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Die in Vollmersweiler lebende ehemalige Politikerin Heinke Salisch (SPD) trifft auf den aus Vollmersweiler stammenden politischen Korrespondenten und Journalisten Peter Schmalz (CDU) und arbeitet mit ihm in einem zunächst einseitigen Dialog ihre politische Vergangenheit auf. Als Peter Schmalz schließlich den Ball aufnimmt, zeigt sich, wie sehr sich ihre Lebenswege ähneln. Ihre bewegenden Insider-Berichte lassen die letzten dreißig Jahre des vergangenen Jahrhunderts Revue passieren und teilweise in einem neuen Licht erscheinen.
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Seitenzahl: 85
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für meine Söhne José und Luis
Begegnung und überraschende Entdeckungen
Gedanken an Zuhause und wie es anfing
Politische Gehversuche
Anspruchsvolle Jahre
Onorevole
Ti voglio bene
Keine Weide für Platzhirsche
Zurück in die Kommunalpolitik
Meisterlicher Umgang mit Hindernissen
Aus dem Fotoalbum
Rückblenden
„Of course, I've seen you”
Champagne, Madam?
Gastgeschenke
Ochsentour, Siege und Niederlagen
Blühende Autowracks und tote Brutkästen
Andere Welten, neue Freiheit
Big Five und Bad auf der Schiene
Schnarchen Erster Klasse
Pan y Arte
Intermezzo
Noch einmal ein Blick zurück
Die Maschine des Königs
Libanon
Epilog
Glossar
Sommer 2024: Ein kleines Dorf am Rande der Südpfalz, nahe der französischen Grenze: Vollmersweiler. Seit zwanzig Jahren lebe ich hier auf einem Bauernhof, den ich gekauft und restauriert habe. Hier bezog Peter Schmalz mit seinem Enkel Dario für ein paar Tage Quartier. Meine Nachbarin Elke Nagel, deren Familie am Ort ein kleines Weingut betreibt, hatte die beiden an mich vermittelt, da sie wusste, dass es auf meinem Hof eine Ferienwohnung gab. Ich erfuhr nichts weiter über meine Gäste, als dass Peter Schmalz Wurzeln in Vollmersweiler hat und Dario, der Enkel, sich hier umsehen und die Pfalz kennenlernen wollte.
Um meinen Gästen Umstände zu ersparen, hatte ich angeboten, das Frühstück für sie privat zuzubereiten. Wie vereinbart klopfte es Punkt neun Uhr. Es erschienen: ein sportlicher Herr im Freizeitlook und ein schlaksiger Teenager, eher schweigsam. Beide sehr korrekt und höflich.
Herr Schmalz brachte mir eine Ausgabe des vom Münchner Presseclub herausgegebenen Magazins mit, und ich servierte Kaffee und Eier. Ein erstes Kennenlernen, Sympathie, Verabschiedung bis zum nächsten Tag - gleiche Zeit, gleicher Ort.
Den Nachmittag - es war einer dieser toskanischen Pfälzer Sonnentage - verbrachte ich, neugierig geworden, mit der Magazinlektüre im Garten. Und: Überraschung, Peter Schmalz entpuppte sich als Journalist und nicht als irgendeiner. Davon hatte Elke nichts gesagt.
Wikipedia-Eintrag Peter Schmalz:
„... ist ein deutscher Journalist. Nach seinem Abitur und dem Studium der Geschichte und Germanistik in Würzburg volontierte Schmalz beim Fränkischen Volksblatt. ... Anschließend war er Redakteur bei der Bildzeitung in Stuttgart und der Abendzeitung in München. 1976 wurde er politischer Korrespondent der Tagezeitung Die Welt in Bayern. ... 1990 wechselte er nach Berlin, wo er für Die Welt ein Deutschlandressort für die Neuen Länder aufbaute. 1994 wurde er Chefreporter der Die Welt und bereiste in den folgenden Jahren vor allem den asiatischen Raum. 1999 ging er als politischer Korrespondent für Süddeutschland nach München zurück und bereitete eine Bayernausgabe der Welt vor. Von März 2001 bis Oktober 2008 war er Chefredakteur des Bayernkurier. ...“
Ohlala, da geriet ich ins Staunen. Seine Funktionen im Presseclub und die Orden, die Herr Schmalz erhielt, seien übersprungen.
Nächster Morgen, Kaffee, Eier und reichlich Gesprächsstoff. Die Magazinnummer, die mir Peter Schmalz mitgebracht hatte, enthielt ein paar Namen, die Erinnerungen auslösten, wie Prantl und Stauffenberg. Wir kamen an diesem zweiten Morgen unserer Begegnung in Vollmersweiler ins Reden, zwischen Marmeladenbrötchen und Eierverzehr. Schließlich hatte auch ich nach vierzig Jahren in der Politik einiges zu bieten.
Eintrag Heinke Salisch bei Wikipedia:
„Heinke Salisch ist eine deutsche Politikerin (SPD). Nach dem Abitur studierte Salisch angewandte Sprachwissenschaften in Mainz und schloss 1965 als Diplomdolmetscherin ab. Anschließend war sie bis 1979 freiberufliche Konferenzdolmetscherin. ... Bereits 1971 wurde Salisch Stadträtin in Karlsruhe, diesem Gremium gehörte sie bis 1988 an. Bei den ersten europäischen Direktwahlen 1979 wurde Salisch in das Europaparlament gewählt und 1984 sowie 1989 im Amt bestätigt. Bis 1996 war sie Europaabgeordnete. Von 1995 - 2003 war sie Bürgermeisterin in Karlsruhe und leitete das Baudezernat.“
Es war völlig klar, dass wir Sprösslinge unterschiedlicher politischer Lager sein mussten. Das war nicht der Rede wert. Wir sprachen unter anderem von Brandt, Delors, Merz und Giovanni Falcone, wir sprachen über Italien, das die Heimat von Darios Vater, dem Sizilianer, ist. Wir erwähnten ferne Länder. Und nun saßen wir hier an diesem Ort, wo vor Zeiten die Kühe das Sagen hatten und die Frauen die Wäsche im Otterbach wuschen. Hinaus in die weite Welt, zurück aus der weiten Welt: Begegnung in Vollmersweiler.
Abschied am nächsten Morgen. In Gedanken hing ich meinen Gästen nach.
Wochen waren vergangen, mein Geburtstag kam, ich lag mit Schnupfen und gebührendem Selbstmitleid im Bett. Da, plötzlich, unter den Glückwünschen Grüße aus München von Peter Schmalz. Er hatte sich die Mühe gemacht ... Eine wunderbare Überraschung!
Und sofort begann es zu ticken: Warum nicht weitermachen mit den Nachklängen unserer Erlebnisse, so ganz persönlich. Schmalz reagierte zurückhaltend. Was war, war. Nein, es wirkt!
Er hatte etwas von der Befriedigung durch ein erfülltes Leben geschrieben und sprach am Telefon von seiner Inanspruchnahme durch seine aktuellen Dates und das Recht auf Muße. Schreiben, nein, sprechen miteinander, ja. Ich wünsche mir mehr. Das ist der Stand. Wird es mir gelingen, Peter Schmalz davon zu überzeugen, dass wir festhalten sollten, dass wir etwas erlebt und bearbeitet haben, was es so nie mehr geben wird, dass wir Menschen getroffen haben, die von geschichtlicher Statur waren oder einen moralischen Kompass besaßen, den sie zum Teil teuer bezahlen mussten? Wir haben außergewöhnliche Entscheidungen mitbestimmt und Situationen geprägt, er in Berlin, ich in Europa. Kein Geschichtsbuch soll das werden. Vielmehr soll von dem Staunen, dem Zauber und vielleicht auch von der Trauer die Rede sein, die wir ganz persönlich empfunden haben und empfinden, wenn wir zurückblicken. Warum gerade Peter Schmalz? Mir gefällt die Vorstellung, einen Partner zu haben, der politisch anders tickt als ich. Ich fand ihn so bedacht und seriös hier an meinem Frühstückstisch.
Danach werde ich auch Peter Schmalz fragen, aber ich fange einfach mit mir an.
Ich wurde im August 1941 in Grevenbroich geboren. Hape Kerkeling hat diese Stadt zwischen Köln und Düsseldorf mit seinem Song „Ich bin in Grevenbroich geboren“ bekannt gemacht. Ich also auch. Ich bin ein Kriegskind. Wir wurden ausgebombt, wurden evakuiert und lebten bis zum Ende des Krieges in Tente, im Bergischen Land.
Ich habe keine Erinnerung an Kriegsgeschehen, dazu war ich zu klein. Aber an das Haus in Tente mit den vielen Kindern (ich selbst war ein Einzelkind) und mit „Tante“ Betty erinnere ich mich. Tante Betty war eine Gute mit einem großen Herzen und einem Nazi-Mann. Ihr riesiger Rucksack war gepackt. Endsieg? Blödsinn! Im Gegensatz zu meinem Vater war dieser Mann zu Hause, in seinem Betrieb und produzierte „für den Führer“. Betty hat das Führerbild schnell genug von der Wand genommen, bevor die Amerikaner kamen.
Überhaupt – die Amerikaner! Jubel bei uns Kindern: Es gab Süßes! Die ersten „Schwarzen“, eine Mitbewohnerin war schreiend davongelaufen bei ihrem Anblick. Wir wurden befreit und kehrten in unser kaputtes rheinisches Zuhause zurück. Kohlenklau, Hamstern, es muss für meine gutbürgerlichen Erwachsenen eine aufregende Zeit gewesen sein. Ich habe ihre Erzählungen später mit roten Backen verfolgt – meine Mutter beim Kohlenklau, unglaublich.
1947/48 kamen die ersten Männer aus dem Krieg zurück, getürmt aus Russland der eine, entlassen aus französischer Gefangenschaft der andere – mein Vater. Was hätte ich schon verstehen können?
Meine Mutter hatte zum zweiten Mal geheiratet, ihr erster Mann hatte sich erschossen, ihr erster Sohn war nach einem Aufenthalt in einem Camp der Hitlerjugend an TBC gestorben. Schweigen, neues Kapitel, neuer Mann, neues Kind, Aufbau. Ich glaubte zu wissen, in meinem Umfeld fanden sich keine menschenverachtenden Nazis. Im Gegenteil, Menschen waren vor den Hitlervasallen versteckt worden. Wie ich später lernen musste, hatte es auch in Grevenbroich viele Judenverfolgungen gegeben.
In welche Gesichter sah ich in meiner Heimatstadt?
Meine Mutter wurde 1905 geboren, die beiden Schwestern waren früh gestorben, ihre beiden Brüder Fritz und Willy Jahre älter. Ihre Geschichte hatte etwas Romanhaftes für mich. Ehen und Tragödien, reif für die „Bunte“. Mein Onkel Fritz war ein mächtiger Industrieboss, dafür ging er nach dem Krieg ins Gefängnis, mein Onkel Willy war Fotograf, wurde später CDU-Bürgermeister und brachte mich mit der Politik in Kontakt. Ich glaube, meine Mutter führte für die damaligen Verhältnisse ein recht selbstbestimmtes Leben, sie hatte eine gewisse Schulbildung erhalten und machte sich mit einem Rauchwaren- und Sportwaffengeschäft im Elternhaus im Zentrum von Grevenbroich, auf der Breitestraße, selbstständig. Dort trafen sich die Geschäftsleute zum „Zigarrenkolloquium“, das war der Quell der Neuigkeiten aus Männermund. Die Frauen hatten ihr „Radio“ in der Heißmangel. Ja, so etwas gab es damals, und es roch dort wunderbar nach frischer Wäsche und geheimen Romanzen. Bei den Männern hing eher dicker Qualm im Raum.
An der Quelle saß auch ich, ich konnte meine pubertierenden Kumpels für das heimliche Rauchen mit Zigaretten versorgen. Ach, wunderbare Overstolz, gute HB und exotische Senoussi. Euch verdanke ich mein Teenageransehen.
Unsere Wohnung war nach dem Krieg Treffpunkt für kulinarische Herrlichkeiten: Bohnenkaffe und Streuselkuchen. Meine Mutter schaffte es mit den Zigaretten, nach denen gelechzt wurde, immer wieder, Butter, Zucker, Eier und andere außergewöhnliche Zutaten zu tauschen.
Wir Kinder hatten unsere Gaudi, wenn St. Martin oder Nikolaus gefeiert wurde. Mein Zuhause war ein kleiner gesellschaftlicher Hotspot. Es gab keine Umarmungen, wohl aber Selbstverständliches und bürgerliche Contenance.
Dahinter? Als Kind habe ich lange ins Bett gemacht. Was hat mich beunruhigt? Es wurde oft eingebrochen in den Geschäften, auch bei uns. Die Ehe meiner Eltern war schlecht. Ich erinnere mich an böse verschwiegene, kalte Sonntage in späteren Jahren. Aber ich erinnere mich auch, dass es in unserer Hausgemeinschaft immer einen tröstenden Menschen gab.
Mein Vater trat wenig in Erscheinung, es sei denn in den Krächen mit meiner Mutter. Die Schiedsrichterrolle, die mir zugedacht wurde, muss mich belastet haben. Meine Mutter entschied über meine Schulbildung und schickte mich Mitte der 1950-er Jahre als 14-Jährige nach Frankreich, danach nach England und wieder ein Jahr später erneut nach Frankreich. Ich lernte Klavierspielen, spielte Weihnachtslieder auf der Blockflöte und bekam Geigenunterricht. Die Sprachen schlugen ein, die musikalischen Erfolge blieben mäßig. Heute lebe ich umgeben von Musikern, Könnern auf ihren Instrumenten, und weiß, warum Kunst nicht vom Wollen kommt.
Ich war mau in Mathe, machte auf dicke Backe, weil mir die Sprachkenntnisse halfen, und studierte auch Sprachen nach meiner Schulzeit. Es war nicht leicht, den Einstieg in die Freelancer-