Hedwig Courths-Mahler - Folge 156 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 156 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Ruth von Goseck, die mit ihrer Stiefmutter in bescheidenen Verhältnissen lebt, ist zu einem bezaubernden Geschöpf herangewachsen. Trotz ihrer Armut bewerben sich gleich drei Männer um ihre Hand: Der Majoratsherr Heinz von Rainsberg glaubt, die junge Frau durch seinen Reichtum für sich gewinnen zu können, aber auch sein Neffe Walter und ein junger Wissenschaftler erliegen schon bei der ersten Begegnung dem Charme der ebenso hübschen wie liebreizenden jungen Dame. Ruth zögert mit ihrer Entscheidung - und so entbrennt zwischen den Rivalen ein gnadenloser Kampf um ihre Gunst...

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Inhalt

Cover

Impressum

Das stolze Schweigen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2187-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das stolze Schweigen

Roman um eine große Liebe, die von einem furchtbaren Verbrechen überschattet wird

Es war in der Vorkriegszeit, im Winter 1910.

Ruth von Goseck trat in das Zimmer ihrer Stiefmutter. „Du hast mich rufen lassen, Mama. Was wünschest du?“

Frau Dina von Goseck richtete sich aus ihrem Lehnsessel empor und sah wie aus tiefen Gedanken aufschreckend zu ihr auf. „Komm, Ruth, setze dich zu mir. Ich muss einmal ganz ernstlich und eindringlich mit dir reden, muss dir einmal unsere Lage klarmachen.“

„Liebe Mama – das klingt ja so – so feierlich. Und du machst ein so ernstes Gesicht?“

Frau von Goseck seufzte. „Mir ist auch sehr ernsthaft zumute, Kind. Ich habe Sorgen – schwere Sorgen.“

Ruth fasste ihre Hand. „Liebste Mama – lass mich dran teilnehmen –, wir wollen doch alles gemeinsam tragen wie zwei gute treue Freundinnen. So hast du mir gesagt.“

Frau Dina nickte. „Ja, so habe ich dir gesagt. Und kurz und gut, Kind – es geht nicht mehr so weiter wie bisher. Unsere Finanzen stehen schlecht – außerordentlich schlecht. Ich habe mich immergefürchtet, das zur Sprache zu bringen, habe den Gedanken daran von mir gewiesen, solange es ging. Aber nun geht es eben nicht mehr. Dein guter Vater ist uns zu früh gestorben, liebe Ruth. Solange er lebte, hatte er ein großes Einkommen, musste aber auch repräsentieren, und so verbrauchten wir sehr viel. So ist es nicht zu nennenswerten Ersparnissen gekommen. Bei seinem Tode hinterließ er für dich eine ersparte Summe von zwanzigtausend Mark, die eine Aussteuer für dich ergeben sollte. Außerdem bekam ich von einer Lebensversicherungsgesellschaft dreißigtausend Mark, und dann erhalte ich ja eine bescheidene Pension. Leider habe ich nie viel von Geldgeschäften verstanden. Ich konnte mir zwar sagen, dass wir nach dem Tode deines Vaters viel sparsamer leben müssten, ich versuchte es auch – aber nun sehe ich doch mit Schrecken, dass wir viel zuviel ausgegeben haben. Wir sind beide zu sehr verwöhnt und unpraktisch. Schon seit einer geraumen Zeit sehe ich, dass wir weit über unsere Verhältnisse leben und dass wir kaum ein Drittel von dem ausgeben dürften, was wir tatsächlich verbrauchen. Ich habe schon verschiedene Male angesetzt, dir das zu sagen – aber ich brachte es nicht übers Herz und ließ die Dinge gehen. Es war ein Gefühl in mir, als müsse uns von irgendeiner Seite Hilfe kommen, wenn die Not am größten sein würde. Aber nun muss ich endlich mit dir reden. Obwohl ich meinte, mich tunlichst eingeschränkt zu haben in den drei Jahren nach dem Tode deines Vaters, habe ich heute ausgerechnet, dass von der Versicherungssumme schon zwanzigtausend Mark verbraucht sind. Das erste halbe Jahr, ehe ich die große Wohnung und die Dienstboten loswurde und alles noch im alten Gleise lief, habe ich allein zehntausend Mark zugesetzt. Das andere in der übrigen Zeit. Und nun besitze ich außer der Pension nur noch zehntausend Mark. Es ergeben sich danach für uns folgende Möglichkeiten: entweder wir leben noch ein bis zwei Jahre in der jetzt gewohnten Weise und verbrauchen die zehntausend Mark noch, um dann ganz auf unsere bescheidene Pension angewiesen zu sein, oder aber – ganz offen, Ruth, ich habe daran gedacht, dass eine von uns beiden eine gute Partie machen könne. Ja sieh mich nicht so entsetzt an, ich habe damit gerechnet – ziemlich stark damit gerechnet. Wir sind doch beide keine Kampfnaturen, die es leicht mit einem widrigen Schicksal aufnehmen. Ich habe in Erwägung gezogen, dass du ein sehr schönes, viel umschwärmtes Mädchen bist, und ich selbst – nun, ich bin, ohne allen Selbstbetrug, trotz meiner fünfunddreißig Jahre doch auch noch eine recht präsentable Erscheinung. Ich möchte auch, offen gesagt, meine Tage nicht als Witwe beschließen und schon jetzt resignieren. Aus Liebe werde ich allerdings schwerlich noch einmal heiraten, denn ich habe deinen Vater, obgleich er ein gut Teil älter war als ich, unsagbar geliebt und werde ihn nie vergessen. Eine zweite Ehe würde ich nur nach vernünftiger Erwägung eingehen und nur dann, wenn ich dadurch meine Verhältnisse erheblich verbessern könnte. Wenn ich eine gute Partie machen könnte, dann würde ich natürlich nach besten Kräften auch für dich sorgen. Aber besser ist doch, du machst selbst eine gute Partie. Und du brauchst nur zu wollen, Kind. Ich muss da auch etwas zur Sprache bringen, was ich beobachtet habe. Halte mich nicht für unzart – ich muss daran rühren. Also, ich habe bemerkt, dass du dir nicht ungern die Aufmerksamkeiten des jungen Freiherrn Hans von Rainsberg gefallen lässt.“

Ruth fuhr auf und bekam einen brennenden Kopf. „Mama!“

Frau Dina hob beschwichtigend die Hand. „Du brauchst mir nichts zu sagen, Ruth, ich kann dich so gut verstehen! Hans von Rainsberg ist ein Mann, der sehr wohl imstande ist, ein junges Mädchenherz zu fesseln. Ich finde ihn sehr liebenswert und würde dich ruhig gewähren lassen – wenn er nicht eben ein armer, vermögensloser Mann wäre, der von seinem Onkel, dem Majoratsherrn von Rainsberg, unterstützt werden muss. Hans von Rainsberg ist zwar ein fleißiger, tüchtiger Mensch, der sich durch seinen Beruf sicher eines Tages eine sichere Lebensstellung schaffen wird, aber bis dahin können noch lange Jahre vergehen, und darauf zu warten, hieße für dich, deine Jugend begraben. Auch damit kann man nicht rechnen, dass er seinen Onkel beerbt, obwohl er ja vorläufig der nächste Majoratserbe ist. Aber sein Onkel ist noch jung, soviel ich weiß dreiundvierzig Jahre, und es ist bekannt, dass er die Absicht hat, sich endlich zu verheiraten. Er kann also selbst Söhne bekommen, und dann scheidet Hans von Rainsberg als Erbe aus. Du siehst also, liebe Ruth, dass es sehr töricht von dir wäre, dich in eine haltlose Neigung zu ihm zu verlieren – und dir dadurch glänzende Aussichten zu verderben. Ich bin überzeugt, du kannst Majoratsherrin von Rainsberg werden, wenn du nur willst.“

„Mama – du könntest mir wirklich raten, einem Mann die Hand zu reichen, den ich nicht liebe, einem Manne, der mehr als doppelt so alt ist wie ich?“

Frau Dina seufzte auf. „Meine liebe Ruth, zwischen deinem Vater und mir war auch ein großer Altersunterschied, und doch war ich glücklich mit ihm.“

„Weil du ihn liebtest! Liebe überbrückt alle Gegensätze.“

„Ja, da hast du Recht. Ich will dir ja auch nur alles zu bedenken geben und dich bitten, dir alles reiflich zu überlegen. Der Majoratsherr von Rainsberg ist in unserem Bekanntenkreise die glänzendste Partie, und viele junge Mädchen suchen seine Gunst zu erringen. Man weiß, er sucht eine Frau und hat ernste Heiratsabsichten. Aber er wendet niemandem sein Interesse zu als dir – ich glaube bestimmt, dass er ernste Absichten hat auf dich.“

Ruth machte eine ängstlich abwehrende Bewegung. „Um Himmels willen – hoffentlich täuschst du dich, Mama! Ich habe vielmehr zu bemerken geglaubt, dass – der Majoratsherr von Rainsberg – dir sein besonderes Interesse entgegenbringt.“

Frau Dina zog eine drollige, kleine Grimasse und seufzte. „Leider ist es nicht der Fall, liebes Kind – oder wenigstens jetzt nicht mehr. Er schwankte nämlich erst unentschieden ein wenig zwischen uns. Ganz zuerst hatte ich tatsächlich sein Interesse gefesselt. Und ich hatte mir schon allerlei schöne Hoffnungen gemacht, sah dich und mich schon im Geiste in der Rainsberger Equipage fahren. Wenn Herr von Rainsberg sich um mich beworben hätte, dann wäre auch für dich gesorgt gewesen. Du hättest in Ruhe und Behagen warten können, bis Hans von Rainsberg für dich als Freier in Frage kommen konnte. Du siehst – die herrlichsten Luftschlösser hatte ich schon gebaut. Aber dann merkte ich, dass der Majoratsherr energisch von mir abschwenkte und allein dir noch sein Interesse zuwandte. Ich existierte nur noch als deine Mutter für ihn. Und deshalb sage ich dir, Ruth, du brauchst nur zu wollen und kannst dich in die glänzendsten Verhältnisse retten aus aller Not und Sorge.“

Ruth war an das Fenster getreten und starrte hinaus. Nach einer Weile wandte sich Ruth mit blassem Gesicht um.

„Nun, Ruth?“, fragte Frau Dina.

Ruth trat an sie heran. „Nein, Mama, daran ist nicht zu denken. Niemals könnte ich mich zu einer solchen Verbindung entschließen, gegen die sich alles in mir zur Wehr setzt“, sagte sie ernst und fest.

Frau Dina seufzte. „Dachte ich‘s doch, dass es schon zu spät ist! Du hast eben dein Herz an Hans von Rainsberg verloren.“

Das Blut schoss der jungen Dame jäh ins Gesicht. „Ich bitte dich, daran nicht zu rühren, Mama. Das kommt auch hierbei gar nicht in Frage. Ob mein Herz frei ist oder nicht – sicher wäre ich niemals imstande, mich einem Mann aus berechnenden Motiven zu eigen zu geben.“

„Ich weiß es, Ruth – und ich verstehe dich nur zu gut, wenn ich dir auch aus Vernunftgründen diesen Rat gab. Aber was soll nun aus uns werden?“

Ruth strich sich über die Stirn. „Ich denke, wir müssen sobald als möglich Ausgaben und Einnahmen in Einklang zu bringen versuchen. Zuerst muss wohl diese viel zu teure Wohnung aufgegeben werden. Die überflüssigen Möbel müssen mit denen, die wir gleich nach Papas Tode ausrangierten, auf dem Speicher aufbewahrt werden, denn vielleicht brauchen wir sie später doch einmal wieder, und wenn wir sie verkaufen, erhalten wir nur sehr wenig dafür.“

Frau Dina nickte. „Dieser Ansicht bin ich auch.“

„Natürlich müsstest du auch die Köchin entlassen und dich mit dem kleinen Dienstmädchen behelfen. Ich denke, du kannst drei kleinere Zimmer wie diese und eine Küche für sechshundert Mark jährlich mieten. Dreitausendfünfhundert Mark hast du Pension, dazu von den zehntausend Mark, die du noch besitzest, jährlich vierhundert Mark Zinsen. Damit müsstest du dann allein auszukommen suchen.“

Frau Dina fuhr auf. „Ich allein? Ja, Kind, das ginge wohl zur Not. Aber es muss doch eben für zwei reichen.“

Ruth schüttelte den Kopf. „Nein, Mama, das ist unmöglich – und Unmögliches muss man nicht versuchen. Da würden wir beide darben müssen. Knapp genug ist es schon für dich allein, aber es muss eben gehen.“

„Nun – und du, Ruth?“

„Davon will ich eben jetzt sprechen, Mama. Ich werde mir eine Stellung suchen und mir meinen Unterhalt zu verdienen suchen.“

„Aber Ruth!“, rief Frau Dina und sah ihre Stieftochter schreckensbleich an.

„Warum erschrickst du so, Mama?“, fragte Ruth. „Müssen nicht Tausende in meiner Lage dasselbe tun?“

„Wenn sie keinen anderen Ausweg haben. Aber du hast doch einen, wenn du nur willst. Könntest du wirklich vorziehen, eine abhängige Stellung anzunehmen, als dem Besitzer von Rainsberg deine Hand zu reichen?“

„Ja, Mama – das ziehe ich vor.“

„Kind – ach, Kind! Du denkst dir das so leicht – dazu bist du doch nicht erzogen!“

„So muss ich mich dazu erziehen, Mama. Leicht denke ich es mir gewiss nicht – o nein! Aber danach geht es eben nicht. Ich füge mich der Notwendigkeit.“

„Nennst du das Notwendigkeit, wenn es dich nur ein Wort kostet, Herrin von Rainsberg zu werden?“

Ruth erschauerte und richtete sich stolz auf. „Es kostet mich tausendfach mehr, Mama, mein ganzes Ich, meine Überzeugung – meine Selbstachtung! Diesen Preis kann und will ich nicht zahlen. Das forderst du auch nicht im Ernst von mir, nicht wahr? Aus dir spricht nur die Angst um meine Zukunft. Auch ich bin erst davor zurückgebebt, den Lebenskampf aufzunehmen. Aber nun bin ich fest entschlossen. Ich suche mir so schnell als möglich eine Stellung.“

Nachdenklich sah Frau Dina vor sich hin. „Ich kann mich nicht in den Gedanken finden, dass du dir dein Brot bei fremden Leuten verdienen sollst.“

„Du musst dich dareinfinden, Mama, mein Entschluss ist gefasst, und ich werde ihn ausführen.“

„Wenn ich es nur verhindern könnte! Ich lasse dich nicht gern von mir“, seufzte Frau Dina.

Ruth streichelte ihr zärtlich die Wangen. „Liebste Mama, ich gehe auch nicht gern von dir. Da es aber sein muss, wollen wir tapfer sein und dem Unvermeidlichen mit Würde ins Auge sehen.“

Frau Dina zog Ruth an sich und küsste sie. „Ich staune über deine Tapferkeit, Kind, und darf mich doch nicht von dir beschämen lassen. Also will auch ich versuchen, tapfer zu sein. Aber – gönne uns einige Wochen, um uns an den Gedanken zu gewöhnen. Es gibt doch außer der Trennung einen Umsturz all unsrer Lebensgewohnheiten. Lass uns noch einige Wochen unser bisheriges Leben fortführen. Die Wohnung kann ich ohnedies erst am ersten Januar für ersten April kündigen. Über das Weihnachtsfest sagen wir bis Ende Januar, wollen wir tun, als sei alles beim alten. Vielleicht hilft uns auch der liebe Gott bis dahin auf andere Weise. Und wenn nicht – dann will ich mich in alles fügen, was sein muss. Ich werde mir dann eine kleine Wohnung suchen und mich einschränken, soviel es geht. Dann kommt ja doch alles, wie es kommen muss. Ein paar Wochen wollen wir zum Abschied von unserem bisherigen Leben noch froh und vergnügt sein und keine heitere Stunde ausschlagen. Und heute Abend besuchen wir das Fest in Villa Herder.“

„Wollen wir das wirklich tun, du leichtsinnige Mama?“, fragte Ruth, sich zum Scherzen zwingend.

Frau Dina drehte Ruth lachend im Kreis herum. „Heute ist heut und die Sorgen morgen. Nicht ein Fest lassen wir aus bis Ende Januar – und wenn es auch noch so leichtsinnig ist: Mach ein frohes Gesicht, Ruth! Wer weiß, was unser für Wunder warten. Das Leben ist doch schön – es lebe das Leben!“

Ruth musste lachen. Sie konnte dem goldenen Leichtsinn der Mutter nicht widerstehen, obwohl sie eine tiefgründigere Natur war als diese. Sie riss sie einfach mit sich fort und überzeugte sich auch schließlich, dass es das beste war, diese kurze Gnadenfrist mit Inbrunst zu genießen und mit möglichster Sorglosigkeit. Abschied wollte sie nehmen in diesen Wochen von ihrer glücklichen, sorglosen Jugendzeit, ehe sie ein ernstes, entsagungsreiches Leben begann, das ihr in Zukunft beschieden sein würde. Und Arm in Arm gingen die beiden Damen im Zimmer auf und ab und plauderten von ihrer letzten Sommerzeit.

***

Am Abend fuhren sie beide in einer Autodroschke nach Villa Herder. Diese gehörte dem Freiherrn von Herder, auf dessen einst stark verschuldetem Besitz ein riesiges Kohlenlager entdeckt worden war. Er lebte nun als mehrfacher Millionär in der Stadt in einer palastähnlichen Villa. Seine Gattin war, gleich der Baronin Hainau, eine Pensionsfreundin von Frau Dina von Goseck. Und diese drei eleganten, lebenslustigen und charmanten Frauen verband noch heute eine herzliche, wahrhafte Freundschaft.

Frau Dina und ihre Tochter wurden von Frau von Herder und ihrem Gatten sehr herzlich begrüßt. Und die bereits anwesenden Gäste umringten sofort von allen Seiten die beiden Damen, die in der Gesellschaft sehr beliebte und gefeierte Erscheinungen waren.

Die Herren, die Frau Dina und ihre Tochter umschwärmten, wussten wieder einmal nicht, ob sie der Mutter oder der Tochter den Vorzug geben sollten.

Auch der Majoratsherr von Rainsberg sowie seine beiden Neffen Hans und Walter waren auf diesem Feste anwesend. Frau Dina gab sich heute noch einmal Mühe, den Majoratsherrn zu bezaubern. Sie bot alles auf, ihn zu fesseln. Und eine Weile gelang es ihr auch. Sie fühlte, dass er vorübergehend noch unter ihrem Einfluss stand. Aber dann erschien Ruth wieder, die sich eine Weile mit einigen Damen entfernt hatte, und da war Frau Dinas Zauber gebrochen.

Inzwischen hatte drüben im Hauptsaal die Musik einen schmeichelnden Walzer intoniert. Der Majoratsherr von Rainsberg wollte auf Ruth zugehen und sie um diesen Tanz bitten. In demselben Moment sah er, dass sein Neffe Hans sich vor ihr verneigte und sie fortführte.

Da wandte er sich zu Frau Dina und bat sie um diesen Tanz. Ihre Augen lachten ihm lebensfroh entgegen, und sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Schon um seine Aufmerksamkeit von Ruth und ihrem Partner abzulenken, plauderte sie lebhaft mit ihm.

Arm in Arm betraten sie den Saal, in dem sich schon verschiedene Paare, darunter auch Ruth und Hans von Rainsberg, im Tanze drehten.

„Darf ich mich morgen nach Ihrem und Ihrer Fräulein Tochter Befinden erkundigen, gnädigste Frau?“, fragte der Majoratsherr, gerade, als sie beide an einem Herrn vorübergingen, der mit untergeschlagenen Armen an einer Säule lehnte.

Das war Walter von Rainsberg, der andere Neffe des Majoratsherrn. Mit einem unbeschreiblichen Blick sah dieser hinter dem Paare her. Und dann suchten seine Augen wieder, wie schon vorher, Ruth von Goseck. Er ließ seinen Blick nicht mehr von der schlanken Erscheinung der jungen Dame. Und wenn sie lächelnd zu ihrem Tänzer aufblickte, dann glühte es heiß und unheimlich in den schwarzen Augen Walter von Rainsbergs auf.

Hans von Rainsberg ahnte nicht, mit welchen Gefühlen sein Vetter hinter ihm hersah. Er sah und wusste nichts, als dass er das liebreizende Mädchen im Arm hielt, das er mit der ganzen Inbrunst seines Herzens liebte.

Für ihn gab es kein ängstliches Wägen und Bedenken. Er wusste sehr wohl, dass Ruth von Goseck arm war, wenn er auch nicht ahnte, wie sorgenvoll sich heute ihr Leben zu gestalten begonnen hatte.

Es machte ihn auch nicht bange, dass er ohne Vermögen war und bisher sogar auf die Unterstützung seines Onkels rechnen musste. Er fühlte die Kraft in sich, dem geliebten Mädchen durch eigene Fähigkeiten ein sorgloses Daheim bereiten zu können.

Hans hatte Chemie studiert und sein Studium glänzend beendet. Sein Doktorexamen hatte er summa cum laude bestanden, und nun war er Assistent des bekannten Professors Schwarzenburg, der ihm eine erfolgreiche Zukunft prophezeite.

Im Laboratorium des Professors hatte Hans, in vereinter Arbeit mit diesem, eine Erfindung gemacht, die von den beiden Männern noch geheim gehalten wurde, von der sie sich aber viel versprachen.

Diese Erfindung, so hoffte Hans, würde ihn schneller, als er angenommen hatte, zum Ziel bringen, wenn es ihm gelang, maßgebende Kreise darauf aufmerksam zu machen. Und er wartete nur auf eine Gelegenheit dazu.

Während Hans von Rainsberg Ruth mit dem glücklichen Bewusstsein durch den Saal führte, dass dieses liebliche Geschöpf eines Tages ganz die Seine werden würde, lebte heute in Ruths Herzen das wehmütige Empfinden einer schmerzlichen Resignation. Sie wusste ja, dass der schöne Traum, den sie geträumt hatte, zu Ende sein musste.

Mit geschlossenen Augen folgte sie seiner Führung, und als die Musik abbrach und der Tanz zu Ende war, sah sie zu ihm auf, wie aus einem Traum erwachend.

Seine Blicke senkten sich in die ihren. „Das war schön – wunderschön“, sagte er leise.

Sie schwankte ein wenig. „Es ist sehr heiß hier“, sagte sie.

„Darf ich Sie in das kühlere Nebenzimmer führen, gnädiges Fräulein?“

Sie neigte das Haupt und ging mit ihm hinüber. Es befanden sich noch einige Herren und Damen hier, die aber mit sich selbst beschäftigt waren.

Ruth ließ sich in einen Sessel gleiten.

„Darf ich Ihnen einige Minuten Gesellschaft leisten, gnädiges Fräulein?“, fragte er.

Sie deutete auf den Sessel an ihrer Seite. „Bitte, nehmen Sie Platz.“

Er ließ sich nieder, froh über die Erlaubnis, in ihre Augen sehend. „Ihre Frau Mutter sagte mir, dass Sie über das Weihnachtsfest und Neujahr in Hainau sein werden.“

„Ja, die Baronin hat Mama und mich eingeladen.“

Seine Augen strahlten auf. „Dann darf ich hoffentlich recht oft das Vergnügen haben, mit Ihnen zusammenzutreffen. Ich bin in derselben Zeit bei meinem Onkel in Rainsberg zu Gast, und Rainsberg und Hainau liegen ja dicht beieinander, und es herrscht herüber und hinüber ein reger nachbarlicher Verkehr, wie Sie wohl wissen.“

Sie nickte hastig. „Ja, deshalb freue ich mich sehr“, fuhr es ihr heraus. Aber sie wurde verlegen, als sie merkte, wie seine Augen aufleuchteten, und fuhr verwirrt fort: „Ich meine – es freut mich dass… dass Sie sich auch einmal eine Erholung gönnen, Herr Professor Schwarzenburg sagte uns, dass Sie unerhört fleißig sind.“

Ihre Verwirrung beglückte ihn noch mehr. Er atmete tief auf. „Ja ich bin fleißig, das kann ich ohne Überheblichkeit sagen. Wenn man einem ersehnten Ziel entgegenstrebt, kann man sich nicht genug tun. Ich werde auch in Rainsberg täglich einige Stunden arbeiten. Aber Ferien sind es doch für mich. Sie werden doch auch sicher das große Jagdfest in Rainsberg mit Ihrer Gegenwart verschönen?“

„Ich glaube wohl. Ihr Herr Onkel sprach mit Mama davon, und ich glaube, Mama hat zugesagt.“

„Also hoffe ich auf baldiges Wiedersehen in Rainsberg und Hainau, mein gnädiges Fräulein.“

Ihr Herz klopfte laut und schwer unter seinem Blick. Und plötzlich überkam sie der Schmerz, dass ihre Liebe so bedauerlich aussichtslos war, mit solcher Wucht, dass ihre Augen sich feuchteten.

Er sah sie bestürzt an. „Gnädiges Fräulein – was ist Ihnen?“, fragte er leise, voll Unruhe.

Sie biss die Zähne zusammen und rang in sich nieder, was ihr die Fassung zu rauben drohte. „Es ist nichts – ich – ich habe nur Kopfweh.“

Besorgt blickte er sie an. Aber ehe er noch etwas erwidern konnte, trag Walter von Rainsberg zu ihnen heran.

„Gnädiges Fräulein, diesen Tanz hatten Sie mir gütigst zugesagt – darf ich bitten?“ Mit diesen Worten verneigte er sich vor Ruth.

Diese hatte stets ein seltsam unbehagliches Gefühl, wenn Walter von Rainsberg in ihrer Nähe war. Nur seines Vetters wegen bekämpfte sie die Antipathie gegen ihn. Aber jetzt war sie froh, dass er sie davonführte. Sie musste erst ihre Fassung zurückgewinnen. So schritt sie an Walters Seite davon.

Hans sah ihr beunruhigt nach. War das wirklich nur Kopfweh, was ihr die Tränen in die Augen trieb und sie erbleichen machte? Oder hatte sie eine andere Veranlassung zu ihren Tränen? Und welche?

Es quälte ihn, dass er es nicht wusste und dass er kein Recht hatte, danach zu fragen.