Hearts Run Fast - Katharina Pikos - E-Book

Hearts Run Fast E-Book

Katharina Pikos

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Beschreibung

Manchmal ist der gefährlichste Weg der, den das Herz wählt.
Die aufstrebende Journalisten Everly Cole hat es satt, in der Redaktion übersehen zu werden. Sie fasst den Mut, ihrer Chefin den Vorschlag für einen Artikel zu unterbreiten, der ihre Karriere endlich voranbringen soll. Ihr Fokus: illegale Straßenrennen.
Case Mitchell liebt Autos, den Adrenalinkick der Geschwindigkeit und das Gefühl, als Erster die Ziellinie zu überqueren. Obwohl Case bewusst ist, wie gefährlich es sein kann, dem Rausch des Rennens zu unterliegen, kann er nicht damit aufhören.
Everly erwartet bei der Recherche für ihre Story nicht, dass ihr ein mysteriöser Rennfahrer so unter die Haut gehen würde. Zwischen Motorengeheul und nächtlichen Rennen entwickelt sich eine tiefe Verbindung zwischen den beiden. Case weiß jedoch, welche Konsequenzen es haben könnte, wenn er sie in seine Welt hineinzieht …

“Hearts Run Fast” ist der erste Band der “Case & Everly”-Dilogie von Katharina Pikos. Es ist ein fesselnder Liebesroman über die Suche nach dem richtigen Weg im Leben.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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HEARTS RUN FAST

CASE & EVERLY

BUCH 1

KATHARINA PIKOS

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Katharina Pikos

Cover: Zeilenfluss

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat:

TE Language Services – Tanja Eggerth,

Johannes Eickhorst

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-494-9

Für Nicole. Weil du du bist.

PLAYLIST

Not afraid – Eminem

Party Up – DMX

California Love – 2Pac

Easy on Me – Adele

Billie Jean – Michael Jackson

Lose Yourself – Eminem

The Monster – Eminem ft. Rihanna

Wake Up – Travis Scott

I knew you were Trouble – Taylor Swift

Like a Virgin – Madonna

Don’t stop Believin’ – Journey

Time’s a Wastin’ – Johnny Cash & June Carter

In da Club – 50 Cent

„Egal wie schnell man ist,

die Vergangenheit ist schneller.“

Dominic Toretto

PROLOG

CASE - 19 JAHRE ALT

Die Beschleunigung trieb das Adrenalin in meinen Adern in die Höhe. Wer brauchte schon Blut zum Überleben? Adrenalin war das Zaubermittel, das Lebenselixier! Mehr! Schnell trat ich auf die Kupplung, um in den fünften Gang zu schalten. Das Röhren des Motors war die Antwort auf all meine Gebete.

»Wohoohooo!«, schrie ich und lachte dank der freigesetzten Endorphine gelöst auf. Auf der Straße gab es keine Alltagsprobleme mehr, nur den Rausch der Geschwindigkeit. »Ah Shit!« Vor lauter Aufregung hatte ich beinahe die gesprayte Markierung an dem Straßenschild übersehen, die uns Fahrern bei den Rennen die Richtung vorgab. Ich bremste runter, kuppelte und legte den Schalthebel in den zweiten Gang, während ich um die Kurve nach links driftete. In Sekundenschnelle ließ ich sowohl meinen linken als auch den rechten Fuß mit den Pedalen spielen, sodass die Drehzahl des Motors schnell in die Höhe schraubte und ich den nötigen Speed erreichte. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel teilte mir mit, dass die anderen Teilnehmer mindestens drei Sekunden hinter mir waren. Wenn ich nichts verkackte, hätte ich das Rennen so gut wie gewonnen.

Aber noch hatte ich mehr als die Hälfte der Strecke vor mir. »Schön konzentriert bleiben«, murmelte ich mir zu und prüfte den Tacho. Neunzig Meilen die Stunde und die Tachonadel schob sich weiter in Richtung fünfundneunzig. Es war selten, dass man während der Rennen so eine Geschwindigkeit halten konnte. Durch die lange Gerade, auf der ich mich eben befand, hatte der Honda endlich mal wieder die Möglichkeit, zu zeigen, wie gut wir ihn aufgerüstet hatten. Das nächste Schild, die nächste Markierung! Sie zeigte nach links!

Ich warf einen schnellen Blick auf meine Kontrahenten, ehe ich bremste, kuppelte und runterschaltete, bevor ich um die Kurve schlitterte und zügig wieder beschleunigte. Die Strecke führte heute durch eine noble Wohngegend, was ich sogar im Dunkel der Nacht erkennen konnte. Da hatten sich Jay und die Crew ja was ausgedacht … es würde sicher nicht lange dauern, bevor die ganzen reichen Säcke die Cops riefen. Ein Grund mehr, mich fix von hier zu verzupfen. Ich fuhr so schnell wie möglich durch zwei Kreisverkehre, bei dem dritten war die Back-Markierung gesetzt.

Alles klar! Ich umrundete den letzten Kreisel, vorbei an den Fahrern, die hinter mir waren und jetzt erst in die noble Siedlung bogen, und eilte zurück, bis ich wieder auf dem San Vicente Boulevard angekommen war. Dort ließ ich den Motor aufheulen und gab Gummi.

Sechzig.

Siebzig.

Achtzig.

Neunzig.

Das Rauschen meines Bluts übertönte beinahe das Röhren des Motors. Die Geschwindigkeit war wie eine Droge, von der ich nicht genug bekommen konnte. Die Strecke führte nach links in die Ocean Avenue und ich wusste, dass ich gleich im Ziel angekommen war. Dass ich gleich gewonnen hatte. Ich nahm den rechten Fuß vom Gas und bog in die California Inline.

Da vorne war der Parkplatz!

Die Menge jubelte, als ich den Motor noch ein paarmal aufheulen ließ, ehe ich den Wagen in einen freien Spot lenkte und dann lachend auf das Lenkrad hämmerte. Die Fahrertür wurde aufgerissen und ich sah mich Luc gegenüber, dessen Grinsen von einem Ohr zum anderen reichte. »Das nenne ich mal einen Lauf, Case!« Er lachte und klopfte mir auf die Schulter. »Glückwunsch, Alter!«

»Jetzt gebt dem Jungen doch mal Raum zum Atmen«, ertönte die basslastige, dunkle Stimme von Jay, der wie immer seinen weißen Anglerhut trug. Ich schnallte mich ab, stieg aus und sah den Hünen, der sich einen Weg durch die mir gratulierende Menge bahnte. Es dauerte nicht lange, ehe ich mich in einer halben Umarmung wiederfand. »Gut gemacht, mein Junge.« Seine olivfarbene Haut verbarg oft seine Gefühle, doch seit ich vor drei Jahren mein erstes Rennen gefahren war, hatte er so etwas wie einen Beschützerinstinkt mir gegenüber entwickelt. Außerdem hing er inzwischen oft bei Moe in der Werkstatt ab, wodurch ich gelernt hatte, ihn einzuschätzen.

Ein dickes Bündel grüner Scheine landete in meinen Händen und ich konnte die Erleichterung und Euphorie, die mich dabei durchfuhren, kaum unterdrücken. »Danke, Mann.«

»Wofür?« Jay lachte sein brummiges leises Lachen und tätschelte mir die Schulter. »Das hast du dir selbst verdient.«

Ich zählte einige Scheine ab und drückte sie ihm in die Hand, was er mit einem dankbaren Nicken annahm.

»Sehe ich richtig, dass du meinen Anteil verschenkst?«

Das Lächeln in meinem Gesicht erfror, sobald ich sie hörte. Es war klar, dass sie da war. Natürlich. Und dennoch hoffte ich bei jedem Rennen, dass sie nicht auftauchen würde. Dass sie mich endlich in Ruhe lassen würde. Doch diese Hoffnung war … aussichtslos.

1

EVERLY

»Mäuschen, könntest du bitte das Papier im großen Drucker nachfüllen?«, rief mir der schlaksige Mittfünfziger Martin Hiker von seinem Schreibtisch aus zu und schnipste dabei allen Ernstes mit seinen Fingern.

Wenn er nicht damit aufhörte und mich noch einmal Mäuschen, Häschen oder dergleichen nannte, würde ich ihm wohl oder übel den Tacker über den Kopf ziehen müssen. Und ich war mir sicher, dass die Personalabteilung das verstehen würde. »Mein Name ist Everly und ich bin kein Nagetier«, murmelte ich aus zusammengepressten Zähnen, stand jedoch auf, ohne es lauter auszusprechen. Stattdessen hörte ich Martins tiefes Lachen, das mich von meinem minimalistischen Arbeitsplatz in den Flur begleitete, wo die Kollegen emsig umherliefen, zum Teil miteinander oder ins Telefon sprechend. Anfangs hatte ich jeden gegrüßt, doch schnell bemerkt, dass ich zu unwichtig war, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Noch. Das würde ich mit der Zeit definitiv ändern. Fürs Erste jedoch sparte ich mir den Atem.

Der große Drucker stand in dem Kopierraum, der einer Abstellkammer glich. Klein, fensterlos und staubig durch das Gerät, das mehr oder weniger in Dauerbetrieb war. So viel zur Digitalisierung. Davon hielten die alteingesessenen Journalisten wohl nichts. Dementsprechend gut war die Luft hier drinnen. Nachdem ich neues Papier in die entsprechende Kassette des Kopierers gefüllt hatte, ging ich zurück zu meinem Platz, auf dem sich die Unterlagen stapelten. Den Laptop hatte ich heute noch kein einziges Mal aufgeklappt, weil ich erst die Ablage erledigen sollte. Als wäre ich eine billige Praktikantin und hätte keinen Bachelor in Journalistik. Allerdings war es nicht einmal Mittagszeit und die Chancen standen gut, dass ich heute dazu kam, etwas zu schreiben.

Seufzend nahm ich den obersten Stapel zur Hand sortierte die Dokumente.

Nur, damit man mich nicht falsch verstand: Ich liebte es hier, die Hektik und die Geschäftigkeit, die hier herrschten. Mir wurde jeden Tag aufs Neue bewusst, dass ich hier hingehörte. Ich war unendlich dankbar, dass man mir direkt nach meinem Abschluss die Chance gegeben hat, bei einer renommierten Zeitung wie der Los Angeles Sun anzufangen. Dass das keine Selbstverständlichkeit war, wusste ich. Das war der einzige Grund, weshalb ich mich mit den Arbeiten befasste, die sonst keiner erledigen wollte. Denn meine Zeit würde kommen und dann würde ich über die wichtigen Themen berichten. Themen, die die Welt beschäftigten und sie vielleicht sogar schockieren würden. Aber das dauerte, bis ich die entsprechende Berufserfahrung zusammenhatte. Und das würde schwer werden, solange ich Aufgaben bekam, die jeder Mensch erledigen konnte. Trotzdem würde ich diesen Job niemals aufgeben, denn so hatte ich den Fuß in der Tür.

Doch was mir daran nicht gefiel? Dass man mich behandelte, als wäre ich weniger wert als der Dreck unter den Fingernägeln der alteingesessenen Reporter.

Wobei ich mir selbst da versuchte, einzureden, dass das alles ein Test war. Dass ich, wenn ich es eine gewisse Zeit lang überstand, die Arbeiten zu erledigen, die keiner machen wollte, endlich etwas schreiben durfte. Denn wie sollte ich mich beweisen und zeigen, was ich draufhatte, wenn man mir keine Möglichkeit dazu einräumte?

Seufzend checkte ich mein Smartphone. Leider waren keine Nachrichten eingegangen, die mich ablenken könnten.

»Ist alles okay bei dir?«, fragte Martin und warf mir einen fragenden Blick zu. Eigentlich war er voll in Ordnung und ich fühlte mich schlecht, weil ich so genervt von ihm war. Aber daran war er nicht ganz unschuldig. Wenn er sich endlich mal meinen Namen merken würde, würde das schon viel helfen. Mir ständig irgendwelche abwertenden Spitznamen zu geben und mir die langweiligsten Aufgaben aufzubürden, bei denen ich mein Hirn nicht einmal einschalten musste, halfen nicht gerade dabei, ein positives kollegiales Verhältnis aufzubauen. Doch er versuchte es im Gegensatz zu den anderen, die mich ständig übersahen, und das rechnete ich ihm an. Zwar nicht besonders hoch, aber immerhin.

Ich nickte und streckte ihm meinen erhobenen Daumen entgegen. »Alles bestens.« Bevor ich groß darüber nachdenken konnte, fügte ich hinzu: »Es wäre noch besser, wenn ich mich an einem Artikel versuchen dürfte.«

Er war einer derjenigen, die die Online-Gossip-Seite der Sun mit Artikeln fütterte, die die Welt veränderten.

Nicht. Natürlich nicht.

Aber es gab offensichtlich einige Menschen, die diese Nachrichten lasen, wenn man sich auf die Klickzahlen verlassen konnte. Und womöglich schafften es die Berichte darüber, welches Kleid Jennifer Lawrence zu welcher Gala getragen hat, den Leuten ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. So sinnlos ich sie auch fand.

So lief es eben in dieser Branche. Man bekam nichts geschenkt. Hoffentlich konnte ich die Büroarbeit bald hinter mir lassen, damit ich mich so schnell wie möglich meinem großen Traum widmen konnte. Dem investigativen Journalismus, mit dem ich nicht nur Wahrheiten aufdecken, sondern die Welt mit Tatsachen bereichern würde, die sie nie erwartet hätte.

»Du möchtest einen Artikel schreiben?« Martin riss mich aus den Gedanken, hievte sich von seinem Stuhl und kam mit einigen Ausdrucken an meinen kleinen Tisch. Mit einem lauten Knall landete der Stapel Papiere vor mir. »Hier, bitte.«

Irritiert sah ich von den Unterlagen zu ihm und wieder zurück. »Was ist das?«

»Das sind Informationen, die du zu einem spannenden und im besten Fall sensationellen Text verwandeln sollst.« Dann wandte er sich von mir ab. »In der Zwischenzeit hole ich mir was vom Café nebenan.«

Mir klappte der Mund auf. Sprachlos starrte ich ihm hinterher, wie er unser Büro verließ, und versuchte zu verarbeiten, was er gerade gesagt hatte.

Er lässt mich einen Artikel schreiben?

Langsam kamen die Worte in meinem Hirn an und erblühten dort wie die Lichter eines Feuerwerks.

Oh. Mein. Gott! Ich darf einen Artikel schreiben!

Er sagte, im besten Fall erwartete er einen sensationellen Artikel … den sollte er bekommen! Endlich konnte ich zeigen, was ich draufhatte!

Hektisch blätterte ich durch die Unterlagen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Konzentriert las ich die Informationen und markierte mir die wichtigsten Details mit einem grünen Textmarker. Als ich damit fertig war, hatte ich schon eine Ahnung, in welche Richtung ich den Artikel treiben würde. Dann zog ich meinen Laptop unter dem Chaos hervor, klappte ihn auf und machte mich ans Werk.

Die Haustür fiel hinter mir ins Schloss und ich erlaubte mir für einen Moment, durchzuatmen, ehe ich mich bewegte. Was für ein Tag …

Was für ein Tag!

Wie von selbst verzogen sich meine Lippen zu einem Lächeln, das ich kaum unterdrücken konnte. Ich schlüpfte aus meinen weißen Chucks und stellte sie in die Garderobe. Oder in das, was wir als solche bezeichneten: ein schmales Schuhregal, über dem drei Haken an der Wand für unsere Jacken angebracht waren.

»Everly!« Meine beste Freundin und Mitbewohnerin Sydney stand, noch in Uniform bekleidet, zwischen dem kleinen Wohn- und Essbereich und der Küche. »Da bist du ja endlich.« Sie warf einen demonstrativen Blick auf ihr linkes Handgelenk, obwohl sie keine Uhr trug, um zu verdeutlichen, dass ich zu spät war.

»Hey Syd.« Erschöpft, aber glücklich nahm ich den Rucksack von meinen Schultern und hätte ihn am liebsten einfach fallen gelassen. Der Laptop darin ließ mich jedoch Vernunft annehmen. Also legte ich ihn fürs Erste auf das alte, durchgesessene schwarze Sofa, das Sydney und ich in den Kleinanzeigen gefunden hatten. »Sorry für die Verspätung.« Wir versuchten, in der Woche am Abend mindestens einmal zusammen zu kochen und darüber zu quatschen, was bei uns so los war. Nur, weil wir Mitbewohnerinnen waren, hieß das nicht, dass wir uns ständig sahen. Im Gegenteil. Dadurch, dass sie ein knallharter Police Officer war und im Schichtdienst arbeitete, verpassten wir uns oft.

»Alles gut.« Sydney winkte ab und wirkte dabei unendlich müde. »Ich bin auch erst vor ein paar Minuten gekommen.« Sie seufzte und trottete in Richtung Küche. »Wie geht’s dir?«, wollte meine Freundin wissen. »Wie war dein Tag?«

Ich folgte ihr und sah, dass sie bereits die Vorbereitungen für unser gemeinsames Abendessen getroffen hatte. Der mit Wasser gefüllte Kochtopf stand schon auf dem Herd, das Schneidebrett und diverses Gemüse lag auf der Arbeitsfläche bereit.

Bei dem Anblick gab mein Magen ein Knurren von sich, das sich in die Unterhaltung mischte. »Ich verhungere«, jammerte ich und sah sie leidend an, was sie mit einem Zwinkern kommentierte. Dabei fielen mir ihre Augenringe auf, die jedes Mal ein wenig dunkler waren, wenn ich sie sah. In ihren braunen Augen fehlte der Nachdruck, der ihren stechenden Blick sonst ausmachte. Außerdem waren ihre Haare unordentlich zu einem Knoten gebunden, obwohl sie jeden Tag, also wirklich immer, seit wir uns kannten, einen strengen Pferdeschwanz trug. Ich runzelte die Stirn und schob meine Freundin zu dem kleinen silbernen Bistrotisch, der mangels Alternativen zu unserem Esstisch umfunktioniert wurde. Dann drückte ich sie sanft an ihren Schultern auf den Holzstuhl, auf dem ein hellgraues Sitzkissen lag. Sobald ihre innere Anspannung nachließ, sank sie in sich hinein, was man quasi beobachten konnte. Zufrieden damit, dass sie sitzen blieb, begab ich mich zum Spülbecken und wusch mir sorgfältig die Hände. »Erzähl, Syd. Was ist los?«, fragte ich und schälte die Zwiebeln.

»Es ist so viel, dass ich gar nicht weiß, womit ich anfangen soll.« Meine beste Freundin klang so niedergeschlagen, wie schon lange nicht mehr. Zuletzt war das der Fall gewesen, als sie erfahren hatte, dass ihr Hamster gestorben war. Wobei man ehrlicherweise sagen musste, dass es eher das Haustier ihrer Eltern gewesen war. Ohne sie wäre das Tier frühzeitig von ihnen gegangen, denn Sydney selbst hatte kaum Zeit gehabt, um den Stall zu reinigen, an Nahrung oder gar Wasser zu denken. Schließlich hatte sie den Traum, Polizistin zu werden, schon im Kindesalter gehegt und sich dementsprechend darauf vorbereitet: Wenn sie nicht für die Schule gelernt hatte, war sie im Gym anzutreffen, wo sie ihren Körper für ihren Traumberuf gestählt hatte. Der Hamster war ein Versuch ihrer Eltern, ihre Fixierung auf das LAPD etwas zu lockern und ihr zu zeigen, dass es andere Sachen gibt, die einem Spaß machen konnten. Sich um Tiere kümmern zum Beispiel. Doch das war offensichtlich ziemlich in die Hose gegangen.

»Wie wäre es mit dem Anfang?«, schlug ich sanft vor und entsorgte die Zwiebelschale.

Der Mix aus einem zustimmenden Geräusch und einem Seufzen entwich ihr. »Dass Los Angeles nicht die sicherste Stadt ist, wissen wir alle«, murmelte sie. Mit einem kurzen Blick in ihre Richtung sah ich, dass sie ihren Kopf auf die Hände gelegt hatte und mich beim Schneiden der Zwiebel beobachtete. »Die Stadt der Engel. Dass ich nicht lache. Man sollte sie eher City of Devils nennen.«

Schniefend fuhr ich mir mit dem Handrücken über die Augen und verfluchte innerlich die Dämpfe des Gemüses, durch die meine Tränendrüsen aktiviert wurden. »Das klingt ein wenig melodramatisch«, kommentierte ich ihre Aussage. »Meinst du nicht?«

»Bei dem, was hier täglich abgeht?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Denn abgesehen von den alltäglichen Verkehrsunfällen und Verrückten, die ihr Unwesen treiben, den Bandenkriegen, die wir zu verhindern versuchen, und den Mordopfern, die scheinbar stetig mehr werden …« Sie atmete tief durch, während ich mir eine Träne wegblinzelte. »… häufen sich die illegalen Straßenrennen.«

Endlich war ich mit der Zwiebel fertig, nahm eine Pfanne aus dem Fach der weißen Küche, die ein Überbleibsel des Vormieters war, und schob die Stückchen hinein. Danach hielt ich eine rote Paprika in die Höhe. »Sind die schon gewaschen?« Syd nickte und ich setzte das Messer an die Schote. Dann wurde mir bewusst, was sie gesagt hatte. Ich stockte in der Bewegung und schob meine Augenbrauen in die Höhe. »Straßenrennen? Du meinst so wie in Fast and Furious?«

Ein freudloses Lachen entwich ihr. »Wenn es denn so aufregend wäre, wie es in den Filmen dargestellt wird.« Sie setzte sich auf und legte ihr Cop-Gesicht auf ihre zarten Züge. »In der Realität sieht das Ganze nicht so spaßig aus. Von den Gebäuden, den Straßenschildern und all den anderen Kollateralschäden, die während der Rennen entstehen, mal abgesehen. Weißt du, wie viele Unbeteiligte im Krankenhaus oder gar in der Leichenhalle landen?« Sydney schüttelte ihren Kopf, erwartete jedoch keine Antwort von mir. »Einer wäre schon zu viel«, fuhr sie fort und fixierte mich mit ihrem stechenden Blick. Da war er wieder. Ihr Kampfgeist war zurück. »Von Woche zu Woche häufen sich die Personenschäden. Und das Schlimmste dabei? Diejenigen, die den Opfern das antun, leisten nicht einmal erste Hilfe oder stehen für ihre Fehler gerade. Nein, sie fahren einfach weiter, sonst könnten sie ja das Rennen verlieren.«

»Wie bitte?« Ich riss die Augen auf und konnte kaum glauben, was ich hörte. »Sie lassen sie einfach liegen?«

Meine Freundin nickte und erklärte: »Deswegen steigen die Zahlen der Todesopfer. Bei vielen hätte man es sicher verhindern können, wenn sie rechtzeitig Hilfe bekommen hätten. Aber da sich keiner verantwortlich fühlt –«

»Puh, das ist hart«, erwiderte ich und verstand, warum sie das Gefühl hatte, von ihrem Job erdrückt zu werden. »Und du versuchst dein Bestes, gegen die Straßenrennen vorzugehen?«

»Das ist es ja«, antwortete sie und klopfte frustriert mit der flachen Hand auf den Bistrotisch, sodass ich erschrocken zusammenzuckte. »Ich kann nichts machen, solange ich nicht diejenigen in die Finger bekomme, die das Ganze organisieren.« Schließlich stand sie auf, nahm ein weiteres Schneidebrett und Messer zur Hand und half mir, das Gemüse zu zerkleinern. »Es bleibt mir vorerst nichts anderes übrig, als danebenzustehen und zu versuchen, die Rennen jedes Mal zu sprengen, bevor etwas passiert. Doch bis wir erfahren, wo die Treffpunkte sind, sind die Teilnehmer schon über alle Berge.«

»Deswegen die vielen Doppelschichten momentan?«, fragte ich und schob die gehackte Paprika in die Pfanne.

»Der Captain gibt mir nicht so viel Spielraum, wie ich bräuchte.« Mit den Fingern malte sie Gänsefüßchen in die Luft. »Officer Barnes, Sie sind noch keine fünf Jahre dabei und maßen sich an, mir zu sagen, worauf wir unser Augenmerk legen sollten?« Seufzend zerhackte sie die Zucchini. »Also muss ich das außerhalb der Dienstzeit angehen –«

»Warte, was? Die Doppelschichten machst du also freiwillig?« Da das Wasser inzwischen kochte, füllte ich die rohen Nudeln in den Topf und stellte einen Timer.

»Und unbezahlt, ja« Sie warf ihr Gemüse in die Pfanne und erhöhte die Hitze des Herds.

Ich legte die Schneidebretter und unsere Messer in die Spüle, ehe ich mich mit gerunzelter Stirn zu ihr drehte. »Wie kann ich dir helfen?« Das Bedürfnis, etwas für meine beste Freundin zu tun, war so gigantisch, dass es einem Brachiosaurus Konkurrenz machen konnte.

»Indem du dich um deine Sachen kümmerst«, erwiderte sie mit einem frechen Grinsen und sah mich im nächsten Moment ernst an, bevor ich mich dazu äußern konnte. »Nein, wirklich, Ev. Das ist etwas, worum ich mich kümmern muss.«

»Hmpf«, machte ich und verzog das Gesicht. Das gefiel mir nicht. Irgendwie musste ich ihr doch helfen können …

»Stört es dich, wenn ich mir einen Wein einschenke?«, fragte Syd und hob eine Weißweinflasche in die Höhe.

Ich trank keinen Alkohol. Nicht seitdem ich erlebt habe, in welche Monster er die Menschen verwandeln konnte. Ich mochte zwar ein Kind gewesen sein, aber vergessen hatte ich deshalb noch lange nicht. »Nein, mach ruhig«, antwortete ich und rührte mit einem Kochlöffel die Nudeln um. Ein kurzer Blick auf den Timer sagte mir, dass sie nur noch wenige Minuten brauchten, bis sie gar waren. Endlich.

Sydney nahm zwei Teller aus dem Schrank und deckte den Tisch, während ich dafür sorgte, dass nichts anbrannte. »Erzähl«, verlangte sie schließlich, schenkte mir Wasser in ein Glas ein und reichte es mir. »Wie war dein Tag?«

Unwillkürlich bogen sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln, als ich daran dachte, in welche Richtung sich mein Arbeitstag entwickelt hatte.

Schmunzelnd betrachtete sie mich. »So gut also?«

»Warte!«, befahl ich und sauste zu dem Rucksack, der noch immer auf dem Sofa lag. Genau dort, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Ich holte den Laptop raus und hoffte, dass der Akku mitmachte. Zurück in der Küche, öffnete ich den Computer und gab die Internetseite der L.A. Sun ein. Endlich fand ich den Artikel und drehte meiner Freundin den Bildschirm zu.

»Der Touchdown der Liebe«, las sie, zog die Augenbrauen in die Höhe und betrachtete mich mit einem skeptischen Blick.

Ich bemühte mich, nicht ungeduldig auf den Fußballen vor und zurück zu wippen, während Syd den Artikel durchlas. Er handelte von dem Footballspieler Paxton T. Jones, der in einer Verletzungspause mit seiner Physiotherapeutin zusammengekommen ist.

Der Timer piepte und ich war einerseits froh um die Ablenkung, aber auf der anderen Seite hätte ich die Regungen in dem Gesicht meiner Freundin während des Lesens zu gerne beobachtet. Zwiegespalten nahm ich den Topf und leerte ihn in ein Nudelsieb. Die gegarten Nudeln schüttete ich zu dem gebratenen Gemüse und schlug darüber zwei Eier auf. Dann vermengte ich das Ganze, schaltete die Hitze runter und drehte mich zu Sydney. »Und?«

»Eine Geschichte wie aus einem Liebesroman«, meinte sie und prostete mir mit ihrem Weinglas zu, ehe sie einen Schluck davon trank.

»Ist das gut?«, fragte ich zögerlich, prüfte, ob die Eier über der Nudelpfanne inzwischen gestockt waren, und nahm die Pfanne von der heißen Herdplatte.

»Hm«, machte sie, brachte den Laptop in Sicherheit und kam mit den Tellern zur Küchenzeile, damit wir diese füllten. Auf unserem Bistrotisch war einfach nicht genügend Platz, ansonsten hätten wir die Pfanne zwischen uns gestellt. »Mir persönlich viel zu kitschig.«

Ehrlich gesagt war mir egal, wie ihr die Geschichte der beiden gefiel. Mir ging es um den Artikel. »Und was sagst du zu dem Bericht?«

»Der ist gut geschrieben«, bemerkte Syd, fügte jedoch an, dass der Autor doch ein gewisser M.H. gewesen sei. Sie führte eine gehäufte Gabel zu ihrem Mund und kaute langsam. »Weshalb bist du so scharf auf meine Meinung?«

»Rate mal, wer den Text verfasst hat«, antwortete ich kauend und hörte Ma im Geiste mit mir schimpfen, dass man erst die Schnute leer machen sollte, ehe man sprach. Und sie hatte ja recht.

Sydneys Augen wurden groß. »DU?!«

Ich presste die Lippen zusammen, damit ich nicht allzu breit grinste, und nickte so stark, dass meine braunen Haare wild umherflogen.

»Aaaah!« Meine beste Freundin sprang auf, umkreiste den Tisch und warf ihre Arme um mich. »Das ist so toll! Herzlichen Glückwunsch! Wie kam es dazu, dass sie dein Talent endlich würdigen?« Sie hielt inne und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. »Wobei so wirklich würdigen ist das ja nicht, wenn ein anderer die Lorbeeren für deinen Artikel einheimst?«

»Danke«, erwiderte ich und lächelte dabei, obwohl Syd genau das angesprochen hatte, was mir ebenfalls ein wenig Bauchschmerzen beschert hatte. »Ich habe bei Martin heute erwähnt, dass es mir besser gefallen würde, dort zu arbeiten, wenn ich etwas schreiben dürfte. Daraufhin hat er mir dieses Thema gegeben.«

»Das du wirklich gut umgesetzt hast. Wie gesagt, es liest sich wie ein Roman.« Das Kompliment aus dem Mund meiner besten Freundin bedeutete mir unglaublich viel, denn sie klatschte mir immer die ungeschönte Wahrheit ins Gesicht. »Aber warum stehen dann seine Initialen unter dem Artikel?«

»Weil ich in der Probezeit nichts veröffentlichen darf«, wiederholte ich, was Martin mir erklärt hatte. »Ich darf und soll Berichte schreiben, aber noch nichts publishen. Das waren Martins Worte.«

»Wieso das denn?« Sie machte ein nachdenkliches Gesicht, und ich zuckte mit meinen Schultern. »Er hat aber hoffentlich irgendwo notiert, dass der Entwurf des Artikels von dir stammt?«, fragte sie, woraufhin ich das Gefühl bekam, als würde man mir die Luft aus den Lungen saugen.

Verdammt! Daran hatte ich gar nicht gedacht. »Das hoffe ich auch.«

2

CASE

»Wie viele Leute ihr Getriebe zerstören, weil sie das mit der Schaltung nicht hinbekommen, ist echt traurig.« Moe fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. »Wenn sie mit einem manuellen Schaltgetriebe nicht zurechtkommen, sollten sie bei Automatik bleiben. Ich verstehe sowieso nicht, woher der Hype kommt. Muss ja fast aus Europa rüberschwappen.«

»Da bin ich ganz bei dir.« Ich warf einen Blick auf die Unterseite des Mercedes, der sich über uns auf der Hebebühne befand, und bereitete mich mental darauf vor, das Teil auszubauen. »Ich kann es auch nicht nachvollziehen.« Was natürlich nicht stimmte, was meinem Boss mehr als bewusst war. Schließlich war es für mich als Racer essentiell, mein Auto mit dem Schaltgetriebe in Höhen zu schrauben, von denen einem automatischen Getriebe schlecht werden würde. Aber der Unterschied zwischen den Autofahrern, deren Fahrzeuge wir reparierten und mir? Ich wusste mit der Schaltung umzugehen.

»Hallo?«, hörten wir eine weibliche Stimme vor der Tür. Das klang nach Kundschaft. »Jemand da?«

»Könntest du die Getriebeflüssigkeit ablassen? Dann geh ich schauen, wer da ist.« Moe nickte in Richtung der Metalltür und rief: »Bin gleich bei Ihnen.«

»Klar.« Also zog ich meine Arbeitshandschuhe an und machte mich ans Werk. Erst nahm ich einen Auffangbehälter zur Hand, in dem ich die Flüssigkeit sammeln konnte. So war es möglich, dass wir sie zu einem späteren Zeitpunkt umweltfreundlich entsorgen konnten, und das war etwas, worauf Moe und ich stets versuchten zu achten.

Das Radio dudelte im Hintergrund und berichtete von der Kriminalitätsrate, die in der Stadt immer größer wurde. Woran unter anderem die Straßenrennen schuld waren, bei denen es inzwischen fast wöchentlich Verletzte gab. Ich schüttelte den Kopf. Wie war es möglich, dass die Racer nicht mehr auf ihre Mitmenschen achteten? Als ich in die Szene gerutscht war, gab es keine Personenschäden. Keine Ahnung, bei welchen Rennen es zu Verletzungen kam. Wenn ich fuhr, passierte das nicht. Dass die Autos was abbekamen, war keine Seltenheit. Aber es waren keine Unbeteiligten zu Schaden gekommen. Bis auf …

Nein, diesen Gedanken wollte ich nicht weiter ausführen und machte mich stattdessen daran, die Getriebekabel zu lösen. Es war wichtig, die elektronischen Verbindungen zu trennen, also auch den Getriebestecker, das Schalthebelkabel und alles, was sonst noch dran hing.

»Morgen kommt die Miss mit ihrem BMW, bei dem wir ’nen Ölwechsel machen sollen«, erwähnte Moe, als er zu mir trat und mich dabei beobachtete, wie ich die Teile ordentlich auf die Werkbank ablegte.

Ich hielt einen Moment inne und grinste ihn an. »Schnell verdientes Geld.« So ein Ölwechsel war ein Routinejob.

Er nickte. »Ich schau fix nach, ob wir noch das passende Öl auf Lager haben.«

»Falls nicht, kann ich später kurz zum Großhändler fahren und die besorgen, die uns ausgehen«, bot ich ihm an und löste die Halterung des Getriebeträgers, um das Getriebe vom Fahrzeugrahmen zu trennen.

»Das wäre klasse.« Der alte Mann humpelte in den hinteren abgetrennten Bereich der Werkstatt, in dem wir unser Lager hatten.

50 Cent rappte sich derweil die Seele aus dem Hals und unterhielt mich mit seiner Musik. Keine miesen Nachrichten mehr, die einen runterzogen. Das war besser.

Nachdem ich die Halterung vom Autorahmen gelöst hatte, musste ich das Getriebe vom Motor entfernen. Dafür montierte ich die Schrauben und Bolzen ab, mit denen es am Motor befestigt war. Ich liebte meinen Job. Man tat was mit seinen Händen, musste jedoch den Kopf anstrengen, damit man nichts irreparabel zerstörte. Man sollte wissen, was man tat, und sich keine Fehler erlauben, wenn man das Fahrzeug nicht mehr beschädigen wollte.

Ich hatte das Glück gehabt, dass Dad mit mir regelmäßig an seinem Auto geschraubt hatte. So habe ich früh viel praktisches Wissen gesammelt. Zumindest bis zu dem Tag, der alles verändert hatte.

DAMALS

CASE - 12 JAHRE ALT

»Kannst du mir bitte den Schraubendreher reichen?«, bat Dad und streckte seinen verschmutzten Arm unter dem Wagen hervor. Seit ich denken konnte, schraubte er an diesem Auto herum. Ich liebte es, die Wochenenden gemeinsam mit ihm in der Garage zu verbringen. Dabei fühlte ich mich erwachsener und Dad erlaubte mir sogar manchmal, mit anzupacken. Er hatte mir verraten, dass er das Gleiche früher mit Grandpa gemacht hatte, und dieser ebenfalls mit seinem Dad an Autos geschraubt hatte. Eigentlich war es ein Wunder, dass keiner aus unserer Familie je daran gedacht hatte, eine Werkstatt zu eröffnen.

»Welche Größe?«, fragte ich, nachdem ich die immense Auswahl der gut sortierten Werkzeugkiste betrachtete.

»Dreizehner«, kam die schnelle Antwort von Dad, der bereits ungeduldig mit den Fingern wackelte.

»Hier, bitte.« Ich suchte einen Moment und legte ihm den Schraubenzieher in die Handfläche. Schon war seine Hand wieder unter dem Fahrzeug verschwunden, unter dem ausschließlich ein Teil seiner Beine herausschaute. Er lag auf einem Montagerollbrett, wodurch er sich unter dem Auto relativ gut bewegen konnte.

Das heisere Lachen meines Vaters erklang. »Ich hätte vielleicht dazusagen sollen, dass ich den Kreuzschlitz benötige«, murmelte er und streckte den Arm erneut unter dem Auto hervor, sodass ich das Werkzeug zurück in die Kiste stecken und das Richtige herausziehen konnte. »Danke, mein Sohn«, antwortete er, nachdem ich ihm den benötigten Schraubendreher in die Hand gelegt hatte.

Meine Brust schwoll an vor Stolz, weil ich ihm helfen konnte. Grinsend sprang ich auf die Werkbank und ließ sitzend die Beine wackeln. Gary Silverpunt würde einen Dreizehner nicht mal erkennen, wenn man ihm einen vor die Nase hielt. Da war ich mir sicher. Gary war zwei Stufen über mir und hatte es sich zum Sport gemacht, uns jüngere Schüler zu ärgern. Aber Mom und Dad hatten mir geraten, ihn zu ignorieren. Wenn das nur so einfach wäre …

»Das war’s.« Dad schob sich unter dem Fahrzeug hervor und stand ächzend auf. »Gut, dass du mir so viel hilfst, Junge«, sagte er und stellte sich neben mich. »Irgendwann bin ich so alt, dass ich mich nicht mehr unter das Auto schieben kann.« Er wuschelte mir durch die braunen Haare, wodurch er den Dreck, der an seinen Händen klebte, an mir verteilte.

»Mensch, Dad!«, rief ich aus und zuckte weg. Doch er lachte nur sein raues Lachen, drehte sich um und räumte den Schraubenzieher zurück in die Werkzeugkiste.

»Wenn ich nicht mehr in der Lage bin, an dem Auto zu schrauben, kann ich auf deine Hilfe zählen. Oder, Junge?«

»Ja, Sir«, antwortete ich mit einem frechen Grinsen und salutierte dabei.

»Sehr gut.« Erst dann wurde ihm bewusst, dass ich auf seiner Werkbank saß, und machte eine scheuchende Bewegung in meine Richtung. »Runter da! Das ist keine Sitzbank!«

Lachend sprang ich hinunter und lief durch die Verbindungstür in die Küche unseres Hauses, wo Mom am Herd stand. »Vorsicht, Case«, ermahnte sie mich mit dem Kochlöffel in der Hand, von dem ein Tropfen der Soße auf die dunkelgrauen Fliesen fiel. »Wie siehst du denn aus?«, fragte sie und schüttelte den Kopf. »Ihr Männer immer … ab unter die Dusche mit dir.«

»Kann ich nicht nach dem Essen duschen?«, murrte ich, denn jetzt hatte ich überhaupt keine Lust.

»Ja, Mom, können wir nicht nach dem Essen duschen?«, wiederholte Dad die Frage, der eben durch die Tür gekommen war. Dann trat er auf Mom zu und gab ihr einen Kuss direkt auf die Lippen.

Widerlich.

»Du machst mich noch ganz schmutzig, Percy!« Mom lachte, schob Dad von sich und schaute ihn streng an. »Verkneif dir deinen Spruch.«

»Wenn’s sein muss«, antwortete Dad und zwinkerte mir zu.

»Dann ab unter die Dusche mit euch beiden, ich habe noch einen Auftrag für euch.«

»Oh. Welchen?«, wollte ich wissen und rieb mir die Hände. »Sollen wir deinen Volvo schneller machen? Oder müssen die Reifen gewechselt werden?« Man merkte womöglich, dass ich meinen Spaß daran hatte, an und mit Autos zu basteln. »Uh, oder dürfen wir die neue Lackfolie ausprobieren und dir deinen Volvo verschönern?«

Lachend winkte sie ab. »So aufregend ist der Auftrag leider nicht, tut mir leid.«

Und schon verflog mein Enthusiasmus. »Na toll.«

»Aber wir brauchen Toilettenpapier, das habe ich vorhin beim Einkaufen vergessen«, erklärte Mom und rührte die Soße um, die inzwischen blubberte. »Es wäre super, wenn ihr das fix besorgen könntet – nachdem ihr euch sauber gemacht habt.«

Meine Laune sank immer weiter. Das war ja für den Arsch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich hütete mich davor, auszusprechen, was ich dachte.

»Das machen wir natürlich, oder Case?« Dad sah mich mit eindringlichem Blick an, bis ich ergeben nickte.

»Das lohnt sich doch überhaupt nicht, nur wegen Klopapier einkaufen zu gehen«, meckerte ich, nachdem Dad und ich frisch geduscht auf dem Weg zum 7-Eleven waren.

»Ach Case.« Dad legte mir den Arm um die Schultern, während wir die Rochester Avenue überquerten. »Deine Mom macht für uns so viele Dinge, die sich im ersten Moment vielleicht nicht zu lohnen scheinen, doch im Endeffekt das Zünglein an der Waage sind.«

Ich überlegte eine Sekunde und fand, dass Dad erstaunlich weise sein konnte. Dennoch verstand ich nicht recht, was er meinte. Also fragte ich ihn.

»Wenn sie zum Beispiel darauf achtet, dass wir nicht ungeduscht aus dem Haus gehen, weil wir uns sonst lächerlich machen könnten.« Er drückte meine Schulter. »Im ersten Moment denkt man, dass sich das doch gar nicht lohnt, wenn man danach eh noch Tomatensoße isst, oder?« Ich nickte eifrig, was Dad dazu animierte, weiterzusprechen. »Wir wissen aber nicht, wen wir auf dem Weg treffen könnten. Stell dir nur mal vor, wir würden Eminem in die Arme laufen und würden aussehen wie frisch aus der Werkstatt.«

Schockiert atmete ich ein, während mein Puls in die Höhe schoss, und schaute Dad aus großen Augen an. »Meinst du wirklich, wir könnten Eminem treffen?«

Dad lachte und dirigierte mich über die Glendon Avenue auf die Wilkins Avenue. »War ja klar, dass du dir nur darüber Gedanken machst.«

»Man muss schließlich Prioritäten setzen.«

»Da hast du vollkommen recht, mein Junge«, bestätigte Dad schmunzelnd.

Der Supermarkt war nicht mehr weit entfernt. Ich sah schon die parkenden Autos und befürchtete, dass wir ewig in dem Laden brauchen würden. Wegen Klopapier! Was wir stattdessen in der Zeit machen konnten! Aber gut, Dad hatte ja recht. Mom tat auch immer alles für uns, unabhängig davon, ob sie Lust darauf hatte oder nicht.

»Morgen können wir uns am Tausch des Zündkolbens versuchen, wenn du möchtest?«

»Oh ja!« Ich nickte begeistert, denn ich konnte es kaum abwarten, das Auto, an dem Dad und ich schon seit so vielen Wochen schraubten, endlich fahren zu sehen.

»Dann haben wir ja einen Plan.«

Wir redeten weiter über die Teile, die wir noch einbauen oder tauschen mussten. Wobei Dad ehrlicherweise mehr sprach, und ich zustimmend nickte. Viele Begriffe, die er nannte, sagten mir nichts und hinterließen ein großes Fragezeichen in meinem Kopf. Aber das wollte ich nicht zugeben. Dad wusste das sowieso und erklärte mir beim Einbau immer, wofür welches Teil zuständig war.

Quietschende Reifen ließen uns aufblicken. Über dem Parkplatz des 7-Eleven bildete sich eine Rauchwolke, die nach verbranntem Gummi roch. Nervös knetete ich meine Finger, denn der Geruch in Kombination mit dem Rauch hieß für mich eins: Da hat jemand die Reifen seines Autos ordentlich durchdrehen lassen.

Dad und ich wechselten einen Blick. Er bedeutete mir, zurückzubleiben, und trat vorsichtig an die Einfahrt heran. Unwillkürlich raste mein Herz. »Dad?«, fragte ich nach einigen Sekunden.

»Alles okay, Junge«, sagte er, richtete sich auf und trat einen Schritt zurück auf die Einfahrt zum Parkplatz. Das brüllende Röhren eines Motors, gefolgt von einem metallischen Scheppern ließ mich erschrocken zusammenzucken. Gab es etwa einen Unfall? Dad sah in die Richtung, aus der der Lärm kam und hob instinktiv den Arm, um mich fernzuhalten. Und das, obwohl ich zwei Meter von ihm entfernt war.

Das war seine letzte Reaktion, ehe er von einem sich überschlagenden schwarzen VW-Bus begraben wurde. Es war ein ohrenbetäubendes Geräusch, als der Kleinbus noch zwei Überschläge machte und schließlich auf dem Asphalt aufkam.

Wie paralysiert stand ich da und starrte auf meinen Vater.

Auf meinen Vater, der zu still am Boden lag. »Dad?«, flüsterte ich krächzend und hoffte, er würde im nächsten Moment aufstehen, sich die Kleider ausklopfen und etwas Witziges sagen. Doch er regte sich nicht. In mir wuchs die Panik, woraufhin die Paralyse endlich von mir abfiel. Ich überbrückte die wenigen Meter und fiel vor ihm auf die Knie. »Dad«, schluchzte ich und betrachtete sein Gesicht, das voller Schrammen war. Wann hatte ich angefangen, zu weinen? »Dad, hörst du mich?« Ich rüttelte ihn an seiner Schulter, um ihn zum Aufwachen zu bewegen. »Dad, komm schon.« Da fiel mir das Blut auf, das unter seinem Kopf hervordrang. »Nein, nein, nein«, flehte ich und bemerkte, wie die Verzweiflung in mir überhandnahm. In einem letzten Eckchen meines Kopfes, das noch nicht von der Angst überflutet war, kam mir der Gedanke, Hilfe zu holen. Doch ich wollte Dad nicht alleine lassen. Schluchzend fuhr ich mit der Hand in seine Hosentasche und fischte sein Smartphone heraus. Das Display war zwar gebrochen, aber der Touchscreen reagierte noch.

Mit vor Tränen fast blinden Augen tippte ich die 911 ein. »Bitte, ich brauche Hilfe«, wimmerte ich, sobald sich die Notrufzentrale meldete.

»Wie heißt du, mein Junge? Was ist passiert?«

»Mein Dad«, schluchzte ich und versuchte, ruhig zu atmen, damit die Frau am Telefon mich auch verstand, »er wurde umgefahren. Er …« Ich holte tief Luft und gab mir Mühe, die Wörter langsam zu artikulieren. »Ein Kleinbus hat sich überschlagen und Dad war …« Ein Wimmern drang aus meiner Kehle. »… Dad war im Weg und wurde von dem Bus erwischt.«

»Okay, kannst du sehen, ob er noch atmet?«, fragte die Dame, und meine Finger wurden taub, so fest hielt ich das Telefon. Mein Blick wanderte zu Dads Brust und mein Puls hämmerte. In meinem Inneren zog sich alles zusammen, denn ich sah nichts. Keine Bewegung. Nichts. Mein Herz sackte mir in den Magen. »Ich … nein.«

»Okay, mein Junge. Wo bist du? Ich schicke jemanden zu dir.«

»Wir …«, stotterte ich und bemühte mich, mich zusammenzureißen. »Ich …« Ich sah mich um und versuchte, das Straßenschild an der Ecke zu lesen. »Der 7-Eleven am Westwood Boulevard.«

»Hilfe ist unterwegs. Kannst du mir deinen Namen sagen?«

»Case …«, antwortete ich und legte den Kopf auf die stille Brust meines Dads. »Case Mitchell.«

3

CASE

Die Erinnerungen an den Tag, als Dad vor meinen Augen starb, kamen und gingen ohne Vorwarnung.

Sie drückten mich nicht mehr zu tief hinab, dafür hatte ich sie zu oft bereits in meinem Kopf abgespielt. Zeit heilte nicht alle Wunden, nein. Aber sie legte einen dünnen Schorf darüber, damit die Wunde nicht ständig nässte.

Ich atmete tief und kontrolliert ein und wieder aus, bevor ich den Getriebeheber zu mir holte. Das stabile Metallgestell war mit vier Rollen ausgestattet, wie bei einem Schreibtischstuhl, sodass man den Heber samt Getriebe in der Werkstatt bewegen konnte. Mit den Pedalen, die dort angebracht waren, war es durch die Hydraulikpumpe schnell möglich, die Haltevorrichtung auf die richtige Höhe zu bringen. Sobald das Getriebe sicher auf der Halterung lag, senkte ich das Gerät mit den Fußhebeln langsam herab, damit es auf meiner Höhe war.

»Wir hätten das Öl für den BMW zwar noch da, aber es ist eines der letzten.« Die Tür zum Lager fiel hinter Moe ins Schloss. »Falls es für dich okay ist, wäre es super, wenn du einen Abstecher zu Automotive Dreams machen könntest.«

Ich nickte, während ich den Arbeitstisch für das Getriebe bereit machte.

»Ansonsten können wir das Öl bestellen. Dauert zwar dann etwas länger, aber noch hätten wir ja was in der Hinterhand.«

»Kein Thema, Moe. Ich fahr später vorbei. Hatte ich dir doch angeboten.« Vorsichtig rollte ich den Heber, auf dem das Getriebe lag, zu der Werkbank und senkte ihn hinab, bis es beinahe auf dem Tisch lag.

»Danke, mein Junge.« Mein Boss begutachtete, was ich tat, und trat um den Werktisch herum. »Ein bisschen weiter nach links. Dann ist es mittig.« Nachdem ich den Heber über der Werkbank feinjustiert hatte, senkte ich die Halterungsvorrichtung vorsichtig hinab, bis das Getriebe auf der Oberfläche stand. Während ich das Metallgestell auf die Seite räumte, fixierte Moe das Teil auf dem Tisch, damit es uns nicht irgendwie hinabfallen konnte. »Bereit?«

Nickend grinste ich ihn an. Jetzt kam der Moment, der mir an der Arbeit den meisten Spaß machte. Den Fehler zu suchen und ihn zu beheben. »So was von!«