Golf - Petra Himmel - E-Book

Golf E-Book

Petra Himmel

0,0

Beschreibung

Golf Hinter den Kulissen unterhält in 22 Erzählungen mit Insider-Informationen aus der Welt des internationalen Golfsports. Egal ob Porträts von herausragenden Spielern wie Tiger Woods oder Bernhard Langer, Geschichten von den größten Turnieren der Welt wie der British Open oder dem Masters in Augusta - die jahrzehntelange Expertise der Autorin Petra Himmel im Bereich des Golfsports führt zu Detailwissen, das man in dieser Form ansonsten nicht findet. Dazu kommen Stories aus den Bereichen des Golfsports, die in Deutschland weitgehend unbekannt sind, weil sie sich zum Beispiel mit Spezialitäten wie dem ältesten Golfclub für Frauen im schottischen St. Andrews befassen. Durch die unterhaltsame und interessante Aufbereitung fühlt sich der Leser am Ende selbst wie ein Golf-Insider.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 178

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Vorwort

 

 

 

Eine Sportart steht still. Komplett. Zumindest in großen Teilen der Welt. Im März 2020 sorgte die Corona-Pandemie dafür, dass das internationale Golfgeschehen in weiten Teilen zum Stillstand kam, sowohl für die Amateure als auch für die Profis. Was tut ein Sportjournalist, wenn es keine Turniere mehr gibt, über die man berichten kann? Er schreibt ein Buch.

„Golf – hinter den Kulissen“ ist eine Sammlung von Eindrücken, Geschichten und Begegnungen, die in mehr als 20 Jahren Berichterstattung bei Turnieren in allen Ecken dieser Erdkugel zusammengekommen sind. Manche Ereignisse werden über die Jahre zu einem Fixpunkt im Kalender, manche Spieler verfolgt man vom Teenageralter an und sieht, wie sie sich über die Jahre entwickeln. An den einen oder anderen Ort möchte man immer wieder zurückkehren, weil er fast schon mythisch ist.

Ich spielte noch kein Golf, als ich vor gut 25 Jahren anfing, über diesen Sport zu schreiben, der seine Eigenheiten hat –nicht alle davon sind großartig, manche sind durchaus anstrengend. Aber alles in allem bleibt eine Erkenntnis: Golf fasziniert mit seinen Plätzen und Protagonisten. Vor allem, wenn man hinter die Kulissen blickt.

 

 

MENSCHEN

Tiger Woods

 

Das größte Comeback

in der Geschichte des Sports 

 

Am Sonntagabend, nach der Siegerehrung beim Masters, wird es im Augusta National Golf Club immer ganz still. Zehntausende Zuschauer haben das Weite gesucht, die Profis sitzen längst im Flieger oder Auto – ab nach Hause oder zum nächsten Turnier.

Zum Ende des Finalsonntags 2019 steht ein schwarzer SUV mit einem offenen Kofferraum auf dem Parkplatz für die Spieler, und eine gelbe Flagge lehnt daran. Es ist die Fahne des 18. Lochs. Joe LaCava, Tiger Woods Caddie, hat sie mitgenommen. Jetzt sitzt er in Tigers Auto und wartet auf den fünffachen Masters-Champion, der an diesem Tag seinen insgesamt 15. Majortitel geholt hat. Tiger Woods dreht derweil eine letzte Runde bei den Mitgliedern im Clubhaus, um eine fast fünfjährige Odyssee Revue passieren zu lassen, die heute und hier ein Ende genommen hat. Soeben hat er nicht nur seinen 5. Masters Sieg geholt, sondern vor allem ein Comeback geschafft, das in den Wochen und Monaten danach als das Erstaunlichste geschildert wird, welches die Welt des Sports bis dahin erlebt hat.

Warten hat die letzten Jahre der Karriere von Tiger Woods und seiner Familie geprägt. Die Kinder Charlie und Sam, die Freundin Erica Herman, Mutter Kutilda: Sie alle haben sich die Frage, ob er jemals wieder Golf spielen würde, gestellt, als Woods nach der Saison 2014 so sehr mit gesundheitlichen Problemen kämpfte, dass an vernünftiges Golf nicht mehr zu denken war. „Ich konnte nicht stehen, nicht sitzen, nicht laufen“, beschrieb Tiger Woods den Leidensweg, den er im Verlauf seiner vier Rückenoperationen seit 2014 beschritt. Schmerzfreies Leben allein schien ein unerreichbares Ziel.

„Meine Kinder kennen Golf nur als den Sport, der mir wehgetan hat“, erklärte Woods im Anschluss an seinen Sieg die Situation der letzten Jahre. „Charlie, mein Sohn, war bei meinem letzten Majorsieg noch nicht einmal geboren.“ Golf war für ihn der Sport, bei dem sein Vater Schmerzen hatte, unter schlechten Schlägen litt, sich immer wieder negativen Erlebnissen in der Öffentlichkeit aussetzte. Nein, seine Kinder verstanden vor diesem Masters-Triumph nicht, was den Vater eigentlich an diesem Turnier und dem Platz von Augusta National begeisterte. „Charlie hat gestern bei einem Fußballturnier verloren und war dann früher fertig. Ich habe ihm gesagt, dass er vielleicht noch nach Augusta kommen kann, damit ich ihm all das mal zeige und erklären kann, was es mir bedeutet. Zum Glück hat es geklappt“, resümierte Woods begeistert.

Die Karriere des Tiger Woods ist immer vom Masters und Augusta National geprägt gewesen. Hier holte er 1997 seinen ersten Majortitel mit zwölf Schlägen Vorsprung – ein Rekord. 22 Jahre danach folgte der legendäre fünfte Sieg: „An der 18 ist die Geschichte für mich rund geworden“, resümierte er mit Tränen in den Augen, „ich habe geweint und alle anderen auch.“ Beim Masters 1997 kam sein Vater überstürzt während der Turnierwoche nach Augusta, obwohl er wegen Herzproblemen eigentlich zu Hause bleiben sollte. „Am Mittwochabend hat er mir noch eine Putt-Lektion gegeben und das war es dann“, erinnerte sich Woods. „Jetzt ist mein Vater nicht mehr da, aber meine Mutter war heute hier und meine Kinder.“

Bei seinem ersten Sieg 1997 lernte man im Profigolf das jugendliche Supertalent kennen, den ungestümen Jungstar, der den Platz scheinbar nach Belieben demontierte. Die Golfwelt hatte zu diesem Zeitpunkt längst Bekanntschaft mit dem Phänomen Tiger Woods gemacht, schließlich hatte man den Jungen schon als Fünfjährigen im US-Fernsehen in der Mike-Douglas-Show mit Bob Hope gesehen. Ein kleiner Kerl, über den sein Lehrer Rudy Duran damals sagte: „Dieses Kind ist nicht außergewöhnlich – es ist viel mehr als das.“ Als 14-Jähriger hatte er bereits mehr erreicht als viele andere Wunderkinder des Golfsports wie Bobby Jones, Jack Nicklaus oder Lanny Wadkins vor ihm. Unter anderem hatte er 1981 den ersten von insgesamt fünf Titeln bei der Optimist Junior World Championship geholt. Der Sohn eines farbigen Vaters und einer Mutter aus Thailand, der im kalifornischen Cypress aufwuchs und seine ersten Runden im Navy Golf Club spielte, weil sein Vater als Oberstleutnant beim Militär gedient hatte, wusste genau, was er wollte und wie groß sein Potenzial war. „Das Spiel ist irgendwie nie schwierig gewesen“, erzählte er mit 14 Jahren einem Reporter der US-Zeitschrift Golf Digest. „Keine Ahnung, aber ich war einfach immer gut.“ Die logische Konsequenz für ihn: „Ich will der nächste beherrschende Spieler werden. Ich will aufs College gehen, Pro werden und auf der Tour spielen. Ich will mehr Majors gewinnen als jeder andere.“

Ohne die Leidenschaft seines Vaters wäre diese herausragende Karriere eines Jugendlichen nie möglich gewesen. Earl Woods war der erste Farbige, der Baseball in der amerikanischen Big Eight Conference in Kansas State spielte. Ein leidenschaftlicher Sportler, dessen Baseball-Karriere mit einer Schulterverletzung ein abruptes Ende nahm. Er ging zum Militär, landete an der Front in Vietnam und freundete sich dort mit einem vietnamesischen Soldaten an, dessen Name Tiger war. „Der Kerl war so tapfer, das war so ein Teufel auf dem Schlachtfeld, dass ich mich entschloss, dass der Spitzname meines nächsten Sohnes Tiger sein sollte.“

Earl Woods hat seinen Sohn Tiger, mit dem er seit dessen viertem Geburtstag die ersten Runden im Navy Golf Club drehte, oft als Geschenk Gottes bezeichnet, auf das er aufzupassen hatte. Die Ausbildung seines Sohnes zum Spitzengolfer wurde zu Earl Woods Bestimmung. Er wandte psychologische Techniken an, die er im Gefängnis bei Befragungen kennengelernt hatte, um den kleinen Tiger widerstandsfähiger zu machen. Unverletzbar sollte er auf dem Schlachtfeld Golfplatz werden – eine Maschine.

Mutter Kutilda fuhr ihn zu den Trainingseinheiten. Die kleine, freundlich wirkende Frau begleitete den Jungen auf zig Turniere. Sie war nicht weniger wettbewerbsorientiert als Earl. „Ich habe Tiger immer gesagt, wenn er in Führung lag, nimm das nicht auf die leichte Schulter, sondern kill sie. Erst wenn alles beendet ist, kannst Du ein Sportsmann sein.“

Ein Jahrzehnt später, Tiger Woods war inzwischen 25 Jahre alt, war aus dem ambitionierten Teenager der neue Megastar der Sportszene geworden. Als Woods seinen zweiten Masters-Titel in Augusta National holte, blieb der Konkurrenz nur Sprachlosigkeit und uneingeschränkte Bewunderung. Der Amerikaner war der erste Spieler im Golf, der alle vier Majortitel gleichzeitig hielt. „Tiger Slam“ nannte man diese Leistung – für den Grand Slam hätte er Siege beim Masters, der Open, der U.S. Open und der US PGA Championship in einem Jahr gebraucht. Woods holte die Titel im Verlauf von zwölf Monaten, allerdings verteilt auf die Jahre 2000 und 2001.

Es waren 294 Tage, in denen der Amerikaner die vier größten Einzel-Golfturniere der Welt in insgesamt 65 Schlägen unter Par spielte, die Konkurrenz schier nach Belieben deklassierte und der Sportwelt den Begriff Dominanz auf neue Weise nahebrachte. Im September 2009 wurde der Golfer zum ersten Athleten weltweit, der im Verlauf seiner Karriere mehr als eine Milliarde Dollar verdient hatte, im gleichen Jahr wurde er im Magazin „Forbes“ hinter Oprah Winfrey als der zweitreichste farbige Mensch der USA geführt. Ein Rekord folgte auf den nächsten.

Ein Rausch der Superlative, der ein raues Ende nahm, als die Zeitung „National Enquirer“ im November 2009 – Woods und seine Frau Elin Nordegren hatten nach Tochter Sam auch ihren Sohn Charlie Axel Woods bekommen – von einem Verhältnis des Superstars mit einer Nachtklubmanagerin namens Rachel Uchitel berichtete. Ungute Details eines großen Sexskandals folgten, Sponsorenverträge wurden gekündigt, Woods verschwand in einer Privatklinik zur Sextherapie. Als Golfer bekam man ihn erst wieder beim Masters 2010 zu Gesicht, vier Monate später wurde er von Elin Nordegren geschieden.

Wer die Geschichte von Tiger Woods erzählt, bleibt an den Jahren 2010 bis 2018 immer wieder hängen. Sie zeigen das erstaunliche Bild eines Menschen, der permanent zwischen außergewöhnlichem Höhenflug und Absturz wechselt. Die Kündigung von Trainern, die Trennung von seinem Caddie Steve Williams 2011, der Beginn einer Serie von Verletzungen und diverse sportliche Fehlleistungen zeichnen das Porträt eines Sportlers, der plötzlich weit weg schien von dem Ziel, den Rekord von 18 Majorsiegen, aufgestellt von Jack Nicklaus, einzustellen. Aufsehenerregende Beziehungen wie zu der Ski-Sportlerin Lindsey Vonn sorgten für Schlagzeilen, das unstete Privatleben wurde von der ganzen Welt kritisch beäugt.

Zwischendrin aber tauchte immer wieder der Siegertyp auf: 2012 spielte er bei der Honda Classic die niedrigste Runde seiner PGA-Tour-Karriere, holte sich mit seinem Sieg beim AT&T National seinen 74. Toursieg – nur noch Sam Snead lag mit 82 Erfolgen vor ihm. 2013 war er wieder die Nummer 1 der Welt, bevor sich die Spirale aus Verletzungen und Comebacks wieder zu drehen begann. Vier Rückenoperationen und endlos viele Rückschläge ließen den letzten Sieg beim Bridgestone Invitational 2015 irgendwann wie einen fernen Traum aussehen. 2015 nahm ihn die Polizei beim Autofahren fest, zugedröhnt von Schmerztabletten. Das Polizeifoto eines unrasierten, völlig fertigen Tiger Woods ging um die Welt.

Irgendwann gab der einstige Weltranglistenerste nur noch ein trauriges Bild auf dem Golfplatz ab, wenn er erneut versuchte, in den Turnierbetrieb zurückzukehren. Seine Drives flogen kreuz und quer, Fernsehkommentatoren redeten offen darüber, dass er womöglich ein Fall für das fatale Nervenzucken Yips beim Chippen geworden sein. Er rutschte ab in der Weltrangliste bis auf Position 1.199 im November 2017, und die bange Frage stand im Raum: Kommt er je zurück?

Im September 2018 belehrte der Ausnahmeathlet alle Zweifler eines Besseren. Er fuhr nach Atlanta und gewann im East Lake Golf Club die Tour Championship, das Saisonfinale – ein Event, bei dem die Besten der Besten versammelt sind. Zu diesem Zeitpunkt war er 42 Jahre alt – nicht wirklich ein Golfer auf der Höhe seines Leistungsvermögens. Aber neun Monate, nachdem alles so aussah, als sei seine Karriere beendet, war Tiger Woods bereits wieder die Nummer 13 der Welt.

Die Golfszene wurde einmal mehr versetzt in den Zustand der Tigermania. Junge Kollegen, die Tiger Woods seit Beginn ihrer Karriere nie in seiner vollen Größe erlebt hatten, fingen an zu erkennen, dass dieser Mann tatsächlich ein Ausnahmesportler war. Alte Wegbegleiter wie Phil Mickelson oder Ernie Els lernten gleichzeitig einen neuen Tiger Woods kennen. Aus dem Einzelgänger, der noch in den Jahren 2000 und 2001 oftmals mehr einem Phantom als einem realen Sportler geglichen hatte, weil er sich stets vor Kollegen und der Öffentlichkeit verkroch, war ein Mitspieler geworden, der menschlich geworden zu sein schien.

Der neue Woods absolvierte geduldig Golf-Workshops mit Kindern, suchte selbst auf dem Golfplatz das Gespräch mit Kollegen und spielte zu Hause in Jupiter Island gern mit jüngeren Profis wie Rickie Fowler. Schon die Tatsache, dass er sich selbst für den Ryder Cup 2016 als Vizekapitän des amerikanischen Teams im amerikanischen Hazeltine ins Spiel brachte, deutete auf einen Haltungswechsel hin. Woods, der ewige Einzelkämpfer, war eigentlich nie der Typ, der sich unterordnen konnte. Die Position des Vizekapitäns schien nicht gerade für ihn gemacht zu sein. Doch die Ryder-Cup-Woche in Hazeltine zeigte: Der Mann genoss die Aufgabe – die ewigen Krisen hatten aus dem Egozentriker einen Teamplayer gemacht – eine Wandlung, die in der Öffentlichkeit zu einem Sympathieschub führte.

Mit der Tigermania im Jahr 2018 kam das Vergessen alter Sünden. Längst hatte die Golfszene Tiger Woods seine Skandale und privaten Ausrutscher vergeben. Im Gegenteil – der Versuch, elf Jahre nach dem Gewinn der U.S. Open im Jahr 2008 noch einmal einen Majorsieg nachzulegen, sorgte für Aufregung, für Furore, einen Medienhype wie selten zuvor. Dass Woods sich dabei für Augusta National und das Masters als Schauplatz des Spektakels entschied, war kein Wunder. Dies ist bis heute seine sportliche Heimat, der Ort seiner ersten Triumphe. Hier kennt er jedes Grün, jeden Baum, jeden Fairway-Knick wie im Schlaf. Im April 2019 ging das Unternehmen Majorsieg Nummer 15 in die nächste Runde. Es wurde zum Erfolg.

Der fünfte Masters-Sieg in Augusta war eine Demonstration von Stärke – solide herausgespielt mit Runden von 70, 68, 67 und 70 Schlägen zu einem Gesamtergebnis von 13 unter Par. Er habe so gut geschwungen wie schon lange nicht mehr, erklärte Woods diese Bilanz. Mit seinem Erfolg bei der Tour Championship 2018 im East Lake Golf Club bei Atlanta habe er das nötige Selbstvertrauen getankt, bei seinem Kampf um den Titel bei der Open 2018 die Gewissheit gewonnen, wieder bei Majors siegen zu können. „Ich weiß, dass ich immer noch das Gefühl in den Händen haben“, sagte er.

Die Statistik der vier Turniertage des Masters gab ihm recht. In der Auswertung der Daten für „Grüns in Regulation“ war Woods mit mehr als 80 Prozent getroffener Grüns die Nummer 1. Er hatte neun Bogeys gespielt, aber auch 22 Birdies. Am Ende war er einen Schlag besser als Dustin Johnson, der zum Sieg des 43-Jährigen sagte: „Es ist unglaublich.“ Ebenfalls Zweiter wurde Xander Schauffele, der zum Thema Tiger Woods erklärte: „Ich habe ihn als Kind immer im Fernsehen angesehen. Dass ich heute gegen ihn gespielt habe, ist unfassbar.“ Geschlagen war auch Brooks Koepka, der am Ende des Tages ebenfalls als geteilter Zweiter vor dem Clubhaus stand und meinte. „Unfassbar, wenn man sieht, was er alles durchgemacht hat.“

Am beeindruckendsten aber waren die Emotionen der Zuschauer, die Woods eine Turnierwoche lang hochkochen ließ. Stehende Ovationen, laute Jubelschreie, die fast schon unfair einseitige Unterstützung, die Tränen in den Augen der Zuschauer am 18. Grün. Das alles zeigte Respekt für einen Mann, der sich im Verlauf der 22 Jahre zwischen seinem ersten und seinem fünften Majorsieg extrem verändert hatte.

„Es war immer klar, dass er noch gewinnen konnte“, hat sein Counterpart Jack Nicklaus, der einzige Golfer, der mit 18 Majorsiegen noch mehr große Titel zählt als er, beim amerikanischen Golf Channel das Comeback von Woods erklärt. „Es spielt auch keine Rolle, dass er den Drive nicht ganz gerade schlägt, weil er das noch nie getan hat. Aber er spielt einfach die besten Eisen der Welt, und er hat das nötige Gefühl in den Händen.“

„Ich glaube nicht, dass es jemals einen Spieler gab, der so viel Talent hatte, wie er“, kommentierte der inzwischen 79-Jährige die Karriere des Amerikaners. „Hogan war der Spieler mit dem erstaunlichsten Spiel zwischen Abschlag und Grün, das ich jemals gesehen habe. Snead war der größte Athlet, der jemals Golf gespielt hat, mit einem beachtlichen Schwung, der überdauerte.“ Nicklaus, so Player, habe einfach das kompletteste Spiel gehabt. „Wenn Tiger nicht seine Probleme gehabt hätte, und davon gab es einige, hätte er 20 oder 21 Majors gewonnen. Da gibt es keinen Zweifel.“

Für Tiger Woods selbst war der Sonntag seines großen Comebacks nicht der Anlass, um über verpasste Möglichkeiten zu sprechen. Er versuchte vielmehr das, was er selbst nicht mehr geglaubt hatte, in Worte zu fassen. „Es ist irreal“, waren seine ersten Worte in der Pressekonferenz im Media-Center von Augusta National.

Stunden später, der Abend war längst angebrochen, verließ er in seinem schwarzen SUV mit Joe La Cava die leere Anlage. Im Gepäck ein Grünes Jackett, einen Pokal in der Form des Clubhauses des Augusta National Golf Club und die gelbe Fahne vom 18. Loch. Als Beweis dafür, dass real ist, was sich so irreal anfühlt.

Bernhard Langer

 

Der ewige Perfektionist

 

 

Einmal traf ich ihn kurz vor Einbruch der Dunkelheit: Der Rummel vor dem Clubhaus des Augusta National Golf Club hatte sich gelegt. Die US-Flagge vor dem Gebäude hing schlapp herab. Kein Luftzug ging, endlich herrschte Stille zum Schluss eines wie immer lauten und aufgeregten Turniertages. Das Ende der Driving Range war im ausgehenden Licht nur noch schwer zu erkennen, kein Spieler weit und breit war nach diesem ersten Spieltag des Masters, des ersten Majorturniers im Jahr, in Sicht. Nur einer stand im Übungsbunker und spielte konstant die Bälle heraus – weich und hoch. Weich und hoch. Immer wieder. Endlos oft. Im Golfsport gibt es nur zwei Personen, die für solch eine Situation als Hauptdarsteller infrage kommen: Vijay Singh und Bernhard Langer. Die Unermüdlichen, die Endlostrainierer. Zwei Profis auf der permanenten Suche nach der Perfektion.

An diesem Abend im April war es Bernhard Langer, der an seinem Bunkerspiel arbeitete. Man hat den Deutschen wegen seiner methodischen Herangehensweise, seiner immerwährenden Suche nach einem passenden Schwung und wegen seiner deutschen Herkunft oft den ultimativen Mechaniker genannt. Aber wer ihn an diesem Abend beobachtete, fühlte sich eher an pures Zen erinnert als an das sture Abarbeiten eines Bewegungsmechanismus. In diesem Moment schien Langer eins mit seinem Spiel zu sein – und drumherum verschwand Augusta National in der Dämmerung.

Es gibt viele Gründe, Golfprofi zu werden: das Sammeln von Titeln, der Gewinn von Millionen an Preisgeldern, der Ruhm und das Ansehen in der Öffentlichkeit. In einigen wenigen Fällen ist es die pure Leidenschaft für den Sport, die einen Spieler über Jahrzehnte an den Profisport bindet. Bernhard Langer gehört in diese Kategorie. Wer den Kreis seiner Kollegen betrachtet, wird feststellen, dass von all jenen Stars, die seine mehr als 40-jährige Karriere mitgeprägt haben, nicht viele geblieben sind, mit denen er noch heute bei den Turnieren weltweit die Runden dreht. Nick Faldo, sechsfacher Majorsieger, ist TV-Kommentator und auf dem Platz nicht mehr konkurrenzfähig. Der brillante Spanier Seve Ballesteros starb 2011 an einem Gehirntumor. Sandy Lyle und Ian Woosnam, die Recken aus Großbritannien, haben sich auf ihr Altenteil zurückgezogen. Zusammen mit Bernhard Langer waren sie ab 1979 die Big Five – jene fünf Spieler, die Europas Golfsport international wettbewerbsfähig machten, Majorsiege holten und die lange Dominanz der Amerikaner in der Profiszene beendeten. Als aktiver Spieler aus dieser Gruppe ist nur Langer geblieben, den der Golfsport noch heute genauso fasziniert wie vor 50 Jahren.

Seine Geschichte, oft erzählt, begann als Caddie im Golfclub Augsburg-Burgwalden. „Als mein Bruder 13 oder 14 war, fuhr er mit dem Fahrrad zu unserem Golfplatz, um da ein paar Mark zu verdienen“, erinnerte sich Langer vor einigen Jahren. „Ich war damals neun und ziemlich überrascht, als er mit ein paar Mark nach Hause kam.“ Der kleine Bernhard, der zu Hause wie die anderen zwei Geschwister nie verwöhnt wurde, weil der Vater als Maurer und die Mutter als Bedienung nur wenig verdienten, nahm den gleichen Job an. Aus seiner ersten Motivation zum Golf, dem Geldverdienen, wurde eine Besessenheit, die bis heute hält. Wie der Junge, der sich mit seinem Bruder zuerst ein Holz, zwei Eisen und einen Putter teilen musste und trotzdem sein Spiel auf Spitzenniveau brachte, kann auch der alternde Profi Langer noch scheinbar endlos an den Faktoren seines Spiels drehen, um am Ende zu einem perfekten Ergebnis zu kommen.

Bei den Masters im April 2016 erschien Langer mit einem Stapel Putter im Gepäck. Kurze und lange Schäfte, dicke und dünne Griffe, alles bunt gemischt. „Ich habe seit Beginn des Jahres etwa 25 bis 30 Stück ausprobiert“, lautete seine wie immer unaufgeregte Erklärung. Sein Caddie schleppte stets mehrere Exemplare im Bag über die Proberunden. Langer hatte Handlungsbedarf, nachdem die Regel-Offiziellen des Golfsports in dem Jahr die Vorgaben beim Putten geändert hatten. Die sogenannten Besenstil-Putter mit langem Griff, die auch Langer seit Jahren benutzt, dürfen seitdem nicht mehr am Körper verankert werden.

Probleme wie dieses fordern den Analytiker Langer heraus. Ebenfalls betroffene Kollegen wechselten zu einem kurzen Putter. Langer fand wie so häufig eine sehr eigene Lösung. Am Ende spielte er auch 2016 in Augusta beim Masters mit einem langen Besenstil-Putter – er hielt den Griff aber ein kleines Stückchen vom Oberkörper entfernt. Die Methode war seltsam, aber regelkonform und effizient. Am Finalsonntag hatte er sogar Chancen auf den Sieg – als 58-Jähriger hätte er damit alle Altersrekorde gebrochen.

„Es wäre ein Sieg für die alten Jungs“, meinte er selbst dazu. Langer, der zuerst 1985 und dann 1993 das Grüne Jackett für den Sieger in Augusta gewann, war stets fest davon überzeugt, dass irgendwann ein Spieler, der älter als 50 ist, zum ersten Mal einen der vier Majortitel gewinnen würde. Seine Konkurrenten wären kein bisschen überrascht gewesen, wenn es Langer selbst gewesen wäre.

Wer sich dem blonden Bayern, dessen eigentliche Heimat längst Boca Raton in Florida ist, von Weitem nähert, ist nach wie vor erstaunt: Dünn und durchtrainiert wirkt er, muskulös und topfit, selbst mit über 60. Erst wenn man ihm gegenübersteht, lassen die Falten im tief gebräunten Gesicht sein Alter erkennen. Sein Spiel jedenfalls verbesserte sich als Senior eher noch. Sein Score nach der dritten Runde der Masters 2016 war gerade einmal einen Schlag höher als jener aus dem Jahr 1985, als er hier als erster Deutscher einen Masters-Sieg holte.