Soko Besemi - Juergen von Rehberg - E-Book

Soko Besemi E-Book

Juergen von Rehberg

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Beschreibung

Eine neue, grenzübergreifende Soko ( 5 Kriminalbeamtinnen aus Österreich und Deutschland) befasst sich mit einem Fall sexuellen Missbrauchs im klerikalen Umfeld, der sie bis nach Dänemark führt. Unter der Ägide von KOR Elke Storm, ermitteln Chefinsp. Marianne Langmayr, KontrInsp. Eva Anna Gruber, KHK Babs Thies und KOK Brigitte Pföhler an einem Fall, bei dem sie immer wie-der auf Widerstände stoßen.

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Die Wahrheit ist „umami“.

Das bedeutet, sie ist weder süß noch sauer, bitter oder salzig. Man könnte genauso sagen: „Die Wahrheit ist weder Fisch noch Fleisch.“

Man kennt solche Situationen, in denen man nicht so recht weiß, wie man etwas oder jemanden einordnen soll.

In einer solchen Situation befanden sich die Beamtinnen der „Soko Besemi“, einer speziellen Truppe, die zugleich ein Pilotprojekt der österreichischen und deutschen Polizei war.

Wenn man diesem seltsam anmutenden Namen „BESEMI“ begegnet, so könnte einem der Titel eines Liebesliedes der mexikanischen Komponistin, Consuelo Velázques einfallen, der sich ähnlich anhört:

„Bésame mucho“ – was so viel wie „Küss mich viel“ bedeutet, und einem ein verschmitztes Lächeln ins Gesicht zaubern könnte.

Das jedoch wäre zynisch, geht es doch um sexuellen Missbrauch. Und das geht gar nicht.

Jawohl; „BESEMI“ ist das Synonym für „Bekämpfung Sexuellen Missbrauchs“, und vielleicht hätte man sich ja doch eine etwas passendere Bezeichnung einfallen lassen können.

*****

Im vorliegenden Fall ging es um sexuellen Missbrauch im klerikalen Umfeld.

Und um diesem heiklen Strafbestand adäquat begegnen zu können, hatte man sich höheren Orts etwas ganz Spezielles einfallen lassen.

Die Innenministerien beider Länder hatten beschlossen, eine Sonderkommission zu gründen, die ausschließlich aus weiblichen Beamten bestehen sollte.

Man war davon ausgegangen, dass weibliche Ermittler den Tätern gegenüber – es handelt sich ja überwiegend um männliche Täter – einen besseren Zugang haben könnten, als ihre männlichen Kollegen.

Die Idee wurde an zuständiger Stelle vorgebracht und auch genehmigt, nachdem ein Psychologenteam seinen Sanctus dazu gegeben hatte.

Die Idee sah vor, dass jeweils zwei Beamtinnen aus beiden Ländern zusammenarbeiten sollten, unter der Ägide einer übergeordneten Beamtin.

Und so wurde die „Soko Besemi“ gegründet, mit Sitz in Passau und der Beteiligung folgender Kriminalistinnen:

Chefinspektorin Marianne Langmayr

Kontrollinspektorin Eva Anna Gruber

Kriminalhauptkommissarin Babs Thies

Kriminaloberkommissarin Brigitte Pföhler

Die beiden Damen aus Österreich waren eine Leihgabe des LKA Krems und ihre beiden deutschen Kolleginnen kamen vom LKA Stuttgart.

Allen vier Beamtinnen wurde als leitende Ermittlerin und Koordinatorin Elke Storm, Kriminaloberrätin vom LKA Hamburg, zugewiesen.

Als Tag der ersten Begegnung war der 10. April vorgesehen, eine Woche nach Ostern.

*****

Der Leiter des LKA Passau, Kriminaldirektor Ludwig Böhler, nahm die Begrüßung der fünf Damen persönlich vor und sicherte ihnen jedwede Unterstützung zu.

Ein kleines kaltes Buffet, Sekt und alkoholfreie Getränke umrahmten die kleine Willkommensfeier.

Nachdem die Presse ihre obligaten Fotos gemacht hatte, zogen sich die fünf Frauen in ihr – eigens dafür eingerichtetes – Büro zurück und stellten sich einander vor.

Die Kriminaloberrätin aus dem hohen Norden ließ den anderen zunächst den Vortritt und richtete dann das Wort an ihre kleine Truppe:

„Verehrte Kolleginnen, ich lege keinen Wert auf meinen Titel, und ich schlage daher vor, dass Sie mich einfach <Frau Storm> nennen.“

„Warum so förmlich?“

Es war die Kontrollinspektorin Eva Anna Gruber, welche Elke Storm unterbrochen hatte und jetzt fortfuhr:

„Ich schlage vor, dass wir uns alle beim Vornamen nennen und uns duzen. Ich heiße übrigens Eva Anna; aber ihr könnt ruhig Eva zu mir sagen.“

„Das finde ich gut“, bestärkte Marianne Langmayr ihre Kollegin, und zu den beiden Damen aus der Schwabenmetropole gewandt, fügte sie hinzu:

„Was haltet ihr von dem Vorschlag?“

„Das finde ich prima“, antwortete Babs Thies und Brigitte Pföhler nickte zustimmend.

Die Kriminaloberrätin aus dem kühleren Teil Deutschlands sah sich total in die Enge getrieben. Diese Entwicklung war so gar nicht nach ihrem Geschmack. Sie präferierte eine gewisse Distanz am Arbeitsplatz und musste nun gute Miene zum bösen Spiel machen.

„Also gut“, sagte sie in bestens gespielter Souveränität, „dann soll das wohl so ein. Ich heiße übrigens Elke.“

Und dann wandte sie sich, begleitet von einem nonchalanten Lächeln, dem eigentlichen Zweck ihres gemeinsamen Daseins zu.

„Bevor wir uns mit diesem Fall beschäftigen, sollten wir noch überlegen, wer mit wem zusammenarbeitet.

Was mich angeht, so werde ich mich eher im Hintergrund halten und die Koordination übernehmen.“

Der zweite Teil ihrer Ausführung war für alle klar, hingegen der erste stiftete eine leichte Verwirrung.

„Es ist doch sonnenklar, wer mit wem zusammenarbeitet“, sagte Marianne, „wir Österreicherinnen sind ein eingespieltes Team, genauso wie die Mädels aus Germany. Oder sehe ich das falsch?“

Eine leichte Spannung lag spürbar in der Luft, und Elke war zum ersten Mal in ihrer Funktion als „Leitwolf“ gefragt.

„Das ist völlig richtig, dass ihr ein jeweils eingespieltes Team seid; aber vergesst nicht, dass wir länderübergreifend arbeiten müssen.

Und ein gemischtes Team hat den Vorteil, dass ihr euch ergänzt. Das könnte sehr hilfreich sein. Meint ihr nicht auch?“

Die vier Kriminalistinnen sahen einander an.

Brigitte, die sich bisher eher zurückgehalten hatte, meldet sich zu Wort. Sie war die Jüngste unter ihnen.

„Ich sehe durchaus einen Reiz darin, die Teams zu mischen. So kann man die Erfahrungen bündeln, die man in seinem jeweiligen Umfeld schon gesammelt hat.“

Babs sah ihre junge Kollegin erstaunt an. Sie kannten einander schon eine geraume Zeit, und bisher war es immer so, dass Babs das Wort führte.

In Babs stieg rechte Freude auf. Sie hatte sich schon immer gewünscht, Brigitte würde im Beruf mehr aus sich herausgehen. Und nun das…

„Ich stimme Brigitte zu“, sagte Babs, „so machen wir das.“

„Das freut mich, dass ihr meinen Vorschlag annehmt“, sagte Elke erleichtert, „und ich schlage weiter vor, dass wir für heute Schluss machen.

Wir treffen uns morgen, punkt acht Uhr und machen uns dann an die Arbeit.“

Elke wollte sich schon abwenden, als Babs sagte:

„Ich möchte dich, liebe Elke und unsere beiden österreichischen Kolleginnen auf ein Glas Wein oder auf ein Bier einladen.

Mein Schwager und meine Schwester haben ein kleines Lokal, etwas außerhalb, und sie erwarten uns schon.

Keine Angst, keiner muss Auto fahren. Kevin, mein Neffe, holt uns gleich ab und bringt uns später auch wieder zurück in unser Quartier.

Ich muss ihn nur kurz anrufen.“

Während Elke noch mit sich rang, wie sie der Angelegenheit schadlos entfliehen könnte, stimmte die Österreich-Connection bereits begeistert zu.

Und Brigitte war von Haus aus schon involviert gewesen.

Nur wenige Minuten später saßen fünf Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können, im Kleinbus von Kevin, der sie mit sicherer Hand ins „Bräustüberl“ führte, wo eine weitere „Willkommensfeier“ auf sie wartete…

*****

Der nächste Morgen brachte bei den Ermittlerinnen aus Österreich deutliche Spuren einer schlimmen Nacht zum Vorschein.

Während die drei deutschen Kolleginnen frisch, fromm, fröhlich, frei am Arbeitsplatz erschienen, taten dies Eva und Marianne mit hängenden Augen.

Das lag daran, dass die Weintrinker aus der Wachau den Verlockungen des Nordlichts erlagen. Elke, die Blume von der Waterkant, von Geburt an Bier- und Schnapstrinkerin, oktroyierte den beiden Mädels aus der Wachau einen Schnaps nach dem anderen auf.

Babs und Brigitte, dem Bier und dem Schnaps von Haus aus zugeneigt, ermunterten ihre beiden Kolleginnen, mit ihnen auf gutes Gelingen anzustoßen. Und nach zaghaften Versuchen, sich dem drohenden Elend zu entziehen, ergaben sich Eva und Marianne ihrem Schicksal.

„Guten Morgen, meine Lieben. Ich hoffe, ihr habt den gestrigen Abend gut überstanden, und wir können uns jetzt mit aller Kraft dem Fall widmen.“

Elke war schon vor allen anderen im Büro erschienen und hatte Vorbereitungen getroffen. Im Grunde genommen war sie mehr der Stratege und weniger die toughe Ermittlerin.

Sie hatte sich in relativ kurzer Zeit bis weit hinaufgearbeitet und ihr Privatleben dabei außen vorgelassen.

Es hatte schon einige Beziehungen gegeben; für eine Ehe hatte es jedoch nie gereicht. Es gab Momente, wo sie das bedauerte; aber die vergingen auch schnell wieder.

„Vor euch liegen Mappen, die ich vorbereitet habe. Ich möchte euch bitten, sie eingehend zu studieren.“

Elke deutete auf eine gläserne Wand, die sie aufgestellt hatte, und auf der sich einige Bilder befanden. Sie zeigten verschiedene Personen, wovon die meisten weiblich waren. Dann zeigte sie auf ein bestimmtes Bild.

„Das ist Frederik Schongauer. Er ist Pfarrer und um ihn geht es.

Gegen ihn besteht der Vorwurf sexuellen Missbrauchs an Jugendlichen.

Bei den anderen Personen handelt es sich um die potenziellen Opfer des Gottesmannes.“

Den Anwesenden fiel auf, dass Elke dem Wort „Gottesmannes“ eine besondere Betonung beigemessen hatte.

Es war vor allem Marianne, eine überzeugte Katholikin. Sie fragte Elke direkt:

„Hast du Probleme mit der Kirche?“

Elke sah zunächst Marianne an, dann die anderen und sagte dann:

„Ich bin überzeugte Agnostikerin. Beantwortet das deine Frage?“

„Das heißt, du leugnest, dass es Gott gibt“, erwiderte Marianne in einem leicht gereizten Tonfall.

„Nein, liebe Marianne“, antwortete Elke, „dann wäre ich eine Atheistin.“

„Das ist doch dasselbe“, sagte Marianne.

„Nochmals nein, liebe Marianne“, erwiderte Elke. „Der Atheist leugnet, dass es einen Gott gibt, während der Agnostiker davon ausgeht, dass es ein übernatürliches Wesen, wie einen Gott gibt, dieses aber nicht rational erklärbar ist.“

„Das ist doch Haarspalterei“, ereiferte sich Marianne, und bevor Elke darauf antworten konnte, beendete Babs die Diskussion mit den Worten:

„Können wir uns bitte wieder mit unserem Fall beschäftigen?“

Die Schärfe des Gesagten und die Tatsache, dass Babs die älteste in der Runde war, vermochten die Wogen augenblicklich zu glätten.

Und als Eva Anna auf die gläserne Wand deutete und fragte, wer die anderen Personen wären, wendete man sich wieder dem Fall zu.

Elke deutete auf die Fotografien von zwei weiteren Männern und sagte:

„Der eine ist Waldemar Seefried, der Direktor der ISPIL1, an welcher die Missbräuche vorgekommen sein sollen, und der andere ist Oscar Pedersen, der dänische Botschafter.

Aber zu den beiden komme ich noch später zurück.“

„Ist der Beschuldigte in Haft?“, fragte Brigitte, und an Stelle von Elke übernahm Eva Anna die Antwort.

„Natürlich, du Tschapperl2, was glaubst du denn.“

„Nein“, korrigierte Elke, „der Beschuldigte ist auf freiem Fuß.“

Obwohl niemand der Anwesenden, außer Marianne, wusste, was das Wort „Tschapperl“ zu bedeuten hatte, fragte niemand.

Man hatte wohl angenommen, dass es sich um ein nettes Kosewort handelte.

Brigitte dürfte wohl an diese Bedeutung gedacht haben, denn ein feines Lächeln umspielte ihre Züge.

Brigitte war die jüngste im Team. Sie war noch nicht sehr lange Mitglied beim LKA Stuttgart. Babs hatte sie sofort unter ihre Fittiche genommen.

„Wie bitte? Der Kerl läuft noch frei herum? Wie ist das möglich?“

Es war Babs, die ihrem Entsetzen freien Lauf ließ.

„Die schützende Hand des Kardinals“, antwortete Elke lapidar.

„Und das lassen wir uns so ohne Weiteres gefallen?“, polterte Babs weiter, die gerade ihre schützende Zone der Gelassenheit verlassen hatte.

Sie hatte, ähnlich wie Elke, so ihre Schwierigkeiten mit der Kirche.

„Das liegt nicht in unserer Hand“, erwiderte Elke, „das entscheiden andere.“

Es folgte für einen kurzen Augenblick betretenes Schweigen.

„Ich möchte euch nun bitten, lest euch in die Akte ein und dann werden wir den Fall in Angriff nehmen.

Ich muss noch einen Sprung in die Staatsanwaltschaft machen, und Marianne wird mich begleiten.“

Mit diesen Worten verließ Elke den Raum und Marianne trottete hinter ihr her.

Elke ging mit Marianne in den kleinen Park im Innenraum des Gebäudes und setzte sich mit ihr auf eine Bank.

Bevor die etwas verwirrte Marianne fragen konnte, was sie hier machen würden, sagte Elke:

„Ich möchte kurz mit dir reden. Es lag mir vorhin fern, dich in irgendeiner Weise zu verletzen oder dich vorzuführen.

Sollte es so auf dich gewirkt haben, so bitte ich um Entschuldigung.“

Marianne wollte etwas erwidern, aber Elke hielt sie zurück.

„Warte bitte! Ich bin noch nicht fertig.“

Marianne sah Elke verwundert an.

„Ich möchte dir erklären, warum ich vorhin vielleicht etwas schroff zu dir war.“

Und wieder versuchte Marianne, darauf zu antworten. Und wieder ließ es Elke mit einer abweisenden Handbewegung nicht zu.

„Ich hatte die wunderbarste Mutter auf der Welt. Als ich Mitte zwanzig war, starb sie plötzlich. Einfach so. Sie war gerade achtundvierzig Jahre alt und sie war nicht krank. Ihr Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen.

Für mich stürzte damals der Himmel ein. Einen Vater gab es nicht; nur meine Großeltern.

Unsere ganze Familie war evangelisch und obwohl der allsonntägliche Kirchgang nicht Usus bei uns war, glaubten wir fest an einen Herrgott.

Dann kam der Herr Pastor zu uns nach Hause, um sich ein paar Eckdaten für seine Trauerrede zu besorgen.

Da saßen wir nun bei Kaffee und Kuchen und schnackten3 über das Leben und seine Vergänglichkeit.

Und dann kam die schicksalhafte Frage des Herrn Pastor, über welches Thema er am Grab denn reden solle.

Als meine überraschten Großeltern auf diese Frage keine Antwort gaben, sprang ich in die Bresche und sagte: <Über die Liebe, Herr Pastor; über die Liebe.>

Der Gottesmann sah mich ungläubig an und hakte nach, indem er mich fragte, was ich wohl damit meinte.

<Sprechen Sie einfach über die Liebe>, antwortete ich erneut, und der Herr Pastor gab sich damit zufrieden.

Nachdem er die letzten Krümel seines Kuchens auf dem Teller entsorgt hatte, verließ er uns wieder.

Dann kam der Tag der Beerdigung. Ich saß mit meinen Großeltern, ein paar wenigen Freunden und Bekannten in der Aufbahrungshalle des Friedhofs und lauschte den Worten des geistlichen Herrn.

Und was dann kam, war eine Katastrophe. Der Mann auf der Kanzel mit seinem gestärkten Mühlsteinkragen4 suchte nach Worten, wie ein Fisch auf dem Trockenen, der nach Luft schnappt.

Das Evangelium, aufgebaut auf dem Urgedanken der Liebe, war wie eine leere Wüste für den Mann. Ich spürte, wie sich meine Fingernägel in meine Handfläche bohrten, und es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre aufgesprungen.

Ich hätte diesem Gottesmann am liebsten von meiner Mutter erzählt, die ein einziger Ausdruck für Liebe war, und durch die ich so viel Liebe erfahren habe, dass mich ihr Verlust tief in der Seele schmerzt…“

Hier machte Elke eine kurze Pause. Marianne hatte ihr gebannt zugehört. Dann fuhr Elke fort:

„Nur wenige Tage später bin ich aus der Kirche ausgetreten, und ich habe nie wieder ein Gotteshaus betreten. Gott hat mich einfach im Stich gelassen…“

Marianne bemerkte im Gesicht von Elke eine große Leere, und sie begann Sympathie für die Frau zu empfinden, die gerade ihr Innerstes vor ihr ausgebreitet hatte.

„Glaubst du noch an Gott?“

Diese Frage hatte sich aus Marianne förmlich hinausgeschlichen. Sie konnte nicht anders. Sie musste daran denken, dass ein Sonntag ohne Kirchgang für sie undenkbar wäre.

Und nun saß eine Frau neben ihr, die Gott den Rücken gekehrt hatte, und die von sich behauptete, dass es genau umgekehrt wäre.

Elke drehte sich zu Marianne hin. Sie glaubte in ihrem Gesicht die Hoffnung erkennen zu können, Elke möge mit JA antworten.

Elke lächelte. Sie bereute, dass sie dieser warmherzigen Frau zuvor so harsch begegnet war.

„Ich glaube, dass es da etwas gibt, dass größer und mächtiger ist als wir“, antwortete Elke vorsichtig, „und fast beneide ich dich ein wenig.“

„Warum?“, fragte Marianne, worauf Elke antwortete:

„Einfach nur so. Aber jetzt lass uns wieder hineingehen zu den anderen.“

„Gehen wir nicht zur Staatsanwaltschaft?“, fragte Marianne.

„Das hat sich erledigt, Marianne“, antwortete Elke lächelnd, und Marianne erwiderte das Lächeln.

Als die beiden zu den anderen zurückkamen, befanden sich diese in einer hitzigen Diskussion.

„Dürfen wir mitmachen?“, sagte Elke, „Um was geht es?“

„Wir verstehen nicht, dass dieser Priester noch auf freiem Fuß ist“, antwortete Babs, „es geht doch immerhin um ein Vergehen nach § 174 StGB, wenn ich nicht irre. Oder?“

„Nein, du irrst dich nicht“, antwortete Elke, „aber es gilt die Unschuldsvermutung und Fluchtgefahr besteht nicht.“

„Bei uns wäre der Kerl schon hinter Schloss und Riegel“, sagte Eva Anna mit Blick auf Marianne, in Erwartung deren Zustimmung.

„Ich bin mir da nicht so sicher“, erwiderte Marianne achselzuckend, was bei Eva Anna Erstaunen hervorrief. Überhaupt schien Marianne irgendwie verändert zu sein, nachdem sie mit Elke von der Staatsanwaltschaft zurückgekommen war…

*****

1International School for Promoting Intelligence and Lifestyle

2 Verniedlichend für „unbeholfenes Kind“

3Mundartlich norddeutsch für gemütlich, zwanglos plaudern, sich unterhalten.

4Halskrause

Anklageschrift

Der katholische Pfarrer Frederik Schongauer,

geboren am 29.04.1961 in Kiel,

ledig,

Staatsangehörigkeit: deutsch,

wohnhaft in den Räumlichkeiten der International

School for Promoting Intelligence and Lifestyle

Wird angeklagt

In der Zeit von 01.01.1995 bis 31.12.1996

wider besseres Wissen sexuellen Missbrauch an Schutzbefohlenen begangen zu haben.

Dem Beschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:

In dem o.a. Zeitraum hat der Angeklagte an mehreren Schülerinnen der International School for Promoting Intelligence and Lifestyle sexuelle Handlungen vorgenommen bzw. vornehmen lassen.

Beweismittel:

Zeugen:

Chantal Hofer

Evi Maurer

Béatrice Meunier

Merle Pedersen

*****

„Ich habe mir folgende Teams vorgestellt.“

Mit diesen Worten eröffnete Elke die Einsatzbesprechung für den Tag.

„Chefinspektorin Langmayr mit Kriminaloberkommissarin Pföhler und Kriminalhauptkommissarin Thies mit Kontrollinspektorin Gruber.“

„Warum so förmlich, Frau Kriminaloberrätin Storm?“

Elke reagierte auf Eva Annas Frage mit einem strengen Blick und antwortete:

„Weil es so in meinem Protokoll steht, das ich führen muss. Beantwortet das deine Frage, liebe Eva?“

„Ich meine ja nur“, gab Eva kleinlaut zurück.

Elke spürte eine leichte Feindseligkeit bei Eva und sie fragte sich, warum das so sein könnte.

Was Elke nicht wissen konnte, war, dass Eva ihre Kollegin gefragt hatte, warum sie eine 180 Gradwende gemacht hatte, in Bezug auf Elke.

Marianne hatte ihr darauf geantwortet, dass sie sich mit Elke unterhalten hätte, und dass sie daraufhin eine andere Sichtweise auf die deutsche Kollegin gewonnen habe.

„Jetzt fehlt nur noch, dass du sie magst.“