Grenzenlose Hoffnung - Alvaro Solar - E-Book

Grenzenlose Hoffnung E-Book

Alvaro Solar

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Beschreibung

"Grenzenlose Hoffnung. Erinnerungen in Zeiten der Flucht" hält die häufig so durcheinandergewirbelten und widrigen Lebensgeschichten der Geflüchteten fest; persönliche Geschichten aus ihren Ursprungsländern, über Kindheit und Familie, Arbeit und Leben, ihre Fluchterlebnisse und über all die Schwierigkeiten, hierzulande Fuß zu fassen, sich einzubringen und anerkannt zu werden. Aber eben auch Erzählungen über Sehnsüchte, Wünsche und Lebensziele – mit all ihren Widersprüchen und Zweifeln. Von Alvaro Solar liebe-, respekt- und auch humorvoll erzählt und von Cristina Collao mit fantasievollen Illustrationen ergänzt." Rolf Gössner

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ALVARO SOLAR

GRENZENLOSE

HOFFNUNG

ERINNERUNGEN IN ZEITEN DER FLUCHT

Illustrationen

Cristina Collao

ORIGINALAUSGABE

© 2020 Hirnkost KG, Lahnstraße 25, 12055 Berlin.

[email protected]; www.jugendkulturen-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage Mai 2020

Vertrieb für den Buchhandel: Runge Verlagsauslieferung; [email protected]

Privatkunden und Mailorder: https://shop.hirnkost.de/

Layout:

Alvaro Solar

www.alvarosolar.de

Illustrationen:

Cristina Collao

www.cristinacollao.de

ISBN:

PRINT: 978-3-948675-09-7

PDF:978-3-948675-11-0

EPUB:978-3-948675-10-3

Dieses Buch gibt es auch als E-Book – bei allen Anbietern und für alle Formate. Unsere Bücher kann man auch abonnieren:

https://shop.hirnkost.de/

Dieses Buchist Dank des Mutesjener Menschen entstanden,die sich auf den Weg gemacht haben,um große Entfernungen zu überquerenund sich dem Unbekannten zu stellen.Sie sind die Odysseus’ unserer Zeit,die aufgebrochen sind,um zu ihrer neuen Ithakazu gelangen.

Ihnen allenunseren Respektund unser Mitgefühl.

Theater Aber Andersrum

Alvaro Solar & Cristina Collao

INHALTSVERZEICHNIS

Alvaro Solar & Cristina Collao

Vorwort

Du bist jetzt hier

Bambus

Der Himbeerbaum

Taliban

Ein neuer Tag

Der Brunnen

Mittelfeld

Der Schlüssel

Sperrmüll

Der Plan

Das Kissen

Gesang der Vögel

Der Nebel

Gleichgewicht

Die Badewanne

Ganz normal

Eskimo

Ein Fisch ohne Wasser

Für alles offen

Die Ente

Eine Tafel Schokolade

Das Trojanische Pferd

Die Gitarre

Lärm in Bremen

Grüne Haare

Ich bin eine Frau

Die Königin

Apfelsaftschorle

Unterwegs

Es ist alles in Ordnung

Liebe

Cyrano

Die Krone

Mutter

Liebe und Pizza

Das Monster

Ein echter Zweig

Der Kaiseradler

Bodenkosmetikerin

Die Flügel

Freund oder Feind

Doschka

Heimweh

Champion

Der Weg des Kriegers

Kanzlerin

Ab nach Barcelona

Die Farbe der Liebe

Der Schein trügt

Familie und Heimat

Ich öffne das Fenster

Das Abenteuer Leben

Unbeugsam

Asylantrag

Heimat ist ein Baum

ALVARO SOLAR

Alvaro Solar ist in Chile geboren und lebt seit 1978 in der Hansestadt Bremen, Deutschland. Er ist Schauspieler, Regisseur, Grafik Designer (Hochschule für Künste Bremen), Musiker und Autor. Mit seinen Theaterproduktionen ist er in vielen Länder der Welt auf Tournee gewesen, in Europa, der Karibik, in Lateinamerika und den Golfstaaten. Er hat in Theatern und im Fernsehen als Schauspieler gearbeitet. Für seine künstlerische Arbeit hat er mehrere internationale Preise bekommen. Solar hat Theaterstücke sowohl für Erwachsene als auch für Kinder geschrieben. Sein erstes Buch Socken, Lügen & Wein erschien 2013 im Sujet Verlag in Bremen. Er erhielt 2019 den 2. Preis beim Golden Aster Book Prize für Poesie der Aster Academy in Rom, Italien und war unter den Finalisten beim XIII Orola Literaturpreis 2019 in La Corufia, Spanien. Im September 2020 erscheint sein Gedichtband Metamorphose – Die tödliche Entschlossenheit zu leben.

CRISTINA COLLAO

Die chilenische Künstlerin Cristina Collao lebt seit 2011 in Bremen, Deutschland. Sie ist Szenografin und Malerin. Sie studierte Design mit Schwerpunkt Modedesign am Institut für Design der Katholischen Universität und danach Kunst und Szenografie an der Universität von Chile in Santiago. Seit 1996 ist sie, sowohl in Chile als auch in Deutschland, als Szenografin und Kulturmanagerin tätig. Sie hat mehrere Ausstellungen ihrer Bilder gemacht, u. a. in der Villa Ichon und in der Galerie am Schwarzen Meer in Bremen, in Kollektivausstellungen in Venedig, Italien und im Instituto Cervantes in Hamburg. Collao arbeitet sowohl im Bereich der digitalen Kunst als auch der Ölmalerei und Zeichnung; sie entwirft auch Theaterplakate.

Solar und Collao haben im Jahr 2012 das Ensemble Theater Aber Andersrum gegründet. Sie leben in Bremen und sind ein Ehepaar.

www.theateraberandersrum.de

VORWORT

Rolf Gössner - Anwalt und Publizist. Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte.

Es wird viel und häufig und sehr kontrovers über Migrant*innen und Geflüchtete geredet – aber viel zu wenig reden wir mit ihnen. Viel zu selten lesen wir Authentisches über ihre Schicksale in ihren Herkunftsländern und auf der Flucht, über ihre Situation und Nöte hierzulande, über ihre Hoffnungen und Lebensziele. In dem soziokulturellen Projekt Bremer Kultur ohne Grenzen (Konzept: Cristina Collao), auf das sich das vorliegende Buch stützt, wird mit den Mitteln des biografischen Theaters diesem Manko entgegengewirkt: Hier können sich die Teilnehmenden ein wenig öffnen, hier kommt Verdrängtes zaghaft ans Licht, hier kommen die Betroffenen aus unterschiedlichen Ländern endlich selbst zu Wort. Ein mitunter recht schwieriger Prozess, in dem manche sich verlieren und wiederfinden, in dem andere sich von Ängsten befreien, stärken und emanzipieren und ihren ehedem unterdrückten Phantasien freien Lauf lassen.

Das Buch Grenzenlose Hoffnung. Erinnerungen in Zeiten der Flucht ist aus dem biografischen Theaterprojekt des Ensembles Theater Aber Andersrum (Bremen) hervorgegangen. Die Gründer des Ensembles, Cristina Collao und Alvaro Solar, begannen bereits im Jahr 2015, biografische Theater-Workshops zu veranstalten – zunächst in Chile, in der Stadt Valparaiso, wo sie zum Thema Die noch zu realisierende Reise einen Workshop für junge Schauspieler*innen aus Chile, Peru und Frankreich durchführten.

Ausgehend von dieser Erfahrung und davon inspiriert beschlossen sie, eine künstlerische Antwort auf die globale Migrationskrise zu geben, wie sie ab 2015 die politische Debatte dominierte, die Bevölkerung hierzulande und in ganz Europa beschäftigte und die Gemüter erhitzte. Zurück in der Bundesrepublik begannen sie in Bremen, kostenlose biografische Theater-Workshops anzubieten, darin unmittelbar mit Geflüchteten und Migrant*innen zusammenzuarbeiten und Erkundungen mit der Methode des biografischen Theaters durchzuführen.

In den Workshops nahmen Jugendliche und Erwachsene von 16 bis 80 Jahren teil, Frauen und Männer aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, der Türkei, Ghana, Ägypten, Albanien, Serbien, Kamerun, Irak, dem Iran usw., aber auch junge Erwachsene aus Deutschland oder hier mit Migrationshintergrund geborene Menschen. Nach mehr als zwanzig solcher Zusammenkünfte werden nun die aufschlussreichen, oft erschütternden und spannenden Ergebnisse aus diesen Workshops erstmals veröffentlicht.

Alvaro Solar und Cristina Collao beschreiben Arbeitsweise und Methode des biografischen Theaters so: „Die in diesem Buch präsentierten Geschichten sind mithilfe von Theaterübungen entstanden, die die Erinnerungen stimulieren und die durch intime Betrachtung der eigenen Persönlichkeit den Weg eröffnen, ohne Angst Episoden aus dem eigenen Leben erzählen zu können. Yoga, Körpertraining und Theaterübungen werden während des Workshops mit Rhythmusübungen kombiniert, um psychische Blockaden zu lösen, Ängste zu überwinden und Verdrängtes wiederzuentdecken, die Vorstellungskraft zu entwickeln und das Gedächtnis zu wecken. Sie sollen ihre eigene Biografie aus einer neuen Perspektive betrachten“

Am Ende der Workshops, die jeweils zwölf Tage dauern, ist jede*r in der Lage, sich so weit zu öffnen, um eine kurze persönliche Geschichte zu erzählen, die aus seiner bzw. ihrer eigenen Lebenserfahrung resultiert. Die Teilnehmenden erzählten diese Geschichten am letzten Tag des Workshops in einer öffentlichen „Werkschau“ – entweder auf Deutsch oder in ihrer Muttersprache mit paralleler Übersetzung via Beamer.

Grenzenlose Hoffnung – Erinnerungen in Zeiten der Flucht vereinigt insgesamt 55 solcher biografischen Erzählungen aus den Erinnerungen der Workshop-Teilnehmenden. Es dokumentiert damit die vielschichtigen Resultate dieses Theaterprojekts – dramaturgisch bearbeitet, umgesetzt und herausgegeben von dem chilenisch-deutschen Theaterregisseur und Schauspieler Alvaro Solar. Die chilenische Künstlerin Cristina Collao hat das Buch mit 21 Grafiken illustriert und bereichert, die anlässlich der biografischen Erzählungen entstanden sind und diese ergänzen.

Inhaltlich hält dieses Buch die häufig so durcheinandergewirbelten und widrigen Lebensgeschichten der Geflüchteten fest – persönliche Geschichten aus ihren Ursprungsländern, über Kindheit und Familie, Arbeit und Leben, ihre Fluchterlebnisse und über all die Schwierigkeiten, hierzulande Fuß zu fassen, sich einzubringen und anerkannt zu werden. Aber eben auch, und das steht häufig im Vordergrund, Erzählungen über Sehnsüchte, Wünsche und Lebensziele – mit all ihren Widersprüchlichkeiten und Zweifeln. Von Alvaro Solar liebe-, respekt- und auch humorvoll erzählt und von Cristina Collao mit phantasievollen Illustrationen ergänzt.

Es lohnt sich, auch zwischen den Zeilen zu lesen, um zu erahnen, weshalb über gewisse Prägungen, Erfahrungen und Konflikte nicht oder nur andeutungsweise gesprochen wird. Denn es geht schließlich auch um Not und Elend, Krieg und Terror, Fluchtursachen und Vertreibung, um Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung. Es geht in diesen widersprüchlichen Erzählungen aus unserer zeitgenössischen Einwanderungsgesellschaft eben auch um Leben und Tod, Aufbruch und Ängste, um Verluste und Träume, um Illusionen und Hoffnung.

Dieses Buch und das zugrunde liegende Projekt hätten in jeder europäischen Stadt entstehen können, wo heute verschiedene Kulturen, Religionen, Sprachen und Bräuche dieselbe Erde teilen. Das Buch steht, so verstehen es Alvaro Solar und Cristina Collao, „für Vielfalt, Zusammenleben und Respekt auf Augenhöhe“. Sie beschreiben Ihre Motivation für diese Arbeit folgendermaßen: „In einer Zeit der sogenannten Flüchtlings- und Migrationskrise glauben wir, dass es wichtig ist, persönliche Geschichten und individuelle Schicksale, die für Millionen von Menschen repräsentativ sind, einer interessierten und wachen Öffentlichkeit zur Kenntnis zu geben. Auf diese Weise kann das Theater als künstlerische Form zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus beitragen, die heutzutage leider zur Hauptbastion populistischer und nationalistischer Bewegungen in Europa geworden sind.“ In der grenzenlosen Hoffnung, dass dieses aufklärerische Ansinnen in Erfüllung gehen und Anreiz bieten möge, ähnliche Projekte zu entwickeln und die Öffentlichkeit an ihren Ergebnissen und Erkenntnissen teilhaben zu lassen.

„Das Schönste an Bremen ist,dass hier zurzeit keine Bomben fallen.“

Akil, aus Aleppo, Syrien.

DU BIST JETZT HIER

Mein Name ist Hadi, ich komme aus Syrien.

Als Kind lebte ich in einem kleinen Ort in der Nähe von Qamischli.

Dort gab es eine Schule, aber keine Verwandten oder Bekannten,

bei denen ich leben konnte.

Ich war sieben Jahre alt, als ich nach Kobanê gebracht wurde,

um bei meinen Großeltern zu leben und zur Schule gehen zu können.

Ich war ein kleines Kind und musste

von meiner Familie Abschied nehmen.

Auch von meinen Freunden musste ich mich trennen.

Als der Wagen losfuhr, freute ich mich auf die Schule,

aber gleichzeitig spürte ich eine tiefe Traurigkeit.

Na ja, alles im Leben hat Vor- und Nachteile.

Ich wusste damals nicht, dass ich eines Tages

noch mal alles hinter mir lassen

und wieder so viel Heimweh verspüren würde.

In der Schule saß ich neben einem Mädchen.

Sie hat ständig alles von mir abgeguckt.

Eines Tages sollten wir ein Diktat schreiben,

ich wusste aber nicht, wie das geht.

Man hatte mir gesagt,

dass man bestraft wird, wenn man null Punkte bekommt,

indem man auf die Füße geschlagen wird.

Ich bekam Angst.

Ich schaute zu dem Mädchen neben mir

und diesmal kopierte ich alles, was sie schrieb.

Nicht nur das, sondern auch wie sie schrieb.

Sie hat über die Seite geschrieben, diagonal von oben nach unten.

Es war das reine Chaos.

Ich dachte, das Mädchen sieht schlau aus,

sie weiß, was sie tut, so muss es richtig sein.

Dann gab ich dem Lehrer mein Diktat.

Sie bekam null Punkte. Und ich? Ich natürlich auch.

Wir wurden beide bestraft und auf die Füße geschlagen.

Dann brachten sie uns von Klassenraum zu Klassenraum,

damit alle sehen konnten, wer beim Diktat,

null Punkte bekommen hatte.

Wir sollten uns richtig schämen.

Dabei hat uns der Lehrer ununterbrochen beschimpft.

Er meinte damals, dass das erste Jahr in der Schule

genau definiert, wie der Rest des Lebens sein wird.

Er sagte mir:

„Wenn du jetzt schlecht bist, dann wirst du immer schlecht sein!“

Er meinte auch, dass ohne körperliche Strafe,

ein Kind nicht richtig lernen kann.

Zum Glück ist das in Syrien mittlerweile verboten.

Mein Start in der Schule war also sehr schlecht.

Trotzdem habe ich es geschafft, mein Abitur zu machen

und später an der Universität Betriebswissenschaften zu studieren,

wo ich mit Bachelor promoviert habe.

Von wegen immer schlecht!

Meine Heimat zu verlassen war sehr schwer.

In meiner Erinnerung blieb das Gesicht meiner Mutter,

ihr Lächeln und die Tränen in ihren traurigen Augen.

Meine Frau und ich wussten nicht, was auf uns zukommt.

Wir sind geflohen mit der Ungewissheit,

ob wir überhaupt überleben würden.

Aber wir wollten vom Geräusch der fallenden Bomben weg,

vom Schmerz und Weinen der Frauen und Männer

über den Verlust ihrer Kinder.

Wir haben es geschafft und nun sind wir in Deutschland.

In Bremen fühle ich mich sicher.

Es gibt zwar viele Regeln, auf die man achten muss,

es ist viel zu kalt, es regnet zu oft,

es ist grau und ich muss von null an anfangen.

Aber ich sage mir:

„Du bist jetzt hier!

Die Vergangenheit muss hinter dir bleiben.

Wir sind im richtigen Land angekommen.“

Eine wichtige Verbindung zu diesem Land ist meine Tochter:

Sie ist in Bremen zur Welt gekommen,

in einem Land, das in Frieden lebt.

Wie gesagt, alles im Leben hat Vor- und Nachteile.

Wie in der Liebe.

Nichts ist leicht im Leben.

Man braucht Mut und einen starken Willen,

um das zu erreichen, was man möchte.

Manchmal fühlen wir uns wie Fremde und manchmal wissen wir,

dass unser Leben hier besser ist als das Leben vieler anderer.

Die Liebe, die ich für meine Heimat empfinde,

bleibt weiterhin bestehen, ich vermisse sie.

Meine Kindheit ist dort geblieben,

der Gesang der Vögelchen am Himmel über den Ruinen der Städte.

Eines Tages werde ich zurückkehren,

zu meiner Mutter, zu ihren Tränen,

die in meiner Erinnerung geblieben sind.

Eines Tages werde ich zurückkehren,

zu meinem Vater, der voller Geduld auf uns wartet.

Eines Tages werde ich zurückkehren, zu meinen Geschwistern,

für die das Leben ohne mich bitter ist.

Eines Tages werde ich zurückkehren,

zu meinem Syrien,

das wir in düsteren Zeiten verlassen mussten.

Manchmal wünsche ich mir, dass meine Mutter bei uns ist,

damit sie ihre Enkeltochter umarmen kann.

Dann würde ich ihr auch erzählen,

wie großzügig die Deutschen sind,

wie sie uns unterstützt haben,

wie solidarisch sie sind.

Ich würde die fröhlichen Augen meiner Mutter anschauen

und den traurigen Blick von damals,

als wir unsere Heimat verlassen mussten,

für immer vergessen.

BAMBUS

Ich bin Sheriff und ich komme aus Kamerun.

Seit 2018 lebe ich in Bremen.

Ich bin sportlich und spiele gerne Trommel.

Ich bin gut als Handwerker und kann im Haus gut helfen.

Ich finde die Natur in Deutschland sehr schön,

auch den Respekt vor dem Gesetz.

Und, sehr wichtig, die Sicherheit.

Nicht besonders schön finde ich das Wetter;

in Bremen ist es sehr kalt.

Die Polizei hier mag ich auch nicht.

Na ja, ich mag die Polizei nirgendwo.

Und die Straßenbahn auch nicht,

weil man dort zu eng zusammen ist.

Als Kind wollte ich Automechaniker werden,

es war mein Wunschtraum.

Ich habe damals mit Bambusstäben

meine eigenen Autos gebastelt.

In meinem Dorf gab es damals viele Bambusbäume,

sie waren sehr gut dafür geeignet

weil man sie biegen kann, wie man will.

Bambus ist ein gutes Material, weil es sehr flexibel ist.

Flexibel, aber resistent.

So konnte ich die Form gut bearbeiten.

Ich erinnere mich,

dass ich damals schnell groß werden wollte,

um die Mechanismen eines Motors zu erlernen,

um zu erfahren, wie ein Auto wirklich funktioniert.

Ich bin ein Waisenkind.

Ich war 10 Jahre alt, als mein Vater in meiner Heimat starb.

Er hatte mit seinem LKW einen Unfall.

Mein Vater war sehr zärtlich zu mir, ich war sein Lieblingskind.

Ich durfte sogar manchmal mit ihm mitfahren,

dann waren wir von morgens bis abends zusammen.

Als er den Unfall hatte, war ich noch in der Schule;

der Chef meines Vaters rief meine Mutter an,

um sie zu benachrichtigen.

Als ich nach Hause kam, sagte mir meine Mutter,

dass mein Vater gestorben war.

Ich habe aber nichts verstanden;

ich wusste nicht genau, was sie meinte.

Ich fragte:

„Mama, was bedeutet tot zu sein?“

Sie antwortete:

„Du wirst deinen Vater nie wieder sehen.“

Ich fragte:

„Warum nicht?“

Aber sie antwortete nicht.

Jetzt ist auch sie nicht mehr bei mir,

sie starb vor einiger Zeit hier in Bremen.

Ich bin ein Mensch, der das Leiden

schon im Säuglingsalter erfahren hat.

Meine Mutter war sehr arm.

Mein Leben kann man beschreiben

wie in jenem Satz in der Bibel:

„Mit Schweiß im Gesicht wirst du dein Brot essen.“

Ich bin in einer mittellosen und bedürftigen Familie

geboren, und trotz dieser Armut

wurde ich von meiner Familie liebevoll und herzlich erzogen.

Heute befinde ich mich in Europa.

Hier habe ich keine Eltern, keinen Schutz,

keine Verwandten, hier habe ich nichts.

Ich bin nicht hier, weil ich unbedingt wollte,

ich musste mein Land verlassen, ich floh vor dem Bürgerkrieg.

In meinem Land stehen sich Separatisten

und Sicherheitskräfte der Regierung gegenüber,

Menschen werden dort entführt und getötet.

Mein Leben ist voller Hindernisse

und bitterer Erfahrungen gewesen.

Ich habe viele Schwierigkeiten überwinden müssen,

trotzdem habe ich es geschafft.

Ich habe Rechte wie jeder andere Mensch,

nicht mehr und nicht weniger.

Wenn ich jetzt in Bremen meine Stimme

für meine Rechte erhebe, dann tue ich es,

weil ich weiß, dass es Menschenrechte gibt,

die für alle gelten und wichtiger sind,

als die lokalen Grundrechte eines Landes.

Ich bin dafür, dass alle Migranten,

die sich in der deutschen Gesellschaft

integrieren wollen, akzeptiert werden;

sie sollen legal in Deutschland leben.

Viele sagen, dass wir kein Recht haben, hier zu bleiben.

Warum nicht? Wir sind keine Kriminelle.

Wir wollen nur arbeiten, Geld verdienen,

ein gutes Leben führen wie jeder andere.

Zumindest, dank eines vom Himmel gekommenen Engels,

kann ich mittlerweile in Deutschland die deutsche Sprache erlernen.

Ich besuche endlich eine Schule, etwas,

dass ich mein ganzes Leben machen wollte,

aber nie die Chance hatte, es zu tun.

Ich will die Sprache beherrschen, ich möchte weiterlernen,

ich will für mich eine Zukunft in Deutschland aufbauen.

Ich möchte weiter zu Schule gehen und danach eine Ausbildung

im Bereich der Elektromechanik absolvieren.

Jetzt wo ich erwachsen bin, möchte ich natürlich lernen,

wie die Mechanik funktioniert, die zur Bewegung eines Autos führt.

Wenn ich in die Zukunft schaue,

dann sehe ich mich als Automechaniker arbeiten.

Ich habe meine eigene Werkstatt und einige Mitarbeiter.

Ich wünsche mir für meine Zukunft ein schönes Haus,

eine gute Frau, vier Kinder,

und natürlich das schönste Auto der Stadt.

Ich bin sicher, ich werde es schaffen,

weil ich wie der Bambus meines Dorfes in Afrika bin:

stark und resistent, aber flexibel.

DER HIMBEERBAUM

Ich bin Ayman und komme aus Syrien.

Ich bin in einer Ortschaft, die wie ein Gebirgsdorf aussah,

groß geworden.

Im Garten hatten wir Granatapfelbäume,

Oliven und Apfelbäume.

Auch einen Himbeerbaum hatten wir.

Er war sehr groß und sein Stamm war glatt.

Deshalb war es sehr schwierig für uns, am Baum hochzuklettern.

Das ging nur mit einer Leiter.

Auf unserem Himbeerbaum haben

mein kleiner Bruder und ich ein Baumhaus gebaut.

Mein Bruder war sieben und ich zehn Jahre alt.

Mein Lieblingsspiel war damals „die Biene“.

Man versucht dabei, den Gegner

auf die Hände zu schlagen.

Ich sagte immer meinem Bruder, er soll richtig hart zuschlagen.

Als ob er eine richtige Biene wäre.

Ich wollte immer draußen sein,

mit den Kindern der Nachbarn,

Drachen in die Luft steigen lassen oder Fußball spielen.

Ich freute mich immer, wenn wir Gäste zu Hause hatten,

weil meine Mutter sich dann mit ihnen beschäftigte

und wir Kinder länger spielen durften.

Sie merkte nicht, dass es für uns schon Zeit war zum Schlafen.

Ich freute mich besonders,

wenn unser Onkel zu Besuch kam.

Er war Psychiater und alle mochten ihn, besonders die Frauen.

Ich wollte eines Tages wie er sein.

Er spielte oft mit mir und ich bekam von ihm viele Geschenke.

Einmal schenkte er mir ein Flugzeug mit Fernbedienung.

Alle waren auf mich neidisch.

Als Kind war ich sehr laut und voller Energie.

Ich wollte immer viele Freunde um mich haben.

Niemand sollte schlecht gelaunt oder gelangweilt sein.

Ich habe viel getan, damit das so ist.

Deshalb sind alle vor mir geflohen.

Aber andere haben mich eben wegen meiner Energie sehr geliebt.

Trotzdem fühlte ich mich damals oft sehr einsam.

Ich wollte einen Bruder haben.

Einen Bruder so groß wie ich und im selben Alter.

Hatte ich leider noch nicht.

Dafür aber hatte ich einen Cousin.

Er war genauso alt wie ich, aber etwas kleiner.

Mein Cousin war wie ein Mafiaboss.

Er hat mich benutzt wie ein Instrument.

Wie sein Instrument.

Er war nicht so stark wie ich.

Deshalb war er nicht in der Lage

die andere Kinder zu dominieren.

Also musste ich die Dreckarbeit machen, z.B. jemanden bestrafen.

Ich liebte meinen Cousin, deswegen habe ich es gemacht.

Alle hatten Angst vor mir und sie waren sauer auf mich.

Als ich sechs Jahre alt war, ist mein Bruder zur Welt gekommen.

Als er größer wurde, ersetzte ich meinen Cousin durch ihn.

Meine Kindheit war eine Welt der Fragen und Mysterien.

Wenn ich etwas sah, wollte ich sofort alles darüber wissen.

Wenn ich zum Beispiel ein Spielzeug von meinem Vater bekam,

musste ich es sofort auseinandernehmen,

um herauszufinden, wie es funktioniert.

Das hatte einen Nachteil:

als ich es wieder zusammenbaute,

blieben oft einige Teile übrig.

Ich bin jemand, der eher den schwierigen Weg nimmt.

Mich interessiert der einfache nicht besonders.

Als Kind versuchte ich unter dem Sofa durchzukommen,

oder mich im Kühlschrank zu verstecken.

Manchmal hing ich lange an einer Deckenlampe.

Wie eine Katze.

Meine Mutter war sehr geduldig,

sie versuchte mir voller Güte zu erklären, was gut und was böse ist.

Sie hatte einen Friseursalon; manchmal habe ich ihre Föhne

auseinandergenommen und sie repariert.

Auch wenn ab und zu ein Teil übrig blieb,

haben sie danach gut funktioniert.

Wie gesagt, ein Mysterium.

In der Schule hatte ich gar keine Freunde.

Ich hatte für sie keine Zeit.

Meine Zeit war mit meiner Krankheit beschäftigt:

Ich hatte Krebs.

Ich sah damals nicht besonders gut aus:

Keine Haare auf dem Kopf, keine Augenbrauen, keine Wimpern.

Eigentlich wie ein kleiner Alien.

Wenn Sie mich fragen:

Ich hätte mit mir auch nicht gespielt!

Schuld daran waren die stinkigen, hässlichen Medikamente,

die ich im Krankenhaus immer wieder eingespritzt bekam.

Manchmal sogar alle vier Stunden.

Die Spritzen waren sehr schmerzhaft.

Manchmal habe ich wie ein Wahnsinniger geschrien

und wollte aus dem Krankenhaus fliehen.