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In sieben praxisorientierten, dabei wissenschaftlich fundierten Lektionen weist der renommierte Entwicklungspsychologe Bruce Hood seinen Leserinnen und Lesern den Weg zu einem besseren Leben. Denn: Glück kann man lernen, dies hat der Autor in seinem erfolgreichen und beliebten Kurs The Science of Happiness an der Uni Bristol messbar erwiesen. Wer etwas für sein Glück tun will, muss sein Ego verändern, und das ist gar nicht so schwierig, wie es klingt. Man muss nur wissen, wie. Deshalb stehen am Ende einer jeden Lektion Übungen zur praktischen Anwendung, die das Glücksempfinden spürbar steigern. Das Geheimnis des Glücks, so der renommierte Entwicklungspsychologe Bruce Hood, liegt in der richtigen individuellen Balance von Ichbezogenheit und Altruismus. In sieben so einfachen wie lebensverändernden, dabei wissenschaftlich fundierten Lektionen weist er seinen Leserinnen und Lesern den Weg zum Gleichgewicht des Glücks. Letztlich verhält es sich mit dem Glück wie mit der Gesundheit: Wir alle können glücklicher werden und vor allem bleiben, aber nur, solange wir etwas dafür tun.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Prof. Bruce Hood
GLÜCK
Was wir wissen und wie wir es erreichen
Aus dem Englischen von Anja Kauß
C.H.Beck
Cover
INHALT
Textbeginn
Titel
INHALT
Motto
VORWORT
EINLEITUNG
LEKTION 1: ÄNDERN SIE IHR EGO
Wann soll ich anfangen?
Glückliche Kindheitserinnerungen?
Das egozentrische Kind
Wer bin ich?
Gut gemacht!
Der Spiegelbildeffekt
GLÜCKSÜBUNGEN
LEKTION 2: VERMEIDEN SIE ISOLATION
Emotionale Bindung
Sozialer Tod
Einsamkeit: Die einsame Spitze unter den Todesursachen
Stress
Anderen helfen
Übermäßiger Konsum sozialer Medien macht Kinder unglücklich
GLÜCKSÜBUNGEN
LEKTION 3: STELLEN SIE KEINE UNGLÜCKLICHEN VERGLEICHE AN
Das vergleichende Gehirn
Faustregeln
Bewunderung durch das Publikum
Weil ich es mir wert bin
Partylöwen
Adaptation
Vorhersagen, was uns glücklich macht
Überfokussierung
Die Jagd nach dem Glück
GLÜCKSÜBUNGEN
LEKTION 4: WERDEN SIE OPTIMISTISCHER
Das Schlechte wiegt schwerer als das Gute
Nachrichten mit Blut verkaufen sich gut
Über andere urteilen
Erlernte Hilflosigkeit
Erlernter Optimismus
Optimismus und Gesundheit
GLÜCKSÜBUNGEN
LEKTION 5: KONTROLLIEREN SIE IHRE AUFMERKSAMKEIT
Zeitreisende
Müßige Gedanken
Raus in die Natur!
Scheinwerfer der Aufmerksamkeit
Achtsamkeitsmeditation
Finden Sie Ihren Flow
Innere Stimmen
Psychologisches Distanzieren
GLÜCKSÜBUNGEN
LEKTION 6: TRETEN SIE MIT ANDEREN IN VERBINDUNG
Gute Schwingungen
Das empathische Gehirn
Den Geist öffnen
Die Reis-Hypothese
Vertrau mir
Freundschaft schließen
GLÜCKSÜBUNGEN
LEKTION 7: DAS GEDANKENKARUSSELL STOPPEN
Trips
Sich beeindrucken lassen
Kontemplative Einsamkeit
GLÜCKSÜBUNGEN
NACHWORT
DANKSAGUNG
ANMERKUNGEN
Einleitung
LEKTION
1: Ändern Sie Ihr Ego
LEKTION 2: Vermeiden Sie Isolation
LEKTION
3: Stellen Sie keine unglücklichen Vergleiche an
LEKTION
4: Werden Sie optimistischer
LEKTION
5: Kontrollieren Sie Ihre Aufmerksamkeit
LEKTION
6: Treten Sie mit anderen in Verbindung
LEKTION
7: Das Gedankenkarussell stoppen
Nachwort
REGISTER
Zum Buch
Vita
Impressum
Das vorliegende Buch ist all den Studenten und Kollegen gewidmet, mit denen ich im Laufe der Jahre das Glück hatte zusammenzuarbeiten und die mir so viel beigebracht haben.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie glücklich die meisten kleinen Kinder sind? Sie scheinen sich an den einfachsten Dingen zu erfreuen. Pfützen, Dreck, Schnee, Zweige. Vor meinem Arbeitszimmer befindet sich der Spielplatz einer Grundschule. In jeder Pause ist er erfüllt vom Lachen und dem Geschrei kleiner Kinder beim Spielen. Was wird aus all dieser Freude? Wir beginnen unser Leben als glückliche kleine Kinder, aber dann werden viele von uns zu unglücklichen Erwachsenen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind. Selbst wenn es gut läuft, ist echtes Glücksempfinden meist von kurzer Dauer. Warum ist das so, und wie könnte man diesem Umstand möglicherweise entgegenwirken?
Als Entwicklungspsychologe beschäftige ich mich seit nunmehr vierzig Jahren mit Kindern. Mich faszinieren die Prozesse, die uns von einem hilflosen Baby, das zum Überleben auf andere angewiesen ist, zu einem Erwachsenen machen, der in der Lage ist, die Sixtinische Kapelle auszumalen, Sinfonien zu komponieren, Raumschiffe zu bauen oder Kriege zu führen. Ich habe mein Leben der Forschung und der Lehre gewidmet, und es war mir immer ein Anliegen, meine Studenten dazu zu ermutigen, die nächste Generation von Wissenschaftlern zu werden. Die meiste Zeit meiner Laufbahn erlebte ich dies als außerordentlich befriedigend, doch vor ungefähr sechs Jahren bemerkte ich, dass jeder neue Jahrgang von Studenten unglücklicher als der vorangegangene war und dass die Studenten sich zunehmend um ihre Studienleistungen sorgten. Sie machten sich übermäßig viele Gedanken über ihre Noten und wünschten sich immer mehr Anleitung darin, wie sie ihre Bemühungen besser auf die Leistungsbewertung ausrichten könnten. Sie schienen weniger an den erstaunlichen Entdeckungen auf dem Forschungsgebiet interessiert zu sein, mit dem sie sich jeweils beschäftigten, sondern konzentrierten sich vielmehr darauf, Bestnoten zu erreichen. Meine Freude am Unterrichten und meine Begeisterung für die akademische Lehre wurden durch einen pragmatischen, zielgerichteten Ansatz untergraben, der mit immer mehr Freudlosigkeit und Unglück einherging. Natürlich ist der Ehrgeiz, gute Leistungen im Studium zu erbringen, ehrenwert, doch sollte dieses Ziel nicht auf Kosten des persönlichen Glücks erreicht werden. Diese Entwicklung betraf freilich nicht allein meine Studenten. Im gesamten Hochschulbereich kam es zu einer Epidemie psychischer Probleme. Ich musste etwas tun.
Ich wusste, dass es in meinem Fachgebiet einen Teilbereich namens Positive Psychologie gab, der sich damit befasste, wie das psychische Wohlbefinden durch einfache Routinen und Aktivitäten verbessert werden kann. Ich war skeptisch. Ich hatte gehört, dass Meditation bemerkenswerte Wirkungen zeigte, aber sie hatte ihre Wurzeln doch in der fernöstlichen Religion und nicht in der evidenzbasierten Wissenschaft. In den Medien wimmelte es nur so von Artikeln, die sich damit befassten, wie man glücklich und erfolgreich sein kann. Auf mich machten die darin unterbreiteten Vorschläge allesamt den Eindruck von Mogelpackungen und Notlösungen. Es wollte mir nicht einleuchten, dass man sich so ohne Weiteres zu Glück verhelfen konnte. Die Flughafenbuchhandlungen waren voll von Selbsthilfebüchern sogenannter Experten mit oftmals fragwürdigen Referenzen. In meinen Ohren klang «Positive Psychologie» ein bisschen zu sehr nach Hype und Wischiwaschi, aber ich war gewillt, ihr eine Chance zu geben.
Durch Zufall entdeckte ich, dass eine ehemalige Harvard-Studentin von mir, Laurie Santos, eine hochrangige Psychologin in Yale und Leiterin eines der dortigen Residential Colleges, unter dem Titel «Die Psychologie und das gute Leben» einen Kurs zum Thema Wohlbefinden entwickelt hatte und dass dieser zum beliebtesten Kurs auf dem Campus avanciert war. In der ihr eigenen großzügigen und selbstlosen Art schickte mir Santos ihre Seminarunterlagen. Ich verpasste ihnen meine persönliche Note und bot im Jahr 2018 als Pilotprojekt an der Universität von Bristol den Kurs «The Science of Happiness» an. Ich war nicht sicher, ob überhaupt jemand kommen würde, doch dann erschienen am ersten Tag über fünfhundert Studenten und Mitarbeiter. Bemerkenswert war dies insofern, als es sich bei diesem Pilotprojekt nicht um ein reguläres Pflichtseminar handelte, sondern schlichtweg um eine Vortragsreihe, die wöchentlich zur Mittagszeit stattfand und sich an die breite Öffentlichkeit richtete.
Da es in meinem Kurs um den wissenschaftlichen Ansatz zum Verständnis von Glück ging, bezog ich Studien ein, die menschliches Verhalten mit den zugrundeliegenden Mechanismen im Gehirn zu erklären suchen. Meine eigenen Interessengebiete – die Entwicklung des Kindes, das Selbst und die Neurowissenschaften – spielten dabei eine zentrale Rolle. Ich hoffte, meine Vorliebe für die Macht der Daten und Beweise würde sich auf die Zuhörerschaft übertragen, und nahm daher Inhalte zu Statistik und Versuchsplanung in meinen Kursplan auf, um zu demonstrieren, dass die Wissenschaft der beste Weg sei, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Anders als viele Verfechter der Positiven Psychologie war ich darauf bedacht, das Versprechen der von mir gelehrten Prinzipien nicht hochzuspielen. Ich war entschlossen, die Wissenschaft vom Glück mit der größtmöglichen Präzision anzugehen. Deshalb unterzog ich die Zuhörer vor und nach dem Kurs psychometrischen Tests, um festzustellen, ob die empfohlenen Aktivitäten etwas an ihrem Glücksempfinden änderten. Ich sagte ihnen, dass sie einen Selbstversuch durchführten und dass das Ergebnis über die Zukunft des Kurses entscheiden würde. Darüber hinaus versprach ich ihnen: Wenn es nicht klappen würde, würde ich den Kurs abbrechen und mich wieder meiner Forschung widmen.
Das Feedback der Studenten nach Abschluss des Kurses war ausgesprochen positiv. Sie fanden den Kurs interessant und unterhaltsam, und sie hatten die Möglichkeiten zur aktiven Teilnahme genossen. Für einige der Zuhörer war die Erfahrung «transformativ» gewesen. Aber was würden die Daten über ihre Zufriedenheit aussagen? Ich erinnere mich, wie ich die psychometrischen Werte einer ersten statistischen Analyse unterzog und von den Ergebnissen vollkommen überrascht war. Insgesamt gab es bei allen von mir durchgeführten Messungen des Wohlbefindens einen, wie wir es nennen, hochsignifikanten Anstieg der positiven Werte um 10 bis 15 Prozent vom Zeitpunkt vor Beginn des Kurses bis zu dessen Ende zehn Wochen später. Das klingt vielleicht nicht unbedingt nach einer Erhebung in einen Zustand des ewigen Glücks und der immerwährenden Glückseligkeit, aber das Ausmaß an Veränderung in einem relativ kurzen Zeitraum ist bedeutsam. Nun war ich also bekehrt, und mir war klar, dass Wissenschaft und Bildung zu Glück verhelfen können. Und ebendies ist Sinn und Zweck dieses Buches. Es soll Sie glücklicher machen.
Als Wissenschaftler bin ich immer auf der Suche nach der Antwort auf die Frage nach dem «Warum». Warum sind manche Menschen so unglücklich? Warum ist Glück so zerbrechlich? Und warum greifen die Interventionen der Positiven Psychologie? Ich denke, die Antworten auf diese Fragen sind in der Kindheit zu finden.
In den meisten Familien stehen kleine Kinder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie werden noch nicht mit der wettbewerbsorientierten Welt der sozialen Beziehungen konfrontiert und kennen noch nicht das bedrängende Gefühl, das uns vom Jugendalter an die meiste Zeit begleitet: das Gefühl, von anderen bewertet oder beurteilt zu werden. Die meisten kleinen Kinder sind unbekümmert selbstbezogen oder egozentrisch, sie leben im Moment – mit wenig Raum für Reue oder für Sorgen um die Zukunft.
Wenn Kinder jedoch heranwachsen und in die wettbewerbsorientierte Welt der Schulprüfungen, Beziehungen, sozialen Medien und der Arbeit eintreten, stellen sie fest, dass sie nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Sie müssen lernen, mit anderen auszukommen, die ebenfalls um Status und Anerkennung ringen. Konflikte entstehen oft, wenn beide Parteien die Perspektive des jeweils anderen nicht würdigen. Wir wollen einen bestimmten Status haben und von anderen bewundert werden, aber auch dies führt zu Konflikten. Es ist schwierig, gleichzeitig Gewinner und Teamplayer zu sein. Man kann nicht die beliebteste Person sein, ohne dass andere weniger beliebt sind. Man kann nicht am meisten gemocht werden, ohne dass andere weniger gemocht werden. Man kann nicht am erfolgreichsten von allen sein, ohne dass – zumindest egozentrisch betrachtet – die anderen scheitern. Um mit anderen zurechtzukommen und gesellschaftlich akzeptiert zu werden, müssen wir einschätzen können, was andere möglicherweise denken, und uns entsprechend überlegen, wie wir uns angesichts dessen verhalten sollten. Aber das erfordert ein wenig Übung und Geschick. Diese Fähigkeiten entwickeln sich im Laufe der Kindheit. Bis wir das Erwachsenenalter erreichen, haben wir mehr Sorgen und Nöte angehäuft als unser jüngeres Ich. Wenn wir also in unserem eigenen selbstbezogenen Universum gefangen sind – was häufig der Fall ist –, kann es gut sein, dass sich dieser Selbstfokus auf unsere Probleme richtet und wir alles über Gebühr aufblähen. Betrachten wir einmal die folgende Darstellung des eigenen Ich in Relation zu anderen, zu unseren Problemen sowie zum Wechsel der Perspektiven.
Darstellung eines übermäßig egozentrischen sozialen Netzwerks
Wenn wir egozentrisch sind, stehen wir dominant im Zentrum unseres Universums und nehmen Beziehungen als tendenziell einseitig wahr. Wir wirken auf andere ein, und wenn andere auf uns einwirken, gibt es wenig gegenseitigen Austausch, weil wir die Perspektive des anderen kaum in Betracht ziehen. Anders als Kinder sind sich egozentrische Erwachsene sehr wohl der gegenwärtigen und potenziellen zukünftigen Probleme bewusst. Wir nehmen unsere Probleme als größer wahr, als sie tatsächlich sind; wir haben kein Verständnis dafür, dass andere eigene Probleme haben, und falls doch, so sind sie zumindest nicht mit unseren eigenen vergleichbar. Die Schwierigkeiten sind für uns die größten. Aber man kann die Welt auch anders sehen: aus einer Perspektive, die andere im Blick hat, mit einer allozentrischen Sicht, die zu größerem Glück beitragen kann. Eine allozentrische Sichtweise würdigt die Perspektiven anderer und die Verflechtungen der sozialen Welt.
Darstellung eines allozentrischen sozialen Netzwerks
Hier ist unser Selbst reduziert und daher mit anderen vergleichbar. Unsere Beziehungen sind eher reziprok, und wir erkennen, dass andere Probleme bewältigen müssen, die für sie bedeutender sind als unsere Probleme für uns. Diese Sichtweise relativiert die Probleme und lässt unsere eigenen Sorgen oft weniger schwerwiegend erscheinen. Ein Sprichwort sagt: «Geteiltes Leid ist halbes Leid.» Wenn wir allozentrischer denken und handeln, wird uns soziale Unterstützung zuteil, und wenn wir für andere da sind, stellt sich unverhofft Glück ein.
Die meisten Erwachsenen können bei Bedarf aus ihrem Ich heraustreten und eine allozentrische Perspektive einnehmen. Dies zu lernen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Erwachsensein, aber es ist nicht leicht, spontan so zu denken. Wir sind uns selten der Schwierigkeiten anderer bewusst, es sei denn, sie stehen uns nahe oder wir werden speziell auf ihre Nöte aufmerksam gemacht. Zu sehr sind wir in unserer eigenen Weltsicht gefangen. Selbst wenn wir von den Problemen anderer hören, betrachten wir sie, wenn wir zu egozentrisch sind, als weniger schwerwiegend als unsere eigenen.
Wie sagte doch der griechische Stoiker Epiktet: «Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über dieselben beunruhigen die Menschen.»[*1]
Mit anderen Worten: Zwei Menschen können mit demselben negativen Lebensereignis konfrontiert werden, aber der eine zieht weiter, während der andere tagelang darüber nachgrübelt. Warum ist das so? Wie kommt es, dass für jemanden das Glas halbvoll und nicht halbleer ist? Warum sind manche Menschen glücklicher als andere? Werden wir so geboren oder werden wir erst im Laufe des Lebens so?
Es stimmt, dass glückliche Kinder in der Regel zu glücklichen Erwachsenen heranwachsen. Teilweise hängt unser Glücksempfinden von den Genen ab, die wir von unseren Eltern geerbt haben. Um herauszufinden, inwieweit die Unterschiede durch die Gene einerseits und durch Umwelteinflüsse andererseits bedingt sind, führt man in der Wissenschaft Messungen zum Glücksempfinden bei eineiigen, also genetisch vollkommen identischen Zwillingen durch, und ebenso bei zweieiigen Zwillingen, die die Hälfte ihrer Gene gemeinsam haben. Dies wird als Erblichkeit bezeichnet, und wenn man die Werte zum Wohlbefinden vergleicht, so sind im Durchschnitt höchstens 40 bis 50 Prozent der Unterschiede und Ähnlichkeiten auf die Gene zurückzuführen[1] – ganz ähnlich wie bei der Intelligenz.[2] Einen Teil unserer Veranlagungen, gute wie auch schlechte, erben wir von unseren Eltern, aber eben nicht alle. Wie andere Aspekte der Persönlichkeit lässt sich auch das Glücksempfinden nicht ausschließlich genetisch erklären.
Das britische Amt für nationale Statistik hat Gruppen von Jugendlichen im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren dazu befragt, was sie glücklich macht.[3] Es war nicht etwa ihre PlayStation, die Anzahl ihrer Instagram-Follower, Geld, Ferien oder gute schulische Leistungen, sondern «das Gefühl, geliebt zu werden, und gute Beziehungen, insbesondere zu Freunden und zur Familie; Beziehungen, in denen man Unterstützung erfährt, und jemanden zu haben, mit dem man reden und auf den man sich verlassen kann». Dies waren für die befragten Jugendlichen durchweg die wichtigsten Faktoren für ein glückliches Leben, und das ist insofern bemerkenswert, als eine andere Umfrage unter mehr als 17.000 Erwachsenen des Jahrgangs 1970 mit der Frage «Wie unzufrieden oder zufrieden sind Sie mit ihrem bisherigen Leben?»[4] ergab, dass der wichtigste Prädiktor für die Zufriedenheit eines Erwachsenen im Alter von zweiundvierzig Jahren war, wie gut es ihm als Kind hinsichtlich seiner emotionalen Gesundheit ging. Unsere sozialen Interaktionen in der Kindheit legen den Grundstein dafür, wie wir uns als Erwachsene verhalten, und dies wirkt sich wiederum auf unser Glücksempfinden aus. Wenn wir Anschluss an andere haben, lernen wir, mit den Rückschlägen und Herausforderungen des Lebens besser umzugehen. Von allen Umwelteinflüssen, die zur Lebenszufriedenheit beitragen können, wie zum Beispiel Gehalt, Ehe oder Liebesbeziehungen, ist die Frage, wie gut wir uns als Kinder mit anderen verstanden haben, der wichtigste Prädiktor für unser Wohlbefinden als Erwachsene.
Heißt das, wenn wir eine unglückliche Kindheit hatten, können wir als Erwachsene nicht glücklich sein? Nicht unbedingt. Meine eigene Kindheit war unglücklich. Ich wuchs in einer Familie auf, die ständig von einem Land ins andere zog, weil der unglückliche, alkoholkranke Vater auf der Suche nach Arbeit, nach einem Lebensziel und Lebenssinn war. Er starb, als ich fünfzehn Jahre alt war, und als meine Mutter zwei Jahre später in ihre Heimat Australien zurückkehrte, war ich auf mich allein gestellt. Trotz dieser traumatischen Kindheit betrachte ich mich als einen relativ glücklichen Erwachsenen. Ich weiß nicht, warum, aber ich weiß, dass es möglich ist, Menschen durch Bildung und Erziehung glücklicher zu machen, und ich kann das auch belegen.[5]
Die Belege stammen aus meiner Vorlesungsreihe «Science of Happiness», die seit fünf Jahren an der Universität Bristol als anrechenbarer Kurs für Erstsemesterstudenten angeboten wird.[6] Seit ich diesen Kurs halte, ist mir klar geworden, dass in der Kindheit ein Mechanismus am Werk ist, der uns allen gemein ist und der Antworten auf die Frage nach dem «Warum» des Glücks bereithalten könnte. Unsere egozentrische Veranlagung mag uns für immer begleiten, aber wir können uns antrainieren, allozentrischer zu denken. Dabei ist es entscheidend, dass wir ein ausgewogenes Verhältnis von Egozentrismus und Allozentrismus erreichen, und darum geht es auch bei den praktischen Übungen in diesem Buch.
In sieben Lektionen möchte ich erläutern, wie man sich mit evidenzbasierten Techniken zu Glück verhilft, aber auch, warum dies funktioniert. In Lektion 1, «Ändern Sie Ihr Ego», wird erklärt, wie sich im Laufe der kindlichen Entwicklung unser Selbstkonzept herausbildet. Wir beginnen mit einem sehr egozentrischen Selbst, werden uns aber zunehmend der anderen und unseres Platzes in der Gesellschaft bewusst. Wenn wir überwiegend egozentrisch bleiben, besteht die Gefahr, dass diese Selbstfokussierung unsere Perspektive verzerrt und dazu führt, dass wir unglücklich werden. In Lektion 2, «Vermeiden Sie Isolation», erfahren wir, wie der Mensch aufgrund seiner ungewöhnlichen Kindheit und seines großen Gehirns sozial abhängig wurde. Das Gehirn ist auch das Thema von Lektion 3, «Stellen Sie keine unglücklichen Vergleiche an». Hier wird aufgezeigt, wie die uns eigene Art der Informationsverarbeitung unserem Glück im Wege stehen kann. In Lektion 4, «Werden Sie optimistischer», befassen wir uns mit dem Problem, dass wir uns tendenziell auf das Schlimmste konzentrieren und auch vom Schlimmsten ausgehen. In Lektion 5, «Kontrollieren Sie Ihre Aufmerksamkeit», gehen wir darauf ein, wie unsere Gedanken ins Negative abschweifen, wenn wir uns nicht konzentrieren oder Aktivitäten nachgehen, die unsere volle Aufmerksamkeit erfordern. Wie wir dieser Tendenz entgegensteuern können, zeigt Lektion 6, «Treten Sie mit anderen in Verbindung». Hier geht es um die Vorzüge der Interaktion mit anderen und um das fälschlicherweise erwartete Unbehagen im Gespräch mit Fremden. In der siebten Lektion, «Bleiben Sie neugierig», erkunden wir schließlich verschiedene Möglichkeiten, die Welt in einem neuen Licht zu sehen, um uns zu mehr Glück zu verhelfen.
The Science of Happiness ist mehr als ein Selbsthilfebuch. In vielerlei Hinsicht ist es ein Selbstzerstörungsbuch, denn das übermäßig egozentrische Selbst hält immens viel Unzufriedenheit und Unglück bereit. Wir können und sollten jedoch nicht versuchen, unsere Ich-Perspektive aufzugeben, indem wir komplett allozentrisch werden. Wenn wir nur noch an andere denken und mit anderen fühlen, laufen wir Gefahr, das Gefühl für uns selbst völlig zu verlieren, das jedoch für unser psychisches Wohlbefinden ebenso wichtig ist wie unsere Verbindung zu anderen. Unser Glück sollte nicht so sehr von anderen abhängen, dass wir die Kontrolle über unser eigenes psychisches Wohlbefinden verlieren. In den sieben Lektionen dieses Buches werden Sie lernen, wie Sie ein ausgewogenes Verhältnis herstellen zwischen einer egozentrischen Sichtweise und einer neu einzunehmenden, vorwiegend allozentrischen Perspektive. Während und am Ende jeder Lektion gibt es einfache Übungen, die Ihnen dabei helfen sollen, ausgeglichener – und somit glücklicher – zu werden.
Aber bedenken Sie bitte: Wissen allein reicht nicht aus. Wir haben wiederholt gezeigt, dass unser Kurs das psychische Wohlbefinden der Kursteilnehmer verbessert und ihre Gefühle von Angst und Einsamkeit verringert, aber die Verbesserung hält nur so lange an, wie die Kursteilnehmer ihre Übungen weitermachen.[7] Es ist wie mit der körperlichen Gesundheit: Man kann fitter werden, aber nur so lange, wie man daran arbeitet. Wenn man seinen gesunden Lebensstil aufgibt, bleibt man auch nicht gesund. Das Gleiche gilt für das Glück. Man muss daran arbeiten, also Glück üben, um eine dauerhafte Wirkung zu erzielen.
*1 Epiktet, Handbüchlein der Moral, Erster Teil, Abs. 5. Zitiert nach Projekt Gutenberg. Anm. d. Übers.
LEKTION 1
Früher ging man davon aus, dass die Erde den Mittelpunkt des Universums bildet und Sonne und Mond unseren Planeten umkreisen. Das änderte sich im sechzehnten Jahrhundert durch die Erklärungen Kopernikus’ zur Bewegung der Planeten sowie durch Galileos spätere Bestätigung dieser Erklärungen anhand von Beobachtungen mit dem Teleskop. Diese Enthüllung führte zu einem Paradigmenwechsel – einem radikalen Umdenken über unsere Stellung im Universum. Was für den Kosmos gilt, gilt auch für jeden von uns. Wir sind nicht der Mittelpunkt des Universums, auch wenn wir das vielleicht denken. Wenn wir glücklicher werden wollen, müssen auch wir unser eigenes Leben radikal überdenken. Wir müssen unsere Vorstellung von einem Universum, in dem alles um uns kreist, aufgeben und unsere Stellung sowie unsere Beziehungen zueinander erkennen. Wie in der Einleitung beschrieben, müssen wir von einer allzu egozentrischen Sichtweise zu einer stärker auf die anderen ausgerichteten, das heißt allozentrischen Sichtweise finden.
Uns radikal neu zu denken, um glücklicher zu werden, ist eine Herausforderung, denn wir alle beginnen mit einer übermäßig egozentrischen Sicht auf die Welt. Das liegt in der Natur des Bewusstseins und daran, wie wir als Kinder die Welt zu verarbeiten beginnen. Wenn wir uns jedoch unsere natürliche Veranlagung, alles aus dieser egozentrischen Perspektive zu betrachten, eingestehen, können wir unsere Wahrnehmung allmählich ändern. Indem wir die Möglichkeit einer allozentrischen Sichtweise erkennen und unsere Wahrnehmung entsprechend erweitern, können wir die Last der Probleme und Sorgen, die wir uns selbst aufbürden, verringern und in den Genuss der Unterstützung und Objektivität kommen, die soziale Interaktionen bereithalten.
Diesen Übergang vollziehen Kinder in der Regel als Teil ihrer normalen Entwicklung, aber es gibt deutliche Unterschiede hinsichtlich der Intensität, mit der diese Veränderung vollzogen wird. Notwendig ist sie insofern, als unser Glück als Erwachsene davon abhängt. Wie in der Einleitung erwähnt, werden glückliche Kinder zu glücklichen Erwachsenen, und was uns als Kinder glücklich macht, sind unsere sozialen Beziehungen. Wenn wir jedoch mit anderen zurechtkommen wollen, müssen wir einen Teil unserer Egozentrik aufgeben zugunsten einer größeren Allozentrik. Die Wurzeln unseres Glücks als Erwachsene liegen in unserer Kindheit.
In dieser ersten Lektion möchte ich das Konzept des Selbst vorstellen und zeigen, welche Entwicklung es im Laufe der Kindheit durch die Interaktion mit anderen durchläuft. Wir sind so sehr an das Wort «Selbst» gewöhnt, dass wir uns nur selten Gedanken darüber machen, welche unterschiedlichen Bedeutungen ihm zukommen. Unser Selbst ist das, was wir sind, aber wer wir sind, hängt vom jeweiligen Kontext ab. Wenn ich Sie bei einem Vorstellungsgespräch bitte, mir etwas über sich selbst zu erzählen, dann erwarte ich, dass Sie mir einen kurzen Überblick über Ihre Berufserfahrung, Ihre Fähigkeiten und Ihre Ausbildung geben. Wenn wir jedoch ein Date haben und ich Sie bitte, mir etwas über sich selbst zu erzählen, dann erwarte ich keinen Lebenslauf, sondern vielmehr, dass Sie mir etwas über Ihre Vorlieben und Abneigungen, Ihre politischen Ansichten, Ihr Lieblingsessen und Ihre Lieblingsmusik erzählen. Das Wort «Selbst» hat aber noch eine andere Bedeutung: Es meint unsere Gedankenwelt. Bisweilen kann ich eine Verzerrung des Bewusstseins wahrnehmen und sagen: «Ich bin nicht ich selbst.» Die autobiografischen Fakten über mich haben sich nicht geändert, aber ich habe das Gefühl, dass ich auf irgendeine Weise anders bin. In der Tat wird das Selbst durch die Kombination einer bewussten Bewertung und einer Geschichte persönlicher Erfahrungen unablässig neu konstruiert.
Der Philosoph William James unterschied im neunzehnten Jahrhundert zwischen dem «I-Self» («Ich») als dem bewusst Handelnden, Wissenden und Denkenden und dem «Me-Self» («Mich») als dem Objekt unseres denkenden Erfassens, als Geschichte unserer eigenen Handlungen, unseres Wissens und unserer Gedanken.[1] Ich möchte Ihnen den Unterschied zwischen dem «Ich» und dem «Mich» anhand einer Frage verdeutlichen. Welche Eissorte mögen Sie lieber – Vanille oder Schokolade? Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken. Lassen Sie mich bei der Beantwortung der Frage auf verschiedene Aspekte des Selbst hinweisen, über die Sie womöglich noch nicht nachgedacht haben. Zunächst einmal haben Sie eine Erfahrung des wahrnehmenden Bewusstseins gemacht. Während Sie den Satz gelesen haben, hat Ihre innere Stimme die Worte gesprochen, Sie haben die Frage verstanden und begonnen, eine Antwort zu formulieren. Dieses wahrnehmende Bewusstsein ist das «Ich», der Akteur. Es ist unsere Gedankenwelt, derer wir uns bewusst sind. Hier werden Gedanken und Gefühle erlebt. Aber dieses bewusste «Ich» greift auf eine Bibliothek des Wissens zurück, dem ein unbewusstes «Mich» innewohnt, die Geschichte dessen, wer wir sind. Um die Frage nach dem Eis zu beantworten, müssen Sie die relevanten Informationen aus dem Gedächtnis abrufen, in dem Ihre persönliche Geschichte des Verzehrs gefrorener Milchköstlichkeiten gespeichert ist. Dies ist der Wissensspeicher des «Mich». Obwohl sie unterscheidbar sind, fließen das «Ich» und das «Mich» beide in das Konstrukt ein, das wir «Selbst» nennen. Mit anderen Worten: Bewusste Erfahrungen werden zu Erinnerungen, und Erinnerungen können, wenn sie abgerufen werden, wieder in unseren bewussten Erfahrungsschatz zurückkehren.
Wenn unser bewusster Gedankenstrom organisiert, kohärent, einheitlich, beständig, mit einem Gefühl von Handlungsfähigkeit und freiem Willen erscheint, so erleben wir das Selbst, das uns üblicherweise bestens vertraut ist. Aber daraus folgt nicht, dass das Selbst a priori oder unabhängig von seinen Bestandteilen existiert. Aus diesem Grund habe ich das Selbst als Illusion bezeichnet.[2] Ich bestreite nicht, dass es eine Erfahrung des Selbst gibt, aber es ist nicht das, was es zu sein scheint. Es ist nicht anders als bei Illusionen: Sie erwecken einen bestimmten Anschein – und sind doch etwas anderes.
«Moment mal», sagen Sie, «nicht so schnell. Wer sucht denn nach einer Antwort auf die Eiscremefrage, wenn nicht das Selbst?» Das scheint ein Paradoxon zu sein – das Selbst überwacht die Erfahrungen und wird durch ebendiese generiert. Es ist wie bei Eschers Lithographie, bei der zwei Hände sich gegenseitig zeichnen (siehe unten).
Ein Paradoxon liegt allerdings nur vor, wenn man das «Ich» als unabhängig und als Vorläufer oder Auslöser von Gedanken und Handlungen ansieht. Es ist im Übrigen auch nicht abhängig von einem konstanten Bewusstsein. Wenn das Bewusstsein ausgeschaltet ist – und das erleben wir jede Nacht im traumlosen Tiefschlaf –, dann setzt sich das Selbst jeden Morgen beim Erwachen neu zusammen. Zunächst wird sich das «Ich» bewusst, und dann durchstöbern wir unser «Mich», um unsere Agenda für den neuen Tag zu erstellen. Es wird nicht – und kann nicht – dasselbe Selbst sein wie das vom Vortag, auch wenn wir selten einen Unterschied bemerken, und es verändert sich mit jedem weiteren Tag, an dem wir Erfahrungen machen, aber es ist dennoch ein neu entworfenes Selbst. Dieser Gedanke ist nicht neu. In einer Übersetzung des Dhammapada des Buddha heißt es: «Was wir heute sind, kommt von unseren Gedanken von gestern, und unsere gegenwärtigen Gedanken bilden unser Leben von morgen: Unser Leben ist die Schöpfung unseres Geistes.»[3]
Dieser verschiedenen Komponenten unseres konstruierten Selbst werden wir uns allerdings überhaupt erst bewusst, wenn sie voneinander getrennt werden. Man denke nur an das Schicksal von Clive Wearing, der nicht in der Lage ist, neue Erinnerungen zu bilden oder sich ihrer auch nur bewusst zu werden.[4] 1985 erkrankte Wearing, ein angesehener Musikwissenschaftler der Universität Cambridge, an einer Herpes-simplex-Enzephalitis, einer Infektion des Gehirns, die seine Fähigkeit, neue Erinnerungen zu codieren, zerstörte. Wearing leidet an einer ausgeprägten anterograden Amnesie, die zur Folge hat, dass alles, was er neu erlebt, innerhalb von Sekunden verlorengeht. Er erinnert sich an vieles, was er vor seiner Erkrankung erlernt hat, wie zum Beispiel das Klavierspiel, und er erinnert sich, wie seine Frau Deborah aussieht, aber er kann sich an nichts Neues, was ihm widerfährt, erinnern.
Seit Beginn seiner Erkrankung führt Wearing konsequent und gewissenhaft ein Tagebuch, um seinem Leben einen Sinn zu geben. Die meisten Einträge sind Variationen desselben Satzes, der unterstrichen und von Seite zu Seite wiederholt wird: «Jetzt bin ich wach», mit der Uhrzeit des Eintrags, 10:30; «Ich bin wach», dann aber durchgestrichen 10:30 «Ich bin wach», und immer so weiter, 10:32 «Jetzt bin ich wirklich wach!».
Sein Gedächtnis reicht ungefähr sieben Sekunden zurück. Was sein Selbst angeht, so ist Wearing nicht in der Lage, sein «Mich» zu aktualisieren und es entsprechend mit dem bewusst wahrnehmenden, subjektiven Bewusstsein des «Ich» abzustimmen. So erlebt er eine Abwesenheit von Kontinuität oder eines dauerhaften Selbst. Wearing sitzt in einer Zeitschleife fest, wie in dem Film «Und täglich grüßt das Murmeltier» von 1993, der die Geschichte eines Mannes erzählt, der ein und denselben Tag immer wieder erlebt.
In einem Buch über das Glück könnte man sich freilich an dieser Stelle fragen: «Wozu all die Ausführungen und philosophischen Überlegungen zum Selbst? Ist das wirklich notwendig? Ist das nicht alles ein bisschen zu abstrakt? Ich möchte doch einfach nur glücklicher sein.» Wenn wir uns jedoch zum Besseren verändern wollen, dann müssen wir die wahre Natur des Selbst verstehen. Wir müssen verstehen, wie es aufgebaut ist und wie es sich verändern kann, denn ohne ein besseres Verständnis unserer selbst können wir nicht im engeren Sinne glücklicher werden. Wir sind so sehr auf unsere Erfahrung des Selbst fixiert, dass wir glauben, es sei abgekoppelt von Erfahrungen und unabhängig von anderen. Wir halten unser Selbst für einen losgelösten Beobachter der Welt anstatt für deren Konstrukt. Wir glauben nicht einmal, dass wir uns mit zunehmendem Alter verändern, auch wenn die meisten Menschen zumindest zugeben, dass sie sich seit ihrer Kindheit verändert haben. Die Annahme, dass wir den Endpunkt unserer eigenen Entwicklung erreicht haben, wird als «Illusion vom Ende der Geschichte» bezeichnet.[5]
Fakt ist, dass Sie sich ändern können – und wahrscheinlich auch werden –, zumal Ihr Selbst sich selbst durch Erfahrungen immer wieder überschreibt. Wenn Sie glücklich sein wollen, müssen Sie die Gelegenheit nutzen, sich selbst als das Produkt Ihrer Vernetzung mit anderen und nicht als isolierte Insel zu sehen.
Die meisten Psychologen sind sich einig, dass sich das Selbst im Laufe der Kindheit allmählich durch die Wechselwirkung von wachsendem Verstand und persönlichen Erinnerungen entwickelt. Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget stellte im zwanzigsten Jahrhundert die These auf, dass Neugeborene sich nicht als von ihrer Außenwelt getrennt erleben, sondern vielmehr die Welt als Erweiterung ihres Innenlebens.[6] Sie befinden sich in einem Zustand des extremen Solipsismus (von lat. «allein» und «Selbst»). In einem solchen Zustand gibt es keine Unterscheidung zwischen dem Selbst und der Welt. Das gilt auch für psychedelische Trips, auf die wir in der letzten Lektion eingehen werden.
Obwohl Neugeborene extrem egozentrisch sind, sind sie auf die Anwesenheit von wichtigen Bezugspersonen, insbesondere der Mutter, eingestellt. In den ersten Jahren sind Menschen in der Regel gesellig. Lieber als andere Muster sehen Babys menschliche Gesichter an,[7] insbesondere das Gesicht ihrer Mutter.[8] Die Großen wiederum sehen gerne Babys an und behandeln sie wie kleine Erwachsene. Vernarrte Eltern behandeln ihre Neugeborenen in der Regel als eigenständige kleine Personen mit eigener Persönlichkeit und der gesamten Bandbreite mentaler Zustände.[9] Dies prägt die Art und Weise, wie wir mit Babys sprechen und mit ihnen interagieren. Wir geben Kommentare ab wie «Oh, du bist aber lustig!» oder «Wirst du wohl brav sein?». Solche Interaktionen regen die Entstehung von Intersubjektivität an – dem Verständnis, dass das Selbst zwar getrennt von anderen ist, aber zu ihnen in Beziehung steht.
Es ist nur eine Frage von Wochen, bis der Säugling Verhaltensweisen an den Tag legt, die soziale Bindungen aufbauen und stärken. Denken Sie nur an das Lächeln der Neugeborenen. Viele Eltern berichten, dass ihr Neugeborenes sie anlächelt. Oftmals verziehen die Kinder einfach nur das Gesicht, weil sie Blähungen haben, aber innerhalb von sechs Wochen lächeln die meisten Babys bewusst zurück. Dieses soziale Lächeln ist ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung des Selbst – ein Beispiel der Intersubjektivität, das den Beginn der sozialen Kommunikation signalisiert. Wenn Sie ein zwei Monate altes Baby direkt ansehen, wird es Ihren Blick in aller Regel erwidern und lächeln. Wenn Sie zurücklächeln, lächelt das Kind noch mehr, und am Ende lachen Sie beide! Wenn Sie wegschauen, hört das Kind auf zu lächeln.[10]
Studien mit bildgebenden Verfahren zur Untersuchung des Gehirns haben ergeben, dass bei jungen Müttern das Belohnungszentrum im Gehirn aufleuchtet, wenn ihnen Bilder gezeigt werden, auf denen ihr Baby lächelt, nicht jedoch, wenn es die Stirn runzelt.[11] Wenn uns jemand anlächelt und wir zurücklächeln, signalisiert das nicht nur, dass wir unserem Gegenüber Aufmerksamkeit schenken, sondern auch, dass wir mit ihm eine gute soziale Beziehung eingehen. Stellen Sie sich einmal vor, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie jemanden anlächeln und diese Person entweder nicht reagiert, sich abwendet oder die Stirn runzelt. Ich vermute, Sie wären ein wenig geknickt. Das soziale Lächeln ist eine Strategie, die Babys unbewusst anwenden, um herauszufinden, wer sie mag. Anfangs lächeln sie jeden an, aber mit der Zeit werden sie immer wählerischer, und bis zum Ende des ersten Lebensjahres beginnen die meisten Kinder zu fremdeln.[12] Dies ist Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins für andere und einer Stärkung der Bindungen, die wir mit unserer Familie eingehen. Wie diese frühen emotionalen Bindungen entstehen, werden wir in der nächsten Lektion eingehend untersuchen, zumal diese Bindungen eine herausragende Rolle bei der Gestaltung späterer Beziehungen im Erwachsenenalter spielen. An dieser Stelle genügt es jedoch zu wissen, dass unser Glück davon abhängt, dass wir Bindungen zu Menschen aufbauen, denen wir vertrauen können; Babys verlassen sich auf diejenigen, die sich ihnen gegenüber verlässlich verhalten. Eine der besten Möglichkeiten, ein sicheres Verständnis für andere zu entwickeln, besteht darin, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Babys senden Signale aus, auf die Erwachsene reagieren können, und die Erwachsenen, die am besten reagieren, erhalten die Aufmerksamkeit der Babys.[13] Das ist eine gute Strategie – die Babys konzentrieren ihre Bemühungen also auf diejenigen, die am meisten in sie investieren. Zu Menschen, die sich als unbeständig oder unzuverlässig erweisen, können Babys nicht ohne Weiteres stabile Bindungen aufbauen.[14] Das gilt auch für Erwachsene, die wertvolle Beziehungen eingehen wollen.[15] Unberechenbare Menschen können reine Zeitverschwendung sein. Wenn jemand zu einer Verabredung zu spät kommt oder gar nicht erst auftaucht, können Sie das Essen oder die Filmvorführung, die Sie besuchen wollten, verpassen. Unpünktlichkeit ist auch ein Zeichen dafür, wie wichtig Sie für die Person sind. Wenn sich jemand nicht die Mühe macht, pünktlich zu erscheinen, ist er möglicherweise schlecht organisiert. Es kann aber auch sein, dass ihm die Verabredung mit Ihnen nicht besonders wichtig ist. Inkonsequenz ist aber auch ein beträchtlicher Erziehungsfehler, denn Kinder können keine sichere Bindung aufbauen, wenn jemand unberechenbar ist. Dies führt zu Anspannung, zu Ängsten und instabilem Bindungsverhalten. Aber selbst dann ist noch nicht alles verloren, denn Eltern, die mittels Videofeedback lernen, die Signale ihres Kindes, das Bindung sucht, zu beachten, können lernen, einen besseren und konsistenteren Bindungsstil zu entwickeln.[16]
Das Verhalten von Säuglingen lässt erkennen, dass sie gesellige Wesen sind, die von Beginn an in vielerlei Hinsicht prosoziales Verhalten zeigen und die Interaktion mit anderen suchen. Ihre sozialen Verhaltensweisen sind eine ausgefeilte Strategie, um die Unterstützung und Fürsorge anderer zu maximieren und Bindungen zu denjenigen aufzubauen, die sich am ehesten um sie kümmern. Babys erkennen eindeutig die Aufmerksamkeit von Familienmitgliedern und genießen sie, aber sie leben zunächst noch im Mittelpunkt ihres egozentrischen Universums. Sie haben noch nicht gelernt, allozentrisch zu sein. Mit der Zeit werden sich ihre Beziehungen über die unmittelbaren Bezugspersonen hinaus auf andere Menschen ausweiten, und dann müssen sie ihr allozentrisches Selbstkonzept entwickeln, das mit anderen vernetzt ist.
Für die meisten Menschen ist es ein freudiges Erlebnis, Babys beim Spielen zuzusehen. Sie wirken so unschuldig und sind so niedlich, dass man sich ihrem Charme schwerlich entziehen kann. Kaum irgendjemand bleibt ihnen gegenüber ungerührt. Natürlich ist das menschliche Kleinkind bereits ein geschickter sozialer Akteur, der Erwachsene manipuliert, aber aufgrund seiner geringen Erfahrung hat es noch kein «Mich» («Me-Self») entwickelt. Es lebt im freudigen Moment der selbstbezogenen Aufmerksamkeit und vergisst beinahe alles um sich herum. Niemand kann sich an den Tag erinnern, an dem er mit einem plötzlichen Bewusstsein seiner selbst und seiner Stellung in der Welt aufgewacht ist. Umfragen unter Hunderten von Menschen haben ergeben, dass die meisten, wenn sie ehrlich sind, kaum Erinnerungen an die Zeit vor ihrem zweiten Geburtstag haben. Nicht, dass unsere Erinnerungen im Laufe der Jahrzehnte verblasst wären – Siebzigjährige können sich an deutlich mehr Ereignisse von vor fünfzig Jahren erinnern als Zwanzigjährige an Ereignisse aus der Zeit, als sie gerade einmal achtzehn Jahre zuvor ein Baby waren.[17] Aus ihren ersten beiden Lebensjahren können die meisten Menschen nur von sporadischen Eindrücken oder Ereignissen berichten, wie etwa von einem Vogel, der durchs Fenster hereinflog, als sie im Gitterbett lagen (die früheste Erinnerung meiner Frau). Ich habe keine solchen Erinnerungen. Im zweiten oder dritten Lebensjahr nehmen unsere Kindheitserinnerungen jedoch eine Qualität an, die sie autobiografischer macht als die unzusammenhängenden Episoden der frühesten Kindheit. Zu diesem Zeitpunkt beginnt sich das «Mich» herauszubilden.