Gunther Emmerlich - Zugabe - Gunther Emmerlich - E-Book

Gunther Emmerlich - Zugabe E-Book

Gunther Emmerlich

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Beschreibung

Schon 2007 hatte Gunther Emmerlich seine Freude am Schreiben entdeckt - und sein Talent dafür. Sein erstes Buch 'Ich wollte mich mal ausreden lassen' wurde ein voller Erfolg, und damals schrieb er mehr im Spaß: "Mein Beruf gehört bei mir auch zu den schönen Dingen des Lebens, mittlerweile auch das Schreiben. Darüber bin ich sehr glücklich. Das ist eine Drohung!" Diese "Drohung" hat er nun, zur Freude seiner vielen Fans, endlich wahrgemacht: In 'Zugabe. Anekdoten, Ansichten und anderes' erzählt Gunther Emmerlich mehr aus seinem bewegten Leben: Erlebtes und Gedachtes, Freudiges und Heiteres, Trauriges und Wehmütiges, Denk- und Erinnerungswürdiges. Wie gewohnt erzählfreudig und humorvoll setzt sich der Autor mit den verschiedensten Themen auseinander: mit dem Altwerden und dem Jungbleiben, mit Heimat und Fremde, mit Barkeepern und Gauklern, mit Ritualen und Ungewohntem, mit Fans und Stars, mit Verständlichem und Missverständlichem, mit Familie, Freunden und Schwiegermüttern. Seine geistreichen Anekdoten sind Streifzüge durch Ost und West, durch Politik und Geschichte, durch Kunst und Kultur - kenntnisreich, selbstironisch, mit ernstem Anliegen und doch augenzwinkernd. Die lang erwartete literarische Zugabe des erfolgreichen Entertainers und Bestsellerautors!

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Seitenzahl: 231

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Gunther Emmerlich

ZUGABE

Anekdoten, Ansichten und anderes

Schwarzkopf & Schwarzkopf

Für meine Enkelin Eleonora Lucia

Statt eines Vorwortes

Meine Begrüßungsworte anlässlich meines 65. Geburtstages

Liebe Freunde, Verwandte und Vorgesetzte!

Das eine muss das andere nicht ausschließen, aber einen befreundeten Vorgesetzten, mit dem ich obendrein auch noch verwandt gewesen wäre, hatte ich nie. Auch diese Dreifaltigkeit ist wohl ohne den Heiligen Geist kaum zu machen. Wie sagte schon der große Philosoph Wolfgang Stumpf: »Ganz scheen wird’s nie.« Und so hat man eben nie alles Gute beieinander, aber dass ihr Guten heute alle beieinander seid, freut mich sehr, und ich bedanke mich, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid.

Diese Einladung begann mit den Worten: »Ich hab’s kommen sehen …!« Und dieser Satz gehört zu einem der logischsten und philosophischsten Witze, die ich kenne. Es ist ein sehr alter Witz, aber ältere Herren erzählen gelegentlich auch ältere Witze. Aus purer Rücksichtnahme lachen die Zuhörer dennoch, also enttäuscht mich nicht!

Ein Seeräuber steht auf der Brücke seines gekaperten Schiffes und schaut gen Himmel nach dem Wetter. Just in diesem Augenblick fliegt eine Möwe vorüber und scheißt unserem Seeräuber ins Auge. Daraufhin sagt er: »Ich hab’s kommen sehen!«

Es ist nicht tragisch, 65 zu werden, tragisch ist es, nicht 65 zu werden. Deshalb ist es mir gewissermaßen ein Herzensbedürfnis, Herrn Dr. Matschke zu begrüßen, dem ich es zu verdanken habe, dass der Bass noch brummt und ich darüber hinaus sogar über By(p)bässe verfüge. Somit kann er auch bezeugen, dass ich ein Herz habe, falls es diesbezüglich bei irgendjemandem Zweifel gegeben haben sollte.

Eleonora Lucia möchte ich noch begrüßen, denn sie ist erst seit sechs Wochen auf der Welt und damit meine jüngste Enkelin.

Ohne die Wichtigkeit aller anderen nur ansatzweise unterschätzen zu wollen, nenne ich jetzt keine weiteren Namen, bin euch aber allen sehr dankbar, dass ihr ein gutes Stück des Weges mit mir – bis hierher – gegangen seid.

Ich danke also nicht nur meiner Wandergruppe »Bündnis ’98 / DIE BLAUEN«, durch die ich aber weiß, dass eine Rast erst nach einer großen Anstrengung eine Lust ist.

In diesem Sinne wünsche ich uns heute eine angenehme Rast – und ab morgen wieder mit Lust gegen den Rost – Prost!

1

Rituale

Alle Sänger helfen sich vor der Vorstellung mit den unterschiedlichsten Ritualen, um den Anforderungen des Abends gerecht zu werden. Es sind Rituale des Glaubens, des Aberglaubens und der völligen Gottlosigkeit. Der Glaube ans Ritual muss jedenfalls unerschütterlich sein. Egal was da gelutscht, getrunken und massiert wird, es hilft vor allem dem Kopf und ist somit unerlässlich.

Die unbestreitbare Tatsache, dass ein leichter Schnupfen für den Gesang förderlich ist, hat eine berühmte Sängerin zu einem außergewöhnlichen Ritual veranlasst. Bei anspruchsvollen Partien, zum Beispiel in Opern von Richard Strauss, hat sie am Morgen ein langes, kaltes Fußbad genommen. Eiswürfel haben den erkältungsfördernden Vorgang beschleunigt. Erst nach dem ersten Nieser hat sie das Prozedere beendet und sich anderweitig auf den Abend vorbereitet, Text repetiert etc. Sie war eine großartige Sängerin, sicherlich auch dank der Fußbäder und vor allem dank des festen Glaubens daran.

Sinnliche durchblutungsfördernde Maßnahmen werden sehr unterschiedlich gehandhabt. Ob nun vor oder nach der Vorstellung, oder beides, oder beides nicht, wird sehr individuell praktiziert. Während der Vorstellung gibt’s kaum Gelegenheiten. Wie gesagt, der einen hilft’s, dem andern schadet’s, oder umgekehrt. Vielleicht finden sich Gleichbedürftige, man möchte es ihnen wünschen. Nicht, dass ich etwas gegen den Nachmittagsschlaf vor der Vorstellung hätte, nein, nein – aber den bitte allein, nur mit einem Kräuterbonbon, das nicht von den Finnen erfunden wurde.

Auch über diese Dinge hinaus sind dem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt. Kopfstand und Yogaübungen gehören genauso dazu wie Spaziergänge, Freiübungen, viel Schlaf, kalte Wickel und heiße Bäder. Gesangsübungen und Textwiederholungen sind das Einfallsloseste, aber dennoch am weitesten verbreitet. Mein Gesangslehrer Prof. Hans Kremers sagte – allerdings erst am Ende des letzten Studienjahres: »Der beste Gesangslehrer ist der Schlaf!« Im Gegensatz zu allen anderen Ritualen ist das wahrscheinlich das allgemein Verbindlichste; hier sind die Geschmäcker nicht verschieden, den braucht jeder. Selbst der teuerste Sänger ist unausgeschlafen keine müde Mark wert. Das heißt aber noch lange nicht, dass jeder ausgeschlafene Sänger ein guter Sänger ist.

Der Sänger mit Schal und Kopfbedeckung scheint zwar typisch, kommt aber nur noch selten vor. Emmerlich mit Hut gab’s nie, auch weil ich dachte, da fallen die Haare aus. Diese Überlegungen haben mich oft frösteln lassen, die Haare sind dennoch bedeutend weniger geworden.

Ein großes Thema mit kontroversesten Ansichten ist das Essen am Tag der Vorstellung. Mögen es andere anders machen, ich habe für mich entschieden: am Tag der Vorstellung oder des Konzertes gut frühstücken, kein Mittagessen und am späten Nachmittag ein Butterbrötchen mit etwas Salz. Dazu einen doppelten Espresso. Größere Mahlzeiten machen faul und beeinträchtigen so den Singsang.

Unmittelbar vor der Vorstellung ein nicht-finnisches Bonbon. Ein kräftiges »toi, toi, toi« beschließt die Vorbereitungen, auf dass der Gesang für die Zuhörer und auch für den Verursacher eine Lust werde. Dieses berühmte »toi, toi, toi« hat nichts mit dem Teufel zu tun, sondern ist das lautmalende, glückverheißende Spucken über die linke Schulter. Es hilft noch mehr, wenn man sich dafür nicht bedankt. Warum? Keine Ahnung. Es ist so.

Zurück zum Butterbrötchen. Zu Hause mache ich mir ein Brötchen mit Butter, eine Prise Salz drauf, zuklappen und fertig. Unterwegs gibt es oft ungeahnte Komplikationen. In kleinen familiär geführten Hotels, die ich besonders schätze, ist dies kein Problem. Die Hausherrin geht wie Muttern in die Küche und macht es, das Butterbrötchen. Je größer das Hotel, desto unerfüllbarer scheint das Anliegen. Die diesbezüglichen Dialoge bekommen manchmal groteske Züge. Das hört sich dann zum Beispiel so an:

Ich: »Ich hätte gern ein Butterbrötchen mit einer Prise Salz und einen doppelten Espresso.«

Kellner: »Was möchten Sie für einen Belag auf das Brötchen haben?«

Ich: »Butter – und ein wenig Salz.«

Kellner: »Wir hätten da Käse, Schinken und Salami.«

Ich: »Ich hätte gern ein Butterbrötchen.«

Kellner: »Aber irgendwas werden Sie doch drauf haben wollen.«

Ich: »Ja, Butter … und Salz.«

Kellner: »Komisch. Ich kann in der Küche ja mal fragen, ob noch Lachs da ist.«

Ich: »Ich möchte aber ein Butterbrötchen.«

Kellner: »Ist klar … Moment bitte.«

Jetzt geht die Bedienung zu einem älteren Mitarbeiter an die Rezeption. Sie zeigt unverhohlen zu mir und macht dem Herrn gestisch deutlich, dass da einer sitzt, der offenbar nicht ganz dicht ist. Der Mann beschwichtigt den Kellner mit dämpfender Geste. (Mir war so, als habe er gesagt: »Der ist Künstler, die sind generell nicht ganz normal und haben manchmal auch extravagante Wünsche!«) Dann greift er zum Telefon. Die Art, wie er da steht und den Hörer hält, lässt vermuten, dass er mit der Chefetage spricht. Anschließend unterrichtet er den Kellner beflissentlich vom Ergebnis der Beratung auf höchster Ebene. Dieser nimmt den Beschluss des hohen Rates untertänigst zur Kenntnis und kommt an meinen Tisch wie jemand, der ein unlösbares Problem gelöst hat. Er atmet tief durch und sagt: »Ihr Butterbrötchen haben wir zwar nicht im Angebot, aber ausnahmsweise wird die Küche angewiesen, für sie eins anzurichten.«

Ich: »Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Schwierigkeiten bereite.«

Kellner: »Na ja, das machen wir schon mal, weil Sie’s sind.«

(Wer ich bin, weiß er erst seit einer Minute.)

Nach weiteren fünfzehn Minuten kommt er mit einem Teller, auf den mühelos zwanzig Butterbrötchen passen würden. Die zwei halben Brötchen sind viel zu dünn mit Butter bestrichen, dafür wurde am Salz nicht gespart. Das Ganze wird umrahmt von halbierten Partytomaten, die von der ganz kleinen Sorte. Der Tellerrand ist kunstvoll garniert mit gehackter Petersilie und gehacktem Schnittlauch. Ein kleines Stiefmütterchen krönt das Arrangement. Die Kalkulation, die sie in Windeseile aus dem Boden gestampft haben, nennt er mir unverblümt:

4,60 Euro für die zwei halben Brötchen im Luxusambiente + 4,20 Euro für den doppelten Espresso

Hätte ich doch nur ein etwas weniger extravagantes Ritual.

2

Die Fankurve

In einem Schlager heißt es: »Die Fans sind eine Macht, wer keine hat, gut’ Nacht, und sind es auch nur sieben oder acht.«

Es ist schon ein Gottesgeschenk, über eine Gabe zu verfügen, mit der man anderen eine Freude machen kann. Die kollektive Hinwendung zu einer Fußballmannschaft, zu einem Parteivorsitzenden oder zu einem Radfahrer ist ein Phänomen, aber auch wenn der Sänger seine Sache gut gemacht hat oder den Nerv der Leute traf (was nicht zwangsläufig ein und dasselbe sein muss), bleiben Fans nicht aus. Wohl dem, der welche hat.

Es gibt Berufe, die man unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausüben muss. Der Beruf des Sängers gehört nicht dazu. Leere Säle sind nur akustisch günstig. Bei der Gelegenheit ein herzliches Dankeschön all jenen, die durch ihre Anwesenheit zwar immer wieder die Akustik beeinträchtigen, aber ansonsten dem erfreulichen Theaterabend sehr dienlich sind. Sie gaben immer ihr Bestes. Wenn bei mir manchmal Wünsche offen blieben, Verzeihung, da war eben nicht mehr drin. Auch das Beste kann mitunter unzureichend sein. Ich hatte mir an manchem Montagabend von Ihnen auch mehr versprochen. Wie oft waren Sie am Samstagabend wie ausgewechselt. Wir haben eben alle das Recht auf unvollkommene Tage und Abende. Meine Hochachtung Ihnen gegenüber bleibt davon unberührt.

Meine erste eigene Fernsehsendung lief von 1987 bis 1990. Die Zuneigung, die diese »Showkolade« des DFF mit sich brachte, war überwältigend, liebevoll und rührend zugleich. Zum Maskottchen der Sendung wurde das Schokoladenmädchen von Liotard, verkörpert durch die bezaubernde Tänzerin Nadja Puls. Allein dieses Schokoladenmädchen habe ich in unzähligen Ausfertigungen bekommen: in Schokolade gegossen – natürlich –, mit Lebkuchenteig gebacken, in Holz geschnitzt, kunstvoll mit Bast gebastelt, gestickt, geklöppelt und auf Porzellan gemalt. Die Phantasie war grenzenlos. Diese Sendung fand jeweils in einem anderen Theater statt und ein Ehepaar schrieb mir, dass sie die »Showkolade« vorm Fernseher im Abendkleid bzw. Smoking ansehen, eben als Theatervorstellung genießen würden. Man bekommt so erfreulich viel zurück, wenn man anderen eine Freude machen kann.

Aber auch liebenswert durcheinander können Fans sein. Eine ältere Dame machte einmal einen Knicks, nachdem sie ein Autogramm bekommen hatte, und sagte dabei: »Sie sind doch mein Fan …« Als ich dann fragte: »Und, wie sieht’s umgekehrt aus?«, schaute sie mich listig an und sagte: »Immer ’nen Schalk auf’n Lippen …« Und wir hatten beide was zu lachen.

Zwei Herren sahen mich im Abstand von 50 Metern und waren unterschiedlicher Meinung, ob ich’s nun bin oder nicht. Der mit der richtigen Vermutung ging siegesgewiss auf mich zu und fragte forsch: »Sind Sie manchmal Gunther Emmerlich oder nicht?« Ich sagte: »Nicht nur manchmal …« Seinem immer noch 50 Meter entfernten Verwandten oder Bekannten zeigte er triumphierend den Siegesdaumen und mir machte er allerlei Komplimente, die kaum ein Künstler ungern hört. Seine nicht enden wollende Lobeshymne sollte mit einer überaus schmeichelhaften Bemerkung über meine Stimme ihr vorläufiges Ende finden. Es wurde auch Zeit, denn allzu viel Lob verdirbt den Charakter. Er sagte: »… und Ihre Stimme – die ist ja indiskutabel …« Was auch immer er sagen wollte, selbst Loben will gelernt sein.

Eine Frau stand am Bühneneingang des Theaters. Als ich darauf zuging, stellte sie sich mir in den Weg und fragte, indem sie ihre Hände fest in die gut gepolsterten Hüften stützte: »Na, erinnern Sie sich?!« Ich wusste beim besten Willen nicht, woran ich mich erinnern sollte. »Na, nun denken Sie doch mal ’n bisschen nach!« Ich sagte: »Tut mir leid, Sie müssen mir helfen.« »Also Herr Emmerlich, es ist gerade mal acht Jahre und drei Monate her, da hab ich Sie schon mal hier abgepasst. Hier ist der Beweis.« Sie holte ein Foto aus ihrer Handtasche, auf dem wir beide vor dem Bühneneingang und vor reichlich acht Jahren zu sehen waren. Beide jünger und schlanker. »Alles vergessen, Herr Emmerlich? Na, Ihr Gedächtnis lässt wohl auch langsam nach …«

Ich gab vor, mich zu erinnern.

Autogrammegeben gehört zu den letztlich angenehmen Pflichten des Sängers. Wer das als lästig empfindet, sollte einfach erfolgloser seiner Arbeit nachgehen, dann ist er automatisch davon befreit. Wasch mich, aber mach mich nicht nass, ist auch hier nicht zu machen.

Für jeden Fan bin ich dankbar, auch für die, die bei Theateraufführungen oder klassischen Konzerten am Bühneneingang stehen, um ein Autogramm zu bekommen, aber an der jeweiligen Aufführung überhaupt kein Interesse zeigen. Wenn ich denen sage: »Also bis gleich!«, sagen sie unverblümt: »Nein, da gehen wir nicht rein.«

Am Geld kann’s nicht liegen, denn ich habe ihnen schon oft angeboten, sie über den Bühneneingang hineinzuschleusen. Es kam kein Interesse auf.

Beim nächsten Gastspiel standen dieselben Leute wieder da und hatten fein säuberlich die Kritiken der Vorstellung, in der sie nicht waren, in ihr Autogrammbuch geklebt. Im gleichen Atemzug, als sie mir sagten, dass sie natürlich auch heute nicht in die Vorstellung gehen würden, baten sie mich, auf die Kritiken der vorigen Vorstellung, in der sie nicht gewesen waren, meinen Namen zu schreiben. Sie fragten noch nach neuen Bildern und wollten davon mindestens fünf.

Wie dem auch sei, auf der langen Geraden stehen eben auch vereinzelt Zuschauer, aber in der Kurve entscheiden sich die Rennen. Wenn da niemand steht, war das ganze Rennen umsonst.

3

Schauderhafte Heimat

Der liebe Gott hatte mit uns nichts Vollendetes im Sinn. Wirklich Vollkommenes gelingt den Menschen nur in der Kunst. Wenn man bedenkt, wie viele furchtbare Töne einer Geige zu entlocken wären, und wie es großen Geigern immer wieder gelingt, diese im rechten Moment zu verhindern – einfach toll. Während der Mensch in der Kunst viel Schönes vollbringen kann, hilft die Natur sich selbst. Wenn er dort helfend eingreifen will, nennt man das bestenfalls Bundesgartenschau.

Die Heimat ist nirgendwo ein Garten Eden. Neben den Erfreulichkeiten gibt es Müll und Ruinen, nimmergrüne Bäume, schlechte Straßen, Faulheit, Dummheit und grauenvolle Menschen mit gepflegten Vorgärten und umgekehrt.

Dreizehn Jahre moderierte ich die Sendung »Zauberhafte Heimat«. Zu gern hätte ich auch mal eine Sendung »Schauderhafte Heimat« moderiert. Es war mir leider nicht vergönnt. Der Sender fand schon die Idee abartig. Stoff gab und gäbe es zur Genüge.

Es wäre einfach reizvoll gewesen, Stefanie Hertel am Dresdner Elbufer (Höhe Waldschlösschen) »Über jedes Bacherl geht a Brückerl« singen zu lassen. Sie hätte dort auch im Abendkleid singen können: »Nicht jeder Fummel passt zum Tunnel«.

Die »Kastelruther Spatzen« hätten gemeinsam mit den »Fantastischen Hartz IV« das Echo der Berge um das Echo vom Schuldenberg bereichern können.

»Üb’ immer Treu und Redlichkeit« mit dem Gesangsverein der Banker und Manager und ein vielstimmiges »La Montanara« zwischen Müll-, Butter- und Aktenbergen wäre nicht direkt weltfremd gewesen.

Ein Einsamer säße vorm Fernseher und tönte in die Einsamkeit: »Durch dich hab ich mein Glück gefunden«.

Die Wildecker Herzbuben eröffneten mit Pauken und Trompeten eine Ernährungsberatung.

Ein Kinderchor sänge in einem abgestorbenen Wald: »Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün«.

Und zu guter Letzt würde ich auf einer Kaffeefahrt in kurzen Hosen singen: »Jung sammer, fesch sammer«.

Als Sänger bin ich natürlich eher harmonisch orientiert, aber es gibt auch vielsagende dreckige Akkorde, die deckungsgleich in die entsprechende Landschaft passen. Harmonie ist nur die Sehnsucht, die der Wirklichkeit die Zunge herausstreckt. Oder umgekehrt. Wenn die dreckigen Akkorde nicht genügend Gehör finden, vielleicht würde die Harmonie vor dem Hintergrund der verwundeten Welt nachdenklich machen. Vielleicht. Es war ja nur so ’ne Idee.

Gnadenlose Fernsehjournalistik findet meist vor Gleichgesinnten statt. Das ist Aufklärung für Aufgeklärte. Kabarettisten und Comedians wollen die Pointe und deren Publikum will lachen. Eine gute Pointe würde auch am Grab nicht ausgelassen und die Gemeinde würde vor lauter Lachen das Weinen vergessen, bestenfalls Tränen lachen.

… aber mit schöner Harmonie aufs Hässliche verweisen … wer weiß?! Einer schönen Frau folgt man auch schon mal in einen maroden Hinterhof.

Sich aufs Zauberhafte der eigenen oder anderer Leute Heimat zu beschränken ist zwar nicht völlig aus der Luft gegriffen, aber fahrlässig positiv. Denn das Wissen vom Elend steigert die Freude am Schönen gewaltig.

Diese Suche nach dem Erfreulichen, Interessanten und Reizvollen zwischen Aachen und Zittau, auf Zypern und in Anatolien habe ich in unvergesslich guter Erinnerung.

Selbstverständlich war es mir eine besondere Freude, meine beiden Heimatstädte Eisenberg / Th. und Dresden der Fernsehkundschaft vorstellen zu dürfen. Die größte Entdeckung unter den für mich unbekannten Städten war Tangermünde.

Vor tausend Jahren gegründet, war Tangermünde einst Kaiserpfalz von Karl IV. Dieser Karl mit zeitweise festem Wohnsitz in Tangermünde gründete in Prag die berühmte Universität und auch der Brücke über der Moldau haftet sein Name an. Er hat überhaupt viel Namhaftes hinterlassen.

Tangermünde an der Elbe ist bis heute mit gut erhaltener Stadtmauer und märchenhafter Altstadt ein Kleinod unter den deutschen Städten. Selbst unter den Störchen hat sich’s rumgesprochen, dass man in der einladenden Elblandschaft einiges ausbrüten kann. Als wäre das nicht alles schon Augenweide genug, steht fünf Kilometer entfernt auch noch das romanische Kloster Jerichow. Es ist eine flache Landschaft und doch so erhaben.

Am Rande von Dreharbeiten in Bonn lud mich Norbert Blüm zum Frühstück ein. Er lacht gern und gibt auch selbst oft Anlass zur Heiterkeit. Es war ein fröhlicher Morgen im Blüm’schen Hause und das Frühstücksei war das größte, das ich je gegessen habe – ein Gänse-Ei –, und es schmeckte wie ein ganz normales Ei, nur etwas intensiver. Bloß, ich hätte bei Norbert Blüm eher Wachteleier vermutet.

Josef, ein Fleischermeister aus Arnstadt, wollte mir partout nicht die Zutaten für seine Thüringer Bratwurst verraten. Verständlich. Ich sagte, er solle dann eben sagen, was nicht rein kommt. Zum Beispiel Dachpappennägel, Sirup und Haferflocken. Ich gab ihm noch einige Absurditäten an die Hand, die man mit Thüringer Bratwürsten nicht im Entferntesten in Verbindung bringt. Die Aufzeichnung lief, ich erklärte, dass uns Josef sein Rezept nicht verrate, aber er wolle uns sagen, was nicht in seine Bratwurst kommt. Josef holte tief Luft, stutzte, atmete schwer und sagte: »Jetzt habe ich vergessen, was nicht reinkommt.« Wir haben die Stelle noch zwei-, dreimal gedreht, dann fiel ihm wieder ein, was nicht reinkommt.

Ich habe erlebt, wie rechtschaffene, kluge Leute vor der Kamera ihren Namen nicht mehr wussten, geschweige denn ihre Geschichte, wegen der wir sie eingeladen hatten und die sie vor Drehbeginn noch locker und flockig zu erzählen wussten. Ich habe allerdings auch erlebt, wie Leute vor der Kamera sich selbst wichtiger nahmen als die Sache, von der sie berichten sollten. Ersteres ist sympathischer und auch schneller zu reparieren. Befangenheit kann man den Leuten nehmen, Eitelkeit nicht.

Mit Erwin Geschonneck war ich im thüringischen Tabarz, wo er zig Jahre davor die gruseligsten Szenen als Holländer-Michel im DEFA-Film »Das kalte Herz« gedreht hatte. Das Gespräch im Felsental, am Fuße der Wand, an der er als Holländer-Michel die Herzen von Peter, Ezechiel und den anderen Kaltherzigen befestigt hatte, war professionell und doch warmherzig. Er las noch ein Gedicht von Heinrich Hoffmann, dem Erfinder des Struwwelpeters, der gern in Tabarz weilte, und die Dreharbeiten waren beendet.

Die Crew war im Hotel »Germania« untergebracht und auch Erwin Geschonneck, der wunderbare Schauspieler. Er war am Vortag angereist und da es früh am Nachmittag war, hätte er mühelos, wie auch geplant, zurück nach Berlin fahren können. Das Auto nebst Fahrer stand vor dem Hotel bereit. Er hatte aber schon am Abend zuvor das gemütliche Hotel, die gute thüringische Küche und wahrscheinlich auch die durchaus angenehme Atmosphäre innerhalb unseres Teams genossen und entschied, noch eine Nacht zu bleiben. Uns war’s recht, denn der alte Herr war ein interessanter, geist- und lehrreicher Gesprächspartner.

Er hat in mehreren KZs der Nazis gelitten und genoss in der DDR – zu Recht – alle Vorteile eines Verfolgten des Naziregimes auf Lebenszeit. Dass dort nicht alle Blütenträume aufgingen, hat er wohl erkannt, blieb aber trotz neuer Erkenntnisse seinen alten Überzeugungen treu. Wie dem auch sei, er war der sympathischste Kommunist, den ich je kennengelernt habe. Leute wie Geschonneck verkörperten das ursprünglich gute Gewissen einer gescheiterten Idee. Sie hätschelten diese Vertreter des guten Gewissens, hörten aber nicht auf sie. Durch Privilegien ließen sich diese einst bewundernswert Aufrechten zwar nicht korrumpieren, aber sie konnten keine Weichen stellen, denn sie standen auf einem gepflegten Abstellgleis. Das alles entnahm ich seinen Worten am Abend, der lang und kurzweilig wurde. Er war siebenundachtzig Jahre alt und hat den Zusammenbruch wohl registriert, wenn auch nicht freudig zur Kenntnis genommen. »Dieser Gesellschaftsentwurf hätte doch irgendwo auf der Welt zwischen Kuba und Nordkorea nur ansatzweise von Erfolg gekrönt sein müssen, wenn irgendwer mit berechtigter Hoffnung dran festhalten wolle«, sagte ich. Er lächelte mich verständnisvoll und um Verständnis bittend an und erwiderte gütig-trotzig: »Es ist für mich zu spät zum Umdenken.« Was sollte man einem Siebenundachtzigjährigen in diesem Moment entgegnen? Wobei, vielleicht hätte es sich doch gelohnt – er ist hundertundein Jahr alt geworden.

Er blieb noch drei Tage, ohne sich oder jemand anderen zu fragen, wer die Übernachtungskosten bezahlt. Als er mitbekam, dass das ein Problem war, sagte er: »Na, das werde ich doch dem DFF wert sein.« Den DFF gab es da schon seit drei Jahren nicht mehr.

Es hat ja schon einer viel zu erzählen, wenn er eine Reise tut. Bei mir waren es 96, wie man auf der Karte im Bildteil sehen kann, die ich von der Redaktion geschenkt bekam. Geschichtlich, geografisch und kulturell habe ich durch die Sendung »Zauberhafte Heimat« viel dazugelernt. Ich kenn mich aus, rundherum und in fast jedem Winkel. In Reit im Winkl zum Beispiel – zauberhaft. Es gibt auch schauderhafte Ecken – aber, das Zauberhafte überwiegt.

4