Goethes Liebschaften und Liebesbriefe. - August Diezmann - E-Book

Goethes Liebschaften und Liebesbriefe. E-Book

August Diezmann

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Beschreibung

= Digitale Neufassung für eBook-Reader = Diezmann (1868): "Alles geben die Götter Ihren Lieblingen, Alle Freuden, die unendlichen, Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz, sagt Goethe, der selbst ein Liebling der Götter war, die ihm namentlich die Freuden und Wonnen, wie die Schmerzen und Leiden der Liebe in überreichem Maße boten, denn er liebte zu oft wiederholten Malen, von den ersten Jahren der Jugend bis zu den spätesten des Alters. Auch liebte er stets mit Leidenschaft, wenn auch nicht mit kühner und tapferer, denn er bewahrte sich immer kühle Besinnung und sobald er erkannte, dass die Leidenschaft, der er verfallen war, übermächtig werde, zog er sich zurück und floh. So floh er aus Sesenheim von der reizenden Friederike, aus Wetzlar von Charlotte Buff und aus Frankfurt von der schönen Lili. Vergessen hat er aber keine von denen, die er jemals geliebt, und unsterblich sind sie alle durch ihn geworden. Wem in der Welt wäre Gretchen (im Faust), wem das reizende Idyll in Sesenheim, wem Werthers Lotte, wem wären die zauberischen Liebeslieder an Lili unbekannt? Wenn wir uns nun auch der wunderlichen Meinung nicht anschließen wollen, Goethe sei der größte Dichter der modernen Welt geworden, weil er so viel und so heiß geliebt, so ist es doch Tatsache, dass alle Kräfte des Körpers und des Geistes durch die Liebe gesteigert werden, die der Mensch empfindet, gewiss also auch die Fähigkeit, den mannigfaltigen wechselnden Empfindungen, welche in der Brust eines Liebenden sich regen, in den verschiedensten Formen Ausdruck zu geben. Versuchen wir also den verschiedenen Neigungen unseres großen Dichters nachzugehen und gewissermaßen eine Geschichte seines Herzens zu geben, die ebenso unterhaltend für den gewöhnlichen Leser, als belehrend für denjenigen sein muss, welcher sein Wesen und Sein gründlich kennenlernen will. Wo nur immer möglich, folgen wir des Dichters eigenen Worten."

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Inhalt

Goethes Liebschaften und Liebesbriefe

Technische Anmerkungen

Vorwort.

Das Kind vom Theater (1759) – Gretchen in Frankfurt (1764).

Käthchen (Ännchen) Schönkopf in Leipzig.

Friederike von Sesenheim.

Charlotte Buff in Wetzlar (Werther's Lotte).

Lili in Frankfurt.

Gräfin Auguste von Stollberg.

Charlotte von Stein.

Die Römerin und die Mailänderin.

Christiane Vulpius (später Frau Geh.-Rätin von Goethe).

Maximiliane und Bettina Brentano.

Minna Herzlieb.

Corona Schröter.

Digitale Neufassungen

Impressum

Goethes Liebschaften und Liebesbriefe

Dr. August Diezmann

Leipzig,

Verlag von Otto Wigand,

1868.

Digitale Neufassung des altdeutschen Originals

von Gerik Chirlek

Reihe:  Auf historischen Spuren / Band 6

Technische Anmerkungen

Die vorliegende digitale Neufassung des altdeutschen Originals erfolgte im Hinblick auf eine möglichst komfortable Verwendbarkeit auf eBook Readern. Dabei wurde versucht, den Schreibstil des Verfassers möglichst unverändert zu übernehmen, um den Sprachgebrauch der damaligen Zeit zu erhalten. 

Vorwort.

Alles geben die Götter Ihren Lieblingen,

Alle Freuden, die unendlichen,

Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz,

sagt Goethe, der selbst ein Liebling der Götter war, die ihm namentlich die Freuden und Wonnen, wie die Schmerzen und Leiden der Liebe in überreichem Maße boten, denn er liebte zu oft wiederholten Malen, von den ersten Jahren der Jugend bis zu den spätesten des Alters. Auch liebte er stets mit Leidenschaft, wenn auch nicht mit kühner und tapferer, denn er bewahrte sich immer kühle Besinnung und sobald er erkannte, dass die Leidenschaft, der er verfallen war, übermächtig werde, zog er sich zurück und floh. So floh er aus Sesenheim von der reizenden Friederike, aus Wetzlar von Charlotte Buff und aus Frankfurt von der schönen Lili. Vergessen hat er aber keine von denen, die er jemals geliebt, und unsterblich sind sie alle durch ihn geworden. Wem in der Welt wäre Gretchen (im Faust), wem das reizende Idyll in Sesenheim, wem Werthers Lotte, wem wären die zauberischen Liebeslieder an Lili unbekannt? Wenn wir uns nun auch der wunderlichen Meinung nicht anschließen wollen, Goethe sei der größte Dichter der modernen Welt geworden, weil er so viel und so heiß geliebt, so ist es doch Tatsache, dass alle Kräfte des Körpers und des Geistes durch die Liebe gesteigert werden, die der Mensch empfindet, gewiss also auch die Fähigkeit, den mannigfaltigen wechselnden Empfindungen, welche in der Brust eines Liebenden sich regen, in den verschiedensten Formen Ausdruck zu geben. Versuchen wir also den verschiedenen Neigungen unseres großen Dichters nachzugehen und gewissermaßen eine Geschichte seines Herzens zu geben, die ebenso unterhaltend für den gewöhnlichen Leser, als belehrend für denjenigen sein muss, welcher sein Wesen und Sein gründlich kennenlernen will. Wo nur immer möglich, folgen wir des Dichters eigenen Worten.

Das Kind vom Theater (1759) – Gretchen in Frankfurt (1764).

Als Kind schon hatte Goethe an theatralischen Vorstellungen große Freude, die sich noch steigerte, als eine Gesellschaft französischer Schauspieler in Frankfurt sich einfand. „Von meinem Großvater – dem Herrn Stadtschultheißen Textor“ – schreibt er, „hatte ich ein Freibillett erhalten, dessen ich mich, mit Widerwillen meines Vaters, unter dem Beistande meiner Mutter, täglich bediente. Es dauerte aber nicht lange, so regte sich auch der Wunsch in mir, mich auf dem Theater selbst umzusehen, wozu sich mir so mancherlei Gelegenheit darbot. Denn da ich nicht immer die ganzen Stücke anzuhören Geduld hatte, und manche Zeit in den Korridoren, auch wohl bei gelinderer Jahreszeit vor der Tür, mit anderen Kindern meines Alters allerlei Spiele trieb, so gesellte sich ein schöner, munterer Knabe zu uns, der zum Theater gehörte, den ich in manchen Rollen, obwohl nur beiläufig, gesehen hatte. Mit mir konnte er sich am besten verständigen, indem ich mein Französisch bei ihm geltend zu machen wusste; und er knüpfte sich umso mehr an mich, als kein Knabe seines Alters und seiner Nation beim Theater oder sonst in der Nähe war. Wir gingen außer der Theaterzeit zusammen, und selbst während der Vorstellungen ließ er mich selten in Ruhe. Er war ein allerliebster kleiner Aufschneider, schwatzte charmant und unaufhörlich, und wusste so viel von seinen Abenteuern, Händeln und anderen Sonderbarkeiten zu erzählen, dass er mich außerordentlich unterhielt, und ich von ihm, was Sprache und Mitteilung durch dieselbe betrifft, in vier Wochen mehr lernte, als man sich hätte vorstellen können; so dass niemand wusste, wie ich auf einmal, gleichsam durch Inspiration, zu der fremden Sprache gelangt war.

Gleich in den ersten Tagen unserer Bekanntschaft zog er mich mit sich aufs Theater, und führte mich besonders in die Foyers, wo die Schauspieler und Schauspielerinnen in der Zwischenzeit sich aufhielten und sich an- und auskleideten. Das Lokal war weder günstig noch bequem, indem man das Theater in einen Konzertsaal hineingezwängt hatte, so dass für die Schauspieler hinter der Bühne keine besonderen Abteilungen stattfanden. In einem ziemlich großen Nebenzimmer, das ehedem zu Spielpartien gedient hatte, waren nun beide Geschlechter meist beisammen, und schienen sich so wenig untereinander selbst, als vor uns Kindern zu scheuen, wenn es beim Anlegen oder Verändern der Kleidungsstücke nicht immer zum anständigen herging. Mir waren dergleichen niemals vorgekommen, und doch fand ich es bald durch Gewohnheit, bei wiederholtem Besuch, ganz natürlich.

Es währte nicht lange, so entspann sich aber für mich ein eigenes und besonderes Interesse. Der junge Derones – so will ich den Knaben nennen, mit dem ich mein Verhältnis immer fortsetzte – mein Pylades, war außer seinen Aufschneidereien ein Knabe von guten Sitten und recht artigem Betragen. Er machte mich mit seiner Schwester bekannt, die ein paar Jahre älter als wir, und ein gar angenehmes Mädchen war, gut gewachsen, von einer regelmäßigen Bildung, brauner Farbe, schwarzen Haaren und Augen; ihr ganzes Betragen hatte etwas Stilles, ja Trauriges. Ich suchte ihr auf alle Weise gefällig zu sein; allein ich konnte ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich lenken. Junge Mädchen dünken sich gegen jüngere Knaben sehr weit vorgeschritten, und nehmen, nachdem sie, nach Jünglingen hinschauen, ein tantenhaftes Betragen gegen den Knaben an, der ihnen seine erste Neigung zuwendet. Mit einem jüngeren Bruder hatte ich kein Verhältnis.

Manchmal, wenn die Mutter auf den Proben oder in Gesellschaft war, fanden wir uns in ihrer Wohnung zusammen, um zu spielen oder uns zu unterhalten. Ich ging niemals hin, ohne der Schönen eine Blume, Frucht oder sonst etwas zu überreichen, welches sie zwar jederzeit mit sehr guter Art annahm, und auf das höflichste dankte, allein ich sah ihren traurigen Blick sich niemals erheitern und fand keine Spur, dass sie sonst auf mich geachtet hätte. Endlich glaubte ich ihr Geheimnis zu entdecken.  Der Knabe zeigte mir hinter dem Bette seiner Mutter, das mit eleganten seidenen Vorhängen aufgeputzt war, ein Pastellbild, das Porträt eines schönen Mannes, und bemerkte zugleich mit schlauer Miene, das sei eigentlich nicht der Papa, aber ebenso gut wie der Papa; und indem er diesen Mann rühmte, und nach seiner Art umständlich und prahlerisch manches erzählte, so glaubte ich herauszufinden, dass die Tochter, wohl dem Vater, die beiden anderen Kinder aber dem Hausfreund angehören mochten. Ich erklärte mir nun ihr trauriges Ansehen und hatte sie nun um desto lieber.

Die Neigung zu diesem Mädchen half mir die Schwindeleien des Bruders übertragen, der nicht in seinen Grenzen blieb. Ich habe oft die weitläufigen Erzählungen seiner Großtaten auszuhalten, wie er sich schon öfter geschlagen, ohne jedoch dem Anderen schaden zu wollen; es sei alles bloß der Ehre wegen geschehen. Stets habe er gewusst seinen Widersacher zu entwaffnen und ihm alsdann verziehen; ja, er verstehe sich aufs Legieren so gut, dass er einst selbst in große Verlegenheit geraten, als er den Degen seines Gegners auf einen hohen Baum geschleudert, so dass man ihn nicht leicht wieder habe habhaft werden können.

Für alle Vögel gibt es Lockpfeifen, und jeder Mensch wird auf seine eigene Art geleitet und verleitet. Natur, Erziehung, Umgebung, Gewohnheit hielten mich von allem Rohen abgesondert, und ob ich gleich mit den unteren Volksklassen, besonders den Handwerkern, öfters in Berührung kam, so entstand doch daraus kein näheres Verhältnis. Etwas Ungewöhnliches, vielleicht Gefährliches zu unternehmen, hatte ich zwar Verwegenheit genug, und fühlte mich wohl manchmal dazu aufgelegt; allein es mangelte mit die Handhabe, es anzugreifen und zu fassen.

Indessen wurde ich auf eine völlig unerwartete Weise in Verhältnisse verwickelt, die mich ganz nahe an große Gefahr, und wenigstens für eine Zeit lang in Verlegenheit und Not brachten. Mein früheres gutes Verhältnis zu jenem Knaben, den ich oben Pylades genannt, hatte ich bis ins Jünglingsalter fortgesetzt. Zwar sahen wir uns seltener, weil unsere Eltern nicht zum Besten miteinander standen; wo wir uns aber trafen, sprang immer sogleich der alte freundschaftliche Jubel hervor. Einst begegneten wir uns in den Alleen, die zwischen dem inneren und äußeren Sankt Gallentor einen sehr angenehmen Spaziergang darboten. Wir hatten uns kaum gegrüßt, als er zu mir sagte: Es geht mir mit deinen Versen noch immer wie sonst. Diejenigen, die du mir neulich mitteiltest, habe ich einigen lustigen Gesellen vorgelesen, und keiner will glauben, dass du sie gemacht habest.

Lass es gut sein! versetzte ich: wir wollen sie machen, uns daran ergötzen, und die Anderen mögen davon denken und sagen, was sie wollen.

Da kommt eben der Ungläubige! sagte mein Freund.

Wir wollen nicht davon reden, war meine Antwort. Was hilft’s? man bekehrt sie doch nicht.

Mit Nichten, sagte der Freund: ich kann es ihm nicht so hingehen lassen.

Nach einer kurzen gleichgültigen Unterhaltung konnte es der für mich nur allzu wohlgesinnte junge Gesell nicht lassen, und sagte mit einiger Empfindlichkeit gegen jenen: hier ist nun der Freund, der die hübschen Verse gemacht hat, und die ihr ihm nicht zutrauen wollt.

Er wird es gewiss nicht übelnehmen, versetzte jener: denn es ist ja eine Ehre, die wir ihm erweisen, wenn wir glauben, dass weit mehr Gelehrsamkeit dazu gehöre, solche Verse zu machen, als er bei seiner Jugend besitzen kann.

Ich erwiderte etwas Gleichgültiges; mein Freund aber fuhr fort: Es wird nicht viel Mühe kosten, euch zu überzeugen. Gebt ihm irgendein Thema auf, und er macht euch ein Gedicht aus dem Stegreif.

Ich ließ es mir gefallen, wir wurden einig, und der Dritte fragte mich, ob ich mich wohl getraue, einen recht artigen Liebesbrief in Versen aufzusetzen, den ein verschämtes junges Mädchen an einen Jüngling schriebe, um ihre Neigung zu offenbaren.

Nichts ist leichter als das, versetzte ich, wenn wir nur ein Schreibzeug hätten.

Jener brachte seine Taschenkalender hervor, worin sich weiße Blätter in Menge befanden, und ich setzte mich auf eine Bank, um zu schreiben. Sie gingen indes auf und ab, und ließen mich nicht aus den Augen. Sogleich fasste ich die Situation in den Sinn, und dachte mir, wie artig es sein müsste, wenn irgendein hübsches Kind mir wirklich gewogen wäre und es mir in Prosa oder in Versen entdecken wollte. Ich begann daher ohne Anstand meine Erklärung, und führte sie in einem zwischen dem Knittelvers und Madrigal schwebenden Silbenmaße mit möglichster Naivität in kurzer Zeit dergestalt aus, dass, als ich dies Gedichtchen den beiden vorlas, der Zweifler in Verwunderung und mein Freund in Entzücken versetzt wurden. Jenem konnte ich auf sein Verlangen das Gedicht umso weniger verweigern, als es in seinem Kalender geschrieben war, und ich das Dokument meiner Fähigkeiten gern in seinen Händen sah. Er schied unter vielen Versicherungen von Verwunderung und Neigung, und wünschte nichts mehr, als uns öfter zu begegnen, und wir machten aus, bald zusammen aufs Land zu gehen.

Unsere Partie kam zu Stande, zu der sich noch mehrere junge Leute von jenem Schlage gesellten. Es waren Menschen aus dem mittleren, ja wenn man will, aus dem niederen Stande, denen es an Kopf nicht fehlte, und die auch, weil sie durch die Schule gelaufen, manche Kenntnis und eine gewisse Bildung hatten. In einer großen, reichen Stadt gibt es vielerlei Erwerbszweige. Sie halfen sich durch, indem sie für Advokaten schrieben, Kinder der geringeren Klasse durch Hausunterricht etwas weiter brachten, als es in Trivialschulen zu geschehen pflegt. Mit erwachseneren Kindern, welche konfirmiert werden sollten, repetierten sie den Religionsunterricht, liefen dann wieder den Mäklern und Kaufleuten einige Wege, und taten sich abends, besonders aber an Sonn- und Feiertagen, auf eine frugale Weise etwas zu Gute.

Indem sie nun unterwegs meine Liebesepistel auf das beste herausgestrichen, gestanden sie mir, dass sie einen sehr lustigen Gebrauch davongemacht hätten; sie sei nämlich mit verstellter Hand abgeschrieben, und mit einigen näheren Beziehungen einem eingebildeten jungen Manne zugeschoben worden, der nun in der festen Überzeugung stehe, ein Frauenzimmer, dem er von fern den Hof gemacht, sei in ihm aufs äußerste verliebt, und suche Gelegenheit, ihm näher bekannt zu werden. Sie vertrauten mir dabei, er wünsche nichts mehr, als ihr auch in Versen antworten zu können; aber weder bei ihm, noch bei ihnen finde ich Geschick dazu, weshalb sie mich inständig baten, die gewünschte Antwort selbst zu verfassen.

Mystifikationen sind und bleiben eine Unterhaltung für müßige, mehr oder weniger geistreiche Menschen. Eine lässliche Bosheit, eine selbstgefällige Schadenfreude sind ein Genuss für diejenigen, die sich weder mit sich selbst beschäftigen, noch nach außen heilsam wirken können. Kein Alter ist ganz frei von einem solchen Kitzel. Wir hatten uns in unseren Knabenjahren einander oft angeführt; viele Spielen beruhen auf solchen Mystifikationen und Attrappen; der gegenwärtige Scherz schien mir nicht weiter zu gehen; ich willigte ein, sie teilten mir manches Besondere mit, was der Brief enthalten solle, und wir brachten ihn schon fertig mit nach Hause.

Kurze Zeit darauf wurde ich durch meinen Freund dringend eingeladen, an einem Abendfeste jener Gesellschaft teilzunehmen. Der Liebhaber wolle es diesmal ausstatten und verlange dabei ausdrücklich, dem Freunde zu danken, der sich so vortrefflich als poetischer Sekretär erwiesen.

Wir kamen spät genug zusammen, die Mahlzeit war die frugalste, der Wein trinkbar; und was die Unterhaltung betraf, so drehte sie sich fast gänzlich um die Verhöhnung des gegenwärtigen, freilich nicht sehr aufgeweckten Menschen, der nach wiederholter Lesung des Briefes nicht weit davon war zu glauben, er habe ihn selbst geschrieben.

Meine natürliche Gutmütigkeit ließ mich an einer solchen boshaften Vorstellung wenig Freude finden, und die Wiederholung desselben Themas ekelte mich bald an.

Gewiss, ich brachte einen verdrießlichen Abend hin, wenn nicht eine unerwartete Erscheinung mich wiederbelebt hätte. Bei unserer Ankunft stand bereits der Tisch reinlich und ordentlich gedeckt, hinreichender Wein aufgestellt, wir setzten uns und blieben allein, ohne Bedienung nötig zu haben. Als es aber doch zuletzt an Wein gebrach, rief einer nach der Magd; allein statt derselben trat ein Mädchen ein, von ungemeiner, und wenn man sie in ihrer Umgebung sah, von unglaublicher Schönheit.

Was verlangt ihr? fragte sie, nachdem sie auf eine freundliche Weise guten Abend geboten: die Magd ist krank und zu Bette. Kann ich euch dienen?

Es fehlt an Wein, sagte der eine. Wenn du uns ein paar Flaschen holtest, so wäre es sehr hübsch.

Tu es, Gretchen, sagte der andere, es ist ja nur ein Katzensprung.

Warum nicht? versetzte sie, nahm ein paar leere Flaschen vom Tisch und eilte fort. Ihre Gestalt war von der Rückseite fast noch zierlicher, ihr Häubchen saß so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein schlanker Hals gar anmutig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr schien auserlesen, und man konnte der ganzen Gestalt umso ruhiger folgen, als die Aufmerksamkeit nicht mehr durch die stillen, treuen Augen und den lieblichen Mund allein angezogen und gefesselt wurde.

Ich machte den Gesellen Vorwürfe, dass sie das Kind in der Nacht allein ausschickten, sie lachten mich aus und ich war bald getröstet, als sie schon wiederkam, denn der Schenkenwirt wohnte nur über die Straße.

Setze dich dafür auch zu uns, sagte der eine.

Sie tat es, aber leider kam sie nicht neben mich. Sie trank ein Glas auf unsere Gesundheit und entfernte sich bald, indem sie uns riet, nicht lange beisammen zu bleiben und überhaupt nicht so laut zu werden, denn die Mutter, wolle sich eben zu Bett legen. Es war nicht ihre Mutter, sondern die unserer Wirte.

Die Gestalt dieses Mädchens verfolgte mich von dem Augenblicke an auf allen Wegen und Stegen; es war der erste bleibende Eindruck, den ein weibliches Wesen auf mich gemacht hatte, und da ich einen Vorwand, sie im Hause zu sehen, weder finden konnte noch suchen mochte, ging ich ihr zu Liebe in die Kirche und hatte bald ausgespürt, wo sie saß; und so konnte ich während des langen protestantischen Gottesdienstes mich wohl satt an ihr sehen. Beim Herausgehen getraute ich mich nicht, sie anzureden, noch weniger sie zu begleiten, und war schon selig, wenn sie mich bemerkt und gegen einen Gruß genickt zu haben schien. Doch ich sollte das Glück, mich ihr zu nähern, nicht lange entbehren. Man hatte jenen Liebenden, dessen poetischer Sekretär ich geworden war, glauben gemacht, der in seinem Namen geschriebene Brief sei wirklich an das Frauenzimmer abgegeben worden, und zugleich seine Erwartung aufs äußerste gespannt, dass nun bald eine Antwort darauf erfolgen müsse. Auch diese sollte ich schreiben, und die schalkische Gesellschaft ließ mich durch Pylades aufs inständigste ersuchen, allen meinen Witz aufzubieten und alle meine Kunst zu verwenden, dass dieses Stück recht zierlich und vollkommen werden.

In Hoffnung, meine Schöne wiederzusehen, machte ich mich sogleich ans Werk und dachte mir nun alles, was mir höchst wohlgefällig sein würde, wenn Gretchen es mir schriebe. Ich glaubte alles so aus ihrer Gestalt, ihrem Wesen, ihrer Art, ihrem Sinne herausgeschrieben zu haben, dass ich mich des Wunsches nicht enthalten konnte, es möchte wirklich so sein, und mich in Entzücken verlor, nur zu denken, dass etwas ähnliches von ihr an mich könnte gerichtet werden. So mythisierte ich mich selbst, indem ich meinte, einen Andern zum Besten zu haben, und es sollte mir daraus noch manche Freude und manches Ungemach entspringen. Als ich abermals gemahnt wurde, war ich fertig, versprach zu kommen, und fehlte nicht zur bestimmten Stunde. Es war nur einer von den jungen Leuten zu Hause; Gretchen saß am Fenster und spann; die Mutter ging ab und zu. Der junge Mensch verlangte, dass ich es ihm vorlesen sollte; ich tat es, und las nicht ohne Rührung, indem ich über das Blatt weg nach dem schönen Kinde hinschielte, und da ich eine gewisse Unruhe ihres Wesens, eine leichte Röte ihrer Wangen zu bemerken glaubte, drückte ich nur besser und lebhafter aus, was ich von ihr zu vernehmen wünschte. Der Vetter, der mich oft durch Lobeserhebungen unterbrochen hatte, ersuchte mich zuletzt um einige Abänderungen; sie betrafen einige Stellen, die freilich mehr auf Gretchens Zustand, als auf den jenes Frauenzimmers passten, das von gutem Hause, wohlhabend, in der Stadt bekannt und angesehen war. Nachdem der junge Mann mir die gewünschten Änderungen artikuliert und ein Schreibzeug herbeigeholt hatte, sich aber wegen eines Geschäfts auf kurze Zeit beurlaubte, blieb ich auf der Wandbank hinter dem großen Tische sitzen, und probierte die zu machenden Veränderungen nur der großen, fast den ganzen Tisch einnehmenden Schieferplatte mit einem Griffel, der stets im Fenster lag, weil man auf dieser Steinfläche oft rechnete, sich mancherlei notierte, ja die Gehenden und Kommenden sich sogar Notizen dadurch mitteilten.

Ich hatte eine Zeit lang verschiedenes geschrieben und wieder ausgelöscht, als ich ungeduldig ausrief: Es will nicht gehen!

Desto besser!, sagte das liebe Mädchen mit einem gesetzten Tone; ich wünschte, es ginge gar nicht. Sie sollten sich mit solchen Händeln nicht befassen.

Sie stand vom Spinnrocken auf, und zu mir an den Tisch tretend, hielt sie mir mit viel Verstand und Freundlichkeit eine Strafpredigt.

Die Sache scheint ein unschuldiger Scherz; es ist ein Scherz, aber nicht unschuldig. Ich habe schon mehrere Fälle erlebt, wo unsre jungen Leute wegen eines solchen Frevels in große Verlegenheit kamen.

Was soll ich aber tun? versetzte ich, der Brief ist geschrieben, und sie verlassen sich darauf, dass ich ihn umändern werde.

Glauben Sie mir, versetzte sie, und ändern ihn nicht um; ja, nehmen Sie ihn zurück, stecken Sie ihn ein, gehen Sie fort, und suchen die Sache durch Ihren Freund ins Gleiche zu bringen! Ich will auch ein Wörtchen mit darein reden: denn sehen Sie, so ein armes Mädchen, als ich bin, und abhängig von diesen Verwandten, die zwar nichts Böses tun, aber doch oft um der Lust und des Gewinnes willen manches Wagehalsige vornehmen; ich habe widerstanden, und den ersten Brief nicht abgeschrieben, wie man von mir verlangte: sie haben mit verstellter Hand ihn kopiert, und so mögen sie auch, wenn es nicht anders ist, mit diesem tun. Und Sie, ein junger Mann aus gutem Hause, wohlhabend, unabhängig, warum wollen Sie sich zum Werkzeug in einer Sache gebrauchen lassen, aus der gewiss nichts Gutes und vielleicht manches Unangenehme für Sie entspringen kann?

Ich war glücklich, sie in einer Folge reden zu hören; denn sonst gab sie nur wenige Worte in das Gespräch. Meine Neigung wuchs unglaublich, ich war nicht Herr von mir selbst und erwiderte: Ich bin so unabhängig nicht, als Sie glauben, und was hilft mir wohlhabend zu sein, da mir das Köstlichste fehlt, was ich wünschen dürfte!

Sie hatte mein Konzept der poetischen Epistel vor sich hingezogen, und las es halb laut gar hold und anmutig.

Das ist recht hübsch, sagte sie, indem sie bei einer Art naiver Pointe inne hielt: nur schade, dass es nicht zu einem wahren Gebrauch bestimmt ist.

Das wäre freilich sehr wünschenswert, rief ich aus; wie glücklich müsste der sein, der von einem Mädchen, das er unendlich liebt, eine solche Versicherung ihrer Neigung erhielte!

Es gehört freilich viel dazu, versetzte sie, und doch wird manches möglich.

Zum Beispiel, fuhr ich fort, wenn jemand, der Sie kennt, schätzt, verehrt und anbetet, Ihnen ein solches Blatt vorlegte, und Sie recht dringend, recht herzlich und freundlich bäte, was würden Sie tun?

Ich schob ihr das Blatt näher hin, das sie schon wieder mir zugeschoben hatte. Sie lächelte, besann sich einen Augenblick, nahm die Feder und unterschrieb. Ich kannte mich nicht vor Entzücken, sprang auf und wollte sie umarmen.

Nicht küssen!, sagte sie, das ist so etwas Gemeines: aber lieben, wenn’s möglich ist.

Ich hatte das Blatt zu mir genommen und eingesteckt.

Niemand soll es erhalten, sagte ich, und die Sache ist abgetan! Sie haben mich gerettet.

Nun vollenden Sie die Rettung, rief sie aus, und eilen fort, ehe die andern kommen und Sie in Pein und Verlegenheit geraten!

Ich konnte mich nicht von ihr losreißen; sie aber bat mich so freundlich, indem sie mit beiden Händen meine Rechte nahm und liebevoll drückte. Die Tränen waren mir nicht weit; ich glaubte ihre Augen feucht zu sehen; ich drückte mein Gesicht auf ihre Hände und eilte fort. In meinem Leben hatte ich mich nicht in einer solchen Verwirrung befunden. 

Die ersten Liebesneigungen einer unverdorbenen Jugend nehmen durchaus eine geistige Wendung. Die Natur scheint zu wollen, dass ein Geschlecht in dem andern das Gute und das Schöne sinnlich gewahr werde. Und so war auch mir durch den Anblick dieses Mädchens, durch meine Neigung zu ihr eine neue Welt des Schönen und Vortrefflichen aufgegangen. Ich las meine poetische Epistel hundertmal durch, beschaute die Unterschrift, küsste sie, drückte sie an mein Herz und freute mich dieses liebenswürdigen Bekenntnisses. Je mehr sich aber mein Entzücken steigerte, desto weher tat es mir, sie nicht unmittelbar besuchen; sie nicht wiedersehen und sprechen zu können; denn ich fürchtete die Vorwürfe der Vettern und ihre Zudringlichkeit. Den guten Pylades, der die Sache vermitteln konnte, wusste ich nicht anzutreffen.

Ich machte mich daher den nächsten Sonntag auf nach Niederrad, wohin jene Gesellen gewöhnlich zu gehen pflegten, und fand sie auch wirklich. Sehr verwundert war ich jedoch, da sie mir, anstatt verdrießlich und fremd zu tun, mit frohem Gesichte entgegenkamen.

Der Jüngste besonders war sehr freundlich, nahm mich bei der Hand und sagte: Ihr habt uns neulich einen schelmischen Streich gespielt, und wir waren auf euch recht böse; doch hat uns euer Entweichen und das Entwenden der poetischen Epistel auf einen guten Gedanken gebracht, der uns vielleicht sonst niemals aufgegangen wäre. Zur Versöhnung mögt ihr uns heute bewirten, und dabei sollt ihr erfahren, was es denn ist, worauf wir uns etwas einbilden, und was euch gewiss auch Freude machen wird.

Diese Anrede setzte mich in nicht geringe Verlegenheit; denn ich hatte ungefähr so viel Geld bei mir, um mir selbst und einem Freunde etwas zu Gute zu tun; aber eine Gesellschaft, und besonders eine solche, die nicht immer zur rechten Zeit ihre Grenzen fand, zu gastieren, war ich keineswegs eingerichtet; ja, dieser Antrag verwunderte mich umso mehr, als sie sonst durchaus sehr ehrenvoll darauf hielten, dass jeder nur seine Zeche bezahlte.

Sie lächelten über meine Verlegenheit, und der Jüngere fuhr fort: Lasst uns erst in die Laube setzen, und dann sollt ihr das Weitere erfahren.

Wir saßen, und er sagte: Als ihr die Liebesepistel neulich mitgenommen hattet, sprachen wir die ganze Sache nochmals durch und machten die Betrachtung, dass wir so ganz umsonst, anderen zum Verdruss und uns zur Gefahr, aus bloßer leidiger Schadenfreude, euer Talent missbrauchen, da wir es doch zu unser aller Vorteil benutzen könnten. Seht, ich habe hier eine Bestellung auf ein Hochzeitgedicht, sowie auf ein Leichencarmen. Das Zweite muss gleich fertig sein, das Erste hat noch acht Tage Zeit. Mögt ihr sie machen, welches euch ein Leichtes ist, so traktiert ihr uns zweimal, und wir bleiben auf lange Zeit eure Schuldner.

Dieser Vorschlag gefiel mir von allen Seiten; denn ich hatte schon von Jugend auf die Gelegenheitsgedichte, deren damals in jeder Woche mehrere zirkulierten, ja besonders bei ansehnlichen Verheiratungen dutzendweise zum Vorschein kamen, mit einem großen Neid betrachtet, weil ich solche Dinge ebenso gut, ja noch besser zu machen glaubte. Nun ward mir die Gelegenheit angeboten, mich zu zeigen, und besonders mich gedruckt zu sehen. Ich erwies mich nicht abgeneigt. Man machte mich mit den Personalien, mit den Verhältnissen der Familie bekannt; ich ging etwas abseits, machte meinen Entwurf und führte einige Strophen aus. Da ich mich jedoch wieder zur Gesellschaft begab, und der Wein nicht geschont wurde, so fing das Gedicht an zu stocken, und ich konnte es diesen Abend nicht abliefern. 

Es hat noch bis morgen Abend Zeit, sagten sie, und wir wollen euch nur gestehen, das Honorar, welches wir für das Leichencarmen erhalten, reicht hin, uns morgen noch einen lustigen Abend zu verschaffen. Kommt zu uns!, denn es ist billig, dass Gretchen auch mit genieße, die uns eigentlich auf diesen Einfall gebracht hat.

Meine Freude war unsäglich. Auf dem Heimwege hatte ich nur die noch fehlenden Strophen im Sinne, schrieb das Ganze noch vor Schlafengehen nieder, und den andern Morgen sehr sauber ins Reine. Der Tag ward mir unendlich lang, und kaum war es dunkel geworden, so stand ich wieder in der kleinen, engen Wohnung neben dem allerliebsten Mädchen.

Die jungen Leute, mit denen ich auf diese Weise immer in nähere Verbindung kam, waren nicht eigentlich gemeine, aber doch gewöhnliche Menschen. Ihre Tätigkeit war lobenswürdig, und ich hörte ihnen mit Vergnügen zu, wenn sie von den vielfachen Mitteln und Wegen sprachen, wie man sich etwas erwerben könne; auch erzählten sie am liebsten von gegenwärtig sehr reichen Leuten, die mit nichts anfangen. Andere hätten als arme Handlungsdiener sich ihren Patronen notwendig gemacht, und wären endlich zu ihren Schwiegersöhnen erhoben worden; noch andere hätten einen kleinen Kram mit Schwefelfaden und dergleichen so erweitert und veredelt, dass sie nun als reiche Kauf-und Handelsmänner erschienen. Besonders sollte jungen Leuten, die gut auf den Beinen wären, das Beiläufer- und Mäklerhandwerk und die Übernahme von allerhand Auftragen und Besorgungen für unbehilfliche Wohlhabende durchaus ernährend und einträglich sein. Wir alle hörten das gern, und jeder dünkte sich etwas, wenn er sich in dem Augenblicke vorstellte, dass in ihm selbst so viel vorhanden sei, nicht nur, um in der Welt fortzukommen, sondern sogar ein außerordentliches Glück zu machen. Niemand jedoch suchte dies Gespräch ernstlicher zu führen als Pylades, der zuletzt gestand, dass er ein Mädchen außerordentlich liebe, und sich wirklich mit ihr versprochen habe. Die Vermögensumstände seiner Eltern litten es nicht, dass er auf Akademien gehe; er aber habe sich einer sehr schönen Handschrift, des Rechnens und der neueren Sprachen befleißigt, und wolle nun, in Hoffnung auf jenes häusliche Glück, sein möglichstes versuchen. Die Vettern lobten ihn deshalb, ob sie gleich das frühzeitige Versprechen an ein Mädchen nicht billigen wollten, und setzten hinzu, sie müssten ihn zwar für einen braven und guten Jungen anerkennen, hielten ihn aber weder für tätig, noch für unternehmend genug, etwas Außerordentliches zu leisten. Indem er nun zu seiner Rechtfertigung umständlich auseinander setzte, was er sich zu leisten getraue, und wie er es anzufangen gedenke, so wurden die übrigen auch angereizt, und jeder fing an, nun zu erzählen, was er schon vermöge, tue, treibe, welchen Weg er zurückgelegt und was er zunächst vor sich sehe. Die Reihe kam zuletzt an mich. Ich sollte nun auch meine Lebensweise und Aussichten darstellen, und indem ich mich besann, sagte Pylades: Das einzige halte ich mir aus, damit wir nicht gar zu kurz kommen, dass er die äußeren Vorteile seiner Lage nicht mit in Anrechnung bringe. Er mag uns lieber ein Märchen erzählen, wie er es anfangen würde, wenn er in diesem Augenblicke, so wie wir, ganz auf sich selbst gestellt wäre.

Gretchen, die bis diesen Augenblick fortgesponnen hatte, stand auf, und setzte sich, wie gewöhnlich, ans Ende des Tisches. Wir hatten schon einige Flaschen geleert, und ich fing mit dem besten Humor meine hypothetische Lebensgeschichte zu erzählen an. Zuvörderst also empfehle ich mich euch, dass ihr mir die Kundschaft erhaltet, welche mir zuzuweisen ihr den Anfang gemacht habt. Wenn ihr mir nach und nach den Verdienst der sämtlichen Gelegenheitsgedichte zuwendet, und wir ihn nicht bloß verschmausen, so will ich schon zu etwas kommen. Alsdann müsst ihr mir nicht übel nehmen, wenn ich in eurer Handwerk pfusche. Worauf ich ihnen dann vorerzählte, was ich mir aus ihren Beschäftigungen gemerkt hatte, und zu welchen ich mich ebenfalls fähig hielt. Ein jeder hatte vorher seinen Verdienst zu Gelde angeschlagen, und ich ersuchte sie, mir auch zu Fertigung meines Etats behilflich zu sein.

Gretchen hatte alles bisherige sehr aufmerksam mit angehört, und zwar in der Stellung, die sie sehr gut kleidete, sie mochte nun zuhören oder sprechen; sie fasste mit beiden Händen ihre über einander geschlagenen Arme und legte sie auf den Rand des Tisches; so konnte sie lange sitzen, ohne etwas anderes als den Kopf zu bewegen, welches niemals ohne Anlass oder Bedeutung geschah. Sie hatte manchmal ein Wörtchen mit eingesprochen und über dieses oder jenes, wenn wir in unseren Einrichtungen stockten, nachgeholfen; dann war sie aber wieder ruhig und still wie gewöhnlich. Ich ließ sie nicht aus den Augen, und dass ich meinen Plan nicht ohne Bezug auf sie gedacht und ausgesprochen, kann man sich leicht denken; und die Neigung zu ihr gab dem, was ich sagte, einen Anschein von Wahrheit und Möglichkeit, dass ich mich selbst einen Augenblick täuschte, mich so abgesondert und hilflos dachte, wie mein Märchen mich voraussetzte, und mich dabei in der Aussicht, sie zu besitzen, höchst glücklich fühlte. Pylades hatte seine Konfession mit der Heirat geendigt, und bei uns anderen war nun auch die Frage, ob wir es in unseren Planen auch so weit gebracht hätten.

Ich zweifle ganz und gar nicht daran, sagte ich, – denn eigentlich ist einem jeden von uns eine Frau nötig, um das im Hause zu bewahren und uns im Ganzen genießen zu lassen, was wir von außen auf eine so wunderliche Weise zusammenstoppeln.

Ich machte die Schilderung von einer Gattin, wie ich sie wünschte, und es müsste seltsam zugegangen sein, wenn sie nicht Gretchens vollkommenes Ebenbild gewesen wäre.

Das Leichencarmen war verzehrt, das Hochzeitsgedicht stand nun auch wohltätig in der Nähe; ich überwand alle Furcht und Sorge, und wusste, weil ich viel Bekannte hatte, meine eigentlichen Abendunterhaltungen vor den Meinigen zu verbergen. Das liebe Mädchen zu sehen und neben ihm zu sein, war nun bald eine unerlässliche Bedingung meines Wesens. Jene hatte sich ebenso an mich gewöhnt, und wir waren fast täglich zusammen, als wenn es nicht anders sein könnte. Pylades hatte indessen seine Schöne auch in das Haus gebracht, und dieses Paar verlebte manchen Abend mit uns. Sie, als Brautleute obgleich nur im Keime, verbargen doch nicht ihre Zärtlichkeit; Gretchens Betragen gegen mich war nur geschickt, mich in Entfernung zu halten. Sie gab niemanden die Hand, auch nicht mir; sie litt keine Berührung, nur setzte sie sich manchmal neben mich, besonders wenn ich schrieb oder vorlas, und dann legte sie mir vertraulich den Arm auf die Schulter, sah mir ins Buch oder aufs Blatt; wollte ich mir aber eine ähnliche Freiheit gegen sie herausnehmen, so wich sie, und kam so bald nicht wieder. Doch wiederholte sie oft diese Stellung, so wie alle ihre Gesten und Bewegungen sehr einförmig waren, aber immer gleich gehörig, schön und reizend. Allein jene Vertraulichkeit habe ich sie gegen niemanden weiter aus üben sehen.

Eine der unschuldigsten und zugleich unterhaltendsten Lustpartien, die ich mit verschiedenen Gesellschaften junger Leute unternahm, war, dass wir uns in das Höchster Marktschiff setzten, die darin eingepackten seltsamen Passagiere beobachteten, und uns bald mit diesem, bald mit jenem, wie uns Lust oder Mutwille trieb, scherzhaft und neckend einließen. Zu Höchst stiegen wir aus, wo zu gleicher Zeit das Marktschiff von Mainz eintraf. In einem Gasthofe fand man eine gut besetzte Tafel, wo die Besseren der Auf- und Abfahrenden miteinander speisten und alsdann jeder seine Fahrt weiter fortsetzte; denn beide Schiffe gingen wieder zurück. Wir fuhren dann jedes Mal nach eingenommenem Mittagsessen hinauf nach Frankfurt und hatten in großer Gesellschaft die wohlfeilste Wasserfahrt gemacht, die nur möglich war.

Einmal hatte ich auch mit Gretchens Vettern diesen Zug unternommen, als am Tische in Höchst sich ein junger Mann zu uns gesellte, der etwas älter als wir sein mochte. Jene kannten ihn und er ließ sich mir vorstellen. Er hatte in seinem Wesen etwas sehr Gefälliges, ohne sonst ausgezeichnet zu sein. Von Mainz heraufgekommen, fuhr er nun mit uns nach Frankfurt zurück, und unterhielt sich mit uns von allerlei Dingen, welche das innere Stadtwesen, die Ämter und Stellen betrafen, worin er mir ganz wohl unterrichtet schien. Als wir uns trennten, empfahl er sich mir, und fügte hinzu, er wünsche, dass ich gut von ihm denken möge, weil er sich gelegentlich meiner Empfehlung zu erfreuen hoffe. Ich wusste nicht, was er damit sagen wollte, aber die Vettern klärten mich nach einigen Tagen auf; sie sprachen Gutes von ihm, und ersuchten mich um ein Vorwort bei meinem Großvater, da jetzt eben eine mittlere Stelle offen sei, zu welcher dieser Freund gern gelangen möchte. Ich entschuldigte mich anfangs, weil ich mich niemals in der gleichen Dinge gemischt hatte; allein sie setzten mir so lange zu, bis ich mich es zu tun entschloss. Hatte ich doch schon manchmal bemerkt, dass bei solchen Ämtervergebungen, welche leider oft als Gnadensacken betrachtet werden, die Vorsprache der Großmutter oder einer Tante nicht ohne Wirkung gewesen. Ich war so weit herangewachsen, um mir auch einigen Einfluss anzumaßen. Deshalb überwand ich meinen Freunden zu Lieb’, welche sich auf alle Weise für eine solche Gefälligkeit verbunden erklärten, die Schüchternheit eines Enkels, und übernahm es, ein Bittschreiben, das mir eingehändigt wurde, zu überreichen.

Eines Sonntags nach Tische, als der Großvater in seinem Garten beschäftigt war, umso mehr, als der Herbst herannahte, und ich ihm allenthalben behilflich zu sein suchte, rückte ich nach einigem Zögern mit meinem Anliegen und dem Bittschreiben hervor. Er sah es an und fragte mich, ob ich den jungen Menschen kenne? Ich erzählte ihm im Allgemeinen, was zu sagen war, und er ließ es dabei bewenden.

Wenn er Verdienst und sonst ein gutes Zeugnis hat, so will ich ihm um seinet- und deinetwillen günstig sein.

Mehr sagte er nicht, und ich erfuhr lange Nichts von der Sache.

Seit einiger Zeit hatte ich bemerkt, dass Gretchen nicht mehr spann, und sich dagegen mit Nähen beschäftigte, und zwar mit sehr feiner Arbeit, welches mich umso mehr wunderte, da die Tage schon abgenommen hatten und der Winter herankam. Ich dachte darüber nicht weiter nach, nur beunruhigte es mich, dass ich sie einige Mal des Morgens nicht wie sonst zu Hause fand, und ohne Zudringlichkeit nicht erfahren konnte, wo sie hingegangen sei. Doch sollte ich eines Tages sehr wunderlich überrascht werden. Meine Schwester, die sich zu einem Balle vorbereitete, bat mich, ihr bei einer Galanteriehändlerin sogenannte italienische Blumen zu holen. Sie wurden in Klöstern gemacht, waren klein und niedlich; Myrten besonders, Zwergröslein und dergleichen fielen gar schön und natürlich aus. Ich tat ihr die Liebe, und ging in den Laden, in welchem ich schon öfter mit ihr gewesen war. Kaum war ich hineingetreten und hatte die Eigentümerin begrüßt, als ich im Fenster ein Frauenzimmer sitzen sah, das mir unter einem Spitzenhäubchen gar jung und hübsch, und unter einer seidenen Mantille sehr wohl gebaut schien. Ich konnte leicht an ihr eine Gehilfin erkennen, denn sie war beschäftigt, Band und Federn auf ein Hütchen zu stecken. Die Putzhändlerin zeigte mir den langen Kasten mit einzelnen mannichfaltigen Blumen vor; ich besah sie und blickte, indem ich wählte, wieder nach dem Frauenzimmer am Fenster; aber wie groß war mein Erstaunen, als ich eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Gretchen gewahr wurde, ja zuletzt mich überzeugen musste, es sei Gretchen selbst! Auch blieb mir kein Zweifel übrig, dass ich unsere Bekanntschaft nicht verraten sollte. Nun brachte ich mit Wählen und Verwerfen die Putzhändlerin in Verzweiflung, mehr als ein Frauenzimmer selbst hätte tun können. Ich hatte wirklich keine Wahl, denn ich war aufs äußerste verwirrt, und zugleich liebte ich mein Zaudern, weil es mich in der Nähe des Kindes hielt, dessen Maske mich verdross, und das mir doch in dieser Maske reizender vorkam als jemals. Endlich mochte die Putzhändlerin alle Geduld verlieren, und suchte mir eigenhändig einen ganzen Pappenkasten voll Blumen aus, den ich meiner Schwester vorstellen möchte und sie selbst sollte wählen lassen. So wurde ich zum Laden gleichsam hinausgetrieben, indem sie den Kasten durch ihr Mädchen vorausschickte.

Kaum war ich zu Hause angekommen, als mein Vater mich zu sich berufen ließ, und mir die Eröffnung tat, es sei nun ganz gewiss, dass der Erzherzog Joseph zum Römischen König gewählt und gekrönt werden solle. Ein so höchst bedeutendes Ereignis müsse man nicht unvorbereitet erwarten, und etwa nur gaffend und staunend an sich vorbeigehen lassen. Er wollte daher die Wahl und Krönungsdiarien der beiden letzten Krönungen mit mir durchgehen, nicht weniger die letzten Wahlkapitulationen, um alsdann zu bemerken, was für neue Bedingungen man im gegenwärtigen Falle hinzufügen werde. Die Diarien wurden aufgeschlagen, und wir beschäftigten uns den ganzen Tag damit bis tief in die Nacht, indessen mir das hübsche Mädchen, bald im alten Hauskleide, bald in seinem neuen Kostüm, immer zwischen den höchsten Gegenständen des heiligen Römischen Reiches hin und wieder schwebte. Für diesen Abend war es unmöglich, sie zu sehen, und ich durchwachte eine sehr unruhige Nacht. Das gestrige Studium wurde anderen Tages eifrig fortgesetzt, und nur gegen Abend machte ich es möglich, meine Schöne zu besuchen, die ich wieder in ihrem gewöhnlichen Hauskleide fand. Sie lächelte, indem sie mich ansah, aber ich getraute mich nicht, vor den anderen etwas zu erwähnen.

Als die ganze Gesellschaft wieder ruhig zusammensaß, fing sie an und sagte: Es ist unbillig, dass ihr unserem Freunde nicht vertraut, was in diesen Tagen von uns beschlossen worden.

Sie fuhr darauf fort zu erzählen, dass nach unserer neulichen Unterhaltung, wo die Rede war, wie ein jeder in der Welt sich wolle geltend machen, auch unter ihnen zur Sprache gekommen, auf welche Art ein weibliches Wesen seine Talente und Arbeiten steigern, und seine Zeit vorteilhaft anwenden könne. Darauf habe der Vetter vorgeschlagen, sie solle es bei einer Putzmacherin versuchen, die jetzt eben eine Gehilfin brauche. Man sei mit der Frau einig geworden; sie gehe täglich so viele Stunden hin und werde gut gelohnt; nur müsse sie dort, um des Anstandes willen, sich zu einem gewissen Anputz bequemen, den sie aber jederzeit zurücklasse, weil er zu ihrem übrigen Leben und Wesen sich gar nicht schicken wolle. Durch diese Erklärung war ich zwar beruhigt, nur wollte es mir nicht recht gefallen, das hübsche Kind in einem öffentlichen Laden und an einem Orte zu wissen, wo die galante Welt gelegentlich ihren Sammelplatz hatte. Doch ließ ich mir nichts merken, und suchte meine eifersüchtige Sorge im Stillen bei mir zu verarbeiten. Hierzu gönnte mir der jüngere Vetter nicht lange Zeit, der alsbald wieder mit dem Auftrag zu einem Gelegenheitsgedichte hervortrat, mir die Personalien erzählte, und sogleich verlangte, dass ich mich zur Erfindung und Disposition des Gedichts anschicken möchte. Er hatte schon einige Mal über die Behandlung einer solchen Aufgabe mit mir gesprochen, und wie ich in solchen Fällen sehr redselig war, gar leicht von mir verlangt, dass ich ihm, was an diesen Dingen theoretisch ist, umständlich auslegte, ihm einen Begriff von der Sache gab, und meine eignen und fremden Arbeiten dieser Art als Beispiel benutzte. Der junge Mensch war ein guter Kopf, obgleich ohne Spur von poetischer Ader, und nun ging er so sehr ins Einzelne, und wollte von allem Rechenschaft haben, dass ich mit der Bemerkung laut wurde: Sieht es doch aus, als wolltet ihr mir ins Handwerk greifen, und mir die Kundschaft entziehen.

Ich will es nicht leugnen, sagte jener lächelnd, denn ich tue Euch dadurch keinen Schaden. Wie lange wird’s währen, geht ihr auf die Akademie! Und bis dahin lasst mich noch immer etwas bei euch profitieren!

Herzlich gern versetzte ich, und munterte ihn auf, selbst eine Disposition zu machen, ein Silbenmaß nach dem Charakter des Gegenstandes zu wählen, und was etwa sonst noch möglich scheinen möchte. Er ging mit ernst an die Sache, aber es wollte nicht glücken; ich musste zuletzt immer daran so viel umschreiben, dass ich es leichter und besser von vorn herein selbst geleistet hätte. Dieses Lehren und Lernen jedoch, dieses Mitteilen, diese Wechselarbeit gaben uns eine gute Unterhaltung; Gretchen nahm Teil daran, und hatte manchen artigen Einfall, sodass wir alle vergnügt, ja man darf sagen, glücklich waren. Sie arbeitete des Tags bei der Putzmacherin, abends kamen wir gewöhnlich zusammen, und unsre Zufriedenheit ward selbst dadurch nicht gestört, dass es mit den Bestellungen zu Gelegenheitsgedichten endlich nicht recht mehr fortwollte. Schmerzlich jedoch empfanden wir es, dass uns eins einmal mit Protest zurückkam, weil es dem Besteller nicht gefiel. Indes trösteten wir uns, weil wir es gerade für unsre beste Arbeit hielten, und jenen für einen schlechten Kenner erklären durften. Der Vetter, der ein- für allemal etwas lernen wollte, veranlasste nunmehr fingierte Aufgaben, bei deren Auflösung wir uns zwar noch immer gut genug unterhielten, aber freilich, da sie nichts einbrachten, unsre kleinen Gelage viel mäßiger einrichten mussten.

Mit jenem großen staatsrechtlichen Gegenstande, der Wahl und Krönung eines Römischen Königs, wollte es nun immer mehr ernst werden. Der anfänglich auf Augsburg im Oktober 1763 ausgeschriebene kurfürstliche Collegialtag ward nun nach Frankfurt verlegt, und sowohl zu Ende dieses Jahres, als zu Anfang des folgenden regten sich die Vorbereitungen, welche dieses wichtige Geschäft einleiten sollten. Den Anfang machte ein von uns noch nie gesehener Aufzug. Eine unsrer Kanzleipersonen zu Pferde, von vier gleichfalls berittenen Trompetern begleitet, und von einer Fußwache umgeben, verlas mit lauter und vernehmlicher Stimme an allen Ecken der Stadt ein weitläufiges Edikt, das uns von dem Bevorstehenden benachrichtigte, und den Bürgern ein geziemendes und den Umständen angemessenes Betragen einschärfte. Bei Rat wurden große Überlegungen gepflogen, und es dauerte nicht lange, so zeigte sich der Reichsquartiermeister, vom Erbmarschall abgesandt, um die Wohnungen der Gesandten und ihres Gefolges nach altem Herkommen anzuordnen und zu bezeichnen. Unser Haus lag im kurpfälzischen Sprengel, und wir hatten uns einer neuen, obgleich erfreulichen, Einquartierung zu versehen. Der mittlere Stock, welchen ehemals Graf Thorane innegehabt, wurde einem kurpfälzischen Cavalier eingeräumt, und da Baron von Königsthal, nürnbergischer Geschäftsmann, den oberen Stock eingenommen hatte, so waren wir noch mehr als zur Zeit der Franzosen zusammengedrängt. Dies diente mir zu einem neuen Vorwand, außer dem Hause zu sein, und die meiste Zeit des Tages auf der Straße zuzubringen, um das, was öffentlich zu sehen war, ins Auge zu fassen.

Nachdem uns die vorhergegangene Veränderung und Einrichtung der Zimmer auf dem Rathause sehenswert geschienen, nachdem die Ankunft der Gesandten eines nach dem andern und ihre erste solenne Gesamtauffahrt den 5. Febr. stattgefunden, so bewunderten wir nachher die Ankunft der kaiserlichen Commissarien und deren Auffahrt, ebenfalls auf den Römer, welche mit großem Pomp geschah. Die würdige Persönlichkeit des Fürsten von Liechtenstein machte einen guten Eindruck; doch wollten Kenner behaupten, die prächtigen Livreen seien schon ein Mal bei einer anderen Gelegenheit gebraucht worden, und auch diese Wahl und Krönung werde schwerlich an Glanz jener von Carl dem Siebenten gleichkommen. Wir Jüngeren ließen uns das gefallen, was wir vor Augen hatten; uns deuchte alles sehr gut, und manches setzte uns in Erstaunen.

Der Wahlconvent war endlich auf den 3. März anberaumt. Nun kam die Stadt durch neue Förmlichkeiten in Bewegung, und die wechselseitigen Zeremoniellbesuche der Gesandten hielten uns immer auf den Beinen. Auch mussten wir genau aufpassen, weil wir nicht nur gaffen, sondern alles wohl bemerken sollten, um zu Hause gehörig Rechenschaft zu geben, ja, manchen kleinen Aufsatz auszufertigen, worüber sich mein Vater und Herr von Königsthal, teils zu unserer Hebung, teils zu eigner Notiz, beredet hatten. Und wirklich gereichte mir dies zu besonderem Vorteil, indem ich über das Äußerliche so ziemlich ein lebendiges Wahl- und Krönungsdiarium vorstellen konnte.

Die Persönlichkeiten der Abgeordneten, welche auf mich einen bleibenden Eindruck gemacht haben, waren zunächst die des kurmainzischen ersten Botschafters, Barons von Erthal, nachmaligen Kurfürsten. Ohne irgend etwas Auffallendes in der Gestalt zu haben, wollte er mir in seinem schwarzen, mit Spitzen besetzten Talar immer gar wohl gefallen. Der zweite Botschafter, Baron von Groschlag, war ein wohlgebauter, im Äußeren bequem, aber höchst anständig sich betragender Weltmann; er machte überhaupt einen sehr behaglichen Eindruck. Fürst Esterhazy, der böhmische Gesandte, war nicht groß, aber wohlgebaut, lebhaft und zugleich vornehm anständig, ohne Stolz und Kälte. Ich hatte eine besondere Neigung zu ihm, weil er mich an den Marschall von Broglio erinnerte. Doch verschwand gewissermaßen die Gestalt und Würde dieser trefflichen Personen über dem Vorurteil, das man für den brandenburgischen Gesandten, Baron von Plotho, gefasst hatte. Dieser Mann, der durch eine gewisse Spärlichkeit, sowohl in eigener Kleidung, als in Livreen und Equipagen, sich auszeichnete, war vom siebenjährigen Kriege her als diplomatischer Held berühmt, hatte zu Regensburg den Notarius, April, der ihm die gegen seinen König ergangene Achtserklärung, von einigen Zeugen begleitet, zu insinuieren gedachte, mit der lakonischen Gegenrede: Was! Er insinuieren? die Treppe hinuntergeworfen oder werfen lassen. Das Erste glaubten wir, weil es uns besser gefiel, und wir es auch dem kleinen, gedrungenen, mit schwarzen Feueraugen hin und wieder blickenden Manne gar wohl zutrauten. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, besonders wo er ausstieg.

Es entstand jederzeit eine Art von frohem Zischeln, und wenig fehlte, dass man ihm applaudiert, Vivat oder Bravo zugerufen hätte. So hoch stand der König, und alles, was ihm mit Leib und Seele ergeben war, in der Gunst der Menge, unter der sich, außer den Frankfurtern, schon Deutsche aus allen Gegenden befanden.