Handbuch geschlechtergerechte Sprache - Gabriele Diewald - E-Book

Handbuch geschlechtergerechte Sprache E-Book

Gabriele Diewald

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Beschreibung

Texte geschlechtergerecht zu formulieren ist heute in vielen Institutionen und Firmen wichtig. Aber wie macht man das geschickt, sodass gut lesbare und verständliche Texte entstehen und sich die Empfänger/-innen auch wirklich angesprochen fühlen? Und was hat eigentlich die Debatte zum Gendern mit unserem täglichen Leben zu tun? In diesem Handbuch zeigen die Autorinnen, dass unsere Sprache als Spiegel der Gesellschaft fungiert und geschlechtergerechter Sprachgebrauch inklusiv wirkt. Sie finden - allgemeinverständlich formuliert - die sprachwissenschaft­lichen Grundlagen des Genderns sowie die sprachlichen Mittel, die das Deutsche dafür zur Verfügung hat, und es führen die Autorinnen an zahlreichen Texten aus unterschiedlichen Bereichen vor, wie diese geschlechtergerecht (um)formuliert werden können. Für alle, die sich mit der gesellschaftlichen Debatte zum Thema Gendern auseinandersetzen und geschlechtergerecht formulieren möchten.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage 2020

1Einleitung und Grundsätzliches

1.1Was will dieser Ratgeber?

Die Gliederung dieses Buchs

Eine Anleitung für den Gebrauch

1.2Grundlagen und Bestandsaufnahme

Historische gesellschaftliche Hintergründe

Die lange Diskussion über die Bedeutung maskuliner Sprachformen

Die feministische Sprachkritik

Die aktuelle Diskussion und neueste Entwicklungen

Leitfäden zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch

Gesellschaftlicher Wandel und Sprachwandel

1.3Die prototypische Zweigeschlechtlichkeit als Ausgangspunkt

Sprachexterne Aspekte

Sprachinterne Aspekte

1.4Die »dritte Option«

Die Hintergründe

Anredemöglichkeiten

Geschlechtsneutrale Personalpronomen?

2Sprachwissenschaftliche Fakten

2.1Linguistische Grundlagen

Genus, Gender, Geschlecht

Das »generische Maskulinum«

2.2Evidenzen statt Behauptungen

Explizite Befragungen der Testpersonen

Lesezeitmessungen/Einschätzungen der Testpersonen

Vergleich von originalem und gendergerechtem Text

Lückentexte zur Ergänzung durch die Testpersonen

Schwierigkeit der Textverarbeitung bei den Testpersonen

Sprachvergleiche

Befragung von Schulkindern zu Berufsbezeichnungen

Überblick und Desiderate

2.3Faktoren der Genderrelevanz

Referenztyp

Syntaktische Funktion

Textuelle Funktion

Wortstatus

2.4Strategien des geschlechtergerechten Formulierens

Ausführliche Beidnennung: Schülerinnen und Schüler

Verkürzte Beidnennung (Schrägstrich mit Bindestrich): Schüler/-innen

Klammern: Schüler(innen)

Binnen-I: SchülerInnen

Neografien: Schüler*innen, Schüler:innen etc.

Neografien als Kurzformen

Substantivierte Partizipien oder Adjektive im Plural: Studierende, Verwitwete

Sachbezeichnung: Staatsoberhaupt, Presse

Geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen: Mensch, Person, Mitglied

Kurzwörter: OB, Hiwi, Prof

Direkte Anrede: Ihre Unterschrift

Umformulierung mithilfe des Adjektivs: ärztlicher Rat

Umschreibungen: Passiv, wir, man: Es sollte beachtet werden / Wir sollten beachten / Man sollte beachten

Bildung von Relativsätzen: Alle, die …

Geschlechtergerechte Stellenausschreibungen

Barrierefreiheit und Leichte Sprache

2.5Typische Probleme des geschlechtergerechten Formulierens

Schwierigkeiten bei verkürzten Formen allgemein

Der Genderstern und andere Neografien

Neografien mit Attribut

Silbentrennung bei Neografien

»Sonderzeichen« im Amtlichen Regelwerk

Ableitungen und Zusammensetzungen

Kongruenz bei Titel und Anrede

Kongruenz im Satz: prädikative Strukturen

Kongruenz im Text: pronominale Wiederaufnahme

3Beispielanalysen

3.1Texte an die »Allgemeinheit«

Textbeispiel Merkblatt

Textbeispiel Ansprache

Textbeispiel Stadt

Textbeispiel Bundespresseamt

Textbeispiel Hinweisschilder, Aufkleber

Textbeispiel Newsletter/Blog

Textbeispiel Straßenverkehr

3.2Texte werbender Natur

Textbeispiel Service-Informationen

Textbeispiel Kundenorientierung

Textbeispiel Mitarbeiterbefragung

Textbeispiel Leitbild der Universität Mainz

Textbeispiel Leitbild Klinik

Textbeispiel Literaturhaus

Textbeispiel Kulturzentrum/LSBTIQ-Bar

Textbeispiel Veranstaltungsankündigung

Textbeispiel Vorstellung einer Galerie

Textbeispiel Arztpraxen

3.3Formulare

Textbeispiel Finanzamt

Textbeispiel Fahrgastrechteformular

Textbeispiel Formular für Gasthörende

Textbeispiel Wohnungsbescheinigung

3.4Fachsprachliche/wissenschaftliche Texte

Textbeispiel Fachausdrücke im »generischen Maskulinum«

Textbeispiel »Genderfußnote«

Textbeispiel Abwechselnde Formulierungen

3.5Normative Texte

Textbeispiel Promotionsordnung Universität Hannover

Textbeispiel Promotionsordnung TU Braunschweig

Textbeispiel Promotionsordnung TU Chemnitz

Textbeispiel Grundordnung Universität Leipzig

Textbeispiel Beistandspflichten für Notare

Textbeispiel Zwei Versionen der Straßenverkehrsordnung

3.6Berichte

Textbeispiel Schilderung

Textbeispiel Protokoll

Textbeispiel Nachricht

Textbeispiel Pressemitteilung

Textbeispiel Reportage

Textbeispiel Mitteilungsblatt

3.7Stellenangebote

Textbeispiel Polizei

Textbeispiel Stadt

Textbeispiel Unternehmen

Textbeispiel PH Heidelberg

3.8Neue Lösungen und Neografien

3.9Zum Schluss

4Anhang

Quellen

Literatur

Register

Vorwort zur zweiten Auflage

Im Vorwort zur ersten Auflage haben wir geschrieben, dass geschlechtergerechte Sprache ein dynamischer Bereich ist, in dem weiterhin sowohl Sprachwandel wie intensiver gesellschaftlicher Diskurs zu erwarten sind.

Dass das Feld sich derart dynamisch entwickelt und wir bereits nach zwei Jahren eine Überarbeitung des Handbuchs vornehmen würden, hatten wir nicht vorhergesehen. Doch nun liegt die zweite Auflage vor und wir freuen uns, hier kurz die wesentlichen Ergänzungen und Veränderungen zu benennen.

Die hier vorliegende Auflage integriert zentrale Aspekte der neuen Entwicklungen im Sprachgebrauch und in gesellschaftlichen Debatten über den Sprachgebrauch seit 2020, soweit sie von allgemeiner Relevanz für die Anwendung geschlechtergerechter Sprache sind. Daher betreffen die Ergänzungen vor allem neue Entwicklungen im Bereich geschlechtsübergreifender bzw. geschlechtsneutraler Personenbezeichnungen, insbesondere den Stand der Debatte und der Rechtschreibregeln zu den Neografien mit Genderstern, Unterstrich, Doppelpunkt und Mediopunkt.

Literaturangaben und Verweise auf andere Quellen wurden überprüft, auf den neuesten Stand gebracht und ergänzt.

Juni 2022, die Autorinnen und die Dudenredaktion

Vorwort zur ersten Auflage 2020

Es hat sich viel verändert. Seit im Herbst 2017 der Duden-Ratgeber »Richtig gendern« mit dem Untertitel »Wie Sie angemessen und verständlich schreiben« erschien, ist auf dem Feld der geschlechtergerechten Sprache viel geschehen. Man könnte sagen, es hat ein vollständiger Wechsel der Perspektive stattgefunden: Nicht mehr diejenigen, die sprachlich fair und nicht diskriminierend kommunizieren wollen, sind in der Rechtfertigungspflicht, sondern diejenigen, die die Auffassung vertreten, dass es so, wie es bisher war, auch bleiben soll.

Bemerkenswert ist vor allem ein wachsender Strom an Zustimmung und eine Fülle von Anfragen und weiterführenden Aktivitäten. Diese kommen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und haben zu zahlreichen Vorträgen, Podien und Workshops geführt. Auch eine zunehmende Anzahl von weitergehenden Gestaltungsvorschlägen, von neuen Leitfäden und neuen Diskussionsforen zu diesem Thema lässt sich verzeichnen. Natürlich gibt es auch zum jetzigen Zeitpunkt noch Stimmen, die das Streben nach geschlechtergerechter Sprache grundsätzlich ablehnen, und es gibt lebhafte Diskussionen zu bestimmten Vorschlägen und Strategien.

Kurz: Das Thema geschlechtergerechte Sprache hat sich aus seiner Nischenexistenz gelöst und ist in der Öffentlichkeit als wichtiges Zukunftsthema erkannt worden, das von der Sprachgemeinschaft diskutiert und bearbeitet werden muss. Der Diskurs hat sich ausgeweitet und ist differenzierter geworden – ist dadurch aber nicht nur spannender und vielfältiger, sondern auch unübersichtlicher geworden.

Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Buch entstanden. Es hat den Anspruch, eine Orientierung in diesem extrem dynamischen Feld des gesellschaftlichen und sprachlichen Wandels zu bieten. Dabei nehmen wir eine Position ein, die von den sprachlichen Möglichkeiten des Deutschen ausgeht und diese theoretisch und praktisch einordnet und bewertet. Wohl wissend, dass auch andere Positionierungen möglich sind, wohl wissend, dass vieles im Test der Praxis und der Zeit sich verändern wird.

Dieses Buch hat das Ziel, den aktuellen Stand zu erfassen. Dabei kann es nicht die Aufgabe sein, alle Details der historischen Entwicklung oder alle Gründe und Bedingungen der wellenartigen Aufmerksamkeit nachzuzeichnen. Doch haben wir den Anspruch, die neue Lage vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung zu reflektieren und einzuordnen. Dies bedeutet, dass wir die Grundlagen der geschlechtergerechten Sprache, die wir in dem Buch »Richtig gendern« aus dem Jahr 2017 und in der Kurzfassung »Gendern – ganz einfach« von 2019 dargestellt haben, aufnehmen, um vor diesem Hintergrund die neuesten Entwicklungen weiterzudenken. Unsere Absicht ist es, die Entfaltung dieser Thematik als dynamischen Prozess abzubilden, der nicht abgeschlossen ist und somit Raum für neue Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Zugleich sind wir bestrebt, einige verlässliche Prinzipien und Leitlinien zur praktischen Anwendung geschlechtergerechter Sprache anzubieten und so allen, die sich in ihrem – meist wohl beruflichen – Alltag um geschlechtergerechte Sprache bemühen, ein solides Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen.

Daher ist es keine Floskel, wenn wir sagen, dass wir Kommentare ebenso wie Kritik nicht nur schätzen, sondern sie auch hervorlocken möchten.

Die Autorinnen und die Dudenredaktion

1

Einleitung und Grundsätzliches

1.1 Was will dieser Ratgeber?

Gendern, also die Anwendung geschlechtergerechter Sprache im Sprachgebrauch, ist ein wichtiges Gleichstellungsinstrument. Auf diese Weise wird die Forderung zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die ja im Grundgesetz formuliert ist, in der sprachlichen Kommunikation ernst genommen. Der entsprechende Absatz im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland lautet im Original:

»Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.« (GG Artikel 3, Absatz 2)

Das Verb gendern leitet sich aus dem englischen Substantiv gender ›Geschlecht‹ ab, das als Lehnwort ins Deutsche gekommen ist. Gender bezieht sich auf das soziale Geschlecht, das heißt auf die gesellschaftlichen Rollen und Eigenschaften, die einer Person stereotypisch als »Mann« oder als »Frau« zugeschrieben werden. Gender ist somit nicht mit dem biologischen Geschlecht (sex) gleichzusetzen. Das Verb gendern bedeutet, dass diese verschiedenen Rollen in der sprachlichen Kommunikation angemessen und nicht diskriminierend explizit gemacht werden. Wir verwenden den Ausdruck gendern gleichbedeutend mit ›Sprache geschlechtergerecht gestalten‹.

Die praktische Durchführung dieser sprachlichen Operation bereitet jedoch zahlreiche Schwierigkeiten. Selbst nach Jahrzehnten der Diskussion und vielen Gesetzen, Verordnungen und Leitfäden lässt sich beobachten, dass zwischen dem erklärten öffentlichen Willen und der Umsetzung in die Lebenswirklichkeit eine Diskrepanz besteht. Die Gründe für diese Hindernisse sind vielfältig und einige davon wollen wir gleich an dieser Stelle ansprechen. Ihre Überwindung ist die Voraussetzung für eine gute kommunikative Praxis und damit auch eines der übergeordneten Ziele dieses Ratgebers. Auch ist es viel leichter, dieses Buch produktiv zur Erweiterung der eigenen Sprachmöglichkeiten einzusetzen, wenn man diese Hintergründe und Hinderungsgründe kennt.

Der erste Hinderungsgrund ist ein rein praktischer. Lange fehlten in vielen Vorschlägen zum gendergerechten Sprachgebrauch verständliche und zugleich differenzierte Hinweise zu den notwendigen linguistischen Grundlagen, ohne die eine aktive und kreative Anwendung gendergerechter Sprache nicht möglich ist. Dieses Erklärungsdefizit reduzierte oft die praktische Handhabbarkeit von Leitfäden. Die Lage hat sich inzwischen zum Besseren gewendet (vgl. Abschnitt 1.2). Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass Menschen, denen das Thema bislang nicht oder nur wenig vertraut ist, praxisnahe und fachlich fundierte Erklärungen ebenso wie konkrete und differenzierte Tipps für die eigene Praxis benötigen.

Das zweite Hemmnis hat weniger mit Sprache als mit Meinungen und auch Vorurteilen zu tun. Oft werden aufgrund ideologischer oder auch rein persönlicher Abwehrreaktionen gegenüber sprachlichen Veränderungen alle Versuche zur Herstellung gendergerechten Sprachgebrauchs als destruktiver und illegitimer Eingriff in die Sprache aufgefasst und Änderungsversuche grundsätzlich verurteilt. Eine häufig anzutreffende Argumentationsfigur ist die Unterstellung, dass durch die Anwendung geschlechtergerechter Sprache eine faktische »Gleichmacherei« der Geschlechter beabsichtigt sei. In einem anonymen Brief an die Autorinnen des Ratgebers »Richtig gendern« (eingegangen in der Dudenredaktion am 10. April 2018) heißt es hierzu: »Was Sie jedoch mit Ihrer Genderei (alles Männliche zu verweiblichen oder geschlechtslos machen zu wollen) verzapfen, ist weder angemessen noch verständlich. Sie verwechseln das grammatische Geschlecht mit dem generischen.« Und weiter: »Mann und Frau sind nicht gleich und werden es nie werden! Da können Sie ›gagagendern‹[,] wie sie wollen!«

Hier lässt sich annehmen, dass der Ausdruck der gelebten Gleichstellung (bzw. der Anspruch darauf), der sich ja im geschlechtergerechten Sprachgebrauch dokumentiert, als Angriff auf die eigene Einstellung zum Geschlecht oder gar auf die eigene Geschlechtsidentität wahrgenommen wird. Häufig entsteht der Eindruck, dass es mehr um die Ablehnung desjenigen umfassenden gesellschaftlichen Wandels geht, der grob mit den Stichworten Emanzipation, Gleichberechtigung und Teilhabe zu tun hat. Vor einem solchen Hintergrund wird es schwierig, geschlechtergerecht zu kommunizieren oder dieses überhaupt für erstrebenswert zu halten.

Der dritte Faktor, der die Umsetzung geschlechtergerechter Sprache lange gebremst hat, ist die Tatsache, dass in der Öffentlichkeit oft die Auffassung favorisiert wurde und auch noch wird, der Stellenwert der Sprache sei für die Durchsetzung der Gleichstellung unwesentlich. Daher seien die Bemühungen um gendergerechte Sprache überflüssig, wenn nicht gar lächerlich. Gendergerechte Sprache führe außerdem zu einer »Verhunzung« der Sprache, gegen die man sich auflehne.

Der hier behauptete Gegensatz zwischen sinnvollem Handeln für die Gleichberechtigung und zerstörerischem Eingriff in die Sprache unterschlägt zwei Fakten. Erstens besteht kein Widerspruch zwischen politischem Handeln und einer entsprechenden kommunikativen Praxis. Zweitens wird hier (absichtlich?) die Relevanz der Sprache als Ausdruck des gesellschaftlichen Zustands und der gesellschaftlichen Forderungen zu gering eingeschätzt oder gar unterschlagen (zum Wandel der Sprache vgl. Abschnitt 1.2). Argumentationsfiguren dieser Art (die auch unter dem Stichwort des »derailing«, also der Ablenkung, genauer ›Entgleisung‹, beforscht werden) sehen praktisch z. B. wie folgendes Zitat aus (entnommen einer Diskussion auf »Spiegel online« unter http://www.spiegel.de/spiegel/unispiegel/geschlechtergerechte-sprache-brauchen-wir-das-a-1219042.html vom 13. August 2018): »Diese Genderphantom-Diskussion zeigt doch nur, daß [!] Deutschland ein Luxusproblem hat. Was ändert sich wirklich? Gar nichts! Frauen mit 20–40 % Unterbezahlung ggü. Männern, fehlende Kita-Plätze etc., das wären Probleme, aber hier ändert sich nichts.« Nebenbei sei angemerkt, dass allein der leidenschaftliche Tonfall, den solche Kommentare oft aufweisen, verdeutlicht, dass die Sprache bei der Gestaltung und Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse so nebensächlich nicht sein kann. Sonst wäre nicht so viel Feuer in dieser Debatte.

Diese (und weitere) Hindernisse will dieses Buch beseitigen, indem es über die Fakten der deutschen Sprache und die Möglichkeiten ihrer Anwendung aufklärt und zugleich eine Hilfestellung für die eigene Anwendung geschlechtergerechter Sprache bietet. Es ist als Arbeits- und Nachschlagewerk für alle gedacht,

–die sich intensiver mit dem Thema der geschlechtergerechten Sprache auseinandersetzen wollen,

–die die gesellschaftlichen und sprachlichen Hintergründe kennen und verstehen wollen und

–die in ihrem eigenen Sprachgebrauch gestaltend und kreativ mit der Anforderung des diskriminierungsfreien Sprechens umgehen wollen.

Entsprechend ist es in drei große Kapitel gegliedert.

Die Gliederung dieses Buchs

Das erste Kapitel behandelt in seinem Fortgang nach diesem Abschnitt die gesellschaftlichen Grundlagen und die Geschichte des Diskurses um geschlechtergerechte Sprache sowie den aktuellen Stand der Diskussion.

Das zweite Kapitel befasst sich mit den sprachlichen Voraussetzungen des Deutschen, auf deren Basis gendergerechte Sprache angewendet werden kann. Hier werden die Gegebenheiten des Deutschen in Wortschatz und Grammatik dargestellt und es wird gezeigt, wo sprachstrukturelle Möglichkeiten und Schwierigkeiten bestehen. Ein weiterer Abschnitt im zweiten Kapitel ist wichtigen Forschungsergebnissen aus verschiedenen Disziplinen zur Wirkung bestimmter Sprachformen gewidmet. Schließlich werden Grundlagen der sprachlichen Kommunikation, also die pragmatischen Regeln der Sprachverwendung erörtert und daraus einige Faustregeln bzw. Strategien abgeleitet, wann, wie und in welchem Umfang Gendern besonders wirksam und geboten ist.

Das dritte Kapitel bietet intensive und detaillierte Spracharbeit an Textbeispielen aus einem breiten Spektrum alltäglicher Textsorten. In schrittweisen, fundierten Analysen werden Formen, Methoden und Anwendungsbeispiele für gendergerechte Sprache diskutiert und mit praktischen Tipps zur eigenen Anwendung und kreativen Weiterentwicklung versehen.

Der Schwerpunkt dieses Ratgebers liegt – gerade in diesem praxisorientierten Kapitel – auf den Anforderungen der schriftlichen Kommunikation und auf Textsorten, die vor allem im beruflichen Kontext besonders wichtig sind. Darüber hinaus sind die hier behandelten Fragen auch für stärker formalisierte mündliche Kommunikationssituationen im beruflichen und öffentlichen Bereich relevant.

Typische Textsorten bzw. Redesituationen, für die dieses Buch hilfreich ist, sind somit beispielsweise Geschäftskorrespondenz an Einzelpersonen oder Gruppen, Rundschreiben, Ordnungen, öffentliche bzw. halböffentliche Reden, z. B. bei Versammlungen, Verhandlungen, Stelleninterviews, oder auch Interaktionen mit den Medien und der Öffentlichkeit.

Eine Anleitung für den Gebrauch

Die drei Kapitel sind im Wesentlichen unabhängig voneinander lesbar und behandeln unterschiedliche Bereiche des komplexen Feldes. Damit berücksichtigen wir unterschiedliche Informationsbedürfnisse bei den Menschen, die dieses Buch konsultieren:

–Die, die sich sofort mit praktischer Umsetzung befassen wollen, können das erste Kapitel überspringen und sich auf die beiden sprachzentrierten Kapitel konzentrieren.

–Auch ein direkter Zugang nur zum praktischen Kapitel 3 ist möglich. Jedoch nehmen wir an, dass der größte Gewinn erzielt wird, wenn auch die linguistischen Grundlagen zur Kenntnis genommen werden. Sie liefern verallgemeinerbare Begründungen für die Textanalysen und die verschiedenen Vorschläge zur geschlechtergerechten Sprachpraxis. Dies spricht für eine sukzessive Lektüre von Kapitel 2 und 3.

–Der Aufbau des zweiten und dritten Kapitels ermöglicht es aber auch, vom dritten Kapitel ausgehend beim Auftreten grundsätzlicher Fragen immer wieder punktuell in Kapitel 2 nachzuschlagen.

Bevor es richtig losgeht, sei noch ein wichtiger Punkt hervorgehoben: Für die Anwendung geschlechtergerechter Sprache gibt es keine Norm, die vergleichbar wäre mit anderen Normen in sprachlichen Bereichen wie zum Beispiel der Rechtschreibung. Und wir wollen keinesfalls solche Normen setzen. Dieses Buch hat also keine vorschreibende, präskriptive Funktion. Diese Haltung teilt es mit den Vorgängerbüchern. Jedoch zeigt sich, dass mit der verstärkten Verwendung neuer Formen, die wir hier Neografien nennen, also dem Genderstern, dem Unterstrich, dem Doppelpunkt usw., eine intensive Diskussion über orthografische Fragen und Regeln aufgekommen ist, die wir im Folgenden an den passenden Stellen aufgreifen. Dennoch bleiben wir dabei:

»Gendern« kann nicht bedeuten »nach vorgegebenen Regeln zu gendern«, sondern situationsangemessen, sachangemessen, d. h. inhaltlich korrekt, verständlich und ansprechend den Grundsatz der geschlechtergerechten Sprache in der eigenen Sprachproduktion umsetzen.

Daraus folgt ein weiterer Punkt, zu dem wir an dieser Stelle Klarheit schaffen wollen. Die Hilfestellung, die wir Ihnen mit diesem Buch geben, ist prozessorientiert. Sie kann sich nicht darin erschöpfen, dass ein Katalog, eine abgeschlossene Liste sprachlicher Fertigteile geboten wird, die an bestimmten Stellen in einen vorgefertigten Text einzufügen wären, um damit gendergerecht zu kommunizieren. Dies kann aus mehreren Gründen nicht funktionieren:

Jeder Akt der Sprachverwendung beruht auf spezifischen Sprechintentionen, d. h. auf individuellen und aktuell relevanten Ausdrucksabsichten. Diese wirken sich direkt auf die konkrete Wahl der sprachlichen Mittel aus. Jede Sprecherin und jeder Sprecher wird hier also notwendigerweise zu individuellen Entscheidungen kommen.

Die Anzahl der Inhalte, der Gegenstände und Sachverhalte, über die wir sprechen können, ist unendlich. Ebenso gibt es eine Vielzahl von verschiedenen, mehr oder weniger stark regulierten Typen von Sprechsituationen, kontextabhängigen Sprechstilen (auch »Register« genannt) und Textsorten. Auch hier ergeben sich somit vielfältige individuelle sprachliche Gestaltungsmöglichkeiten für das, was wir jeweils sagen möchten. Jede sprachliche Äußerung ist an andere gerichtet und findet in ganz konkreten, sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen bzw. Situationen statt. Auch durch diese Faktoren wird die Auswahl der sprachlichen Mittel beeinflusst.

Schließlich gibt es, insbesondere in beruflichen oder formalisierten kommunikativen Situationen, spezielle, nur lokal gültige Beschränkungen und Vorschriften für einen ganz bestimmten Sprachgebrauch. Zum Beispiel haben einige Institutionen bereits Richtlinien für gendergerechte Sprache entwickelt, die unter Umständen bestimmte sprachliche Instrumente ausschließen. So sieht das niedersächsische Gesetz zur geschlechtergerechten Sprache in amtlichen Texten nur Beidnennung (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), Neutralisierung (Fachkraft, Amtsleitung) oder Umformulierungen (Es referieren statt Referenten) vor. Andere prinzipiell mögliche Lösungen wie die Schrägstrichvarianten (Mitarbeiter/-innen), das Binnen-I (MitarbeiterInnen), der Genderstern (Mitarbeiter*innen) und andere Formen werden in diesem Kontext nicht zugelassen. Der zu Beginn des Jahres 2019 erschienene neue Leitfaden für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache der Stadt Hannover wiederum verlangt geschlechtsneutrale Formulierungen, wo immer dies möglich ist und – wenn nicht anders durchführbar – den Genderstern (s. hierzu ausführlich Abschnitte 1.2 und 2.4).

Unser Bestreben kann es daher gar nicht sein, Ihnen Readymades oder Fertigteile zu liefern. Unser Bestreben ist es vielmehr, Ihnen die sprachliche Prozedur des Genderns für Ihre schriftlichen und zum Teil auch mündlichen Kommunikationsprozesse geläufig zu machen und Ihnen das Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die Sie nach Bedarf anwenden können.

Einen Text gendern heißt, die mentalen Konzepte der relevanten Genderrollen sprachlich abzubilden, d. h., die Inhalte deutlich konturiert und farbig darzustellen. Dieses Buch gibt Ihnen einen Überblick über die Vielzahl an Farben und Malwerkzeugen, durch deren Gebrauch Sie aus den Sachverhalten und Konzepten, die Sie darstellen wollen, ein angemessenes, treffendes und ästhetisch ansprechendes sprachliches Bild gestalten können. Unsere Absicht ist es, Sie mit Wissen und Selbstbewusstsein auszustatten, damit Sie die »Operation Gendern« in der richtigen, d. h. für Sie und Ihre Zwecke angemessenen Weise meistern.

Trauen Sie sich! Verwenden Sie die Sprache so, dass sie Ihre Absichten angemessen wiedergibt! Es ist Ihre Sprache!

1.2 Grundlagen und Bestandsaufnahme

In diesem Abschnitt greifen wir weit aus, um einige Grundlagen, historische Daten und Entwicklungen darzustellen, die den gesellschaftlichen Hintergrund der Debatte um geschlechtergerechte Sprache definieren.

Die Auffassung, dass eine moderne Gesellschaft sich der Aufgabe stellen muss, eine geschlechtergerechte Sprache zu etablieren, hat sich seit einigen Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum – wie in allen westlichen Gesellschaften – großflächig durchgesetzt. Das Bemühen um gendergerechte Sprache wird als ein wesentlicher Aspekt des allgemeinen Strebens nach der Durchsetzung von Gleichstellung erkannt und anerkannt. Die Debatte hat sich noch verstärkt, seit 2017 das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil zur dritten Option im Personenstandsrecht gefällt hat und damit »offiziell« die Existenz weiterer Geschlechtsidentitäten anerkannt hat, die auch sprachlich in irgendeiner Weise gefasst werden müssen.

Historische gesellschaftliche Hintergründe

Grundlage für diese Entwicklung ist die Einsicht, dass unsere Gesellschaft und damit auch unsere Sprache und unser Sprachgebrauch historisch bedingt auf Denkmustern und Werteordnungen fußen, die Männer privilegieren (auch als patriarchale Ordnung oder Patriarchat bezeichnet). Diese Ideologie wird in der Genderforschung unter dem Stichwort »male as norm« (›das Männliche als Norm‹) oder kurz »MAN« beschrieben. Ihr zentrales Merkmal ist, dass die Kategorie »Mann« ein höheres Ansehen als die Kategorie »Frau« genießt und dass erstere grundsätzlich als Maß und Norm für alle Bereiche des Lebens angesetzt wird. Die Kategorie »Frau« hingegen wird als untergeordnet, sekundär, abhängig definiert (vgl. Bußmann / Hellinger 2003: 158). Durch diese Ideologie werden Frauen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Sichtbarkeit, in ihren Wirkungsmöglichkeiten und in ihrer persönlichen Lebensgestaltung eingeschränkt und benachteiligt. Dies wird heute von keiner Person, die sich ernsthaft mit der Frage der Geschlechtergerechtigkeit befasst, bestritten. Auch ist unzweifelhaft, dass diese alte Ordnung der Geschlechter zwar zurückgedrängt werden konnte, doch in vielen gesellschaftlichen Bereichen auch in unserer Zeit weiterwirkt.

So ist zum Beispiel Altersarmut noch immer überwiegend ein Problem von Frauen; unter Menschen, die Hartz IV beziehen, ist der Frauenanteil überproportional hoch, weil Alleinerziehende, die diese Hilfe oft in Anspruch nehmen müssen, meist Frauen sind; Berufe, in denen vorwiegend Frauen arbeiten, z. B. im Care-Sektor, sind vergleichsweise schlecht bezahlt usw. Außerhalb des rein Ökonomischen sieht es nicht besser aus: Die allermeisten hochrangigen Führungspositionen in der Wirtschaft, im Bildungssektor, in der Politik, in Verbänden und sogar im Ehrenamt sind von Männern besetzt. Stichproben, die das bestätigen, lassen sich jederzeit, z. B. beim aufmerksamen Konsumieren von Nachrichten verschiedener Medien, sammeln.

Dass das Prinzip »male as norm« für Frauen sogar tödlich werden kann, hat die Medizin inzwischen erkannt: Lange Zeit wurden z. B. bei Herzinfarkten von Frauen lebensgefährdende Fehldiagnosen gestellt, weil Symptomlisten nur anhand männlicher Versuchspersonen erstellt worden waren, Frauen aber andere Symptome aufweisen. Auch bei Medikamententests wurden lange nur Männer als Versuchspersonen gewählt, was teilweise zu Unverträglichkeiten und anderen negativen Wirkungen der so getesteten Präparate bei Frauen führte. Die Liste der Beispiele ließe sich für viele andere gesellschaftliche Bereiche mühelos verlängern. Wir sehen: Zwar ist in heutiger Zeit die Auffassung, dass »der Mann« das prototypische Muster des Menschlichen ist, stark auf dem Rückzug; die Folgen dieser althergebrachten Denkgewohnheit sind jedoch langwierig und nur nach und nach zu beheben. Unsere Gesellschaft ist erfreulicherweise in ihrer großen Mehrheit überzeugt, dass weitere Verbesserungen nötig sind, und es wird auch intensiv daran gearbeitet.

Wenn es jedoch um die Sprache und um geschlechtergerechten Sprachgebrauch geht, sieht die Sache oft anders aus. Hier wird – wir haben es schon angedeutet – nicht selten der Einwand vorgebracht, die Sprache habe nichts mit Diskriminierung oder der Überwindung von Diskriminierung zu tun. Die Sprache sei ein von gesellschaftlichen Faktoren, von historischen Entwicklungen und von Machtverhältnissen unabhängiges Artefakt.

Da wird von einer »unschuldigen grammatischen Kategorie« gesprochen (es geht um das sogenannte generische Maskulinum, s. S. 21–28 und S. 84–91), die von übereifrigen Feministinnen zu Unrecht bekämpft werde. Da wurde in den Anfängen der feministischen Linguistik in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts angesichts der ersten Schriften zu Sprache und Geschlecht der Linguistik der Befall durch »feministischen Mumpsimus« diagnostiziert, womit insinuiert wurde, dass die Positionen der feministischen Linguistik auf unausrottbaren Fehlinterpretationen basieren (Kalverkämper 1979b). Kritik dieser Art beruht auf Vorstellungen von Sprache als sterilem Instrument, das ausschließlich sprachinternen Regeln gehorcht.

Entsprechend wurden und werden die Forderungen und Analysen der feministischen Linguistinnen und Linguisten als unwissenschaftlich diffamiert; der Diskurs um die Rolle der Sprache bei der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit emanzipatorischen Bestrebungen wurde und wird als außerhalb der Sprachwissenschaft gelegen betrachtet. So bezeichnet Kalverkämper (1979a) in seiner Replik auf Trömel-Plötz (1978) das Anliegen als »plakativen Geschlechterstreit und Rollenkampf«, dem er »die linguistische Wissenschaftsposition« entgegenstellen wolle (S. 56). Im weiteren Verlauf werden die Analysen und Argumente von Trömel-Plötz abwechselnd als »unlinguistisch« (S. 60) und »unwissenschaftlich« (S. 67) bezeichnet. Und noch im Jahr 2019 werden in Bayer (2019) die Bemühungen um geschlechtergerechte Sprache und die damit verbundenen Veränderungen im Sprachgebrauch pauschal als »Unfug« abgetan (s. auch S. 50).

Da die Sprache ein »unabhängiges« System aus Strukturen, Bedeutungen und Kombinationsregeln sei, das sozusagen vor den Bedürfnissen der Sprecher und Sprecherinnen existiere, sei es illegitim, sprachlichen Wandel im Sinne erwünschter gesellschaftlicher Veränderungen zu fordern bzw. bewusst und gezielt zu befördern. Wir haben oben schon gesehen und werden unten noch weiter zeigen, dass diese Auffassung das Faktum des ständigen und unabdingbaren Wandels jeder »lebenden« Sprache ignoriert.

Hier kann nur eine umfassende öffentliche Diskussion und Darstellung der inzwischen reichhaltigen linguistischen Forschung zum Themenbereich Sprache und Geschlecht weiterhelfen. Die neueste, außerordentlich instruktive Einführung in die Genderlinguistik von Kotthoff / Nübling (2018) ist hier eine wichtige Hilfe. Die Autorinnen äußern sich zur Frage der angeblichen Unabhängigkeit des Sprachsystems von der Wirklichkeit und dem Gebrauch in überzeugender Klarheit. Sie sehen Sprache und Wirklichkeit als

»flexibles, wechselseitiges Bedingungsgefüge: Einerseits prägt und präformiert die Sprache als Sediment früherer Diskurse unsere Wahrnehmung (und damit auch die Wirklichkeit). Sie determiniert sie aber nicht; sonst wäre Sprachwandel (der permanent stattfindet) kaum denkbar. Andererseits und umgekehrt aktiviert man beim Sprechen eben diese Kategorien und Informationen in jeder einzelnen Äußerung. So sind Ausdrücke wie Köchin, Arzt, sie, er nicht nur bloße Referenzformen, sondern gleichzeitig (je nach Sichtweise ausschließlich) Appellationen mit wirklichkeitskonstituierender Funktion (Hornscheidt 1998, 2006). Unseres Erachtens vollzieht sich Wirklichkeit auch jenseits sprachlicher Handlungen, wenngleich sie maßgeblich diskursiv hergestellt wird. So beobachten wir immer wieder, dass und wie veränderte soziale Verhältnisse sich in der Sprache niederschlagen.« (Kotthoff / Nübling 2018: 19)

Da Sprache also »lebt« und verwendet wird, um sich gemeinsam über Inhalte zu verständigen, prägt (und verändert) sie das Denken und die Wirklichkeit und wird gleichzeitig von diesen beiden Faktoren selbst geprägt und verändert. Leider haben sich differenzierte Auffassungen wie diese kaum über den akademischen Raum hinaus verbreitet. Angesichts dieser Tatsache und der notorisch reproduzierten Mär von der Sprache als einem welt- und wertfreien, unabhängigen System ist ein kurzer Blick auf die historischen Hintergründe und Kernpositionen der Debatte um Sprache und Denken und des Zusammenhangs von gesellschaftlichem Wandel und Sprachwandel angebracht. Denn, mag der Ausdruck »gendern« auch neu sein, die Auseinandersetzung um die Ordnung der Geschlechter und deren sprachliche Repräsentation ist es nicht. Sie durchzieht – in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich deutlich – die Geschichte und hat sich nun, zu Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, zu einer Präsenz und Dringlichkeit gesteigert, die bisher nicht vorhanden war.

Vor dem Einsetzen der feministischen Sprachkritik im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts unterstellte die übergroße Mehrheit der Stimmen, die sich zu dem Thema äußerten, die Dominanz des Männlichen als eine quasi selbstverständliche und naturgegebene Grundtatsache. Es gibt Ausnahmen, die sich gegen den durch die Tradition legitimierten Mainstream abheben, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Sprachwissenschaftler Baudouin de Courtenay. Er beklagte die Einseitigkeit der Sprache zugunsten des Prinzips »male as norm« in folgenden Worten:

[dass] »diese in der sprache zum vorschein kommende weltanschauung, nach welcher das männliche als etwas ursprüngliches und das weibliche als etwas abgeleitetes aufgefaßt wird, gegen die logik und gegen das gerechtigkeitsgefühl verstößt.« (Baudouin de Courtenay 1929: 231, zitiert nach Schoenthal 1989: 297)

Der Mainstream hingegen war im Wesentlichen damit befasst, das Prinzip der Dominanz des Männlichen auch in der Sprache gegen immer wieder auftretende Zweifel zu verteidigen. Die sprachlichen Formen, die dabei die meiste Aufmerksamkeit erregten, sind neben der Diskussion um die Funktion des grammatischen Genus in der Sprachstruktur naturgemäß Personenbezeichnungen, also Nomen und Pronomen, die verwendet werden, um auf Menschen zu referieren, d. h. über sie zu sprechen, oder diese zu adressieren, d. h. direkt anzusprechen (Guten Tag, Frau Meier; Sehr geehrte Damen und Herren; Susanne, kannst du mal kurz rüberkommen).

Die lange Diskussion über die Bedeutung maskuliner Sprachformen

Das sogenannte generische Maskulinum ist, wie schon erwähnt, der zentrale Punkt der Debatte um geschlechtergerechte Sprache. Der Ausdruck »generisches Maskulinum« betrifft Personenbezeichnungen wie Bürger oder Müller, die ein abgeleitetes feminines Pendant haben (Bürgerin, Müllerin), dann, wenn sie in verallgemeinernder Weise für beide Geschlechter stehen können und sollen (zu den linguistischen Details s. Abschnitt 2.1). Selbst heute noch hält sich in manchen Köpfen die Auffassung, die Maskulinformen seien »geschlechtsneutral« und ihre Verwendung tue daher der Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit keinen Abbruch. Allerdings geraten diese Stimmen zunehmend in eine Minderheitsposition und die Mehrheit derer, die sich mit diesem Thema konstruktiv befassen, ist heute der Auffassung, dass die Maskulinform paariger Personenbezeichnungen kein geeignetes Mittel für geschlechtsneutrale Referenz ist. Wir werden noch vielfach auf dieses Thema zurückkommen, denn im Grunde besteht ein Großteil der Spracharbeit für geschlechtergerechte Sprache in der Bemühung, die alte Gewohnheit der Verwendung der Maskulinformen für »alle« zu überwinden, indem sinnvollere Formen gewählt werden.

Die Geschichte der Debatte um diese Form ist wenig erforscht; mit Doleschal 2002 und Irmen / Steiger 2005 liegen jedoch zwei sehr sorgfältige und aufschlussreiche Arbeiten vor, auf die sich die folgenden Ausführungen im Wesentlichen stützen.

Im Gegensatz zu den heutigen Verteidigern und Verteidigerinnen des »generischen Maskulinums« berufen sich historisch dokumentierte Äußerungen zu diesem Thema gerade nicht auf eine angebliche Geschlechtsneutralität der Maskulinformen (Bürger, Müller), sondern ausdrücklich darauf, dass sie geschlechtsspezifisch männlich referieren. Doleschal 2002 zeigt dies anhand der Grammatikschreibung seit der Renaissance. Für das 19. Jahrhundert zitiert sie u. a. die Grammatik von Becker, in der zu den Personenbezeichnungen auf -er festgehalten wird: »die Ableitungsendung [d. h. -er] […] bezeichnet auf eine bestimmte Weise das männliche Geschlecht« (Becker 1824: 284 f., zitiert nach Doleschal 2002: 53). Die Begründung der Ableitung femininer Formen aus Maskulina in der nominalen Wortbildung zum »Unterschied des Geschlechtsbegriffs« liest sich bei Westphal (1869: 86) wie folgt:

»Innerhalb der Gattung wird zunächst nur der Gegensatz des natürlichen Geschlechts, des männlichen und des weiblichen, unterschieden. Da das männliche Geschlecht als das überall prävalirende [sic!] voransteht, so nimmt es auch die zunächstliegende Form des Nominalstammes für sich in Anspruch.« (Vgl. auch Irmen / Steiger 2005: 222)

Auch Hermann Paul benennt bei der Darstellung der Ableitung des Femininums durch -in die spezifisch männliche Bedeutung der Formen auf -er: »Gebildet werden solche Feminina aus den meisten männlichen Personenbezeichnungen, namentlich aus Standes- und Berufsbenennungen« (Paul 1920, Bd. 5: 53; vgl. auch Doleschal 2002: 59). Als Fazit hält Doleschal fest:

»Die hier vorgenommene Darstellung der Behandlung des generischen Maskulinums in den Grammatiken des Deutschen ab der Renaissancezeit […] zeigt auch, dass das in der Debatte um die feministische Sprachkritik als traditionell vorausgesetzte Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen als geschlechtsneutral keine sehr lange Tradition besitzt, sondern erst in den sechziger Jahren des 20. Jh. in die Germanistik Eingang gefunden hat.« (Doleschal 2002: 66)

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurde also in der Grammatikschreibung die spezifische männliche Bedeutung der Maskulinformen auf -er deutlich benannt. Dass diese Form (dennoch) bei »allgemeiner« Referenz zu wählen sei (und nicht die Femininableitungen auf -in) war historisch ebenso selbstverständlich. Die Begründung hierfür folgt generell in etwa dieser Logik: Da Männer das erste, privilegierte und würdigere Geschlecht sind, muss bei verallgemeinernder Bedeutung die männliche Sprachform (inhaltlich männlich, grammatisch Maskulinum: Bürger) gewählt werden. Da Frauen an sich sekundären Status haben und im öffentlichen bzw. politischen Leben weitgehend bedeutungslos sind, müssen sie nicht explizit erwähnt werden. Auf keinen Fall könne die Femininvariante der Paarformen, also z. B. Bürgerin, als geschlechtsübergreifender Ausdruck für ›Person beliebigen Geschlechts, die in einer Stadt bestimmte Rechte hat‹, verwendet werden.

Einschlägige Belege hierzu finden sich in Irmen / Steiger (2005: 215). Die Autorinnen verweisen u. a. auf einen Kommentar zum Römischen Recht, in dem die Verwendung der Maskulinform für beide Geschlechter mit folgender Aussage gekoppelt ist: »Maior dignitas est in sexu virili« (zitiert nach Düll 1960: 95), also ›die größere Würde ist im männlichen Geschlecht‹. Die Autorinnen hierzu: »Ganz offensichtlich treffen hier also Aussagen zur generischen Verwendung maskuliner Formen mit Aussagen zur Wertigkeit der Geschlechter zusammen« (Irmen / Steiger 2005: 215). Zu Ausführungen des Marburger Rechtsgelehrten Johannes Goeddaeus (1555–1632) zur Rechtssprache im 16. Jahrhundert halten sie fest: »Die Ursache für den generischen Gebrauch des Maskulinums sieht Goeddaeus in der natürlichen Rangordnung der Geschlechter. Männer seien ›in omnium genere […] principium, et perfectior creature‹ (Goeddaeus [1590] 1608: 49), also das vollkommenere der beiden Geschlechter, dem die größere Würde zukomme.« (Irmen / Steiger 2005: 217). Hingegen wäre nach Goeddaeus – so die Autorinnen weiter – die umgekehrte Lösung, also feminine Formen generisch zu verwenden, »›contra omnem […] rationem politicam, oeconomicam et physicam‹ (Goeddaeus [1590] 1608: 50), gegen jeden politischen, wirtschaftlichen und natürlichen Grundsatz.« (Irmen / Steiger 2005: 217) Kurz: Die über Jahrhunderte übliche Legitimation für die Verwendung der Maskulinformen für »alle« ist: Die Maskulinformen eignen sich für den allgemeinen Gebrauch, gerade weil sie spezifisch männlich sind.

Heute kann eine Gebrauchsgewohnheit zugunsten der männlichen Bezeichnung nicht mehr mit der Nachrangigkeit der Kategorie »Frau« respektive der Vorzüglichkeit der Kategorie »Mann« begründet werden. Stattdessen wird nun den maskulinen Ausdrücken von Paarformen gerne eine insgesamt neutrale Bedeutung (eine neutrale »Grundbedeutung«) zugeschrieben, also eine geschlechtsindifferente Bedeutung, wie sie z. B. bei Person oder Kind vorliegt (Becker 2009, Eisenberg 2017). Wie wir oben mit Doleschal (2002: 66, und auch 56 f.) gesehen haben, findet sich diese Einschätzung erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Historisch haben diese Formen in ihrer Grundbedeutung eine spezifisch männliche Lesart, was allen Verfechtern ihrer verallgemeinernden Verwendung völlig bewusst war.

Wie wirkt nun der Gebrauch einer Maskulinform als »generisches Maskulinum«? Frauen sollen bei dieser Praxis der Sprachverwendung im Bedarfsfall unter der männlichen Bezeichnung subsumiert bzw. »mitgemeint« sein. Dies ist jedoch an der sprachlichen Form nicht erkennbar: Es bleibt anhand der Formen selbst unklar, ob Frauen als mitgemeint oder – ganz im Gegenteil – als ausgeschlossen zu denken sind. Denn die Maskulinformen werden ja ansonsten zur spezifisch männlichen Referenz verwendet. Das eventuelle Mitgemeintsein ist linguistisch gesprochen eine konversationelle Implikatur, also eine flüchtige, von der Interpretationsleistung der Rezipierenden (d. h. vom je aktuellen pragmatischen Kontext) abhängige inhaltliche Anreicherung, die immer nur kontextabhängig wirksam wird und die jederzeit gelöscht werden kann. Ein immer noch eindrucksvolles Beispiel zitiert Grabrucker:

»Anläßlich der Wahl einer Frau in den Böhmischen Landtag (1912) entspann sich ein juristischer Disput um das Problem, ob diese Frau überhaupt in den Landtag einziehen könne, hieß es doch im damals geltenden Gesetz von 1861: »Als Landtagsabgeordneter ist jeder gewählt, der […]« Da sie nun aber eine Frau sei, träfe das Gesetz seinem Wortlaut nach gar nicht zu.« (Grabrucker 1988: 613; hierzu auch Schoenthal 1989: 297 f.)

Auf einen ähnlichen historischen Fall aus den Aufzeichnungen zu Sitzungen der Frankfurter Nationalversammlung 1849 weisen Irmen und Steiger (2005: 223) hin. Sie zitieren folgende Passage:

»Ebenso kommt in den Grundrechten die Bestimmung vor, daß Jeder, der fähig sei, ein Amt antreten könne, es wird aber niemand in der Versammlung einfallen, dieß Recht auch dem weiblichen Geschlecht einzuräumen. Das beweist, daß, wenn es sich um politisches Recht im Gesetz handelt, man es nicht nöthig hat, das weibliche Geschlecht einzuschließen.« (Abgeordneter Scheller, Frankfurter Nationalversammllung, 174, Sitzung vom 20. 2. 1849, Wigard VII, S. 5328; zitiert in Rosenbusch, 1997)

Auseinandersetzungen über diese Uneindeutigkeit, man könnte auch sagen Chamäleonhaftigkeit, der Maskulinform in paarigen Personenbezeichnungen, die ja nur für Frauen nachteilig ist, gibt es interessanterweise und soweit man aus den wenigen aufgearbeiteten Fällen schließen kann, an den Punkten, an denen sich aufgrund gesellschaftlichen Wandels die Stellung von Frauen verändert (hat) und diese nun faktische Ansprüche auf Teilhabe stellen. In derartigen kritischen Situationen, die sich seit dem 19. Jahrhundert vermehrten, wurde also, ganz anders als in früheren Epochen, die Argumentation umgekehrt: Den spezifisch männlichen Formen wurde nun wahlweise die Möglichkeit, Frauen einzuschließen, abgesprochen. Irmen / Steiger (2005: 223) fassen diese Sachlage wie folgt zusammen: »Wie schon bei Goeddaeus werden also Ausnahmen des generischen Gebrauchs geschaffen, um die Subsumierung unter ein Genus nicht mit der Subsumierung unter einen Rechtsanspruch gleichzusetzen.«

Aus linguistischer Sicht offenbart sich an solchen Beispielen das Problem des nur eventuellen Mitgemeintseins, also der oben erwähnten konversationellen Implikatur: Sie ist nicht Bestandteil der Wortbedeutung und kann jederzeit negiert bzw. gelöscht werden.

Wir halten fest: Schon ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung widerspricht also der angeblichen Neutralität maskuliner Personenbezeichnungen, da grammatisch maskuline Formen immer inhaltlich spezifisch männlich waren. Durch die Geschichte hindurch ist diese Form in verschiedener Weise genutzt worden, um Frauen von öffentlichen bzw. gesellschaftlich wichtigen Aufgaben und Ämtern fernzuhalten. In den frühesten belegten Zeugnissen stand ohnehin außer Frage, dass nur männliche Exemplare der Gattung Mensch einer Erwähnung würdig sind. In späteren Epochen wurde entweder zur Abwehr des Zugangs von Frauen in bestimmte Funktionen die spezifisch männliche Lesart als einzig mögliche in Anschlag gebracht; dies ist die traditionelle Art der Diskriminierung. Oder es wurde (und wird) eine angeblich geschlechtsneutrale Verwendung behauptet, sodass die explizite Nennung von Frauen als überflüssig erscheint, mit den inzwischen hinlänglich bekannten ungünstigen Auswirkungen für die mentale Repräsentation von Frauen (vgl. Abschnitt 2.2). Diese Strategie ist v. a. im 20. Jahrhundert anzutreffen. Allein diese kommunikative Verwirrung und diese Möglichkeit der manipulativen und willkürlichen Interpretation ist ein Grund, von der Verwendung der Maskulinformen als angeblich geschlechtsübergreifende Formen abzusehen.

Sehr interessant ist in diesem Kontext ein Vergleich des Usus in der Bundesrepublik mit dem der DDR, denn im Osten Deutschlands war der fast ausschließliche Gebrauch der Maskulinformen noch wesentlich ausgeprägter und vor allem länger verbreitet als in der Bundesrepublik. Auch eine Diskussion über sprachliche Gleichstellung – und über die Rechte der Frauen überhaupt – gab es nicht in vergleichbarem Maße wie in der Bundesrepublik der 1970er- und 1980er-Jahre. Woran lag das?

Aus verschiedenen (sowohl ideologischen als auch ökonomischen) Gründen war man in der DDR von Anfang an stark bemüht, auch Frauen in die Welt der Werktätigen zu integrieren. Die Gleichstellung der Frau gehörte zu den offiziellen Zielen der sozialistischen Republik, und arbeitende Menschen waren besonders zu Beginn enorm wichtig. Das westdeutsche Bild der Frau als Hausfrau und Mutter in den 1950er-Jahren und danach wurde explizit abgelehnt, die Frauen wurden ermutigt zu arbeiten, auch durch bessere Rahmenbedingungen: Bereits 1949 wurde die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf als staatliche Aufgabe in der Verfassung festgeschrieben (Grandke 2008: 20). Und es wurde von den Frauen auch durchaus erwartet, sich im Produktionsprozess zu beteiligen – anders als im Westen, als Frauen sich aus dem Arbeitsprozess zurückziehen mussten (oder wollten?), nachdem genug Männer aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Hinzu kam, dass sich in der DDR die Situation auf dem Arbeitsmarkt durch Bevölkerungsverluste aufgrund der anhaltenden Flucht in den Westen bis 1961 noch dramatisch verschärfte: »Hier waren Frauen die einzige Arbeitskräftereserve, auf die zurückgegriffen werden konnte und die unbedingt im Berufsleben gehalten werden musste« (Kaminsky 2019).

Die Voraussetzungen für Frauen im Arbeitsleben waren also zunächst gut. Bereits 1946 war in der DDR mit dem Befehl Nr. 253 verfügt worden, dass Frauen ein Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit haben: »Damit war die unzweifelhaft wichtigste Forderung der Frauenbewegungen wenigstens zunächst im Recht selbst verwirklicht […]. Das Recht auf Lohngleichheit hatte für die berufliche Stellung der Frauen und ihr Selbstbewusstsein weit über die finanzielle Seite hinausgehende Bedeutung« (Grandke 2008: 18). Daran, dass es auch hier »frauentypische« und entsprechend schlechter bezahlte Berufe gab und das reale Einkommen der Frauen dennoch deutlich hinter dem der Männer zurückblieb, änderte dies freilich auch nichts. Auch in höheren Positionen fanden sich Frauen kaum: »Und im Berufsleben waren es Männer, die in Führungspositionen aufstiegen« (Hillauer 2018).

Dennoch: Während in der DDR bereits 1968 über 80 % der Frauen berufstätig waren, waren es in der Bundesrepublik lediglich 36,6 % – bis 1989 stieg der Anteil hier auf 50 %, in der DDR dagegen auf 92,4 %, wie Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, in einem Beitrag des Deutschland-Archivs der Bundeszentrale für politische Bildung schreibt (Kaminsky 2019). Das korreliert durchaus mit der Tatsache, dass noch bis 1977 im Westen die »Hausfrauenehe« im Gesetz stand, eine Berufstätigkeit für Frauen also nur mit Zustimmung des Mannes (und soweit diese nicht die Zuständigkeit der Frau für den Haushalt beeinträchtigte!) möglich war.

Aus diesen verschiedenen Gründen gab es also in der DDR schon weitaus früher als in der Bundesrepublik Frauen, die in »typischen Männerberufen« tätig waren – und sie trugen mit einem gewissen Stolz die maskulinen Berufsbezeichnungen, sodass die Emanzipationsbewegung des Westens nicht so recht Fuß fassen konnte. Hinzu kommt, dass man auch von staatlicher Seite aus viel tat, um solche westlichen Einflüsse nicht publik zu machen. Insgesamt war damit wohl in der DDR die Dringlichkeit einer Einführung femininer Berufsbezeichnungen nicht in dem Maße präsent, wie es den Frauen in Westdeutschland notwendig schien, um auf diesem Gebiet voranzukommen.

Es liegt daher die Vermutung nahe, dass in der DDR quasi die »Realität« den Bedeutungsumfang der Personenbezeichnungen auf -er