Und hätte der Liebe nicht - juergen von rehberg - E-Book

Und hätte der Liebe nicht E-Book

Juergen von Rehberg

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Beschreibung

Sandrine Renard kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Sie tut dies bei einem Blick aus dem Fenster, von dem aus sie jeden Morgen ihren geliebten Guillaume begrüßt, der in einem nahegelegenen Friedhof seine letzte Ruhe gefunden hat. Eine bittersüße Familiensaga über Karriere, Erfolg, Ruhm, Freundschaft, Enttäuschung und Verzicht. Über allem steht die Liebe, die viele Irrwege gehen muss, bis sie die Erfüllung findet.

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Sandrine Renard stand am offenen Fenster und lächelte. Es war ein zufriedenes Lächeln. Sie blickte hinüber zu den steinernen Zeugen der Vergänglichkeit und schickte einen liebevollen Gruß dorthin.

Er galt ihrem Gatten Guillaume, den sie vor ein paar Wochen auf den Cimetière de Passy1 umbetten ließ, der quasi vor ihren Füßen lag.

Sandrine hatte das Haus, in dem sie fast dreißig Jahre lang mit ihrem Guillaume glücklich war, verkauft und eine Wohnung in der Av. Paul Doumer erworben.

Der Grund, warum sie diese Wohnung so günstig kaufen konnte, obwohl die Preise in Paris exorbitant waren, lag wohl darin, dass Teile der Wohnung zur Straße hin angeordnet lagen, und dass die Fenster der Zimmer einen Blick auf den nahe gelegenen Friedhof freigaben, was nicht jedermanns Sache ist.

Interessenten schraken davor zurück, und selbst der Blick aus den hinteren Zimmern auf den Eiffelturm weit dahinter vermochten die potenziellen Käufer nicht zu animieren, einem Kauf zuzustimmen.

Als Sandrine davon hörte, keimte augenblicklich die Idee in ihr, besagte Wohnung zu erwerben. Und als sie mit dem Verkäufer über einen erschwinglichen Kaufpreis einig wurde, stimmte sie ohne zu zögern zu. Es blieb sogar noch so viel Geld übrig, um ihren geliebten Guillaume von seiner Ruhestätte auf dem Land hierher in die Stadt zu holen.

Jetzt konnte sie ihn an jedem Morgen von ihrem Fenster aus begrüßen, und ihm vor dem Schlafengehen eine gute Nacht wünschen.

*****

Limours im Département Essonne ist heute eine Gemeinde mit ca. 7000 Einwohnern, und liegt in der Region Île-de-France. Nach Paris sind es 40 bis 60 km, je nachdem, welche Strecke man wählt.

Als Sandrine Flaubert dort aufwuchs, hatte Limours keine 2000 Einwohner, und jeder kannte jeden. Ihr Vater Jules arbeitete in der Fabrik für Landmaschinen, Hugo Renard SARL2. Die Mutter Rosalie war Hausfrau und half gelegentlich in der Villa Renard, wenn größere Festivitäten ausgerichtet wurden.

Hugo Renard war recht wohlhabend, und er ernährte mit seiner Fabrik einen Großteil der männlichen Bevölkerung von Limours.

Guillaume, sein Sohn, ging mit Sandrine Flaubert, in die École élémentaire3, wo sie sich sehr schnell anfreundeten.

Beide waren Einzelkinder aus verschiedenen Welten, was jedoch im Schutzraum ihres Kindseins keine Rolle spielte.

Sandrine war ein Wildfang. Die Sommersprossen auf ihrer Nase verliehen ihr einen Hauch von Verwegenheit und Abenteuerlust.

Ganz im Gegensatz dazu Guillaume. Wohlerzogen, ruhig, ein wenig scheu, nicht aber ohne eine Portion Neugier. Eine kleine Portion – wohlgemerkt.

Die Prédecelle ist ein kleines Flüsschen, das auf seiner Reise zur Rémarde, der größeren Schwester, auch an Limours vorbeischaut.

Sie war auch der Spielplatz für die Kinder. So auch für Sandrine und Guillaume. Im Sommer verbrachten sie dort die meiste Zeit des Tages.

Sandrine wurde aufgrund ihrer Sommersprossen immer wieder Opfer für Spötteleien. Während sie darüber lachte, bekämpfte Guillaume die Spötter. Das ergab hie und da auch schon einmal eine blutige Nase, nicht zuletzt auch für ihn.

Guillaume folgte Sandrine auf Schritt und Tritt, und Sandrine schien es zu genießen. Es amüsierte sie, wie Guillaume für sie eintrat, und sie verlieh ihm dafür sogar einen Orden, indem sie ihn „Ritter Toutou“4 nannte, weil er nie von ihrer Seite wich.

Und genau so sah sich Guillaume auch: als Beschützer und Ritter für die Angebetete. Auch er hatte einen Kosenamen für Sandrine, den er jedoch niemals auszusprechen wagte: Bijou.5

Manchmal brachte Sandrine ihren „Toutou“ auch mit nach Hause. Dann gab es Kakao und Brot mit selbst gemachter Marmelade von Maman Flaubert.

Guillaume hätte Sandrine auch gern mit sich nach Hause mitgenommen, aber das wollte Madame Flaubert nicht.

Mit den Worten „wir gehören dort nicht hin“ legte sie ihrer Tochter nahe, es nicht zu tun, und Sandrine nahm sich die Worte der Mutter zu Herzen.

Sandrine und Guillaume verbrachten nach der Grundschule noch weitere vier Jahre gemeinsam im Collège6.

In dieser Zeit drängte sich ein Junge, der mit seiner Familie zugezogen war, zwischen „Toutou“ und „Bijou“. Er hieß Armand Leconte und war zwei Jahre älter.

Sein Vater, Pascale Armand, arbeitete als Verwalter in der Firma von Guillaumes Eltern und hatte sich sehr schnell in das gesellschaftliche Leben der Familie eingelebt.

Armand war das krasse Gegenteil zu Guillaume. Forsch, selbstbewusst und zu allem Übel auch noch sehr schön und gut gebaut.

Er wurde in kürzester Zeit der Platzhirsch und zum Schwarm aller Mädchen. Zu Guillaumes Unverständnis gab sich seine Angebetete und aus tiefstem Herzen bewunderte „Bijou“ dem Charme dieses Eindringlings hin.

Und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er einen Schmerz, den er bisher nicht kannte, und den die Erwachsenen „Liebesschmerz“ nennen.

Die Pubertät hatte bei den jungen Menschen in Limours Einzug gehalten. Die jungen Knospen bei den Mädchen begannen zu sprießen und hoben sich schon deutlich erkennbar unter den Blusen ab, und bei den Burschen erwachte der zarte Flaum eines beginnenden Bartwuchses.

Was bei den Mädchen hinzukam, war eine weniger angenehme Erscheinung, welche die eintretende Gebärfähigkeit dokumentierte. Und bei den Burschen sorgte der Stimmbruch für gelegentliche Erheiterungen.

So vergingen Sommer um Sommer, die sich einer wie der andere freudlos für Guillaume anfühlten und für Sandrine voller Erfüllung waren.

Die Beziehung zwischen Armand und Sandrine erlosch schon sehr bald. Armand hatte sich einer anderen Mitschülerin zugewandt, die etwas älter als er war und auf einem sexuellen Level, den zu erreichen, Armand erstrebenswert erschien.

Nur wenig später wechselte Armand zu einem Lycée7 nach Paris.

Sandrine und Guillaume befanden sich in einer verzwickten Lage. Während Guillaume bereit gewesen wäre, die „Abtrünnige“ wieder in seinem Herzen aufzunehmen, hinderte der verletzte Stolz von Sandrine sie daran, ihren Irrtum einzugestehen und sich reumütig ihrem „Toutou“ zuzuwenden.

So lebten die beiden Freunde, denn so betrachteten sie sich schon noch, nebeneinander her, und schenkten sich ab und zu ein kleines Lächeln.

Als Guillaume zu dem renommierten „Lycée Henri IV“ wechselte, an welchem schon Jean-Paul Sartre und der spätere französische Staatspräsident Emmanuel Macron ihre Schulzeit fristeten, trennten sich ihre Wege endgültig.

Sandrine mache ihr Collège fertig und begann dann eine Lehre als Pâtissière. Sie folgte damit einer Leidenschaft, die sie schon als kleines Kind bei ihrer Mutter abgeschaut hatte.

Sowohl Sandrine als auch Guillaume lebten beide in Paris, jedoch in verschiedenen Arrondissements8. Der Zufall ließ es dennoch nicht zu, dass sie aufeinandertrafen.

Als Guillaume sein „Bac“9 in der Tasche hatte, inskribierte er an der Sorbonne10, um Medizin zu studieren.

*****

Sandrine ging in ihrer Arbeit völlig auf. Sie erlernte ihre Fähigkeiten bei diversen Ausbildern in den besten Schulen, wie in der „École Alain Ducasse“ und im „Ritz Escoffier“.

Ihr erster großer Erfolg war, dass sie als Mitglied der französischen Mannschaft beim „Championnat du Chocolat“ teilnehmen durfte, bei dem Chocolatiers aus ganz Europa teilnahmen.

Wenn es auch nicht für einen Spitzenplatz ausreichte, so war es doch ein unvergessliches Erlebnis.

Ihre ganz große Liebe galt jedoch der Herstellung von Torten. In Paul Meurisse, dem „Tortenpapst von Paris“ fand sie den perfekten Lehrmeister, der in ihr den Rohdiamanten erkannte, aus dem etwas ganz Großes werden konnte.

Unter seiner Ägide stieg sie in Höhen der Pâtisserie auf, von denen sie nie zu träumen gewagt hätte.

Als sie bei einem Wettbewerb ihre Création „Surprise“11 vorstellte, gewann sie mit großem Vorsprung den ersten Preis, den ihr Mentor, Paul Meurisse mit den Worten dokumentierte:

„Diese Création ist zwar eine <Surprise> und wurde von ihrer Schöpferin auch so genannt, aber ich nenne sie <Gâteau Sandrine>.“12

Das Publikum, sowie die Damen und Herren der Jury applaudierten heftig als Zeichen ihrer Zustimmung.

Sandrine empfand eine große Verlegenheit, die noch zunahm, als ihr der große Meister beide Wangen küsste.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Freude und Glückseligkeit zulassen konnte, die an ihr Herz klopften.

Die „Gâteau Sandrine“ machte Sandrine im ganzen Land bekannt und darüber hinaus. Sie zierte das Cover von Fachzeitschriften und wurde zum Liebling von so manchen Prominenten. Und sie wurde zum Türöffner. Sandrine musste nur noch durch sie hindurchgehen…

*****

Guillaumes Studium kam gut voran. Er lebte in einer kleinen Wohngemeinschaft in fußläufiger Nähe zur Universität. Sie waren zu fünft, drei Burschen und zwei Mädchen.

Chantal, eine der zwei Mitbewohnerinnen, hatte ein Auge auf Guillaume geworfen. Guillaume, der in ihr bisher nur die Mitbewohnerin gesehen hatte, war überrascht, als sie ihn eines Nachts in seinem Zimmer besuchte.

Guillaume versuchte sich noch gegen die eindeutigen Avancen zu wehren, erlag aber am Ende seiner urplötzlich, wild aufflammenden Erregung.

Und so wie Chantal gekommen war, verschwand sie auch wieder. Zurück blieb ein Mann, der nicht begreifen konnte, was gerade geschehen war.

Chantal war eine wunderschöne Frau, ausgestattet mit einer Figur, welcher die Männer schon gern einmal hinterherpfiffen.

Der nächtliche Vorgang wiederholte sich in den darauffolgenden Nächten immer wieder, und Guillaume fand Gefallen daran, vermittelten ihm diese sexuellen Rendezvous doch das Gefühl, ein ganzer Mann zu sein.

Dieses Gefühl, an dem er schon so oft gezweifelt hatte, ließen ihn – auch während des sexuellen Akts – an Sandrine denken, die er noch immer tief in seinem Herzen trug.

*****

Hugo Renard war außer sich, als er erfuhr, dass sein Sohn Guillaume nicht Ingenieurwesen studierte, sondern Medizin.

Der Firmenchef hatte seinem Sohn einen beträchtlichen monatlichen finanziellen Unterhalt bewilligt, um damit Unterkunft und Unterhalt in Paris zu bewältigen. Aber nicht für ein Medizinstudium.

Emma Renard brauchte sehr viel Überzeugungsarbeit, um ihren Gatten davon abzubringen, die monatliche Unterstützung für den gemeinsamen Sohn und Liebling von Maman zu streichen.

Hinzu kam der äußerst erfolgreiche Studienfortschritt, den Guillaume vorweisen konnte.

Das getrübte Verhältnis zwischen Vater und Sohn war zwar auf ein erträgliches Maß zurückgeführt worden, aber die Sorge und der Schmerz bei Hugo Renard waren geblieben, sah er doch sein Lebenswerk arg gefährdet.

Der 1. August war gekommen und damit der 50. Geburtstag von Hugo Renard. Eine große Feier stand an, und Rosalie Flaubert hatte ihre Tochter gebeten, sie möge für den Jubilar eine Torte backen.

Sandrine weigerte sich zunächst. Sie würde wohl unweigerlich auf Guillaume treffen, und davor hatte sie Angst. Aber Rosalie ließ nicht locker, und schließlich stimmte Sandrine zu.

„Freust du dich nicht, dass du Guillaume treffen wirst?“, fragte Rosalie, als Sandrine die „Gâteau Sandrine“ mit nach Hause brachte.

Sandrine beantwortete die Frage ihrer Mutter mit einem leichten Schulterzucken.

„Er wird demnächst Vater“, fuhr Rosalie fort, „ich weiß es von Madame Renard.“

Diese Worte trafen Sandrine wie ein Keulenschlag.

„Monsieur Renard weiß es noch nicht. Es soll eine Geburtstagsüberraschung werden.“

Sandrine hörte die Worte der Mutter wie durch einen Wattebausch. Das heftige Rauschen in ihren Ohren führte sie in die Nähe einer Ohnmacht.

„Das ist ja wunderbar“, sagte Sandrine wie in Trance. Es waren Worte, die sie so nie gedacht hatte.

„Ich bin sehr froh, dass du das gesagt hast, mein Kind“, erwiderte Rosalie, „Vergangenes ist Vergangenes und sollte auch so bleiben.“

„Oui, Maman“, erwiderte Sandrine tonlos, und hätte Rosalie in das Gesicht ihrer Tochter geschaut, dann hätte sie die tiefe Traurigkeit darin gesehen, die sich in diesem Moment auf das Gemüt von Sandrine legte.

*****

Eine illustre Gästeschar hatte sich eingefunden, um den Jubilar gebührend zu feiern.

Sandrine überreichte ihre Torte und gratulierte dem Geburtstagskind.

„Du bist ja eine Berühmtheit, liebe Sandrine“, bedankte sich Hugo, „deine Mutter hat mir eine Zeitschrift gezeigt, mit deinem Bild auf der ersten Seite. Sie kann stolz auf dich sein. Anders als bei mir.“

Hugo machte eine kurze Pause, blickte hin zu seinem Sohn und dessen Begleiterin, und wendete sich dann wieder Sandrine zu. Er hielt noch immer ihre Hand.

„Ich habe mir immer gewünscht, dass Guillaume mein Nachfolger wird und du meine Schwiegertochter.“

Sandrine erschrak. Was sie da gehört hatte, hätte sie niemals erwartet. Bevor sie noch recht darüber nachdenken konnte, fügt Hugo Renard hinzu:

„Guillaume ist noch nicht einmal ein fertiger Arzt. Und jetzt hat er ein Püppchen an der Backe, die von ihm schwanger ist.“

Sandrines Erstaunen wuchs. Sie war froh, als Madame Renard hinzukam und sagte:

„Du musst dich um deine Gäste kümmern, Hugo. Und dann musst du die wunderbare Torte anschneiden, die dir Sandrine gebracht hat.“

Sandrine war erleichtert, dass das Gespräch mit Hugo Renard beendet war. Eigentlich war es eher ein Monolog. Ein Herzausschütten eines traurigen Mannes, der eigentlich heiter und froh sein müsste an seinem Ehrentag.

„Hallo Sandrine! Darf ich dir meine Verlobte Chantal vorstellen?“

Guillaume lächelte, als er das sagte.

Chantal Vermont, Kommilitonin von Guillaume Renard und im 4. Monat schwanger, streckte Sandrine die Hand entgegen.

„Sie sind also die Sandkastenliebe von Gii.13 Haben Sie dort schon das Kuchenbacken gelernt?“