Haustiere statt Nutztiere - Heinecke Werner - E-Book

Haustiere statt Nutztiere E-Book

Heinecke Werner

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Beschreibung

Auf einem Holsteiner Bauernhof mit Haustieren aller Arten ist der Autor mit Hühnern, Schweinen, Kühen, Pferden, Tauben, Regenwürmern, Kapfen und anderem Getier aufgewachsen. Erst in den siebziger Jahren setzte sich die Intensivhaltung durch. Unsere Haustiere heißen heute Nutztiere. So prägt die Sprache das Tun: Unsere Tiere sind zu Produktionsmitteln degradiert und werden durch Züchtung und Intensivhaltung gedemütigt und missbraucht. Durch Rationalisierung und Globalisierung ist eine uralte Lebensgemeinschaft, in der wir mit unseren Tieren gelebt haben, verloren gegangen. Marktwirtschaft und EU-Agrarpolitik zwingen alte Familienbetriebe zu Investitionen, die sich nur durch Massentierhaltung und Exporte amortisieren können. Das stolze Berufsbild des Landwirts ist in Verruf geraten. Die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz dieser Landwirtschaft, die Forderung nach Tierwohl, offener Stallhaltung und Weidegang erzwingt eine Wende in der Tierhaltung und der Subventionspolitik. Nur so wird ermöglicht dass die Tierhaltung auf unseren Höfen wieder zur Biodiversität, zu mehr Vögeln und Insekten, führt. Die Förderung von besucherfreundlichen, artenreichen Bauernhöfen schafft Störchen, Rauchschwalben, Fliegen und Käfern wieder Lebensraum und den Bürgern wieder Naturerlebnisse wie wir sie für unsere Kinder brauchen. Die Kollaterallschäden unserer Marktwirtschaft und die Sünden der bisherigen EU-Agrarpolitik können überwunden werden. Basierend auf dem britischen Konzept der Fünf Freiheiten für unsere Haustiere ist weitere Forschung notwendig und wird zu neuen Richtlinien und Standards auch auf EU-Ebene führen. Entsprechende Modellhöfe gibt es schon heute. Ausgewählte Höfe sind heute in der ökologischen Landwirtschaft und Verbänden vernetzt und erfreuen sich vieler Kunden Dank Direktvermarktung. Handel, Unternehmen, die Lebensmittel verarbeiten, haben verstanden, dass sie sich um das Tierwohl ihrer Landwirte bemühen müssen, um verbraucherfreundliche Produkte anzubieten. Die Reform unserer tierhaltenden Landwirtschaft kann nicht über produktorientierte Prozesse mit Fleisch, Eiern und Milch erreicht werden. Unsere Haustiere selbst und ihre Bedürfnisse sind das Thema eines gesellschaftlichen Dialoges nach dem Mensch und Tier wieder zueinander finden müssen.

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„Wenn ich mit meiner Katze spiele

weiß ich nicht, ob sie nicht noch mehr mit mir spielt“

Michel de Montaigne (1533-1592)

Dies Buch widme ich meinen Enkelkindern: Philipp, der noch so klein ist, dass er und seine Mutter täglich beweisen, dass wir Säugetiere sind; Matteo, der schon mit einem Jahr einer Ameise hinterher gekrabbelt ist, um zu schauen, wer es ist und wo es hin will; Benedikt bewundert die Raubvögel nachdem er mit drei auf Seite 29 des südafrikanischen Buches “Birds around us“ ihre mächtigen Krallen und Schwingen entdeckt hat; Matilda spricht nicht – wie mit den Hoftieren müssen wir und sie lernen, nonverbal miteinander zu kommunizieren. Schließlich widme ich dieses Buch Isabella, die in Werden wohnt, wo sie ihre Liebe zu Pferden austoben kann.

Inhalt

Einführung

Damals: Der Ostholsteiner Hof vor sechzig Jahren

Natur zum Anfassen auf Hof und Feld

Haustier-Pädagogik

Der Weißstorch, unser Heimatvogel

Das Hühnervolk, die Gänse

Unser Pony, Freund der Kinder

Kaltblüter, friedvolle Kraftmeier

Mit dem Bulldog in den Hof ohne Pferde

Regenwürmer, Heinzelmännchen der Erde

Sanftmütige Milchkühe

Schweine spielen gern

Die eigenwilligen Katzen

Der Hund unser Freund

Meine Tauben, vollschlanke Grazien der Luft

Kulturträger Bienen

Zutrauliche Kaninchen

Die aristokratischen Karpfen

Spatzen, liebste Gesellschafter der Höfe

Schwalben, schwatzhafte Mitbewohner der Ställe

Freiheit und Vertrauen zwischen Tier und Mensch

Lehre, Eintritt in die Marktwirtschaft

Kollateralschäden unserer Marktwirtschaft

Verhängnisvolle Agrarpolitik

Was tut sich zur Verbesserung des Tierwohls?

Forschung und Entwicklung

Wege zur gesellschaftlichen Akzeptanz

Einführung

Dieses Buch handelt von den Haustieren. Das sind alle Tiere, die auf einem Bauernhof leben wie Schweine, Rinder, Geflügel oder Pferde. Seit etwa 50 Jahren hat sich für diese Tiere der Fachbegriff Nutztiere durchgesetzt, den ich ablehne. Er macht deutlich, dass es heute allein um die Produkte und Gewinne geht. Mir geht es um die Lebensgemeinschaft von Tier und Mensch auf einem Hof. Heimtiere, die zusammen mit dem Menschen eine Wohnung teilen wie Schildkröten oder Kanarienvögel, zählen nicht dazu. Man erkennt dies auch daran, dass ihre Halter für sie keine Gebühren an die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zahlen. Zu den Haustieren zähle ich aber auch Hunde, Katzen, Spatzen, Schwalben oder Störche, die einen nützlichen Teil der Lebensgemeinschaft eines Hofes bilden, ohne für den direkten kommerziellen Zweck da zu sein. Auf dem Hof Heuerstubben, auf dem ich aufgewachsen bin, gehören sogar die Bienen, Regenwürmer und Karpfen dazu. Ich habe zu allen diesen Tieren eine persönliche Beziehung aufgebaut. Sie haben mich alle geprägt. Alle erfüllen für uns und die Natur wichtige Funktionen. Alle haben ihre Ansprüche an ein erfülltes Leben, auch wenn wir dies nicht immer erkennen.

Im Deutschen Tierschutzgesetz § 1 heißt es, „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohl zu schützen“. Zurzeit wird viel über Tierrechte und Tierschutz geredet. Dabei geht es um teilweise gegensätzliche Positionen1. Den Tierrechtlern geht es um juristische Argumente zugunsten der Tiere. Den Tierschützern geht es um Fürsorge für einzelne, veruntreute Wesen, vor allem unter den Heimtieren. Beides hat wenig mit der bäuerlichen Praxis zu tun. Der Philosoph und Bestsellerautor David Precht hat sich ausführlich damit befasst2. Er hat auch mit dem Tierphilosophen Peter Singer gesprochen, der zu dem Ergebnis kommt, wir sollten uns heute ausschließlich vegan ernähren, um zu vermeiden, Tiere zu töten. Das scheint mir ethisch ehrenwert, aber nur für Wenige erstrebenswert. Es wirkt wie verbissener Purismus. Auf jeden Fall bedeutet dies eine Verarmung unserer Kultur des Zusammenlebens mit Haustieren. Diese Kultur ist Teil der Agrarkultur, die sich von der industriellen Landwirtschaft unterscheidet. Wir brauchen weiterführende, mehrheitsfähige Lösungen und Prozesse, um die verkorkste Tierhaltung, die in vielen Fällen zu einer Massentierhaltung geworden ist, wieder ins Lot zu bringen.

Konrad Lorenz und Niklas Tinbergen wurden 1973 mit dem Nobelpreis geehrt. Ihre Forschung über das Verhalten der Tiere, die Verhaltensbiologie oder Ethologie, hat sich mit diesen beiden passionierten Naturliebhabern in der Wissenschaft etabliert. Ist es Instinkt, angelerntes Wissen oder sogar strategisches Denken der Tiere, welches sie veranlasst, sich so und nicht anders zu verhalten? Insbesondere im anglophonen Sprachraum entstand eine Vielzahl von Publikationen, die sich mit dem geheimnisvollen Leben von Tieren beschäftigten. Warum haben sich die Forscher kaum mit den Haustieren, mit denen wir täglich in intensivem Kontakt sind, sondern fast ausschließlich mit Wildtieren wie Wespen, Dreizehenmöwen, Walen oder Primaten beschäftigt? Das neue, internationale Forschungsfeld „Human Animal Studies“, das sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier befasst, ist jung und wir erhoffen uns von ihm in den kommenden Jahren viele neue Erkenntnisse. Es wird von der World Organisation of Animal Health (OIE) mit Sitz in Paris, unterstützt. Neben der globalen Tiergesundheit hat sich die OIE seit 2012 auch einen „Standard Setting Process of Animal Welfare“3 zur Aufgabe gemacht, mit dem eine Norm für den Umgang mit unseren Haustieren entwickelt werden soll. Ein Netzwerk von mehr als hundert Wissenschaftlern aus aller Welt hilft dabei. Durch die internationale Behandlung dieses allgegenwärtigen Problems, kann auch der politische Druck der deutschen Agrarlobby gemindert werden. Ein klares Ergebnis dieser Forschung der letzten dreißig Jahre liegt heute vor: Unsere Tiere können denken und fühlen. Sie pflegen vielfach ein ausgeprägtes Sozialverhalten mit ihren Artverwandten, aber auch mit dem Menschen. Sie haben eine individuelle Persönlichkeit. Diese von allen anerkannten Wissenschaftlern geforderte „evidence based results“ liegen heute zu unserer Freude vor. Vielleicht können wir jetzt auch Alfred Brehms Tierleben aus den Regalen hervorkramen, dem diese wissenschaftliche Anerkennung viele Jahre verwehrt blieb.

Die auf modernen Züchtungen basierende Massentierhaltung in der heutigen Form, in der nur der Nutzen, den das Tier seinem Produzenten und uns, den Konsumenten, bietet, gesehen wird, hat zu einer Verkümmerung der mentalen Fähigkeiten vor allem unserer Schweine und Hühner geführt. Diese Haltungsform fügt Tieren großes Leid zu, sieht sie als Sache und vernachlässigt, dass auch die Haustiere eine Seele haben. Sie sind Teil der Natur und zwar jener Teil, zu dem wir selbst auch gehören und mit dem wir seit Jahrtausenden zusammen leben. Sie gehören einer eigenen Kultur an, die durch die zunehmende Urbanisierung weitgehend verloren gegangen ist. Tiere haben uns viele Jahrhunderte getragen oder gezogen, sie haben uns gewärmt und ernährt. Sie haben uns getröstet, glücklich gemacht und geführt. Sie haben oft genug unsere Persönlichkeit entscheidend geprägt. Wenn wir krank sind, können Tiere uns therapieren. Als Antidepressiva sind sie bei den Kassen leider noch nicht zugelassen. Bei den Tieren bist Du nie einsam. Sie vermitteln Dir ein starkes Gefühl für Heimat. Haustiere, vor allem die Rinder, strömen eine Ruhe aus, die wir in unserer schnellen und lauten Welt dringend brauchen. Auf all dies wollen wir nicht verzichten und uns auf die uralten Optionen der Partnerschaften zwischen Mensch und Tier besinnen und beiden Seiten Möglichkeiten erhalten, diese wieder zu leben.

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BMEL) hat 2015 eine Richtlinie für den Tierschutz von Nutztieren herausgegeben4. Diese konzentriert sich noch ganz auf die Praxis der landwirtschaftlichen Tierhaltung und geht noch nicht auf das soziale und kulturelle Verhältnis zwischen Mensch und Tier ein. Dennoch, es tut sich etwas zur Verbesserung des Tierwohls in Deutschland, aber immer noch nicht genug und viel zu langsam. Die Verhältnisse der Tierhaltung in den landwirtschaftlichen Betrieben haben sich in den letzten Jahren so dramatisch verschlechtert, dass drastische Reformen nötig sind. Wir brauchen so etwas wie einen Atomausstieg aus den auf Profite angelegten Tierfabriken.

Vor fünfzig Jahren sind wir mit unseren Tieren noch ganz anders umgegangen. Sie waren Teil unseres kulturellen Reichtums und noch nicht vom Menschen weitgehend getrennt lebende Opfer der Massentierhaltung mit höchsten Leistungen an Milch, Fleisch oder größter Zahl an Eiern pro Huhn oder Ferkel pro Sau. Die Vielfalt der Rassen hat sich auf wenige Leistungsträger und spezialisierte Betriebe reduziert. Die einen machen nur auf eierlegende Hühner, die anderen nur auf Masthähnchen. Andere Betriebe erzeugen nur Ferkel, während ihre Partner nur Schweinemast betreiben und die Ferkel kaufen. Dritte halten Puten, und zwar nur Puten, und Vierte produzieren nur die kleinen Puten für jene, die nur Puten mästen. Die gnadenlose züchterische Selektion unserer Nutztiere erzeugt züchterisch degenerierte, bedauernswerte Wesen, die keine Spielfreude, Kreativität und Lebenseifer mehr zeigen. Die freudlose industrielle Tierhaltung auf unseren Betrieben hat zu Verhältnissen geführt, die Agrarwissenschaftler und selbst Betriebsinhaber als unethisch erkennen. Der Beruf des Landwirts kann so nicht mehr attraktiv sein. Die Bauern stehen heute oft am Pranger und versuchen, sich mit hilflosen Argumenten zu verteidigen.

Über diesen dramatischen Verfall des Verhältnisses zwischen Tier und Mensch möchte ich berichten und auf die Ursachen eingehen. Das Buch soll auch ein Dokument unseres reichen, kulturellen und sozialen Lebens sein. Ich bin auf einem Holsteiner Hof groß und dort auch Landwirt geworden. Längst habe ich den Beruf gewechselt, Volkswirtschaft und Gesundheitsökonomie der Entwicklungsländer studiert. In mehr als 30 Ländern habe ich die dortige Tierhaltung kennen gelernt.

In den sechziger Jahren wurden in England als ethische Richtlinien für die Haltung von Haustieren die sogenannten „Fünf Freiheiten für Haustiere“ entwickelt5. Sie gelten inzwischen nicht nur in Großbritannien, sondern auch für andere Staaten, die World Organisation of Animal Health (OIE) und in der Wissenschaft als wichtige Orientierung für den Umgang mit Haustieren. Diese „Fünf Freiheiten für Haustiere“ umfassen:

Freiheit von Hunger und Durst:

Tiere haben Zugang zu frischem Wasser und gesundem und bedarfsgerechtem Futter.

Freiheit von haltungsbedingten Beschwerden:

Tiere haben eine geeignete Unterbringung wie Weide, Auslauf, geräumige Ställe, adäquate Liegeflächen etc.

Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheiten:

Durch Prävention und schnelle Behandlung, Verzicht auf Amputationen, durch Verzicht auf Treibhilfen, etc.

Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensmuster:

Die Tiere haben die Möglichkeit ihr arttypisches Normalverhalten auszuüben. Sie müssen sich freuen und das Leben genießen können.

Freiheit von Angst und Stress:

Die Haltungsbedingungen der Tiere gewährleisten, dass die Tiere nicht leiden. Dazu zählen eine gute Mensch-Tier-Beziehung und Erhalt eines positiven mentalen Zustandes.

Über den Begriff Freiheit ist viel philosophiert und geschrieben worden, aber bisher im Deutschsprachigen noch nicht über die der Tiere. Freiheit ist die äußere wie innere Unabhängigkeit von Zwang. Wir sollten unseren Haustieren Freiheit gewähren und sie sollten diese sich selbst auch nehmen können. Dazu gehört Vertrauen zwischen Tier und Mensch. Die Haustiere müssen sich im Umgang mit uns und in den Rahmenbedingungen, die wir ihnen gewähren, frei fühlen. Dazu gehören schließlich auch die mentalen Fähigkeiten unserer Tiere, welche ihnen zum Teil weggezüchtet wurden. Was machbar ist, müssen Wissenschaftler, von der Tierhaltung unabhängige Fachleute, Politiker und engagierte Vertreter unserer Zivilgesellschaft definieren. Der Profit durch Verkauf von Eiern, Milch und Fleisch darf dabei nicht die Hauptorientierung bilden. Leider können sich die Haustiere selbst nicht zu diesem Prozess einer Neuorientierung äußern.

Die fünf Freiheiten für Haustiere müssen auch international gesehen werden, um neue Perspektiven zu gewinnen. Kühe in Botswana haben häufig Durst und Hunger, was bei den Rindern in Holstein nicht der Fall ist. Sie haben sich fast alle im Laufe ihres Halbwüstenlebens Verletzungen zugezogen und leiden unter Zecken und anderen Parasiten. Da die Rinder Botswanas weder in Ställen noch hinter Zäunen gehalten werden, sondern frei herumlaufen, nur sehr großzügig von Hirten bewacht, die auch die Löwen abhalten, kann man gut feststellen, dass sie keine Technopathien erleiden müssen und dass sie auch ihre Verhaltensmuster ausleben können, was bei einer Holsteiner Kuh sicher nicht ohne weiteres behauptet werden kann. Ja, die Rinder in Botswana können auch nicht frei von Angst und Stress leben. Sie bevölkern zusammen mit den Wildtieren die Kalahari und sind dabei ganz anderen Gefahren ausgesetzt als die Holsteiner Milchkuh. Weiterhin sind Angebot an Gesundheitsversorgung und der Bedarf an kurativer Versorgung in Botswana, Mali, Russland, Türkei oder Thailand, Länder, in denen ich die Tierhaltung kennenlernen konnte, völlig anders einzuschätzen als hierzulande. Die Maximen der fünf Freiheiten werden bei unseren Haustieren besonders bei Hühnern und Schweinen heute stark verletzt.

Der wissenschaftliche Beirat des BMEL stellt fest: Unsere Nutztiere leiden. Sie haben haltungsbedingte Schmerzen. Durch unsere Züchtung, vor allem die Hybridzucht, und Haltung werden sie in ihren mentalen Fähigkeiten erniedrigt und gedemütigt. Sie sind dem menschlichen Empfinden viel ähnlicher als wir es bisher wahrgenommen haben. „Ihre Gesundheit sollte einen Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen sein“. Diese universelle Definition der WHO für die Menschen, möchte ich auch für das Leben der Haustiere in Anspruch nehmen. Es geht eben nicht nur darum, einzelnen Tieren und der Herde, in welcher sie leben, die oben erwähnten Freiheiten zu sichern, sondern auch im Rahmen der Züchtung dafür zu sorgen, dass sie im Sinne der WHO gesund sind und entsprechend gehalten werden. Das Konzept der Fünf Freiheiten berücksichtigt noch nicht die Folgen der modernen Züchtung.

Die Tiere, um die es hier geht, gehören bis auf die Bienen und Regenwürmer zur Gruppe der Wirbeltiere. Diese gliedern sich in die Tierarten, Säugetiere, Vögel und Fische. Da auch wir Menschen zu den Wirbeltieren zählen, sollte uns seit Darwin (1809-1882) bewusst sein, dass selbst die Fische und wir gemeinsame Urahnen haben. Bei den Säugetieren unterscheidet man unsere Haustiere in die Unpaarhufer wie die Pferde und Esel und die Paarhufer. Letztere teilt man wiederum ein in Wiederkäuer wie Rinder, Schafe, Ziegen sowie die Nicht-Wiederkäuer wozu unsere Schweine aber beispielsweise auch die Nilpferde zählen. Bei den Pferden lassen sich wieder Warm- und Kaltblüter unterscheiden. Erstere sind fürs Reiten und die Kutsche da, die anderen für die Feldarbeit und heute vielleicht noch für das Holzrücken im Wald. Bei den Rindern sollte man zwischen den Milchkühen und den Fleischkühen unterscheiden. Letztere genießen ein sehr viel befreiteres Leben als unsere Milchlieferanten. Sie dürfen von Geburt an ihre Kälber bei sich behalten und oft das ganze Jahr auf der Weide sein. Die Hühner sind die wichtigsten Vögel für uns. Bei den Fischen erwähne ich nur die Karpfen.

Alle diese Tierarten sind wiederum in verschiedene Rassen untergliedert. Der Mensch hat im Laufe der Jahrtausende seine Pferde, Rinder, Schweine und Hühner in vielen Rassen gezüchtet, die ihrerseits ganz unterschiedliche Eigenschaften und Charaktere zeigen. Vergleiche einen gemütlichen Schweizer Braunviehbullen mit einem spanischen Kampfstier oder einen dicken Rhodeländer Hahn mit einem mexikanischen Kampfhahn. Zwischen beiden Typen liegen, durch unsere Züchtung bedingt, jeweils Welten. Dies muss bei der Beurteilung der Tierfreiheiten berücksichtigt werden.

Damals: Der Ostholsteiner Hof vor sechzig Jahren

Wir hatten einen großen Bauernhof in Holstein – eigentlich ein kleiner Gutshof. Es war ein Hof mit einer großen Vielfalt von Wild- und Haustieren, eingebettet in die hügelige Landschaft, welcher die Eiszeit vor 40.000 Jahren durch ihre Gletscher Gesicht gegeben hat. Im Verlauf der Jahreszeiten wechselt die Landschaft ihre Farben, im Frühling das helle Grün, bunt getupft durch die Blüten von Wiesen, Büschen und Obstbäumen, im Frühsommer durch das leuchtende Gelb der Rapsfelder, im Hochsommer durch das fahle Gelb der Getreidefelder und im Herbst durch das Braun der Blätter. Im Winter hat der Schnee die Landschaft geweißt und still gemacht. Jedes Frühjahr überschwemmte das Schmelzwasser die Wiesen an der Trave. Ein großer See entstand bis hinüber in den Kreis Segeberg hinein, aus dem nur die eichenen Zaunpfähle hinausragten. Sobald das Wasser in die Ostsee abgeflossen war, kamen die Kiebitze zum Brüten. Deren Küken überwanden die Grassoden mit ihren ellenlangen Beinen. Sie konnten noch nicht fliegen, aber waren so schnell zu Fuß, dass wir Kinder sie nicht fangen konnten. Die Trave wurde begradigt und vertieft. Heute gibt es weder See noch Kiebitze. Dieses jahreszeitlich geprägte Leben auf dem Ostholsteiner Hof haben wir ja nicht nur als Beobachter wahrgenommen. Wir sind mit der Natur selbst eins geworden. Sie hat unsere Kindheit geprägt. Sie war Teil unseres täglichen Lebens.

Auf diesem Hof bin ich vom vierten Lebensjahr an bis hin zu meiner landwirtschaftlichen Ausbildung und zum Agraringenieur mit den Tieren groß geworden. In der Landschaft, deren Böden, Wasser, Vegetation zusammen mit dem Klima ein üppiges Habitat bildeten, haben wir, mein Bruder Jürgen und ich, auf dem Hof meiner Eltern praktisch mit allen Tieren gelebt, die es nach dem Krieg auf einem komplett ausgestatteten Bauernhof geben konnte. Meine Sozialisation mit den Tieren hat so zwei Stufen durchlaufen: Die Kindheit, während der ich die Tiere lieben gelernt habe, mit dem Vorbild des liebevollen Umgangs der Menschen mit den Tieren. Und später, ab meinem sechszehnten Lebensjahr durch den Beruf des Landwirts in Lehre, Praktikum und Studium, während derer ich mit den Tieren gearbeitet und gelebt habe. Wenn Du mit so vielen Tieren und Leuten, welche sie betreuen, zu tun hast, bekommst Du ein ganz enges Verhältnis zu ihnen und erkennst, unsere Haustiere sind wie wir. Sie haben zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenlöcher und einen Mund. Sie können sich freuen und leiden. Sie reagieren auf Dich. Sie können denken. Sie haben eine Seele wie Du selbst. Sie brauchen Freiheiten.

Meine Zeit in der Landwirtschaft fiel in die Phase des gewaltigsten Strukturwandels6, den die deutsche und europäische Landwirtschaft in ihrer Geschichte je durchgemacht hat. Die technologischen Veränderungen setzten massiv mit dem ab den fünfziger Jahren boomenden Wirtschaftswunder ein. Ein Vollerwerbsbetrieb beschäftigte nach dem Krieg je nach Größe mehrere, oft viele Arbeitskräfte. In Heuerstubben waren es 18 ohne Saisonarbeitskräfte und Kinder - zum Sammeln von Kartoffelkäfern gab es für alle offiziell schulfrei. Heute ist ein landwirtschaftlicher Betrieb in aller Regel ein spezialisierter Ein-Mann-Betrieb. Ein Bauernhof war damals ein Wohlstandsbetrieb und geachtetes, ja beneidetes Vorbild aller. Ein Hof, der heute Vieh hat, kann Tierhaltung ohne eine industrielle Produktion im Stall, die keine Zuschauer mehr erträgt, kaum bewältigen. Der Bauer verdient in Deutschland heute durchschnittlich nur 24.000€ im Jahr. Der Kapitalismus und die Globalisierung entwickeln die Märkte weiter in Richtung noch mehr Effizienz und niedrigerer Preise für die landwirtschaftlichen Produkte, so dass die Einkommen weiter sinken. Die internationale Finanzwirtschaft mit ihren Spekulationen führt heute zu absurden Preisen für Agrarprodukte, die mit den realen Kosten und Erträgen nichts mehr zu tun haben. An der Börse für Termingeschäfte in Chicago wurde die globale Maisernte 2016 durch Spekulationsverträge mehr als 28-mal verhandelt7. Durch die großen Konzerne des Agrar- und Lebensmittelsektors wie Aldi, REWE und LIDL liegt uns Deutschen ganz besonders daran, dass die Nahrungsmittel billig sind. Eine Beziehung zu den Tieren, wie ich sie erlebt habe, ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Der Tierphilosoph Peter Singer kommt zu dem schrecklichen Ergebnis, dass unser Kontakt zu den Tieren heute ganz überwiegend darin besteht, dass wir sie essen. Dieser dramatische Niedergang im Umgang mit unseren Haustieren und der Natur setzt uns allen zu.

Natur zum Anfassen auf Hof und Feld

Im Sommer 1945 geboren fiel meine erste Wahrnehmung meiner weiteren Umgebung mit dem Ende des Krieges zusammen. In dem großen, ostholsteinischen Gutshaus war der beharrliche Glaube an den Endsieg noch nicht ganz verstummt. Es konnte ja nicht sein, dass alles woran wir geglaubt hatten, nun verloren sein sollte. Unterdes kamen die ersten Flüchtlingstrecks mit ihren Pferden auf den Hof und baten um Bleibe. Meine Mutter, Haus- und Hofherrin, nahm auf, wen und was sie unterbringen konnte. Mein Vater war in russische Kriegsgefangenschaft geraten und kam erst 1954, mager und voller Hoffnung auf seine Familie und den schönen Hof, im Lager Friedland an. Meine Mutter konnte ab 1945 insgesamt 42 Flüchtlinge in ihrem Haus und auf dem Hof mit seinen vielen Gebäuden aufnehmen, was eine Verdoppelung seiner Bewohner bedeutete. Die Familie von Stackelberg aus Ostpreuß en kam mit 30 Trakehnern und bat um Obdach. Es gab nicht genügend Weide und Heu für die Tiere. Die Pferde waren während der paar Tage ihres Aufenthaltes am Zaun des Bullenhags gegenüber des Herrenhauses angebunden. Die 120 Beine, dicht an dicht rund um den Hag mit dem Bullen darin, haben mir aus meiner noch geringen Augenhöhe eines Vierjährigen großen Eindruck gemacht. Ein Fohlen, welches frei laufen konnte, sich aber dicht bei der Mutter hielt, fand ich besonders niedlich und bedauerte, es nicht streicheln zu dürfen. Zwei englische Offiziere, die sich als Besatzungsmacht vorstellten, waren begeistert von den edlen, wenn auch vom langen Treck abgemagerten Tieren und requirierten sie für die britische Krone. Der eine von ihnen, ein Ornithologe, lobte die reiche Vogelwelt der Landschaft und nannte sie „Important Bird Area (IBA)“.

Die traditionelle Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe war in den vierziger und fünfziger Jahren noch von großer Vielfalt geprägt. Dies spiegelt sich in meinen Kindheitserfahrungen aus dieser Zeit. Wenn für die Tiere in Feld, Wiese und Wald der lange, entbehrungsreiche Winter vorbei war, schienen sie blind vor Frühling und Liebe. Die Hasen tobten umeinander. Einer von ihnen wäre dabei fast vom Habicht geschnappt worden, wäre er nicht so akrobatisch im Hakenschlagen gewesen. Die Kaninchen im Wäldchen hinter dem Park des Gutshauses lagen vor ihrem Bau und sonnten sich alle Viere von sich gestreckt, die Kleinen im Bau sicher und versorgt. Die Rehe, wählerische Tiere, fraßen schon seit März die ersten Knospen. In einer der alten Ulmen im Park hatten Eichhörnchen ihren Kobel gebaut und erwarteten Nachwuchs.

Die meisten Vögel des Hofes hatten ihre Nester gebaut und brüteten oder zogen ihre Jungen schon groß. Einige, wie die Spatzen und Schwalben, ziehen es vor, dort ihre Familien zu gründen, wo der Mensch Gebäude hingestellt hat. In Heuerstubben bevölkerten sie alle Ställe und sorgten mit ihrem Geschwätz und ihrer Betriebsamkeit für Unterhaltung. Die Störche thronten höher als alle anderen auf einem Wagenrad auf dem First der Haferscheune, welches vor Jahren dort einmal für sie montiert worden war. Ein Dohlenpaar nistete auf dem drei Meter hohen Schornstein des Hauses, aus dem damals noch die Räucherkammer entlüftet wurde. Diese Kleinsten unter den Rabenvögeln lieben es, in aufgelassenen Gemäuern zu hausen. Das laute, liederliche Spatzenvolk hatte schlampige Nester im wilden Wein unterm Dach des Herrenhauses gebaut. Überall waren die Sperlinge zu sehen und zu hören. Stare hatten in den letzten Jahren den Spatzen zunehmend Nistplätze auf dem Hof streitig gemacht. Doch das Schimpfen der Spatzen nützte nicht viel. Sie hatten Heuerstubben seit einigen Jahren besonders lieb gewonnen. Im Park des Gutshauses standen fünf riesige Kirschbäume, deren Früchte im Juni reiften, der Jahreszeit, in der die jungen Stare schon mitfliegen können.

Das Schleiereulenpaar war letztes Jahr vom Jungviehstall unters Dach des Kuhstalles gezogen und kümmerte sich gemeinsam um die zwei Jungen. Beide Eltern kamen ihrer Brutpflege nach und lösten einander ab. An einem Nachmittag auf dem Heuboden fand ich ein Junges, welches aus dem Nest gefallen war. Aus Angst vor mir hatte es sich auf den Rücken gelegt und streckte mir schnarrend seinen geöffneten Schnabel und beide Krallenfüße entgegen. Raubvögel können sich wehren. Die anderen Vögel ducken sich oder fliegen weg. Vor dem Kuhstall auf dem Kopfstein gepflasterten Gang und dem breiten Misthaufen, der sich über die gesamte Länge des Kuhstalles erstreckte, liefen und wippten mehrere Bachstelzen, in Holstein auch Wippsterz oder Ackermännchen genannt. Sie waren vor dem langen Kriegswinter nach Afrika geflohen, aber schon im März zurückgekommen. Ständig wippend und rufend, scheinen sie immer auf Achse und jagen nach Insekten, Spinnen und kleinen Käfern. Dort auf dem Mist, wo sie sich die meiste Zeit des Tages aufhielten, richtete sich mit großer Beharrlichkeit jedes Jahr auch ein Wespenschwarm ein, der darauf wartete, dass im Obstgarten hinterm Kuhstall die Früchte reif wurden.

Auf dem Schulweg nach Gnissau haben wir Kinder uns einen Sport daraus gemacht, wer bis zur Schule den größten Käfer findet, den Neuntöter auf die Dornen der Schlehenbüsche in den Knicks entlang unseres Weges gespießt hatten. Dabei erschreckte uns bisweilen das laute Knarzen eines Laubfrosches, der bei gutem Wetter hoch in die Büsche stieg. Im Frühling auf dem Rückweg von der Schule hatten es uns die Maikäfer angetan. Wir steckten die braunen Viecher mit ihren unglaublich starken Beinen in mitgeschleppte Schachteln oder wickelten sie, wenn wir diese vergessen hatten, einfach in ein Taschentuch und steckten sie in die Schultasche. Zuhause bauten wir ihnen kleine Terrarien oder, wenn die Käfer massenweise auftraten, sammelten wir sie in Eimern mit Deckel, überbrühten sie mit heißem Wasser und verfütterten sie an die Hühner. Das Eigelb der Eier war dann tags darauf tief gelb. Hast Du damals als Schuljunge versucht, in Deiner kleinen Faust einen Maikäfer solange zu halten, bis sich der Lehrer endlich abwandte und Du das strampelnde Viech im Klassenraum fliegen lassen konntest? Mit ihren sechs Beinen sind sie so stark, dass Du es kaum aushältst. In einer unvergessenen, romantischen Nacht an der Ostsee hatten wir Scharen von Maikäfern weit in die Lübecker Bucht direkt in den Mond fliegen sehen. Am andern Morgen hatten die Wellen den Strand mit tausenden ertrunkenen Käfern übersät. Kennst Du die Geschichte von Peterchens Mondfahrt? Sie erzählt von Peter und Anneliese, die den Maikäfer, Herrn Sumsemann, auf seiner Reise zum Mond begleiten. Er hatte sein sechstes Bein verloren und wollte es dort wiederfinden. Mit den vielen Tiergeschichten, die uns vorgelesen wurden, begann auch die Liebe zu den Tieren um uns herum, die ja alle noch präsent waren.

Auf den Feldern vor dem Hof, mitten im endlosen Grün der Saatreihen von Weizen und Gerste, brüteten die Lerchen in ihren flachen Nestern auf dem Boden. Ein paar Meter weiter taten Rebhühner das Gleiche. Am Rande des Knicks zum Hundehörn hütete eine Fasanenhenne ihr Gelege. Sie bangte ständig, dass Reineke der Fuchs es entdecken könnte oder auch Grimbart der Dachs, der seinen Bau tief in die Böschung des trockenen Grabens im Hundehörn, dem Buchenwald gegenüber dem Hof, gegraben hatte. Er pflegte nur nachts zu erscheinen. In Garten und Park des Gutshauses wimmelte es von verschiedensten Nestern. Amseln, Meisen, Rotkehlchen, Buchfinken, Haus- und Gartenrotschwänze, ein paar schüchterne Zaunkönige und die emsigen Mönchsgrasmücken, die sich lieber im Schatten aufhalten, alle hatten ihre Nistplätze gefunden und unterhielten die brütenden Partner mit vielfältigstem, herrlichstem Gesang in den Morgen- und Abendstunden. Irgendwo im Park hatten auch die Kirschkernbeißer mit ihren kräftigen Kegelschnäbeln ein Nest gebaut. Nur die Fichtenkreuzschnäbel in den Koniferen am Pferdestall auf der anderen Seite des Hofes wuselten durch die Nadeln und dachten nicht mehr an das Brüten. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, im eiskalten Winter zu brüten, weil es dann die meisten Fichtensamen gibt. Mit ihren gekreuzten Schnäbeln hobelten sie die noch geschlossenen Zapfen der hinter dem Pferdestall stehenden Lärchen und Fichten auf und gelangten so an die Samen, noch bevor diese herunterfallen konnten.

Ziemlich früh im Jahr kam auch der Kuckuck aus dem Süden zurück. Er genoss unter den Tieren, vor allem den Vögeln, einen miserablen Ruf. Nicht nur war er mit seinen ewigen, lauten Rufen lästig, er war auch noch faul. Er baute keine eigenen Nester. Die Ringeltauben im Wäldchen hatten ihre flachen, armseligen Nester aus dürren Zweiglein in die höchsten Parkbäume gebaut. Während sie brütete, saß der Täuber auf dem höchsten Wipfel Richtung Sonne und gurrte so beruhigend und friedlich in die untergehende Abendsonne hinein, dass keines der Tiere des Hofes je auf den Gedanken gekommen wäre, dass dieses Paradies schon in den nächsten Jahrzehnten durch den technischen Fortschritt, die Agrarpolitik und unsere Gier nach billigen Nahrungsmitteln, auf immer zerstört werden sollte.

Die blühenden Rapsfelder Schleswig-Holsteins im Frühjahr gelten als prägendes Landschaftsmerkmal. Ein paar Wochen danach, ich war in meinem zweiten landwirtschaftlichen Lehrjahr, habe ich den halbreifen Raps mit Schlepper und Gerät in Schwad gelegt. Das war damals das Verfahren, um die vollreifen Rapsschoten davor zu bewahren, aufzuspringen und die kleinen, schwarzen Samen herausfallen zu lassen. Im liegenden Schwad kann der Raps ausreifen und wird dann von der Walze des Mähdreschers sanft aufgenommen und ausgedroschen. Heute haben Fachleute den Raps so weit gezüchtet, dass die Schoten nicht mehr aufspringen. Die Mahd fand auf dem großen Schlag vor dem Hof statt, der neben ein paar Kuppen eine große Senke hatte, auf der der Raps der Feuchtigkeit im Boden wegen viel dürftiger stand. Hier hatte ein Reh sein Kitz gesetzt und ich bin mit dem Mähmesser drauf gefahren. Jedem Kitz wird von der Mutter eingeprägt: Rühr Dich nicht, egal was kommt, bleib liegen. Selbst Füchse würden ein Rehkitz nicht wittern, wenn sie 2 Meter vom Kitz vorbeischnüren. Mein Schnitt erfolgte etwa 12 cm oberhalb des Bodens. Das Kitz hätte sich, wie sie es normalerweise tun, ganz flach auf den Boden ducken können. Es wäre von den Mähmessern nicht erfasst worden. Der Lärm der Maschine hatte es aber in Panik aufgeschreckt und ich habe dem kleinen Tier ein Bein abgefahren, ein traumatisches Erlebnis, welches mich bis heute beschäftigt. Es ist, wie wenn Du als Autofahrer einen Unfall mit Personenschaden verursachst. Rebhühner, Fasane oder Hühner sind Nestflüchter, die ihren Müttern schon kurz nach dem Schlupf folgen. Eines der schönsten Hoferlebnisse ist es zu sehen, wie die Küken hinter den Glucken herlaufen oder sich in deren wärmenden Federkleid verstecken. Rehe verfolgen andere Überlebensstrategien. Schade, dass auch die Hühner heute nicht mehr die Freiheit haben, im Kuschelkontakt zwischen Küken und Henne groß zu werden. Sie schlüpfen alle als Waisenkinder im Brutschrank.

Mein zweites, landwirtschaftliches Lehrjahr begann ich in Heuerstubben und wurde von den erfahrenen Kollegen mit den typischen Ritualen in den Beruf und die Gemeinschaft der Beschäftigten auf dem Hof eingeführt. Der Kutscher Petersen beauftragte mich, den Steinhobel vom Hufschmied am Heckkaten zu holen. Dort hin waren es zwei Kilometer Fußweg und wieder zurück. Auf dem Hinweg beschäftigte mich ein Liebeskummer, der rührend von mehreren Goldammern, die in den Knicks links und rechts der Straße lebten, besungen wurde. Diese melancholischen Sänger tragen ein goldgelbes Federkleid mit fein abgestimmten Brauntönen, eine echte Goldfarbe, kein blinkendes Blendwerk wie bei den Kanarienvögeln. Den Gesang der Ammern übersetzt der Volksmund mit „Wie, wie hab‘ ich Dich lieb“. Er tröstet und hilft enorm in Liebesdingen. Kurzum, ich war wieder besseren Mutes, als ich beim Schmied eintraf und ihm mit männlicher Landwirtsstimme mitteilte, ich solle den Steinhobel abholen. Der Mann wusste sofort Bescheid, überlegte kurz und gab mir einen alten Pferdeschwengel und viele Grüße mit auf den Weg nach Heuerstubben. Das Ding war schwer, ich musste viele Male absetzen, bis ich Petersen den ‚Steinhobel‘ übergeben konnte. Der lachte mich aus: Einen Steinhobel gibt es nicht! Ich hätte noch viel zu lernen.

Der Frühling, in dem die Natur ihre ganze Macht demonstriert, war damals ein Fest der Farben, ein Fest der Düfte, noch stärker aber ein Fest der Tier- und vor allem der Vogelstimmen. Der NABU, der Naturschutzbund Deutschlands, stellt heute fest, „der stumme Frühling ist da. Erst sterben die Insekten, dann die Vögel und Säugetiere8“. In unserer Kulturlandschaft stimmt diese Reihenfolge nicht ganz. Nachdem bei uns die Haustiere, die Pferde, Schweine, Hühner und Kühe abgeschafft wurden, verloren Myriaden von Fliegen, Mücken, Käfern und anderen Kerbtieren in Heuerstubben ihre Lebensgrundlagen. Wir haben dies vor allem am Aussterben der Fliegen, die zahlreicher als alle anderen Tiere unseren Hof bevölkerten, bemerkt. Da hatten die Insektenfresser unter den Vögeln nichts mehr zu fressen. Nachdem der Schlepper die Pferde abgelöst hatte und der Mähdrescher das Einfahren des Korns und das Dreschen im Winter erübrigte, zogen auch unsere Spatzen weg. Davor war der Hof ein Paradies für alle, Haus- wie Wildtiere gewesen.

Haustier-Pädagogik