Ich will! - Johanna Driest - E-Book

Ich will! E-Book

Johanna Driest

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Beschreibung

God is a DJ
… and life is a dancefloor


Es sind Sommerferien und eigentlich müsste sich Mona von morgens bis abends bestens amüsieren. Stattdessen ist Trübsal Blasen angesagt: Ihre Mutter ist allein mit ihrem Freund im Urlaub, die beste Freundin Jeka weilt auf einem Pferdehof und Bruder Justin blockiert ständig das Bad. Als die Laune auf dem Tiefpunkt angelangt ist, steht plötzlich die coole, junge Tante Alexa vor der Tür und sorgt mit ihrem chaotischen Liebesleben für Aufregung.

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Seitenzahl: 342

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Inhaltsverzeichnis
 
Die Autorin
Lieferbare Titel
Widmung
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
 
Copyright
Das Buch
Die Fortsetzung des frechen jungen Debüts Crazy for Love von Deutschlands jüngster Autorin.
Trotz Sommerferien will bei Mona keine rechte Stimmung aufkommen. Sie ist allein mit Bruder Justin in Hamburg, die Freunde alle verreist, Mutter und Freund Manni ebenfalls im Urlaub. Und dann drohen auch noch langweilige zwei Wochen bei Papi auf Ibiza: Meditieren, Lesen, Schreiben. Doch da steht überraschend Monas Tante Alexa vor der Tür, die jüngere und Skandal geschüttelte Schwester ihrer Mutter, über die in der Familie seit Jahren niemand spricht. Alexa hat Liebeskummer, und natürlich findet Mona, dass man sich in solchen Krisenzeiten um die Familie kümmern muss – ganz uneigennützig, versteht sich. Also lädt sie sich selbst und Justin bei Alexa in München ein. Kaum dort angekommen, geht’s auch schon rasant ab: Mona verliebt sich, Justin auch und Alexa kann ihren Bräutigam nicht finden. Nichte und Neffe sind um gute Ratschläge nie verlegen und Alexa fragt sich, ob es nicht doch Vorteile hat, von seiner Familie ignoriert zu werden.
»Der frechste Roman des Sommers« urteilte BILD über Crazy for Love
Die Autorin
Johanna Driest ist die Tochter von Burkhard Driest. Sie lebt bei ihrem Vater auf Ibiza. Nach ihrem von Presse und Publikum gleichermaßen gefeierten Erstling Crazy for Love liegt nun ihr zweiter Roman im Heyne Verlag vor.
Lieferbare Titel
Crazy for love
Für Meike
1
Ich musste irgendetwas Katastrophales tun. Zwar hatte ich mir geschworen, bis zum Ende meiner Schulzeit unschuldig zu bleiben.
Doch ich steckte schon jetzt in der totalen Krise, und es waren noch drei Jahre bis dahin. Meine Wut war so groß, dass ich beschloss, den Schwur zu brechen.
Zuerst einmal heulte ich einen ganzen Abend. Grundtonart: Bin ich ewig eine Gefangene? Dominante: Nur weil ich jung bin? Subdominante: Wieso tu ich mir das an? Bläsersatz: Warum nicht poppen, bis die Heide wackelt?
Werde bloß nicht schwanger!, war der tägliche Gebetsruf meiner Mutter. Dabei war ich erst fünfzehn. Außerdem war ich noch unschuldig. Wieso also behandelte sie mich wie eine rollige Katze? Aber gut, mama mia, schluchzte ich (im Falsett), damit sehe ich auch deinen Schwachpunkt: meine Unschuld (im Sopran).
 
Mama war schuld an meinem jämmerlichen Zustand. Sie hatte die letzten Wochen vor den Sommerferien gewusst, dass ich nicht zu Papa, sondern zusammen mit meinen besten Freundinnen verreisen wollte. Sie hatte nicht ausdrücklich zugestimmt, sondern es ständig in der Schwebe gelassen, so dass ich annehmen musste, es wäre okay. Natürlich hätte ich sie zu einer Entscheidung drängen können, aber das wäre dann ein willkommener Anlass gewesen, meinen Wunsch abzuschlagen. (»Wenn du so drängelst, dann sage ich gleich nein.«) Die Zeit lief ab. Wie sollte ich denn noch einen Platz auf dem Reiterhof buchen?
Schließlich hatten wir den ersten Ferientag. Ich wartete total genervt ab, dass sie vom Dienst nach Hause käme, und als sie endlich da war, ließ sie mich gar nicht zu Worte kommen, sondern rastete aus, weil Küche und Bad so ein Saustall seien. Und dann kam ihr Nein: »Du räumst sofort auf! Und was die Ferien anbetrifft – ihr fahrt zu eurem Vater, Punkt und Ende!«
Wie kann man normal in einer Familie aufwachsen, die jeden Spaß im Ansatz erstickt? Und sogar das große Sommerferienglück nicht auslässt. In Deutsch hatten wir das diskutiert und die einhellige Meinung war, Ferien seien einfach ein anderer Ausdruck für Glück, Freiheit und Spaß.
Mein Schicksal war einmalig, denn alle anderen aus meiner Klasse verreisten. Jeka fuhr auf den Reiterhof in der Nähe von München, wohin ich mitwollte.
Ich hätte sogar noch die Einladung meiner Tante Alexa nach München angenommen, aber auch das hatte Mama verboten. Obwohl Alexa ihre Schwester ist und kein Teenie, der immer nur Party machen will, sondern Lehrerin für Französisch und Geschichte.
Während die anderen an die See fuhren, in die Berge oder in die Heide, wo sie zu geilen Open-Air-Sessions wanderten, sollten wir zu Hause hocken und Wohnung putzen üben. Mamas Denkmal aus Sauberkeit und Ordnung. Ich fühlte mich wie eine Gefangene in unserer winzigen Dreizimmerwohnung für vier Leute, ohne Garagenplatz.
Mama hatte ihren extremsten Charaktereinbruch, den ich bislang an ihr erlebt hatte. Sie killte die Ferien!
»In der Zeit bis zu eurer Abreise nach Ibiza könnt ihr euch mal dran gewöhnen, Ordnung zu halten«, waren ihre letzten Worte beim Abschied vor zwei Tagen gewesen. Dann war sie mit Manni in den Urlaub verschwunden.
»Die Sauberkeit der Wohnung und die Sauberkeit der Moral sind ihre beiden Themen«, erklärte ich meinem Bruder, als wir dem Taxi hinterherwinkten.
Er machte seinen typischen Justin-Sound, eine Mischung aus Kreischen und Lachen: »Moral und Sauberkeit, na klar.«
Wir hörten auf zu winken und gingen ins Haus.
»Jeden Tag nervt sie, dass ich nicht schwanger werden soll.« Justin trat gegen die Wohnungstür, die aufflog. »Was hat das mit Moral zu tun? Sie will nicht den Schlamassel.«
Okay, noch eine Kränkung. Es ging ihr bestimmt nicht um mich, sondern um die Unordnung, die meine Schwangerschaft in ihr Leben bringen würde. Seitdem hörte ich ihr tägliches Werdbloß-nicht-schwanger! nicht als Gebets-, sondern als Schlachtruf.
Was die Ferien anbetraf, war Justin genau so abgetörnt wie ich. Er hatte auch wegwollen. »Ich will, dass alles tipptopp ist, wenn wir zurückkommen!«, blökte er tagelang ihren Bannfluch durch die Wohnung.
Natürlich rührte er keinen Finger. Also machte ich auch nicht sauber. Musik dröhnte den ganzen Tag durch die Wohnung, Hiphop, der Justin den Verstand raubte, und ich brüllte das heiße Sommerlied von Pink dagegen an. »God is a DJ, life is a dance floor. Love is the rhythm. You are the music.«
So vergingen die letzten Tage, und bald erlaubten Chaos und Müll nicht mehr, dass ich tanzte. Ich tanze, seit ich vier Jahre bin. Tanzen ist für mich Ich tue, was ich will. Eine Antwort auf die Welt, die mich nicht versteht. Überall schmutzige Wäsche, Decken, Kissen, leere Plastikflaschen, Konservendosen, mit denen Justin Fußball spielte, dreckige Teller, Spiele, Justins Fußbälle, Bücher und CDs, sogar ein umgekipptes Regal bedeckten den Boden und füllten die Wohnung. Ich konnte nur über Berge von Mamas und Mannis Klamotten, die aus ihrem Kleiderschrank quollen, durch mein Zimmer. (Ihr Kleiderschrank steht in meinem Zimmer! Der quallige Manni kommt rein, wechselt sein Hemd, grinst und lässt seinen Geruch zurück. Danke schön auch, da kann ich super weiter Schularbeiten machen. Soviel zum Thema Moral und Grenzen respektieren. Oder: Ich rufe »Mami!«, und es kommt Manni und fragt, ob er mir helfen kann. Auch eine missglückte Grenzziehung. Deswegen heißt sie bei mir Mama, seit es Manni bei uns gibt.)
Nachdem sie nach Fuerte abgereist waren, dachten wir, wir könnten jetzt Party machen. Aber sie hatten uns kein Geld dagelassen. Wir durften zwar beim Supermarkt an der Ecke anschreiben lassen, doch nur die Sachen, die sie vorher mit dem Verkäufer abgesprochen hatte, und das waren: Milch, Schwarzbrot, Äpfel, Birnen, Karotten, Quark und Flora, Tiefkühlpizza, Nudeln und ein Magnum pro Woche.
Meine Laune wurde von Tag zu Tag schlechter. Als Jeka mich vom Reiterhof aus anrief und ich ihr erzählte, dass ich versuchte, mich in den Schlaf zu flüchten, meinte sie, man sollte die Energie nicht aus dem Schlaf, sondern aus dem Essen ziehen. Dann werde man zwar fett wie Presswurst, aber wach wie ein durch den Käfig tobender Rhesusaffe.
War schwer, ihrem Rat zu folgen, denn der Kühlschrank war noch leerer als sonst. Und wenn was da war, fraß mein Bruder es blitzschnell auf. Mama sagt immer, er brauche das, weil er auf eine unglaubliche Länge hochgeschossen ist. Mögen die anderen die Bratwürstchenfresser dieser Welt verachten, ich beneide sie.
Der einzige Freund, den ich jetzt in den Ferien noch aufsuchen konnte, war leider nicht der Würstchenbudenbesitzer an der S-Bahn, sondern der alte Türke vom Kiosk an der Ecke. Arkan kannte ich aber noch nicht so gut, dass er mir etwas auf langfristigen Kredit verkauft hätte. Ich klagte ihm mein Leid.
»Nichts lässt Gott, wie es ist«, sagte er.
»Du meinst, es wird noch schlimmer?«
»Deine Gefühle spazieren wie die alten Frauen auf dem Dorfplatz herum. Mal schimpft die Eine, mal lacht die Andere, mal weint die Dritte, das wird immer so bleiben. Aber Gott lässt immer neue Gestalten auftreten, um die Frauen in Versuchung zu führen. Also achte auf die Zeichen und achte auf deine Gefühle.«
Er redet nur, dachte ich, aber zwei Tage später ergab sich, dass er Recht hatte. Es war der Tag, der die große Wende brachte, der Tag, an dem nichts so blieb, wie es war.
 
Um eins rief Jeka an und ich erzählte ihr, dass wir am Abend zuvor in der Glotze O. C. California gesehen und danach Smirnoff und Caipirinha getrunken hatten. Justin hatte die im Edeka-Laden geklaut. Jeka hatte auch O. C. California gesehen, und wir diskutierten eine Weile die Probleme der Kids aus dem Film. Jeka wollte wissen, ob der Smirnoff geknallt hatte, und ich sagte ihr, dass ich mehr auf Caipirinha stehe, aber nach drei Stunden war mir schwindlig geworden, ich hatte in die Kloschüssel gekotzt und war über Mamas Klamotten gestolpert, als ich ins Bett wollte. Da war ich gleich liegen geblieben und kurz nach Mitternacht aufgewacht, weil es verdammt heiß war und mein Gesicht auf irgendetwas Rauem lag. Es war Mamas Sommerhut. »Der sah morgens aus wie ein Kinderwagenrad. Weil er sich nicht mehr hinbeulen ließ, hab ich ihn in den Müll gestopft. Um zehn haben Justin und ich gefrühstückt, aber nur eine Mohrrübe, und um eins hast du dann angerufen.« Kurz vor drei musste Jeka wieder zum Reitkurs, ich duschte, und um vier war ich ausgehfertig. Natürlich gab es nichts zum Ausgehen. Zum Glück rief Sofie aus Sylt an, und wir quatschten eine Stunde lang (wir gingen noch mal die ganze Geschichte mit Dennis durch, wie groß meine Hingabe damals war und wie sehr er meine Liebe für seine Zwecke missbraucht hatte). Um fünf hätte ich aufhören sollen, weil Justin Papa in Ibiza anrufen sollte. Diese Zeit war ausgemacht, um ihm zu sagen, dass alles okay wäre und wir am nächsten Tag nach Ibiza fliegen würden. Ich hätte das vergessen, wenn Sofie nicht gesagt hätte, sie müsse jetzt aufhören, es sei schon halb sechs. Ich sagte okay und drückte weg.
Ich rief Justin, aber mein genialer Bruder hing seit Sofies Anruf auf dem Klo und spielte Gameboy. (Er sagt immer, Spielen und sich auf alles Ausscheißen ist das Superding im Leben.) Ich stieg über Trümmer, das heißt die Scherben von Mamas Salatschüssel, die sie von Manni zu ihrer Scheinhochzeit bekommen hatte, und Justins offenen Koffer. Dann hämmerte ich gegen die Klotür und brüllte, dass ich meinen Bikini einpacken muss.
Aber es kam nur ein Na und dröge zurück.
»Der Bikini ist da drin! Also mach endlich auf!«
Ich war total genervt, weil ich null Bock hatte, am nächsten Tag zu Papi zu fliegen. Zwei Wochen Dauerbelehrung hinter buddhistischen Mauern. Und dann noch mit Justin, der in letzter Zeit noch unausstehlicher war als sonst.
»Justin, komm raus, du musst Papi anrufen. Hättest du schon um fünf machen sollen, ist schon viel zu spät. Warum machst du das nicht?«
Und er dann: »Hey, Sis, ich bin der J Dogg, wieso sollte der J Dogg den Papi Dogg anrufen, my flow says no – except for shitting in the Klo.«
»Wenn du es nicht tust, tu ich’s auch nicht.« Okay, ich wollte da sowieso nicht hin.
Denn mir fiel ein, dass Papi mich wieder anmachen und Justin entschuldigen würde, wenn jetzt dieser Anruf nicht käme. »Wenn Justin auf der Toilette war, hättest du ja anrufen können«, würde es heißen. »Schließlich muss ich wissen, ob morgen alles klar geht«, so in der Art.
Ich hämmerte noch einmal gegen die Tür, lief wütend in der Wohnung herum. Warum akzeptiere ich immer diese Pflichten? Ich landete wieder deprimiert in meinem Zimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Der einzige freie Platz, denn mein Zimmer hat vierzehneinhalb Quadratmeter. In dieser Enge macht sich noch ein Sessel breit. Er stand einmal in Justins Zimmer, doch weil Brüderchen ein neues Bett bekam und der Platz bei ihm nicht reichte, entsorgte man das Ding in meine Bude.
In der Ecke, vom Sessel bewacht, steht auf einem Metallgestell der Fernseher. Darunter ist eine Stereoanlage plus Playstation. Als beide kaputtgegangen waren, erbte ich sie von Justin. Mama hatte gesagt, sie würden alles reparieren lassen, aber das passierte nie.
Auf dem Fernseher thront ein weißer Radio-Bär. Er macht Werbung für Cola und hält in den Pfoten die Knöpfe für Start, Stop und Tuning. Ich habe ihn in der Schule bei einer Tombola gewonnen. Der Bär war der Hauptpreis. Alle Kinder waren scharf darauf und versuchten, die Lose zu fälschen. Die Lehrer haben das gemerkt und entschieden, dass derjenige, der als Nächster zur Cafeteriatür hereinkommt, den Bär bekommt. Das war dann also ich.
Über der Kommode hängen drei Bilder, die Mama mir geschenkt hat – eine Ziege auf ihren Hinterbeinen, die in den Vorderbeinen ein Glas mit einem Goldfisch umklammert; eine Fledermaus im Flug, die einen Frosch trägt, und ein Krokodil, das wie ein Seemann angezogen ist und sich mit einer Maus unterhält.
Papi hat in seinem Schlafzimmer zwei Frauenköpfe von Matisse. Der eine sieht aus wie Papis Freundin Anna, der andere wie Mama. Die hätte ich lieber, aber Mama sagt, ich darf ihre Bilder nicht von der Wand abhängen.
Ich hielt meine Beine senkrecht in die Luft und schaute, ob zwischen Beinen und Körper auch genau ein rechter Winkel und die Beine kerzengerade wären. Ich war zufrieden und betrachtete die Ziege. Ich spürte die Spannung in den Kniekehlen und eine große Beißkraft in den Backenzähnen. Die Ziege würde ich »Mama« nennen. Ich nahm Peter in den Arm, meinen Teddy. Er war kuschelweich, aber schon ziemlich zerquetscht vom vielen Knuddeln beim Heulen. Ganz fest drückte ich ihn an mich und überließ ihm meine Schluchzer und Tränen. Ich würde Papi nicht anrufen, auf keinen Fall. Nach einer Weile wurde ich müde. Ich schlief ein und träumte von Tante Alexas Hochzeit in München. Ich kannte ihren Verlobten von dem Foto her, das auf die Hochzeitseinladung gedruckt war. Es zeigte sie und Oliver mit strahlendem Lächeln. Die Einladung war vor vier Wochen gekommen, und ich fand Oliver gleich sehr sympathisch, aber Mama hatte bloß einen kurzen Blick darauf geworfen und gesagt, dass das sowieso nichts würde. »Was nichts würde?« – »Mit der Heirat, was denn sonst?« Außerdem fand sie, dass Oliver wie ein Prolet aussähe. Justin hatte gelacht, er sieht in jedem Fall besser aus als Money. (So nennt er Manni.) Stimmt. In diesem Punkt hatte er ausnahmsweise Recht. Als wir alleine waren, fragte ich ihn, wie er Tante Alexa finde. Er meinte, die interessiert nicht. Oder so was in der Art. Mamas Einfluss. Sie hasst nämlich ihre Schwester. Justin weiß nicht mal, warum. Ich auch nicht. Aber deswegen hasse ich sie eben nicht. Ich hasse nicht Leute ohne Grund.
Mama hatte dann zu Manni gesagt, während sie einen Kuchenteig anrührte: »Alexa hat Michael bestimmt auch eingeladen. Der wohnt ja in München, soweit ich weiß.«
Und ich: »Welchen Michael?«
Und sie: »Ihr habt ihn doch schon ein paar Mal gesehen, als ihr in den Ferien bei Omi und Opi wart. Der war mal mit mir in derselben Klasse.«
Da war mir wieder eingefallen, dass wir ihn im SPAR an der Kasse getroffen hatten. »Der sieht supercool aus.«
Justin dann sofort: »Bei dir ist alles toll, wenn es einen Penis hat.«
Bevor ich was sagen konnte, fing Mama wieder mit der Hochzeit an: »Der schöne Michael darf ja auf der Party des Jahrhunderts nicht fehlen. Selbst eure Omi redet über nichts anderes mehr als über diese blöde Hochzeit.«
Trotz der Stimmungsmache gegen Tante Alexa war ich bei meiner Meinung geblieben und hatte laut und deutlich gesagt, dass ich mich sehr darauf freute: »Eine Hochzeit! Wunderbar!« Mama meinte ganz süffisant: »Zu früh gefreut.«
Ich: »Wieso?«
Mama dann: »Weil wir nicht hinfahren.« Sie betonte das noch genüsslich und knallte den Teig aufs Brett.
O ja, Alexa war ein rotes Tuch für sie. Mama hatte schon alle in der Familie gegen sie aufgebracht. Die Großeltern, Manni, Onkel Jasper, sogar Justin und die Leute von Manni.
Ich hatte noch einen Versuch gestartet: »Wenn ich sowieso in den Ferien mit Jeka und May auf dem Reiterhof bei München bin, kann ich ja allein zur Hochzeit.«
Und Justin dazwischen: »Ich will zu René nach München. Seine Eltern haben mich eingeladen.«
Das hatte ihr den Rest gegeben. »Nein! Ich möchte die Verbindung zu meiner Schwester nicht.«
»Du sollst ja auch nicht hin, wir wollen ja hin.«
»Nein, ich möchte nicht, dass ihr bei Alexa seid. Dazu seid ihr zu jung.«
Zu jung! Voll daneben.
Kurz bevor sie nach Fuerte abgeflogen war, verpflichtete Mama Justin, dafür zu sorgen, dass ich nicht bei Tante Alexa anriefe. Und mein hirnrissiger Bruder: »Klar, Mama, auf mich kannst du dich verlassen.« Gleich danach rief er seinen blöden René in München viermal an. Jedes Mal’ne Fünfunddreißigminuten-Quatschlaberarie über die sexgeilen Mädchen in Weißwurst-Town.
Nicht telefonieren, nicht hinreisen – aber träumen! Von der Hochzeit träumen konnte mir niemand untersagen. Es war ein schöner Traum. Alles fand in einer alten Kirche statt, die nah am Wasser lag. Alle Gäste trugen die gleichen Farben, Rosa und Blau. Alles war voller Veilchen, blauer Lilien und rosa Nelken. Ich hatte mich in Tante Alexa verwandelt und trug ein todschickes weißes Cocktailkleid. Ein Diadem im Haar, von dem ein Schleier fiel. Mir wurde schwindlig und ich versank in Schlaf. Aus weiter Ferne (vielleicht aus dem unteren Stockwerk, wo zwei Schwule mit der Katze Jazzmin wohnen) erklang voll und gewaltig die Kirchenmusik. Die gotischen Bogen wölbten sich bis hinauf in mein Traumbewusstsein. Schlaftrunken und selig schwamm ich in dieser Mischung aus Licht und Schall und berauschenden Düften (Veilchen und Nelken!). Doch dann geschah etwas Komisches. Während Oliver und ich am Altar knieten und gerade vor dem Ewigen Kuss beim Ja, ich will waren, klatschten mir nasse Klamotten ins Gesicht.
Es war Justin, der die Waschmaschine brauchte, die ich gestern Nacht noch voll gestopft hatte.
»Du Idiot«, schrie ich, und aus war es mit dem schönen Traum.
»Be happy«, sagte er höhnisch.
Mit einem Sprung war ich aus dem Bett und verkrallte mich in ihn. »Was meinst du?«, zischte ich, Wut sprühend.
»Okay, ich erkläre dir die allgemeine und weltbekannte Happyness-Theorie«, näselte er feierlich. »Du hast Ferien und genug Kartoffeln zum Fressen. Be happy.« Er knallte einen Ball gegen die Wohnungstür, und irgendwo fiel etwas um. Ich wusste, dieser stinkige, heiße Sommertag würde genau so enden wie alle anderen Tage meiner glorreichen Ferien. Carpe diem.
Ich brauchte Trost und versuchte, Jeka zu erreichen, landete aber auf ihrer Mailbox. Ich berichtete ihr den Alltag in meiner Familie und schloss mit einem verzweifelten Ausblick: »Bis zum Schulbeginn sind es nur noch vierzehn Tage. Ich freue mich auf das erste Klingelzeichen wie niemals in meinem Leben zuvor. Das ist die bittere Wahrheit. Aber auf dich freue ich mich echt, Jeka. Ich liebe dich.« Ich setzte mich in eine Ecke, um zu weinen, aber es kamen keine Tränen. Ich meinte meinen Herzschlag zu spüren, aber es war Justin, der irgendwo in diesem Wohnungsmüll etwas Rhythmisches tat. Mein Blick war am Gesicht von Leonardo di Caprio auf einer halb zerrissenen Fernsehzeitschrift hängen geblieben. Ein rundes glattes Gesicht, dem Justin die Ohren zu Elefantenohren mit einem Kuli vergrößert hatte. Du hast Recht, lieber Kioskmann, Gott lässt nichts, wie es ist, jedenfalls Justin nicht – dachte ich gerade, als es klingelte. Wieso sollte es an unserer Wohnungstür klingeln? Was war passiert?
Wie elektrisiert war ich aufgesprungen, aber ich hörte, dass Justin noch schneller losstartete. Wütend bremste ich mich und sagte mir, es ist egal, wer da kommt, aber immerhin ist das Bad jetzt frei. Ich beschloss, die Gelegenheit zu nutzen.
Als ich im Flur war, drückte Justin seine Lippen in die Sprechanlage. »Wer da?«, brüllte er. Hose und Unterhose hingen ihm auf den Knöcheln.
»Hier ist Alexa«, hörte ich es durch die Schepperanlage.
»Ich raff’s nicht!«, schrie ich. »Tante Alexa!«
Und er: »Die dürfen wir nicht reinlassen. Mama hat uns verboten mit ihr zu sprechen.« Dabei stellte er sich vor das Haustelefon, während ich versuchte, an ihm vorbeizugreifen und den Türöffner zu drücken. Er schlug und schubste mich. Ich kreischte und haute mit der Faust. Er drückte mich weg, verhedderte sich in meinen Haaren, stolperte über seine Hose und knallte hin. Gewonnen.
Ich drückte auf den Knopf, schnaufte ein paar Mal und sagte: »Mann, Justin, mach dich locker. Mama ist nicht da, und Alexa tut dir schon nix. Zieh dir lieber die Hosen hoch, sonst denkt sie noch, du benutzt deinen Pimmel als Verkehrskelle.«
»Du bist doch nicht ganz dicht«, zischte er wütend, verschwand im Bad, riss die Tür wieder auf und brüllte: »Ich rede kein Wort mit ihr. Den Anschiss von Mama kriegst du.«
Es klopfte an der Wohnungstür. Ich öffnete und ahnte, dass jetzt die Worte des Kioskmannes wahr werden würden: die Wende! Vor mir stand Tante Alexa.
Ich war erstaunt, wie gut sie im Vergleich zu Mama aussah. Eine grazile Schönheit in Blond: superschlank, lässige Miss-Sixty-Jeans, weißes Rippshirt und rosa Flipflops zu rot lackierten Fußnägeln. Ihre langen blonden Haare fielen ihr offen und wellig über das rechte Auge. Wir lagen uns sofort in den Armen. Sie roch nach Himbeere.
Alexa fühlte sich so an, wie ich sie aus den E-Mails kannte. Vertraut. Ich hatte das Gefühl, eine gute Freundin nach einer langen Reise wieder zu treffen. Es war ein schönes Gefühl, von ihr in den Arm genommen zu werden.
»Wir haben deine Hochzeitseinladung bekommen«, flüsterte ich ihr ins Ohr.
Sie machte sich sofort los und blickte nervös um sich, so als fürchtete sie etwas. Komisch irgendwie. »Bist du alleine?«
»Leider nein. Justin ist im Bad.«
Sie blickte an mir vorbei. Ich drehte mich um, er stand in der Tür. Ausdruckslos. (Er spielte das coole Fotomodell.)
»Hallo, Justin.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu und streckte ihm freundlich lächelnd die Hand hin. Er rührte sich nicht. Schlank, blond und kühl stand er da. Sie tat mir Leid. Sie sah hilflos aus. Wir kannten sie kaum, und trotzdem brachte er ihr diese Ablehnung entgegen.
Doch dann passierte etwas mit meinem Bruder. Seine Augen flackerten, und er wackelte mit dem Kopf (was er stets tat, wenn er Gefühlsattacken nicht kontrollieren konnte). Nun grüßte er doch, lächelte, nahm ihre Hand. Er hielt sie fest, schaute seine Tante an und fragte, ob sie einen Tee möchte. Das hatte ich nur einmal bei ihm gesehen, als er sich in Rosi verliebt hatte.
»Would you like a nice cup of tea?«, fragte er mit einem hochgestochenen Akzent.
Ich starrte die beiden ungläubig an. Tante Alexa hatte ihn hypnotisiert. Sie hatte ihn in einen verliebten Studenten aus Cambridge verwandelt. Ich sah, was er dachte, mein heißer Bruder, als sie ihm tief in die Augen schaute.
Er hatte angenommen, da käme eine Gifttante, eine alte Schachtel, aber plötzlich sah er eine superscharfe Frau. Lippen wie Angelina Jolie, ein Po wie der von Kylie Minogue und wunderschöne grasgrüne Augen.
Eigentlich hatte er sich etwas zu essen machen wollen, aber nun musste er sich um Tantchen kümmern, nicht von ihrer Seite weichen, Tee machen. »Tea for two«, oh Himmel, er war verhext. Er wurde rot.
Wie nach einem Blitzschlag hatte sich alles verändert, er schien sie zu mögen und merkte, dass es schon mehr als mögen war. Vergaß alles andere um sich. Später erzählte er mir, in diesem Moment hätte er ihr am liebsten mit der Hand durchs Haar streichen und sie küssen wollen.
Nun ja, wer verliebt ist, tickt nicht mehr richtig. Verliebt sein ist eine Obsession, sagt Papi. Justin fragte sie noch einmal, ob sie einen Tee trinken wolle, sie nickte noch einmal, er wurde noch einmal rot und verklemmte sich endlich in die Küche.
»Tante Alexa«, strahlte ich, »ein Wunder in unserer Wohnung.«
Sie setzte sich auf das Sofa, ich musste natürlich vorher das halbe Wohnzimmerinventar vom Sofa schmeißen, und dann stand sie einfach wieder auf und guckte aus dem Fenster.
»Wieso?«
»Justin ist in der Küche und macht Tee.«
»Macht er sonst nie Tee?«
»Nur für sich. Für niemand sonst macht er Tee. Das gab’s noch nie.«
Irgendwie hörte sie gar nicht richtig zu und rannte dann auch noch in die Küche, weil sie doch lieber einen Eistee haben wollte. Bei diesen Knalltemperaturen brauchte man gar nicht mehr in die Südsee zu fahren, denn 42 Grad im Schatten hatten wir dieses Jahr auch in Berlin. Bescheuerte Idee mit dem heißen Tee eigentlich. Dann kam sie wieder anstolziert und kaute wie ein Fleischwolf auf dem Kaugummi herum. Das roch nach Problem! Und dann kam’s: »Stell dir vor«, platzte sie heraus, »Oliver ist nicht im Hotel gewesen. Ich hab mich verspätet und hatte kein Netz. Ich habe ihm auf der Mailbox eine Nachricht hinterlassen, dass es ein bisschen später wird. Als ich an der Rezeption nach ihm gefragt habe, gab es ihn gar nicht. Der hat dort gar nicht eingecheckt.«
»Nein«, sagte ich und dachte spontan an einen Hitchcockfilm, Der verschwundene Mann. Ich schob sie ins Wohnzimmer, und sie setzte sich aufs Sofa.
»Wir wollten uns später um halb sechs in der Paris Bar mit seinem Freund treffen. Also bin ich da hin. Aber nichts. Kein Oliver weit und breit. Ich hab gewartet und nachgefragt und sogar seine Eltern angerufen, aber die meinten nur, dass ich mir keine Gedanken machen soll. Als Kind hätte er auch immer die Zeit vergessen.« Sie strich sich heftig die Haare aus der Stirn (aber nicht so heftig, dass sie durcheinander geflogen wären). »Das ist mir alles zu viel.«
»Vielleicht hat er eine andere gefunden«, überlegte ich laut.
Tante Alexa starrte mich an. Plötzlich sah ich Tränen in ihren Augen. Kleine glitzernde Sternchen in meinem Kerzenlicht, das ich für unsere Stimmung angezündet hatte.
Justin lehnte in der Tür. Ich signalisierte ihm stirnrunzelnd zu verschwinden, und er brachte wieder die beknackte Gentlemantour: »Ich glaub, ich mach uns mal’n tea for three.«
Ich nahm Tante Alexa in den Arm, während Justin wie angeschweißt in der Tür stehen blieb.
Als er sich zu uns setzen wollte, sagte ich, dass wir Frauengespräche führen wollten. Endlich verkrümelte er sich wieder in die Küche.
»Wie fühlst du dich?«, fragte ich sie.
»Beschissen.«
»Das kann ich mir vorstellen, du hast dich ja bestimmt sehr auf die Hochzeit gefreut?«
»Wieso habe? Glaubst du, dass sie nicht mehr stattfindet?«
»Wenn ihr euch jetzt schon so streitet?«
»Wir streiten nicht. Ich hab nur grad das Gefühl, dass ich ihn gar nicht richtig kenne.«
»Sagt man ja auch. Liebe macht blind.« Es war ein Versuch, ihr Recht zu geben.
Durch ihre tränennassen Augen sah sie mich an. Langsam und nachdenklich schüttelte sie den Kopf. »Seit ich Oliver kenne, bin ich nicht blind. Ich sehe ihn ununterbrochen, selbst im Dunkeln und mit geschlossenen Augen.«
»Vielleicht eine Fata Morgana«, kam es unerbeten von der Tür. Justin hatte schon wieder seine Nase da.
Ich machte ihm ein Zeichen zu verschwinden. Ich kann einfach nicht richtig zuhören, wenn er hinter mir herumspukt.
»Wie lange seid ihr schon zusammen?«
»Fünf Monate.«
»Das ist aber eine kurze Zeit für eine Hochzeit. Findest du nicht? Wieso heiratet ihr so schnell?«
»Wenn man verliebt ist, mein Gott. Es ist bereits seit dem ersten Augenblick so, als würden wir uns Ewigkeiten kennen.«
»Dann ist dies vielleicht die nach Ewigkeiten ersehnte Krise«, wollte ich sie trösten.
»Du stehst kurz vor der Hochzeit«, sagte sie finster, »du fährst Hunderte von Kilometern, und der Typ lässt dich ohne Vorwarnung sitzen. Das nennst du eine Krise?«
»Wenn er dich liebt, hat er dich nur hängen lassen, weil’s nicht anders ging.«
Ich hatte immer gedacht, man würde Liebe daran erkennen, dass die Leute ganz mit Harmonie erfüllt sind.
Alexa murmelte leise vor sich hin: »Scherben schon vor dem Polterabend.«
Ich lenkte sie mit der Frage ab, was ein Polterabend sei, und sie beschrieb den alten Brauch, die Feier vor der Hochzeit, zu der Freunde und Gäste altes Geschirr mitbrächten, das auf dem Boden zerschmissen würde, um die bösen Geister zu vertreiben. Ohne Polterabend gehe die Hochzeit schief. Und sie fügte hinzu, als gebe sie ihrem Schicksal einen trotzigen Hinweis: »Unseren Polterabend machen wir drei Tage vor der Hochzeit.«
Mir gefiel diese Kraft, die sich in solcher Zuversicht zeigte, besser als ihr Jammern. Halleluja, sie hatte sich wieder gefasst, auch wenn sie jetzt etwas derangiert aussah mit den Wimperntuscheklecksen auf der Nase. Ich legte meine Hand auf ihre und wollte wissen, wen sie alles einladen würden. Dabei spürte ich, wie mein Puls schneller wurde. Ich wollte unbedingt dabei sein. Mama hatte es zwar untersagt, aber vielleicht bot sich jetzt doch eine Chance.
»Verheiratete Fremdgeher, die sich nicht scheiden lassen, werden nicht eingeladen.«
Wie kam sie auf diese komische Idee? Wer war ein verheirateter Fremdgeher? Ihr Vater? Mein Papi? Manni? Sie hatte es fast hochmütig gesagt, lachte kurz und fragte heiser, ob unsere Mutter zur Hochzeit kommen werde.
»Sie will nicht, und wir dürfen nicht«, antwortete ich und legte deutlich meinen Ärger, den ich auf Mama hatte, in die Stimme. »Sie hat gesagt, dass wir keinen Kontakt zu dir haben dürfen.«
»Weiß sie denn, dass wir uns E-Mails schreiben?«
»Nein. Ist auch besser so.«
Auf Mamas rundem Rosentablett brachte Justin eine große Schüssel Eiswürfel, Tee und eine Tasse. »Ihr schreibt euch E-Mails?«, kam es sofort neugierig.
Ohne auf ihn zu achten, sagte Alexa traurig: »Und alles bloß wegen der Sache von damals.« Sie nahm mindestens drei Eiswürfel und schmierte sich damit auf dem Körper herum. »Kann man bei euch mal duschen?«
Ich fragte sie, was für ein schlimmes Geheimnis das sei, über das in der Familie nicht gesprochen werden dürfe. Und weshalb sie nie auf den Familienfesten erscheine.
»Darüber zu reden, habe ich wirklich keine Lust. Mir geht es schlecht genug.« Sie schaute Justin zu, wie er den Tee eingoss.
»Keine Lust? Oder Angst?«
»Beides.«
»Wieso denn Angst?«, mischte er sich ein, als ob er nicht wüsste, was Angst ist.
»Wenn ihr jetzt immerzu auf diesem Thema herumhackt, geht es mir noch schlechter.« Sie hielt das Glas Eistee, als ob sie sich dran abkühlen wollte.
Ich spürte, wie verletzt sie war, und wie sehr sie sich danach sehnte, verstanden, getröstet und geliebt zu werden. Mir war es genauso gegangen, nachdem Dennis mich verraten hatte.
Anfangs hatte er mich jeden Tag nach der Schule nach Hause gefahren. Hatte alles verstanden, was ich sagte, und sogar alles, was ich dachte. Die Beziehung war bedingungslos gewesen. Ich dachte, es würde immer so bleiben und die Verliebtheit nie enden. Und dann kam sein Geburtstagsgeschenk: eine Superparty im Tennisclub! Doch noch während der Party zog er mich in den Keller und schloss die Tür ab. Das war dann der grausame Moment, für den er alles inszeniert hatte. Ziemlich krank, dieser Typ. Einerseits war er der wundervollste Junge, den ich mir vorstellen konnte, andererseits das größte Arschloch, das ich kenne. Noch nie hat mich jemand so verletzt wie er.
Vielleicht war Oliver auch so eine gespaltene Persönlichkeit, denn schließlich war Alexa extra nach Berlin gefahren, um als seine zukünftige Frau auch seinen besten Freund kennen zu lernen. Dann lässt er sie sitzen, macht sich unauffindbar, und nun musste sie alleine die lange Strecke nach München zurückfahren. Mit Oliver zusammen hätte sie unterwegs irgendwo in einem romantischen Hotel eine Nacht Pause eingelegt, gemütlich gefrühstückt und wäre dann weitergefahren. Jetzt ging es ihr so schlecht, dass sie durchfahren wollte.
Vielleicht linderte Autofahren ihre Verzweiflung.
In so einer Situation braucht man eine Familie, die einen auffängt und stützt. Deshalb war sie ja zu uns gekommen. Mit Mama wäre das natürlich anders gelaufen, aber ich hatte ihr gemailt, wann Mama und Manni nach Fuerteventura fliegen würden.
Vielleicht war ein Teil ihrer Verzweiflung auch diese Familiensituation. Warum waren sie alle so gemein zu ihr? Sie litt darunter. Daher hatte ihre Hochzeit auch eine Gelegenheit sein sollen, alle aus der Familie einzuladen und sich mit allen zu versöhnen. Sie gab zu, dass sie deswegen Oliver ein bisschen zu der Heirat gedrängt hatte. Aber Mama musste ihr gleich einen Strich durch die Rechnung machen. Ich verstand das nicht, und ich konnte Alexa den Schmerz ansehen, als ich ihr das sagte.
»Das Leben bringt genug Probleme. Da muss man wenigstens innerhalb der Familie Frieden halten«, nuschelte sie vor sich hin und drückte meine Hand.
Ich fühlte ihre tiefe Enttäuschung, kurz vor der Hochzeit so verraten zu werden. Ich war voller Mitleid und wollte sie trösten. Ich nahm sie wieder in den Arm.
Justin fand eine geplatzte Hochzeit natürlich ein überflüssiges Luxusproblem, aber ich erklärte ihm, dass es nicht einfach nur ein Problem sei, sondern ihre Zukunft, die zerbrochen war.
Sie musste nun alleine nach München zurückfahren. Allein mit ihrer totalen Enttäuschung und Verzweiflung. Ich wusste genau, wie sie sich fühlte. Genau so hatte ich mich damals auch gefühlt. Man braucht Beistand. In einer so großen Verlassenheit ist man verwirrt und friert. So ging es mir jedenfalls, nachdem Dennis mich enttäuscht hatte. Es ist egal, ob sie Dennis oder Oliver heißen. In so einer Situation ist man traurig und fertig. Ich wüsste nicht, wie ich mich nach Dennis ohne meine Freunde und Familie wieder stabilisiert hätte.
Ich durfte nicht erlauben, dass sie jetzt alleine nach München fuhr. »Wir begleiten dich. Wir trösten dich, und wenn du am Steuer einschläfst, wecken wir dich.« Ich legte ihr meinen Arm um die Schulter. »Ich sitze vorne.«
»Du sitzt hinten!«, erwiderte Justin aufgebracht.
»Ich werde vorne sitzen und für dich da sein. Dafür hat man doch die Familie.«
Er protestierte weiter, aber man darf nicht immer auf einen Protest reagieren; man muss ihm die Luft nehmen, indem man sie selbst tief einatmet.
»Was machen denn eure Koffer dort?«, fragte Alexa.
»Die stehen da für unseren Abtransport morgen nach Ibiza«, sagte ich. »Um elf Uhr zwanzig.«
»Wenn ihr morgen zu eurem Vater fliegt, könnt ihr ja nicht mit nach München.«
»Wir fahren mit dir und nicht nach Ibiza.« Das kam fast gleichzeitig von Justin und mir.
»Nein. Ich möchte euren Eltern nicht dazwischenfunken. Ihr könnt nicht mit. Aber ich könnte heute Abend hier bleiben und würde euch morgen früh zum Flughafen bringen. Was haltet ihr davon?«
Davon hielt ich gar nichts. Ich wollte sie lieber nach München begleiten und Oliver gehörig die Meinung geigen. Er behandelte sie total falsch. Männer können manchmal so grausam sein.
»Der lässt uns jeden Tag meditieren«, sagte Justin. »Wir müssen ihn anrufen und absagen.«
Als er hinausging, um das Telefon aus der Küche zu holen, fragte sie mich, warum ich es so schlimm bei Papi finde.
»Ich fühle mich an manchen Tagen auf Ibiza wie gefangen«, erklärte ich ihr. »Ich lese und schreibe, okay, aber nach einer Weile bin ich völlig lustlos, weil ich keinen Kontakt zu meinen Freunden habe. Ich fühle mich wie gelähmt. Das ist dann der Moment, in dem mir nichts anderes übrig bleibt, als Papis Tipps zu befolgen. Für einen Augenblick sind dann die trüben Gedanken weg, und ich gebe ihm sogar Recht. Aber es hält nicht lange. Meine Neugier auf Liebe kommt zurück, und dann wieder derselbe Kampf.«
»Da möchte ich nicht grad mit dir tauschen«, sagte sie leise, und in dem Moment erinnerte sie mich an die Leute, die man auf Beerdigungen trifft.
Ich dachte an meinen Traum und grinste. »Warum nicht tauschen?«
»Vielleicht solltest du ihn tatsächlich anrufen«, überlegte sie.
Justin kam wieder herein und warf das Telefon in die Luft.
»Was sollen wir ihm denn sagen?«, fragte ich.
»Papi?«
»Ja. Wenn wir morgen nicht kommen wollen.«
»Wir können doch sagen, Flieger verpasst, Ticket gestohlen, kein Geld und du bist krank«, meinte er.
»Gute Idee. Aber sag, dass du krank bist.«
»Okay, ich leide am Anti-Ibiza-Syndrom und habe vierundvierzig Grad Fieber.« Dabei schielte er zu Tante Alexa, wahrscheinlich um zu sehen, ob es gut ankam.
Sie fand es aber nicht witzig. »Ihr könnt ihm doch ehrlich sagen, dass es bei ihm so schlimm ist«, schlug sie vor.
Aber Justin ganz schlau: »Das weiß er ja. Ich habe eine andere Idee. Hast du Papi auch eine Einladungskarte geschickt?« Tante Alexa nickte. »Gut, dann können wir doch sagen, du brauchst Hilfe bei der Hochzeit.«
»Die gar nicht stattfindet«, flüsterte sie, und ich konnte wieder Tränen in ihren Augen sehen.
Ich rückte neben sie und drückte ihren Arm. »Natürlich findet sie statt.«
»Na klar, alles wird gut«, gab Justin seinen Senf dazu.
Ich wählte Papis Nummer. Als er sich meldete, erklärte ich ihm Alexas Schockerlebnis. »Sie braucht Trost«, sagte ich, »und wir haben ihr angeboten, mit nach München zu fahren, damit sie auf der Fahrt nicht so alleine ist.«
»Das hab ich noch nicht verstanden«, brummte er einen seiner häufigsten Sätze. »Hat sie jetzt keinen zum Heiraten oder was?«
Ich hatte mich darauf eingestellt, dass ich ihm die einfachsten Dinge des Lebens erklären musste. Mama wusste immer gleich ja oder nein, aber er musste alles erst verstehen. »Die Hochzeit ist nicht abgesagt. Sie haben sich in Berlin nicht getroffen. Sie ist nur sehr enttäuscht, dass Oliver sie versetzt hat. Das musst du doch begreifen.«
»Kann sie ihn nicht anrufen und das Missverständnis klären?«
»Sie hat alles versucht. Vergeblich.«
»Was habt ihr damit zu tun?«
»Sie braucht uns. Zur Ablenkung und Unterstützung.«
»Hatte sie die Illusion, dass es solche Missverständnisse in einer Beziehung nicht geben würde?«
Seine These war immer: Es gibt keine Liebe ohne Illusion im Westen. Aber Tante Alexa war nun mal keine Tibeterin. »Sie hoffte eben auf eine harmonische Ehe«, sagte ich mit der Betonung auf harmonisch.
»Frag sie doch mal, ob sie inzwischen darauf eingestellt ist.«
»Worauf?«
»Auf Disharmonie und Missverständnisse.«
Mit Papi durfte man nicht die Nerven verlieren. Man musste seine Gedankenbogen mitmachen und durchstehen. Um das hinzukriegen, stellte ich es mir immer als eine Fahrt in der Geisterbahn vor. Ich wandte mich an Alexa und fragte: »Bist du darauf eingestellt, in Zukunft mit Oliver Streit und Missverständnisse zu haben?«
Diese Vorstellung brachte sie erst recht zum Weinen. Als Antwort gab sie nur ein heftiges Schluchzen, und ich übersetzte ins Telefon: »Sie sagt, ja, intellektuell ist sie nun darauf vorbereitet. Aber im Moment sitzt sie in einem Gefühlsloch und muss sich erst einmal stabilisieren. Sie würde unsere Hilfe dabei gerne annehmen.«
Er schwieg für einen Moment. »Wie lange wollt ihr in München bleiben?« »Bis zur Hochzeit.«
Das war ein Fehler. Ich hätte ein Datum sagen sollen. Zahlen lassen ihn unberührt, ich glaube, er begreift sie gar nicht, aber Hochzeit? Das würde Gegenenergien auslösen.
»Das sind vierzehn Tage«, überraschte er mich. »Was wollt ihr die ganze lange Zeit da treiben?«
Es kam also doch noch eine Kurve, aber eine, die ich bereits kannte. Ich wiederholte die Frage laut, und Justin brüllte: »Wir könnten doch München besichtigen.«
Ich zeigte ihm sofort den Finger für diese unbedachte Antwort.
»Was würde euch das nutzen?«, fragte Papi. »Wozu braucht ihr das? Dann könntet ihr ebenso gut New York besichtigen. Oder Tokio. Oder Kuala Lumpur.«
Ich sagte schnell: »Justin hat München in Geographie. Ich bin aber für Tante Alexas Vorschlag, uns jeden Tag fünf Stunden Unterricht zu geben. Sie ist doch Lehrerin und hat es vorgeschlagen.«
Papi so: »Was denn für’n Unterricht?«
»Meine Defizite.« Das Wort stammte von ihm.
»Zum Beispiel was?«
»Mathe, Französisch.«
»Ach, da bist du nicht gut?«
»Nein.«
»Kann Alexa das?«
Ich hielt wieder das Telefon gegen meinen Bauch und fragte sie: »Tante Alexa, würdest du uns in Mathe und Französisch unterrichten?«
Sie hatte ein Kissen vor dem Gesicht, damit ihr Schluchzen nicht zu hören war.
Ich nahm das Telefon wieder ans Ohr. »Französisch ja, aber in Mathe müsste sie sich ein bisschen vorbereiten, sagt sie. Würde sie aber gerne.« Meine Stimme war nun leichter und heiterer, denn ich ahnte, dass ich die letzte Kurve in der Geisterbahn hinter mir hatte.
Alexa drückte das Kissen gegen ihre Brust und starrte ins Leere. Mit ihr war kein Gespräch zu führen.
»Gut«, sagte er, »wenn sie dazu bereit ist.«
Ich jubelte innerlich, riss mich aber zusammen. »Das heißt, wir fahren mit nach München und bereiten unser nächstes Schuljahr vor.« Ich machte Justin ein Zeichen – Daumen nach oben, aber Klappe halten.
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