"Guten Abend, meine Damen und Herren" - Dagmar Berghoff - E-Book

"Guten Abend, meine Damen und Herren" E-Book

Dagmar Berghoff

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Beschreibung

Dagmar Berghoff und Constantin Schreiber über das, was im Leben zählt Im Gespräch mit seiner Vorgängerin Dagmar Berghoff eröffnet der heutige Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber die einzigartige Geschichte ihres bewegten und bewegenden Lebens. Wo zunächst wenig darauf hindeutete, dass sie einmal Fernsehgeschichte schreiben würde – das Geld für die Schauspielschule musste sie sich hart erarbeiten –, wurde Dagmar Berghoff 1976 mit ihrem Einstieg als Sprecherin der Tagesschau zum Vorbild und zur Wegbereiterin einer ganzen Generation von Frauen. Sie stieg bis zur Chefsprecherin auf und verließ die Tagesschau zum Jahrtausendwechsel, um mit ihrem Mann ein neues Leben zu beginnen – wozu es aus tragischen Gründen nicht kommen sollte. Offen und ergreifend erzählt Dagmar Berghoff davon, wie sie trotz vieler Widrigkeiten und Schicksalsschläge immer wieder die Kraft fand weiterzumachen und warum es sich lohnt, unerschrocken durchs Leben zu gehen.    

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Dagmar Berghoff | Constantin Schreiber

»Guten Abend, meine Damen und Herren«

Ein Gespräch über die Liebe, das Leben, Glück und die Nachrichten

Hoffmann und Campe

E-Mail von Frau Berghoff

Lieber Herr Schreiber,

 

Sie ahnen vermutlich, warum ich Ihnen schreibe: der Artikel im Hamburger Abendblatt. Natürlich habe ich mich sehr gefreut über Ihre Aussage! Und deshalb möchte ich Sie gerne einladen zu mir – auf einen Kaffee oder einen Tee, sagen wir um 15:30 Uhr? Wenn Sie Lust haben. Den Termin kann ich dabei vollkommen Ihnen überlassen, da ich eigentlich ab dem 24.8. für 2 Wochen in Frankreich sein wollte. Also betrifft es den Zeitraum vom 24.8. bis zum 3.9. Noch hätte ich an jedem Nachmittag Zeit für Sie.

 

Ich würde mich freuen, wenn es trotz Ihres vollen Dienstplans klappt!

 

Mit einem herzlichen Gruß

 

Dagmar Berghoff

 

 

Als ich am 19. August 2021 diese Nachricht in meinem E-Mail-Postfach vorfand, war ich mehr als überrascht. Dagmar Berghoff hatte mir geschrieben, aus heiterem Himmel!

Nicht nur im Hamburger Abendblatt – auch bei anderer Gelegenheit nannte ich regelmäßig Dagmar Berghoff als eine der Frauen, die mich als jungen Menschen maßgeblich geprägt haben. In der Zeitschrift Myself, die mich ebenfalls dazu befragt hatte, gehörten außerdem die Schriftstellerin Agatha Christie, die ägyptische Königin Kleopatra und die ehemalige First Lady der USA Michelle Obama dazu. Michelle Obama war dabei, weil sie für mich Aufbruch, Selbstbewusstsein und Inspiration verkörperte. Agatha Christie, weil ich ein großer Fan ihrer Kriminalromane bin, Tod auf dem Nil etwa oder aber Und dann gab’s keines mehr. Und eben Dagmar Berghoff, weil ich gewissermaßen mit ihr groß geworden war.

Schon als kleines Kind saß ich wohl fast jeden Abend um 20 Uhr mit meinen Eltern vor dem Fernseher, und Dagmar Berghoff brachte mir die Nachrichten, das Weltgeschehen und überhaupt die Welt ein Stück näher. Dass sie die Texte gar nicht selbst schrieb, war mir überhaupt nicht bewusst. Für mich war sie quasi allwissend und fester Bestandteil der Gesetzmäßigkeiten, die in meiner Wahrnehmung damals die Welt in Ordnung hielten. Im Vatikan saß Johannes Paul II., in London Queen Elizabeth. Der Kanzler hieß Helmut Kohl, und die Nachrichten kamen von Dagmar Berghoff.

An einige der Tagesschau-Beiträge aus meiner frühen Kindheit kann ich mich tatsächlich bis heute erinnern: so etwa an die spektakuläre und umstrittene Landung des deutschen Piloten Mathias Rust auf dem Roten Platz in Moskau 1987, dann an die Sendungen vor, während und nach der Wiedervereinigung, in denen wir ganz im Westen Deutschlands mitverfolgten, wie im Osten die Menschen auf die Straße gingen, wie in Prag auf dem Balkon der Deutschen Botschaft Genscher seine berühmte Ankündigung anfing: »Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …«, und der Rest im Jubel unterging.

Und ebenso gut kann ich mich daran erinnern, wie ich am 31. Dezember 1999 die letzte Tagesschau mit Dagmar Berghoff sah, die sie mit den Worten beendete: »Auf Wiedersehen von diesem Platz!« Ich dachte nur: Wie schade! Schade, nie wieder die Nachrichten von dieser unverwechselbaren Stimme präsentiert zu bekommen. Wobei das dann ja gar nicht stimmen sollte, denn am 16. Juni 2016 trat Dagmar Berghoff doch noch einmal an das Nachrichtenpult der Tagesschau und verlas den Newsblock in den Tagesthemen.

Dass ich einmal selbst von ebendiesem Platz aus um 20 Uhr die Nachrichten verlesen würde, als ein Nachfolger von Dagmar Berghoff, hätte ich nie für möglich gehalten. Doch seit Januar 2021 stehe ich regelmäßig am Nachrichtenpult des ARD-Studios 2 beim NDR in Hamburg-Lokstedt, von wo aus die Tagesschau ausgestrahlt wird. Ich kann mich genau an meine erste 20-Uhr-Sendung erinnern, vor allem daran, wie der Gong erklang, der ja schon während meiner Kindheit den Beginn der Sendung einläutete – damals natürlich noch in anderem visuellen Design. Und wie ich später erfuhr, saß nun ihrerseits die frühere Chefsprecherin Dagmar Berghoff an diesem Abend bei sich zu Hause vor dem Fernseher und schaute mir zu.

 

Acht Monate nach meiner 20-Uhr-Premiere bekam ich nun besagte E-Mail von ihr. Natürlich habe ich die freundliche Einladung gleich angenommen. Als ich meinen Eltern davon erzählte, waren die nicht weniger aufgeregt als ich selbst. Dagmar Berghoff! Das war doch immer so eine feine Dame, eine Berühmtheit! Wahrscheinlich hätte für sie nur eine Einladung der Bundeskanzlerin das noch toppen können.

Zum verabredeten Termin stehe ich ordentlich gekleidet und mit einem Strauß Blumen in der Hand vor dem Wohnhaus unweit der Hamburger Alster und drücke auf die Klingel. Über die Gegensprechanlage ist zuerst ein Knistern zu vernehmen, dann jene unverwechselbare Stimme: »Zweiter Stock!« Dagmar Berghoff empfängt mich in der Tür, perfekt zurechtgemacht, wie man sie vom Bildschirm kennt. Ihre Wohnung ist hell und geschmackvoll eingerichtet, durch die große Fensterfront fällt das Tageslicht in das geräumige Wohnzimmer. Was mir sofort auffällt, ist der beige Teppichboden, makel- und fleckenlos. Das große rote Sofa und der Kristalllüster über dem Esstisch. Zahlreiche Bilder und Graphiken zieren die Wände, darunter Gustav Marx und Fritz Friedrichsen. Kamin, weiße Bücherwand. Die Kaffeetafel ist für uns eingedeckt.

Hier sitzen wir uns nun also gegenüber, die erste Frau überhaupt, die als Tagesschau-Sprecherin im Alter von damals 33 Jahren Fernsehdeutschland die Nachrichten verkündete, und einer ihrer Nachfolger zwei Generationen später, der sich nicht nur in technischer Hinsicht in einer ganz anderen Medienwelt bewegt. Dagmar Berghoff wuchs über Jahre und Jahrzehnte zu einer Instanz im deutschen Fernsehen, wurde zum Vorbild vieler junger Frauen auch jenseits des Journalismus und ist längst eine Legende. Ihr Interesse an der Nachrichtenwelt ist auch nach ihrer aktiven Karriere ungebrochen, wie ich bei unserer Begegnung schnell spüre: Wir haben uns viel zu erzählen, geraten von einem Thema zum nächsten.

Dass wir gemeinsam dieses Buch machen würden – davon war bei unserem ersten Treffen natürlich noch gar keine Rede. Ich hatte an diesem Tag einfach ganz viele Fragen, wie es bei ihr früher war, hörte gespannt zu, wie sie Anekdoten von der Tagesschau und aus ihrem Leben erzählte, und berichtete selbst von mir und meiner Arbeit heute. Die Zeit verging wie im Flug. Als ich irgendwann auf die Uhr schaute, stellte ich erschrocken fest, dass bereits vier Stunden vergangen waren, es dämmerte schon langsam. Dagmar Berghoff bot mir an, dass sie mir ein Brot zum Abendessen machen könne, aber ich wollte ihre Gastfreundschaft nicht länger strapazieren und machte mich auf den Heimweg.

 

Das Treffen wirkte in mir nach. Wie spannend, wie fesselnd, was die Nachrichtenikone meiner Kindheit zu erzählen gehabt hatte. Und wie viel mehr es wohl noch zu erzählen gab, das wir an einem Nachmittag gar nicht thematisieren konnten? So kam mir irgendwann die Idee, unsere Gespräche fortzuführen und in einem Buch festzuhalten. Ich rief Dagmar Berghoff an und fragte sie, was sie davon halte. Ein paar Sekunden nachdenklicher Stille, dann sagte sie: »Warum nicht!« Und so verbrachte ich zwischen September 2021 und August 2022 viele weitere Nachmittage in Dagmar Berghoffs Wohnzimmer, an denen wir über Hochs und Tiefs, über Glück und Unglück, die Arbeit, die Liebe, überhaupt das Leben und vor allem ihr Leben sprachen. Und darüber, was am Ende wirklich zählt.

2022

Das Jahrzehnt birgt, so zeigt sich gleich zu seinem Beginn, ungeahnte Herausforderungen, wir bewegen uns in schwierigen Zeiten. Seit Januar 2020 hält die Coronapandemie die Welt in Atem. Ich trage inzwischen routiniert Maske, bin dreimal geimpft und gehe doch nach wie vor kaum in Restaurants oder Cafés – nur wenn man draußen sitzen kann. In meinem Umfeld hatten bereits viele Corona, manche auch schon mehrmals. Ein Gutes hat das Ganze für mich dennoch: Dank Maske kann ich mich weitgehend unerkannt draußen bewegen.

Seit Januar 2021 bin ich Sprecher der Hauptausgabe der Tagesschau um 20 Uhr. Ein Debüt mitten in der Pandemie, weswegen sich für mich lange Zeit kaum etwas verändert hatte: Ich bewegte mich weitgehend zwischen Sender und zu Hause, und wenn ich doch mal irgendwo anders unterwegs war, dann eben nur mit dem obligatorischen Mund-Nasen-Schutz. Erst als ich im Sommer 2021 hin und wieder ohne Maske in Hamburg oder Berlin unterwegs war, merkte ich, dass man mich offenbar erkannte. Plötzlich guckten viele Leute, sprachen mich an oder wollten sogar Fotos mit mir machen. Wenn ich also mal inkognito unterwegs sein will, setze ich seither einfach die Maske auf.

Anfang 2022 fühlt es sich so an, als wäre das Schlimmste überstanden, als würde die Pandemie langsam beherrschbar werden. Doch dann im Februar der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine: bestürzende Bilder von Tod und Zerstörung, alte Ängste, die auch hierzulande wieder aufkommen, nicht zuletzt die vor einem Atomkrieg. Hinzu kommen die Sorgen vor einer immer weiter wachsenden Inflation. Bundeskanzler Scholz spricht von einer »Zeitenwende«. Corona war schlimm, weil es unser aller Leben so beeinträchtigt hat, aber wirklich Angst hatte mir die Pandemie nicht gemacht. Die Bilder aus der Ukraine jedoch, das irre Verhalten des Despoten Putin, haben mich mehr beunruhigt als bis dahin wohl jede andere Nachrichtenlage, die ich erlebt habe. Zum ersten Mal habe ich wegen der Nachrichten nachts einen Albtraum, in dem mich die Bilder flüchtender Frauen und Kinder verfolgen. Anders als diese Menschen habe ich das Glück, schon bald darauf zwei Wochen Urlaub nehmen und im wahrsten Sinne des Wortes mal abschalten zu können. Ich kann tatsächlich verstehen, wenn Menschen nicht jede Tagesschau, jeden Brennpunkt gucken, weil sie zu sehr mitnimmt, was sie dort zu sehen bekommen. Für mich eine Erklärung dafür, warum die Quoten der Tagesschau während des Ukrainekriegs – anders als etwa während der Coronapandemie – nicht auf Rekordhoch sind.

Krieg in Syrien, im Jemen; Flutkatastrophe im Ahrtal, Klimakrise, das Gefühl einer Gesellschaft, die in viele Einzelteile zerbricht – man kann schon den Eindruck gewinnen, die Welt rast im Turbo auf den Untergang zu. Und zum ersten Mal denke ich, wie beunruhigend sich all das erst anfühlen muss, wenn man noch jünger ist, ein Teenager oder in den Zwanzigern. Als ich so alt war, war der Kalte Krieg vorbei, die Welt wuchs zusammen, und es gab eine grundsätzlich optimistische Erwartungshaltung, was die Zukunft wohl mit sich bringen würde. Das ist im Moment anders.

 

Es ist Anfang September, und die ersten Blätter färben sich herbstgelb. Dagmar Berghoff setzt sich auf das Sofa in ihrem Wohnzimmer, das mit dem Rücken zur Fensterfront steht, ich ihr gegenüber. »So haben Sie den schöneren Blick, raus auf den Kanal«, sagt sie und schenkt den Filterkaffee in die gold-rot-weiße Tasse vor mir. Auf mehreren Tellern Schokoladenkekse und andere Süßigkeiten. Ich lege mein iPhone auf den Tisch. »Ich starte schon mal die Aufnahme«, erkläre ich. »Okay«, sagt Dagmar Berghoff und fügt etwas verschmitzt hinzu: »Und das wollen Sie sich dann alles hinterher noch mal anhören?« »Und aufschreiben«, entgegne ich. – »Na dann!«

 

 

Constantin Schreiber: Sehen Sie sich jeden Tag die Tagesschau an?

Dagmar Berghoff: Ja, jeden Tag, wenn ich Zeit habe.

CS: Als frühere Chefsprecherin – schaut man da wohl mit einem besonderen Blick?

DB: Inzwischen bin ich eine ganz normale Zuschauerin geworden. In der ersten Zeit, nachdem ich raus war, habe ich immer fünf Minuten vor acht den Fernseher angemacht, um auf keinen Fall die erste Meldung zu verpassen. Heute schalte ich auch manchmal fünf Minuten zu spät ein. Früher habe ich sehr kritisch darauf geblickt, wer wie spricht. Heute höre ich einfach nur zu.

CS: Sie waren die erste Sprecherin bei der Tagesschau. Wie kam es damals dazu, am 16. Juni 1976?

DB: Ich war eine Quotenfrau, ohne es zu wollen. Der damalige Chefsprecher Karl-Heinz Köpcke hatte Anweisung, eine Frau zu suchen für das Team. Er hatte vor mir schon knapp zwanzig Frauen gecastet. Das wusste ich aber alles nicht, als er mich fragte, ob ich vorsprechen wolle. Er gab mir sein Manuskript, in dem er mit dicken Strichen den Text markiert hatte, sodass ich kaum noch etwas lesen konnte. Ich habe mich dann einmal versprochen und sagte hinterher zu ihm: »Herr Köpcke, wenn ich noch einmal vorsprechen darf, dann bestehe ich auf einem eigenen Manuskript. Ich kann in Ihrem nicht lesen.« Da hat er wahrscheinlich gemerkt, dass ich bereits ein junger Profi war und nicht die kleine Ansagerin, die alles mitmacht. Ich wurde dann noch einmal eingeladen und habe mein eigenes Manuskript bekommen. Schon einige Tage später sprach ich meine erste 16-Uhr-Ausgabe.

CS: Waren Sie aufgeregt?

DB: Bei meiner ersten Sendung um 16 Uhr gar nicht, aber beim ersten Mal um 20 Uhr schon. Früher war es ja üblich, dass die neuen Sprecherinnen und Sprecher erst einmal längere Zeit die Morgen- und Nachmittagsausgaben moderierten, bevor sie zur 20-Uhr durften. Als Wilhelm Wieben damals seine erste 20-Uhr sprach, wunderte sich keiner, weil er eben vorher schon präsent war. Nur ein Regisseur rief hinter den Kulissen: »Sag mal, Wilhelm, ist das wirklich deine erste 20-Uhr?« Kein Mensch hat’s gemerkt. Nur bei mir fiel diese Runde aus, weil die Presse über mich im Zusammenhang mit meinen Stationen davor schon viel berichtet hatte. Deshalb war gleich meine dritte Sendung die 20-Uhr-Ausgabe. Bei meiner allerersten Sendung, der 16-Uhr, stand die ganze Zeit Karl-Heinz Köpcke neben mir. Ich habe mich darüber gar nicht gewundert, ich dachte, das machen die hier so. Aber hinterher kam raus, dass er da nur stand, weil er Sorge hatte, dass ich als Frau zusammenbrechen könnte.

CS: Wirklich? Das ist ja aus heutiger Sicht unvorstellbar! Was geschah denn nach der Sendung?

DB: Hinterher musste ich meine erste Pressekonferenz mit circa fünfzig Journalisten und Fernsehteams geben. Die fragten so viel und alles durcheinander: »Wie fühlen Sie sich, Fräulein Berghoff? Mit wem sind Sie liiert, Fräulein Berghoff? Wo wohnen Sie in Hamburg, Fräulein Berghoff?« Ich musste richtig lachen. Ich habe mich gefühlt wie im Zoo, aber habe geantwortet, so gut es ging. Dieser Zustand hielt natürlich nicht an, schon bald ging es weniger um meine Person als um die Meldungen, die ich sprach.

CS: Gab es das denn früher einmal, dass Sie gemerkt haben, eine Nachricht geht Ihnen wirklich nahe? Die haben Sie sozusagen mit nach Hause genommen, die ließ Sie nicht los?

DB: Allerdings. Ich war einmal mit meinem Mann im Urlaub in Mexiko, und wir hatten eine Reiseleiterin, die zugleich Sozialarbeiterin in einer ländlichen Region war. Sie berichtete uns stolz, dass sie es in der Region geschafft hatten, die Geburtenrate innerhalb weniger Jahre um 14 Prozent zu senken. Und dann erzählte sie, dass der Papst zu Besuch in Mexiko gewesen sei und ihre gesamte Arbeit zunichtegemacht habe, weil er sich gegen Empfängnisverhütung ausgesprochen habe. Später musste ich in der Tagesschau eine Meldung vorlesen, in der der Papst erneut auf Auslandsreise war mit genau derselben Agenda. Das hat mich zum Beispiel ziemlich wütend gemacht und enttäuscht, weil ich an diese Frau und die Menschen in Mexiko denken musste. Im Übrigen gab es während meiner Zeit ja auch wirklich grauenvolle Nachrichten, wenn ich zum Beispiel an die RAF-Attentate denke, aber auch solche in Israel und Palästina. Doch all das betraf mich nicht so direkt, und es waren keine Dauerthemen, so wie heute Corona oder die Ukraine.

CS: Also machen die Nachrichten heute auch etwas mit Ihnen? Mir persönlich geht es so, dass ich vieles gar nicht mehr anhören oder ansehen möchte – Corona, Ukraine, Syrien –, weil es so schrecklich ist.

DB: Das geht, glaube ich, ganz vielen Menschen so. Und wenn ich ehrlich bin: mir auch. Und das ist für mich etwas ganz Neues. Warum das so ist? Wenn ich so zurückdenke – dass so schlechte Nachrichten wie während der Coronapandemie uns über anderthalb oder zwei Jahre permanent begleiten und auf uns einwirken, das gab es früher nicht. Da gab es auch schlechte Nachrichten, aber die waren schneller wieder vorbei. Die derzeitigen Dauerkrisen sind tatsächlich eine ganz andere Situation. Und ich glaube, da braucht man manchmal einfach Abstand. Auch ich.

CS: Und was empfinden Sie, wenn Sie sehen, was aktuell auf der Welt passiert? Ich finde es manchmal ganz schön deprimierend, was ich an negativen Nachrichten vermelden muss. War früher alles besser?

DB: Ich glaube, wenn man das denkt, liegt man falsch. Es war früher nicht besser. Wenn ich an die PLO-Attentate denke oder an die israelischen Militäroperationen – Nachrichten, die ich früher vermelden musste. Oder die RAF, bestimmte Naturkatastrophen, den Bürgerkrieg im Libanon und viele andere negative Nachrichten. Ich glaube, jede Zeit, jede Epoche hat ihre Herausforderungen und Probleme.

CS: Das heißt, Sie haben nicht das Gefühl, es geht alles bergab?

DB: Nein. Aber alles wirkt bedrohlicher als früher, weil es in den Medien so oft wiederholt wird.

CS: Manche bemängeln ja insbesondere eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft – dass das Zusammengehörigkeitsgefühl verloren geht.

DB: Auch das glaube ich nicht. So etwas wie ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl gibt es aus meiner Sicht ohnehin nur nach Katastrophen, wie damals nach der Sturmflut 1962 in Hamburg. Da habe ich das selbst miterleben können. Ich musste ja am Tag nach der Sturmflut mein mündliches Abitur ablegen, bin mit dem Bus zur Schule gefahren. Alle haben sich umeinander gekümmert, miteinander geredet. Da gab es echte Solidarität. Jeder fragte, wie es dem anderen geht. Nach einem halben Jahr war das aber wieder vorbei. Im Angesicht existenzieller Gefahr rücken die Menschen zusammen. Oder schauen Sie jetzt, nach der Flutkatastrophe in Ahrweiler. Da halten alle zusammen, und ganz Deutschland spendet zur Unterstützung der Opfer. Deswegen ist es vielleicht eine Erwartung, die gar nicht erfüllt werden kann, dass wir ein solches Zusammengehörigkeitsgefühl permanent erleben. Es kommt immer auf die Umstände an.

CS: Heute sind ja Fake News und Lügenpressevorwürfe ein großes Thema. Wann immer ich auf Sendung bin oder online etwas von der Tagesschau, aber auch von anderen Formaten erscheint, kommen sofort die Kommentare, wir seien gesteuert, wir seien unobjektiv, hätten eine Agenda und vieles mehr. Wie war das damals?

DB: Nein, diese Vorwürfe gab es zu meiner Zeit gar nicht. Das ist etwas ganz Neues. Aber klar, die Lage des Journalismus ist heute schwieriger. Früher war sicher, dass das stimmt, was in der Tagesschau berichtet wird. Heute gibt es Versuche, Medien zu diskreditieren und Informationen zu manipulieren.

CS: Ich kann mich daran erinnern, dass wir einmal in Berlin drehten, ich da also mit einem Kamerateam stand, und auf einmal fing ein Mann an zu schimpfen: »Lügenpresse! Das ist heute schlimmer als früher in der DDR!«

DB: Wie erschreckend! Früher war es ja eher so, dass man Journalisten und vor allem denen der Tagesschau einen riesigen Respekt entgegenbrachte. Und als die privaten Sender mit ihren Nachrichten anfingen, haben doch die meisten immer noch zusätzlich in der Tagesschau geguckt, ob das auch alles so stimmt, was berichtet wurde. Die Tagesschau war das Nonplusultra.

CS: Das ist tatsächlich auch heute noch so – zumindest gibt es dazu einige Untersuchungen, die zeigen, dass die Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Sender die höchste Glaubwürdigkeit besitzen. Ganz anders als Social Media oder Onlineportale.

DB: Na, immerhin. Das beruhigt mich.

CS: Aber mal Hand aufs Herz: Wie geht das Ihnen persönlich? Ertappen Sie sich dabei, dass Sie sich bei Nachrichten manchmal fragen, ob das alles so stimmt?

DB: Ich bin natürlich geprägt von der Tagesschau und der Akribie, mit der dort Informationen gecheckt wurden, sodass ich ein großes Vertrauen in den Journalismus bei der Tagesschau