Green Nursing - Iwona Dullinger - E-Book

Green Nursing E-Book

Iwona Dullinger

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Beschreibung

Der Klimawandel ist ein Thema, das in den letzten Jahren deutlich an Aktualität und Brisanz gewonnen hat. Parallel dazu erfährt die Gesundheits- und Krankenpflege eine zunehmende Gesundheitsorientierung. Dieser Fachtagungsband gibt einen Überblick über die gesundheitlichen Belastungen, die sich in Folge des Klimawandels ergeben sowie über die potenziellen Synergien zwischen Klimaschutz, Gesundheitsförderung und Prävention. Ebenso werden konkrete Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer nachhaltigeren Pflege skizziert.

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Iwona Dullinger (Hg.)

Green Nursing

Handlungsfelder der Gesundheitsförderung und Prävention

im Kontext des Klimawandels

Eine geschlechtergerechte Schreibweise wird in diesem Buch vorwiegend durch die Verwendung der Schreibung mit Stern * realisiert. Ist eine korrekte, alle Endungen berücksichtigende Schreibung auf diese Weise nicht möglich oder erfordert sie Ergänzungen, die den Lesefluss hemmen, so wird – stellvertretend für beide Geschlechter – die männliche Form gewählt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autor*innen oder des Verlages ist ausgeschlossen.

Copyright © 2023 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas Verlag, 1050 Wien, Österreich

Umschlagfoto: © Sergey Khamidulin, Adobe Stock

Satz: Wandl Multimedia-Agentur

Lektorat: Laura Hödl, Wien

Druck: Facultas Verlags- und Buchhandels AG

Printed in the EU

ISBN 978-3-7089-2372-7

E-ISBN 978-3-99111-777-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Iwona Dullinger

Pflegerisches Rollen- und Gesundheitsverständnis – ein entscheidender Faktor für den Beitrag zur Bewältigung von Herausforderungen in der Gesellschaft

Melitta Horak

Gesundheit in Zeiten von Klimakrise und gesellschaftlicher Transformation

Willi Haas

Klimawandel und psychische Gesundheit – Eco-Emotions von Angst bis Zuversicht

Paolo Raile

Klimawandel und Hitzebelastung – Herausforderungen im Pflegebereich

David Vogel

Aktiver Klimaschutz: Gesundheitseinrichtungen am Weg zur Klimaneutralität

Michaela Truppe

Nachhaltigkeitsbildung und -kompetenz in der Pflege – Das NurSusTOOLKIT

Norma May Huss

Autor*innen

Vorwort

Iwona Dullinger

Der Klimawandel ist ein Thema, das in den letzten Jahren deutlich an Aktualität und Brisanz gewonnen hat. Die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels sind bereits heute spürbar, etwa der Anstieg von Hitzebelastungen und Allergien oder die Ausbreitung neuer Infektionskrankheiten (D’Amato et al., 2020; International Panel on Climate Change [IPCC], 2023; Romanello et al., 2022).

Parallel dazu erfährt die Gesundheits- und Krankenpflege eine zunehmende Gesundheitsorientierung: Das steigende Bewusstsein für Gesundheitsförderung und Prävention zeigt sich vor allem in der Entstehung neuer Handlungsfelder für Pflegende, zum Beispiel im Kontext von Public Health oder Community Health (Horak & Haubitzer, 2021; Steinbach, 2022).

Diese beiden Themenbereiche – Klimawandel auf der einen Seite, Gesundheitsförderung und Prävention auf der anderen Seite – stehen in Wechselwirkung zueinander. In den Industriestaaten werden beispielsweise Lebensstile begünstigt, die sich durch Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung auszeichnen – die Bereiche Mobilität und Ernährung tragen somit ein hohes gesundheitsförderndes Potential in sich, während sie gleichzeitig zu den wesentlichen Triebkräften für den Klimawandel zählen (IPCC, 2023).

In diesem Band zur gleichnamigen Fachtagung am Campus Rudolfinerhaus vom 9. November 2023 wird deshalb der Frage nachgegangen, welche gesundheitlichen Belastungen sich in Folge des Klimawandels ergeben und welche potentiellen Synergien zwischen Klimaschutz, Gesundheitsförderung und Prävention bestehen. Ziel ist es, aufzuzeigen, welche gesundheitsförderlichen und klimafreundlichen Handlungsmöglichkeiten sich konkret für die Pflege ergeben und so eine nachhaltigere Pflege zu skizzieren (International Council of Nurses [ICN], 2018).

Dabei zeigt der erste Beitrag von Melitta Horak eindrücklich, dass das Rollen- und Gesundheitsverständnis von diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen (DGKP) einerseits abhängig ist von der geschichtlichen Entwicklung dieses Berufsfeldes und andererseits einen entscheidenden Faktor für den Beitrag zur Bewältigung von aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen darstellt.

Im Anschluss stellt Willi Haas in seinem Beitrag nicht nur die Entwicklungen in Hinblick auf den Klimawandel dar, sondern auch die Auswirkungen, die diese auf die Gesundheit/das Gesundheitswesen haben – und umgekehrt, wie das Gesundheitswesen zu den globalen Umweltveränderungen beiträgt. Zudem skizziert er Synergien zwischen klimafreundlichem und gesundheitsförderlichem Verhalten und schließt seinen Beitrag mit einem Plädoyer für eine Pflege mit Klimakompetenz.

Mit dem Thema der psychischen Gesundheit in Zusammenhang mit dem Klimawandel befasst sich der darauffolgende Beitrag. Paolo Raile präsentiert darin die wichtigsten „Eco-Emotions“ und zeigt am Beispiel Exo-Anxiety, wie im Alltag mit ihnen umgegangen werden kann.

Der vierte Beitrag im Fachtagungsband widmet sich den Herausforderungen im Pflegebereich, die sich durch Hitzebelastung ergeben. David Vogel schildert darin nicht nur hitzeassoziierte Gesundheitsgefahren, sondern auch potentielle Anpassungsstrategien im Tätigkeitsfeld der Pflege.

Im fünften und vorletzten Beitrag stellt Michaela Truppe das Pionierprojekt „Beratung klimafreundliche Gesundheitseinrichtung“ sowie den dazugehörigen Lehrgang „Klimamanager*innen in Gesundheitseinrichtungen“ des Kompetenzzentrums Klima und Gesundheit der Gesundheit Österreich GmbH vor.

Abschließend beleuchtet Norma Huss anhand eines Beispiels – des Projekts NurSusTOOLKIT – wie Nachhaltigkeit in den Pflegelehrplan integriert werden kann.

Der vorliegende Fachtagungsband kam durch die Zusammenarbeit vieler Personen zustande. Besonders bei den Referent*innen möchten wir uns bedanken – für die Beteiligung an der Tagung und für die Bereitschaft, ihre Expertise und ihr Wissen zu teilen. Dem Verlag facultas möchten wir für die langjährige und konstruktive Zusammenarbeit danken.

Wien, im November 2023 Iwona Dullinger

Literatur

D’Amato, G., Chong-Neto, H. J., Monge Ortega, O. P., Vitale, C., Ansotegui, I., Rosario, N., Haahtela, T., Galan, C., Pawankar, R., Murrieta-Aguttes, M., Cecchi, L., Bergmann, C., Ridolo, E., Ramon, G., Gonzalez Diaz, S., D’Amato, M. & Annesi-Maesano, I. (2020). The effects of climate change on respiratory allergy and asthma induced by pollen and mold allergens. Allergy, 75(9), 2219–2228. https://doi.org/10.1111/all.14476

Horak, M. & Haubitzer, S. (2021). Community Health Nurse – Handlungsfelder in der Pflege im Kontext von Public Health. Facultas.

ICN. (2018). Nurses, climate change and health. International Council of Nurses. https://www.icn.ch/sites/default/files/inline-files/ICN%20PS%20Nurses%252c%20climate%20change%20and%20health%20FINAL%20.pdf

IPCC. (2023). Summary for Policymakers. In Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland, pp. 1–34. https://doi.org/10.59327/IPCC/AR6-9789291691647

Romanello, M., Di Napoli, C., Drummond, P., Green, C., Kennard, H., Lampard, P., Scamman, D., Arnell, N., Ayeb-Karlsson, S., Ford, L. B., Belesova, K., Bowen, K., Cai, W., Callaghan, M., Campbell-Lendrum, D., Chambers, J., van Daalen, K. R., Dalin, C., Dasandi, N., … Costello, A. (2022). The 2022 report of the Lancet Countdown on health and climate change: Health at the mercy of fossil fuels. The Lancet, 400(10363), 1619–1654. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(22)01540-9

Steinbach, H. (2022). Gesundheitsförderung und Prävention für Pflege- und andere Gesundheitsberufe. (6. Auflage) Facultas.

Pflegerisches Rollen- und Gesundheitsverständnis – ein entscheidender Faktor für den Beitrag zur Bewältigung von Herausforderungen in der Gesellschaft

Melitta Horak

Das Rollen- und Gesundheitsverständnis von diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen (DGKP) zeigt sich in der näheren Betrachtung abhängig von der geschichtlichen Entwicklung dieses Berufsfeldes. Die ursprüngliche Rolle als Assistenzberuf für ärztliche Berufe mit Fokus auf die Krankheit hat dieses Rollenverständnis am nachhaltigsten geprägt und prägt es nach wie vor. Nach der Erfahrung der Verfasserin ist für die meisten Kolleg*innen im Berufsfeld das wichtigste Betätigungsfeld auch heute noch im Krankenhaus zu finden. Der Fokus liegt dabei auf Menschen mit Erkrankungen und Beeinträchtigungen, auf deren Defiziten, die es zu erfassen und pflegerisch zu kompensieren gilt. Die Reflexion der eigenen Rolle als DGKP und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gesundheitsverständnis, im Bewusstsein der kontinuierlichen Veränderung des Gesundheitsverständnisses der heutigen Zeit, ist noch sehr wenig in den Mittelpunkt der pflegerischen Betrachtungen und Handlungen gerückt. Die wissenschaftliche Erkenntnis hinsichtlich der vielseitigen beeinflussenden Faktoren für die Gesundheit des Menschen wird zwar immer häufiger, auch in der Ausbildung, thematisiert, aber meist zeigen sich ausgehend von diesen Erkenntnissen noch keine Veränderungen im pflegerischen Handeln. Besonders die Rolle und der Beitrag, die DGKP in der Bewältigung der Herausforderungen unserer Gesellschaft einnehmen und den sie leisten können, sind von größter Relevanz. Sie sollten immer mehr ins Bewusstsein der Berufsgruppe gelangen und verstanden werden, sodass sie im pflegerischen Handeln sichtbar werden.

Die Analyse und Auseinandersetzung mit dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) und dem darin gesetzlich verankerten Berufsbild in § 12 zeigt einen sehr großen Handlungsspielraum für einen bedeutsamen gesellschaftlichen Beitrag. Die gesetzlichen Grundlagen ermöglichen eindeutig die Übernahme von erweiterten Rollen und erfordern eine Auseinandersetzung mit der Thematik Gesundheit. Sie setzen ein Gesundheitsverständnis voraus, welches auf Gesundheit, Ressourcen sowie die Einbeziehung der Familie und der Gemeinde fokussiert und bei dem nicht nur die Krankheit mit einer Defizit- und Patientenorientierung überwiegt. Im Berufsbild der Gesundheits- und Krankenpflege GuKG § 12 wird dieser Handlungsspielraum anschaulich aufgezeigt. In Absatz 1 ist der umfassende Verantwortungsbereich in allen Lebensbereichen thematisiert: „Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege trägt die Verantwortung für die unmittelbare und mittelbare Pflege von Menschen in allen Altersstufen, Familien und Bevölkerungsgruppen in mobilen, ambulanten, teilstationären und stationären Versorgungsformen sowie allen Versorgungsstufen (Primärversorgung, ambulante spezialisierte Versorgung sowie stationäre Versorgung). Handlungsleitend sind dabei ethische, rechtliche, interkulturelle, psychosoziale und systemische Perspektiven und Grundsätze.“

Weiters zeigt das GuKG § 12 Abs. 2 die notwendige breite Auseinandersetzung mit einem entsprechenden Gesundheitsverständnis und deren Konsequenz für das pflegerische Handeln auf: „Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege trägt auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse durch gesundheitsfördernde, präventive, kurative, rehabilitative sowie palliative Kompetenzen zur Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit, zur Unterstützung des Heilungsprozesses, zur Linderung und Bewältigung von gesundheitlicher Beeinträchtigung sowie zur Aufrechterhaltung der höchstmöglichen Lebensqualität aus pflegerischer Sicht bei.“

Im Abs. 3 GuKG § 12 zeigt das Berufsbild auch die Zusammenarbeit mit den ärztlichen Berufen auf und es wird sichtbar, dass diese Mitwirkung im therapeutischen und diagnostischen Bereich nur einen kleinen Teil der pflegerischen Aufgaben darstellt: „Im Rahmen der medizinischen Diagnostik und Therapie führen Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege die ihnen von Ärzten übertragenen Maßnahmen und Tätigkeiten durch.“

Eine große Bedeutung hat, abgebildet in Abs. 4 des GuKG § 12, die interprofessionelle Zusammenarbeit zur Aufrechterhaltung der Behandlungskontinuität: „Im Rahmen der interprofessionellen Zusammenarbeit tragen Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege zur Aufrechterhaltung der Behandlungskontinuität bei.“

Die bedeutendste Passage für die Notwendigkeit der Erweiterung des Rollen- und Gesundheitsverständnisses findet sich in GuKG § 12 Abs. 5: „Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege entwickelt, organisiert und implementiert pflegerische Strategien, Konzepte und Programme zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, insbesondere bei chronischen Erkrankungen, im Rahmen der Familiengesundheitspflege, der Schulgesundheitspflege so- wie der gemeinde- und bevölkerungsorientierten Pflege.“ Dieser Absatz ist im Rahmen der Implementierung neuer Handlungsfelder der Pflege von großer Bedeutung, aktuell im EU-geförderten Pilotprojekt Community Nursing. Für Pflegepersonen ergeben sich jedoch sehr viele Herausforderungen, wenn sie ihre gewohnten Rollen verlassen oder erweitern müssen, um dem Aufgabenfeld in einer Gemeinde gerecht zu werden. Herausforderungen werden auch erlebt, wenn sie Situationen erleben, in denen sie die Art ihres Denkens und ihre Haltung, vor allem in Bezug auf die Thematik Gesundheit und im Umgang mit den Menschen, die sie begleiten, hinterfragen müssen. In den neuen Handlungsfeldern der Pflege, in ihrer Arbeit in Gemeinden, bei den Familien oder auch in Schulen, werden Pflegepersonen automatisch auch mit ihrer Bedeutung und ihrem Beitrag für die Bewältigung von Herausforderungen im österreichischen Gesundheitssystem konfrontiert. Sie lernen auch, zu verstehen, dass sie diese Herausforderungen nie alleine bewältigen werden, sondern, dass es die Zusammenarbeit eines Teams erfordert und dass sie in einen Prozess der Veränderung hinsichtlich der Rolle und des Gesundheitsverständnisses eintreten müssen, der nachfolgend kurz geschichtlich betrachtet werden soll.

1 Veränderungsprozesse im Gesundheits- und Rollenverständnis von Gesundheitsberufen

Durch eine im österreichischen Gesundheitssystem stark medizinorientierte Gesundheitsversorgung mit einer flächendeckenden hausärztlichen Versorgung ist zum jetzigen Zeitpunkt der Fokus bei allen Versorgungsleistungen vor allem auf krankheitsbezogene, defizitorientierte Prozesse sowie auf die Versorgung von Einzelpersonen gerichtet. Die Zielsetzung ist es, die Erkrankung zu heilen und die Defizite und etwaige Beeinträchtigungen zu beseitigen, um Menschen entsprechend dem Verständnis der Funktion einer Maschine bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen wieder zu reparieren. Der Sozialmediziner Klemperer (2020) zeigt auf, dass sich dieses Verständnis geschichtlich entwickelt hat.

Ausgehend vom Industriezeitalter konnten sehr viele Erkenntnisse hinsichtlich der Bekämpfung und Vorbeugung von Erkrankungen gewonnen werden. Sie stärkten das Gefühl, dass die Disziplin der Medizin in der Lage ist, die Lösung für alle gesundheitlichen Probleme der Menschen zu finden. Der Soziologe Rothstein (2003) zeigte in seinem geschichtlichen Überblick den Prozess der Analyse der Risikofaktoren und die Entstehung des Risikofaktorenmodells auf. Damit konnte anhand von statistischen Berechnungen eine Aussage über Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf die Entstehung und Vermeidung von Erkrankungen getroffen werden. So entwickelte sich ein präventiver Zugang zum Thema Erkrankung, bei dem jedoch viele kausale Faktoren, wie z. B. Umwelteinflüsse, lange Zeit nicht berücksichtigt wurden. Hurrelmann et al. (2014) sowie auch Klemperer (2020) führen in ihren Publikationen vielfältige Faktoren an, die die Gesundheit beeinflussen. Anhand dieser Faktoren wird immer klarer, dass der präventive Zugang alleine nicht ausreichend ist, um Gesundheit nachhaltig zu erhalten und zu fördern. Die Entwicklung von Konzepten und Modellen, die alle Faktoren berücksichtigen, welche nachweislich die Gesundheit eines Individuums, einer Familie oder einer Gemeinde beeinflussen, Faktoren, die aktuell von Studienergebnissen abgeleitet werden konnten, wurde immer bedeutsamer. Neue Denkmuster und Erklärungsmodelle, die über das pathogenetische, krankheitsbezogene Denken hinausgehen, wurden benötigt.

Die Entstehung eines solchen veränderten Denkmusters unterstützten Studienergebnisse des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1997), welche zur Entwicklung des Modells der Salutogenese führten. Gesundheit wurde in diesem Modell nicht als Zustand, sondern als Prozess wahrgenommen. Es entwickelte sich das Verständnis, dass es ein sogenanntes Gesundheits- und Krankheitskontinuum gibt, in Form von Gefühlszuständen, die sich ständig in Bewegung befinden. Das Gefühl von Missempfinden und Wohlbefinden bewegt sich kontinuierlich zwischen diesen beiden Polen und der Mensch ist dabei nie ganz krank oder gesund. Jeder kranke Mensch hat auch gesunde Anteile und dieses Gefühl der Gesundheit, diese gesunden Anteile, werden dabei von vielen Faktoren beeinflusst, wobei einer dieser Faktoren auch durch ökologische, umweltbezogene Einflüsse dargestellt werden kann. Es entwickelte sich auch die Erkenntnis, dass die Fähigkeit, etwas für die eigene Gesundheit tun zu können und sie erhalten zu können von den Ressourcen abhängt, die jedes Individuum, jede Familie und jede Gemeinde besitzt. In diesem Modell der Salutogenese werden drei Grundhaltungen beschrieben, die es zu stärken gilt: Es sind die Grundhaltungen der Verstehbarkeit, der Bewältigbarkeit und der Sinnhaftigkeit oder Bedeutsamkeit, die das sogenannte Kohärenzgefühl stärken. Das bedeutet, dass bei den individuellen Menschen, der Familie und den Menschen in der Gemeinde das Gefühl gestärkt werden muss, die Situation in der sie sind verstehen zu können. In einer herausfordernden Situation müssen sie lernen, sich immer besser zu verstehen und kennenzulernen. Es ist auch bedeutsam, das Gefühl zu stärken, durch genügend Ressourcen, eigene oder externe, die Situation bewältigen zu können. Damit kann es gelingen, in Zeiten von Herausforderungen mit den notwendigen Veränderungen die Bedeutsamkeit zu erkennen und einen Sinn zu finden, der hilft, die Herausforderungen immer besser in das Leben zu integrieren.

Besonders die Zeit der Pandemie rund um COVID-19 zeigte, dass eine alleinig medizinorientierte Versorgung nicht ausreicht. Es wurde sichtbar, wie wichtig es war, dass Menschen die Vorgänge rund um diese virale Erkrankung verstehen lernen, damit sie nicht in Unsicherheit und Ungewissheit verharren. Es wurde sichtbar, dass jeder Mensch, jede Gemeinschaft sich und die eigenen Reaktionen auf eine solche Bedrohung verstehen und damit umgehen lernen muss. Es ist bedeutsam, dass das Gefühl gestärkt wird, dass jede*r etwas beitragen kann, damit gemeinsam durch die Änderung von Verhalten und durch Unterstützung von außen die Situation bewältigt werden kann. Das Gefühl musste gestärkt werden, dass alles, was angeboten wird und getan werden kann, Sinn macht, dass es bedeutsam ist und in das bisherige Leben integriert werden kann.

Dieses Denkmuster des Modells der Salutogenese lässt sich auf alle Lebensbereiche umlegen. Alle ökologischen Aspekte, Umweltveränderungen aufgrund des Klimawandels, Umweltverschmutzungen wie Verunreinigung des Wassers oder der Luft, Umweltveränderungen aufgrund von Bodenversiegelungen etc., haben einen bedeutenden Einfluss auf das Wasservorkommen, auf das Vorhandensein von natürlichen Grünflächen, auf Klimaeinflüsse sowie auf die Gesundheit. Auch hier gilt es im Sinne der Verstehbarkeit, die Situation verstehen zu lernen. Was hat die Situation verursacht, warum stehen wir, wo wir stehen, warum reagieren wir, wie wir reagieren? Warum wollen wir auf Gewohntes nicht verzichten, obwohl wir wissen, dass der Verzicht jeder einzelnen Person ein wichtiger Beitrag wäre, um den Herausforderungen des Klimawandels entgegenzuwirken? Es scheint, als „stecken“ wir fest und finden keine bedeutsamen Ressourcen, erkennen nicht die Bedeutung der Interventionen und können das Gefühl nicht stärken, dass es Sinn macht, Mühen und Veränderungen auf uns zu nehmen und gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um diese Herausforderungen zu bewältigen.

Gesundheitliche Herausforderungen gibt es viele. Eine wichtige Voraussetzung, um zu lernen, mit ihnen umzugehen, ist im Sinne der Verstehbarkeit z. B. auch Bildung. Bildung wird in der Literatur als stark beeinflussender Faktor auf den Prozess der Gesundheitserhaltung und -förderung von Menschen beschrieben (Österreichische Plattform für Gesundheitskompetenz, o. D.). Menschen benötigen Wissen, aber sie müssen auch lernen, in ein prozesshaftes Denken und Reflektieren, in eine Auseinandersetzung mit sich selbst, eintreten zu können. Um in diesen Prozess eintreten zu können, benötigen sie die Möglichkeit, sich auszutauschen. Sie benötigen eine kontinuierliche Ansprechperson, zu der sie Vertrauen haben und eine Beziehung aufbauen können. Dies zeigt sich als sehr wichtige Voraussetzung, damit Menschen sich öffnen und alles mitteilen können, was ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit beeinflusst. Sie benötigen eine Person, mit der sie reflektieren und darüber sprechen können, was sie denken oder fühlen. Eine Person, die nicht wertet oder bewertet und mit der sie in einen Prozess der Stärkung der Wahrnehmung des eigenen Selbst und des Selbstkonzepts eintreten können. Es braucht die Begleitung durch eine Person, die in der Lage ist, das eigene Expertentum zurückzustellen. Menschen, die begleitet werden, sollen selbst als Expert*innen ihrer Lebenswelt gesehen werden. Dies ist eine Haltung oder ein Zugang, den Menschen in Gesundheitsberufen durch evidenzbasierte Konzepte der Gesprächsführung, wie das Motivational Interviewing von Miller und Rollnick (2015) oder das 15-Minute-Family-Interview nach Wright et al. (2021), in der familienzentrierten Pflege erlernen können.

Menschen, die Herausforderungen in gesundheitlichen Belangen erleben, benötigen aber auch die Gewissheit, dass diese Person eingebettet ist in ein Team von Gesundheitsberufen, verschiedenen Professionen und Verantwortlichen in der Gemeinde, ein Team, das prozess- und ergebnisorientiert auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeitet und auf das sie zurückgreifen können, wenn sie merken, dass die Komplexität ihrer Herausforderungen zu groß wird, sie vielseitige Unterstützung benötigen und es selber nicht mehr schaffen können. Ein Team, in denen es den einzelnen Mitgliedern nicht um die eigene Profilierung oder Machtstärkung geht, sondern um das Wohlergehen der Menschen, die sich an sie wenden.

In der Auseinandersetzung der World Health Organization (WHO, 2000) mit der Suche nach einer Berufsgruppe oder einer Person, die diese zentrale Rolle als neutrale Ansprechperson im Gesundheitssystem einnehmen könnte, wuchs die Erkenntnis, dass die Berufsgruppen der Gesundheits- und Krankenpflege und der Hebamme die Grundvoraussetzungen für diese Rolle erfüllten. International ist die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege und Hebamme nicht getrennt, sondern in einem Studium integriert bzw. ist das Studium der Gesundheits- und Krankenpflege die Voraussetzung für das Berufsbild der Hebamme. Das Berufsbild der Gesundheits- und Krankenpflege beinhaltet, wie anfangs bereits aufgezeigt werden konnte, wichtige Grundvoraussetzungen für diese Rolle im Gesundheitssystem.

Internationale Beispiele zeigen bereits, dass eine sogenannte Community Health Nurse,