Hannibals Hure - Olaf Clasen - E-Book

Hannibals Hure E-Book

Olaf Clasen

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Beschreibung

Schöne Frauen, die gleichzeitig intelligent sind und selbstbestimmt leben, werden häufig verteufelt. Astrate wurde als Hure, Hexe, Amazone und Spionin beschimpft. Nur Hannibal kannte die Wahrheit. Hinter den Intrigen tritt der Punische Krieg, die Überquerung der Alpen mit 37 Kriegselefanten und die Schlacht von Cannae in den Hintergrund.

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Inhaltsverzeichnis

Astrate

3 Tage, 3 Nächte

Strand

Krieg

Vorbereitung

Seefahrt

Maskengeheimnis

Pfeilregen

Landung

Badezeit

Iberische Nacht

Pläne

Zwischen drei Bergen

Geheimniskrämerei

Hinterhalt

Die Schlucht

Frauenwunder

Massilia

Steuerfrau

Wettkampf

Überlegenheit

Attentat

Allianzen

Nachfolge

Rhodanus

Galahad

Liebesglück

Tal am Fuße der Berge

Unmöglicher Plan

Entführung

Organisation

Aufstieg

Moumouha

Jagd

Bergsee

Augusta Taurinorum

Mediolanum

Behandlung

Brixia

Gefährliche Feste

Publius, Cornelius Scipio

Cannae

Die Schlacht

Feld des Schreckens

Sind Frauen die Besseren?

Die Entscheidung

Rückkehr

Massinissa

Bitterkeit

Schlimme Wochen

Durchs Südliche Tor

Der Prozess

Verbannung

Dankbarkeit

Autorenportrait

HANNIBALS HURE

Vorwort

Die Jahre 218 v. Chr. bis 214 v. Chr. waren extrem wichtig für die Menschheit. In diesem Zeitraum entschied sich ob die europäische Zivilisation römisch, gradlinig, rechtwinklig, werden würde oder verspielt, gewunden, orientalisiert. Eines der großen Liebespaare der antiken Geschichte spielte die entscheidende Rolle in diesem Prozess.

Ich hatte das große Glück fünfzehn schöne Jahre in Karthago, direkt am Punischen Hafen wohnen zu dürfen. Dort wo Hannibal losgesegelt war, um den Römern einzuheizen.

Wenn ich auf meinen Spaziergängen, weiter oben am Hügel, durch die rue d’Astrate bummelte, wanderten meine Gedanken selbstverständlich zu dieser außergewöhnlich selbstbestimmten Frau.

Ich habe tonnenweise historische Dokumente gewälzt und zusätzlich endlose Gespräche geführt mit jenen traditionsbewussten Karthagern deren Familien die alten Legenden seit Jahrhunderten weitergeben.

Aus diesen beiden Quellen speist sich dieser Roman. Die Beschreibung der Ereignisse ist ganz nah an der Realität.

Im Oktober 2019 Olaf Clasen

1

Astrate

Astrate war die schönste Frau ihrer Zeit. Sie war attraktiv, klug, gebildet. Trotzdem gehörte sie keinem König. Sie gehörte keinem Prinzen. Sie war selbstbestimmt. Astrate lebte nach eigenen Regeln. Sie gehörte keinem Feldherrn, keinem Helden. Astrate gehörte sich selbst. Sonst niemandem.

2

Drei Tage, drei Nächte

Laut, schrill, erotisch. Drei Tage und drei Nächte. Immer bei Vollmond, feierte Karthago ein wildes Fest. Die Söldner erhielten ihren Lohn. Ausgezahlt in barer Münze in Gold, Silber und Bronze. Die Zahlmeister hatten ihre Stände hoch oben, auf dem Hügel von Byrsa, wo die Agora war. Lange Listen von Namen aus aller Herren Länder wurden verlesen. Alle wollten ihren Teil des umlaufenden Geldes haben.

Drei Tage und drei Nächte warfen die Soldaten ihren Sold mit vollen Händen heraus. Jeder versuchte so viel wie möglich davon zu ergattern.

Hitze, nackte Haut. Vor Allem im Sommer, wenn es heiß war, gab es viel schöne, gebräunte Haut zu sehen. Die Mode in Karthago war sommers, wie winters lockerer als in anderen Teilen der damaligen Welt. Karthagische Damen teilten ihre Schönheit gern mit Bewunderern. Sie zeigten was sie hatten und was man anderswo verhüllte. Sie wussten wie man sich darstellte um möglichst reizvoll zu sein.

Für dieses wilde monatliche Fest war die ganze Stadt zugänglich. Vom Meer bis hinauf auf den höchsten Hügel. Die Reichen öffneten ihre Gärten. Die Hallen im Erdgeschoss standen jedem offen. Jeder zeigte seinen Reichtum. Dunkelhäutige Sklaven trugen riesige Schalen mit gebratenem Hammelfleisch, geschmortem Gemüse. Obst. Frisch gebratener Fisch aus dem Meer vor der Stadt. Große Amphoren randvoll mit Wein wurden herangeschleppt. Auch die Armen durften sich richtig satt essen. Jeder wurde bedient, ob reich oder mittellos. Ob Soldat, Fischer, oder Mosaikleger.

Zuckendes Licht auf zuckenden Körpern. Die Flammen der Fackeln flackerten. Große Bassins mit brennendem Pech schleuderten ein unruhiges Licht.

3 Tage und 3 Nächte gab es keine Gesetze. Es gab keine Klassen und keine Regeln. Es gab Musik. Für die meisten Ohren zu schrill. Es gab viel zu Essen. Der Wein war gut und floss reichlich. Dionisios hätte seine Freude gehabt. Man tanzte hemmungslos. Die Brüste hüpften mit. Karthago war voller Lustgestöhne Die Damen ließen sich gern in die dunklen Ecken ziehen. Manche Paare waren auch Mann und Mann oder Frau und Frau. Hauptsache jeder kam auf seine Kosten.

Die knappste Kleidung war am beliebtesten.

Vor Allem bei den Frauen. Ein leichter durchsichtiger Schleier im Haar, bis auf die Schultern. Leicht und duftig. Ein zweiter, ebenso transparenter Schleier um die Hüfte. Er sollte neugierig machen, nicht allzu viel verhüllen. Und das aufreizenste Lächeln im Gesicht.

Viel Fantasie spielte immer mit.

Kampf. Blut. Tod. Die Söldner ahnten nicht wie viele Tage ihnen noch blieben. Lieber heute feiern. Es würde wieder eine Schlacht kommen. Ein Krieg mit unsicherem Ausgang. Wann? Morgen? Übermorgen? Wer weiß wie lange es noch geht? Die Soldaten trugen die Ledersäckchen mit den Münzen am Gürtel. Aufdringliche Frauen grabschten danach. Manchmal verirrte ihre Hand sich zwischen die Schenkel des Söldners. Welcher Söldner würde einer schönen Karthagerin widerstehen? In den dunklen Ecken der Paläste, hinter den Büschen in den Parks trafen sich die Paare und gingen ihrer Lust schamlos nach. 3 Tage und 3 Nächte waren alle Regeln aufgehoben.

Während 3 Tagen vermischten sich die Patrizier und das einfache Volk. Die edlen Damen der höheren Klasse vergaßen ihr elitäres Getue. Sie ließen sich mit dem Volk ein. Einheimische Soldaten und Söldner aus aller Welt befeuerten die Orgie. Die gute Erziehung war vergessen.

3

Strand

Zauber. Magie. Auch der berühmte Feldherr Hannibal hatte sein Admiralsinselchen mitten im Kriegshafen verlassen und mischte sich unter das Volk. Hannibal war auf der Höhe seines Ruhms, obwohl er erst 28 Jahre alt war. Er hatte viele Schlachten geschlagen und damit seiner Stadt immer treu gedient. Der athletische Feldherr trug seinen Kriegshelm mit dem Federbusch und den schwarzen harten Brustpanzer.

„‘Tschuldigung. Schöner Mann, wohin so eilig?“ Fragte Astrate als sie direkt vor dem Baal Tempel mit Hannibal zusammen stieß.

Hannibal: „Bin unterwegs um dich zu treffen.“

Ein Abschätzen von oben nach unten und wieder nach oben. Zufriedenes Lächeln auf beiden Seiten:

„Passt.“ Sagte Astrate.

Sie umarmten sich. Drückten die Wangen aneinander. Und die Körper. Ein erster Blick in die Augen und schon war etwas Unbeschreibliches geschehen. Eine banale Zufallsbekanntschaft? Was könnte es anderes

sein?

Er sagte:

„Mein Name ist Hannibal.“

„Oh, wie der Held?“

„Jaa, ganz ähnlich.“

„Was machst Du beruflich?“

„Dies und das. Hauptsächlich reise ich. Wer bist Du?“

„Astrate.“

„Ich habe von deiner Schönheit gehört. Jetzt sehe ich, dass die Wirklichkeit alles übertrifft.“

Hannibal war vollkommen uneitel. Daher kannten die wenigsten Karthager sein Gesicht. Es gab keine Büste von dem großen Feldherren, weder in Marmor gehauen, noch in Bronze gegossen. Es war auch keine Münze mit Hannibals Abbild im Umlauf. Hannibal konnte in der Menge der Bürger anonym spazieren. Nur die Soldaten kannten den charismatischen Anführer von seinen Reden vor der Schlacht und seinem Trost für die Verletzten danach.

Strand. Meer. Vollmond. Sie gingen Hand in Hand, die schnurgerade Straße hinunter zum Meer. Die war mit glatten Steinen gepflastert. Hannibal schnappte sich, im Vorbeigehen, eine Amphore, randvoll mit gutem Wein aus Mornag.

Es war die perfekte Nacht um sich am Strand kennenzulernen. Astrates Schönheit war sagenhaft. Die große Frau war körperlich trainiert mit festen Schultern, einem geraden Rumpf mit zwei runden mittelgroßen Brüsten, schmalen Hüften und stark gewölbten Po. Ihre Schritte waren kraftvoll. Die Beine lang und sehnig.

Ihr hauchdünner Schleier war in hellem Purpur gefärbt. Die großen grünen Augen hatte Astrate schwarz umrandet. Das tiefschwarze Haar war in einer komplizierten Knotenfrisur hoch aufgetürmt. Eine feine Perlenkette und dünne Goldstreifen waren in das Haargeflecht eingearbeitet.

Astrate hätte eine Königin sein können. Bisher hatte sie alle Anträge einflussreicher Männer abgelehnt. Sie war selbstbestimmt, ein wenig spröde und sicher, auch allein ihren Weg zu machen. Astrate blieb ihre eigene Herrin.

Emanzipation war im antiken Karthago kein Thema. Männer und Frauen hatten gleiche Rechte. Dafür brauchte es keine besonderen Gesetze. Das war eine Selbstverständlichkeit. Ihr verstorbener Vater hatte der einzigen Tochter ein gutes Vermögen hinterlassen, das ihr ein komfortables Leben nach eigenen Regeln ermöglichte.

Sie setzten sich in den, von der Nachmittagssonne noch erwärmten, Sand. Schwache Wellen schwappten schmatzend an den Strand.

Hannibal war bewegt wegen der Schönheit seiner attraktiven Begleiterin. Astrate sah nicht nur fantastisch aus. Sie sprach auch die gepflegte Sprache der elitären Oberschicht. Und sie war selbstbewusst.

„Was hälst Du von Aristoteles Idee, die Logik sei eine selbstständige Wissenschaft?“ Fragte Astrate. Sie fuhr fort:

„Ich beginne gerade seine Werke zu studieren.“

Obwohl Hannibals Gedanken noch bei ihrer Schönheit waren, antwortete er:

„Mir ist Aristoteles „Politik“ lieber. Dort vergleicht er unsere Verfassung und die anderer Länder. Er gibt uns Bestnoten.“

Astrate sprang aus Hannibals Frauenbild. Er war überwiegend an die rauen Marketenderinnen gewöhnt, die seine Armee auf den Kriegszügen begleiteten. Eine Frau, die durch ihre Persönlichkeit und Wissen seinen Respekt herausforderte war neu für ihn. Der berühmte Befehlsgeber war ein wenig scheu. Trotzdem war Hannibal ganz nah an die elegante Frau heran gerückt. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht. Er hatte seine Hand auf ihren warmen Schenkel gelegt. Zuvor hatte er den dünnen Schleier weggeschoben.

„Vollmond überm Meer“, sagte Hannibal, „schöner könnte es nicht sein…“

„Jetzt bitte keinen Kitsch.“

Antwortete Astrate und zog die Augenbrauen zusammen. Zwei strenge Falten auf der Stirn über der Nase. Es war ein holperiger Anfang. Dann lehnte sie sich doch an den gestählten Körper des Kriegers. Ihre Hand gelangte dabei, nicht unabsichtlich, unter seinen ledernen Kriegsrock. Vielleicht tut ein bisschen Kitsch gut?

„Fühlt sich nicht unbedeutend an, Hannibal.“

Hannibal fühlte sich in diesem Augenblick bedeutender als nach dem Sieg bei einer großen Schlacht.

Entsprechend schwoll sein Selbstbewusstsein.

Griechische Philosophie hin oder her.

4

Krieg

Sie lehnten sich zueinander. Blickten aufs Meer auf das der Mond silberne Muster schüttete und wieder einander in die Augen. Nochmal Meer, nochmal Augen. Sie senkten die Lider gleichzeitig. Öffneten sie wieder. Senkten sie noch einmal. Nach leichtem Zögern trafen ihre Lippen aufeinander. Die Zungen konnten gut miteinander tanzen. Alles war perfekt in dieser Vollmondnacht. Genau in diesem einzigartigen Moment, kam ein Soldat mit Geschrei und einer Fackel an den Strand gerannt:

„Achtung. Nachrichten: Es gibt Krieg. Angriff in Iberien. Der Senat ruft das Heer zusammen. Am Morgen ist Aufbruch!“

„Astrate, Liebling, entschuldige mich. Ich muss weg. Wir sehen uns schnell wieder. Wir haben viel zu bereden.“

„Worte, Worte, Worte. Wie alle anderen. Wo, wann, wie sehen wir uns?“ fragte Astrate.

“Das war unbefriedigend. Eine Frau wie ich hat mehr Aufmerksamkeit verdient. AUFMERKSAMKEIT. Verstehst du das Wort? Ich lasse mir nicht auf der Nase herumtanzen.

Aus uns wird wohl nichts.“

„Ich gebe dir Bescheid.“ Mehr hatte Hannibal nicht zu sagen. Er fluchte lautlos vor sich hin. Er stampfte verärgert in den Sand. Ausgerechnet jetzt, wo seine Liebesgefühle in Wallung geraten waren, musste der römische Feind wieder aufmüpfig werden? Ein bisschen Sentimentalität würde dem Heerführer nicht schaden. Da war Hannibal sicher.

Der starke Mann eilte auf dem kürzesten Weg zum Vorplatz des Baal Tempels. Er nahm die Abkürzung durch das Viertel der Diebe. Zwei gut bewaffnete Kerle versuchten ihm den Geldbeutel zu entreißen. Hannibal zögerte nicht. Mit einem gut gezielten Schlag trennte er einem den Arm vom Rumpf. Der Zweite ergriff die Flucht. Auf die Schärfe seines Schwertes war immer Verlass.

Die Senatoren und Priester versammelten sich auf den Stufen des Baal Tempels wenn große Entscheidungen getroffen werden mussten.

Hastrubal ergriff als erster das Wort:

„Katastrophe! Rom bleibt unerträglich. Schon wieder Vertragsbruch. Das Heer muss sofort ausrücken und den Feind bestrafen.“

Er reckte einen Arm in den schwarzen Nachthimmel.

„Bravo, Bravo…“ kam es von allen Seiten.

Stimmengewirr von überall. Einer setzte sich durch:

„NEIN!“ brüllte Hannocar:

„Wir sollten in Frieden leben. Lieber einen besseren Vertrag aushandeln.“

„Wie oft kann man mit Vertragsbrechern verhandeln?“ mischte sich der angesehene Hanno III. ein.

Hastrubal wurde konkret:

„Hannibal, wann kann das Heer kampfbereit sein?“

Im Durcheinander der erregten Stimmen antwortete Hannibal in seiner ruhigen, überlegten Art:

„Wir haben 16 neue Tyremen. Starke Schiffe. Die balearischen Steinschleuderer sind eingetroffen. Die Elefanten sind ausgeruht.

Gebt mir 5 Tage Zeit und wir sind marschbereit.“

„Hört, hört…oh NEIN. 5 gaanze Tage…zu langsam…“ Die Senatoren flüsterten miteinander. Sie wollten immer alles. Sofort. Jetzt. Sie mussten das Heer nicht organisieren.

Sie flüsterten weiter, hinter vorgehaltener Hand.

Karthago hatte eine republikanische Verfassung. Das Volk akzeptierte weder König noch Tyrannen. Bei regelmäßigen Wahlen wurde die Regierung gewählt. Der Feldherr Hannibal war Angestellter dieser Regierung. Hannibal war Befehlsempfänger. Dann kam die Entscheidung:

Hastrubal:

„Du hast deinen Marschbefehl Morgen zur ersten Stunde.

Wir geben dir die 5 Tage, die du wünscht.“

Hannibal salutierte und zog sich zurück.

Der Kriegshafen in Karthago war ein Ring aus Wasser. In seiner Mitte ein Inselchen. Auf dem stand der Admiralspalast. Hannibal wollte immer der Erste sein, wenn es darum ging gegen den Feind zu segeln.

Auf dem Admiralsinselchen fühlte Hannibal seine Einsamkeit. Schon wieder Krieg! Schon wieder Gemetzel, Blut und Tod. Der Gestank verrottender Körper. Schon wieder schlaflose Nächte und das Stöhnen der Sterbenden. Kommt dieses Reich niemals zur Ruhe?

Im tiefsten Inneren verabscheute Hannibal seinen Beruf. Das Gemetzel empfand er verabscheuungswürdig. Aber er war zum Strategen gewählt worden, weil er der beste war. Den Gehorsam gegenüber der Republik hatte ihm sein Vater Hamilkar beigebracht. So erfüllte er seine Pflicht meist sehr gut, wenn auch manchmal mit Grausen.

Hannibal sandte sofort Boten an die wichtigsten Offiziere. In den Morgenstunden wollte er die erste Sitzung mit seinen besten Leuten haben. Ärgerlich, jetzt wo sich für ihn am Strand eine ganz neue Perspektive eröffnet hatte, musste das passieren! Krieg oder Liebe? Wer würde siegen?

Er sandte auch einen ganz privaten Diener, Arnobal, den Getreuen, zum Haus der Astrate und ließ fragen ob die hohe Dame ihn noch diese Nacht besuchen wolle. Hannibal war klar, dass das unhöflich war. Aber wer nicht wagt, gewinnt nie.

Astrate kam. Sie begleitete den Diener Arnobal zurück. Sie setzten in einem kleinen Kahn über zum Inselchen.

Astrate war fast so groß wie Hannibal:

„Ich weiß, ich hätte mich ein bisschen zieren sollen“.

Sie machte affektierte Gesten.

„Das gehört sich für Damen meines Standes so… aber ich tue nicht immer was ich weiß und noch seltener, was sich gehört.

„Du bist also doch der Feldherr von dem alle sprechen.“

Beide ahnten nicht, welch komplexe Persönlichkeiten sie sich an Land gezogen hatten. Bei Astrate waren alle weiblichen Rundungen an der richtigen Stelle. Trotzdem hatte sie ihre Kanten und Ecken. Sie hatte eine gute Erziehung genossen, war aber nicht gefällig und selten kompromissbereit. Unter der zarten Schale ein harter Kern. Eine Frau die wusste was sie wollte.

Ihre Zeitgenossen bewunderten sie für ihr strahlendes Aussehen und ihren brillanten Geist. Ihre Zeitgenossinnen hassten sie aus den gleichen Gründen. Eine Frau, die lebte, wie es ihr gefiel. Das ist heute schwer und war auch damals nicht leicht.

Hannibal Barkas war gespalten. Der Feldherr hatte sein großes strategisches Talent von seinem Vater Hamilkar geerbt. Zusätzlich hatte er unzählige Lehrstunden im Hause des Vaters genossen. Hannibal konnte die Reaktionen der anderen, lange im Voraus erraten und in seine eigenen Pläne einbauen. Aber er durfte seine Weitsicht nicht immer ausleben. Gegen wen und wann Hannibal zu kämpfen hatte, entschieden die Sufeten und der Senat.

In Karthago standen die Politiker über dem Militär. Hannibal erkannte in seiner Weitsichtigkeit manchmal eine Schwachstelle der Römer. Wenn dann der eigene Senat ihm die Mittel im richtigen Moment versagte, ging die Schlacht verloren und Hannibal wurde zum Sündenbock gemacht.

So hatten einige bittere Erfahrungen harte Züge in sein Gesicht gegraben. Der erste Punische Krieg mit seinen vielen Schlachten war so verloren gegangen. Vor der entscheidenden Schlacht weigerte die Regierung sich, ihre Söldner, wie vereinbart, zu bezahlen. Es kam zum Aufstand.

Hannibal war seit frühester Kindheit von seinem Vater darauf gedrillt worden, nur einen Feind zu kennen und allen Hass auf ihn zu konzentrieren. Die Römer und ihr Reich. Es war Hannibals Lebensaufgabe, das Römische Reich in die Knie zu zwingen. Er wusste, dass er einmal in die Geschichte eingehen würde als der einzige Feldherr der Rom die Stirn bieten konnte. Wegen seiner Menschenfreundlichkeit übte er den Militärberuf nur widerwillig aus. Aber er tat sein Bestes. Aus Pflichtgefühl. So gehörten Widersprüchlichkeiten zu seinem Charakterbild. Wer nicht unter die Oberfläche blicken konnte, sah nur Hannibals überzeugende Geradlinigkeit. Der Mann war nach außen ein strahlender Kriegsheld aber im Inneren von Selbstzweifeln zerfressen.

Astrate und Hannibal waren beide athletische Menschen, körperlich auf ihrem Höhepunkt. Außerdem war Astrate reich und Hannibal mächtig. Mit den paar Ungereimtheiten in ihren Charakteren würden sie fertig werden.

Verliebte sehen ihre Zukunft gern durch die rosa Brille. Astrate räusperte sich kurz bevor sie sagte:

„Auch wenn du gewöhnt bist zu befehlen, bin ich doch aus freien Stücken hier. Ich weiß, was du willst und was ich will. Du wirst mein Schicksal nicht bestimmen. Das liegt allein in meiner Hand und ein wenig in der Hand der Götter, die ich nicht immer ernst nehme.“

Hannibal nahm die Schönheit in die Arme und antwortete:

„Welch ein Schwall überflüssiger Worte.

Ich kommandiere Soldaten, Armeen und meine Generäle. Aber sicher keine Frau.

Dies ist ein nationaler Notstand. Wir ziehen wieder in den Krieg gegen Rom. Ich habe gehört, Du seist eine gefährliche Bogenschützin. Ist das wahr? Ich brauche jeden Arm.“

Astrate streckte ihm ihren Bizeps entgegen:

„Fühl mal. Und mein Auge ist scharf wie das eines Falken.“

„Wenn Du möchtest, Astrate, bist du engagiert.“

Astrate: „Nicht so schnell. Lass uns die Bedingungen aushandeln. Schließlich sind wir bekannt dafür ein geschicktes Händlervolk zu sein. Hast Du diese Nacht ein Lager für mich?“

„Mein Schlafraum in diesem Palast ist groß genug für zwei. Magst du ihn mit mir teilen? Sie ihn dir an. Wenn nicht, finden wir einen Gästeraum für dich.“

Sie gingen über die Treppe in die obere Etage. Der Schlafraum hatte 2 Fensteröffnungen. Eine auf den Hügel von Byrsa mit seinen mächtigen Tempeln und die andere hinaus über die Mole aufs offene Meer auf das der Mond schaukelnde Reflexe warf. An den Wänden hingen kunstvolle Marmorreliefs und farbig bestickte Tücher. Das Lager war üppig mit Kissen und Fellen ausgestattet. Da standen eine Schale mit frischem Obst und eine Amphore mit Wein gefüllt.

Astrate drehte sich einmal um die eigene Achse wie eine Tänzerin. Sie warf beide Arme in die Luft:

„Mir gefällt es hier. Ich bleibe.“

Frühstück mit Getreidebrei, frischem Obst und verdünntem Wein. Beiden stand die leidenschaftliche Nacht noch ins Gesicht geschrieben. Hannibal fragte:

„Willst Du mich zum Rat der Generäle begleiten?“

Astrate strich ihm sanft über die Wange, zog die Narbe unter dem Auge nach:

„Bin ich schon zum General befördert?“

„Ich habe dich sehr lieb gewonnen, mein Hannibal, in dieser ersten Nacht. Einstweilen gehe ich mit Dir überall hin. Aber das kann sich jederzeit ändern. Ich bin nicht die Frau für „immer und ewig aus den kitschigen Legenden.“

Hannibal nahm seine Geliebte in die Arme. Er hatte längst verstanden, dass er sie selbst entscheiden lassen musste.

Astrate würde sich nicht herumschubsen lassen.

„Wir schicken einen Diener nach Deinem Pferd“.

Astrate reagierte schnell: „ich gehe mit. Ich brauche auch den Bogen, die Köcher und viele Pfeile.“

„Gut, Treffpunkt in der Armeehalle am Hafen. So bald wie möglich.“

„Ich bin schon weg.“

5

Vorbereitung

Die Generäle waren unausgeschlafen. Hannibal begrüßte jeden einzelnen mit einem Klaps auf die Schultern und einem Wange an Wange. Dann stand er am Kopfende des langen Tisches. Jeder Offizier kannte seinen Platz am Tisch. In der Mitte des Tisches lagen einige Papiri. Gut gezeichnete Karten des westlichen Mittelmeers. Die Einflussgebiete der Römer und der Karthager waren unterschiedlich eingefärbt. Hannibal legte größten Wert auf erstklassige Karten. Er beschäftigte die besten Kartenzeichner seiner Zeit. Die Akribie, mit der er seine Schlachtpläne der Landschaft anpasste, war eine seiner großen Stärken. Hannibal begann:

„Der gleiche Feind wie immer hat wieder provoziert. Er hat unsere Besitztümer in Iberien angegriffen Unser Senat verlangt, dass wir die römische Armee zerschlagen. Es muss ein Ende sein. Wir können nicht in Frieden leben, so lange Rom sich an keinen Vertrag hält.

Diesmal ist einmal zu viel. Keine Gefangenen. Keine Gnade…“

Gezeter und Geschrei am Eingang. Ein Wachmann stürzte in die Versammlungshalle, der Helm saß schief auf dem Kopf:

„Eine gewalttätige Frau begehrt Einlass. Vielleicht eine Spionin Roms?“

Er war außer Atem.

Astrate folgte ihm auf dem Fuß. Sie stieß den Wachmann zur Seite. Seine Rüstung schepperte. Sein Schwert fiel auf den Boden.

Astrate: „Ich bin so weit. Wo bleibt der Feind?“

Sie hatte sich umgezogen. Ein glänzender Kriegshelm mit rotem Federbusch. Ein schwarzer Brust- und Rückenpanzer. Ebenfalls schwarze Beinschienen. Ihre Armmuskeln waren ausgeprägt wie die eines starken Mannes:

„Generäle, ich bin Astrate.

Ich werde euch auf diesem Kriegszug begleiten. Macht euch keine Illusionen: niemand kann mich auf sein Lager zwingen.

Ich bin eine Kriegerin!“

Stimmengewirr. Überraschte Ausrufe. Durcheinander.

Hannibal mit starker Stimme:

„Respekt für die Dame. Behandelt sie wie eure Ebenbürtige.

Eine schwere Kriegszeit steht uns bevor. Wir brauchen, auf jedem Gebiet, die Besten. Astrate ist eine solche Beste. Jetzt zu den Vorbereitungen:

Jeder von euch ruft seine Männer auf der Ebene der Megara zusammen. In fünf Tagen zu frühen Stunde.

Nur die Gesunden kommen mit. Gut bewaffnet.

Aderbal, du lässt das Auge des Malkart auf den Bug der neuen Schiffe malen. Wir brauchen die Hilfe aller Götter…“

„Besser Ruderer als Götter…“ mischte Astrate sich ein.

„Bomilkar, du organisierst die Frauen, die Köche, die Waffenschmiede.

Himilko, du treibst die Herden der Rinder und Schafe zusammen, für unseren Proviant.

Gisko, du lässt die Kriegselefanten trainieren. Wir haben zu viele neue, die noch niemals gekämpft haben. Bilde mehr Elefantenführer aus. Schnell, schnell. Und vergiss nicht, die Eisenspitzen für die Stoßzähne schmieden zu lassen.

Wir treffen uns in 2 Tagen wieder hier, bei Einbruch der Dunkelheit.

Jetzt los. Worauf wartet ihr?“

Die Augen der Generäle waren immer noch auf Astrate gerichtet.

Die Generäle verzogen sich brummelnd.

Hannibal fragte Astrate ob sie die wenigen Tage bis zum Aufbruch, sein Lager teilen wolle.

„Klingt praktisch. — Und macht Spaß. Das hat die erste Nacht gezeigt. Ich muss zwischendurch ein paarmal in mein Haus. Dinge organisieren.“

„Na klar, du kommst, du gehst wie es dir passt. Die Wächter wissen Bescheid.“

Sie lebten die Tage bis zur Abreise wie ein verheiratetes Paar. Nur dass die Leidenschaft täglich war.