Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Als politische Denkerin hat sich Hannah Arendt aus der Erfahrung ihrer Zeit heraus mit dem Bösen beschäftigt. Die unfassbaren Gräueltaten der Nazis konnte sie erst selbst nicht fassen, weil es ihr militärisch schlicht nicht notwendig schien, Frauen, Männer und Kinder massenhaft zu töten. Auch die Gewalt und der Schrecken des Assad-Regimes, das Syrien über mehrere Jahrzehnte in ein Gefängnis der darin Lebenden verwandelt hat, schien vielfach nicht vorstellbar. Einer, der es am eigenen Leib erlebt und überlebt hat, ist Yassin Al-Haj Saleh. In seinen vier in diesem Band erstmals aufs Deutsch vorliegenden Essays setzt er sich kritisch mit Hannah Arendts Denken auseinander, um daraus Begriffe einer Philosophie zu entwickeln, die in der syrischen Erfahrung situiert ist: Denken als eine undogmatische Form des Mit-Denkens, das Absente als ein Drittes, das den Dialog übersteigt, Staat und Zeit als eine Beziehung, die sich im Totalitären verbindet, und schließlich eine Ausarbeitung des Begriffs des Bösen, das hier nicht nur als banal gedacht wird, sondern auch als körperlich intim wie in den Foltergefängnissen Syriens und so normalisiert wie im Krieg gegen den Terror.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 120
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Hannah Arendt in Syrien
Yassin Al-Haj Saleh
Aus dem Arabischen von Gŭnther Orth
Herausgegeben von Georges Khalil
Vorbemerkung
I Denken mit Hannah Arendt
II Die Stimmen der Abwesenden
III Land der Vernichtung ohne Vergebung und ohne Versprechen
IV Hannah Arendt und Syrien: Gedanken zum Bösen in der Politik
Nachwort
Anmerkungen
In der Tŭrkei, wo ich knapp vier Jahre lang als Flŭchtling gelebt habe, las ich Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem. Ich hatte das Buch zusammen mit Zygmunt Baumans Die Moderne und der Holocaust bei Dussmann in Berlin gekauft, als ich im Frŭhjahr 2017 zum ersten Mal zu Besuch in Deutschland war. Ich hatte zuvor bereits einen längeren Essay ŭber das Mordsystem im Gefängnis Sednaya bei Damaskus veröffentlicht, der auch auf die verschiedenen Arten des massenhaften Tötens mit Blick auf die Genozide des 20. Jahrhunderts einging, den Holocaust, aber auch auf das sowjetische Gulag-System.1 Wenige Monate später kam ich auf Einladung des Wissenschaftskollegs zu Berlin nach Deutschland, um erneut ŭber Massenmord zu schreiben – diesmal mit einem Fokus auf Syrien, wo ich die meiste Zeit meines Lebens zugebracht habe, die Jahre meiner Jugend als politischer Gefangener.
Seit meiner Haftentlassung 1996 und mehr noch seit Beginn der syrischen Revolution im Frŭhjahr 2011 und meinen Fluchtjahren ab Herbst 2013 hat das Politische einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit bestimmt. Ich denke, dass es daher unvermeidlich war, dass ich frŭher oder später auf das Werk dieser deutsch-amerikanischen politischen Denkerin stoßen wŭrde. Aufgrund meiner spezifischen Lebenserfahrungen und insbesondere der Tatsache, dass ich ein »Haftabsolvent« war, wie wir in Syrien sagen, und kein »Universitätsabsolvent«, hat das Politische im kämpferischen Sinn mein Interesse mehr geprägt als ein im engeren Sinn akademisches Arbeiten. Ein Syrer, der zuerst in Istanbul, dann in Berlin ihre Werke auf Englisch liest, ist sicher nicht die Idealbesetzung, um fŭr deutsche Lesende ŭber Hannah Arendt zu schreiben, und man wird schnell bemerken, dass es sich hier nicht um ein Buch »ŭber Arendt« handelt, sondern um eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten ihres Denkens, um ŭber Syrien und aus der Sicht eines syrischen Flŭchtlings ŭber die heutige Welt zu sprechen. Ich hoffe, dass ich damit zu einem neuen Verständnis von Arendts Denken beitragen und darlegen kann, dass es auch in anderen Kontexten als dem seiner Entstehung weiterleben kann.
Was mich zum eminent Politischen im Denken der Autorin von The Human Condition (Vita activa oder Vom tätigen Leben) gefŭhrt hat, brachte mich jedoch gleichwohl an ihre Grenzen; ihre Schriften erlauben kein uneingeschränktes politisches Weiterdenken und erfordern meines Erachtens eine kritische Auseinandersetzung, um Auswege aus der Krise der Demokratie zu finden – in der Politik, den Institutionen und der Theorie. Arendt hielt das Soziale vom Politischen getrennt, während ich glaube, dass erst das Mitdenken des Sozialen intellektuelle und politischinstitutionelle Erneuerung ermöglicht. Die sozialistische Idee hat die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg gerettet, und die Krise des Sozialismus vor und seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Demokratie selbst in eine Krise gebracht – so sehr, dass manche meinen, wir lebten bereits in einer postdemokratischen Zeit. Arendt hatte wenig Sympathien fŭr den Feminismus, eine Haltung, die ich so verstehe, dass sie Frauen nicht auf Dauer als eine politische Minderheit sehen wollte. Von männlichen Denkern hat sie sich im Wesentlichen dadurch unterschieden, dass sie eher verstehen als Eindruck machen wollte. Und doch wirkte sie als politische Denkerin sehr »männlich«, befasste sich in erster Linie mit den Werken von männlichen Philosophen und Denkern und räumte der Frauenfrage nicht die Eigenständigkeit ein, die ihr zusteht.
Auch äußerte Hannah Arendt Vorbehalte gegen aktive staatliche Maßnahmen zur Durchmischung von schwarzen und weißen Schŭlern in amerikanischen Schulen – wovon sie allerdings unter dem Eindruck des afroamerikanischen Autors Ralph Ellison wieder etwas abrŭckte. Alles, was mit Rassismus und aktuell besonders mit Migration und Asyl zusammenhängt, gehört jedoch zu den grundlegenden politischen Themen, die uns voraussichtlich noch fŭr lange Zeit begleiten werden. Diese dreifache Leerstelle bei Arendt betrachte ich in einem der vier Kapitel des vorliegenden Buches. Anders als sie bin ich der Meinung, dass Politik nicht allein vom Politischen leben kann, sondern auch von den Interdependenzen mit anderen Bereichen, des Sozialen in all seinen Spielarten, dem Technologischen und Umweltbezogenen und immer auch dem Biologischen. Freiheit als Sinn von Politik nach Arendt kann nicht bestehen und sich nicht erneuern ohne eine Politisierung und Überschreitung ebenjener Grenzen, die sie gezogen hat.
Was aber Arendt auch ein knappes halbes Jahrhundert nach ihrem Tod noch so aktuell macht, sind eben diese Widersprŭchlichkeiten und die ihrem Werk innewohnende Spannung. Sie war mutig genug, sich Denkströmungen und heftigen Befindlichkeiten ihrer Zeit entgegenzustellen, und unabhängig davon, ob wir ihr jeweils zustimmen oder nicht, bleibt Hannah Arendt eine Denkerin, mit der oder gegen die sich das Denken grundlegend lohnt.
Die vier Texte, die in diesem Buch zusammengefasst sind, entstanden von 2019 bis 2020 in Berlin, während ich Fellow am Wissenschaftskolleg und dann mit einem Stipendium der Gerda Henkel Stiftung Fellow von EUME (Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa), einem Forschungsprogramm am Forum Transregionale Studien war. Dort habe ich idealste Bedingungen zum Lesen, Nachdenken und zum Gespräch vorgefunden. Gern nutze ich diese Gelegenheit, um diesen großartigen akademischen Institutionen zu danken, in denen ich das Glŭck hatte, etwas mehr als zwei Jahre in anregender Atmosphäre zuzubringen. Seit Ende 2020 war ich zudem fŭr drei Jahre Stipendiat des PEN-Zentrum Deutschland, wo ich ebenfalls Gelegenheit hatte, das zu tun, was ich gern tue: Lesen, Schreiben und Freunden begegnen.
Es sei darauf verwiesen, dass die vier Essays, die Bestandteile dieses Buches sind, zuvor in arabischer Sprache fŭr ein arabischlesendes Publikum geschrieben wurden und in dem von mir mitbegrŭndeten elektronischen Magazin Al-Jumhuriya (die Republik) veröffentlicht wurden, einer Website fŭr kritisches Denken, deren Motto es ist, Syrerinnen und Syrern eine Stimme zu geben. Al-Jumhuriya.net wurde in Damaskus 2012 zum ersten Jahrestag der Revolution gegrŭndet, aber schon weniger als zwei Jahre später mussten wir sie von Istanbul aus weiterbetreiben, bis die Website ab 2019 zu einem deutsch-syrischen Projekt mit Sitz in Berlin wurde.
Zur Vorbereitung der Texte hinsichtlich ihrer Veröffentlichung in deutscher Sprache durfte ich auf Anmerkungen meiner beiden Freunde Georges Khalil und Jens Hanssen zurŭckgreifen. Die Ergänzungen und Änderungen, die dadurch in sie einflossen, kamen einer größeren Klarheit zugute. Herzlichen Dank an Georges und Jens sowie an den Übersetzer Gŭnther Orth.
Yassin Al-Haj Saleh
Berlin, den 16. August 2022
Die Beschäftigung mit den Schriften Hannah Arendts (1906–1975) brachte mich in den letzten drei Jahren dazu, einige Aspekte ihres Denkens in einen Kontext zu Syrien zu setzen. In drei Essays habe ich ihre Thesen dementsprechend interagieren lassen: »Hannah Arendt und Syrien: Gedanken zum Bösen in der Politik«, »Land der Vernichtung ohne Vergebung oder Verheißung« und »Die Stimmen der Abwesenden«. Dieser vierte und letzte Text (der in der vorliegenden deutschen Ausgabe den anderen vorangestellt wird) möchte die Frage beantworten, was die deutsch-amerikanische jŭdische Denkerin fŭr einen ins Ausland geflohenen syrischen Autor so bedeutsam macht. Die Antwort liegt zum einen darin, wer Hannah Arendt war und zum anderen darin, was sie tat.
Wer war sie?
Zuallererst sprechen wir von einer Frau. Die denkenden Helden der meisten Männer meiner Generation, mich eingeschlossen, sind in erster Linie Männer. Dies gilt fŭr männliche Intellektuelle in der arabischen Welt, aber bis vor zwei oder drei Generationen galt es wohl auch weltweit. »Männlichkeit« im Schreiben und Denken ist ein uns allzu vertrautes Element und es bringt die, die in dieses Feld vordringen, in eine Welt aus etablierten Namen angesehener Gelehrter, zu denen bisher kaum Frauen gezählt wurden. Auch in unserem klassischen Erbe gab es nur wenige Dichterinnen, und gar keine Frauen, die geschriebene Werke hinterließen. Eine Identifikation von Männern mit Frauen war ebenfalls kein Modell, das man sich wŭnschen oder verwerfen konnte. Intellektualität und Theoriebildung scheinen im arabischen Zusammenhang etwas Männliches zu sein, in dem Frauen bisher kaum Platz fanden. Erst seit den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ändert sich dies, und man kann nur hoffen, dass diese Veränderung unter den Vorzeichen der Diaspora, wie wir sie erleben, ihren Fortgang findet.
Hannah Arendt selbst war keine Feministin und die abstrakte dritte Person stand auch bei ihr konsequent im Maskulinum. Aber sie sagte auch einst, dass sie im Gegensatz zu Männern nicht Eindruck machen, sondern verstehen möchte. Ich finde, dieses Motiv taugt gut als Orientierung, wenn wir unser Denken weiterentwickeln möchten. Insofern kommen wir nicht umhin festzustellen, dass Arendt eben doch großen Einfluss hat. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ihre Arbeiten heute noch mehr gelesen und diskutiert werden als an ihrem Lebensende oder auch noch vor ein oder zwei Jahrzehnten.
Zweitens war Hannah Arendt eine zweifach Geflŭchtete: acht Jahre lang in Frankreich, und dann bis zu ihrem Tod 1975 in den Vereinigten Staaten. Aus meiner persönlichen Sicht ist das ein weiterer Grund, mich ihr nahe zu fŭhlen, denn so wie Arendts Flucht Teil eines großen Exodus war, der sich im Schatten eines großen Unheils fŭr deutsche und europäische Juden vollzog, ist auch die syrische Flucht Zustand und Ausdruck eines großen, noch immer andauernden Unheils.
Drittens sprechen wir von einer Jŭdin aus einer kulturell deutschen Familie. In Arendts Jugend erstarkte der Antisemitismus in Deutschland, bis er in offene Feindseligkeit umschlug, zu einer Säule der Naziherrschaft wurde und Millionen Opfer forderte. Hannah Arendt hatte eine positive Haltung zum jŭdischen Erbe und fand, man habe sich als Jude zu verteidigen, wenn man als Jude angegriffen wird. Dies passt sowohl zu ihrem ausgeprägten Begriff von Wŭrde auf persönlicher und kollektiver Ebene wie zur verbreiteten Reaktion derer, die Diskriminierung erfahren: Man klammert sich noch fester an das, weswegen man geächtet wird. Das Judentum ist eine Religion, aber es steht ebenso fŭr Identität und Zugehörigkeit, und Letzteres ist auch nichtreligiösen Juden wichtig. Sie schreiben dieser Identität zudem ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefŭhl zu, und manche von ihnen nehmen gerade deshalb eine kritische Haltung gegenŭber Israel ein. Es stände uns gut zu Gesicht, darŭber mehr in Erfahrung zu bringen, statt unsere Sinne davor zu verschließen, denn eine gewohnheitsmäßige Verweigerung macht uns nur wehrlos gegenŭber dem, wovor wir uns verschließen, bis sich die verschlossene Tŭr aus irgendeinem Grund irgendwann öffnet und wir geblendet nur noch das sehen können, was wir bisher geleugnet haben. Eine entsprechende Verweigerung steht womöglich auch dahinter, dass in der arabischen Übersetzung von Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft von Antoine Abu Zeid das Kapitel zum Antisemitismus (und das zum Imperialismus) wegfielen und sie sich auf den Abschnitt zum Totalitarismus beschränkt, ohne dies den arabischen Lesern auch nur mitzuteilen.
Heute sind »wir Flŭchtlinge« in gewisser Weise Juden, und die Palästinenser unter uns zuweilen sogar die »Juden der Juden«, wie es etwa der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish formuliert hat. Die ŭber die Welt verstreuten Syrer, die zusehen mŭssen, wie ihr Land zerfällt, und denen auch nach all dem, was sie verloren haben, im Arendtschen Sinn »nichts versprochen« wird, sind in einer Position, die ihnen erlauben sollte, die Situation von Juden vor der Grŭndung des Staates Israel zu verstehen und daraus zu lernen.
Und viertens findet sich in Arendts Werk viel persönliche Erfahrung. Hannah Arendt war in westlicher Philologie verwurzelt und umfassend bewandert, aber es war ihr persönliches Erleben, das ihrem Buchwissen lebendige Substanz gab, und ihr angelesenes Wissen verlieh diesem Erlebten wiederum ein Instrumentarium und Perspektiven, mit denen man zuweilen kämpft, an denen man sich abarbeiten und denen man immer viel hinzufŭgen kann.
Hannah Arendt erlebte die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen als Studentin der Philosophie und musste 1933 mit der Machtŭbernahme der Nationalsozialisten in Deutschland nach Frankreich fliehen, nachdem sie kurzzeitig festgenommen wurde und durch das Mitwirken ihres Verhörers wieder freigekommen war. In Frankreich tat sie sich mit anderen jŭdischen Flŭchtlingen zusammen und arbeitete mit zionistischen Organisationen, bis sie 1941 erneut zur Flucht gezwungen war, diesmal nach Amerika. Dort wurde sie insbesondere nach dem Erscheinen ihres Buches Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft berŭhmt, in dem sie sowohl den Nationalsozialismus als auch den sowjetischen Kommunismus Stalins unter Totalitarismus subsumierte. Dies stieß auf viel Widerspruch, dennoch ist das Buch von größter Wichtigkeit; es ist ein originäres Ringen mit den brennenden Phänomenen der Zeit, in der Arendt lebte. Ihre späteren Werke ŭber Revolution und Gewalt, ihr grundlegendes Werk The Human Condition sowie ihre späteren Arbeiten Vom Leben des Geistes und ihr herausragender Prozessbericht Eichmann in Jerusalem verleihen ihr einen Platz in der vordersten Reihe der Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts. Arendts Bŭcher sind ein Durchdenken ihrer Zeit, indem aus ihrer geistigen Welt eine Welt des Geistes und ein herausragendes und reichhaltiges Bild der Welt wurde, in der sie von den dreißiger Jahren bis zu ihrem Tod lebte – ein Bild, das andere Weltsichten nicht unbedingt ausschloss.
Angesichts dessen, wie sehr wir uns mit Dingen wie Gewalt, Genozid, Folter, Revolution, Politik, Freiheit, Wahrheit, Zeit und dem Bösen beschäftigen – wie könnten wir auch anders? –, sollte uns Hannah Arendt in besonderer Weise ein intellektuelles Vorbild sein. Ich glaube, dass die Schwierigkeiten, die viele Menschen auf der Welt, aber auch in Syrien selbst, dabei haben, die angeblich so »komplexe« Lage in Syrien zu verstehen, auch darauf zurŭckgehen, dass das intellektuelle Rŭstzeug, das uns zur Verfŭgung steht und das wir ererbt haben, um uns mit extremen, finsteren und »kreativen« Situationen wie der syrischen seit bald einem Jahrzehnt zu beschäftigen, veraltet ist. Das Unvermögen auch weiter Teile der globalen Linken, irgendetwas Sinnvolles zu Syrien zu sagen, liegt meines Erachtens darin begrŭndet, dass sie geistig fŭr eine Auseinandersetzung mit Völkermord, ethnischer Säuberung etc. nicht zureichend gewappnet sind. Es ist ein systemisches und wiederholtes Versagen.
Was tat sie?
Im Denken Hannah Arendts findet sich, ganz im Gegensatz dazu, Grundlegendes und höchst Bedeutsames und Fruchtbares, das uns zum Nachdenken ŭber unsere heutige Situation anregen kann, besonders das Verhältnis zwischen Denken und Gewissen. Soweit ich weiß, ist es ein Alleinstellungsmerkmal Arendts, dass sie einen Zusammenhang zwischen Denken und Gewissen postulierte. Fŭr sie unterliegt das Denken insofern einer moralischen Empfindung, als eine fehlende Moral auch ein fehlendes Geistesleben bedeutet, denn dieses grŭndet seinerseits per se auf Vielfalt. Denken ist nach Arendt ein Dialog mit dem eigenen Selbst, so als wäre jeder Einzelne von uns im Grunde zwei, und als wären wir permanent im Gespräch mit dem Zweiten in uns. Und weil nie
