Heart beats sex - Johanna Driest - E-Book

Heart beats sex E-Book

Johanna Driest

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Beschreibung

Musik, Herz, Sex

Mona öffnet die Augen und befindet sich wieder einmal auf einer verrückten Ibiza-Party. Sie ist siebzehn, will das Leben spüren, doch im Moment ist sie in ihrem eigenen Körper gefangen: ein schlechter Trip. Sie beobachtet die DJs und Groupies um sich herum, und die Gedanken stürzen auf sie ein – an ihren Vater, der ihr Ausgehverbot verpasst und ihre E-Mails kontrolliert, ihre Freundin Ulya, mit der sie in die Clubs zieht, und daran, wie sie die angesagtesten DJs kennenlernt, die im Space oder Amnesia auflegen. Beats und Sex, doch am Ende siegt das Herz.

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Seitenzahl: 380

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Das Buch

»Mona glimmt morgens – MGM. An vielen Tagen schenkte mir das mein erstes Lächeln, weil es mich immer freute, aus Glas zu sein, und man sehen konnte, wie mein Herz und all meine Eingeweide glimmten, immer heller, bis meine Strahlen und die der Sonne ineinanderflossen und keiner sagen konnte, wer wen anstrahlte – ich die Sonne oder sie mich.« (Mona, 17, Ibiza)

Die Herzen schlagen, die Musik pulst, das Leben fängt an: Johanna Driest schreibt eindringlich und authentisch über das Lebensgefühl junger Frauen.

Die Autoren

Johanna Driest, geboren 1990 in Miami, ist die Tochter von Burkhard Driest. Bis 2006 lebte sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in Hamburg, dann zog sie zu ihrem Vater nach Ibiza, wo sie den englischen Schulabschluss absolviert hat und heute lebt. Nach ihrem von der Presse gefeierten Roman Crazy for Love folgten die Romane Ich will und Das Blaue vom Himmel. Heart Beats Sex ist ihr vierter Roman im Heyne Verlag.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. KapitelCopyright

»Du musst mir glauben.«»Tu ich aber nicht.«»Musst du aber.«»Lügst du nie?«»Nein, ich lüge nie.«Ich liebe ihn. Ich liebe ihn.

1. Kapitel

Es ist aus und vorbei. Aber dennoch liebe ich ihn. Ich liebe ihn.

Eher würde ich zwanzigmal sterben, als einen anderen zu nehmen, wenngleich ich beim letzten Krach drohte, wieder zurück zu Liam zu gehen, oder zu Hank. Aber nur, weil ich ihn unter Druck setzen wollte. Was blieb mir übrig? Wie kann man einen Ossi aus Rumänien dazu kriegen, dass er einen heiratet? Einfach fragen? Aber nicht, wenn er ein Superstar in der Musikszene ist.

Meine wundervolle, liebste, beste Freundin Ulya redete hundertmal dagegen an.

»Heiraten? Warum willst du heiraten? Krall dich doch nicht in solch alte Hüte.« Ulya – roter schöner Mund und weiße Zähne, darauf fährt jeder Typ ab, die Augen, ihr goldfarbenes dichtes Haar, ihre Figur und ihre Coolness à la Scarlett Johansson. Manchmal erinnerte sie mich an meine beste Freundin, Jeka Chagall, damals in Berlin. Zwar waren sie optisch total verschieden, doch beide hatten dieses für mich russische, selbstbewusste Auftreten.

Beide waren sich ihrer Meinung und Haltung immer sicher. »Stell dir doch mal vor, du mit so einem altmodischen Hut mit Blumen drauf! Wozu soll das gut sein? Als Schutz vor Hartz IV?«

Mir ist das gleichgültig, ich will ihn heiraten.

An jenem Nachmittag wollte ich es hinkriegen. Nackt und bildschön lag er auf unserem dunkelblauen Himmelssatin. Nackt und weiß und duftend. Er hat ein geheimes Eau de Toilette, das er extra anfertigen lässt und das ich für mich Fragrance of God getauft habe. Der Duft Gottes. Das finde ich nicht übertrieben, denn es ist der Geruch einer blühenden Frühlingswiese! Und wo könnte Gott sich olfaktorisch besser ofenbaren? Wie eine feuerspeiende Sphinx hockte ich über ihm. Wie eine hungrige Hündin, die nach dem Blut aus seiner Kehle lechzt. Ich drückte mein Kreuz durch, so dass mein Po ganz hoch stand und die Spitzen meiner Brüste sich abwechselnd an seinem dunklen krausigen Busch rieben. Langsam schnüfelte ich mich von seinem Bauchnabel hoch bis hinauf zu seiner Kinnspitze, spürte seinen Bart, biss ihm leicht und sanft in die Unterlippe, schüttelte meinen Kopf ein wenig, nur spielerisch, wie ein Schakal, der ein Stück Fleisch losreißen will, und als die Ahnung von Schmerz ihn tief Luft holen ließ, schob ich meine Zunge zwischen seine Zähne wie eine Schlange, die sein Herz sucht.

Wir können diese Spiele von mittags bis in die Nacht ausdehnen, weil er vor zwei nie seine Auftritte hat. Jedenfalls, seit ich von zu Hause ausgezogen bin und die Schule kurz vor dem Abi an den Nagel gehängt habe.

In den letzten Tagen aber habe ich die Spiele (die circenses!) nicht ausgedehnt, sondern Feuer an seine weiße Haut mit der Frage gelegt, wie er sich unser Zusammensein nach der Saison vorstelle. Es ist Saisonende, da werden die Bürgersteige hochgeklappt, und alles entflieht in die Hauptstädte Europas. Er nach London, und ich?

Er ist groß, schlank, nie gebräunt, das dunkle schwere, glänzende Haar mit einem schillernden Rotstich, der Blick aus dunklen konzentrierten Augen scheinbar in die Ferne gerichtet, in Wahrheit aber auf das entfesselte Toben Tausender von Tänzern. Das war es, was mich von Anfang an anzog: Dieser Blick in die Ferne, der umschlagen kann, wenn ich ihn berühre. Was kalt und starr ist, beginnt zu leben.

Sein Blick hat mich von Anfang an gefangen, ein Blick, der unter meiner Berührung aufzublühen beginnt – Bienen, Hummeln, Schmetterlinge flattern auf. Gleich als ich ihm das erste Mal in die Augen sah, ließ dieser Blick eine Zeile von Celan in meinem Denken aufleuchten (»Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt«), und kaum hatte ich mich an diese Worte erinnert, da wandelte sich sein eisiger Blick, und der ganze Mann begann zu blühen. Eine schöne Frühlingswiese, in die ich mich warf.

So etwa erzählte ich es auch Ulya, nachdem ich ihm das erste Mal persönlich begegnet bin.

»Vergiss es«, sagte sie, »der Mann ist aus Stein.«

»O ein Stein, wie schön! Dann werde ich ihn aufheben, diesen Mann, und in wilder Hofnung halten, bis er zu blühen beginnt.«

»Er ist Musiker.«

»Ulya, es ist doch immer so, egal ob im ersten oder letzten Satz – es soll die Sprache der Liebe ertönen! Darauf warten wir bangen Herzens doch alle.«

Die Liebe. Ich finde, es ist in der Liebe wie in der Musik, die ja einst aus den Urgeräuschen der Welt entstand und all das Rauschen, all das Dröhnen und Donnern, das Knarzen und Knacken erst abwerfen musste, bis sie in Akkorden und Rhythmen durch die Luft und Lüfte schweben konnte, tanzend und glücklich sich selbst und uns alle umarmend.

Wenn die Sonne aufgeht und ich erwache, erklingt Musik, leise und in der Ferne, die süße Melodie der Freude. So ist es, seit ich Hal kenne, den Rumänen, sechzehn Jahre älter als ich, die ich siebzehn bin. In seiner Musik liebt er die Flöten des Pan, und so war es auch für mich: Pan erwachte, der Sommer marschierte ein. Kräftig. Entschieden.

Das war es, als wir uns kennenlernten: der erste Satz unserer Symphonie. Aber jetzt, da ich ihn heiraten will, sind wir schon fortgeschritten. Schon im vierten Satz, der sehr langsam beginnt, misterioso, durchaus ppp. Auch wenn ich einen Streit mit Zeter und Mordio wie helle Trompeten darüberlege, laufen drunter doch schwere Akkorde oder, wie soll ich sagen, eine Stimmung misterioso so à la:

»O Mensch! Gib acht!

Was spricht die tiefe Mitternacht?«

(Hui hui, hui hui …!)

»Ich schlief, ich schlief –,

Aus tiefem Traum bin ich erwacht: – «

(Hui hui!)

»Die Welt ist tief,

Und tiefer als der Tag gedacht,«

(Hu-u-u-o!)

»Tief ist ihr Weh –,

Lust – tiefer noch als Herzeleid:

Weh spricht: Vergeh!

(Das spreche ich nun auch: Vergeh mein Weh!)

Doch alle Lust will Ewigkeit –, – will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

Und wie soll sie das, die arme Lust, in unserer Endlichkeit denn erreichen?

Indem wir heiraten, denke ich.

Heiraten. Wer ehrlich ist, stimmt dem zu. Alles andere ist Koketterie oder eher noch: Unsicherheit. Ich hasse euch alle, hasse eure Konventionen, hasse die Ehe – so spricht der Selbsthass und die Unsicherheit. Das wirkliche Problem aber ist: Wie den Mann dazu kriegen?

Ihn aufmöbeln mit einem Streit? Ihn in Bewegung bringen und in das schnelle Tempo seiner Gefühle dann verlockende Hormone sprühen? Sich hinwenden und wieder abwenden? Mit ewiger Trennung drohen? Dann ihn mit den Augen schwindlig machen, bis er fragt: »Willst du mich heiraten? Willst du« Ja, ich will etc. pp.

Nach zwei Stunden, an jenem Nachmittag, der mir nun so weit entfernt erscheint, wachte ich auf. Er schlief noch. Ich lag mit ofenen Augen nackt auf dem Bett und starrte die weiße Decke an. Es blieben nur noch zwei Wochen bis zum Saisonende, und sein Job, jeden Montag im Cocoon zu spielen, würde damit beendet sein und er zurück nach London gehen.

Was sollte dann mit mir passieren?

Ich stand auf und zog mir ein weißes knappes Kleid über. Es war heiß und die Sonne warf Flecken auf den Boden. Ich hüpfte nackt von einem Fuß auf dem anderen in die Küche.

Er bat mich nicht, nach London mitzukommen. Von ihm kam gar nichts in dieser Richtung, obgleich London total cool ist, genau mein Pflaster. Ich konnte mir auf keinen Fall vorstellen hierzubleiben. Es war unmöglich, auch nicht nebenan im Gartenhaus, auf seinem Grund. Ihm nah und doch so fern, no. Würde ich hier noch zur Schule gehen, okay, aber ich geh ja nicht mehr.

So hat diese Insel keine Zukunft für mich. Doch was tun?

Ich klemmte mir den Laptop unter den Arm und ging nach draußen in den Schatten der Palmen, Ulya anrufen. Ulya hat immer’nen kühlen Kopf und praktische Ideen. Zwischen all den Partys und Drogen steht sie kerzengerade da: Ich-denke-also-bin-ich. Auch sie hat einen DJ zum Freund. (»Adrian liebt mich, der wird mich nie verlassen.«) Wenn Adrian sie nach London mitnimmt, könnte Hal es auch, meine ich.

»Ich mach mir Sorgen, weil ich nicht weiß, was Hal von mir will«, sagte ich leise, damit er’s nicht hörte.

»Gehst du nicht mit ihm nach London?«

»Solange er mich nicht darum bittet, möchte ich das nicht mal denken.«

»Was für Sorgen machst du dir denn? Wegen der Party heute? «

»In letzter Zeit ist die Stimmung zwischen uns etwas geladen. «

Ich hielt den Hörer eingeklemmt und hämmerte auf die Tasten, damit mein Laptop aus dem Stand-by erwachte, schaute mir die neusten Updates auf der Onlinemagazinseite Resident Advisor an. Ich klickte auf London und sah fünfzig Partys für die nächste Woche. Fünfzig! Nicht zehn, nicht dreißig, sondern fucking fünfzig.

»Gehst du mit Adrian nach London?«, fragte ich sie.

»Sure.«

Da würde sie Partys ohne Ende haben. Da würde sie, statt dem Ausleuchten ihrer Seele, die Probleme machen könnte, ein Blitzlichtgewitter von Gesichtern haben. Außerdem hat sie bereits den Schulabschluss plus auch sonst noch alles.

»Selbst wenn ich mitgehe – soll ich für den Rest meines Lebens auf Partys abhängen und Groupie spielen?«, sprach es schlecht gelaunt aus mir. Ich schickte Groupie ins Google-Fenster und kriegte bei Know-It-All Pedia: »Ihre Lebensaufgabe besteht darin, normalen Menschen durch ihre schrillen und gehörschädigenden Schreie sowie durch ihre Plakate mit Aufschriften wie ›Ich will ein Kind von dir!‹, ›Liebe mich!‹, ›Liebe mich oder ich zünde dein Haustier an!‹ zu Tode zu nerven.«

»Du könntest dir’nen Job suchen. Du musst dich jetzt entscheiden. Mit oder ohne Hal.«

»O shit, Ulya. Ich hab verdammt nochmal damit gerechnet, dass Hal mich nicht einfach so hängenlässt, aber wie es aussieht, habe ich mich geirrt. Gestern hatten wir uns schon in den Haaren, weil ich ihm nicht glaube, dass er mich liebt.«

»Mona, mal ehrlich, er wird sich nie um dich kümmern, wie du es brauchst. Er verreist ständig, und sein Leben findet nachts statt. Entweder besorgst du dir einen Job, der mit seiner Welt zu tun hat, oder du machst dich frei von ihm. Was du nicht tun kannst, ist rumsitzen und warten, bis dir was in den Schoß fällt.«

»Hal fand es riesig, als ich zu Hause auszog! Und jetzt will er mich nicht mit nach London nehmen! Mit mir eine gemeinsame Zukunft will er aber trotzdem, das ist doch das Kranke.«

Plötzlich stand er neben mir. Ich drückte das Gespräch weg. Er grinste und zeigte seine schönen weißen Zähne als Kontrast zum Dreitagebart.

»Ich bin nicht eifersüchtig, aber ich möchte nur mal eines wissen: Dir ist schon klar, dass Ulya verliebt in dich ist?«

Einer seiner Scherze, ihm geht’s gut. Er wacht auf, der Tag strahlt ihn an, seine Laune glänzt mit dem Tag um die Wette, ein kleiner joke vor dem Frühstück.

»Schon Kaffee da?«

»Nein.«

Er küsste mich auf den Hals, und ich saugte Fragrance of God ein. Er hatte schon Zähne geputzt, ich wusste, was jetzt kommen würde. Richtig – er zog mich ins Schlafzimmer zurück, mein Kleid wie einen Handschuh über den Kopf, und tupfte seinen Mund langsam meinen Rücken hinunter.

Ich war nicht in der Stimmung und schob ihn weg.

Doch mit ihm war’s nicht so einfach. Er drückte mich aufs Bett, obgleich ich mich wehrte.

»Danke … danke«, hauchte er kinomäßig.

»Wofür?«

»Keine versteht, den Ton so zu treffen wie du, Süße.«

»Den Ton? Zu welchem Akkord?«, fragte ich so kühl es ging.

»Die Symphonie heißt Liebe, die Ouvertüre widerspenstiges und moderates Cantabile, der erste Akt ›Stoßen Sie zu, Donizetti‹, dann L’Elisir d ’Amore und dann …«

»Ich habe keine Lust, Hal. Es kann nicht immer nach dir gehen.«

Er rollte mit den Augen. Ich hasse es, wenn er das tut. »Was für einen Scheiß hat deine Freundin am Telefon geredet, dass du jetzt so rumnervst?«

Ich stieß seine Hand von meinem Oberschenkel weg. »Meine Freundin heißt Ulya. Und im Gegensatz zu dir, hilft sie mir, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Du bist bald weg, aber was wird dann aus mir? Aus uns?«

»Wir werden gar nichts, sondern wir sind. Und wenn wir jetzt nicht sofort ins Wallen kommen, brauchst du auch nicht über die Zukunft nachzudenken.«

Ich lag unter ihm und konnte nicht weg. »Du setzt mich immer unter Druck! Warum wartest du nie, bis ich Lust habe?«

»Marvellous Mona, ich liebe dich! Also entspann dich.«

»Wenn du mich liebst, dann sei nicht so grob!« Ich brüllte ihm so laut ins Ohr, dass er zur Seite sprang. Schnell rappelte ich mich auf und rannte ins Gartenhäuschen. Dort verbarrikadierte ich mich so lange, bis er mit der Einladung zur großen Mona-Party kam.

Hundert Gäste wollte er laden und fragte mich, wie die Party sein solle, und ich, total naiv, faselte von Heringshäppchen in Dillsoße. Zu Hause in Berlin war das eben immer so, und ich steh auch total drauf. Er lachte und sagte, das macht der Cateringservice von Jimmy’s on the beach, er wolle nur wissen, was für’n Motto. Da fiel mir nur ein: Filmfiguren. Das hatten wir mal an Fasching in der Schule gemacht, alle mussten sich nach einer bekannten Filmrolle verkleiden. Er fand das okay, sogar wunderbar, eine Spitzenidee, und entschied sich sofort, als was er gehen würde. Er würde als Millionär Edward Lewis aus Pretty Woman gehen. Ich fand das total gut getrofen, weil er genau dieses Lächeln hat von Richard Gere. Ich war entzückt, ehrlich. Er lächelte Richard-Gere-mäßig und meinte, für die Frau, die er liebe, könne das aber nicht alles sein, da müsste er sich noch was anderes einfallen lassen; irgendwas, er wisse noch nicht genau was, aber auf jeden Fall wollte er eins draufsetzen. Ich war gespannt, was da noch kommen sollte.

Auf das wirkliche Problem kam ich erst später, nämlich als was ich gehen sollte, und da fiel mir nichts anderes ein als Effi Briest, obwohl mich das erscheinungsmäßig anderthalb Jahrhunderte zurückschmeißen würde, und es hier auf der Insel bestimmt keinen Kostümverleih gab, der so was hatte. Aber Hal meinte: »Kein Problem, besorg ein paar Fotos, dann lassen wir das nähen.«

Ich habe nicht gleich ja gesagt, sondern die Sache erst mit Ulya besprochen. Sie fand den Einfall super und schlug sofort vor, dass sie in denselben Roman schlüpfte, weil es ja ihre Abschlussarbeit war und wir so viel darüber geredet hatten. Daher fand sie es am besten, wenn sie als Effi gehen würde und ich als deren Mutter. Das wollte ich auf keinen Fall, und so ging es eine Weile hin und her. Schließlich hatte Ulya die grandiose Idee mit dem Zwillingslook. Später, als mir klarwurde, dass Hal die ganze Party als Verlobungsparty aufzog, auf der er mir einen Heiratsantrag machen wollte, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob die Idee so gut war, denn schließlich sollte er ja nicht uns beiden den Heiratsantrag machen. Aber dann hab ich mich an Papi erinnert, der für solche Klemmsituationen den einzig richtigen Tipp hatte: Verzicht und Herzensgüte. Klingt komisch, aber irgendwie überzeugte es mich in diesem Moment, und damit war die Sache erledigt. Nun mussten wir nur noch die Schneiderin finden, die uns die Sachen nähte. Und den Film natürlich. Ulya besorgte alle Effi-Filme, und wir entschieden uns für die Fassung von Rainer Werner Fassbinder.

Hinsichtlich der Musik war Hal sofort klar, wie alles ablaufen sollte – Adrian mit seiner alten Chicago-Plattensammlung vorneweg, dann Doktor Heywood Floyd, dann Hank, Liam und am Schluss, um es nochmal hochzureißen, Hal selber. (Wahrscheinlich hatte er ein Mona-Special arrangiert als zusätzliche Sonderüberraschung für mich, von der er gesprochen hatte.)

Nun, da der Tag gekommen ist, glimme ich nicht nur, sondern ich glühe, bin ein einziges Gleißen und Strahlen, so dass alle Sonnenbewohner ihre Fenster öffnen und lachen und sich freuen und jubeln: »Hey, sunny girl, was ist auf der Erde los?!« Ich rufe Ulya nach dem Aufwachen und dem leidenschaftlichen Sex mit Hal sofort an, um mich mit ihr in der Stadt zu verabreden, weil ich noch Strumpfhosen brauche (meine alten haben Löcher). Natürlich müssen wir noch einige andere wichtige Punkte abhaken, nämlich die Frisuren, die Schminke, die Kleidung, die Jungs, die Mädchen, ob trinken oder nicht, ob Drogen oder nicht. Vor der Party will Ulya noch etwas essen, aber ich nicht, ich sehe ihr zu, wie sie ihre Pizza verschlingt (»Wie kannst du jetzt noch an Essen denken!«). Ich rauche ein paar Zigaretten und trinke einen Long Island Icetea.

In meinem Gartenhäuschen hilft Ulya mir, meine Augenbrauen zu zupfen, ich stecke ihr das Haar hoch, und dann ist alles fertig. Die Musik von nebenan und das Gelächter der Gäste, die durch Hals Palmengarten spazieren, klingen immer verlockender.

»Ich geh schon mal rüber«, sagt Ulya.

Da hupt es, und Sarah fährt mit Liam vor. Ich renne hinaus und kassiere die ersten Komplimente.

Liam ist als Vincent Vega verkleidet, Sarah als die schöne Helena aus dem Film Troja, in dem Diane Kruger diese Rolle spielt. Ihr Kostüm ist ein weißes altgriechisches Kleid mit goldenen Bändern, sie trägt das Haar teils geflochten, teils offen.

Immer, wenn ich den beiden begegne, geht mein Herz auf, wir lächeln uns breit an und umarmen uns. Sarah und ich fangen gleich an zu quatschen, sie erzählt mir alles über ihre momentane Arbeit, dass Liam einen Gig in Rom bekommen hat und in zwei Tagen nach Südamerika fliegen muss, der Promoter aber den billigsten Flug gebucht hat (»Wo soll Liam da seine Beine lassen?«) und sie wie eine Beknackte herumtelefonieren musste, um einen anderen Flug auszuhandeln. Das führt wie immer dazu, dass sie tierisch auf die Promoter ablästert, und inzwischen weiß ich schon, dass manche sofort antworten und immer unhöflich sind, andere sehr kooperativ, nur leider zu spät zurückrufen und die wenigsten in time and to the point. Ich interessiere mich immer für ihre Stories, und ihr gefällt es, wenn ich ihr zuhöre.

Liam mag die Idee mit den Zwillings-Effis, und er vergleicht mich eingehend mit Ulya, nur um mich überall anzufassen, so nach dem Motto: »Die Hüften, sind die bei Ulya auch so schlank?«, oder »Hat Ulya eigentlich denselben Brustansatz? « Er macht das sogar mit dem Po, mit den Knien und den Füßen, obgleich ich noch gar keine Schuhe anhabe, aber das stört ihn nicht, im Gegenteil, er hat sofort die Idee, meine Füße zu massieren, tut es auch und faselt dabei grinsend: »Now look, I’ve given a million ladies a million foot massages, and they all meant something. They act like they don’t, but they do, and that’s what’s so fucking cool about them. There’s a sensuous thing going on where you don’t talk about it, but you know it.«

Er spricht es genau wie John Travolta in Pulp Fiction, und ich sage: »Yes, I know«, und wir alle lachen.

Dann kommt Hal, zieht mit Liam eine line Koks und schlägt vor, schon mal rüberzugehen.

Zwischen den Bäumen im Park hängen überall Lichterketten mit meinem Namen – Mona. Süß, total süß. Ich küsse Hal.

Im Haus pendeln die Gäste zwischen Pool, Terrasse und dem Foyer hin und her. Die Mädchen, von denen ich viele nicht kenne, flattern wie Motten zwischen den Stimmen und dem Klirren der Champagnergläser herum. Sie sind alle so aufgeregt, dass es mich schon fast wieder beruhigt. Natürlich bin ich sehr, sehr neugierig, was die anderen anhaben. Ich finde Hank Schneider gut getroffen als Danny Zuko aus Grease (schon wieder Travolta!), und sogar passend zu seinem Date für den Abend, Barry Lyndon, eine ziemlich stämmige Dame in den Fünfzigern mit diesem unglaublich großen Hut über ihrem feisten Grinsen (allein schon die Bänder daran!).

Aber kaum denke ich den kleinen joke, da tritt Sheila als Julia Roberts auf und hängt sich Hal an den Arm. Ich begrüße sie sehr freundlich, frage mich aber doch, ob das irgendwas zu bedeuten hat. Er als Edward Lewis ist der charmante Broker, der Julia Roberts die Welt zu Füßen legt. Ein etwas verwunderlicher Zufall, dass mein Hal und Sheila plötzlich das große Liebespaar in ein und demselben Film sein sollen! Und überhaupt, sie startet als Nutte ins Leben und wird dafür mit allem belohnt, was eine Frau sich wünschen kann! Pretty the woman, okay, aber Sheila hat nicht Julia Roberts Nase!

Ich gehe auch gleich dazwischen und weise Hal daraufhin, dass gerade neue Gäste eingetroffen sind. Wir Mädchen gehen rüber zur Poolbar, holen uns einen Wodka Lemon und beobachten dabei, wie ein paar Frauen ins Wasser springen. Die Musik ist jetzt noch ruhig – House. Adrian hat aus seinen alten Chicago-Platten Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger die besten ausgesucht und legt ganz lässig auf, obgleich ich ihn hinter dem Pult kaum sehen kann, was vielleicht einer seiner Understatement-Scherze ist. Sich kleinmachen passt ja immerhin zu seinem Hobbit-Kostüm aus Herr der Ringe.

Als Nächstes wird Doktor Heywood Floyd spielen. Hal mag ihn als immer relaxten Ami, schätzt aber seine Musik nicht so, denn Floyd arbeitet viel mit electronic funk, mich erinnert es an Popmusik von früher, auf die ich nicht so abfahre.

Die Party findet draußen am beleuchteten Pool statt, wo die decks für den DJ stehen, und jetzt ist bloß noch chillen angesagt, jetzt, jetzt ist jetzt. Eine der besten Anlagen der Welt haucht ihren Sound über den Pool, die Models sitzen bei den DJs und pudern ihre Nasen mit reinem Koks oder dreckigem Speed. Eine Gruppe gut aussehender junger Mädchen aus dem tausendjährigen Reich schmeißt sich Pillen rein, und alle kreischen, als eine von ihnen ein paar von den Pillen in den Pool schnippt, der genauso beleuchtet ist wie die Palmen im Park.

Ein Franzmann, angeblich verkleidet als Gene Kelly, bietet mir Ketamin an, danke, nein, ich lehne ab, habe da nichts Gutes gehört, schon mäßige Überdosen knicken dich um, und es wäre nicht gerade der Riesentrip, wenn du hier am Gartenzaun als vegetable Tieftauchübungen machst, oder? Der Franzmann lacht: »No good to be in the K-hole.«

Hal kommt lächelnd auf mich zu, küsst mich. Hand in Hand (oder hand in hell) gehen wir zu den anderen (this is the moment I have been waiting for so long / O Hal, you are so wonderful, nicht wegen der Lichterketten überall, die meinen Namen formen, nein, wegen deiner Liebe / Mona, I love you forever / O Hal, never split? / No!! How can you think that?). Ich fühle, dies ist die entscheidende Party, die entscheidende, alles entscheidende. Ulya-Liebling, auch du wirst glücklich sein, mein Glück mit mir teilen, wenn Hal mir seine Liebe gesteht und alle unsere Probleme zusammen mit der Sonne versinken. Ja, plötzlich weiß ich, er wird sagen: »Ist doch klar, Mona, du kommst mit nach London. Denkst du, ich gehe ohne dich?«

Ulya kommt uns auf der Freitreppe hinunter zur Poolebene entgegen. Wir nehmen uns in den Arm, herzen uns, und ich raune ihr ins Ohr: »O Ulya, ich bin so glücklich!« Sie lacht und sagt: »Ja, weil dein Name da vor dem dunklen Himmel glüht.«

Sie hat Recht, ich kann es nicht fassen, aber über dem schwarzen bewegungslosen Wasser brennt der Schriftzug We all love Mona, und als ich genauer hinschaue, seh ich die dunklen Schatten am Strand, die das Feuerwerk in Gang bringen. Ich falle Hal um den Hals, küsse ihn wie wild und kreische immer wieder: »Oh Hal, danke, ich liebe dich, du bist der wundervollste Mann der Welt!«

Das ist seine Überraschung, und auch Ulya ist vollkommen glücklich und angefixt und tanzt mit mir auf den obersten Stufen des Pools zu der hypnotisierenden Musik. Die Männer schauen uns zu und klatschen, bis Ulya mir ins Ohr ruft: »Wir wollen uns nicht nass schwitzen«, und wir zur Bar gehen und zwei Wodka Lemon bestellen. Ich nehme ihre rechte Hand und erzähle ihr von meiner Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit Hal. Sie schweigt lächelnd.

»Warum sagst du nichts?«, frage ich nervös (ich habe bereits eine line gezogen).

»Was soll ich sagen? Ein DJ hat immer Zeit für Romanzen und Pläne.«

Es ist Spott. Hohn und Spott. Auch weil ihr Adrian, der schon wieder im Studio verschwunden ist, in letzter Zeit wegen seiner komischen Staubsauger-Projekte kaum Zeit für sie hat. Ihre Beziehung ist ihre Sache, aber meine zu Hal ist intakt, und ich hasse es, wenn sie ihre skeptische Haltung auf Hal und mich projiziert. Ich will ihr zeigen, dass sie Unrecht hat und bin daher wie der Wind bei Hal und ziehe ihn die Treppe hinauf in unser quasi eheliches Schlafzimmer.

Küsse, Küsse hin und her, wir fallen aufs Bett, er gleitet mit seiner Hand über meinen Körper. Aber ich verteidige meinen Slip und halte seine Hand fest. Schaue ihm tief in die Augen.

»So siehst du schön aus«, flüstert er.

»Errate meine Zukunft!«

»Du wirst eine Biene. Aber keine gewöhnliche, sondern eine Königinbiene.« Er lacht. Er ist high. Wahrscheinlich hat er schon Koks und Pillen intus. Und überhaupt, was soll die Scheißbemerkung? Vielleicht denkt er, ich versprühe überall die sogenannte Königinnensubstanz, diese Pheromone, die die anderen Weibchen in ihrer Geschlechtlichkeit hemmen. Gute Idee, das sollte ich tun!

In meiner Erinnerung hört sich sein Lachen an wie das von Ulya. Lacht er wirklich wie sie? Ist das etwa der gleiche Hohn? Ich ahne, dass Ulya vielleicht Recht hat, und schon bin ich nervös. Ich springe auf und schreie ihn an: »Will das heißen, dass die ganze Party hier nur dem Zweck dient, mich glücklich zu halten, wie die Nutte in dem Film, und du spielst den großartigen Edward Lewis, der die Straßenhure jederzeit abschieben kann? Wenn dem so ist, dann sag mir das jetzt, damit ich wenigstens einen Teil meines Lebens noch rette!« Schon nah am Heulen.

»Du denkst zu viel über die Dinge nach! Was kann ich dafür, dass deine Eltern keinen Bock mehr auf dich haben? Ich bin für dich nicht verantwortlich.«

»Scheiß auf deine Verantwortlichkeit, ich dachte, du liebst mich!« Nun geht’s richtig los mit den Tränen.

Er nimmt mich in den Arm und streichelt mich, während er mit der anderen Hand drei Pillen aus der Hosentasche holt, rot, grün, gelb. »Ich liebe dich.« Er raunt es, und wir küssen uns. Und ich denke, wenn wir schon so lange zusammen sind, können wir doch auch heiraten und bitte ihn mit den Augen, er soll mich doch mal fragen, ja, und dann fragt er, ob ich will: »Ja, sag ja, meine Wasserpflanze …« (So nennt er mich, wenn ich weine), und ich lege ihm die Arme um den Hals und ziehe ihn zu mir herunter, so dass er meine Brüste fühlen kann, wie sie duften, und das Herz geht ihm wie verrückt, und mir auch, und ich sage: »Ja, ja, ich will. Ja.«

Aber der Arsch hat es auf die drei Pillen bezogen – rot, grün, gelb, diese deep dive, wie Muerte sie überall propagiert, nämlich ob ich die will, und ich habe den Doppelsinn in meinem Eheglückstaumel mitgespielt, ich dummes Huhn, habe mich vorgebeugt und diese bunten Dinger mit den Lippen genommen wie ein Pferd, dem man drei Stück Zucker auf der flachen Hand hinhält, und nach zwei Minuten bin ich in totaler Finsternis versunken. Schlupp.

2. Kapitel

Als mein Bewusstsein wieder anspringt und ich was sehe, weiß ich nicht, ob ich in meine Träume hinein erwache, in meine Erinnerungen, oder ob ich ein Abbild meiner präsenten Umgebung im Spiegel erblicke: Ich stecke in einem langen Nachthemd, das mir meine Mutter Hannah einmal zu Weihnachten geschenkt hat. Ich husche am Spiegel vorbei, von der Toilette kommend, schleiche ich mich auf Zehenspitzen in mein Bett, ziehe die Decke hoch und tue, als schliefe ich. Nun erinnere ich mich auch wieder – ich wollte, dass Mami mich mit drei Küssen weckt, einen auf die Stirn, einen links und einen rechts. Links und rechts – dazu musste sie mein Gesicht in beide Hände nehmen und den Kopf wenden, wenn ich auf der Seite lag. Das war das Zeichen zum Erwachen. So war das Spiel.

Jetzt aber läuft die Chose gar nicht so, jetzt bleibt sie in der Tür stehen und sagt schroff: »Steh auf, oder hast du den Termin bei Gericht vergessen? Tee steht in der Küche, ich muss jetzt zum Arzt.« Die Tür fällt ins Schloss. Ich sehe mir dabei zu, wie ich aufstehe, in der Küche Tee schlürfe, mich dusche und mir hastig ein Handtuch umlege, als es klingelt. Ich sause zur Tür, öffne, und da steht Papi vor mir. »Ich beeil mich!«, rufe ich ihm zu.

Ich sehe dies alles wie einen Film, mit mir in der Hauptrolle. Manchmal werden die Sequenzen unscharf, manchmal gibt’s Sprünge, manchmal fühle ich nichts, sondern sehe nur starre Bilder. Den Gerichtstag aber gab es. An ihm erwachte ich mit einer angenehmen Heiterkeit und hatte sofort mein Logo vor Augen – MGM. (Mona glimmt morgens. Ich hatte es mal im Zeichenunterricht erfunden.) Die Sonnenstrahlen über dem Glimmen wurden stärker (= Freude), weil ich nicht zur Schule musste.

Der Grund dafür fiel mir erst wieder ein, als Papi vor mir stand und irgendetwas von »spät« sagte. Erst da fiel mir wieder ein, dass der Familienrichter das Sorgerecht für mich von Mami auf Papi übertragen sollte oder wollte, keine Ahnung.

Der Familienrichter war das, was man sich unter einem Beamten vorstellt, den man schon am nächsten Tag wieder vergessen hat. Sein Anzug war düster wie das ganze Gebäude mit den breiten Treppen, langen Linoleumgängen und hohen gebeizten Türen, an denen Saal eins, Saal zwei und so weiter stand. Der Richter war ziemlich verärgert, dass Mami es nicht für nötig gehalten hatte, auch zu erscheinen, und versuchte mühsam, sich ein Bild von meiner Situation zu machen. Damals wusste ich das nicht, aber Papi erklärte mir hinterher, dass das seine Pflicht war, denn er könne das Sorgerecht nur übertragen, wenn er davon überzeugt sei, dass es dem Wohle des Kindes diene.

Mit detektivischer Schnüffelnase fragte er sich also bei mir und Papi in die Familienverhältnisse hinein, wobei rauskam, dass Mami die Schlampe der Freiheit war, die es nicht einmal für nötig hielt, sich für ihr Fehlen zu entschuldigen, und Papi der Garant für Ordnung und Fortkommen. Darin stimmten sie beide überein, der trübe, schlecht gelaunte Richter und Papi, und auch darin, was das Fortkommen behindere oder ganz unmöglich mache: Drogen, Sex, Alkohol, Zigaretten, Schule schwänzen, faul sein. Frech sein gehörte nur zu Papis Jugendzeiten zu den No-gos, erklärte er mir hinterher, denn mit der Freiheit und dem Kaugummi, das die Amerikaner gebracht hatten, sei damit Schluss gewesen. Das ist schon ziemlich lange her, denn Papi ist siebzig oder zwei, drei Jährchen davor oder danach und kann sich gar nicht mehr so flott bewegen, wie es zu einem frechen Charakter gehört. Frech und flott gehören zusammen, meint er.

Auf dem Trip nach meinem Pillen-Blackout ist das alles nicht so deutlich. Vieles verschwindet hinter Schlieren und Schlamperei (filmisch gesprochen), aber einige Dinge stechen so heraus, dass ich sie behalten werde. Einiges ist allerdings anders und wird sich, so hoffe ich, erst nach meinem Drogenschock wieder zurechtrücken, wenn ich wieder gesund bin. Dies zum Beispiel, das war nämlich so abgelaufen: An dem Tag, als ich von Mami auf Papi übertragen wurde, machte Mami mir morgens Müsli, und ich ging gleich zur Schule. Um zehn musste ich den Unterricht verlassen und zum Amtsgericht fahren. Papi wartete oben an der U-Bahn-Treppe auf mich. Er wollte nicht zu uns nach Hause kommen, konnte also gar nicht bei uns an der Tür geklingelt haben.

Auf dem Weg zum Gericht fragte er mich, ob ich wisse, was da jetzt passieren solle. Ich wusste nur die Sache mit dem Eigentum, weil das schon in den Vorgesprächen immer sein Ausdruck gewesen war. (»Deine Mutter will dich zwar nicht mehr, aber die Frage ist, ob sie auch das Eigentum an dir abtreten will.«) Ich erklärte ihm, dass Mami das Eigentum an mir auf ihn übertragen wolle. »Das reicht, wenn du das dem Richter sagst«, sagte er.

Er legte seinen Arm um meine Schulter und wegen der kleineren Schritte, die ich machte, gingen wir humpelig nebeneinanderher.

»Willst du ins Internat oder auf Ibiza zur Schule gehen?«

»Welches Internat?«

»In Irland oder England. Es gibt eine Beraterin, die kennt sich da aus und die habe ich schon gesprochen.«

»Ich komme nach Ibiza. Mit dir.« Das war mir schon vorher klar, denn er hatte mir erklärt, dass auf einem Internat alles genauso enden könnte wie jetzt auf meiner Schule, also im Desaster. Außerdem vertraute ich ihm und mochte ihn.

»Ibiza … Du weißt, was das bedeutet?«, sagte er.

Ich war schon ein paarmal in den Ferien dort gewesen und wusste, dass ich nicht auf Partys durfte, dass ich immer auf dem Dach sitzen und meditieren musste, dass es kein Fernsehen gab, nur die Nachrichten, und dass in der Küche nur ein Sender mit Songs aus den Achtzigern lief. Aber was sollte ich machen? Die Schule wollte mich nicht mehr, und meine Mutter hatte die Faxen dicke. Meine letzte Chance war es, mich wirklich anzustrengen und – wie Papi sagte – die Basics für den Freelancer zu lernen. Mit Freelancer meinte er den Freiberufler. Das hatte er mir schon mit acht eingebläut. »Ohne die Basics für den Freelancer kannst du es vergessen«, sagte er immer. »Du musst die Grundlagen draufhaben, sonst wird das nichts. Dann kannst du nicht einmal studieren und irrst wie blind durch die Uni-Hallen.«

Blind, ohne meine kleinen Kucker, nein, das wollte ich nicht, eher also Freelancer. Außerdem gefiel mir Freelancer, das To be free, das ich aus etlichen Songs kannte. Freisein. Papi redete, seit ich mich erinnern kann, immer davon, dass wir unabhängig werden sollten.

Als wir das alte Gerichtsgebäude mit den dicken Wänden betraten, zeigte er auf einen Fahrstuhl. »Das ist ein Paternoster«, erklärte er, legte seine Hand in meinen Nacken und steuerte mit mir auf die breite Treppe zu.

»Warum nicht mit dem Fahrstuhl?«, fragte ich.

»Wir haben noch Zeit. Die können wir für ein bisschen Muskeltraining nutzen.«

Drei Stockwerke stiefelten wir hinauf. Dann gingen wir einen sehr langen Gang entlang, wo ich gerne Anlauf genommen hätte, um auf dem gebohnerten Linoleum zu schlittern, aber alles klebte mir am Körper – seine Hand, meine Haare, sogar meine Lederjacke.

Eine halbe Stunde lang saßen wir vor Saal 337. Vielleicht hatte ich wieder Flöhe, weil es überall juckte (hatte ich schon mal mit zehn; da hat Mami mir eine Glatze scheren lassen und seitdem habe ich einen Hau weg). Ich scheuerte und kratzte, aber der Juckreiz ging nicht weg. Die Tür schob sich auf, eine kleine Frau streckte den Kopf heraus und rief: »De Boer!«

Papi stand auf, ging vor, ließ mich aber als Erste durch die angelehnte Tür eintreten. An einem großen Tisch mit vielen Stühlen stand am Kopfende ein Mann, der uns heranwinkte und rief: »Wir setzen uns hierher.«

»Der Richter«, tuschelte Papi.

Ich setzte mich links von ihm, Papi rechts. Durch den großen Tisch waren wir beide ziemlich weit auseinander. Die Frau, die uns hereingerufen hatte, war verschwunden.

Der Richter stellte sich vor und erklärte, dass er sich jetzt ein Bild machen müsse von der familiären Situation. Als niemand etwas sagte, fragte er: »Sollen wir noch warten, bis Frau Hannah Rosenberg kommt?«

»Keine Ahnung«, sagte mein Vater.

»Ich weiß nicht«, sagte ich auch schnell.

Der Richter schaute mich über seinen Brillenrand an. Dieser Blick machte mich irgendwie einsam. Ich verstand nicht, warum er mich so lange ansah. Außerdem konnte ich auch nicht denken, wenn mich einer so ansah.

»Wo ist deine Mutter?«

Ich konnte es ihm nicht sagen, weil ich nicht wusste, ob sie noch beim Arzt war oder schon wieder zu Hause.

»Dann fangen wir schon mal an«, sagte er.

Der Richter schlug die Akte auf und blätterte ein bisschen darin herum. »Es ist von deiner Mutter der Antrag gestellt worden, dass das Sorgerecht, das ganz allein bei ihr liegt, auf deinen Vater übertragen wird. Weißt du, warum deine Mutter das will?«

»Nein.« Natürlich wusste ich von Mami, dass sie mit den Nerven am Ende war, und sie sagte oft, dass sie es nicht leicht mit mir habe, besonders bei fünf Tagestouren pro Woche als Flugbegleiterin. »Wie soll ich darauf achten, ob du zu Hause lernst oder dich mit deinen Freunden im Park rumtreibst?«, sagte sie mehr als einmal.

»Hat deine Mutter sich über dich geärgert?«

Ich überlegte einen Moment und schüttelte den Kopf. Ich schätze, einmal die Woche ärgerte sie sich über mich.

»Warum will sie dich dann nicht mehr?«

Plötzlich wurde mir zum ersten Mal bewusst, warum ich hier saß: Mami wollte mich nicht mehr. Mir wurde heiß auf den Schultern und am Hals, und ich schämte mich, dass meine eigene Mutter mich nicht mehr wollte.

»Ihre Mutter will sie nicht mehr«, sagte Papi, und mir war, als würden die Worte ihre Liebe aus meinem Herzen reißen.

»Ging der Wunsch, zu deinem Vater zu wechseln, von dir aus?«, fragte der Richter.

»Nein.«

»Sondern?«

»Mami hat meinem Vater gemailt, dass sie über die Kinder sprechen müssen.«

»Und dann?«

»Haben sie darüber gesprochen.«

»Du hast noch einen Bruder.« Dabei schaute er in die Akte und blätterte wieder herum.

»Ja, Justin.«

»Der hat hier auf der Schule Abitur gemacht und ist dann zu mir nach Ibiza gekommen«, sagte Papi.

»Hat es dir bei deiner Mutter denn gefallen?«, wandte sich der Richter wieder an mich.

»Ja.«

»Gab es denn Streit zwischen deiner Mutter und dir?«

»Nein.« Ich wusste nicht genau, weshalb ich ihm nicht sagen konnte, was passiert war (was war überhaupt passiert?). Aber auch wenn nichts passiert war – es fühlte sich wie ein Familiengeheimnis an.

»War sie denn mit deinen schulischen Leistungen nicht zufrieden? «

»Doch, doch.«

»Also du wüsstest überhaupt keinen Grund, warum sich an deiner Situation hier in Berlin irgendetwas ändern sollte?«

»Nein.« Die Lehrer waren gehässig zu mir, aber Papi hatte ihnen erklärt, dass ich eigentlich ein ziemlich liebenswerter, gutwilliger und kooperativer Mensch bin.

Der Richter meckerte wieder über Mami, weil sie nicht erschien, sah verdrossen zur Uhr und beschwerte sich bei Papi: »Aber irgendeinen Grund muss Ihre Lebensgefährtin doch haben, dass sie das Sorgerecht auf Sie übertragen möchte?«

»Sie war sehr jung, als sie unser erstes Kind, Justin, bekam, es war ein halbes Jahr vor ihrem Abitur, und daher hat sie ihre Jugend nicht so richtig erlebt, meint sie jedenfalls. Und jetzt möchte sie auch einmal endlich jung sein, ehe es zu spät ist.« Er lächelte.

Der Richter zog die Augenbrauen hoch. »Hat sie Ihnen das gesagt?«

»Ja.«

Papi wusste ganz genau, dass sie bei einem Psychokurs in den USA einen Typen kennengelernt hatte, mit dem sie außer ihren Gefühlen auch noch anderes ausgetauscht hatte. Das wusste jeder in der Familie, weil es nach ihrer Rückkehr aus den USA mit ihrem Mann einen großen Krach gegeben hatte, der mit ihrem Schrei »Ich lass mich scheiden!« endete. Ein Seitensprung war auch darin vorgekommen. Justin und mir war in der kleinen Wohnung kein Wort entgangen, wenn auch mein Bruder die Klappe gehalten hatte. Aber ich bin für Offenheit, was Omi mir beigebracht hat, und ließ es gleich Papi und Omi wissen. Sie ist auch offen, jedenfalls nach dem fünften oder sechsten Schnaps, und in diesem Fall hatte sie mich beim neunten für meine Offenheit sogar ziemlich gelobt. »Dem Richter braucht man das aber nicht auf die Nase zu binden«, hatte sie gesagt, als ich sie anrief und ihr von dieser Gerichtssache erzählte.

Ich habe mich dran gehalten und dem Richter nichts weiter verklickert. Er konnte ungestört weiterschnüffeln, bis er schließlich etwas muffig knurrte, für mein Wohl und Gedeih wäre es wohl am besten, wenn ich zu meinem Vater käme, zumal er den Eindruck gewonnen habe, dass in diesem Fall der Vater mehr Verständnis und Sorge für das Kind aufbringe als die Mutter. Diese habe es ja vielleicht doch an Aufmerksamkeit und Nachhaltigkeit in der Erziehung fehlen lassen und es nicht einmal für nötig gehalten, heute hier zu erscheinen, wo so eine grundlegende Entscheidung über das Wohl ihres Kindes anstehe.

»Bist du damit einverstanden«, fragte er mich zum Schluss, »dass du zu deinem Vater gehst, dort in Ibiza auch die Schule besuchst und im Haushalt mit der Lebensgefährtin deines Vaters, Anna …«, er stutzte und warf einen Blick in die Akte, fand die Stelle jedoch nicht gleich. »Anna ist doch die Mutter …«

»Hannah.«

»Ah ja, Hannah … Wie heißt denn nun …?«

»Anna«, kam ihm Papi zu Hilfe. »Anna Keilheim.«

Der Richter war etwas verwirrt, war er doch auch in dem Alter wie Papi, in dem man die Anfangsbuchstaben nicht mehr so klar unterscheiden kann, a und ha machen da keinen großen Unterschied. Er sah von der Akte auf und sagte: »Mona de Boer …«

»Ja, das bin ich«, sagte ich feierlich und kam mir vor wie ein Zeuge bei der Vereidigung vor dem Fernsehgericht.

»Hast du auch die Konsequenzen verstanden, wie sie dir hier heute erklärt worden sind?«

»Ja.«

Er nickte und lächelte zum ersten Mal. Dann klappte er die Akte zu, erhob sich, um uns die Hand zu geben und mir alles Gute für mein weiteres Leben zu wünschen.

Auf dem Nachhauseweg stellte ich mir vor, wie das Leben sein würde ohne meine Mutter. Ich war erleichtert bei dem Gedanken, sie nie wieder meckern zu hören. »Immer wenn ich nach Hause komme, sieht die Bude wie ein Saustall aus. Ihr macht mich fertig!« So in etwa liefen ihre Texte, tagein, tagaus. Und mein Ins-Zimmer-Rennen und Tür-Knallen, um ihr eins vor die Nase zu hauen, half da auch nicht mehr. Irgendwann spürte ich, wie negativ die Atmo zu Hause wurde, und dass ich einen großen Anteil daran hatte. So war der Umzug zu meinem Vater eine angenehme Flucht aus diesem Engpass.

Dennoch wuchs eine unangenehme Leere in meinem Bauch. Ein schneller werdendes Herzklopfen, das sich schließlich als Trauer outete. Es kamen Bilder, wie ich nachmittags in der Küche mit Mami Lakritzen kaute und sie Kaffee kochte; ihr liebevoller Blick, wenn ich eine meiner Geschichten und Streitereien aus der Schule erzählte und von ihr keine Kritik, sondern nur ein sanftes »Hmhhh« kam. Natürlich wusste ich, dass sie erschöpft war, wenn sie von einer ihrer langen Flugtouren kam, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Und plötzlich vermisste ich sie. Nach dem Gerichtstermin ging ich wieder nach Hause, und dort spürte ich nur Leere. Ich war wütend und weinte. Dann rief ich meine beste Freundin Jeka an. Ihre sanfte Art war Balsam für meine Sorgen.

»Willst du jetzt doch nicht nach Ibiza?«, fragte sie. Ihre Hingabe brachte stets hohe Telefonrechnungen mit sich, was immer ein großer Streitpunkt mit Mami gewesen war.

»Doch, natürlich will ich. Aber ich spüre, dass ich meine Mutter damit enttäusche.«

Pause. Ich stellte mir ihr Gesicht vor. Ich stellte mir vor, wie sie ihre Stirn anspannte, was sie immer tat, wenn sie nachdachte. »Ja, sicher ist sie enttäuscht, viele Dinge im Leben enttäuschen, aber jetzt hast du dich entschieden und musst weiterdenken. Wie kannst du sie in Zukunft liebevoll behandeln?«

Dieser Gedanke tröstete mich. Es fühlte sich so an, als würde ein Teil der Bürde von meinen Schultern genommen.

3. Kapitel

Auf Ibiza wartete Papi am Flughafen. Zur Begrüßung fielen wir uns in die Arme. Während er mich festhielt und mir den Rücken streichelte, schaute ich suchend über seine Schulter.

»Wo ist die Mühle?«, fragte ich.

»Haben sie abgetragen«, knurrte er. »Das letzte Wahrzeichen eines ländlich verträumten Ibiza.«

Der Anblick der Mühle war stets der Beginn der Ferien gewesen, die ich hier verbrachte. »Es hat sich einiges verändert«, sagte ich.

»Kann man wohl sagen. Inzwischen gibt es eine Autobahn, an der eine Reklametafel neben der anderen steht, die Partys in megagroßen Schriftzügen ankündigen und irgendwelche Typen Techno-Musik auf die mit Drogen vollgepumpten Massen einpeitschen.«

»Welche Typen?«

»DJs. Früher hießen sie Rattenfänger von Hameln.«

Wie geheimnisvoll. Bisher war ich immer zu jung gewesen, um auf derartige Partys zu gehen, aber jetzt …?

Papis und Annas Haus lag in den Hügeln über dem Ort Jesus, und jedes Mal, wenn ich an das Haus dachte, musste ich auch an den armen Jesus denken, der nicht nur die Hügel und sein Kreuz tragen, sondern auch noch das Haus hinaufbuckeln musste. Zur Belohnung aber hatte Jesus eine sehr schöne alte und immer weiße Kirche bekommen, die Papi schon gefallen