2.2 Die Entwicklung der Gesundheitspsychologie als psychologische Teildisziplin

2.2.3 Gesundheitspsychologie im Rahmen der Gesundheitswissenschaften

2.3 Gesundheit und Krankheit als Grundbegriffe von Gesundheitspsychologie und Gesundheitswissenschaften

2.3.1 Der Laienbegriff von Gesundheit und Krankheit

2.3.2 Der Expertenbegriff von Krankheit

2.3.3 Der Expertenbegriff von Gesundheit

2.4 Gesundheitspsychologische Forschungsansätze und -methoden

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

3 Theoretische Modelle der Gesundheitspsychologie und Gesundheitswissenschaften

3.1 Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit in der Geschichte

3.2 Paradigmen der Gesundheitswissenschaften: Krankheits- und Gesundheitsmodelle

3.2.1 Das biomedizinische Krankheitsmodell und seine Kritik

3.2.2 Das biopsychosoziale Krankheitsmodell

3.2.3 Das Paradigma der Salutogenese

3.3 Das Risikofaktorenmodell von Krankheit

3.4 Das Modell der psychosozialen Krankheitsätiologie

3.5 Das theoretische Modell der Salutogenese (und der Resilienz)

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

4 Psychosoziale Bedingungen bei der Entstehung von Krankheiten: Risiken und Risikoverhalten

4.1 Stressbedingungen und Krankheit

4.1.1 Stresskonzepte und Stresstheorien

4.1.2 Stressprozess und Stressforschung

4.1.3 Lebensereignisse und Krankheit

4.1.4 Arbeitsbelastungen und Krankheit

4.2 Persönlichkeitsmerkmale und Krankheit

4.2.1 Psychosomatische Persönlichkeitstheorien

4.2.2 Riskante Persönlichkeitsmerkmale

4.2.3 Interaktionen von Persönlichkeitsmerkmalen

4.3 Psychophysiologische Zusammenhänge

4.3.1 Psychophysiologische Regulationen

4.3.2 Kardiovaskuläre Reaktionen

4.3.3 Immunologische Reaktionen

4.4 Risikoverhalten und Krankheit

4.4.1 Verhalten als Krankheitsrisiko

4.4.2 Psychosoziale Bedingungen des Risikoverhaltens

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

5 Psychosoziale Bedingungen von Gesundheit: Salutogenese, Resilienz, Gesundheitsressourcen und Gesundheitsverhalten

5.1 Gesundheitsbegriff und Gesundheitskontinuum

5.2 Stressbewältigung und Gesundheit

5.3 Gesundheitsressourcen

5.4 Das Kohärenzgefühl und die Salutogenese

5.4.1 Das Konzept des »Sense of Coherence«

5.4.2 Wie wirkt das Kohärenzgefühl in der Salutogenese?

5.5 Die Forschung zur Salutogenese: Entwicklungen und Stand

5.6 Grenzen von Antonovskys Theorie der Salutogenese und das Konzept der Resilienz

5.7 Das Gesundheitsverhalten und seine Bedingungen

5.7.1 Der Begriff des Gesundheitsverhaltens

5.7.2 Modelle des Gesundheitsverhaltens

5.7.3 Grenzen psychologischer Modelle des Gesundheitsverhaltens

5.8 Gesundheitsvorstellungen, Gesundheitshandeln und das Laiengesundheitssystem

5.8.1 Subjektive und soziale Konstruktion von Gesundheit

5.8.2 Subjektive Konzepte und Theorien von Gesundheit

5.8.3 Gesundheitshandeln im Alltag und das Laiengesundheitssystem

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

6 Krankheitserleben und der Umgang mit Krankheiten

6.1 Psychische und soziale Aspekte von Krankheit: Ein Überblick

6.2 Krankheitserleben, Krankheitsverhalten, Krankheitsprozess

6.3 Subjektive Krankheitstheorien

6.4 Die Bewältigung von krankheitsbezogenen Belastungen

6.5 Chronische Krankheit im biografischen und sozialen Kontext

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

7 Gesundheit und Krankheit im Lebenslauf: Jugend, Erwachsenenalter, Geschlecht

7.1 Gesundheit im Jugendalter

7.1.1 Die gesundheitliche Lage von Jugendlichen

7.1.2 Psychische Belastungen und Gesundheit von Jugendlichen

7.1.3 Das Risikoverhalten von Jugendlichen

7.2 Gesundheit im Erwachsenenalter

7.2.1 Gesundheit als Thema des Erwachsenenalters

7.2.2 Gesundheitliche Risiken und Ressourcen im Erwachsenenalter

7.3 Gesundheit von Frauen und Männern

7.3.1 Die gesundheitliche Situation von Frauen und Männern

7.3.2 Risiken und Ressourcen in der Lebenssituation und Lebensweise von Frauen

7.3.3 Risiken und Ressourcen in der Lebenssituation und Lebensweise von Männern

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

8 Prävention und Gesundheitsförderung: Konzepte und Praxisansätze

8.1 Grundlagen und Konzepte der Prävention und Gesundheitsförderung

8.1.1 Gesellschaftlicher Bedarf

8.1.2 Grundbegriffe und Grundlagen

8.1.3 Konzepte, Ansätze und Strategien der Gesundheitsförderung

8.2 Gesundheitsförderung in Settings

8.2.1 Gesundheitsförderung im Betrieb

8.2.2 Gesundheitsförderung in der Schule

8.2.3 Gesundheitsförderung in der Gemeinde und Kommune

8.3 Gesundheitsförderung durch Gesundheitsberatung

8.4 Perspektiven einer psychologischen Gesundheitsförderung

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

Literatur

Stichwortverzeichnis

Grundriss der Psychologie

Herausgegeben von Bernd Leplow und Maria von Salisch

Begründet von Herbert Selg und Dieter Ulich

Diese Taschenbuchreihe orientiert sich konsequent an den Erfordernissen des Bachelorstudiums, in dem die Grundlagen psychologischen Fachwissens gelegt werden. Jeder Band präsentiert sein Gebiet knapp, übersichtlich und verständlich!

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/grundriss-psychologie

Der Autor

Professor i. R. Dr. Toni Faltermaier, Dipl.-Psych., lehrte und forschte in Gesundheitspsychologie, Entwicklungspsychologie und Gesundheitswissenschaften an den Universitäten Augsburg und Flensburg.

Toni Faltermaier

Gesundheitspsychologie

3., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

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3., aktualisierte Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-041182-1

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-041183-8epub:ISBN 978-3-17-041184-5

Geleitwort

Erkenntnisse der Psychologie werden täglich in den Medien transportiert. Junge Erwachsene drängeln sich um einen Studienplatz in diesem Fach. Denn die meisten Fragen der Gesellschaft von Morgen sind nicht ohne die Erkenntnisse dieser Wissenschaft des menschlichen »Erlebens und Verhaltens« zu beantworten. Großbaustellen wie der Umgang mit Pandemien und Kriegsereignissen, die Bewältigung von Digitalisierung und Globalisierung oder der gesellschaftliche Umbau in Richtung Nachhaltigkeit lassen sich im Grunde nur mit dem Wissen über die individuellen und sozialen Mechanismen des Verhaltens und Erlebens, der Analyse ihrer Entstehungsbedingungen und der Entwicklung von Veränderungen auf individueller und Gruppenebene sinnvoll bearbeiten. Psychologie ist zugleich – so eine Analyse der Zitiermuster in über 7000 natur- und sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften – eine von sieben »hub sciences«, (in etwa »Schlüsselwissenschaften«), welche die Debatte zur Gewinnung wissenschaftlicher Einsichten bereichert und enge Verbindungen zu einer Vielzahl von Nachbardisziplinen unterhält: Dazu zählen u. a. die Neurowissenschaft mit der Neuropsychopharmakologie, Psychiatrie, Gerontologie und die anderen Gebiete der Medizin ebenso wie die Gesundheitswissenschaft (»Public Health«), Konfliktforschung, die Sozial-, Bildungs-, Kommunikations-, Sport-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, die Forensik sowie Marktforschung. Oft übersehen, aber nicht weniger von Bedeutung, sind die eher technisch orientierten Fächer wie beispielsweise die Ingenieurs-, Luft- und Raumfahrt-, Verkehrs- und Arbeitspsychologie (mit »Mensch-Maschine-Systemen»/»Human Factors«). Auch die Umwelt- und Architekturpsychologie, Raum- und Stadtplanung sowie die methodischen Anwendungsfelder der Diagnostik, Intervention, Evaluation und Sozialforschung kommen nicht ohne spezifisch psychologisches Wissen aus.

Das Studium der Psychologie erfolgt in Bachelor- und Masterstudiengängen, die auf Modulen basieren. Diese sind in sich abgeschlossen und bauen oft aufeinander auf. Sie sind jeweils mit Lehr- und Lernzielen versehen und spezifizieren, welche Themen und Methoden in ihnen zu behandeln sind. Aus diesen Angaben leiten sich Art, Umfang und Thematik der Modulprüfungen ab. Die Bände der Reihe Grundriss der Psychologie orientieren sich stark am Lehrgebiet des Bachelorstudiums Psychologie. Seit Einführung der Bachelor-Masterstudiengänge sind jedoch eine Fülle von eigenständigen Bachelor- und Masterausbildungen mit Psychologiebezug hinzugekommen. Auch für diese Wissensgebiete stellt die Grundrissreihe das notwendige psychologische Basiswissen zur Verfügung.

Da im Bachelorstudium die Grundlagen des psychologischen Fachwissens gelegt werden, ist es uns ein Anliegen, dass sich jeder Band der Reihe Grundriss der Psychologie ohne Rückgriff auf Wissen aus anderen Teilgebieten der Psychologie lesen lässt. Jeder Band der Grundrissreihe orientiert sich an einem der Module, welche die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) für die Psychologieausbildung ausgearbeitet hat. Damit steht den Studierenden ein breites Grundwissen zur Verfügung, welches die wichtigsten Gebiete aus dem vielfältigen Spektrum der Psychologie verlässlich abdeckt. Dieses ermöglicht den Übergang u. a. auf den darauf aufbauenden Masterstudiengang der Psychologie und den neuen »Psychotherapiemaster«.

Zugleich können Angehörige anderer Berufe, in denen menschliches Verhalten und Erleben Entscheidungsabläufe beeinflusst, von einem fundierten Grundwissen in Psychologie profitieren. Neben Tätigkeiten in den bereits genannten Gebieten betrifft das eine vom Fachjournalismus und allen Medienberufen über den Erziehungs- und Gesundheitsbereich, die Wirtschaft, Produktgestaltung und das Marketing bis hin zu den Angehörigen des Justizsystems, der Polizei und des Militärs, allen Managementfunktionen und Führungskräften der Politik reichende Bandbreite. Bei ethisch vertretbarer Anwendung stellt die wissenschaftliche Psychologie mithin Methoden und Erkenntnisse zur Verfügung, über die sich gesellschaftliche Entwicklungen positiv verändern lassen. Damit kann in einer enormen Zahl auch nicht-klassisch psychologischer Studiengänge und Anwendungsfelder vom Wissen eines Bachelors in Psychologie profitiert werden. Deshalb auch sind die einzelnen Bände so gestaltet, dass sie psychologisches Grundlagenwissen voraussetzungsfrei vermitteln.

So wünschen wir den Leserinnen und Lesern dieser Bände der Reihe Grundriss der Psychologie vielfältige Einsichten und Erfolge in der praktischen Umsetzung psychologischen Wissens!

Maria von SalischBernd Leplow

1 Einleitung: Warum Gesundheitspsychologie?

Gesundheit ist heute ein öffentliches Thema geworden, über das sich nicht nur Experten und die Politik auseinandersetzen, seit die Corona-Pandemie unser Leben bestimmt, hat sie eine Dominanz gewonnen, die ungewollt unseren Alltag durchdringt und vielfach belastet. Auch sonst beschäftigen sich viele Menschen in ihrem Alltag immer wieder mit gesundheitlichen Themen, tauschen Informationen und Meinungen darüber aus und geben sich Ratschläge für ein angemessenes Verhalten. Das ist aktuell in der Pandemie mit ihren akuten gesundheitlichen Gefahren besonders ausgeprägt, war aber auch vorher schon sehr verbreitet. Vielfach diskutiert werden Fragen wie beispielsweise das Rauchen im öffentlichen Raum, das eigene Übergewicht im Vergleich zur vorgestellten Idealfigur, die richtigen Wege zum Erreichen von mehr körperlicher Fitness oder von gesunder Ernährung, die Krankheit eines Nachbarn und ihre Ursachen, die Erfahrungen mit Ärzten und verschiedenen Heilverfahren und natürlich auch die Kosten unseres Gesundheitssystems. Das Thema Gesundheit betrifft alle! Über Gesundheit kann jeder1 mitreden, weil alle Erfahrungen damit gemacht haben. Die Gesundheit scheint auch fast allen Menschen wichtig zu sein und steht auf der Wertehierarchie der Bevölkerung ganz oben. Aber es besteht auch eine große Diskrepanz zwischen dem abstrakten Wert Gesundheit und seiner Handlungsrelevanz: Im Alltag wird Gesundheit oft weit nach hinten geschoben, weil vieles andere wichtiger scheint. Menschen unterscheiden sich darin, welche gesundheitlichen Gefährdungen sie sehen und ob bzw. wie sie für ihre Gesundheit aktiv werden. Wenn die Gesundheit aber durch eine schwere Krankheit verloren geht und durch eine weltweite Infektion bedroht wird, dann löst dies Angst aus, erlangt schnell eine fast existentielle Bedeutung für die Betroffenen und zwingt zum Handeln. Gesundheit ist also eine universelle Erfahrung und ein alltägliches Thema; ihr wird heute subjektiv eine große Bedeutung zugeschrieben, und über sie werden manchmal heftige Kontroversen ausgetragen, in der Bevölkerung, in der Politik und unter Experten. Darin liegen – wie sich zeigen wird – große Chancen, aber auch einige Risiken.

Die öffentlichen Diskurse über Gesundheit waren nicht immer so verbreitet wie heute. Es liegt erst wenige Jahrzehnte zurück, dass Gesundheit noch weitgehend als eine Angelegenheit von Ärzten und anderer Experten gesehen wurde. Bei gesundheitlichen Problemen wurden sie vertrauensvoll aufgesucht, und man hat ihnen oft eine nahezu grenzenlose Macht und Kompetenz im Heilen von Leiden zugeschrieben. Ein Arzt galt lange Zeit als »Halbgott in Weiß«. Heute scheint dieser Mythos des Heilers ziemlich entzaubert. Das gesellschaftliche Prestige von Ärzten ist zwar immer noch hoch, aber die öffentliche Kritik an »den Ärzten« und an »der Schulmedizin« wird häufiger und auch heftiger zum Ausdruck gebracht; viele Menschen suchen heute nach alternativen Heilverfahren. Zudem ist das Bewusstsein in der Bevölkerung, selbst etwas zur eigenen Gesunderhaltung beitragen zu können und zu wollen, deutlich angestiegen. Die starke Nachfrage nach dem Gut »Gesundheit« hat einen expansiven Markt für Gesundheitsprodukte entstehen lassen, mit manchmal unseriösen Heilsversprechen und fragwürdigen Angeboten. Und auch die Frage, wer für die Gesundheit der Bevölkerung verantwortlich ist, wird heute sehr kontrovers diskutiert: Für die einen ist es der einzelne Mensch, für andere sind es immer noch die Ärzte oder andere Experten, und für wieder andere ist es die Gesellschaft und Politik.

In unserem medizinisch geprägten Gesundheitssystem zeigen sich heute eine Vielzahl von Problemen: Nahezu gebetsmühlenartig wird die Frage, wie es sich bei ständig steigenden Kosten noch finanzieren lässt, zwischen Gesundheitspolitikern, Standesvertretern und Krankenkassen hin und her geschoben, scheinbar ohne Aussicht auf eine Lösung. Seit Jahrzehnten werden aber auch immer wieder heftige fachliche Kontroversen über die angemessene gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung, über das Für und Wider einer somatisch, naturwissenschaftlich und kurativ orientierten Medizin ausgetragen. Aus diesen Debatten haben sich bis heute keine größeren Veränderungen in der Ausrichtung des Gesundheitssystems ergeben; trotz deutlicher Kritik an der »Schulmedizin« ist die medizinisch-organisch geprägte Gesundheitsversorgung über die letzten Jahrzehnte erstaunlich stabil geblieben. In den diversen »Gesundheitsreformgesetzen« der letzten Jahrzehnte standen fast ausschließlich die Probleme der weiteren Finanzierung der medizinischen Versorgung und Pflege im Mittelpunkt, ohne ihre Grundprinzipien in Frage zu stellen und ohne die Strukturen des Systems anzutasten. Aber ist die kurative Ausrichtung des Gesundheitssystems angesichts einer Dominanz von chronisch-degenerativen Erkrankungen noch angemessen? Die Arbeitsteilung zwischen den traditionellen Gesundheitsberufen Arzt und Krankenpflege – entstanden bereits im 19. Jahrhundert – ist zwar in Bewegung geraten, sie ist in ihren Grundzügen aber trotz deutlicher Emanzipationsbemühungen der Krankenpflege erhalten geblieben. Die medizinisch-naturwissenschaftliche Sicht von Krankheit und die darauf aufbauende Praxis blendet aber oft aus, dass Gesundheit und Krankheit auch eine subjektive Seite haben und sehr individuell erfahren werden: Krankheiten werden von Menschen erlebt und erlitten, sie müssen psychisch verarbeitet werden; kranke Menschen und ihre Angehörigen müssen lernen, in ihrem Alltag mit einer Krankheit und ihren Folgen umzugehen. In diesen psychischen und sozialen Problemen werden kranke Menschen vom professionellen Versorgungssystem oft allein gelassen. Das medizinische Gesundheitssystem konzentriert sich auf Krankheit und behandelt kranke Menschen als Patienten; die noch gesunden Menschen und die nicht (mehr) behandelten chronisch kranken Menschen werden in diesem System vernachlässigt. Aus dieser historisch gewachsenen gesellschaftlichen Dominanz der medizinischen Behandlung ergibt sich eine Vernachlässigung der Prävention und des alltäglichen Umgangs mit Gesundheit und Krankheit.

Im historischen Rückblick zeigt sich ein deutlicher Wandel im vorherrschenden Krankheitsspektrum in der Bevölkerung : Vom 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte eine drastische Abnahme der früher epidemischen Infektionskrankheiten (Tuberkulose, Cholera, Typhus, Ruhr) und darauf war eine allmähliche Zunahme von chronisch-degenerativen Erkrankungen zu beobachten, die Zivilisationskrankheiten genannt werden, weil sie mit den Lebensverhältnissen in den modernen Industriegesellschaften zusammenhängen. Die Ursachen für den drastischen Rückgang der Infektionskrankheiten sind aber nicht allein in den Fortschritten der Medizin begründet, vielmehr haben sie ganz wesentlich mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse zu tun: Der englische Medizinhistoriker McKeown (1982) kam aufgrund einer Sichtung umfangreichen historischen Datenmaterials zu dem Ergebnis, dass die für den Rückgang der Sterblichkeit entscheidende Abnahme der Infektionskrankheiten im 19. Jahrhundert überwiegend auf Verbesserungen in den Arbeits- und Lebensverhältnissen zurückzuführen ist und nicht primär auf die Fortschritte der Medizin. Effektive Therapien für Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Tuberkulose, Bronchitis und Ruhr wurden nämlich erst relativ spät gefunden (bei der Tuberkulose etwa 1950), nachdem die Mortalitätszahlen schon lange deutlich zurückgegangen waren. Diese Befunde schmälern nicht die unbestreitbaren Erfolge der Medizin gerade in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten, aber sie relativieren den Beitrag der Medizin zur Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung. Sie lenken den Blick auch auf andere Determinanten von Gesundheit, auf die materiellen Lebensverhältnisse und auf die Lebensweise der Bevölkerung. Diese haben sich im Zeitalter der Industrialisierung allmählich verbessert, insbesondere die Ernährungssituation, die Wohnverhältnisse in den Städten, Bekleidung und Körperhygiene auf der einen Seite sowie die Arbeitsbedingungen, die politischen und sozialen Verhältnisse auf der anderen Seite. Mit der Entstehung und Verbreitung der Corona-Pandemie in den Jahren 2019/2020 ist nun im 21. Jahrhundert eine Infektionskrankheit wieder massiv und weltweit in den Mittelpunkt des Krankheits- und Sterbegeschehens getreten, was nicht nur Experten völlig überrascht, sondern auch die Gesellschaften mit lange nicht mehr gekannten gesundheitlichen Belastungen und ihren sozialen Folgen konfrontiert hat. Es wird sich zeigen, ob damit ein neuer epidemiologischer Trend verbunden ist.

Bis zu dieser aktuellen Entwicklung einer durch neuartige Erreger (Covid 19) ausgelösten akuten und aggressiven Infektionskrankheit herrschten im letzten Jahrhundert in allen modernen Industriegesellschaften chronischeund degenerativeErkrankungen vor. Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen, rheumatische Erkrankungen, Allergien, chronische Bronchitis, Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes sowie Suchtkrankheiten und psychische Störungen machen heute einen Großteil des Krankheitsgeschehens aus. Sie sind alle dadurch gekennzeichnet, dass – wenn die Krankheit einmal voll ausgebrochen ist – eine vollständige Heilung auch mit den Mitteln der modernen Medizin nur selten erreicht werden kann. Sie verlaufen daher oft chronisch und teilweise degenerativ, d. h. sie verschlechtern sich zunehmend und führen zu immer stärkeren Einschränkungen. Von den meisten dieser Krankheiten wissen wir, dass sie zumindest teilweise durch das Verhalten, den Lebensstil und die Lebensbedingungen des modernen Menschen beeinflusst werden. Damit werden mögliche Krankheitsursachen im psychischen, sozialen und gesellschaftlichen Bereich angesprochen, die potenziell veränderbar sind. Ein besseres Verständnis dieser Einflüsse macht präventive Ansätze möglich, die viele schwere Krankheiten verhindern könnten. Der Ruf nach Prävention ist alt und wird immer wieder erneuert. Die Prävention wird in ihrer Notwendigkeit heute kaum noch bestritten, aber bis dato hat sie in der Praxis und in den Strukturen des Gesundheitswesens wenig Resonanz erhalten; allerdings könnte das 2015 in Deutschland verabschiedete Präventionsgesetz eine neue Entwicklung einleiten.

Die Medizin und das medizinische Versorgungssystem konzentrieren sich auf Krankheiten in allen ihren Facetten, Gesundheit ist nicht ihr Thema. In der Öffentlichkeit hat sich jedoch ein Gesundheitsdiskurs entwickelt, der inzwischen breite Kreise zieht. Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) bemüht sich seit langem um eine stärkere Orientierung an Gesundheit. Sie formulierte bereits 1948 eine positive Definition von Gesundheit und versuchte in der Folge immer wieder, Gesundheitsziele zu definieren, die als Orientierung für die Gesundheitspolitik in unterschiedlichen Gesellschaften dienen können. Aus diesen Wurzeln entstand schließlich auch die Perspektive einer Gesundheitsförderung, die 1986 als Ottawa-Charta der WHO formuliert große Resonanz erzielte. Der dadurch angestoßene Gesundheitsdiskurs war sehr bedeutsam für die Entwicklung der Gesundheitswissenschaften (Public Health), deren Ziel die Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung ist, und für neue Initiativen in der Praxis, die mehr Prävention und Gesundheitsförderung anstreben.

In den skizzierten Themen werden wichtige psychologische Fragen angesprochen, die neben dem somatisch-medizinischen auch einen wissenschaftlichen Zugang der Psychologie zu Gesundheit und Krankheit erforderlich machen. Die Fülle an heute bereits verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und die damit wachsende Einsicht, dass psychische und soziale Prozesse eng mit der Entstehung, dem Verlauf und der Behandlung von organischen Krankheiten verbunden sind, stellen den Hintergrund für das Entstehen der Disziplin einer Gesundheitspsychologie dar. Auch in der aktuellen Corona-Pandemie zeigen sich wichtige gesundheitspsychologische Fragen, etwa die großen individuellen Unterschiede, wie Menschen das Risiko einer Infektion wahrnehmen, welches Schutzverhalten (Abstand, Mund-Nasen-Masken, Hygienemaßnahmen) sie zeigen und ob sie für präventive medizinische Maßnahmen (Impfen) erreichbar sind.

Aber warum genau brauchen wir eine Gesundheitspsychologie und was sind ihre Themen? Zunächst baut die Gesundheitspsychologie auf der grundlegenden Erkenntnis auf, dass körperliche und psychische Prozesse eng und untrennbar miteinander zusammenhängen. Es waren und sind die Grundfragen der langen Tradition einer Psychosomatik, wie psychische Erlebnisse zu körperlichen Veränderungen bis hin zu pathologischen Prozessen führen können und wie körperliche Vorgänge subjektiv wahrgenommen und psychisch erlebt werden. Erkenntnisse der psychophysiologischen Forschung zeigen uns heute erstens wesentliche psychosomatische Prozesse und Zusammenhänge: Die körperlichen Auswirkungen beispielsweise des psychischen Erlebens von Stress sind inzwischen sehr gut und in vielen Einzelheiten untersucht worden. Die physiologischen Folgen von Stress im Kreislaufsystem sowie im Hormon- und Immunsystem zeigen Verbindungen auf, die für die Genese von Herz-/Kreislauferkrankungen, Infektionskrankheiten und Krebserkrankungen wichtige Ergebnisse liefern. Ein zweiter naheliegender Weg geht über den Zusammenhang zwischen Verhalten und Gesundheit: Mit dem gut belegten Nachweis von verhaltensbedingten Risikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen, Alkoholkonsum oder Bewegungsmangel entstand die psychologische Fragestellung, warum und unter welchen Bedingungen Menschen diese für ihre Gesundheit riskanten Verhaltensweisen zeigen und wie sie zu einer Änderung ihres Verhaltens motiviert werden können. Das führt drittens unmittelbar zu der Frage, wie Formen psychischen Erlebens und die Gesundheit zusammenspielen: Ob Menschen etwa ein gesundheitsbezogenes Verhalten (z. B. Schutzverhalten oder Impfverhalten) zeigen oder verändern, das hängt stark mit ihren zugrundeliegenden Gefühlen und Gedanken zusammen, etwa mit ihren Ängsten vor einer Krankheit, ihrer wahrgenommenen Verwundbarkeit oder mit ihren Erwartungen von positiven Auswirkungen auf Gesundheit. Damit sind die emotionalen und kognitiven Bedingungen eines Gesundheitsverhaltens angesprochen. Ein altes Thema der Psychosomatik, das von der Gesundheitspsychologie neu aufgegriffen wurde, ist viertens der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Krankheit bzw. Gesundheit. Können bestimmte Persönlichkeitseigenschaften das Risiko erhöhen, eine spezifische Krankheit zu entwickeln? Gibt es auch Merkmale der Persönlichkeit oder personale Kompetenzen, die vor Krankheiten schützen? Wenn Menschen an einer Krankheit leiden, dann stellen sich fünftens psychologische Fragen nach der Art ihrer Bewältigung, wie die Betroffenen diese emotional erleben, kognitiv verarbeiten und wie sie in ihrem Alltag damit umgehen. Schließlich stellen sich sechstens eine Reihe von psychologischen Fragen, wenn kranke Menschen als Patienten behandelt werden: Wie muss die Arzt-Patienten-Beziehung gestaltet sein, um zum Behandlungserfolg beizutragen? Welche Bedingungen tragen zur Mitarbeit von Patienten im Behandlungsprozess bei, welche behindern sie? Welche Prozesse der Kommunikation und der sozialen Interaktionen in Institutionen des Gesundheitssystems wirken sich in welcher Weise auf den Krankheitsverlauf und die Genesung aus?

Insgesamt besteht in den Gesundheitswissenschaften – zumindest theoretisch – ein Konsens, dass ein angemessenes Modell von Gesundheit und Krankheit mindestens drei Ebenen enthalten muss: eine biologisch-medizinische, eine psychologische und eine soziale. Entsprechend wird heute das klassische biomedizinische Krankheitsmodell als zu eng abgelehnt und ein biopsychosozialesModell von Krankheit favorisiert. Die empirisch belegten psychologischen Zusammenhänge bei Gesundheit und Krankheit, das daraus entstandene biopsychosoziale Krankheitsmodell und die neue Orientierung an einem Gesundheitsbegriff haben dazu beigetragen, dass eigenständige psychologische Beiträge für dringend notwendig und die Gesundheitspsychologie als neues Fach als sinnvolle wissenschaftliche Perspektive betrachtet wurden.

Die Gesundheitspsychologie ist eine noch relativ junge Disziplin. Ihre Entstehung im internationalen Rahmen in den 1970er Jahren reflektiert den zunehmenden Bedarf an psychologischem Wissen und an psychologischen Praxisansätzen in den Feldern von Krankheit und Gesundheit. Sie ist aber auch Teil einer interdisziplinären Entwicklung, die im Umfeld der Medizin eine Reihe von Gesundheitsdisziplinen hervorgebracht hat wie zum Beispiel die Verhaltensmedizin, Gesundheitssoziologie und Gesundheitspädagogik; diese Aufbruchsbewegung von Gesundheitsthemen in vielen wissenschaftlichen Disziplinen demonstriert auch, dass dieses komplexe Gebiet nicht durch eine Disziplin allein zu bewältigen ist. Die Vorreiterrolle spielten, wie so oft in der Psychologie, die USA, in denen sich bereits 1978 die »Health Psychology« offiziell etablierte. In der Folge entwickelte sich eine sehr rege und produktive Forschungstätigkeit, es entstanden neue Studiengänge sowie erste eigenständige Zeitschriften (»Health Psychology«) und Lehrbücher, die das neue Fach schnell etablierten. Die Entwicklung in Europa und Deutschland erfolgte, zeitversetzt in den 1980er und 1990er Jahren, mit ähnlicher Dynamik. In Deutschland wurde 1992 eine Fachgruppe »Gesundheitspsychologie« in der »Deutschen Gesellschaft für Psychologie« gegründet, eine eigene »Zeitschrift für Gesundheitspsychologie« gibt es seit 1993, die seit 2018 in englischer Sprache als »European Journal of Health Psychology« erscheint.

Was umfasst nun genau die neue Disziplin der Gesundheitspsychologie? Eine der ersten und relativ breit akzeptierten Definitionen stammt von dem amerikanischen Psychologen Matarazzo (1980):

»Gesundheitspsychologie umfasst die Gesamtheit der pädagogischen, wissenschaftlichen und professionellen Beiträge der Psychologie zur Förderung und Aufrechterhaltung von Gesundheit, zur Prävention und Behandlung von Krankheit sowie zur Identifikation der ätiologischen und diagnostischen Korrelate von Gesundheit, Krankheit und der damit verbundenen Dysfunktionen« (S. 815).

Auffallend an dieser breiten Bestimmung ist, dass die Gesundheitspsychologie sowohl auf Krankheit als auch auf Gesundheit bezogen ist, dass sie sowohl im präventiven wie im therapeutischen Bereich angesiedelt wird und dass ihre Aufgaben sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Anwendung gesehen werden. Schwarzer (1997/1990) sieht in dem ersten deutschsprachigen Lehrbuch den Gegenstand der Gesundheitspsychologie »vor allem in der Bestimmung und Veränderung von Verhaltensweisen und Kognitionen, die mit Krankheitsrisiken verbunden sind und die der Gesundheitsförderung und Krankheitsbewältigung dienen« (S. 3). Vor allem in der frühen Entwicklung der Disziplin hat die Gesundheitspsychologie Anregungen aus verschiedenen Teildisziplinen der Psychologie bekommen, insbesondere aus Grundlagenfächern wie der Persönlichkeitspsychologie, Entwicklungspsychologie und Sozialpsychologie sowie aus Anwendungsfächern wie der Klinischen Psychologie, der Medizinischen Psychologie und der Arbeits- und Organisationspsychologie.

Die Forschungsschwerpunkte der Gesundheitspsychologie liegen in den folgenden drei Bereichen:

·

Die ätiologische Forschung befasst sich mit psychischen und sozialen Faktoren in der Genese von spezifischen Krankheiten; untersucht wird beispielsweise die Rolle von Stress und Stressbewältigungsversuchen, von gesundheitsbezogenen Kognitionen, von Risiko- und Gesundheitsverhaltensweisen bei der Entstehung von Krankheiten wie Herzinfarkt oder Krebserkrankungen.

·

Die Forschung zur Krankheitsbewältigung untersucht Menschen, die an einer schweren oder chronischen Erkrankung (wie z. B. koronare Herzerkrankung, Krebs, Diabetes, AIDS oder Niereninsuffizienz) leiden, im Hinblick auf ihre Bewältigungsversuche, ihre kognitiven Bewertungen, ihre soziale Unterstützung und ihre psychosoziale Anpassung.

·

Die gesundheitspsychologische Forschung untersucht schließlich auch die psychosozialen Prozesse bei der Behandlung von Patienten im Gesundheitssystem; es geht dabei unter anderem um das Krankheitsverhalten und die Mitarbeit von Patienten in der Behandlung (compliance), um die soziale Beziehung und Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten sowie um die psychologische Vor- und Nachbereitung von therapeutischen Eingriffen (z. B. bei Operationen).

Die Gesundheitspsychologie ist aber auch ein Fach, das stark auf die Anwendung zielt. Die Entwicklung der Gesundheitspsychologie in Deutschland wurde lange Zeit dadurch behindert, dass sie im Rahmen des Diplomstudiengangs Psychologie nicht als eigenes Anwendungsfach wählbar war. Die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge haben neue Möglichkeiten für die Integration von Praxisansätzen der Gesundheitspsychologie geschaffen, in der Praxis ist sie im Vergleich zur Klinischen Psychologie und Psychotherapie aber immer noch ein weniger etabliertes Feld. Die hohe Attraktivität einer Gesundheitspsychologie und die sehr deutliche Nachfrage von Studieninteressierten haben sich inzwischen in vielen gesundheitsbezogenen Studiengängen in und außerhalb der Psychologie niedergeschlagen. Die Felder, in denen Gesundheitspsychologen in der Praxis arbeiten können, sind im Wesentlichen die Bereiche der Prävention und Gesundheitsförderung sowie die Behandlung und Rehabilitation von Krankheiten, in denen psychologische Kompetenz gefragt ist und in denen – je nach Entwicklungsstand – auch jetzt schon Professionelle mit psychologischer Expertise tätig sind.

Jedes Lehrbuch zu einem Fachgebiet ist bei allen Bemühungen um einen umfassenden Einblick auch geprägt von den jeweiligen fachlichen Positionen des Verfassers. Der Autor dieses Buches war mehr als 30 Jahren in der gesundheitspsychologischen Forschung und in universitären Studiengängen tätig; er hat die wissenschaftliche Perspektive der Gesundheitspsychologie vor allem in gesundheits- und bildungswissenschaftlich orientierte Bachelor- und Master-Studiengänge und in postgraduale Ausbildungen eingebracht, die insbesondere auf die Anwendung in der Prävention und Gesundheitsförderung zielen. Auch nach dem inzwischen erfolgten Eintritt in den beruflichen Ruhestand ist er noch eng verbunden mit der Weiterentwicklung von Themen der Gesundheitspsychologie und versucht, zu einer konzeptionellen Basis der Prävention und Gesundheitsförderung beizutragen, jetzt aber ohne institutionelle Verpflichtungen mit neuen Freiheiten und mit reduzierten Aktivitäten. In diesem Werk wird eine Position innerhalb der Gesundheitspsychologie vertreten, die sich wie folgt kennzeichnen lässt:

·

Die Gesundheitspsychologie wird als Wissenschaft und Praxis verstanden. Sie sollte in ihren theoretischen Grundlagen und empirischen Erkenntnissen durch eigenständige Forschung weiterentwickelt werden und diese gleichzeitig durch ihre Anwendung in verschiedenen Feldern der Gesundheitspraxis erproben und evaluieren.

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Die Gesundheitspsychologie wird in diesem Band im interdisziplinärenRahmen der Gesundheitswissenschaften gesehen. Sie sollte sich als psychologische Teildisziplin in den ständigen Austausch und in die notwendige, aber gleichberechtigte Kooperation mit verschiedenen Disziplinen der Gesundheitswissenschaften begeben. Die Notwendigkeit einer interdisziplinären Ausrichtung ergibt sich aus dem multidimensionalen Charakter der Gegenstände von Gesundheit und Krankheit.

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Die Gesundheitspsychologie konzentriert sich auf die psychologischen Fragen um die Entstehung von Krankheiten (Pathogenese) und um die Entstehung von Gesundheit (Salutogenese), um das Erleben, den Verlauf und den (individuellen/sozialen) Umgang mit Krankheit, um den professionellen Umgang mit Gesundheit und Krankheit im Rahmen von Prävention, Gesundheitsförderung, Behandlung und Rehabilitation.

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Die Gesundheitspsychologie wird explizit als eine Psychologie der Gesundheit verstanden. Erst über ein umfassendes Verständnis von Gesundheit und ihrer Bedingungen kann ein innovatives Potenzial entwickelt werden, das in der wissenschaftlichen Beschränkung auf Krankheit und Störung behindert würde.

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Die Gesundheitspsychologie bekennt sich zu einem forschungsmethodischen Pluralismus, in dem das methodische Vorgehen aus den inhaltlichen Fragen entwickelt wird und dabei das gesamte methodische Arsenal der Natur-‍, Sozial- und Geisteswissenschaften zur Auswahl steht.

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Die Gesundheitspsychologie versteht Gesundheit und Krankheit in ihrem sozialen Kontext, sie ist in diesem Sinne eine Sozialwissenschaft, die sich jedoch mit naturwissenschaftlichen Fragen verbinden lassen muss.

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Die Gesundheitspsychologie versteht Gesundheit und Krankheit im Lebenslauf und im biografischen Kontext, sie betont damit das Prozesshafte ihrer Gegenstände.

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Die Gesundheitspsychologie verfügt in ihrer Anwendung über ein breites Spektrum von Praxisansätzen, die sich auf das Individuum und seinen Körper, auf soziale Gruppen und Lebenswelten, aber auch auf gesellschaftliche Verhältnisse beziehen können. Sie versteht sich auch in der Praxis in selbstverständlicher Kooperation mit anderen Berufsgruppen, verbindet damit unterschiedliche berufliche Qualifikationsprofile und vermeidet so auch die Gefahren eines psychologischen Reduktionismus.

Dieser einführende Band in die Gesundheitspsychologie muss notwendigerweise Schwerpunkte setzen. Von seinem didaktischen Konzept zielt er weniger auf Vollständigkeit und auf absolute Aktualität von Ergebnissen als auf das Herstellen von Zusammenhängen, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern ein Verstehen möglich machen. Zur Vertiefung des Verständnisses werden den Lesenden am Ende jedes Kapitels Zusammenfassungen, Fragen zur Selbstüberprüfung und Empfehlungen von Literatur zur weiterführenden Lektüre zur Verfügung gestellt.

Für das Buch wurde auch in seiner dritten Auflage die bewährte Grundkonzeption beibehalten. Zielgruppen sind insbesondere Studierende von Bachelor- und Masterstudiengängen der Psychologie und der Gesundheitswissenschaften sowie von anwendungsorientierten Gesundheitsstudiengängen (Prävention, Gesundheitsförderung, Gesundheitsmanagement, Rehabilitation); aber auch in der Praxis Tätige aus diesen Feldern und Professionelle im Gesundheitssystem können Anregungen aus dieser systematischen Einführung in gesundheitspsychologische Theorien, Erkenntnisse und ihre Anwendung gewinnen.2

Der Band beginnt mit den Grundfragen und den Grundbegriffen der Gesundheitspsychologie und skizziert dabei die Entwicklung der Gesundheitspsychologie als wissenschaftliche Disziplin (▶ Kap. 2). Dann werden in einem Überblick die zentralen Paradigmen und theoretischen Modelle der Gesundheitspsychologie und der Gesundheitswissenschaften dargestellt, um eine allgemeine Orientierung für die folgenden Abschnitte zu schaffen (▶ Kap. 3). Auf dieser Grundlage werden zunächst ausführlich empirische Erkenntnisse und Theorien über die psychosozialen Bedingungen bei der Entstehung von Krankheiten beschrieben; die Schwerpunkte liegen bei Stressbedingungen, Persönlichkeitsmerkmalen, psychophysiologischen Zusammenhängen und Risikoverhaltensweisen (▶ Kap. 4). Dann erfolgt ein Perspektivenwechsel von der Pathogenese zur Salutogenese: Die Frage nach der Salutogenese und Resilienz hat Erkenntnisse und theoretische Modelle über die psychosozialen Bedingungen von Gesundheit erbracht; die Schwerpunkte werden hier bei der Stressbewältigung, den gesundheitlichen Ressourcen, dem Kohärenzgefühl, dem Gesundheitsverhalten und den subjektiven Gesundheitsvorstellungen liegen (▶ Kap. 5). Nun wird die Aufmerksamkeit von den gesunden mehr zu den kranken Menschen gelenkt, es geht jetzt um das psychische Erleben von Krankheit und den Umgang von Menschen mit einer alltäglichen, schweren oder chronischen Krankheit; die dargestellten Konzepte und empirischen Erkenntnisse werden sich auf das Krankheitsverhalten, die subjektiven Krankheitstheorien, die Bewältigung von krankheitsbedingten Belastungen und den sozialen und biografischen Kontext von Krankheit konzentrieren (▶ Kap. 6). Nachdem die Kapitel 4, 5 und 6 vorwiegend allgemeine Bedingungen von Gesundheit und Krankheit formuliert haben, wird in Kapitel 7 ein stärker differenzierender Blick eingeführt: Gesundheit und Krankheit werden nun im Kontext des Lebenslaufs und des Geschlechts dargestellt; dabei werden die Phasen des Jugend- und Erwachsenenalters im Mittelpunkt stehen (▶ Kap. 7). Zentrale Themen sind dabei die psychischen Belastungen und das Risikoverhalten von Jugendlichen, die Bedeutung von Gesundheit im Verlauf des Erwachsenenalters, die gesundheitlichen Risiken und Ressourcen von erwachsenen Menschen sowie die unterschiedliche gesundheitliche Lage von Frauen und Männern. Kapitel 8 wird sich schließlich ausführlich mit der Anwendung gesundheitspsychologischer Erkenntnisse befassen und insbesondere gesundheitspsychologische Praxisansätze der Prävention und Gesundheitsförderung vorstellen (▶ Kap. 8). Nach einer allgemeinen Einführung in ihre Ziele, Konzepte und Praxis werden Schwerpunkte bei der Gesundheitsförderung in den Settings Betrieb, Schule und Gemeinde sowie bei der Gesundheitsförderung durch Gesundheitsberatung gesetzt.

Endnoten

1Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in diesem Text bei personenbezogenen Bezeichnungen in der Regel die neutrale bzw. männliche Form verwendet. Diese schließt, wo nicht anders angegeben, alle Geschlechtsformen ein (weiblich, männlich, divers).

2Ich möchte mich bei meinen Studierenden und Promovierenden an der Europa-Universität Flensburg (und an anderen Hochschulen) für die kontinuierlich positive Resonanz auf dieses Lehrbuch und für die vielen Rückmeldungen zur »Gesundheitspsychologie« bedanken, sie haben mich in der Lehre immer wieder motiviert und mir Anregungen für die Überarbeitung des Buches für die Neuauflage gegeben.

2 Die Gesundheitspsychologie als wissenschaftliche Disziplin

Das Kapitel beschreibt die Gesundheitspsychologie als wissenschaftliche Disziplin: es skizziert die Gesundheitspsychologie von ihren Gegenständen her, fragt nach ihren historischen Wurzeln und interdisziplinären Bezügen, klärt wichtige Grundbegriffe der Disziplin und beschreibt schließlich ihre zentralen Forschungsansätze und Forschungsmethoden.

2.1 Der Gegenstand und die Fragen der Gesundheitspsychologie

Beispiel 1. Wie kommt es, dass Menschen oft nach Belastungserfahrungen krank werden? Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie bereiten sich seit einigen Monaten unter starkem Arbeits- und Zeitdruck auf eine wichtige Prüfung vor. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Prüfung, wenn Sie eigentlich froh sein könnten, einen wichtigen Schritt Ihrer Ausbildung und eine schwierige und anstrengende Phase hinter sich zu haben, bekommen Sie eine ziemlich heftige Grippe. Wie kommt das? Es entsteht eine eindeutig körperliche Erkrankung, aber als Ursache kommt neben der viralen Infektion auch ein psychisches Phänomen in Frage, welches wir alltagssprachlich als Stress bezeichnen. Es ist eine der Grundfragen der Gesundheitspsychologie, wie leichte und schwere körperliche Krankheiten durch psychische Faktoren wie Stress mitbedingt sein können.

Beispiel 2. Warum rauchen Menschen, obwohl sie wissen, dass Rauchen ein beträchtliches Risiko darstellt und sie dadurch schwere und lebensbedrohliche Krankheiten wie Lungenkrebs oder Herzinfarkt erleiden können? Wir könnten uns die Antwort leicht machen, indem wir darauf verweisen, dass es immer Menschen geben wird, die das nicht verstehen oder denen das gleichgültig ist. Wir können das Problem aber auch als eine wissenschaftliche und psychologische Frage formulieren: Welche Bedingungen tragen dazu bei, dass Menschen ein gesundheitliches Risikoverhalten zeigen, und welche müssten gegeben sein, dass sie es schaffen, mit dem Rauchen aufhören? – Genau das macht die Gesundheitspsychologie: In einem ihrer zentralen Forschungsgebiete untersucht sie die Frage, welche psychischen Bedingungen verschiedene riskante Verhaltensweisen und ein positives Gesundheitsverhalten erklären können. Mit dem besseren Erkennen dieser motivationalen Prozesse hofft sie, Hinweise zu bekommen, wie sich das Verhalten wirksam verändern lässt.

Beispiel 3. Stellen Sie sich vor, Ihr Vater oder ein guter Kollege von Ihnen erleidet mit noch nicht einmal 50 Jahren einen Herzinfarkt, den er dank schneller ärztlicher Hilfe überlebt. Was geht dabei eigentlich in ihm und in seiner Familie vor? Wie verarbeitet er psychisch dieses einschneidende Krankheitsereignis, wie geht er mit der lebensbedrohlichen Situation, mit den emotionalen Belastungen dabei sowie den gesundheitlichen und sozialen Einschränkungen um? Bemüht er sich, aktiv zu seiner Genesung beizutragen, oder überlässt er die Behandlung dem medizinischen Personal? Diese und viele andere Fragen sprechen die psychosoziale Verarbeitung einer Krankheit an; sie sind zentrale Forschungsfragen der Gesundheitspsychologie, die auch große Bedeutung für die Praxis in der Behandlung und Rehabilitation von Herzerkrankungen haben können.

Beispiel 4. Fragen Sie sich jetzt bitte noch selbst, was in Ihnen vorgeht, wenn Ihr Vater oder Ihr langjähriger Arbeitskollege so schwer erkrankt ist. Wie gehen Sie in der Folge persönlich mit Ihrer Gesundheit um, welche Folgen hat das für die Einschätzung Ihres langjährigen Rauchens, Ihrer Belastungen im Beruf oder Ihres Übergewichtes? – Damit sind wir bei einem vierten großen Forschungsthema der Gesundheitspsychologie: Wie und auf welchen subjektiven Grundlagen versuchen Menschen im Alltag, sich ihre Gesundheit zu erhalten? Erkenntnisse zu dieser Frage können mögliche Ansatzpunkte bringen, um Menschen zu einem gesundheitsgerechten Lebensstil zu motivieren und damit die Gesundheit in der Bevölkerung zu fördern.

In diesen vier Beispielen zeigen sich zentrale Gegenstände der Gesundheitspsychologie. Sie werden im Folgenden nochmals allgemein formuliert und systematisiert:

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Die Gesundheitspsychologie beschäftigt sich erstens mit den psychischen und sozialen Ursachen von organischen Krankheiten und möchte damit Erkenntnisse zu der Ätiologie dieser Erkrankungen beitragen. Im Mittelpunkt stehen dabei das psychische Erleben (d. h. Emotionen, Kognitionen, Stresserfahrungen), das Verhalten (z. B. riskantes Verhalten und Lebensstile, Gesundheitsverhalten, Bewältigungsverhalten), Merkmale der Persönlichkeit (traits), soziale Beziehungen und soziale Umwelten sowie jene psychophysiologischen Mechanismen, die erklären können, wie ein psychisches Erleben zu einer körperlich-organischen Veränderung bis hin zur manifesten Krankheit beiträgt.

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Die Gesundheitspsychologie untersucht zweitens aber auch die psychischen und sozialen Bedingungen von Gesundheit in einem umfassenden Sinn, das heißt, wenn unter Gesundheit mehr verstanden wird als nur die Abwesenheit von Krankheit. Sie bezieht dabei insbesondere Einflüsse des psychischen Erlebens, von Verhalten, Handlungen und Lebensweisen, von Merkmalen der Persönlichkeit sowie von sozialen Beziehungen und Lebenswelten mit ein.

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Die Gesundheitspsychologie befasst sich drittens mit den psychischen und sozialen Einflüssen auf den Krankheitsverlauf und mit den psychosozialen Folgen einer Krankheit. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf das Krankheitserleben (d. h. auf Emotionen, Kognitionen, Belastungen), auf den Umgang mit den durch die Krankheit ausgelösten Belastungen (»coping«), auf den Umgang mit der Krankheit und mit ihren Begleiterscheinungen (krankheitsbezogenes Verhalten) sowie auf die sozialen Reaktionen, Interaktionen und Unterstützungen in der unmittelbaren Umwelt der betroffenen Person.

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Die Gesundheitspsychologie untersucht viertens die psychischen und sozialen Prozesse, die im Rahmen der professionellen Gesundheitsversorgung und bei der Behandlung von Krankheiten auftreten. Diese umfassen etwa das Erleben von Behandlungsmaßnahmen durch die Patienten, die soziale Interaktion und Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten (oder anderen Professionellen), die Mitarbeit der Patienten im Behandlungsprozess und schließlich das Erleben (z. B. Stress) und Handeln der Professionellen im Gesundheitssystem selbst (im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit).

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Die Gesundheitspsychologie versteht sich schließlich fünftens als Anwendungsfach, das aus den Erkenntnissen zu den genannten vier Fragekomplexen praktische Maßnahmen ableitet, durchführt und ihre Wirkungen evaluiert: Eine gesundheitspsychologische Praxis ist insbesondere zu verstehen als professionelles Handeln, das schwerpunktmäßig im psychosozialen Bereich zur Prävention von Krankheiten, zur Förderung von Gesundheit sowie zur Behandlung und Rehabilitation von Krankheiten erfolgt.

Abb. 2.1:Gegenstände der Gesundheitspsychologie: Grundfragen und Anwendungsfelder (grau)

In Abbildung 2.1 sind die Gegenstände der Gesundheitspsychologie zusammenfassend dargestellt, die grundlegenden Fragestellungen sind schematisch in Beziehung zu den Anwendungsfeldern gestellt (▶ Abb. 2.1).

2.2 Historische Wurzeln und interdisziplinäre Bezüge der Gesundheitspsychologie

2.2.1 Gesundheitspsychologie und Psychosomatik

Nun sind viele der oben gestellten Fragen nicht zum ersten Mal von der Gesundheitspsychologie gestellt worden. Vielmehr verbergen sich dahinter Grundfragen der Psychosomatik, die eine lange Tradition in den Wissenschaften haben. Das Leib-Seele-Problem kann als eines der Grundprobleme der Philosophie betrachtet werden, dem sich viele Denker gewidmet haben (vgl. Danzer, 1995). Das mit dem französischen Philosophen des 17. Jahrhunderts, René Descartes, verbundene erkenntnistheoretische Postulat, Leib und Seele voneinander zu trennen (ein Dualismus zwischen dem Denken, der res cogitans, und der materiellen Welt, der res extensa), führte dazu, dass sich die Wissenschaften in der Folge entweder dem einen oder anderen Feld widmeten; so hat sich zum Beispiel die naturwissenschaftliche Medizin seit dem 19. Jahrhundert nahezu ausschließlich auf die Erforschung des menschlichen Körpers und seiner Krankheiten konzentriert und dabei die seelischen Einflüsse weitgehend ausgeklammert. Die Trennung von Körper und Seele lässt das Problem entstehen, wie körperliche und seelische Vorgänge wieder zusammenkommen und wie sie aufeinander einwirken. Mit dem von dem deutschen Arzt Johann Heinroth bereits 1818 eingeführten Begriff der Psychosomatik wird diese gegenseitige Beeinflussung von körperlichen und seelischen Vorgängen explizit benannt (ebd.). Mit der Psychosomatik wurde im beginnenden 20. Jahrhundert eine wissenschaftliche Tradition begründet, in der genau diese Fragen nach den wechselseitigen Beziehungen zwischen psychologischen, biologischen und sozialen Prozessen bei der Genese, dem Verlauf und der Behandlung von Krankheiten im Mittelpunkt stehen (vgl. Danzer, 1995). Die psychosomatische Medizin hat sich in der Praxis stark auf die psychotherapeutische Behandlung von psychosomatischen Krankheiten konzentriert und war vor allem in Westeuropa wesentlich von der Psychoanalyse geprägt. Innerhalb der Medizin blieb sie jedoch weitgehend ein randständiges Gebiet. Die psychosomatische Medizin erhob zwar immer wieder den Anspruch, einen Beitrag zur Erklärung aller Krankheiten zu leisten. In Deutschland entstanden daraus in den 1970er Jahren interessante Ansätze einer stärker in die Medizin integrierten Psychosomatik (z. B. das »Ulmer Modell«), die vor allem in den Fachgebieten der Inneren Medizin, Gynäkologie oder Pädiatrie bedeutsam wurden. In der Folge wurde jedoch diese psychosomatische Medizin wieder auf das Spezialgebiet von »psychosomatischen Krankheiten« zurückgedrängt und damit auf eine medizinische Teildisziplin begrenzt.

Die Psychologie als die Wissenschaft vom menschlichen Erleben und Verhalten geht davon aus, dass alle psychischen Prozesse auf körperlichen Grundlagen beruhen, d. h. die Existenz eines Gehirns, eines zentralen und peripheren Nervensystems usw. voraussetzen. Viele psychischen Phänomene sind so eng mit körperlichen Vorgängen verbunden, dass wir sie auch darüber erkennen können: Wer zum Beispiel Angst empfindet, der wird oft selbst die mit diesem Gefühl einhergehenden körperlichen Veränderungen wahrnehmen, etwa Herzklopfen, Zittern, beschleunigte Atmung oder Schwitzen (wodurch womöglich auch sein Gefühl verstärkt wird); über ihre körperlichen Begleiterscheinungen (Zittern) sind Angstgefühle sogar von anderen Menschen beobachtbar. Aber alle Versuche, Emotionen in ihren spezifischen Qualitäten durch die objektive Messung körperlicher Funktionen zu erfassen, sind letztlich gescheitert; psychische Phänomene lassen sich nicht auf körperliche Vorgänge reduzieren, sondern erfordern eine eigenständige Betrachtung. Allerdings steht die Psychologie dann vor dem umgekehrten Problem wie die Medizin, dass sie nämlich bei der Untersuchung psychischer Prozesse den Zusammenhang mit körperlichen Vorgängen tendenziell ausblendet. Wir kennen viele körperliche Vorgänge, die durch psychische Kräfte beeinflusst werden, und umgekehrt. Körperliche Beschwerden und Krankheiten wurden bereits früh mit psychischen Ursachen in Verbindung gebracht. Die psychosomatische Medizin baut ihre Theorien und Behandlungsansätze seit Sigmund Freud auf der Grundannahme auf, dass die Umwandlung (Konversion) psychischer Energie in körperliche Prozesse zur Entstehung von psychosomatischen Beschwerden und Krankheiten führen kann (von Uexküll, 1996). Aus der Geschichte der Heilkunst und auch aus der aktuellen medizinischen Praxis sind viele Beispiele für Heilungen dokumentiert, die rein körpermedizinisch nicht erklärlich sind: Die Wirkung von Placebos (Medikamente ohne Wirkstoffe) sowie von suggestiven und hypnotischen Techniken ist vielfach belegt (Totman, 1982). Und die moderne epidemiologische Gesundheitsforschung hat viele und solide Nachweise erbracht, dass die Entstehung vieler heute weit verbreiteter organischer Krankheiten durch Risikofaktoren bestimmt wird, die mit menschlichen Verhaltensweisen und damit mit psychischen Einflüssen verbunden sind (Morrison & Bennett, 2006). Wir stehen also heute vor der Situation, dass das Zusammenspiel von körperlichen und psychischen Prozessen eine allgemein akzeptierte und vielfach belegte Erkenntnis ist, dass aber die wissenschaftlichen Disziplinen immer noch so ausgerichtet sind, dass sie sich entweder auf die eine oder die andere Seite konzentrieren. Das erschwert weitere Erkenntnisse über die psycho-somatischen Wechselwirkungen.

2.2.2 Die Entwicklung der Gesundheitspsychologie als psychologische Teildisziplin

Die Gesundheitspsychologie etablierte sich als Wissenschaft seit etwa den 1980er Jahren zunächst in den USA. Sie breitete sich vor allem im angloamerikanischen Bereich rasch aus und wuchs zu einer wichtigen Teildisziplin der Psychologie heran (Stone, Cohen & Adler, 1979; Matarazzo, 1980; Taylor, 1987). Die erste Phase dieser neuen Entwicklung ist geprägt durch intensive Forschungsaktivitäten, dem Entstehen eigener Fachzeitschriften und Lehrbücher sowie einer schnellen Diffusion von Wissen in die psychologische Praxis. Die im Jahr 1978 gegründete Division 38 »Health Psychology« der »American Psychological Association« (APA) hat inzwischen über 6 000 Mitglieder. Vergleichbare Entwicklungen gab es dann zeitlich versetzt auch in Europa: 1986 wurde die »European Health Psychology Society« (EHPS) gegründet, die jedes Jahr gut besuchte Kongresse veranstaltet und von Forschungsgruppen aus vielen Ländern getragen wird. Neue Zeitschriften wurden gegründet (»Psychology and Health«, »Journal of Health Psychology«), die den Stand der sich schnell entwickelnden Erkenntnisse dokumentieren. In Deutschland wurde 1992 eine eigene Fachgruppe »Gesundheitspsychologie« im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gegründet, die eigene Tagungen organisiert und seit 1993 die Fachzeitschrift »Zeitschrift für Gesundheitspsychologie« herausgibt (seit 2018 als »European Journal of Health Psychology« in englischer Sprache). Bald entstanden erste Lehrbücher (z. B. Schwarzer, 1997/1990), die einen Überblick über die wichtigsten Forschungsgebiete der Gesundheitspsychologie geben.

Was sind nun die Gründe für die Entstehung dieser neuen Teildisziplin? Im Wesentlichen können drei Entwicklungen angeführt werden:

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Empirische Ergebnisse, die den Einfluss von psychischen Faktoren auf organische Krankheiten belegen, häuften sich in einem Maße, dass sie nicht mehr zu übersehen waren. Jene Krankheiten, die zu den Haupttodesursachen in den Industrieländern gehören, sind alle mitbedingt durch menschliches Verhalten, und die Erklärung dieses Verhaltens ist ein zentraler Gegenstand der Psychologie.

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Gleichzeitig wuchs in der Bevölkerung und in Fachkreisen das Unbehagen an einem Gesundheitssystem, das organmedizinisch ausgerichtet ist, hohe Kosten verursacht, zunehmend Probleme in der gesundheitlichen Versorgung hat und unzufriedene Patienten zurücklässt. Die zunehmende Kritik am biomedizinischen Krankheitsmodell führte zu Forderungen nach einem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel in Richtung eines biopsychosozialen Krankheitsmodells. Die von der WHO initiierte Diskussion um einen positiven Gesundheitsbegriff und die von ihr angestoßene Bewegung einer Gesundheitsförderung gingen sogar noch einen Schritt weiter. In beiden Richtungen wurde ein psychologischer Beitrag zu Gesundheit und Krankheit als zentral und unverzichtbar gesehen.

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Die Einsicht, dass sich verhaltens- und stressbedingte Risikofaktoren potenziell durch psychologische Interventionen verändern lassen und damit Krankheiten zu verhindern sind, begründete einen deutlichen Bedarf nach psychologischen Ansätzen in der Prävention. Zunehmend setzte sich die Erkenntnis durch, dass viele Gesundheitsprobleme sowie die Behandlung und der Verlauf vieler Krankheiten durch psychische Faktoren beeinflusst werden und dass die Aufnahme psychologischer Interventionen in der Gesundheitsversorgung nicht nur angemessen, sondern auch kostenreduzierend ist; sie führte zum Beispiel schon früh zu psychologischen Ansätzen in der Behandlung von Schmerzen, in der Vorbereitung auf medizinische Eingriffe oder in der Betreuung von Krebskranken (vgl. Taylor, 1987).

Die Tatsache, dass es bereits etablierte Teildisziplinen der Psychologie gibt, die sich wie die Klinische Psychologie oder die Medizinische Psychologie mit Fragen von Gesundheit und Krankheit befassen, lässt natürlich die Frage aufkommen, ob wir eine neue Disziplin wie die Gesundheitspsychologie überhaupt brauchen. Die wesentliche Begründungslinie liegt darin, dass die Gesundheitspsychologie den Anspruch hat, Gesundheit und Krankheit aus einer umfassenden Perspektive als körperliches, psychisches und soziales Phänomen zu thematisieren, und damit über die bisherigen wissenschaftlichen Bearbeitungen hinausgeht. Im Unterschied zur Klinischen Psychologie, die sich primär auf die Entstehung und Behandlung von psychischen Störungen und Krankheiten konzentriert, geht es der Gesundheitspsychologie ganz wesentlich um körperliche Krankheiten und um Gesundheit in einem positiven, ganzheitlichen und biopsychosozialen Sinne. Im Unterschied zur Medizinischen Psychologie, entstanden als Nebenfach im Rahmen des Studiums der Medizin, die sich hauptsächlich auf psychologische Phänomene im Umfeld der Medizin und des Behandlungssystems bezieht, geht es der Gesundheitspsychologie auch um Prozesse außerhalb des professionellen Systems mit starkem Schwerpunkt im Bereich der Prävention. Die Gesundheitspsychologie ist somit von ihrem Gegenstandsverständnis breiter als andere Teildisziplinen, sie setzt andere Akzente und ist eigenständiger (gegenüber der Medizin). Die zukünftige Entwicklung wird zeigen, ob sie diesen Anspruch auch einlösen kann und damit innerhalb der ›Scientific Community‹ und auf dem Arbeitsmarkt bestehen kann.

Etwas früher als die Gesundheitspsychologie hatte sich vor allem im angloamerikanischen Bereich die Verhaltensmedizin(Behavioral Medicine) etabliert. Sie definierte sich als interdisziplinäres Feld,

»das im Bereich von Verhaltenswissenschaften und Biomedizin Wissen und Methoden über Gesundheit und Krankheit entwickelt und integriert, und dieses Wissen und diese Methoden in der Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation anwendet« (Matarazzo, 1980, S. 812).

Die Verhaltensmedizin setzt ihre Schwerpunkte auf das Verhalten, auf Methoden der Verhaltensänderung und auf medizinisch definierte Störungen und Krankheiten. Ihre zentralen Arbeitsgebiete liegen in der neurophysiologischen und psychoneuroimmunologischen Grundlagenforschung sowie in Praxisfeldern wie der Modifikation von Risikoverhaltensweisen, der Behandlung von Schmerzzuständen oder der Vorbereitung von Patienten auf medizinische Eingriffe. Auch im Unterschied zur Verhaltensmedizin ist die Gesundheitspsychologie von ihrem Gegenstand her breiter, weil sie über medizinisch definierte Störungen hinausgeht, sie ist nicht auf den Verhaltensbegriff beschränkt und überwiegend in der psychologischen Disziplin verankert.

2.2.3 Gesundheitspsychologie im Rahmen der Gesundheitswissenschaften

Zeitgleich zur Etablierung einer Gesundheitspsychologie haben sich ähnliche Entwicklungen auch in anderen gesundheitsbezogenen Disziplinen wie in der Medizinsoziologie, in der Sozialmedizin oder in den Sport- und Bewegungswissenschaften vollzogen. Vor dem Hintergrund des in allen Industrieländern vorherrschenden Spektrums an chronisch-degenerativen Krankheiten, eines zunehmend biopsychosozialen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit, der erkannten Probleme eines kurativ ausgerichteten Gesundheitssystems und des Bedarfs einer Stärkung von Prävention und Rehabilitation sind seit den 1990er Jahren auch in den deutschsprachigen Ländern interdisziplinär orientierte Gesundheitswissenschaften entstanden (vgl. Blättner & Waller, 2011; Hurrelmann & Razum, 2012; Schott & Hornberg, 2011; Schwartz, Walter, Siegrist et al., 2012). Sie vollziehen damit aus historischen Gründen (Missbrauch im Nationalsozialismus) spät eine Entwicklung nach, die im angloamerikanischen Bereich als »Public Health« bereits seit den 1920er Jahren existiert. Als zentrale Aufgaben von Public Health werden die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gesundheit und mit Krankheiten in der Bevölkerung und die Erforschung ihrer Determinanten gesehen; darauf abgestimmt soll die Gesundheitsversorgung und -politik werden, die ihre Schwerpunkte insbesondere in den Bereichen der Prävention und Gesundheitsförderung sowie in der Optimierung des Gesundheitssystems hat. Die Gesundheitswissenschaften sind als notwendige Ergänzung und nicht als Konkurrenz zur primär klinisch an Krankheiten ausgerichteten Medizin zu verstehen. Zu den Gesundheitswissenschaften gehören Disziplinen wie die (Sozial-) Epidemiologie, die Sozialmedizin, die Medizinsoziologie, die Gesundheitsökonomie und die Politologie, aber natürlich auch die Gesundheitspsychologie, soweit sie einen Beitrag zur Lösung dieser Fragen liefert. Als gemeinsame konzeptionelle Basis dieser Fächer kann das biopsychosozialeKrankheitsmodell gesehen werden. Wesentliches Kennzeichen dieser fachlichen Entwicklung ist ihre Interdisziplinarität. Ihr liegt die Einsicht zugrunde, dass das große Feld von Gesundheit und Krankheit nicht von einer Disziplin allein bearbeitet werden kann, sondern die Zugänge vieler Disziplinen und ihre Zusammenarbeit verlangt. In Deutschland wurde von der Bundesregierung seit Beginn der 1990er Jahre mehr als ein Jahrzehnt die Public Health-Forschung gefördert, um sie internationalen Standards anzunähern und eine wissenschaftliche Grundlage für die Gesundheiterhaltung der Bevölkerung aufzubauen. Es entstanden Forschungsverbünde, die regional organisiert waren und die neben wissenschaftlichen Erkenntnissen auch neue Strukturen für die Forschung und Lehre in Public Health schaffen sollten (vgl. Schott & Hornberg, 2011). Aus dieser Förderung entstanden neben neuen Forschungseinheiten auch neue Gesundheitsstudiengänge und eine bessere Vernetzung mit Institutionen der Gesundheitspraxis (z. B. dem Öffentlichen Gesundheitsdienst). In der Anwendung zielen die Gesundheitswissenschaften vor allem auf die Verbesserung des Gesundheitssystems sowie auf die Prävention und Gesundheitsförderung.

Tab. 2.1:Gesundheitspsychologie im Verhältnis zu anderen Disziplinen

andere Disziplinen

Gesundheitspsychologie

Klinische Psychologie:Entstehung und Behandlung psychischer Störungen

Gesundheit und körperliche Krankheiten; Prävention und Gesundheitsförderung

Medizinische Psychologie:psychologische Fragen/Maßnahmen innerhalb der Medizin

Gesundheit und psychische Prozesse auch außerhalb der Medizin

Verhaltensmedizin:Verhalten und biomedizinisch bestimmte Krankheiten

geht über Verhalten und biomedizinische Störungen hinaus

Psychosomatik:Behandlung von psychosomatischen Krankheiten

mehr Prävention und Gesundheit im Alltag

Gesundheitswissenschaften:Gesundheit und Krankheit in der Bevölkerung; biopsychosoziales Modell

primär psychologische Fragen von Gesundheit und Krankheit

Tabelle 2.1 fasst die Gegenstände der Gesundheitspsychologie in ihren interdisziplinären Bezügen und in ihren Abgrenzungen zu anderen psychologischen Teildisziplinen und zu den Gesundheitswissenschaften nochmals im Überblick zusammen (▶ Tab. 2.1).

2.3 Gesundheit und Krankheit als Grundbegriffe von Gesundheitspsychologie und Gesundheitswissenschaften

Bevor wir uns mit den wissenschaftlichen Fragen der Gesundheitspsychologie näher befassen, müssen zunächst ihre Grundbegriffe geklärt werden, insbesondere ist die Bedeutung von Gesundheit und Krankheit zu bestimmen.

2.3.1 Der Laienbegriff von Gesundheit und Krankheit

Zum Einstieg sollen die Lesenden dazu anregt werden, sich durch zwei einfache Übungen für das Thema zu sensibilisieren:

1. Überlegen Sie bitte kurz, was es für Sie persönlich bedeutet, wenn Sie gesund sind! Wann fühlen Sie sich gesund? Notieren Sie sich dazu einige Stichwörter auf einem Blatt Papier, um Ihre Überlegungen festzuhalten! (Legen Sie dieses Blatt zur Seite, bevor Sie die nächste Übung beginnen.)

2. Erinnern Sie sich jetzt bitte an eine Krankheit, die Sie vor nicht allzu langer Zeit erlebt haben; es kann eine einfache Grippe oder auch ein gravierenderes Gesundheitsproblem sein. Versuchen Sie, sich diese Situation möglichst genau ins Gedächtnis zu rufen, und fragen Sie sich dann: Was habe ich bei diesem Kranksein erlebt, wie habe ich mich gefühlt, was war wichtig für mich, was nicht? Auch bei dieser Übung wäre es gut, wenn Sie sich die wichtigsten Punkte anschließend auf einem Blatt Papier notieren würden!

Die Gesundheitspsychologie beschäftigt sich aus einer wissenschaftlichen und psychologischen Sicht mit der Gesundheit von Menschen. Was aber meint Gesundheit? Es ist nicht einfach, genau zu bestimmen, was Gesundheit bedeutet. Das geht Laien ebenso wie Experten, die sich bisher nicht auf einen einheitlichen Gesundheitsbegriff einigen konnten. Leichter fällt es uns in der Regel, Krankheiten mit ihren konkreten Beschwerden zu beschreiben. Wenn wir uns gesund fühlen, dann ist das so selbstverständlich, dass wir es oft gar nicht bemerken. Dennoch haben die meisten Menschen eine Vorstellung von Gesundheit und Krankheit (▶ Kap. 5). Wir sprechen vom Laienbegriff von Gesundheit, weil er von medizinisch nicht ausgebildeten Menschen vertreten wird; dieser ist zu unterscheiden vom Expertenbegriff, den Wissenschaftler oder Fachleute aus der Medizin oder anderen Gesundheitsberufen verwenden. Die Begriffe Gesundheit und Krankheit sind wechselseitig aufeinander bezogen, und im Grunde sind sie kaum zu trennen. Manchmal werden sie als einfache Gegensätze betrachtet: Wer nicht krank ist, der ist gesund – und umgekehrt. Aber wir werden sehen, dass diese Vorstellung zu vereinfachend ist.

Von der etymologischen Wortbedeutung her ist »krank« mit »schwach« (mittelhochdeutsch: kranc) und mit »kraftlos werden« (althochdeutsch chrancholon) assoziiert. »Gesund« hat dagegen in der deutschen Sprache den Bedeutungsgehalt von »mächtig« und »stark«. Im englischen Begriff »health« steckt zudem über das altenglische »hale« (= whole) auch die Bedeutung von »ganz«, das korrespondiert mit dem damit verwandten deutschen »heil«. Im Gegensatz zur deutschen Sprache differenziert das Englische mehrere Bedeutungsvarianten von Krankheit: Mit »disease« wird der medizinische Fachbegriff, mit »illness« das Erleben eines kranken Menschen und mit »sickness« eher seine soziale Situation beschrieben. Eine interessante Variante findet sich im englischen »dis-ease«, das als positiven Gegensatz die Silbe »ease« enthält, damit Gesundheit auch die Bedeutungsvariante von »sorglos«, »leicht« oder »mühelos« zuschreibt. Aus diesen ersten begrifflichen Annäherungen über die etymologischen sprachlichen Wurzeln wird zunächst deutlich, dass die Begriffe Gesundheit und Krankheit verschiedene Bedeutungsaspekte aufweisen, die sich nicht in wissenschaftlichen Definitionen erschöpfen.

Sprache als kulturelles Produkt drückt immer aus, wie die Wirklichkeit sozial hergestellt wird. Eine Sprache ist aber kein starres Regelsystem, sondern sie ist lebendig und immer in Bewegung. Gesundheit und Krankheit können somit als sozialeKonstruktionen der Wirklichkeit verstanden werden, sowohl im Alltag als auch in den Wissenschaften. Die Begriffe sind in einem sozialen Kontext entstanden und werden darin auch wieder verändert; sie strukturieren als Denkfolien die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch den Einzelnen. Es lässt sich zeigen, dass die Sichtweisen von Gesundheit und Krankheit einem historischen Wandel unterliegen (Herzlich & Pierret, 1991), jede historische Epoche hat ihr Menschenbild, aber auch ihr eigenes Bild von Gesundheit und Krankheit; unsere heutigen Vorstellungen sind nur eine Momentaufnahme der Geschichte. Zudem sind im Gesundheits- und Krankheitsverständnis deutliche soziokulturelle Unterschiede zu erkennen (Kleinman, 1988). Die Vorstellungen über Gesundheit sind somit auch abhängig vom vorherrschenden Denksystem einer Gesellschaft, Kultur oder Epoche. Wir werden uns später (▶ Kap. 5 und ▶ Kap. 6) noch ausführlich damit beschäftigen, welche Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit Laien oder Menschen im Alltag vertreten. Zunächst wenden wir uns jedoch den wissenschaftlichen Begriffen von Krankheit und Gesundheit zu.

2.3.2 Der Expertenbegriff von Krankheit

Krankheit oder – genauer gesagt – eine Fülle von verschiedenen Krankheiten sind Gegenstand der Medizin als Wissenschaft und Praxis: Die medizinische Disziplin ordnet die körperlichen oder psychischen Beschwerden von Menschen unterschiedlichen Krankheitskategorien zu; diese sind dann als Symptome einer Krankheit zu werten. Es ist die Aufgabe der medizinischen Diagnostik, aus der Messung unterschiedlicher somatischer Parameter und der Abwägung ihrer Ergebnisse möglichst zuverlässig die Diagnose einer Krankheit vorzunehmen; diese erlaubt dann Aussagen über den Verlauf und über die Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit. Alle Krankheiten werden heute in allgemein akzeptierte, international normierte Klassifikationssysteme eingeordnet, die aufgrund neuer Erkenntnisse immer wieder revidiert werden. Das am meisten verbreitete System ist die ICD (International Classification of Diseases), in den USA wird das DSM (Diagnostic and Statistical Manual) in der jeweils aktuellen Version verwendet.

Im medizinischen Denkmodell wird Krankheit im Allgemeinen als Störung der normalen Funktionen der Organe verstanden, etwa so wie es im Pschyrembel, dem verbreiteten Wörterbuch der Medizin, formuliert wurde:

Krankheit bedeutet eine

»Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen und/oder objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen.« (Pschyrembel, 2020).

Das biomedizinische Krankheitsmodell betrachtet nach dem amerikanischen Sozialmediziner George Engel (1977), einem seiner wichtigsten frühen Kritiker,

»... Krankheit durch Abweichungen von der Norm messbarer biologischer (somatischer) Variablen als vollständig erklärt« (S. 66).

Der Klassiker der Medizinsoziologie Talcott Parsons hat dagegen eine soziologische Definition von Krankheit vorgelegt, indem er sie als die Unfähigkeit eines Menschen bezeichnet, seine sozialen Rollen zu erfüllen; Krankheit kann somit auch als von der Norm abweichendes Verhalten verstanden werden:

»Zusammenfassend können wir die Krankheit als einen Zustand der Störung des ›normalen‹ Funktionierens des Menschen bezeichnen, sowohl was den Zustand des Organismus als auch was seine individuellen und sozialen Anpassungen angeht« (Parsons 1958, S. 12).

Krankheit impliziert somit immer Störungen im Organismus, die als Abweichung von einer Norm medizinisch definiert werden können und objektiv messbar sind. Krankheit hat zudem eine soziale Bedeutung, die primär mit der fehlenden Funktionsfähigkeit im sozialen System verbunden wird und damit auch als Abweichung von sozialen Normen zu verstehen ist. Krankheit ist schließlich psychisch erlebbar in Form der subjektiv wahrgenommenen Schmerzen und Beschwerden, den damit verbundenen Ängsten, Belastungen und sonstigen Gefühlen sowie in den Bemühungen der Betroffenen, diese körperlichen und psychischen Veränderungen zu bewältigen.

2.3.3 Der Expertenbegriff von Gesundheit

Der Expertenbegriff von Gesundheit ist noch schwieriger zu fassen. Die vorgeschlagenen Definitionen variieren stark, und es ist bis heute kein Konsens über eine wissenschaftliche Definition von Gesundheit in Sicht. In der Medizin zeigt sich kaum eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage nach der Gesundheit, ihr Gegenstand ist die Krankheit. In der Regel bringt man es auf die einfache und pragmatische Formel: Gesundheit ist die Abwesenheit einer Krankheit; Menschen sind dann als gesund zu bezeichnen, wenn bei ihnen keine Krankheit vorliegt (d. h. medizinisch zu diagnostizieren ist).

Die Versuche, Gesundheit auch positiv zu definieren, sind zahlreich und kommen aus unterschiedlichen theoretischen Richtungen. Am bekanntesten ist wohl die Definition der Weltgesundheitsorganisation geworden:

»Gesundheit ist der Zustand eines vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen« (WHO, 1948).

Diese Definition löste kontroverse Diskussionen aus: Die Bestimmung von Gesundheit auf drei Ebenen, körperlich, psychisch und sozial, wurde einerseits als sehr bedeutsam und wegweisend eingeschätzt; auch der Begriff des »Wohlbefindens« wurde später in vielen neueren Bestimmungen wieder aufgegriffen, scheint also zentral zu sein, wenn auch nicht ausreichend. Die Kritik machte sich andererseits an dem utopischen Charakter der Definition fest, der vor allem im Adjektiv »vollkommen« zum Ausdruck kommt.

Auf der soziologischen Ebene ist wieder Parsons anzuführen, der Gesundheit definiert als

»Zustand der optimalen Leistungsfähigkeit eines Individuums für die Erfüllung der Aufgaben und Rollen, für die es sozialisiert wurde« (Parsons 1968, S. 344).

Im Sozialversicherungsrecht wird Gesundheit als die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit einer Person verstanden.

Viele Bestimmungen von Gesundheit sind systemtheoretisch ausgerichtet und enthalten die Idee eines Gleichgewichtes bzw. einer Balance zwischen dem Organismus/Individuum und der Umwelt (ökologisches System), das – da sich beide in ständiger Veränderung befinden – immer wieder neu hergestellt werden muss (vgl. Seeman, 1989).

Die lange Diskussion um eine wissenschaftliche Bestimmung von Gesundheit zeigt, dass diese immer nur im Rahmen des jeweiligen Denkparadigmas vorgenommen werden kann. Das Streben nach einer einheitlichen Definition von Gesundheit ist vermutlich eine Illusion. Je nach theoretischer Perspektive finden sich unterschiedliche Bestimmungen von Gesundheit (vgl. Faltermaier, 2009).

Statt den vielen Definitionen noch eine neue hinzuzufügen, werden hier einige notwendige Bestimmungsstücke von Gesundheit zusammengetragen, die das Phänomen »Gesundheit« von verschiedenen Seiten her umschreiben können, ohne es endgültig festzulegen:

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Gesundheit ist ein ganzheitliches Phänomen, das sich auf einer körperlichen, psychischen und sozialen Ebene beschreiben lässt;

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Gesundheit kann zunächst als ein körperlicher und/oder psychischer Zustand des Individuums verstanden werden, der sich sowohl positiv als auch negativ bestimmen lässt, durch das Vorhandensein oder Fehlen von Merkmalen;

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Gesundheit lässt sich durch objektive Parameter messen und beschreiben, sie drückt sich aber auch im subjektiven Erleben aus, d. h. sie ist vom Individuum subjektiv wahrnehmbar und damit beschreibbar;

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das Erleben von Gesundheit verweist zunächst auf die subjektive Befindlichkeit einer Person, die sich körperlich und psychisch ausdrücken kann und meist als körperliches Wohlbefinden oder als psychisches Wohlbefinden beschrieben wird;

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Gesundheit umfasst neben dem Befinden aber auch das Handlungspotenzial einer Person: Gesundheit kann als allgemeine Voraussetzung für Lebensaktivitäten verstanden werden; ein gesunder Mensch ist nicht nur handlungsfähig in seinem Alltag, sondern er ist auch leistungsfähig in Bezug auf die an ihn gestellten Anforderungen;

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Gesundheit ist eine soziale Konstruktion: Sie wird im sozialen Kontext auf der Grundlage herrschender Lebensvorstellungen bestimmt und hängt ab von den Anforderungen, die eine Gesellschaft in einer bestimmten historischen Epoche an ihre Mitglieder stellt;

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Gesundheit ist keineswegs statisch, sondern dynamisch, sie muss somit immer auch als Prozess verstanden werden: Gesundheit ist zwar als ein Zustand beschreibbar, sie wird dabei aber nur in der Bewegung »festgestellt«. Sie variiert in zeitlich kurzen und längeren Verläufen (von Tag zu Tag, von Lebensphase zu Lebensphase). Wenn Gesundheit auf der Grundlage einer ständigen dynamischen Interaktion zwischen Person (Organismus) und ihrer (sozialen, ökologischen) Umwelt verstanden wird, dann muss sie vom Organismus immer wieder aktiv hergestellt werden, sie impliziert somit die Fähigkeit, eine Balance herzustellen. Gesundheit kann dann als dynamisches Gleichgewicht beschrieben werden.

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Gesundheit impliziert Normen, an denen sie gemessen wird. In den Gesundheitsbegriffen sind verschiedene Arten von Normen