GEWALT - Bernd Müller-Kaller - E-Book

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Bernd Müller-Kaller

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Beschreibung

Ausgesucht harte Schicksale geben dem Leser einen besonders starken Eindruck aus typischen Perioden kommunistischer Haft. Das totale Ausgeliefertsein unter der Macht der Geheimdienste "TSCHEKA" und MFS ("Stasi") wird durch die fiktiven Gespräche mit Freunden offengelegt. Bisher meist unbekannte erstaunliche Hintergründe treten zu Tage. Persönliche Erlebnisse des Autors aus sechsjähriger Gefangenschaft sind eingebunden. In diesen Zusammenhängen ist das Buch einziartig.

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Seitenzahl: 342

Veröffentlichungsjahr: 2021

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GEWALT

Tschekistisch

Bernd Müller-Kaller

Impressum:

Autor: Dr. phil. Bernd Müller-Kaller

Erscheinungsjahr 2021

Verlag tredition GmbH, Halenreihe 40-44,

22359 Hamburg

ISBN

Paberpack: 978-3-347-33871-5

e-Book      : 978-3-347-33871-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort

Der Titel des Buches ist Gewalt. Wir wissen, sie hat natürlich verschiedene Formen, Seiten und Ursprünge. Aber eine Gewalt solchen Ausmaßes, solcher Dimension, die zu einer typischen Erscheinung in der Gesellschaft geworden war, die so tief in die menschlichen Schicksale eingriff, wie sie hier erzählt werden, war etwas besonders Grausames, Unheimliches. Der Aufwand, um diese Gewaltorgien zu inszenieren, ist unvorstellbar groß gewesen.

Die Orte dieser Gewalt sind heute weitgehend ausgelöscht. Aber die Erinnerungen unserer Zeitzeugen sind authentisch und unauslöschbar.

In dieser Vergangenheit, in der ohne Unterschied eingekerkert und gemordet wurde, war der GULAG der Anfang und das Ende. Dort verschmolz das private Leben im System hundertprozentig. Darum ist dieser Ort auch ein Ort für die Wahrheitssucher unter uns. Die große Wahrheit über diese Vergangenheit, über die vergangene DDR, über die vergangene "Große Union", über das vergangene "Weltfriedenslager", nur dort findet man sie wirklich.

Nun sind Gefängnis- und Haftgeschichten schon viele geschrieben worden. Was soll an diesem Buch neu, was soll das Besondere sein? Das Besondere liegt in der Auswahl dieser außergewöhnlichen Haftgeschichten, die man nirgendwo anders in dieser Kompaktheit lesen kann und in ihrer Strukturierung, in ihrer Verknüpfung durch die fiktiven Gespräche meiner Freunde über diese Geschichten, über die Hintergründe, über die Durchleuchtung des Geschehens, das einer "Roten Linie" folgt bis ans Ende. Das woanders sonst unsichtbare Spinnnetz, das Geflecht einer geheimen Welt der Gedanken, der Vorschriften, der Orientierungen und des Handelns wird sichtbar. Der Leser kann verstehen, warum in der vergangenen Welt das ganze Sein, jeder Mensch ohne Unterschied von der Gnade der Geheimdienste abhängig war und von heute auf morgen aus seiner Familie, seiner Arbeitswelt herausgerissen und in eine andere Welt, die Welt der Gefängnisse, die Welt der Lager eingewiesen werden konnte.

Dabei war alles so einfach geregelt in dieser vergangenen kommunistischen Welt, was manchen von uns heute in Kenntnis der unterschiedlichen und komplizierten Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Zuständigkeiten verwundern mag. Alles lag so wunderbar in einer Hand: die Verhaftung, die Untersuchung, die Anklage, die Verurteilung, die Verteidigung, die Vollzugshaft und die weitere "Betreuung" nach der Entlassung bis zum Tode.

Am Anfang steht der legendäre Name "Tscheka" und er steht auch am Ende dieser Geschichten als ein Weltreich unterging, denn auch jeder Stasi - Mann nannte sich stolz "Tschekist." Die Geschichte der Tscheka begann mit dem Zarenmord 1917 und endete für die Gefangenen und Gemarterten in den Herbsttagen 1989 in Berlin. Kein anderes Land, keine ausländische Macht war mit der Tscheka und ihren Methoden enger verbunden als wir Deutsche. Zugegeben, ein größerer Teil der Deutschen in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland hat das nicht erlebt. In diesem Buch aber kann es erlebt und nacherlebt werden.

Der Autor stellt vor allem Menschen aus Sachsen und Thüringen vor, er beginnt die oft weit zurückliegenden Erlebnisschilderungen der Haftschicksale von der Sicht des Jahres 1993 an zu schreiben und endet mit der Sicht auf diese Erlebnisse und Erinnerungen 2010. Zum großen Teil kennt der Autor die Zeitzeugen persönlich durch seine leitende Tätigkeit im Opferverband und durch Veröffentlichungen und Gespräche mit Hinterbliebenen. Er zitiert aus den angegebenen Quellen.

Der Autor kennt auch das zwanzigjährige Ringen der Opfer um angemessene Anerkennung und Entschädigung sowie die aktuelle Diskussion darüber.

Das Buch ist ein Erzählband. Es erzählt Geschichten, die miteinander verknüpfte sind durch adäquate Leiden, durch "Behandlung" ohne Menschenwürde. Es setzt keine Thesen als Lehrsätze. Es stellt fest, was Menschen persönlich erlebt haben und äußert, was sie darüber denken. Dennoch ist das Buch nicht losgelöst von der Geschichtswissenschaft. Zeitzeugenberichte und Geschichtswissenschaft sollten keine Gegensätze sein, sondern einander ergänzen und sich gegenseitig stützen. Die authentischen Berichte von Zeitzeugen sind das Fleisch der Theorien zur Geschichte. Daher will dieses Buch sich auch als populärwissenschaftliche Schrift verstanden wissen. Dass der Autor manchmal zu anderen Schlüssen kommt als die genannten Historiker, ist gewollt. Er grenzt das Geschehen ein in die Macht und das Agieren der Geheimdienste, die besser als Geheimpolizei bezeichnet werden sollten. Dem Autor ist dabei bewusst, dass sich die Geheimdienste als "Schild und Schwert" der sogenannten Partei verstanden, sich andererseits doch auch verselbständigten. Die Macht der Partei aber ging in Wirklichkeit nur von ganz wenigen einzelnen Diktatoren aus. Verhaftung, Verurteilung, Haft. Es geht um diese spezielle Welt. Es geht um die prinzipielle Einstellung zum Menschen dabei, um Gewalt und um Methoden, die dieses System begleiten bis ans Ende.

Wenn der MfS Major Steudtner in Bautzen gegenüber dem

Autor geäußert hat:

- "Was wollen Sie mit den Menschenrechten? Die

Menschenrechte sind ausgeleiert."

- "Was berufen Sie sich auf die Gesetze? Wir machen die

Gesetze, wir bestimmen das!"

- "Was wollen Sie von Honecker? Wir lassen uns von niemandem in unsere Angelegenheiten einmischen!" - dann ist das doch so gewesen: Erst wer diese Sätze, diese Gedankengänge verstanden hat, dem wird klar, welche Konsequenzen das für das individuelle Schicksal hatte.

Bernd Müller-Kaller

Inhaltsverzeichnis

1. Ich schließe Bekanntschaft mit den Veteranen aus den ehemaligen Sowjetischen Speziallagern

2. Über die mannigfaltigen Arten tschekistischer Verhaftungen

3. 1929: Ein deutscher Kommunist erfährt die Höllenqualen tschekistischer Haft auf der Teufelsinsel im Weißen Meer - sowjetrussische Schicksale -

4. 1945: Tschekistische Gewalt wütet über Ostdeutschland

- Die Lager entstehen

- Im Todeslager Tost

- Die Demontage des Großkraftwerkes

- Ein Lehrlingsschicksal vom Pferdegestüt Berlin-Hoppegarten

- Ein Banklehrling aus Eisenach zum Tode verurteilt

- Jugendliche aus Bützow in sowjetrussischer Haft

- Ein verhafteter Student aus Dresden

- Das Schicksal zweier Mädchen aus Ostpreußen

5. 1945: Das Gefängnis Münchner Platz in Dresden

- Ort tschekistischen Terrors

6. 1945 - 1950:Die Lager Buchenwald, Mühlberg und Bautzen

- Das Lager Buchenwald

- Das Lager Mühlberg

- Das Lager Bautzen

7. Die Dystrophie, die den Sowjets bekannte Krankheit des Verhungernlassens

8. 1950: Das Lagersterben in Bautzen übernimmt die DDR. Das Konzentrationslager

- der Aufstand -

9. Die 50er Jahre bis nach dem 17 Juni 1953: Der Widerstand gegen das Undemokratische in der Deutschen Demokratischen Republik

- Verurteilung und Haft

- Widerstandsgruppen in Meißen

- Die Straßenbahner von Tolkewitz

- Die Werdauer Oberschüler

- Die Studenten der TU Dresden

10. 1955/65: Tschekistisches Durchgreifen in der DDR

- Exemplarische Beispiele Sowjetisches Tribunal und Stasi - Gerichtsbarkeit - ein Vergleich

- Das Schicksal eines Freiberger Bäckers

- Ein Metalldreher aus Weißenborn

- Ein Laborant als "Staatsfeind"

11. 1968: nach der Niederschlagung des Prager Frühlings

- Verhaftung, Verurteilung, Haft

- Fluchtversuch mit einem Schiff der Marine

- Ein Lehrer wird verurteilt

- Drei Dresdner Freunde gegen den Einmarsch in die CSSR

- Leipziger gegen die Sprengung der Universitätskirche

12. 1974: Menschenhandel unter zweierlei Sicht

- ein Beispiel von vielen

13. 1976: Schießbefehl und menschliche Konflikte

- Schicksal Grenztruppen

14. 1984-1989: Hafterlebnisse aus der Sonderhaftanstalt der Stasi - Bautzen II

15. Das Ende kommt - Rückblicke

16. Quellen/Literatur

1.

1993Ich schließe Bekanntschaft mit Veteranen aus dem ehemaligen Sowjetischen Speziallagern

 

Komm doch einmal mit nach Mühlberg. Wir machen dort im April wieder unseren Arbeitseinsatz im Lager. - sagten mir eines Tages Werner, Eberhard und Günter 1993. Mühlberg? Das habe ich noch nie gehört, wo liegt denn das? Na, bei Torgau an der Elbe. - antworteten sie mir. Wir übernachten dort im Nachbarort Neuburgsdorf in einem Gasthof und machen unseren jährlichen Arbeitseinsatz im ehemaligen sowjetrussischen Speziallager. Ich komme drei Tage mit versprach ich.

Wir hatten uns 1992 kennen gelernt, als ich mich für das zeitgeschichtliche Thema "Sowjetische Speziallager" konkret interessierte. Ich arbeitete damals im sächsischen Kultusministerium und wollte für die Schule einen Unterrichtsfilm über solche Speziallager drehen. Inzwischen hatte ich schon einiges gehört und gelesen in diesen ersten Jahren nach der "Friedlichen Revolution" über diese Lager, die davor so gut wie niemand kannte. Glaubte ich bisher, dass das Schlimmste, was ein Mensch erleben und ertragen könnte, die Stasi-Haft gewesen sei. So sollte ich hier erkennen, dass der russische Geheimdienst noch weitaus Schrecklicheres zu bieten hatte.

Meine erste Reise in diese Vergangenheit führte mich damals so nach Mühlberg und Neuburgsdorf an die Elbe und in den nahegelegenen Wald, wo das sogenannte "Speziallager Nr. 1" in der Sowjetischen Besatzungszone bestanden hatte. "Speziallager"? Warum Speziallager? Ward ihr alle Spezialisten? - fragte ich damals ein wenig scherzhaft meine gut zehn Jahre älteren Freunde. Ach, Unsinn! Das war vielleicht Tarnung, der Name. Logisch und sachlich kann Dir das sowieso niemand erklären. Das wissen vielleicht nicht einmal die Russen. - bekam ich zu hören. "Speziallager" ist aber die Originalbezeichnung der Russen und hängt mit der Bezeichnung der Gruppe der Inhaftierten als "Spezialkontingente" zusammen - also für einen speziellen Zweck Inhaftierte. Aber welcher Zweck das genau war, werden wir noch sehen.

Das Lager hatte von 1945 bis 1948 bestanden. Es waren ungefähr Zwanzigtausend Inhaftierte hier durchgegangen, wovon in den drei Jahren ca. Siebentausend zu Tode gemartert wurden. Täglich stapelten sich die Leichen, vor allem im Winter - schrecklich.

Jetzt gibt es Menschen, die sagen: "Ja, das waren doch alles Naziverbrecher."(1) So war auch die SED-Propaganda. Oder wie sagte es doch seinerzeit auch ein wenig "wissenschaftlicher" ein nicht unbekannter Historiker - Professor… - ich konnte es in der Presse lesen: das seien alles "NS - Funktionsträger gewesen" und "somit seien sie auch schuldig." Doch halt, meine Gesprächspartner, damals fast siebzigjährige, gestandene Männer, Arzt, Diplomingenieur, Lehrer, Facharbeiter, Betriebsdirektor, Handwerksmeister. Sie hatten dieses Lager erlebt. Was hatten sie für eine Meinung dazu? Sie sagen, solche öffentlichen Äußerungen könnte man zwar leicht als Dummheit oder Unwissen abtun, aber wenn man die Rolle dieser Leute im öffentlichen Leben betrachte, müsse man eher dazu neigen, dass sie damit ganz gezielt etwas bezwecken wollen, wenn sie falsches Zeugnis ablegen. Irgendjemanden dienen sie damit, genauso wie jene "Antifa-Gruppe B.", die die Gemarterten und Gemordeten in einer Unterschriftensammlung als "Mörder" bezeichnet hat. Gut wäre es da, wenn es eine Gegenbewegung geben würde, etwa eine “Anti-Kommu.“ Aber darauf ist noch niemand gekommen.

Meine Gesprächspartner erzählen mir vom Kriegsende. Sie sollten zuletzt noch als Luftwaffenhelfer eingezogen werden, als der Krieg zu Ende war. 1944/45 beendeten sie gerade die Berufsschule und mussten in ein Wehrertüchtigungslager ins Erzgebirge. Alle aus der ehemaligen Schulklasse wurden von den Russen verhaftet. Nach Verhören und brutalen Quälereien in GPU-Kellern mussten sie ein Protokoll unterschreiben, das in russischer Sprache abgefasst war und das sie nicht lesen konnten. Danach kamen sie ins Lager Mühlberg. Eines von über zehn Lagern in der sowjetrussischen Besatzungszone. Der Jüngste bei uns im Lager ist zwölf Jahre alt gewesen, höre ich. Sagt mal, beginne ich zu fragen, wie konnte ein Zwölfjähriger ein Naziverbrecher sein? Oder, wie konntet ihr, die ihr ja während der zwölf Jahre Naziherrschaft Schüler gewesen seid, wie konntet ihr da zu Naziverbrechern werden? Meine Frage können sie nicht beantworten.

Eberhard sagt: Es lässt sich weder logisch noch sachlich eine Begründung finden. Auch eine Verwechslung oder ein Versehen ist ausgeschlossen, denn es waren Tausende solcher Jugendlicher wie wir, auch viele Mädchen, eingesperrt. Und die juristische Seite? - frage ich noch. Juristisch betrachtet, waren wir in diesen Lagern nur verdächtigt, nur beschuldigt, keinem wurde eine konkrete Schuld nachgewiesen. Es gab kein Gericht, keine Urteile. Alle bestätigten übereinstimmend, dass sie den Eindruck gewannen, dass die Russen auch gar nicht daran interessiert waren, die konkrete Schuldhaftigkeit zu untersuchen. Mein Eindruck war eher, die mussten ein vorgegebenes Soll erfüllen. - meint schließlich Siegfried. Warum sperrten die Sowjets Schüler zu Tausende ins Lager und quälten sie zu Tode? Warum? Diese Frage muss wohl auch 48 Jahre nach dem Kriege unbeantwortet bleiben.

Eberhard schildert die Willkür auch anhand der unterschiedlich langen Haft seiner Schulkameraden und der eigenen: Alle hatten bis Kriegsende die gleiche Biographie, waren derselbe Jahrgang, siebzehn Jahre alt und jünger, gingen zur Berufsschule, alle mussten am Wehrertüchtigungslager teilnehmen. Keiner hatte bis Kriegsende etwas anderes getan. Und doch mussten sie ganz unterschiedliche Lagerhaftzeiten durchleiden:

Von zwölf Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren mit der gleichen Beschuldigung "Mitglied Werwolf" gewesen zu sein (Die Jugendlichen wussten damals gar nicht, was das war.) wurden zwei nach einem Jahr aus dem Lager Mühlberg entlassen, drei nach drei Jahren aus Mühlberg, vier nach fünf Jahren, also 1950, aus dem Konzentrationslager Buchenwald, einer nach fünf Jahren, einer nach sieben Jahren aus einem GULAG-Lager in Sibirien und einer nach sieben Jahren aus Waldheim, nachdem er dort als "Kriegsverbrecher" in den berüchtigten

"Waldheimer Prozessen" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war.

Anzumerken ist noch, dass die aus Sibirien entlassenen als "Kriegsgefangene" zurückgekommen sind, obwohl sie nie im Krieg waren.(2) Hier muss wohl keiner Historiker studiert haben, um zu begreifen, dass das nicht zu begreifen ist, dass das reine Willkür ist.

Achim Kilian, einer von ihnen, der das Lager Mühlberg und Buchenwald überlebte und danach im Westen einer der Historiker auf diesem Gebiet wurde, der entgegen anderer Kollegen schon durch das eigene Erleben Kompetenz ausstrahlte, schreit dieses heute überall noch festsitzende und gepflegte Unrecht der Verdächtigungen förmlich aus sich heraus:

"Da nicht erkennbar ist, dass der Herr Professor mit der hier zitierten dpa - Meldung nicht einig geht, muss man folgern, dass er seine Einlassungen trotz unserer oben geäußerten Einwände undifferenziert als gültige Fakten verstanden wissen will. Er spricht von Schuldigen, ohne individuelle Schuld belegen zu können. In dubio pro reo. Oder gibt es für ihn - wie bei den Sowjets - keinen rechtsstaatlichen Umgang mit den vermeintlichen oder tatsächlichen Naziaktivisten, Minderbelasteten, Mitläufern und Unschuldigen im Sowjetischen Speziallager Buchenwald 1945-1950? Will er nicht wahrhaben, dass dies ein Lager für Arrestanten war, in dem nicht ein einziger Verurteilter festgehalten wurde? Will er die noch Lebenden Geschundenen und bis 1990 Verleugneten, die ihm widersprechen, als Lügner diffamieren, die Angehörigen demütigen?"(3)

Ich verstehe seine Erregung und halte es für unzumutbar, wenn Unschuldige wie diese ehemaligen Schüler weiterhin offiziell verleumdet werden dürfen. Und mich verwundert es aufs Äußerste, dass sich deutsche studierte Historiker und Journalisten dafür hergaben, das Martern und Morden in diesen Lagern von einem ganz anderen als von einem rechtsstaatlichen Standpunkt aus zu betrachten.

Ich frage mich, kann man in lautes empörtes Geschrei einstimmen, wenn in Deutschland ein Polizist einen Kindermörder etwas unsanft anfasst, und gleichzeitig öffentlich den Sowjets die Absolution erteilen, wenn sie massenhaft deutsche Frauen vergewaltigten und Zehntausende in Lagern und anderswo umbrachten oder verhungern ließen. Es waren ja nur "NS Funktionsträger". Richtig ist, ein größerer Teil der inhaftierten alten Männer war Mitglied der NSDAP. Aber Mitglied in einer Partei zu sein, bedeutet nicht automatisch ein Verbrecher zu sein. Ein erheblicher Teil der Inhaftierten, darunter die Tausenden Jugendlichen wie meine Freunde, waren nicht Mitglied der NSDAP. Man kann zuweilen den Eindruck haben, dass für politisch Missliebige das Faustrecht und für die Anderen rechtsstaatliche Grundsätze gelten, äußert denn auch Gerhard bedenklich. Du hast recht, sagt Klaus, es scheint bei uns so zu sein: Wenn einer in dieser Richtung verdächtigt wird, ist er vogelfrei. Achim Kilian erläuterte uns damals, warum einzelne Historiker oder Politiker, die sich nie und nimmer in reale kommunistische Haftbedingungen hineindenken können, zu solch abstrusen Schlussfolgerungen kommen. Weil sie es im Westen gewohnt waren, von den Gerichtsakten auszugehen und überzeugt sind, dass dort sachlich richtige Fakten drinstehen. Die "schnallen das nicht" - pflegt mein Freund Wolfgang zu sagen. Die begreifen nicht, dass im Kommunismus Gerichtsakten ein "Instrument des Klassenkampfes" sind und dass dort hineingeschrieben wird nicht was wirklich ist, sondern was "die Partei" wünscht. Die Verwaltungsakten, die ihnen zur Verfügung stehen, enthalten nur Stichworte zur "Beschuldigung". Diese Verwaltungsakten wurden von NKWD - Geheimdienstlern abgefasst und enthalten in der Regel erfundene Gründe, die sich an Vorgaben von oben orientieren. Das heißt z.B., wenn Werwölfe gefunden werden mussten, dann wurden auch welche gefunden, auch wenn es keine gab. Achim Kilian bewies uns damals, dass auch in seinem Fall die Verwaltungsakte je nach Bedarf verändert und gefälscht wurde. Denunziationen und Willkür führten zu Verdächtigungen, Festnahmen und Beschuldigungen, gegen die der Einzelne absolut wehrlos war. Die Einzelakten mit den Vernehmungsprotokollen halten die Russen nach wie vor geheim unter Verschluss. Warum wohl? Wenn sie die "Faschiiiisten" bloßstellen würden, bestände dafür überhaupt kein Grund.(4)

Wir saßen abends im Gasthof von Neuburgsdorf zusammen, tranken Bier und aßen eine deftige Wurstplatte. Keinem der Anwesenden , die drei Jahre in Mühlberg und einige danach noch zwei Jahre in Buchenwald zubringen mussten und die dort jeden Tag dem Tod ins Auge schauten, kommt ein Wort des Hasses auf die Russen über die Lippen. Sie wollen gedenken und erinnern, aber nicht aufrechnen. Sie wissen, hier geht es um das System. Weltverbesserungssysteme mit ihren Ideologien schaffen meist ein Klima und ein Umfeld, das Massenmord und Völkermord begünstigt. Wir diskutieren noch bis in die Nacht hinein. Jeder erzählt mir seine Erlebnisse: GPU-Keller und danach Lager.

Am anderen Tag zeigen sie mir das ehemalige Sowjetische Speziallager Nr. 1 im nahe gelegenen Wald. Früher war hier kein Wald. Wir kommen zuerst an eine breite Allee, die mit Pappeln gesäumt ist. Sie beginnt plötzlich mitten im Wald und endet genauso. Unwillkürlich muss ich an Heideggers Traktat über die Holzwege denken: "Sie führen verschlungen und ziellos in den Wald hinein und enden jäh." Der Sinn, das Ziel, denke ich, bleibt bis heute im Dunkel. Die Lagerstraße endet jäh. Jäh konnte auch das Leben hier enden. Meine Begleiter machen mich entlang der Lagerstraße auf Mauerreste aufmerksam, die sonst kaum zu erkennen wären. Hier standen einst die Baracken zu je 250 Personen, mehrfach umzäunt und gesichert. Wir gehen etwas seitwärts in den Wald und stoßen auf größere Mauerreste mit gewölbten Fundamenten. Hier befanden sich die Latrinen für ca. Zehntausend Gefangene. Dann kommen wir zum Gelände zwischen den Bäumen, wo ca. 50 Holzkreuze stehen, wo die Toten damals namenlos verscharrt wurden. Die Angehörigen wurden nicht benachrichtigt.

Erst vierzig Jahre nach dem Ende der DDR erfuhren viele Familien erstmalig vom Schicksal ihrer Angehörigen. Das Gelände wird gesäubert, geharkt, Blumen gepflanzt. Eine Art Friedhof entsteht. Meiner Meinung nach ist das zunächst ein Provisorium, dem noch eine würdigere Gedenkstätte folgen muss. Aber der Anfang ist mühevoll, doch ehrenhaft. Wenn ich mir überlege, dass ca. 7.000 Menschen hier umgekommen sind. Da müsste schon etwas Größeres entstehen.

Am Abend saßen wir dann wieder im Gasthof zusammen. Meine Fragen fand man nicht lästig. Vierzig Jahre mussten sie schweigen. Jetzt konnten sie mir oder den Angehörigen erzählen, wie es wirklich war. Jetzt erst konnte sich ihre Seele befreien von dem jahrzehntelangen Druck, der auf sie gelastet hatte. Ich nahm das auf als ein starkes Erlebnis und suchte nach Parallelen, nach den Wurzeln von Gewalt und Terror gegen Andersdenkende in der DDR, nach den Wurzeln des Agierens der Stasi, die selbst die Gesetze der DDR nicht respektiert hatte. Wenn ich heute die aktuellsten Werke von Historikern, u.a. "Verdrängter Terror", von Bettina Greiner,(5) mit unseren Feststellungen vergleiche, die wir damals 1993 in unseren Gesprächen und Diskussionen über die Sowjetischen Speziallager trafen, dann sind diese Erkenntnisse nicht neu: Dass Gewalt und Terror das Lagerleben bestimmte, dass diese Lager im Grunde nichts anderes waren als Konzentrationslager, dass die Lagerinsassen vollkommen entrechtet und ständig unterversorgt dahinvegetieren mussten bis sie schließlich verendeten, oder dass die angebliche Entnazifizierung ein ausgemachter Schwindel war. Das alles ist nicht neu, das haben wir auch schon damals so gesehen, aber es ist heute immerhin tausendfach auch wissenschaftlich belegt und bewiesen.

2.

Über die mannigfaltigen Arten tschekistischer Verhaftungen

 

Kommen wir zuerst zur Verhaftung durch die "Zuständigen Organe". Ich verwende diesen geflügelten Begriff, der überall in der DDR amtlich verwendet wurde und auch in Russland gebräuchlich war. Ein furchtbares Amtsdeutsch, mit dem man zugleich konkrete Dinge verschleiern konnte. Die Verhaftung traf oft viele wie ein Blitzschlag mit voller Brutalität. In wenigen Minuten war plötzlich alles anders. Das frühere Leben war vorbei und es begann ein neues Leben des totalen Ausgeliefertseins. Man war als Mensch ab sofort absolut isoliert, nach 1945 oft Jahre lang oder für immer einfach verschwunden, später bei der Stasi dann (welches Zeichen von Menschlichkeit) nur noch einige Wochen, wie bei meiner Verhaftung 1983. Nach fünf bis sechs Wochen erfuhr dann damals meine Frau erst, wo ich war. Letzteres ist nicht etwa der Läuterung der Organe zuzuschreiben. Nein, es ist wohl nur der internationale Druck, die Verträge von Helsinki und und… 1945 konnte man solche Mildtätigkeiten noch nicht erwarten.

Mein Freund Klaus Rümmler hat allein in der kleinen Region um Freiberg hunderte Verhaftete und davon 116 Todesopfer aus der Zeit nach Kriegsende vom Mai 1945 bis 1946 in mühsamer Kleinarbeit aufgefunden. Vom sowjetischen Geheimdienst wurden in den GPU-Kellern beim Verhör oder später in den Lagern viele zu Tode gemartert, davon z.B. 43 aus der Stadt Freiberg. Das waren sicher die NSDAP - Chefs in dieser Stadt wird jetzt gleich einer sagen. Schauen wir uns eine Seite dieser Listen an: Bruno Hofmann, Bürgermeister, Richard Kästner, Kriminalkommisar, Walter Kirbach, kaufmännischer Angestellter, Albert Leonhard, Bauer, Karl Lindner, Pferdehändler, Hans Lorenz, Polizeimeister, Max Lose, Arbeiter, Dr. Horst Menzel, Dozent, Walter Oehme, Bankkassierer, Otto Pöhland, Meister, Wilhelm Querner, Pächter eines Rittergutes, Dr. Fritz Reuther, Oberstudiendirektor, Martin Saby, Kaufmann, Otto Schoppe, Kaufmann, Richard Simon, Steuerrat, Erich Sypniewski, Bankangestellter. Das ist nur eine Seite dieser Listen, die unendlich fortgesetzt werden könnten. Die Verhaftungen 1945 gleich nach Kriegsende waren mit besonders brutalen Folterungen verbunden: Manfred Wächter aus Kamenz berichtet vom Flaschensitzen, Jochen Stella aus Potsdam von Schlägen mit Holzscheiden, Gottfried Gläser aus Aue von Pistolenschuss und Penisschlinge, Giesela Gneist aus Wittenberge wurde der Rücken blutig geprügelt, Horst Neuendorf aus Brandenburg berichtet von Prügel mit Drahtruten, Kurt Weiß aus Sondershausen von Prügel und Eintauchen in eine Fäkaliengrube, Benno Bries aus Bützow von Faustschlägen und Bauchtritten, Rolf Baumann aus Apolda, von Verbrennen mit einem Bügeleisen, Harry Aehnelt aus Dippoldiswalde, von Schlägen auf das Geschlechtsteil, Fritz Härtwig, ebenfalls aus Dippoldiswalde, von Schlägen auf die Hoden, Karl Heinz Carolus aus Freiberg, von Flaschensitzen und Faustschlägen, Friedrich Pörschke aus Flöha wurden alle Zähne und die Hoden zerschlagen. Auch diese Liste könnte unendlich fortgesetzt werden.(6) Können Sie sich vorstellen, liebe Leser, auf einer Flasche sitzen zu müssen, den Flaschenhals ins After gestoßen - und das mehrere Stunden?

Können Sie sich vorstellen, in einem halbdunklen Keller auf dem Betonfußboden zu liegen und mit einer Drahtpeitsche geschlagen zu werden, dass die Haut in Fetzen herunterhängt? Sicher, es gäbe durchaus noch Steigerungsmöglichkeiten sadistischer Art? Bei meinen Gesprächen mit Hunderten Betroffenen habe ich allerdings nicht gehört, dass man etwa aus einer Trauerfeier heraus verhaftet und das aufgebahrte verstorbene Kind mit dem Sarge ausgekippt hat, oder dass man einen Kranken während einer Magenoperation vom Operationstisch weg verhaftet hat, oder sogar eine hochschwangere Frau verhaftete und zum Tode durch erschießen verurteilte, wie es in Russland geschehen ist.(7) Nein solche Pietätlosigkeiten hat man sich in Deutschland doch nicht erlaubt, oder doch? Ist eintauchen in die Fäkaliengrube, ist Massenvergewaltigung, ist Scheinerschießung etwas anderes? Eine besondere Rücksichtslosigkeit fällt mir noch ein: Die Verhaftung des Thüringers Arno G., Rat am Oberlandesgericht. Er wurde verhaftet, als er gerade mit 40 Grad Fieber im Bett lag und genauso wie ein Gesunder durch die Verhöre getrieben. Er überlebte das natürlich nicht. Wir wissen nicht alles, aber was wir wissen, ist genug.

Natürlich gab es auch humanere Verhaftungsmethoden: Etwa mitkommen zur Klärung eines Sachverhaltes, etwa ins Rathaus kommen, um Personalakten auszuhändigen, etwa aufs Gemeindeamt bestellt werden, etwa man solle mitkommen, der Bruder habe sich den Fuß gebrochen, er brauche Hilfe und man bietet sogar an, den oder diejenige mit dem Auto dorthin zu fahren. Die Verhaftungsmethoden der "Organe" waren vielfältig und äußerst einfallsreich. Danach blieb man, wie gesagt, verschwunden. Es nützte den Angehörigen auch nichts irgendwo zu fragen oder etwa sich zu beschweren, denn es gab solche Stellen nicht, wo man Fragen stellen oder Beschwerde führen konnte. Da hätte die Diktatur der Sowjets oder der Arbeiter und Bauern viel zu tun gehabt.

Lenin hatte, wie wir wissen schon 1917 verlangt, "eine streng revolutionäre Ordnung" zu errichten und zu diesem Zweck die "unbarmherzige Niederwerfung aller anarchistischen Versuche" gefordert.(8) Doch wo waren bei den ordnungsliebenden Deutschen anarchistische Versuche zu entdecken? Nach 1945 war zwar Stalin "der liebe Koba"(9) an der Macht, dem man heute alle Gräueltaten anzulasten versucht und alles Böse auf den Stalinismus einengen will. Aber schon der Genosse Lenin hat doch seine Tschekisten konkret angewiesen, wie man zu verfahren habe. Im November 1918 begründete Lenin in einer Schrift den "Innenpolitischen Terror":(10) In seinem im Januar 1918 veröffentlichten Artikel "Wie soll man den Wettbewerb organisieren?" - erläuterte Lenin, wie man die russische Erde vom "Ungeziefer" säubern müsse. Er verstand darunter nicht etwa Ratten oder Mäuse, die den revolutionären Klassenkämpfern das Getreide wegfressen, oder nur was klassenfeindlich war, sondern auch "Arbeiter, die sich vor der Arbeit drücken" und weiter schreibt der Genosse Lenin "…in welchem Viertel einer großen Stadt, in welcher Fabrik, in welchem Dorf gibt es keine Saboteure, die sich Intellektuelle nennen?"(11) Na da haben wir’s, überall Saboteure! Und dann die Intellektuellen, diese Querdenker und Querulanten, die jede Anordnung von oben hinterfragen müssen und der Parteidisziplin hinderlich sind! Wir wissen, auch Hitler waren sie suspekt, desgleichen Mao. Na, na: "Lassen wir sie jetzt in Ruhe, wir können sie immer noch erschießen."(12)

Bei Kriegsende in Deutschland kamen natürlich noch andere Kategorien hinzu: "Terroristen, Diversanten", "Agenten", "Mitglieder faschistischer Organisationen" usw… .wobei dann der Teilsatz aus den Potsdamer Beschlüssen - "…und alle anderen Personen, die für die Besetzung und ihre Ziele gefährlich sind, sind zu verhaften und zu internieren." - besonders für die Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone schicksalhaft wurde. Grundlage von Verhaftungen war aber zunächst der Befehl des Volkskommisars für Inneres Nr.0016 vom 11. Januar 1945 "Über Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der Roten Armee von feindlichen Elementen". Natürlich, "feindliche Elemente". Ein feindliches Element konnte jeder Deutsche sein. Über 60.000 Tschekisten gingen mit Feuereifer daran die Elemente aufzuspüren. Aber wie so schnell finden? Nun, man sucht sich Helfer. Man verhaftet zum Beispiel einen und zwingt ihn zwanzig Namen zu nennen.

Aber es finden sich auch genügend Freiwillige, die einem anderen eins auswischen möchten, oder sich auf diese Weise nach oben dienen wollen. Laut Befehl sollten innerhalb von drei Tagen die Konzentrationslager errichtet werden. Lenin gab bereits zu seiner Zeit schon den Tschekisten relativ konkrete Anweisungen, was sie tun sollen: Die Maßnahmen sollten vielfältig sein. An einer Stelle sollte man die Delinquenten ins Gefängnis stecken, an anderer Stelle sie Klosetts reinigen lassen, dann nach der Verbüßung ihrer Strafe ihnen "gelbe Pässe" geben (Diesen Hinweis von Lenin haben möglicherweise die Nazis aufgegriffen, wie überhaupt manches Andere.), oder ein andermal die "Parasiten erschießen". Und dann bietet Lenin zur Auswahl noch "schwerste Zwangsarbeit" an.(13) Der "liebe Koba" hat diese grundsätzlichen Orientierungen von Lenin also nicht erfunden, sondern sie, wie Mao oder Pol Pot nur verfeinert und vervollkommnet.

Jetzt wird wieder einer kommen und sagen: Ja, das war die Reaktion der Sowjets auf die schlimmen Verbrechen der Nazis in Russland. Aber selbst wenn man das verstehen wollte, kann man es nicht billigen. Rache ist ein niederer Beweggrund und wird im Rechtsstaat nicht geduldet. Waren denn Kommunisten nicht mit hehren Zielen angetreten, eine bessere, freiere, menschlichere Ordnung zu schaffen? Und nun wurde martern mit martern, morden mit morden und wegsperren mit wegsperren vergolten.

Ein schönes Beispiel der Verlogenheit der Verhaftungsmethoden der sowjetrussischen Geheimdienste ist das Schicksal von Professor Udo Ehling als Jugendlicher, der damals zusammen mit seinen jugendlichen Freunden in Zehdenick bei Berlin wohnte.

Sie, d.h. zwei Mädchen und fünf Jungen im Alter von 15/16 Jahren wurden im Juli 1945 vom NKWD verhaftet. Am 6. Juli 1945 verbreitete die Nachrichtenagentur Associadet Press eine Propagandameldung aus dem Moskauer "Roten Stern", die sogar noch vom deutschen Marineoberkommando in Norwegen aufgefangen werden konnte: "Der Moskauer Rote Stern teilt mit, dass in Zehdenick bei Berlin eine illegale Hitler-Jugend-Organisation aufgelöst wurde. Einige Jugendliche, darunter die Leiterin wurden verhaftet."(14)

Als diese Meldungen in unserer Heimatstadt bekannt wurden, erzählte unser Freund Udo Ehling, haben unsere Eltern folgenden Brief an die Sowjetische Militäradministration geschrieben: "Es wurden aus Zehdenick Ende Juni 1945 zwei Mädel und fünf Jungen abgeholt und fortgebracht. Diese Jugendlichen sind keineswegs politisch belastet oder haben sich sonst irgendetwas zuschulden kommen lassen, was man ihnen zur Last legen könnte. Die drei antifaschistischen Parteien bescheinigen hiermit, dass nach dem Einmarsch der Roten Armee keine nationalsozialistische Bewegung Werwolf oder dergleichen bestanden haben. Nachstehend die Namen der inhaftierten Jugendlichen:" Ein einmaliger Vorgang, der kaum noch einmal vorgekommen sein dürfte ist, dass diesen Brief eine Stadtverwaltung, eine Ortsgruppe der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Christlich Demokratischen Union, der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, des Ortsausschusses des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Frauenausschuss (alle aus Zehdenick) unterschrieben haben. Wirklich einmalig, der Mut dieser örtlichen Organisationen, sich gegen die sowjetische Willkür zu wenden. Aber auch dieses außergewöhnliche Engagement nutzte letztendlich nichts. Die Jugendlichen blieben verschwunden. Die Organe mussten ja schließlich ihren Plan erfüllen.

Neben den ganz Jungen und zum Teil Kindern blieben eigentlich nur noch die alten Männer, die als Zivilisten wegzusperren waren, oder die Exoten, wie die Motorradweltmeister Winkler, alle anderen waren zumeist im Krieg und somit als Kriegsgefangene einzustufen. Motorradweltmeister, die fuhren doch auch ins Ausland? Also haben sie im Ausland spioniert, also sind sie Spione. Wenn Sie jetzt diesen Gedankengängen nicht folgen können, liebe Leser, müssen Sie doch zugeben, dass eine gewisse Logik in den Beschuldigungen der "Organe" liegt. Ein wunderbares Beispiel in der Kategorie alte Männer ist der Thüringer 72jährige Rentner W. Nicolai. Er wurde im Mai 1945 verhaftet und wegen des unsinnigen Vorwurfs der Spionage nach Moskau verschleppt, verhört, gefoltert und kam 1946 dort um. Ursache seiner Verhaftung war, dass ihn jemand denunziert hatte. Er sei früher bei der Spionageabwehr tätig gewesen. Ja, aber das war im ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 beim deutschen Heer an der Westfront in Frankreich. Seitdem hatte er nie wieder etwas damit zu tun, lebte als Rentner in Thüringen und war kein Anhänger der NSDAP.(15) Wie könnten die "Organe" da geschlussfolgert haben? Zugegeben 27 Jahre sind seitdem vergangen. Aber er könnte ja seinem Sohn etwas erzählt haben, dieser könnte wieder seinem Sohn davon berichtet haben. Ach so, er hatte keinen Sohn? Dann waren es eben Bekannte, die wiederum in Russland." Die Organe waren eben erfinderisch. Es ist aber nicht so, dass die Organe nur verdächtige "Klassenfeinde" aufgriffen, nein, nein! Auch Antifaschisten, die gerade eben aus dem NS KZ von den Amerikanern und von den Russen selbst befreit worden waren, wurden oft nur kurze Zeit danach wieder in ein Lager gesteckt, teilweise sogar in das gleiche Konzentrationslager aus dem sie vorher befreit worden waren. Unter ihnen der bekannte Kommunist Max Emmendörfer, mein Freund Roland Steinbach kannte ihn persönlich, oder Ulrich Freiherr von Sell und Justus Delbrück, die beide zum Kreis um den 20. Juli angehörten. Letztere wurden im Speziallager Jamlitz gemartert und starben dort. Im Lager Buchenwald kam 1947 Herzog Joachim Ernst von Anhalt bei den Sowjets um. Er war von den Nazis zuvor im KZ Dachau gefangen gehalten worden. Auch Horst Einsiedel, führendes Mitglied des Kreisauer Kreises kam im sowjetrussischen Konzentrationslager Sachsenhausen 1946 ums Leben. Heinz Brandt, Überlebender des NS KZ Buchenwald schildert uns folgendes: "Georg Krausz, mit dem ich bei den Nazis im Zuchthaus Brandenburg und im KZ Buchenwald gesessen hatte, verließ Buchenwald 1945 nach mir mit zwei jungen jüdischen Häftlingen. Alle drei wurden kurz vor Berlin von einem russischen "Kommandanten" nach ihren Ausweisen gefragt. Sie zeigten ihre Entlassungsausweise, die vom amerikanischen Lagerkommandanten in Buchenwald ordnungsgemäß unterzeichnet und abgestempelt waren. Daraufhin wurden sie als amerikanische Spione in das Speziallager Sachsenhausen verschleppt. Wie mir Georg Krausz später erzählte, sind die beiden jungen Juden dort umgekommen. Über das Schicksal dieser Menschen wurde im folgenden Stil entschieden: "Wo euer Propusk? Selbstsicher überreichten die drei ihre Entlassungspapiere. Darauf der russische "Kommandant": "Ihr Juden! Ihr im amerikanischen Auftrag! Ihr amerikanische Spione! Ohne Verhandlung und ohne Rechtfertigungsmöglichkeiten kamen sie ins KZ Sachsenhausen.(16) Dem Leser wird sicher die frappierende Logik nicht entgangen sein, mit der die Delinquenten überführt wurden.

Abschließend noch einige Beispiele von den altgedienten Kommunisten, die ebenfalls der Verfolgung der neuen Macht ausgesetzt waren, wenn sie sich nicht bedingungslos unterordneten. Von wegen mitreden und mitbestimmen.

So wurde sogar Ewald Pieck, ein Bruder des späteren ersten Präsidenten der DDR, der von den Sowjets als Stadtrat in Ostberlin eingesetzt worden war, in das "Speziallager Fünfeichen" eingewiesen. Ja , wie denn das? Er hatte gegen die massenhaften brutalen Vergewaltigungen durch russische Soldaten in der Stadt protestiert. Allerdings wurde er später wieder auf freien Fuß gesetzt, ausnahmsweise.(17) Oder nehmen wir einige weniger bekannte Beispiele aus Sachsen: Herbert Rädel, geb. am 11.1.1902 in Dresden, Richard Braun, geb. am 15.06.1896 in Rübenau (Erzgeb.), umgekommen im Speziallager Bautzen, Otto Berthold, geb. am 9.7.1902 in Brand-Erbisdorf, umgekommen im Speziallager Bautzen, Albert Schaarschmidt, geb. am 20.3.1903, in Brand-Erbisdorf, wahrscheinlich kurz nach der Verhaftung bereits im GPU-Keller Brand-Erbisdorf ermordet, Richard Braun, geb. am 15.6.1896 in Rübenau (Erzgeb.), Gerhard Fischer, geb. am 3.4.1897 in Rechenberg (Erzgeb.), Robert Ihle, geb. am 23.12.1896 in Reichenau (Erzgeb.), Erwin Richter, geb. am 30.10.1899 in Nassau (Erzgeb.), Johannes Scharf, geb. am 12.2.1907 in Reichenberg , Erich Walther , geb. am 15.8.1908 in Brand-Erbisdorf. Letzterer war mit der Tochter des bekannten KPD-Funktionärs und Majors der Roten Brigaden im Spanienkrieg, Ernst Dudel, verheiratet - was für die Organe offensichtlich kein Grund war - ihn nicht zu verhaften. Erich Walther wurde 1946 verhaftet und verschwand spurlos. Das oft spurlose Verschwinden für immer, wird auch bei anderen von allen Familienangehörigen bestätigt.

3.

1929: Ein deutscher Kommunist erfährt die Höllenqualen tschekistischer Haft auf der "Teufelsinsel" im Weißen Meer - russische Schicksale

 

Jetzt lassen wir einmal einzelne Zeitzeugen reden, die das erlebt haben und die das so wiedergeben als wäre es gestern gewesen. Wie war das Verhaftet werden wie war das Weggesperrtsein bei den Sowjets wirklich? Wie hat das der Einzelne erlebt?

Damit wir ein wenig die Kontinuität der Lager und die Art des Umgangs der tapferen Tschekisten mit den verhafteten Delinquenten verfolgen können, beginnen wir in Solowki 1929, im „Lager zur besonderen Verwendung". Solowki befindet sich auf der Solowetzki - Hauptinsel am Ausgang der Onega - Bucht ins Weiße Meer. Für die in der Geographie unkundigen Leser sei noch hinzugefügt, dass dies ungefähr am nördlichen Polarkreis ist. Unser Zeitzeuge ist Karl Albrecht, der 1897 in Württemberg geborene, erfahrene Kommunist, der 1924 als Forstfachmann nach Sowjetrussland ging, etwa wie Max Hölz und andere, um den Kommunismus aufbauen zu helfen. An seinen detaillierten Schilderungen bemerken wir unschwer die „rote Linie", wie sie immer geradeaus führt, wie sie weder Umwege geht noch in Schwankungen verfällt wie etwa der Aktienkurs an der New Yorker Börse, nein, nein, immer geradeaus, bis zu dem denkwürdigen Tag, als uns alle Erich Mielke 1989 in Berlin mit dem erschütternden Eingeständnis verblüffte: "Ich liebe doch alle, alle Menschen!".

Natürlich, kaum einer wird diese Insel kennen, wer möchte schon dorthin? Im Volksmund wird sie Toteninsel genannt, manchmal auch Teufelsinsel. Auch Robert Steigerwald kannte sie nicht, als er 1977 in Frankfurt am Main schrieb: "Weil ich nicht verrückt bin, bin ich Kommunist".(18) Auch der berühmte "Deutschlibanese" El Masri kannte die Insel nicht als er 2008 Monate lang versuchte, uns Ostdeutschen tagtäglich seine Geschichte schmackhaft zu machen. Karl Albrecht war ebenfalls nicht verrückt. Trotzdem hat er es auf sich genommen, dieses Lager im Winter 1928/29, natürlich in amtlicher Begleitung des Genossen Nogtew zu besichtigen. In diesen Erinnerungen erzählt er unter anderem: "Die Lagerleitung erklärte uns, sie verfolge den Zweck, mit Hilfe dieser (weggesperrten) Fachleute und Gelehrten die nötigen Vorarbeiten für die von Moskau geplante Besiedlung des Nordens durchzuführen. Nogtew meinte dann noch, dass er heute jeden Spezialisten hierher „holen" könne, wenn er „neuen Bedarf" habe, um die Arbeiten fortzuführen…Ich hörte von einem Professor. Am Abend des ersten Tages unseres Aufenthaltes auf den Solowetzker-Inseln wurde im Theatersaal des großen Klubhauses eine Sondervorstellung gegeben. Zahlreiche Gefangene waren die Zuschauer. In den Pausen benutzte ich die Gelegenheit, mich unter die Gefangenen zu mischen. Aus den kurzen Gesprächen mit ihnen bekam ich allmählich einen Eindruck von dem wirklichen Leben, wie es sich auf Solowki täglich abzuspielen pflegte. Obgleich sich in meiner Nähe dauernd Leute aufhielten, die sicherlich von der Lagerleitung zu meiner persönlichen Überwachung beordert worden waren, gelang es mir doch, eine Reihe von Einzelheiten zu erfahren. Hier in Solowki hatte ich die Gelegenheit, einmal einen tiefen Blick hinter die Kulissen der Sowjetjustiz zu tun. Vorsichtshalber hatte ich meine Freunde gebeten, sich in den Pausen ebenfalls unter die Gefangenen zu mischen und zu versuchen, die Aufmerksamkeit der Lagerbeamten von mir abzulenken. Dies gelang auch, so dass ich immerhin mehrere unbemerkte Gespräche führen konnte. Von einigen Gefangenen wurde mir gesagt. Ich solle doch einmal unvorbereitet eine Besichtigung der schweren Moorarbeiten oder der Waldarbeiten durchführen, dann würde ich bald erfahren, wie hier die Wirklichkeit aussähe…Von anderen Gefangenen wurde mir gesagt, dass am Tage vor unserer Ankunft überall dort, wohin wir nachher geführt wurden, eine "Generalprobe" abgehalten worden wäre einer der Gefangenen flüsterte mir zu, dass im vergangenen Winter mehrere hundert Gefangene, welche sich in ihrer Verzweiflung gemeinsam gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen aufgelehnt hätten - man habe täglich ohne einen einzigen Ruhetag mehr als 14 Stunden ununterbrochen ohne ausreichende Verpflegung im Moorbruch oder im Wald schwer arbeiten müssen - einfach an den Rand des halb zugefrorenen Meeres getrieben, wo sie mit Maschinengewehren zusammengeschossen und dann in das Meer geworfen worden seien. Ein anderer sagte mir, ich möchte doch Nogtew den Vorschlag machen, dass er eine seiner üblichen "Schießübungen" auf lebende Ziele abhalten möge. Es gäbe nämlich ganz in der Nähe von Nogtews Wohnung eine besondere Mauer, auf deren dachartig zugespitzten First die der Lagerleitung irgendwie missliebig gewordenen Gefangenen, insbesondere heimatlos gewordene Kinder (Besprisorniki), gesetzt würden, auf die dann von den meist völlig betrunkenen Lagerführern mit Pistolen geschossen würde. Die Unglücklichen würden vorher nackt ausgezogen und im Reitsitz auf diesen First gesetzt, so dass sie förmlich an die Mauer anfroren. Die Körper pflegten auch dann noch als Zielscheibe zu dienen, wenn sie bereits von mehreren Kugeln getroffen worden waren. Sie waren festgefroren und konnten also nicht herunterfallen."(19)

Einige Jahre später 1930/31 war Karl Albrecht selbst Gefangener der tapferen Tschekisten: "Eines Tages wurde ich völlig unerwartet mitten in der Nacht aus dem Gefängnis abgeholt. Zuerst wurde ich in das Polizeigefängnis in Sokolniki gebracht und dort drei Tage in einer völlig verunreinigten engen, ungeheizten Kellerzelle in Einzelhaft gehalten. Als ich mich über die erbärmliche Unterkunft beschwerte, drohte man mir, mich in eine Gemeinschaftszelle mit Berufsverbrechern zu legen.

Am Abend des vierten Tages wurde ich wieder in das Taganka-Gefängnis überführt. Hier blieb ich mehrere Tage in strenger Absonderung in einer Einzelzelle. Dann wurde mir von Schelesnikow eröffnet, dass mein Verfahren abgeschlossen worden sei und dass ich mich am kommenden Tage vor dem Revolutionstribunal zu verantworten hätte. Gleichzeitig wurde mir die Anklageschrift ausgehändigt. Sie war von lakonischer Kürze: Ich wurde beschuldigt, deutscher Spion zu sein und für den deutschen Generalstab gearbeitet zu haben. Die Todesstrafe wurde nach § 58 des Strafgesetzbuches der RFSSR beantragt. Die GPU hatte also sechzehn Monate Zeit gebraucht, um diese armselige Anklageschrift zustande zu bringen."

"Die Insassen in meiner Zelle konnten in vier Kategorien eingeteilt werden: Intelligenzler, Arbeiter, Bauern, und rein kriminelle Elemente, sogenannte „Spanna" oder „Ukri".

Wie ich bald feststellte, waren in meiner Zelle sehr viele Angehörige der Intelligenz, - (Anmerkung des Autors: Kein Wunder, bei Lenins Orientierung: „In welchem Dorf, in welcher Stadt gibt es keine Saboteure, die sich Intellektuelle nennen?") - etwa 20 Prozent Arbeiter, und etwa 40 Prozent Bauern. Der Rest bestand in den in der Sowjetunion in erschreckender Zahl vorhandenen jungen Taugenichtsen, Dieben, Einbrechern und dgl.(20)

Aus der Fülle der Einzelschicksale, die Karl Albrecht in den Jahren ab 1930/31 kennen lernte, wollen wir einige herausgreifen, bevor wir uns wieder in die Nachkriegsmonate und Jahre nach Ostdeutschland, mit einem Zeitsprung nach 1945 begeben:

Professor Syrnikow:

"Eines Tages wurde er in unsere Zelle gestoßen. Scheu verkroch er sich in den dunkelsten Winkel. Erst nach einigen Tagen gelang es mir, festzustellen, dass dieser in dürftige Kleider gehüllte, völlig weißhaarige Mann ein russischer Hochschulprofessor war und noch nicht einmal 50 Jahre zählte. Sein Name war Wladimir Iwanowitsch Syrnikow. Er erzählte mir mit zitternder, ängstlicher Stimme von seinem Leidensweg.

Syrnikow wurde eines Tages von der Vorlesung weg durch zwei GPU-Leute abgeholt und in das Bezirkspolizeigefängnis gebracht. Gleich bei seiner Einlieferung wurde er von einem GPU-Beamten aufgefordert, über seine Beziehungen zum Auslande und seine angebliche Spionagetätigkeit für Frankreich und Deutschland Auskunft zu geben.

Man verlangte von ihm genaue Angaben darüber, mit wem er sich anlässlich seiner Teilnahme an einem wissenschaftlichen Kongress in Deutschland im Vorjahr getroffen und welche "Aufträge" von deutschen Dienststellen er dabei übernommen habe. Man hielt ihm vor, dass er mit einer Reihe russischer Emigranten seit Jahren in Fühlung stehe und anlässlich einer Studienreise nach dem Auslande mit führenden Persönlichkeiten dieser Emigrantenkreise mehrmals Zusammenkünfte gehabt habe. Syrnikow beteuerte, dass an all diesen Beschuldigungen kein wahres Wort sei, und dass er auch bei seinen Vernehmungen diese immer wieder ausgesagt habe. Er habe sich niemals mit Politik befasst und sei ausschließlich aus wissenschaftlichem Interesse und natürlich mit Genehmigung der Sowjetbehörden ins Ausland gereist. Außerdem habe er sich stets ängstlich davor gehütet, im Auslande mit Personen zusammenzukommen, durch deren Verkehr er irgendwie verdächtig werden könnte. Doch alle seine Beteuerungen nützten ihm nichts.