Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende - Alfred Döblin - E-Book

Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende E-Book

Alfred Döblin

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Beschreibung

Alfred Döblins letzter großer Roman – erstmals in der ursprünglichen Fassung Der englische Soldat Edward Allison kehrt traumatisiert aus dem Zweiten Weltkrieg in sein Elternhaus zurück. Er fragt nach der Schuld am Krieg und löst damit einen Reigen von Erzählungen aus, die ganz unterschiedliche Facetten von Schuld beleuchten, vor allem auch innerhalb der eigenen Familie. Ein Meisterwerk der Erzählkunst, neu ediert auf der Grundlage des ursprünglichen Typoskripts. Herausgegeben von Christina Althen und Steffan Davies

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Seitenzahl: 916

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Alfred Döblin

Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende

FISCHER E-Books

Mit einem Nachwort neu herausgegeben von Christina Althen und Steffan Davies

Inhalt

Begonnen 1945 in Hollywood [...]Erstes BuchDie HeimkehrIn der KlinikIm AllisonhausLord Crenshaws AbenteuerDie Prinzessin von TripoliLord Crenshaw kommt zu seinem ThemaJaufie fährt nach Tripoli mit Petite LayJaufie sieht seinen Vater wiederWie der falsche Jaufie der Prinzessin entgehtZweites BuchDie Mutter auf dem MontmartreLob der PhantasieDer Löwe und sein SpiegelbildErzählung vom Knappen, der seinen Ring verlorUnd wenn es doch den Menschen gäbe?James MackenzieGordon findet HelferDenn ich will RedlichkeitAm Dom zu NaumburgIm Himmel · Der Erzengel MichaelProfessor Mackenzies WahrheitenProfessor Mackenzie leitet seine Erzählung einDie Erzählung vom König Lear1. Teil2. Teil3. Teil Die Abdankung4. Teil Wie König Lear verkommt und wie er endetDrittes BuchKann man einen Eber zähmen?Mackenzies milde TherapieDas blaue Sommerkleid AlicesSzenen aus der UnterweltPluto und ProserpinaEdward alleinOffener KampfMichelangelo und die LiebeEntdeckung auf dem DachbodenTheodoraViertes BuchEin TheaterstückEine EnthüllungDie lange Nacht der Lüge ist vorbeiDie wahre Geschichte Gordon AllisonsWie Pluto Proserpina raubteDie Liebe Alices und Franklin GlennsAlice reist abDie Beichte GordonsDer Krieg war längst zu EndeDie Reue Dr. KingsFünftes BuchJungfrau PersephoneiaDie moderne HexenkücheSuzanne und SylvaineDie BilderAm MeerJagd nach dem VernichterEin ExperimentDie DressurDie Liebe höret nimmer aufEin BesuchDie MarschwirbelSaß Alice, die Tochter der MackenziesDer HellseheraktDas WiedersehenEs lebte in Frankreich ein Sänger einmalEin Lebewohl über den KanalBruder TheodorusAnhang[Der Schluss des Erstdrucks (1956)]Das Ende der langen NachtEditorische NotizDaten zu Leben und WerkNachwortZum Text der AusgabeRezeption und ForschungWerk- und LebenskontexteMaterialsammlung in Hollywood und andere QuellenZu Form und StilDialog mit Hamlet, Faust, ÖdipusAnalytische Technik des SeelenarztesLiteraturhinweise1. Texte von Alfred Döblin2. Texte über Alfred DöblinAlfred Döblin Gesammelte Werke Herausgegeben von Christina Althen

Begonnen 1945 in Hollywood (Californien)

Beendet 1946 in Baden-Baden

Erstes Buch

Die Heimkehr

Man brachte ihn zurück. Es fiel ihm nicht zu, den asiatischen Kontinent zu betreten.

Fünf Tage nach dem Durchschleusen des Panamakanals bei Morgengrauen warfen sich zwei japanische Selbstmordflieger auf das Schiff. Der erste segelte schräg aus einer Wolkenwand herunter, glitt durch den weichen Nebel, der auf dem sanft schaukelnden Ozean lag, streifte die Schiffsbrücke, durchbohrte das Deck und riß heulend und flammenspeiend breite Löcher in die Schiffshaut. Gierige Wassermassen sprudelten heran. Man errichtete aus Matratzen und Brettern einen Damm. Er half noch beim Abdichten und beim Wegschleppen der Opfer.

Dann war der zweite Flieger da. Die Menschenbombe sauste senkrecht aus der schweren Wolke herab, die wie eine trächtige Kuh oben hinzog, schmetterte durch das Deck und wühlte sich in den Maschinenraum ein.

Er wurde aufgehoben wie eine Puppe, um sich und über sich gedreht und flog in Flammen und schwarzem Rauch mit Maschinenteilen, Sprengstücken, Holzfragmenten, mit Leichen, Verwundeten und abgerissenen Gliedern. Nichts hatte Bewußtsein in dem heißen Wirbel.

Der Kreuzer brannte aus. Die überlebende Mannschaft mit einer Hilfskolonne von einem Nachbarschiff rettete alles, was noch Lebenszeichen gab, auf einen anderen Kreuzer hinüber. Ihn fand man entfernt von einer Explosionsstelle auf einer dunklen Eisentreppe, die er hinuntergekollert war.

Das Wasser gurgelte friedlich und einschläfernd um die Schiffe, die sich weiter östlich bewegten. Die trächtige Kuh oben schleppte sich schwerfällig fort. Sie hatte einen langen Weg hinter sich und einen noch längeren vor.

Im Bauch des Kreuzers, im Operationsraum, brannten die starken elektrischen Lampen. Auf den Gängen, im Vorraum, stauten sich die Bahren mit den Halbverbrannten, Verstümmelten; junge Wesen, die noch atmeten, aber nicht mehr das Ansehen von Menschen besaßen. Die eilige heiße Fahrt in die Luft hatte ihnen das genommen.

Sein linkes Bein war nicht vorhanden. Man trug die Knochen- und Fleischreste ab, entfernte Holz- und Metallstücke aus den Armen und Schultern, säuberte die klaffende Fleischwunde am Rücken. Man konnte das mit einem Minimum an Narkose; der Schock machte ihn fast empfindungslos. Eine Bluttransfusion vor dem Eingriff, eine Transfusion während der Arbeit, dann noch die anderen Drogen, Sulfa und Penicillin, Tetanusantitoxin hatte er schon erhalten.

Als man ihn vom Tisch nahm, war sein Puls nicht schlecht. Er atmete ruhig, flach und fühlte sich kühl an.

Nach zwei Tagen flog man alle Überlebende, die dem Risiko einer Reise noch ausgesetzt werden konnten, nach Westen über das Meer und setzte sie an der warmen pazifischen Küste Amerikas ab. Hospitäler auf den Hügeln unter Palmen nahmen sie auf. Die Schrecken konnten hier verebben.

Unten lag flach ausgebreitet eine große Stadt. Ihre Häuser kletterten die Hügel herauf. Blühende bunte Gärten umgaben prächtige Villen, Garagen und blaue Schwimmbassins. Durch die gepflegten Alleen fuhren im Strom unhörbar Autos. Es gab weite Geschäftsstraßen, durch die Autobusse und Elektrische sausten; Stühle und Bänke voller Menschen auf grünen Parkplätzen. Frauen überschritten den Damm und betrachteten glänzende Schaufenster mit Kostümen, Schuhen, Hüten, Schmuck. Es war heiß. Man löffelte Eiscreme in den Drugstores und warf einen Penny in den Musikautomaten auf dem Tisch; die leise, summende Jazzmusik.

Er reagierte auf keine Frage. Er war wie diese Menschen auf der Straße, ein zwanzigjähriger Mann, vor Wochen auf Urlaub durch eine große fremde Stadt, London, spaziert, hatte sich an der Ecke eine Zeitung gekauft und im Gehen, die Zigarette im Mund, das Neueste vom Kriegsschauplatz zur Kenntnis genommen. Er hatte seinen Militärwagen gelenkt und vor einem Geschäft gehalten, wo er sich für sein Zivil, nach dem Krieg, Schlipse und Handschuhe kaufte. Er vergaß auch die Blumen für die Mutter nicht, für seine junge, elegante Mutter, stark duftende, tiefrote Nelken.

Sein blaßgelbes Gesicht zeigte keine Spur eines geistigen Lebens; es war faltenlos glatt wie das eines Säuglings. Es rötete sich, wenn das Fieber stieg, seine Augen glitzerten; kein Laut, kein Stöhnen aus dem trockenen Mund.

Dann war es soweit, daß man ihn mit einer Gruppe anderer an die Ostküste transportieren konnte, in einem der endlosen Lazarettzüge, nach Boston, wo sie das englische Hospitalschiff erwartete, das sie in die europäische Heimat zurücktrug.

Es gab nun schon keinen Krieg in Europa mehr. Diesen Krieg hatte er von Anfang an mitgemacht, bei der Abwehr des Blitzbombardements, im Signalkorps, bei der Vorbereitung der Invasion des Festlandes. Er nahm teil am Kampf in der Normandie, am Vormarsch durch Frankreich und Belgien. Er wurde auf eigenen Wunsch nach dem Fernen Osten abkommandiert, als man sich zum Sturm auf Japan rüstete.

Nichts war auf dem atlantischen Ozean mehr zu fürchten. Es war Sommer geworden. Ein glänzender Tag folgte dem andern. Das große Schiff, das ihn heimwärts trug, schaukelte leicht. Friedlich hob und senkte sich der mächtige schwarze Eisenkörper.

Die Horizontallinie schnellte auf, senkte sich. Man wurde in die Höhe getragen, glitt in die Tiefe. Im Schiff surrten die Maschinen. Man lag in Reihen nebeneinander auf dem Deck, gegen den Wind geschützt.

Es war am Nachmittag eines ungewöhnlich stillen Tages, als sich von einem der Betten auf Deck ein durchdringend schriller Schrei erhob, ein Schrei, wie ihn jemand ausstößt, der den Mord auf sich zukommen sieht. Der Schrei, der sich überschlug, ging in ein langes helles Kreischen über. Er alarmierte das Deck. Die Kranken riefen durcheinander nach Schwestern und Pflegern. Man lief von allen Seiten herbei.

Der Amputierte Edward Allison keuchte aus seinem Bett, blaurot, als wenn er erstickte, zerrte an seinen Decken und hatte sich einen Teil seiner Verbände abgerissen. Er stieß mit seinem gesunden Bein wuchtig gegen das Fußbrett und schleuderte seinen Körper von rechts nach links, von links nach rechts, im Kampf mit einem unsichtbaren Gegner, dem er sich entziehen wollte. Namenlose Angst lag auf seinem Gesicht. Seine Augäpfel waren bis zur Weiße entblößt. Seine Lippen zitterten, seine Zähne klapperten, Schweißtropfen auf der Stirne.

Den Schwestern und Ärzten, die ihn festhielten, antwortete er nicht. Der Kampf setzte mit neuer Stärke ein. Er kreischte den Feind in einer unbekannten Sprache an. Das Entsetzen steigerte sich. Während man mit ihm rang, gab man ihm eine Spritze. Man trug ihn rasch von Deck, mit Rücksicht auf die andern: die meisten hier hatten Furchtbares erfahren, viele zitterten schon, die Krise konnte sich wie ein Lauffeuer über das ganze Schiff verbreiten.

Er blieb unten still. Seine Augen bewegten sich und verfolgten alles, was um ihn vorging.

Als man sich Europa näherte und er wieder auf Deck lag, zeigte man ihm die ersten Möwen und machte ihn auf die Unruhe an Bord aufmerksam. Man fuhr an Inseln vorbei. Kleine Schiffe ließen sich sehen. Und plötzlich nach einer Mahlzeit, die er sich ohne Sperren hatte einlöffeln lassen, fand man ihn verändert, mit großen, trüb fragenden Augen. Und siehe da, er bewegte die Lippen.

Eine Schwester näherte sich. Er flüsterte etwas. Sie beugte sich über ihn. Er flüsterte: »Was ist? Wo bin ich?«

»Auf dem Schiff. Wir sind bald zuhause. Man sieht schon Land.«

Er starrte sie an: »Welches Land?«

»England, Mister Allison.«

»Wer ist Mister Allison?«

Sie berührte seine Schulter: »Sie. Der hier, ja. Sie sind Mister Edward Allison. Kommen Sie, legen Sie sich richtig.«

»Wer ist Edward Allison?«

»Da sehen Sie die dunkle Linie. Wir sind angelangt. In fünf Stunden gehen wir an Land.«

Und als sie freudig nach dem Arzt lief, um ihm den Umschwung im Verhalten ihres Patienten zu berichten, und mit dem Arzt zurückkam, hatte der sich im Bett gestreckt und lag wieder still und starr, wieder in den Abgrund gerutscht, mit dem leeren, glatten Gesicht eines Säuglings, wie ein Naturgegenstand, ein Baumstamm, die Oberfläche eines Teichs.

 

Ein weißes Klinikzimmer nahm ihn auf, europäischer Boden, nicht der ersehnte des wunderreichen Asiens. Man benachrichtigte seine Familie.

Frau Alice, die Mutter, hatte ein schmales, ebenmäßiges Gesicht. Sie konnte jung und mädchenhaft hold aussehen. Ihre Augen blickten offen, tief und eindringend. Wenn sie ihre Lippen nicht zusammenkniff, wie sie öfters tat, wodurch ihr Gesicht einen scharfen Ausdruck bekam, hatte sie einen weichen aufgeworfenen Mund. Sie war schlank, straff und leicht und bewegte sich langsam. Auf die Nachricht von seiner Verstümmelung hatte sie sich wochenlang eingeschlossen und machte einen apathischen Eindruck, wenn sie sich zeigte. Jetzt schwang sie das Telegramm, verkündete die Neuigkeit und weinte und lachte durcheinander. Sie fing am selben Tage an das Haus für seinen Empfang bereitzumachen, sein Zimmer zu schmücken, – und immer wieder auf einen Stuhl zu sinken und vor sich hin zu weinen. Bald erfuhr man, Edward werde in das nahe Sanatorium überführt, dessen Leiter im Allison-Haus aus und ein ging. Frau Alice saß in ihrem Zimmer und wartete, wie gesegnet.

Kathleen, die Tochter, drei Jahre jünger als Edward, ein ernstes, nüchternes Wesen, die den Krieg bei einem Automobilkorps mitgemacht hatte, beobachtete die Mutter und fragte sie aus. Sie wunderte sich über den Eindruck, den die Neuigkeiten auf die Mutter machten. Sie fand die Mutter lächerlich. Und nun fing Alice an, sich schönzumachen, Kathleen sah, daß sie eine junge interessante Mutter hatte, ein anderer Frauentyp als sie selbst. Die Mutter lächelte viel: sie übte wohl das Lächeln für Edwards Empfang ein. Es war schon empörend. Was für ein Wesen um eine Verletzung. Andere Mütter benahmen sich stolz und tapfer.

Der Vater ließ seine Frau wie immer gewähren. Er benahm sich, fand Kathleen, würdig. Er saß in seiner Bibliothek im ersten Stock, schwer, unbeweglich, ein fetter Mann, dieser angesehene Schriftsteller, der sich als Journalist als Reiseberichterstatter einen Ruf erworben hatte, dann durch Erzählungen, Humoresken, Kurzgeschichten, um die sich Verleger und Zeitungen rissen, reich geworden war. Er war aus seinem Londoner Stadtsitz, schon vor Kriegsausbruch, in diese Villa, in sein Sommerhaus, gezogen.

Alice stand mit Kathleen an der Bahn, als man den Sohn aus dem Lazarettzug trug. Man hob seine verhüllte Tragbahre auf ein Gestell, das man rasch vorüberrollte. Die Mutter konnte die Blumen nicht auf die Bahre legen. Sie schickte ihm dann jeden Tag Blumen ins Sanatorium. Aber warum durfte sie nicht kommen? Endlich wurde es erlaubt. Aber man gestattete nur, daß sie durch das Türfenster in den Raum blickte.

Da stiegen sie beide aus dem Wagen, Alice und Kathleen. Die Mutter, blaß, sprang die Stufen hinauf; Kathleen, wie um Entschuldigung bittend, folgte übertrieben langsam. Der breite, mit Linoleum ausgelegte Flur zum Wartezimmer. Bald zeigte sich Dr. King, ein großer, breitschultriger Herr mit schütterem, grauweißem Haar, und streckte seinen Besucherinnen herzlich beide Hände hin. Aber statt sie nun gleich zu dem Kranken zu geleiten, ließ er sich schwer in den Korbsessel nieder, zündete sich eine Zigarre an und begann eine Unterhaltung, die sich hinzog, bis die Mutter es nicht mehr ertrug und mit einem gequälten Lächeln bat, ihr nun den versprochenen Blick in Edwards Zimmer zu gestatten.

»Warum kann ich übrigens, wenn ich ihn schon nicht sprechen darf, nicht wenigstens einen Augenblick ins Zimmer treten und ihm die Hand drücken. Ich werde bestimmt kein Wort sagen.«

»Seinetwegen, liebe Frau Allison. Ich weiß nicht, wie der Anblick der Mutter, die Berührung mit dem häuslichen Milieu, die Erinnerungen selbst ohne Worte auf ihn einwirken. Ich möchte offengestanden das Experiment auf später verschieben.«

»Ist er sehr schwach, Doktor?«

»Sie müssen es begreifen, nach dem, was passiert ist. Sein seelischer Zustand beschäftigt uns am meisten. Wir haben die Behandlung noch nicht begonnen. Sie werden seinen Anblick ertragen. Von Zeit zu Zeit steht er unter dem Einfluß von gewissen Phantasien.«

Die Kehle Alices war wie zugeschnürt:

»Phantasien? Was meinen Sie? Was spricht er? Wie sieht er aus?«

»Wie ein Kranker.«

Die Klinikschwester stand an der Tür. Der Arzt winkte ihr zu: »Das ist Schwester Gertrude, seine Krankenschwester. Dies sind die Damen, Schwester, seine Mutter und seine Schwester. Lassen Sie sie einen Blick durch das Türfenster werfen.«

Alice drückte dem Arzt die schlaffe Hand: »Ach Gott, Doktor, warum diese Umstände?«

Der Arzt verabschiedete sich. Die Mutter zögerte. Kathleen erhob sich mit einem Achselzucken und ging allein mit der Schwester. Langsam folgte die Mutter.

Links eine Reihe Fenster auf einen Garten hinaus, rechts eine Polstertür neben der anderen. Vor einem Zimmer machte die Schwester halt, legte den Zeigefinger an den Mund und zog geräuschlos die Polstertür auf. Sie blieben draußen; auch Kathleen klopfte das Herz. Die Schwester winkte sie in den dunklen Vorraum hinein. Alice, unfähig zu folgen, hielt sich an der Wand fest. Kathleen schlüpfte hinein. Sie drückte das Gesicht an das kleine viereckige Fenster. Nach einer halben Minute raschelte sie hinaus, nahm die Mutter bei der Hand und flüsterte:

»Er liegt mit dem Rücken gegen die Tür. Ich habe nur seinen Kopf gesehen. Komm, geh hinein, Mutter.«

Jetzt tat die Mutter ihr leid.

»Ich will«, sagte Alice. Sie schlich mit gesenktem Kopf an den beiden vorbei und trat an das Fenster.

In diesem Raum lag ihr Sohn.

Es war ein einfacher, heller Klinikraum, aber in ihm lag ihr Sohn.

Es war ein Raum, der Mauern und feste Gegenstände hatte und zu dem Haus gehörte, aber es war ein Stück von ihr, in ihm lag ihr Sohn.

Sie blickte in den Raum und sah:

Er lag mit dem Gesicht zum Garten, mit dem Rücken gegen die Tür, an der die Mutter stand und ihn lautlos rief.

Davon mußte er etwas vernommen haben. Er begann sich zu bewegen, sich zu drehen. Er bewegte sich auf den Rücken und lag ausgestreckt, das Gesicht zur Decke. Nun drehte sich der Kopf mit dem zerwühlten braunen Haar nach rechts; das Gesicht wandte sich langsam der Tür zu. Der Kopf hob sich leicht vom Kissen ab. Zwei Augen blickten zum Türfenster herüber.

Alice hatte sich lieblich, mädchenhaft angetan. Sie trug ein hellgrünes Sommerkleid. Einen breiten flachen Strohhut hatte sie auf ihr loses Haar gesetzt, an die Brust einen Strauß gesteckt. Ihre beiden Hände in den weißen bis zum Ellbogen reichenden Handschuhen zitterten und zerquetschten die Veilchen, die sie ihm geben wollte.

Er lag da. Seine Lippen bewegten sich. Die Mundwinkel zuckten.

– Aus den Wolken der erste Flieger. Er durchbohrte das Deck, riß Löcher in die Schiffshaut.

Der zweite senkrecht herunter. Er knatterte, prasselte durch das Deck, barst und zerschmetterte den Maschinenraum, daß das Schiff, zerrissene Eingeweide, ein grauenhaftes, tierisches Brüllen von sich gab. Ein Geyser stieg auf, nahm Planken, Schornsteine und Menschen mit, wirbelte alles in schwarzen Qualmballen umeinander, eine rote Stichflamme im Leuteraum. Metallstücke, Körper, abgerissene Glieder regneten auf das Meer, das sie mit einem leichten Klatschen empfing. Es leckte sich den Mund, Feuer raste über das Schiff. Der Tod bückte sich und ging mit seiner Beute davon.

Edwards Mund stand offen. Stöhnen. Stöhnen. Der Kopf sank auf das Kissen.

Aber nun schwamm es eigentümlich über sein Gesicht. Die Mienen spannten sich, die Lippen wurden gepreßt, die Augen krampfhaft geschlossen. Und langsam formte sich hier ein böser, bissiger Ausdruck, der mit Angst, namenloser Angst, wechselte. Und nun durcheinander Wut und Verzweiflung. Die Arme wurden schützend vor das Gesicht geschoben. Der Mann knirschte, er fletschte die Zähne.

Alice hatte einen roten Ledergürtel um ihre schmale Taille gelegt. Ihre Hand ließ die zerquetschten Veilchen fallen. Sie suchte das Taschentuch aus dem Gürtel zu ziehen, um es gegen den Mund zu drücken.

Als der fürchterliche Ausdruck auf dem Gesicht drin erschien – aber das war ihr Sohn Edward – schob sie sich näher an die Tür, gegen das Fenster: Wollte sie eindringen, wollte sie ihm beistehen?

Der grausige Ausdruck blieb lange. Die Augen öffneten sich, warfen einen Blick voll Haß und Qual herüber.

Alices Arme flogen in die Höhe. Ihre Kniee gaben nach. Die Krankenschwester packte Alice, die zu Boden sank, als ob sie sich setzen wollte, bei den Schultern. Sie bückte sich und nahm sie auf den Arm.

Kathleen war auf den Flur getreten, um nicht zu sehen, wie sich die Mutter vergeblich anstrengte. Sie lief ängstlich hinter den beiden her, den breiten Strohhut der Mutter in der Hand. Im Wartezimmer auf dem schwarzen Ledersofa kam Alice zu sich, setzte sich mit einem Ruck auf, blickte von einem zum anderen, starrte ins Leere und bat um ihre Handtasche.

Sie strich sich ihr Haar zurecht und puderte sich. Ihre Hände zitterten stark; auch um ihren Mund gab es eigentümliche Bewegungen. Sie stand.

»Aber bitte, es ist nicht nötig sich um mich zu bemühen. Ich bin schwach geworden. Ich habe Ihnen Umstände gemacht.«

Sie bestellte Grüße an den Doktor und ging mit einem Kopfnicken, elastisch wie sie gekommen war, ohne den Arm der Tochter zu nehmen, zum Ausgang und die Stufen des Sanatoriums herunter, wo ihr Wagen hielt, eine altertümliche Landkutsche, von zwei Rappen gezogen.

In der Klinik

Sie berichtete Gordon Allison, ihrem Mann, daß sie der Anblick Edwards recht erschreckt hatte. Die Krankheit hatte ihn mehr mitgenommen, als sie erwartete. Aber man könne auf völlige Wiederherstellung rechnen; der Doktor hätte schon viele Fälle dieser Art behandelt. Edward wäre in dem Sanatorium vorzüglich untergebracht, in einigen Wochen würde man ihn auch sprechen können.

Obwohl es ihm also im Sanatorium, wie sie bemerkte, vorzüglich ging, drängte sie mit großer Zähigkeit darauf, ihn herauszubekommen. Ja, sie wollte ihn haben. Sie ließ sich durch die Argumente des Chefarztes und seines Assistenten nicht davon abbringen. Immer wieder kam sie mit dem »wohltätigen Einfluß der Häuslichkeit«. Daß ein Kranker wie Edward von dieser Häuslichkeit nichts bemerkte, leuchtete ihr nicht ein. Alle paar Tage erschien sie im Sanatorium und setzte dem Arzt zu.

Die Tochter kam schon nicht mehr mit. Sie ärgerte sich über die Mutter und mokierte sich: als wenn Edward ein Baby wäre, daß die Mutter ihn haben mußte, – er war doch im Krieg, im Westen und Osten, gewesen und war ohne die Mutter ausgekommen. Übrigens glaubten die scharfen Augen Kathleens zu bemerken, daß die Mutter spielte. Vor dem Vater, bei Tisch und vor Gästen benahm sie sich übertrieben heiter. Traf man sie aber unversehens im Garten, auf ihrem Lieblingsplatz am Gitter, wo man auf die Straße herunterblickte, da saß sie gebückt, grübelte und stierte vor sich hin. Sie war, seit Edward im Sanatorium lag, nicht wie früher.

Sie verheimlichte etwas.

 

Die Ärzte ließen Edward nicht nach Hause. Sie waren entschlossen, ihn wiederherzustellen.

In den vergangenen Wochen hatten Ärzte den verstümmelten, von Fieberkeimen durchseuchten Körper aus dem Rachen des Todes gezogen. Jetzt umgaben andere sein Bett, wie nach einer Sage die Engel das Bett des schlafenden Königs Salomon, um seinen Traum zu behüten, und rangen um die Seele des Mannes.

Im Donner der Explosion auf dem Kreuzer, während sein Körper zerrissen, von Splittern gespickt, in Dampf und Feuer aufgehoben und davongeblasen wurde, war sein Bewußtsein ausgelöscht, seine Seele gelähmt worden. Vor dem Vernichtungsschrecken war sie in den Tod gekrochen, den sie beinahe wirklich erlitten hatte, und hatte sich wie ein flüchtendes Wild totgestellt. Die Todesstarre hatte sie noch immer nicht abgeworfen.

Warum klammerte sich Edward an den Tod, – wovor versteckte er sich und kroch hinter das fürchterliche Nein, das man täglich auf seinem Gesicht sah und vor dem Alice zusammenbrach?

Der Tod hat es leicht auf der Welt. Er findet viele Werkzeuge und Eingangspforten. Aber was tut der, der dem Leben zu Hilfe kommen will? Ihm stehen keine schmetternden Bomben, Selbstmordflugzeuge, Explosionsleger zur Verfügung. Wie will man den vernichtenden Donner von den Ohren des stummen Mannes wegblasen, ihm die starren Glieder lösen und das Nein von seinem Gesicht wischen?

Den Artilleristen und Pyrotechnikern von gestern traten die Ärzte gegenüber. Sie drangen in langsamer Minierarbeit durch die Wälle, die die Seele um sich geworfen hatte, und schlugen Breschen in die Mauern, hinter denen sie sich versteckten.

Damals gab es ein Medikament, mit dem man sich bequem an die Seele eines Menschen heranpürschen konnte. Pentothal hieß es, ein Schlafmittel, das ins Blut gespritzt einen narkoseartigen Zustand hervorrief und im Abklingen zu einem eigentümlichen Zwischenzustand führte. Der betreffende Mensch lag dann und hörte: er verstand, und man konnte mit ihm wie mit einem Hypnotisierten umgehen. Er erinnerte sich und sprach von Dingen, die er sonst verheimlichte. Mit diesem Schlüssel also näherte man sich dem völlig verstummten und finster abweisenden Edward.

Es verlief alles programmäßig. Man durchbrach schon in der ersten Sitzung die Sperre.

Der Chefarzt, der große, schwere, weißhaarige Mann, dessen Wangen schlaff hingen und dessen Lippen leicht bebten, saß im weißen Doktormantel auf einem Stuhl neben dem Bett Edwards.

Der Arzt erklärte dem träumenden Geschöpf auf dem Lager: man führe jetzt auf dem Meer, über den Stillen Ozean. (Er wiederholte, was er von Edward und anderen über die Unglücksfahrt erfahren hatte.) Man käme gut vorwärts, das Meer läge glatt. Man wäre vier Tage unterwegs.

Edward wiederholte mit schläfriger, näselnder Stimme, sehr leise, langsam:

»Das Meer ist glatt. Wir kommen gut vorwärts. Wenn uns die Japs nur mit ihren Brummern zufrieden lassen. Ich traue dem Frieden nicht. Die andern tun so, als machten sie sich keine Gedanken. Ich habe ein schlechtes Gefühl. Wir haben Abwehrkanonen, aber nicht genug Jäger.«

Der Arzt: »Genug. Sein Sie unbesorgt! Gestern ist noch ein großes Flugzeugmutterschiff zu uns gestoßen.«

»Das ist mir neu. Wo soll es sein?«

»Ich zeige es Ihnen nachher. Im Nebel können Sie es nicht sehen.«

Edward murmelte und fing wieder an:

»Ich kann das Meer nicht leiden, besonders dies nicht. Das Glitzern macht mich krank. – Da hören Sie. Sie kommen schon wieder.«

»Es sind unsere.«

»Sie hören doch, man schießt. Wir haben keine Jagdflieger. Wo stecken bloß die neuen Maschinen?«

»Das Schießen hört schon auf.«

Edward verstummte. Plötzlich rötete sich sein Gesicht. Er begann zu schimpfen:

»Was tust Du hier, Jonny? Mir immer auf den Fersen. Du hast auf Deck nichts zu suchen.«

»Wer ist Jonny?«

»Er läuft mir nach. Ich hab seinem Vater versprochen, auf ihn aufzupassen. Das Bürschchen ist achtzehn Jahre alt, sagt er; wahrscheinlich ist er erst sechzehn. Der drängte sich schon in Belgien an uns. Sein Vater war früher Konsul in Shanghai; alles zu Haus bei ihnen in Birmingham voller Drachen, Pagoden, Schwerter, Porzellan, sogar Medizin, spaßhaft. Er mochte das. Ich auch.«

Er fing an zu schluchzen. »Er war an Bord der beste Schachspieler, der Junge. Er sollte unten bleiben. Da muß ihm einer geflüstert haben: wir sitzen oben bei einer Partie. Kommt er herauf.«

Er weinte laut und warf den Kopf von einer Seite zur anderen. Er richtete sich auf und wollte das Bett verlassen. Der Arzt mußte nach einer Schwester klingeln. Sie hielten zusammen den Träumenden fest, bis er wieder still lag; Tränen rollten über seine geröteten Wangen.

Der Arzt weckte ihn:

»Sie haben geschlafen.«

Edward betastete sein Gesicht: »Es ist heiß. Ich habe geschwitzt.«

Er nahm das Handtuch, das ihm der Arzt reichte, und trocknete sich. Er blickte trübe vor sich hin.

Da fing der Arzt an, ihm zu berichten, was er im Halbschlaf vorgebracht hatte. Edward meinte leicht:

»Wir eskortierten einen Convoy nach Asien. Er sollte nach Burma gehen. Und wie wir nun –«

Weiter kam er nicht, der Faden entglitt ihm. Er suchte. Er strengte sich an. Sein Gesicht verfinsterte sich, seine Augen weiteten sich. Er sah an dem Arzt vorbei. Die Arme, die sich schon frei bewegt hatten, preßten sich an den Leib. Die Finger krümmten sich und krallten sich in die Handteller.

Und bald lag er da, unnahbar, in Kampf- und Verteidigungsstellung.

Man machte neue Sturmangriffe auf die Festung.

 

Einmal während des Zwischenzustandes brachte der Arzt das Gespräch auf die Schachszene, die Edward nicht mehr berührt hatte.

Edward begann vor Erregung zu lallen:

»Ich muß ihn suchen. Er hat auf der anderen Seite gesessen.«

»Wo steht der Tisch?«

»Alles zerhauen, die Stühle, nichts da. Ah, ah ––.«

Er brüllte auf:

»Da liegt was unter dem Stuhl. Es ist seine Uniform. Oh je, oh je. Jonny, was ist passiert! Steh doch auf, Jonny. Komm, komm doch. Ich hab Dir gesagt, Du sollst unten bleiben. Steh auf. Helfen Sie mir. Er kann nicht.«

»Bewegt er sich?«

Edward winselte. Seine Finger preßten den Arm des Arztes, der ihn herunterdrückte. Plötzlich warf er sich auf die Seite und erbrach in einem Schuß, ohne zu erwachen.

Der Arzt hielt ihm ein Glas Wasser an den Mund. Er schluckte, murmelte und knurrte, als er sich zurücklegte.

»Da liegt ein Kopf. Eine Matrosenmütze. Alles auseinander. Es können verschiedene sein.«

Er sprudelte:

»Ich habe immer gesagt, daß Ihr die Selbstmordbomber unterschätzt. Die sind so schlimm wie die Fernbomber. Wo tragt Ihr ihn hin? Wartet doch auf den Doktor. Eine Schande, so mit Menschen umzugehen. Ihr könnt doch nicht wissen, ob er tot ist. Tot, tot, Jonny tot. Verfluchte Welt, in Stücke schlagen. Da gehen sie ab.«

Nach einer Pause:

»Jonny, was soll ich machen? Was soll ich Deinem Vater erzählen? Ich habe ihm die Hand geschüttelt: ›Verlassen Sie sich auf mich. Ich paß auf. Ohne ihn komme ich nicht wieder.‹ Er hatte oben bei uns nichts zu suchen.«

Der Arzt: »Es hätte ihn auch woanders treffen können. Machen Sie sich keine Vorwürfe. Es ist Krieg. Kann jeden treffen.«

Edward: »Ich wollte weg, weg. Und dann kam er mit seinem China. – Laßt mich zufrieden mit Eurem Europa.«

»Was hat Ihnen Europa getan? Sie sind Engländer?«

»Verfluchtes Europa. Wenn es erst zerstört wäre.«

Pause.

Der Arzt: »Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht?«

»Ich habe genug von Europa. Man soll mir aber nicht nachsagen, daß ich mich drücken will. Vater rühmt meinen Heldenmut. Was er vom Krieg weiß.«

Pause.

Der Arzt: »Wir fahren. Es brennt. Achtung … Wir helfen.«

Edward schreit: »Stehen bleiben, dahinten! Decken. Decken. Sanitäter. Meine Hände! Oh, das macht nichts. Mit Feuer werden wir noch immer fertig. Gewöhnlicher Schiffsbrand. Jetzt sind alle Flieger draußen, einen Posttag zu spät. – Wo haben sie ihn hingetragen? Da liegen sie nebeneinander, scheußlich.«

Er weinte still vor sich.

Der Arzt: »Sie waren sehr befreundet?«

»Was für ein feines Leben hatte man geführt. Uns war alles egal. Wenn die Viecherei zu groß wird, wird einem alles egal. Wir hatten eiserne Nerven. Wir führten aus, was befohlen war. In Belgien und Deutschland saßen die Leute in den Dörfern, kochten, strickten Strümpfe, wuschen ihre Wäsche. Was sich das vorstellt von der Welt. Wir waren in unserem Element. Jonny wollte hoch hinaus.«

»Mädchen?«

Edward lachte: »Er behandelte sie wie Pudel. Sie mußten ›schön‹ machen. Man konnte sich bei ihnen erholen.«

Es war klar: er befaßte sich viel mit dem Toten, er identifizierte sich zum Teil mit Jonny, diesem fröhlichen Bruder, in dem er alles sah, was er liebte. Darum hängte er sich an ihn, folgte ihm in das Totenreich, spielte den Toten. Aber daneben gab es noch dunkle Vorwürfe und Anklagen gegen Europa, gegen die Heimat. Ihr hatte er den Rücken gekehrt, zu ihr wollte er nicht mehr zurück.

 

Edward lag monatelang in der Klinik. Es milderte sich alles. Wie sonderbar, daß er sich keine Gedanken über seine schwere Verstümmlung machte. Er ließ sich geduldig verbinden. Es zerstreute ihn, daß er etwas hatte, was Ärzte und Schwestern interessierte.

Jetzt erlaubte man der Mutter und Kathleen zu kommen.

Eine Bombe war auf das Schiff gefallen und hatte in einem Augenblick alles mit ihm getan.

Er kam in die Heimat. Die Bombe fiel weiter.

Alice stand an seinem Bett. Er – empfing sie kühl, reserviert.

Er betrachtete sie aufmerksam.

Sie stellte Blumen auf seinen Tisch. Er dankte wie ein Fremder und beobachtete sie.

Mutter und Schwester zogen ab. Kathleen bedauerte ihre Mutter.

»Ich will ihn zu mir nehmen«, entschloß sich Alice beim nächsten Besuch. Der Arzt meinte, dem stünde an sich nichts im Wege. Es bliebe unverändert die Frage, ob ihm die häusliche Umgebung zusagte.

»Was ist denn nur?« seufzte Alice.

»Sie sehen ja, Frau Alice, wie er ist. Er will keine Medikamente nehmen. Er findet keine Ruhe, er ist überwach. Man hat manchmal den Eindruck, daß er sich durch das Wachsein vor einem Rückfall in die Starre schützen will. Darum verschlingt er auch Bücher. Er sucht innerlich etwas, er weiß nicht was. Aber er muß suchen. Es ist ein Zwang. Die Hypnose hat uns nicht weiter gebracht.«

»Geben Sie ihn mir«, bettelte Alice.

Der Arzt betrachtete sie: »Er wird Ihnen zusetzen. In diesem Zustand ist man unerbittlich.«

»Geben Sie ihn mir, Doktor.«

Der Arzt zog an seiner Unterlippe, schnüffelte und blickte zu Boden. Ihm kam ein Gedanke. Das Allisonhaus lag in der Nähe. Der Fall ließ sich in der Nähe beobachten.

»Ich will ihn selbst fragen«, antwortete er. Die Augen Alices weiteten sich:

»Ja, fragen Sie ihn, ich warte hier.«

Ihr Blick verfolgte ihn, wie er hinausging. Sie stand noch am selben Fleck, als er wiederkam. Edward hatte sich einen Tag Bedenkzeit ausgebeten.

»Ich werde morgen früh dasein.«

Als Dr. King ihn bei der Morgenvisite fragte, ob er also nach Hause wolle, war Edward mit seiner Antwort noch nicht fertig.

Zum ersten Male wandte er sich mit einer Frage an den Doktor:

»Geben Sie mir einen Rat. Soll ich?«

»Was hindert Sie ›ja‹ zu sagen?«

»Nichts.« Aber er fügte hinzu: »Muß ich? Soll ich? Warum?«

»Ihre Mutter möchte es. Sonst besteht kein Grund.«

»Mutter möchte mich zu Hause haben? Hat sie es gesagt?«

»Jedesmal.«

»Wie hat sie es gesagt? Aus Höflichkeit – weil es sich so gehört?«

»Ich glaube nicht. Es sah nicht so aus.«

»Wie sah es aus? Warum soll ich kommen? Was geht vor?«

»Sie möchten kommen. Sie ist schließlich Ihre Mutter.«

Edward fixierte den Doktor und suchte in seinem Gesicht. Er schlug die Arme übereinander und dachte nach. Er blickte zur Decke, zum Fenster, sah sich in dem großen Raum um:

»Und ich werde in meinem alten Zimmer wohnen?«

»Ich zweifle nicht daran.«

Jetzt, da Edward so zugänglich war, wagte der Arzt eine Frage:

»Wollen Sie mir nicht anvertrauen, was Sie bei dieser Übersiedlung beunruhigt? Vielleicht könnte ich Ihnen dann besser raten!«

»Sie wissen, daß ich die ganzen Jahre von Hause weg war. Inzwischen ist viel geschehen. Ich wollte ganz etwas anderes. Ich wollte überhaupt nicht zurück.«

»Nicht einmal zu Ihrer Mutter?«

Er rieb auf der Bettdecke seine Hände nervös aneinander und antwortete nicht. Dann hatte er sich entschlossen:

»Sagen Sie, ich werde kommen.«

Er rief den Doktor zurück: »Sie hat es mehrfach gesagt? Und es war keine bloße Phrase?«

»Ihre Mutter hat keinen Grund mir gegenüber Phrasen zu machen. Ich hatte, wie ich schon sagte, einen anderen Eindruck.«

»Daß sie mich einlädt, daß sie mich bittet zu kommen?«

»Wirklich das. Sie bat dringend darum. Sie tut es übrigens schon seit Wochen, seit Sie im Hause sind. Ich habe Ihnen nichts davon gesagt.«

Rasch flüsterte Edward: »Kommt sie heute?«

»Sie ist schon da.«

»Sagen Sie ihr, ich komme.«

Plötzlich war er erregt.

»Ist Ihnen klar«, meinte der Doktor zu Alice, »daß Sie einen schweren Stand haben werden? Abgesehen von seiner Labilität und daß er dauernd jemanden beansprucht. Wenn die Front zurückkommt, hat sie immer mit der Heimat abzurechnen.«

»Sie wissen, Doktor, wie wir zueinander standen.«

»Natürlich. Aber man weiß nie. Vielleicht standen Sie zu gut zu ihm.«

»Ach was, Euer psychoanalytischer Unsinn. Gönnen Sie ihn mir doch. Um Gottes willen, warum nicht? Warum quälen Sie mich so? Ich hatte ihn fast verloren. Ich war schon mit ihm gestorben. Geben Sie ihn mir wieder.«

Sie weinte.

Der weißhaarige Mann bewegte sich über ihren Stuhl und klopfte ihre beiden Hände:

»Frau Alice, Sie werden ihn haben. Gerade weil ich Sie nicht quälen wollte, wollte ich ihn noch behalten.«

»Er quält mich nicht, wenn er da ist. Er kann mich nicht quälen. Mein armer Junge mich quälen!«

 

Und so zog Edward Allison – nach der Normandie, nach Frankreich, Belgien und Deutschland, nach dem Pazifischen Ozean – wieder in das elterliche Haus, zwar lebend, aber verstümmelt, sehr ernst, gespannt und verschlossen, als wenn er sich in eine Gefahrenzone begebe.

Diese schöne Villa, Eigentum Allisons, hatte der Krieg nicht berührt, so wenig wie seinen Besitzer. Gordon Allison war schon Anfang 1939, vor Kriegsausbruch, mit allem, woran ihm lag, hier hinausgezogen. Als dann der Krieg ausbrach, pries er sich glücklich wegen seiner Voraussicht, und nun gar während der großen Bombardements auf London und Coventry und bei der Evakuierung.

Als das Auto mit der Roten-Kreuz-Fahne die Pappelallee herauffuhr, zog Alice die Fenstervorhänge blitzschnell zu, lief an die Tür, verschloß sie, drehte sich in ihrem Zimmer um, als wenn sie etwas suchte, dann – warf sie sich an ihrem Bett auf die Kniee:

»Barmherziger Gott, Mutter Gottes, zu der ich bete, steh mir bei.

Du hast gesehen, wie ich vor Dir lag, hier, auf meinen Knieen, das Gesicht am Boden, und wie ich Dich anrief um Hilfe oder um Geduld, immer wieder die langen Jahre. Ich habe nicht verstanden, was mir geschah, als auch er mir genommen wurde, mein einziger Sohn, – bis ich hörte, daß er wiederkam. Und nun habe ich ihn. Er ist da. Und siehe: er sucht. Er kann nicht ruhen, – wie ich!

Du hast gesehen, Mutter Gottes, wie ich weinte, weil ich nicht begriff. Jetzt begreife ich. Du schickst ihn mir. Du schickst ihn mir ins Haus als meinen Helfer. Auf der Medaille, die ich hier in der Hand halte, liegen noch die Küsse, mit denen ich Dein Bild bedeckte, als ich zu ahnen anfing, was Du meintest, – daß Du ihn mir zurückschicktest, und so krank, und er soll mit mir genesen.

Aber nun bin ich wieder in Angst. Er ist da. Barmherziger Gott, wohin werde ich geführt. Hab ich recht getan? Gott schütze das Haus, schütz uns alle. Laß mich nicht fallen. Gott steh mir bei. Mein Leben soll eine Wendung nehmen. Ich weiß nicht, was kommen wird.

Ich habs gewagt. Habe ich recht getan? Verzeihe mir, ich mußte es, ich wollte es, Du weißt es. Nun ist es geschehen, Du hast mich erhört, er ist da. Mutter Gottes, hab ich mich versündigt, daß ich dies anfing? Du bist die Wahrheit, heiliger Gott: ich will nur sie, und ich will Gerechtigkeit. Der Blitz ist in mich geschlagen. Hast Du ihn geworfen? Sei mir gnädig, barmherziger Gott. Steh uns allen bei.«

Sie lief an ihre alte Mahagonikommode, kramte und fand in einer Schublade ein goldenes Kettenhalsband, mit einem schwarzen, aus Stein geschnittenen Kreuz. Das preßte sie an sich, küßte es und warf sich wieder hin und bat um Hilfe.

Atemlos horchte sie an der Tür, das Kettchen noch in der Hand. Langsame, schwere Männerschritte, die Stimme eines Hausmädchens: »Durch diesen Gang und dann links an die offene Tür.«

Ein dumpfes Geräusch; sie setzten die Tragbahre ab. Jetzt Flüsterworte, sie trugen ihn ins Bett. Von ihm nichts. Die schweren Schritte wieder auf dem Korridor. Die Stimme des Mädchens: »Ich hole Frau Allison.«

Alice drückte das Kettchen an den Mund, schob es an seinen Platz und öffnete die Tür.

»Frau Allison«, rief das Mädchen.

 

In dem friedensstillen Haus lag Edward auf seinem alten Zimmer im Erdgeschoß. Eine Tür öffnete sich nach dem Garten. Er konnte die Rosenstöcke sehen, die gelben, roten und weißen Rosen, die abgewelkten, das Tulpenbeet, die Nelken, den ewig veränderlichen Himmel, hinten Hügel mit Kastanienbäumen. Völlige Ruhe. Man konnte hier genesen.

Er ließ es sich ein paar Tage gefallen. Die Mutter hatte eine stürmische Freude an ihm. Sie saß stundenlang an seinem Bett und hielt seine Hand. Er blieb einsilbig und schickte sie oft weg (er hatte eine Krankenschwester), – ob sie nichts im Haus zu tun hätte?

»Laß mich doch, Edward. Nichts habe ich zu tun. Gönne es mir doch.«

Sie beobachtete ihn ängstlich: ob er wieder zwischendurch in den eigentümlichen Zustand von damals geriet. In diesen Tagen nichts.

Aber langsam fing wieder die Unruhe an. Eins war verschwunden, etwas anderes kam. Er wußte nichts davon, aber es steckte in ihm, er machte sich anders Luft. Wie ein Stein, der in einen Teich fällt: er sinkt und ist nicht mehr sichtbar, aber er wirft oben weiter Ringe.

Was Edward fragen konnte! Wonach er sich erkundigte! Nach Leuten von gestern, vorgestern! Manchmal lachte Kathleen, wenn er nach so belanglosen und längst verschwundenen Personen fragte, wie nach einer gewissen Putzmacherin, die in London vor zehn bis fünfzehn Jahren oft ins Haus kam, und was aus einem gewissen verwachsenen Hauslehrer geworden sei, Marray, sie nannten ihn Marks, ob er noch lebe.

Man mußte die Krankenschwestern wechseln, sie hielten es mit ihm nicht aus. Eine versuchte es mit Strenge. Sie tat ihre Arbeit, las und blieb stumm. Sie befahl ihm auch zu lesen und zu schlafen. Ob er keine Vorstellung davon hätte, daß andere Menschen auch ein Recht auf Ruhe hätten? Worauf er wirklich stiller wurde, aber nur, um nachher die Mutter, sobald sie sich zeigte, nicht mehr loszulassen. Man mußte förmlich einen Dienst bei ihm einrichten. Die Familienmitglieder mußten täglich eine gewisse Zeit für ihn zur Verfügung stehen. Oh, es war anstrengend, er war ein Tyrann. Aber man tat es.

Wochen gingen um. Der Zustand Edwards besserte sich zu Beginn des Herbstes.

Man brachte ihm Krücken. Er sollte üben und sich im Haus bewegen.

Im Allisonhaus

Schwer saß Gordon Allison, der Vater, in seiner Bibliothek, in seinem geräumigen Armstuhl, den Kopf in die linke Ecke gebogen, soweit es der quellende Speck seines kurzen Halses erlaubte. Dies war sein Arbeitsraum, aus dem er sich nur zu den Mahlzeiten, zum Schlaf und zu gelegentlichen Gängen durch das Haus bewegte.

Er war ein freundlicher, durch sein Fett auseinander geratener Mann, der dafür hielt, daß Kriege, im Licht der Weltgeschichte gesehen, sich von Zeit zu Zeit unter Menschen ereignen wie Grippe, Typhus, Scharlach, gegen die man ja auch kein Kraut gefunden hätte. Man tut gut daran, Kriege hinzunehmen und zu sehen, ihren Verlauf milder zu gestalten.

Mit dieser Einsicht war er in den ersten Weltkrieg gezogen und hatte ihn vorzüglich überstanden. Und so auch den zweiten, bei dem er sich sofort, fern von Städten und Zentren, in seine Villa zurückzog. Daher war von ihm im Zusammenhang mit dem Krieg nichts zu melden. Ohne Schaden hatte er die dramatischen Schiffskatastrophen, die Frontdurchbrüche, die verschiedenen Landungen, den D-day überlebt, an seinem Kamin, in seinem gewaltigen, auf ihn zugeschnittenen Lehnstuhl.

Der Tageszeitungen, Zeitschriften und Extraausgaben, welche man mittags und abends neben ihn auf den Rauchtisch legte, wurde er spielend Herr. Das stumme Papier, die Druckerschwärze konnte man sich vor Augen halten und sie liegen lassen, wie es einem paßte. Sie waren machtlos und zum Bemitleiden unschädlich. Sie unterschieden sich in nichts von dem Radio neben seinem Lehnstuhl, das stündlich bis oben mit Nachrichten vollief, die ihn belästigen sollten und die er nicht hören wollte. Von Zeit zu Zeit zapfte er es an, um sich seiner Macht und Sicherheit zu erfreuen. Er sah es zittern, quasi bersten vor Mitteilungsdrang. Dann erbarmte er sich, tastete nach dem Knopf, machte dem Apparat eine Viertel-Minute Luft, er schleuderte ein paar Worte, sinnlos, aus dem Zusammenhang gerissen, heraus, schrie etwas (großer Moment für den Apparat), er ließ es nicht beenden, nein, nicht das! Soweit ging sein Mitleid nicht. Schon drehten seine Finger den Knopf, und wie ein leichter Zigarettenrauch quoll Tanzmusik aus dem Lautsprecher. Die Nachrichten waren in die Flucht geschlagen, waren weit davon ab, auch mit dem Fernglas nicht mehr zu erkennen. Schmunzelnd legte sich Gordon Allison zurück, qualmte seine Pfeife und streichelte das gebändigte Möbel. Es ließ sich mit ihm leben.

Wer oder was konnte an Gordon Allison heran?

Die Kinder taten ihm jetzt nicht wohl. Man merkte es ihm bald an. Edward, der Sohn, war frisch mit zwei Beinen ausgerückt und kam nur mit einem wieder, dazu mit einer merkwürdigen Kriegsneurose, die der ärztlichen Behandlung trotzte. Und Kathleen plagte sich mit einem Magenkatarrh. Beides sprach nicht sehr für den Krieg. Sie kamen oft zu ihm und setzten sich zu ihm.

Gordon Allison hatte im Krieg jede Anleihe gezeichnet. Er schrieb Briefe und schickte Pakete ins Feld. Er entwickelte eine geradezu übermenschliche Gesinnung. Man las seinen Namen unter vielen Aufrufen. Es steigerte seine Popularität. Er trat, wie er es formulierte, »aus seiner Klause«. Später ging der heroische Briefschreiber, als ihn diese Art Begeisterung zu sehr anstrengte, zu mehr philosophischer Ertüchtigung der Front über. Er plünderte seine Bibliothek, von Homer, Pindar bis Burke und Wellington und legte sich ein Lexikon stoischer Redensarten zu, Herzensstärker. Er stürzte sich auf alles, was zeigte, wie der Mensch über Leiden triumphiert, und streute es in seine Aufsätze, die man druckte. Gerührt las er sie dann.

Es geschah nun, daß Kathleen, ganz die Tochter ihres Vaters, auf seine Lehre schwor und am Kriegsende seine Briefe und Artikel gesammelt in einem schönen Kasten heimbrachte. Der unglückselige Vater hatte ihr selbst diesen Kasten schenken müssen. Er wünschte jetzt, es möchte in seinem Haus ein streng lokalisierter Brand ausbrechen und den Kasten zerstören, oder es möchten Diebe kommen und unter sorgfältiger Vermeidung anderer Objekte sich an diesen Kasten machen (in der Einbildung, es steckten Juwelen darin) und ihn stehlen. Als der Kasten weder vom Feuer zerstört noch von Dieben gestohlen wurde, wünschte der Vater, Kathleen möchte wenigstens den Schlüssel verlieren. Sie verlor ihn nicht. Nun kam der Sohn. Man konnte nicht behaupten, daß sich der Vater bemüht hätte, ihn ins Haus zu ziehen. Kathleen stellte fest, daß der Vater in den sauren Apfel biß, weil die Mutter ihren Edward im Hause haben wollte.

Gordon Allison besuchte seinen Sprößling selten auf seinem Zimmer, und niemals allein. Er wollte sich offenbar vor unbequemen Fragen schützen. Es gelang nicht. Man konnte Edward nicht ausweichen. Er war von einer berserkerhaften Hartnäckigkeit. Er bohrte und bohrte. Ihn kümmerte keine Pein seines Gegenübers. Es war seine Krankheit, aber die Sache wurde dadurch nicht besser. Mit einem unsicheren Ausdruck saß Edward, der Tyrann, irgendwo oder polterte an einen heran, dankte, wenn man sich nach seinem Befinden erkundigte, und schon sah man an seiner gerunzelten Stirn, daß sich in ihm eine Frage sammelte, und dann kam eine weithergeholte Sache heraus, die keinen etwas anging, auch ihn selbst nicht, und keine Antwort machte sein Gesicht heller. Er schoß offenbar mit jeder Frage an dem Ziel vorbei, aber legte den Bogen immer wieder an.

Eine rätselhafte Sphynx steckte in ihm, bewegte seine Lippen, aber ließ ihn nicht die richtigen Sätze formulieren.

Langsam begannen seine Fragen um ein dunkles Thema zu kreisen, um die Schuld am Kriege. Begreiflich, daß ein armer Kriegsverletzter daran denkt. Doch was hatte das Haus Allison damit zu tun? Und warum wandte sich Edward deswegen gerade noch an den Vater, dessen Unschuld am Krieg auf der Hand lag?

Es ging Gordon Allison, dem Phlegmatikus, schlecht. Er wurde festgehalten und in komplizierte abstrakte Diskussionen verwickelt. Er mußte solche Diskussionen führen, obwohl er Diskussionen überhaupt haßte, und nun gar politische, bei denen man nicht lachen durfte. Er verwickelte sich in Widersprüche. Er litt. Er blickte sich hilfesuchend um. Es waren Kreuzverhöre, ein Prozeß im eigenen Haus. Übrigens peinigte ihn schon, wie er seiner Vertrauten, der jungen Kathleen, seufzend gestand, der unverändert gequälte Ausdruck Edwards, die ganze Krankenstubenatmosphäre, die er mit sich brachte. Oh, warum hatte man ihn nicht bei Dr. King in der Klinik gelassen? Wird ein Kranker dadurch gesund, daß er Gesunde krank macht?

Langsam wurde es Gordon klar, daß Edward eine These hatte: am Krieg und an seinem Unglück waren gewisse Personen schuld. Es waren also die Personen zu ermitteln, die für die Massenschlächterei und das Unglück verantwortlich waren, – eine unsäglich kindliche Auffassung, die Gordon Allison, der ältere, besonnene, bekämpfen mußte und die er, wie er sagte, aus Mangel an rednerischer Begabung nicht widerlegen konnte.

Einmal, als ihn Edward, sein Sohn, wieder nicht losließ (oh, dachte Gordon, wäre mein Haus in London nicht beschädigt, ich ergriffe die Flucht und verschanzte mich in meinem Studio, – oder ich gehe zum Ohrenarzt und lasse mir beide Trommelfelle durchstechen, dann höre ich nichts, – aber er wäre imstande, mir seine Fragen schriftlich vorzulegen), da keimte in Gordon, dem Vater, dem verzweifelten Manne, eine Idee.

 

Sie saßen, er mit beiden, von ihm selbst erzeugten Plagegeistern, in seiner Bibliothek, die sich nicht mit Eisenstangen verbarrikadieren ließ, und er bot sich dem feindlichen Angriff an.

»Ich bin ein Eskapist«, seufzte Gordon Allison und wischte sich die Stirn. Er wischte sich auch den Nacken und den Hals. »Ich bleibe Eskapist«, verkündete er, »und ich sehe meine Anschauungen durch die letzten Ereignisse nicht widerlegt, sondern nur bestätigt. Hier bist Du, mein Sohn, zu meiner Freude, bist aus dem Krieg heimgekehrt. Aber Dir fehlt ein Bein. Hier sitzt Kathleen, Deine Schwester, und trägt auf ihrer Schürze Kriegsauszeichnungen. Wie Mutter berichtet, trägt sie sie sogar nachts auf dem Pyjama. Aber vor meiner guten Kathleen steht auf dem Hocker keine kühle Limonade, wie wir anderen sie genießen, sondern heißer Tee und eine weiße Medizin. Sie will damit ihren Magen überreden, sie in Ruhe zu lassen.«

»Unentwegt Kriegsfolge«, warf Kathleen schnippisch ein, »Vater, keine Einbildung.«

»Du wirst eine Rente dafür erhalten. Aber ich sage es offen: der Staat sollte Euch für Euren Eifer danken und sonst nichts geben, nein, nichts, damit Ihr es Euch ein für allemal merkt und ihn nicht wieder ins Unglück stürzt!«

Kathleen ließ vor Staunen den Strohhalm fallen, an den sie sich hielt (er steckte in der Medizin), um ihren Magen zu kurieren.

»Was auf der Hand liegt«, fuhr, durch diese Reaktion froh erregt, der dicke Pazifist fort, »was ihr nicht aus der Welt schaffen könnt und was euch ein Blick auf die Straßen demonstriert. Ihr seid die junge Generation und hört nicht auf, über mich zu nörgeln. Aber ihr seid keine junge Generation. Mein lieber Sohn und Du, liebe Kathleen, ihr kommt aus euren Schulen und Universitäten, und was ihr von da mitbringt, ist schimmelig altes Zeug. Lumpen, die man euch verkauft und die ihr anzieht und tragt.«

Der Vater stöhnte und ließ sein Taschentuch fallen; die Tochter hob es auf, er dankte: »Ich habe euch beide so gern. Aber euer Anblick und eure monotonen Argumente bringen mein Blut in Wallung. Wie kann man so jung an Jahren und kräftig sein und gleichzeitig anachronistisch denken, wie ihr es tut. Wie kann man Medizin studieren, einen Motor bauen und zugleich im Denken sein eigener Ur-Urahn sein, quasi mit Spieß und Beinschienen herumspazieren. Das fordert mich heraus.«

Kathleen: »Vater, wenn wir nicht den Spieß genommen hätten, säßest Du wahrscheinlich nicht mehr hier.«

Er nickte gedankenvoll: »Ich weiß. Ich läge auf dem Friedhof. Und nicht einmal auf dem Friedhof in unserem Familiengrab, sondern irgendwo. Vielleicht wäre ich verschleppt ins Ausland.«

»Oh, Vater«, lächelte die Tochter, »du säßest hier. Warum sollte man dich verschleppen?«

»Ich bin harmlos, ich weiß. Oder meinst du, man hätte mich nicht transportiert, weil ich zu schwer wäre?«

Kathleen: »Schiffsraum im Krieg ist immer kostbar.«

Der Vater: »Sie hätten mich ernst genommen. Ich wäre drüben nicht einmal eines natürlichen Todes gestorben. Ich hätte mehr eingebüßt als ein Bein. Sie hätten mich an die Wand gestellt, und ›bum, bum,‹ wäre euer guter Vater tot und hinüber.«

Kathleen schielte ironisch zu ihm herüber: »Was sollte unser guter Vater angestellt haben, um den Heldentod zu sterben?«

Er lag bequem in seinem Fauteuil und studierte den Plafond: »Das Ende des vorletzten Krieges, auf den ihr euch nicht besinnen könnt, wurde durch ein anscheinend sehr schlaues, von einem berühmten damaligen General ausgearbeitetes Manöver beschleunigt. Damals standen die Russen unter dem Zarenregime, und der General, den ich im Auge habe, ein gewisser Ludendorff, kam auf den Einfall (einen echt soldatischen, also tief ahnungslosen Einfall), die im Ausland befindlichen russischen Revolutionäre in die Heimat zurückkehren zu lassen, um dort zum Profit des Generals das russische Heer zu unterminieren. Den Plan führten die importierten Revolutionäre auch aus, jedoch, man kann sagen: nicht völlig zum Wohlgefallen des Generals. Denn als sie die russische Moral unterminierten, so konnten sie sich nicht enthalten, da sie gerade dabei waren, auch andere Moralen zu unterminieren, zum Beispiel die deutsche, so daß wirklich zum Profit des Generals die Zarenarmee zerfiel, aber der General selber von seinem Volk verjagt wurde.«

Worauf Gordon Allison schwieg, ohne daß seine Zuhörer etwas begriffen. Es war Kathleen, die das Schweigen ihres Vaters unterbrach:

»Das heißt: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«

Der Vater machte eine verächtliche Geste:

»Das ist nicht der Sinn. Der General hielt diese Revolutionäre für harmlos, weil sie nicht über Regimenter und Kanonen, Flugzeuge et cetera verfügten. Darum, dachte er, könnte er sie ruhig arbeiten lassen. Aber sie waren im Besitz einer großen Macht. Sie konnten denken und sprechen. Sie wußten etwas. Sie überzeugten, weil sie überzeugt waren. Aus einem einzigen Überzeugten wurden tausend, aus tausend Millionen, –.«

So schmuggelte Gordon Allison, der sich befreien wollte, seine große Idee ein: statt zu diskutieren – zu erzählen. Er wollte dem Kreuzverhör entgehen durch Flucht auf ein Gebiet, auf dem er sich sicher fühlte. Man fragte ihn, wie er sich das dachte. Er meinte (er hatte es sich schon durch den Kopf gehen lassen): man sollte sich abends zusammensetzen, allein oder mit Gästen und Freunden (weil doch das ganze Thema über den Rahmen einer Familie hinausginge und nicht zu einer bloßen Familienklügelei herabsinken dürfe). Und man sollte sich dann ernst und ungestört, friedlich und sachlich bemühen um die Wahrheit in der Frage, die man hier stelle, – um die Wahrheit, die neuerdings hier im Hause so dringend gefordert werde, als hätte es bisher hier nur Unwahrheit gegeben. Ja, es sollte jeder seine Karten auf den Tisch werfen.

So tröstete sich Gordon Allison.

»Du bist doch der Meinung, Edward, daß wir Dich hier im Haus im Dunklen herumlaufen lassen. Es fehle hier bei uns an Aufrichtigkeit. Packen wir den Stier bei den Hörnern.«

»Ich habe das nie geäußert«, beteuerte Edward.

»Jedenfalls: ich stehe zur Verfügung. Ich präsentiere meine weiße Weste. Ich biete mich an, gemeinsam mit Dir, und mit Kathleen und jedem dritten, vierten, der es noch will, die Wahrheit zu ermitteln, die Wahrheit, die reine, ungeschminkte, vollständige Wahrheit.«

»Du bist groß, Vater«, lobte ihn Kathleen.

»Ich will auf meine Weise die Diskussion aus dem Gebiet der bloßen Abstraktion entfernen und der Wahrheit annähern, die in der Tat, wie Edward annimmt, stark an Personen, an menschlichen Schicksalen hängt und davon nicht zu trennen ist. Aber wie, das ist die Frage. Also ich plane als erster hier meine Auffassung an einem Beispiel, an einer Geschichte, zu entwickeln. Ich will erzählen und sehen, ob es überzeugt. Danach sollen auch die anderen erzählen. Sie können immerhin, wenn es ihnen beliebt, eine andere Methode wählen.«

 

Alice staunte, als ihr die Kinder die große Neuigkeit brachten.

»Von wem stammt die Idee?«

Kathleen lachte: »Wir haben Vater zugesetzt. Da ist er darauf verfallen.«

Alice wandte sich an Edward: »Und du, Eddy, möchtest du es? Wird dir – das behagen?«

»Laß mich zuerst wissen, was du davon hältst, Mutter.«

»Oh, ich denke« (sie zögerte), »Vater hat lange nicht erzählt. Ich weiß eigentlich nicht, wann er sich zuletzt zu Euch gesetzt hat, um zu erzählen, – vielleicht ganz früh, als Kathleen klein war. Es ist jedenfalls lieb von ihm. Wir müssen ihm danken.«

Edward: »Es gefällt mir. Eine Anstrengung von ihm. Eine Leistung.«

Alice: »Ja, Eddy. Vater bringt dir ein Opfer. Das Ganze ist nicht seine Art. Er tut es für dich.«

»Entschuldige mich, Mutter. Soll ich Vater bitten, es nicht zu tun? Was möchtest Du, Mutter?«

Er sah sie an … Was für ein gequälter Blick. Sie senkte die Augen:

»Tue, was du willst, Eddy. Entscheide, wie du es für gut hältst.«

»Ich sage ja. Bist du einverstanden, Mutter?«

»Ja.«

 

Damals war ein Besuch Dr. Kings, des Klinikarztes, im Hause fällig. Er kontrollierte den Zustand seines ehemaligen Patienten, des Sohnes seines Freundes Gordon. Man sprach ihm von dem Plan, Edward, der noch immer überwach und unruhig war und wie ein Spürhund durch das Haus wanderte, durch Erzählen zu unterhalten, ein Gesellschaftsspiel, woran sich alle beteiligen sollten.

Der Doktor stieß seinen Stock auf den Boden (er saß bei Gordon in der Bibliothek) und schnüffelte; ein Zeichen seines Staunens und Interesses.

»Sieh an, man will erzählen. Wer ist auf die Idee gekommen?«

Gordon meldete sich: »Ich wollte den ewigen abstrakten Streit über Schuld und Verantwortlichkeit beenden. Es sollen konkrete Fälle vorgeführt werden.«

»Erzählen kannst Du, das ist bekannt. Es ist Dein Beruf.«

Der Arzt legte das Kinn auf die Silberkrücke seines Stockes und betrachtete seinen Freund von unten herauf:

»Er wird dir auf den Zahn fühlen, Edward!«

»Weiß ich. Weiß ich schon lange. Er hat ein merkwürdiges Mißtrauen. Was habe ich zu verbergen. Gerade, weil ich es weiß, will ich mich ihm stellen und diesen krankhaften, unausgesprochenen Vorwürfen ein Ende machen. Ich an seinem Zustand schuld? Wodurch? Hab ich ihn in den Krieg geschickt? Er sollte sein schweres Malheur tapfer tragen und hinnehmen als Ehre, als Auszeichnung, wie andere es tun!«

Der Arzt: »Was fragt er? Bloß nach dem Krieg?«

»Das ist nur ein Vorwand. Er hat es mit Personen, die irgendworan schuld sein sollen.«

»Auf wen tippt er, auf Dich oder auf Frau Alice?«

Gordon machte ein finsteres Gesicht und antwortete nicht.

Der Arzt: »Es ist die Art solcher Kranker. Es darf Dich nicht aufregen. Sie fragen nach den entlegensten Dingen.«

»Ich kann da nicht dienen. Ich bin andererseits noch nicht in dem Alter, wo man enthüllt und Memoiren schreibt. Alice ist achtunddreißig.«

»Das Alter tut nichts zur Sache. Also Du willst erzählen.«

»Ja. Währenddessen ist er wenigstens still. Ich werde etwas erzählen. Er schnüffelt im Hause herum. Das war früher nicht seine Art. Es ist krankhaft, aber es ist das Haus seiner Eltern. Hier ist kein Mülleimer, in dem man nach Knochen sucht.«

»Reg Dich nicht auf, Gordon.«

»Ihr hättet ihn besser in der Klinik behalten. So etwas gehört nicht in die Familie. Ich weiß, Alice steckt dahinter. Sie hat es sich bestimmt auch nicht so vorgestellt. Was will er? Auf wen hat er es abgesehen? Auf die Familie? Auf mich? Mir kommt es vor, er geht um mich herum und will mich aufs Glatteis führen. Verstehst Du das? Habe ich die Bombe geworfen, die auf sein Schiff fiel? Habe ich – frage ich noch einmal – habe ich ihn in den Krieg geschickt? Du weißt, er hat sich dazu gedrängt. Wenn er sich nicht gemeldet hätte, hätte man ihn friedlich weiter studieren lassen; es sind ja auch Leute für später nötig. Es ist mir lieb, Ben, dies auf meine Weise ausführlich mit ihm zu besprechen, vor anderen, die mich kontrollieren können, und meinen Standpunkt klar zu legen. Denn er sitzt mir wie ein Staatsanwalt gegenüber. Ich habe das nicht um den Jungen verdient.«

Der Doktor beruhigte ihn:

»Du darfst ihm keine Vorwürfe machen. Sag lieber: Was willst Du erzählen?«

»Ich denke noch darüber nach.«

»Laß Dir Zeit. Es wird jedenfalls alle, die Ihr dazu einladen werdet, interessieren.«

Als sich Dr. King verabschiedete, bedauerte er, nicht selber von Anfang an den Unterhaltungen beiwohnen zu können. Er würde sich aber einstellen, sobald er frei wäre.

Allison folgte ihm auf den Flur und flüsterte stolz:

»Ich habe vor, ihm erstens zu erzählen, was jeden Menschen, der heute nachdenkt, interessiert, und zweitens: was ein Vater, ohne übertrieben deutlich zu sein, seinem Sohn, mit dem er es gut meint, über gewisse Dinge zur Aufklärung, – Ehe, Liebe, Familie, – zu sagen hat. Ich erfülle da eine gewisse elterliche Pflicht, übrigens auch gegen Kathleen.«

Dr. King: »Ich hoffe, Du hast kein Lampenfieber.«

Man trennte sich lachend.

Lord Crenshaws Abenteuer

Er hieß Gordon Allison. Aber man nannte ihn Lord Crenshaw.

Sein Freundeskreis hatte ihm diesen Adel verliehen, nach einer Straße und Autobuslinie in Hollywood im westlichen Amerika, welche auf verzwickte Weise die breite La Brea Avenue mit dem unendlichen Wilshire Boulevard und umgekehrt verbindet.

In einer der frühsten Geschichten Allisons nämlich saß einmal spät abends ein Lord in diesem Crenshawbus und gedachte irgendwohin in Hollywood zu fahren. Es herrschte im Halbdunkel des Wagens eine so geheimnisvolle Atmosphäre, daß der Lord, der wohl auch getrunken hatte, das Bewußtsein verlor und, an der Endstation aufgeweckt, ersucht werden mußte, den Wagen, der sich entleert hatte, zu verlassen.

Er zog es aber vor, um ganz zu sich zu kommen, im selben Bus wieder zurückzufahren und darauf machte er die Tour noch einmal, – bis er dem Fahrer auffiel, der sich mit ihm in ein Gespräch einließ, wieder an der Endstation oder Ausgangsstation, weil er in dem eleganten Herrn einen Verbrecher vermutete, der auf diese Weise vielleicht Verfolgern zu entgehen gedachte.

Eine Dame mischte sich ein: ihr kam vor, mit diesem Herrn gestern soupiert zu haben. Man fragte den Herrn, wohin er denn wolle, – und als er darauf nicht antworten konnte oder wollte, fragte man ihn aus: wo er wohne und schließlich, wie er heiße, was sein Beruf sei.

Da wußte der Fremde, ratlos wie er war (er schien in die Enge getrieben), sich keinen Rat, als sich Lord Crenshaw zu nennen. Der Name »Crenshaw« war in seinem Gehirn nach einem Blick auf das Schild des Busses haftengeblieben. Den Lord setzte er von sich aus hinzu.

Nachdem das allgemeine Hohngelächter vor dem Bus in der finsteren Nacht verklungen war, passierte dem Herrn allerhand auf dem Polizeibüro, und nachdem man ihn freigelassen und in ein nahes Hotel gebracht hatte (weil ihm ja nichts nachzuweisen war und er ausreichend Geld bei sich trug, aber keine Papiere), beobachtete man ihn geheim. Man gab ihm Gelegenheit sich zu besinnen, wer er eigentlich war.

Es wurde eine sehr komplizierte Geschichte. Überall, wo der Herr, immer noch im Besitz einer großen Geldsumme, auf der Suche nach sich selbst vorsprach und behauptete, hier bekannt zu sein, in Hotels, Restaurants, Cafés, in einigen Clublokalen, wurde er abgewiesen. Aber es ereigneten sich merkwürdige Zwischenfälle. Sein Bewußtsein hatte allmählich etwas chamäleonhaftes: es veränderte sich nach dem, der sich ihm näherte. Der Lord griff rasch Suggestionen auf und spielte sich in eine Rolle ein; offenbar war er froh, endlich angelangt zu sein und seine Person erwischt zu haben. Aber dabei blieb es nicht lange; sein Crenshawbus fuhr weiter.

Er zog zuletzt einen ganzen Schwanz von Menschen, Herren und Damen, hinter sich her, die alle, meist verlogen, behaupteten, ihn zu kennen, ihn unter verschiedenen Namen gekannt zu haben, mit ihm da und dort, im Osten Amerikas, in Europa (ja eine Dame sprach von Marokko), gelebt zu haben und Briefe von ihm zu besitzen, die man beibringen wollte. Der Herr hätte, ohne an