Habibi - juergen von rehberg - E-Book

Habibi E-Book

Juergen von Rehberg

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Beschreibung

Der arabische Ausdruck "Habibi" bedeutet auf deutsch sinngemäß: "mein Schatz", "mein Geliebter" oder "mein Liebling". Es geht um einen Mann, der sehr lange Zeit dafür braucht, um einer zu werden und zu begreifen, dass er ein solcher ist. Gabriel Baumann, geschieden und allein lebend, verunfallt in der Wohnung und braucht häusliche Pflege. Jumana und Djamila, aus Syrien geflüchtete Mutter und Tochter, übernehmen diese äußerst schwierige und komplizierte Aufgabe. Eine turbulente Geschichte der Geschlechter, gespickt mit sehr viel Humor. Orient trifft Okzident.

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Als wäre er nicht schon gestraft genug, kam jetzt auch noch dieser dumme Unfall dazu. Ein Buch in der obersten Etage seiner Bücherwand war Gabriel Baumann zum Verhängnis geworden.

Er war auf die kleine Leiter gestiegen und hatte das Gleichgewicht verloren, als er die gesuchte Lektüre zwischen den anderen Büchern nicht gleich herausziehen konnte. Und seine Ungeduld war ihm nicht gerade hilfreich dabei.

Gabriel war frisch geschieden. Seine wesentlich jüngere Ehefrau Birte, hatte sich unsterblich in einen Mandanten von Gabriel verliebt und diesen gegen ihren Gatten ausgetauscht.

Somit verlor Gabriel nicht nur seine Ehefrau, sondern auch einen sehr guten Mandanten. Gabriel hatte den Kerl – in einem Rausch ähnlichen Zustand von Wut und Eifersucht – aus seiner Anwaltskanzlei hinausgeworfen.

Das wiederum hatte zur Folge, dass Viktoria, Tochter der Baumanns und Mitarbeiterin in der Kanzlei, ihren Vater für verrückt erklärte, da es sich bei Bernhard Troger, den neuen Mann an der Seite ihrer Mutter, um eine einflussreiche Persönlichkeit handelte, durch dessen Einfluss noch weitere Mandanten abspringen könnten.

*****

Ein lauter Aufschrei war die erste Reaktion auf Gabriels Sturz. Die Fallhöhe war zwar äußerst gering, jedoch der Aufprall auf die Hand und den Unterarm der rechten Extremität verursachte höllische Schmerzen. Und nicht zu vergessen, der Schreck, der verstärkend hinzukam.

Gabriel Baumann bemitleidete sich selbst, weil ja außer ihm niemand da war, der das hätte übernehmen können.

Er nahm sein Handy mit der noch funktionierenden Hand und wählte den Notruf. Kurze Zeit später wurde er in die Universitätsklinik gefahren und von seinem Freund, Professor Waldemar Fromm lächelnd in Empfang genommen.

„Lach du nur, du Knochenflicker“, sagte Gabriel, der den Professor seit Studienzeiten kannte. Die beiden Männer waren im selben Alter und hatten anfangs sogar das gleiche Studienfach gewählt. Aber irgendwann war Gabriel abgesprungen, um sich der Juristerei zuzuwenden.

„Willkommen, Rechtsverdreher!“, kam postwendend die Antwort des Professors, „was führt dich in diese heiligen Hallen?“

Diese Art der verbalen Spielereien hatten die beiden bereits während ihres Studiums begonnen und bis auf den heutigen Tag nicht abgelegt.

„Ich wollte den Gipfel der Literatur besteigen und bin abgestürzt“, antwortete Gabriel in Anspielung auf sein Missgeschick.

„Du hast früher schon unter Höhenangst gelitten“, erwiderte der Professor, der über das geringe Ausmaß der kleinen Trittleiter von gerade einmal 80 cm Höhe genau Bescheid wusste.

Jetzt mussten die Freunde herzlich lachen.

„Oder hattest du vielleicht zu viel Alkohol intus?“, setzte der Professor noch einen drauf.

„Jetzt ist es aber genug“, erwiderte Gabriel, „komm lieber deinem hippokratischen Eid nach und flick mich wieder zusammen.“

„Dann wollen wir uns die Sache einmal ansehen“, sagte der Professor und schickte Gabriel zum Röntgen.

Wenig später stand die Diagnose fest: Trümmerbruch von Radius und Ulnar.

„Du hast einen Unterarmbruch, mein Freund“, erklärte der Professor, „und den müssen wir operieren.“

„Das geschieht doch unter Narkose?“, fragte Gabriel vorsichtig, worauf der Professor antwortete:

„Das wird nicht nötig sein. Ein Beißholz genügt völlig.“

Ein junger Assistenzarzt, der gerade anwesend war, starrte den Professor voller Entsetzen an, während eine Schwester sich über die Äußerung köstlich amüsierte. Der Professor wandte sich an den jungen Arzt und sagte:

„Diesem Mann fehlt ganz eindeutig das Heldengen. Finden Sie nicht auch, Herr Kollege?“

Der Assistenzarzt gab sich unvermindert seinem Erstaunen und einer völligen Hilflosigkeit hin und nickte ganz einfach.

*****

Die Operation war gut verlaufen. Viktoria besuchte ihren Vater und brachte statt Blumen Vorwürfe mit. Es zeigte sich einmal mehr, dass sie ganz nach ihrer Mutter kam. Viel Hirn und wenig Herz. Was für eine Mischung…

„Was hast du jetzt schon wieder angestellt?“

Mit dieser Frage begrüßte Viktoria ihren Vater, wobei die Betonung auf „schon wieder“ lag, als würde Gabriel in einer gewissen Regelmäßigkeit aus der Norm für normale Erwachsene ausbrechen.

„Wie sich die Bilder gleichen“, schoss es Gabriel durch den Kopf. An Viktorias Stelle hätte genauso auch ihre Mutter das Fußende des Bettes zieren können.

Es war quasi ein geflügeltes Wort, welches Gabriel über sich ergehen lassen musste, wenn die gnädige Frau sich über Vorkommnisse mokierte, die bevorzugt mit dem Fräulein Tochter in Verbindung zu bringen waren.

Meistens ging es dabei um unerfüllte Wünsche oder Verbote, welche die Frucht von Gabriels Lenden dazu gebracht hatten, sich tränenreich bei ihrer Mutter zu beschweren.

„Der Papschi1 lässt mich nicht…“, „der Papschi gibt mir kein Geld…“ und Ähnliches mehr waren Beispiele für unerfüllten Kinderwunsch.

Später wurde aus „Papschi“ ganz einfach „Gabriel“. Aber die Probleme waren im Grunde dieselben, nur vielleicht in einer anderen, größeren Dimension.

„Ich wünsche dir auch einen wunderschönen, guten Tag“, erwiderte Gabriel, „und danke, ja, es geht mir den Umständen entsprechend gut.“

„Wie lange wirst du ausfallen?“

Die Sorge von Viktoria um das Wohl ihres Vaters hätte durchaus rührend erscheinen können, wäre sie es auch gewesen.

Hingegen ging die Frage vielmehr um die Mehrarbeit, welche durch Gabriels Ausfall auf Viktoria zukommen würde.

„Ich weiß es nicht, mein Kind“, antwortete Gabriel, „aber es freut mich, dass du dich so um mich sorgst.“

Viktorias Blick drückte all die Verachtung aus, die sie für ihren Vater empfand. Als Scheidungskind fühlte sie sich weder zu ihrer Mutter noch zu ihrem Vater hingezogen.

Als die Familie noch intakt war, vorausgesetzt, sie ist es je gewesen, widmete Gabriel seine Zeit der Kanzlei und Viktorias Mutter verbrachte jede freie Minute auf dem Tennisplatz oder beim Golfen.

„Ich werde mit Waldi reden“, sagte Viktoria und verließ den Raum.

Gabriel sah ihr nach und es tat ihm weh. Als Viktoria geboren wurde, war er ganz vernarrt in das Kind. Ihre Entwicklung und Wesensveränderung war ihm entgangen, weil er viel zu wenig zu Hause war.

Und dass Birte ein Wesen war, dem das Muttergen völlig fehlte, war ihm nie aufgefallen. Ebenso wenig, dass Gabriel für Birte damals nur ein Sprungbrett war, von dem man in den Pool der High Society springen konnte.

Die Kanzlei von Gabriel warf genügend ab, um Birtes ausschweifenden Lebensstil finanzieren zu können.

Dass sie mit Viktoria schwanger wurde, verbuchte Birte als dummen Fehler. Aber zum Glück gab es eine Kinderfrau, die Birtes Freizeitgestaltung unvermindert weiterleben ließ.

Ihre Kontakte mit einer Welt, die Gabriel völlig fremd war, brachten ihm Klienten ein, an die er sonst nie gekommen wäre.

Also arrangierte man sich. Die Familie wurde in drei Bereiche aufgesplittet: Birte brachte Klienten und genoss ihre Freizeit, Gabriel hatte genügend Arbeit und brauchte keine Freizeit, und Viktoria zog aus beidem ihren Nutzen.

Viktoria machte Party ohne Ende, schloss Freundschaft mit Alkohol und anderen Rauschmitteln, und alle waren scheinbar zufrieden mit diesem Arrangement.

Eine Zeit lang schien das auch recht gut zu funktionieren, abgesehen davon, dass die Familie immer mehr zerbrach.

Erstaunlicherweise machte Viktoria ihren Abschluss als Betriebswirtin und stieg in die Kanzlei ihres Vaters mit ein.

Warum sie irgendwann die Kurve gekriegt hatte, war ein Mysterium und würde es für alle Ewigkeit auch bleiben.

Gabriel vermutete ja, dass es an seinen weitervererbten Genen liegen könnte. Aber wie gesagt, es ist nur eine Vermutung.

Gabriel hatte gehofft, Viktoria würde noch einmal zurückkommen, aber stattdessen kam der Professor zu ihm.

„Vicky war bei mir“, sagte er, „sie hat sich nach dir erkundigt.“

„So nennst du das?“, erwiderte Gabriel lächelnd, „wickelt sie dich noch immer um den Finger?“

Jetzt lächelte auch Waldemar. Er war der Patenonkel von Viktoria und er mochte die junge Frau.

„Sei nicht so streng, alter Brummbär“, erwiderte Waldemar, „sie hat es auch nicht leicht. Und das weißt du auch.“

„Und?“, sagte Gabriel, „hast du mit ihr darüber gesprochen, wie sie ihren alten Vater die nächste Zeit pflegen soll?“

„Du Scherzbold“, antwortete Waldemar, „das ginge keine zwei Wochen gut und ihr hättet euch schon an der Gurgel.“

„Da könntest du recht haben“, erwiderte Gabriel, „leider…“

„Mach dir keinen Kopf, mein Lieber“, sagte Waldemar, „ich habe da schon eine Lösung für dich parat.“

*****

Jumana Abbas war mit ihrer Tochter Djamila den Kriegswirren in Syrien entflohen und nach Österreich gekommen.

Karim Abbas, Jumanas Ehemann, arbeitete damals als Arzt in einem Spital, bevor er von Rebellen entführt wurde.

Djamila war Krankenschwester im selben Spital, wollte aber nach der Entführung ihres Vaters nicht mehr dort weiterarbeiten. Die Erinnerungen schmerzten sie zu sehr.

Das war vor drei Jahren. Inzwischen arbeitete sie in der Universitätsklinik bei Professor Fromm, der sich rührend um Jumana und Djamila angenommen hatte. Er hatte den beiden Frauen damals auch eine Wohnung besorgt.

Die Fromms verbrachten privat sehr viel Zeit mit den beiden Frauen, um ihnen die Eingewöhnung in ihre neue Heimat etwas zu erleichtern.

Jumana, eine ausgezeichnete Köchin, dankte es ihren Gönnern, indem sie ihnen die syrische Küche mit all ihren Köstlichkeiten nahebrachte.

Das brachte anfangs ein großes Problem mit sich. In der arabischen Welt wird nicht mit Messer und Gabel gegessen. Brotstücke ersetzen das Besteck. Das Brot wird mitgegessen und darf nicht ein zweites Mal in die Speise getaucht werden.

Und sehr wichtig ist es, nicht die linke Hand zum Essen verwenden. Sie gilt im islamischen Raum als unrein.

Das Aufeinandertreffen zweier völlig verschiedener Kulturen bedurfte einer äußerst feinfühligen Herangehensweise. Ein Kompromiss musste gefunden werden.

Und so entschied man, im Hause Fromm mit Messer und Gabel zu speisen, und bei den Abbas‘ sich den Gebräuchlichkeiten des Islam anzunähern.

Für Waldemar und Elvira Fromm stellte dies die weitaus größere Herausforderung dar, der man sich jedoch tapfer stellte. Und so wurde jedes gemeinsame Essen zu einer äußerst unterhaltsamen Angelegenheit.

Sprachlich einigte man sich anfangs auf Englisch, welches auf beiden Seiten in genügendem Ausmaß zur Verwendung stand.

Während Djamila sich schon bald auf Deutsch problemlos verständigen konnte, bereitete dies ihrer Mutter doch beträchtliche Schwierigkeiten.