Hedwig Courths-Mahler - Folge 172 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 172 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

4,9
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie ein Sonnenstrahl erhellt die hübsche Griseldis das traurige Leben des Grafen Treuenfels. Er, der von all seinen Freunden verachtet und gemieden wird, seit er des Mordes an seiner Frau verdächtigt wurde, erfährt zum ersten Mal seit langer Zeit, dass jemand bedingungslos an seine Unschuld glaubt. Vom ersten Augenblick an wissen die beiden Menschen, dass sie füreinander bestimmt sind. Doch sie haben nicht mit dem Hass und der Eifersucht von Komtess Beate gerechnet...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 170

Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
16
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Griseldis

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2203-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Griseldis

Ereignisreicher Roman um eine junge Erzieherin

Der Sturm heulte und brauste über Wälder und Felder, beugte die stärksten Bäume, dass diese ihre Kronen schüttelten, die noch keine grünen Blätter trugen, und knickte in den Forsten junge Bäumchen.

Ein solcher Sturm, der den Regen schräg niederprasseln ließ, machte einen Aufenthalt im Freien nicht angenehm. Dieser Ansicht war auch der Kraftwagenlenker, der ein Gefährt durch den sturmzerwühlten Wald lenkte. Der Kraftwagen fuhr langsam und vorsichtig, denn die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, und hie und da lag ein vom Sturm geknickter Baumstamm über dem Weg.

Neben dem Fahrer saß ein Diener. Dieser musste wiederholt aussteigen, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

„Es ist, als wären heute alle Teufel los“, sagte er ärgerlich.

„Das reine Höllenwetter.“

Sie sahen scheu nach dem Kraftwagen, der indessen am Weg stand. Einen Augenblick war an dem Fenster des Gefährtes ein blasses Männerantlitz erschienen, aus dem die Augen düster schauten. Der Insasse des Wagens hatte sich anscheinend wieder teilnahmslos in die Kissen zurückgelehnt, als der Weg wieder frei war. Und bald darauf fuhr der Wagen aus dem Wald und einen allmählich ansteigenden Berg hinan.

Dort oben lag das Schloss Treuenfels.

Wie eine gewaltige Silhouette hob es sich mit seinen Zinnen und Türmen, mit seinen Erkern und Säulen gegen den von zerrissenen Wolken bedeckten Himmel ab.

Als das Gefährt das Bergplateau erreicht hatte, ließ der Fahrer einige Male laut die Hupe ertönen. Und auf dieses Zeichen hin wurde es plötzlich in dem stillen Schloss lebendig. Die großen Bogenlampen vor dem Tor flammten auf und warfen über den freien Platz helles Licht. Die hohen Flügel des Tores sprangen auf und gestatteten einen Einblick in die große Schlosshalle, die ebenfalls hell erleuchtet war. Auch Fenster im Schloss wurden hell, man sah die Schatten von Menschen daran vorüberhuschen. Aber alles geschah seltsam lautlos. In der Halle standen die Beamten und Diener des gräflichen Hauses, um ihren heimkehrenden Herrn zu erwarten. Scheu blickten aller Augen nach dem geöffneten Tor. An der Treppe, die breit und wuchtig gebaut war, stand Mademoiselle Perdunoir mit einem schier entsetzten Ausdruck in dem hübschen, etwas spöttischen Gesicht. „Mademoiselle“ war die Gouvernante der kleinen Komtesse Gilda, des einzigen Kindes des Grafen Harro Treuenfels.

Dieser war langsam ausgestiegen, mit müden Bewegungen, nach denen man ihn hätte für einen alten Mann halten können. Er stieg die Freitreppe empor und trat in die hell erleuchtete Halle.

Ein leises Murmeln der Leute, das einen Gruß bedeuten sollte, schlug an sein Ohr. Es war, als sei eine Trauerversammlung zusammengekommen. Nur scheu blickten sie alle in das versteinerte Gesicht ihres Herrn, das sie ganz anders gekannt hatten, leuchtend und lebensfroh, und das sie geliebt hatten. Aber nun war alles, alles anders geworden – seit das Furchtbare in Schloss Treuenfels geschehen war.

Ihr Herr stand nicht mehr vor ihnen, wie sie ihn zu sehen gewohnt waren. Es war, als sei seine hohe Gestalt niedergebeugt worden von einem schweren Schicksal – oder von schwerer Schuld.

Niemand wagte zu entscheiden, ob Schuld oder Verhängnis ihn gebeugt hatte. Hatten doch nicht einmal seine Richter Licht in die geheimnisvolle Begebenheit bringen können, die aus Schloss Treuenfels ein Trauerhaus gemacht hatte. Graf Harro war aus dem Gefängnis entlassen worden. Wohl war er nach der Verhandlung freigesprochen worden – aber nur aus Mangel an Beweisen. Seine Schuld konnte so wenig bewiesen werden wie sei ne Unschuld.

Aus Mangel an Beweisen! War das wirklich ein Freispruch?

Erst hatte er jede Schuld stolz und heftig geleugnet, zornig seine Ankläger angesehen und für seine Worte Glauben verlangt, als ein gutes Recht. Aber während der nervenzermarternden Untersuchung, nach der Folter der endlosen Verhöre, war er immer matter und stumpfsinniger geworden. Er konnte nicht begreifen, dass man seinen Worten nicht glaubte, und sah doch selbst entsetzt, dass immer neue Verdachtsmomente gegen ihn zu zeugen schienen.

Furchtbare Tage hatte er verlebt, bis er lernte, sich ins Unvermeidliche zu fügen! Aus Mangel an Beweisen! Dieser fürchterliche Urteilsspruch klang ihm immerfort in den Ohren. Man hatte ihn nicht schuldig und nicht unschuldig sprechen können. Aber jeder, der ihm fortan gegenüberstand, durfte denken: „Du wirst wohl doch schuldig sein, und nur ein Glücksumstand hat dich gerettet.“

Graf Harro war angeklagt worden des Mordes an seiner jungen Gemahlin, der Gräfin Alice.

Wenige hatten der schönen, aber launischen und oft boshaften Gräfin nachgeweint. Sie war eine jener verzogenen, eigensinnigen Frauen, die für sich den Wahlspruch in Anspruch nahmen: „Erlaubt ist, was gefällt“, und die ihren Mitmenschen nur so weit Daseinsberechtigung zuerkannten, als sie ihren Launen Vorschub leisteten.

Er hatte neben dieser Frau die Hölle auf Erden gehabt, und ihre Umgebung war der Ansicht, dass sie ihr tragisches Ende verdient hatte.

Wer ihr nicht nahe stand, hielt sie für eine bezaubernde Frau. In der Gesellschaft gab sie sich immer liebenswürdig. Graf Harro hatte, ehe sie seine Frau war, auch nur das liebenswürdige Gesicht gesehen und sich darin verliebt. Sie verstand es, Männer zu bezaubern, denn sie war schön und voller Anmut. Sobald es ihr passte, nahm sie es auch nicht so genau mit der ehelichen Treue.

Graf Harro hatte während seiner Ehe ständig versucht, sie zu ändern, aber es war alles vergeblich gewesen. Sagte er etwas, das ihr nicht gefiel, hielt sie sich die Augen zu, stampfte mit den Füßen auf oder warf mit zorniger Gebärde gar irgendeinen Gegenstand nach ihm, wie sie sich auch ihren Untergebenen gegenüber nicht selten zu Tätlichkeiten hinreißen ließ. Es schien ihr Bedürfnis zu sein, ihren Mann zu ärgern, zu quälen, und aus diesem Grund, nicht aus wirklichem Bedürfnis, verstrickte sie sich in allerlei Koketterien und lachte hässlich auf, wenn er es ihr untersagte. Es war deshalb zu vielen Szenen gekommen, unter denen Graf Harro mehr litt als seine herzenskalte Frau.

Im Sommer lebte das Paar auf Schloss Treuenfels, im Winter ging es nach der Residenz, Gesellschaften und Hoffestlichkeiten mitzumachen. Dann strahlte Gräfin Alice im Schmuck der berühmten Treuenfelsschen Familiendiamanten und Perlenschnüre.

Sie wohnten dann im Palais Treuenfels, das seit Jahrhunderten, gleich Schloss und Grafschaft Treuenfels, dem Geschlecht gehörte. Hier veranstaltete die Gräfin glänzende Feste.

Gräfin Alice stammte selbst aus einem sehr reichen Grafengeschlecht, und ihr Gemahl gehörte zu den begütertsten Edelleuten des Herzogtums. Er hatte nichts dagegen, wenn sie Geld mit vollen Händen ausstreute, wenn er es auch nicht billigte. Aber kokette Manöver untersagte er ihr als unwürdig. Sie verhöhnte ihn und tat, was sie wollte.

So war es auch im letzten Winter wieder gewesen. Aber diesmal überschritt sie die Grenzen seiner Langmut. Ein junger ausländischer Prinz, der am herzoglichen Hof weilte, hatte sich in die schöne Gräfin Alice verliebt, und es reizte sie, ihn zu begünstigen und ihm mehr Freiheiten zu gestatten als ihren übrigen Verehrern.

Eines Abends, als Graf Harro von einer Herrengesellschaft zeitiger nach Hause kam, als man erwartete, fand er seine Gattin in einer sehr zärtlichen Stellung mit dem jungen Prinzen.

In seinem Zorn machte er dem Prinzen gegenüber von seinem Hausrecht Gebrauch – man wollte wissen, dass er ihn mit einer Reitpeitsche ins Gesicht geschlagen hatte, um den ihm angetanen Schimpf zu vergelten.

Jedenfalls hörte die Dienerschaft eine erregte Szene zwischen dem gräflichen Paar, und Graf Harro hatte in seinem Zorn fürchterliche Drohungen hervorgestoßen. Er zwang seine Gemahlin, noch an demselben Abend mit ihm nach Schloss Treuenfels zurückzukehren.

So kehrte das gräfliche Paar unerwartet an jenem Abend nach Treuenfels zurück. Dort war die kleine Komtesse Gilda mit ihrer Schweizer Gouvernante und ihrer Wärterin zurückgeblieben, denn die Gräfin liebte es nicht, sich durch Mutterpflichten in ihrem Vergnügen stören zu lassen. Außerdem weilte im Schloss noch die Komtesse Beate von Treuenfels, eine Verwandte des Grafen Harro. Diese war dreißig Jahre und entstammte einer verarmten Seitenlinie des Geschlechtes. Graf Harro hatte sie mitleidig aufgenommen und ihr eine Heimat geboten.

Als nun an jenem Winterabend das gräfliche Paar so unerwartet aus der Residenz zurückkam, wusste Komtesse Beate sofort, dass es wieder einen Sturm zwischen den Eheleuten gegeben hatte. Es kam auch nochmals zu einer heftigen Szene zwischen Harro und seiner Gemahlin. Die Dienerschaft hatte gehört, dass der Graf ausrief: „Das muss ein Ende haben – und müsste es ein Ende mit Schrecken sein!“

Danach war die Gräfin allein geblieben, niemand war in ihren Zimmern gewesen als die Zofe der Gräfin, die bis zum Morgen im Vorzimmer blieb und vergeblich darauf wartete, dass die Gräfin ihr die Erlaubnis gab, zur Ruhe zu gehen. Solche Rücksichtslosigkeiten waren der Zofe nichts Neues.

Und am nächsten Morgen fand man die Gräfin Alice tot auf ihrem Lager. Eine Untersuchung ergab, dass sie vergiftet worden war.

Gräfin Alice trank jeden Abend ein Glas schweren Weines, weil sie glaubte, anders nicht einschlafen zu können. Auch an jenem Abend. Die Zofe hatte das Glas gefüllt und dieses auf das Nachtschränkchen neben dem Bett der Gräfin gestellt, damit es für sie bereitstehe.

In der Flasche, aus der die Zofe den Wein gegossen hatte, war nur noch ein Rest geblieben, und diesen Rest hatte die Zofe in die Küche hinuntergeschickt. Dort war er später von der Untersuchungskommission beschlagnahmt worden, und die Untersuchung hatte ergeben, dass in diesem Rest Wein kein Gift enthalten war.

Aber in dem fast geleerten Weinglas neben dem Lager der Gräfin hatte man ein exotisches Gift festgestellt. Zwar hatte Graf Harro, als man ihn an das Lager seiner Gemahlin rief, in der Erregung das Weinglas umgestoßen, so dass der Rest aus dem Glas herausfloss, aber man hatte diesen Rest doch noch untersuchen können und hatte den Grafen beschuldigt, das Weinglas mit Absicht umgestoßen zu haben, um die Spuren seines Verbrechens zu verwischen. Denn er war des Giftmordes an seiner Gemahlin beschuldigt worden. Das Gift, dessen Spuren man in dem Weinglas fand, stammte aus dem Besitz des Grafen. Er hatte es von einer Reise nach Indien mitgebracht und hielt es stets in einem Geheimfach seines Schreibtisches unter Verschluss. Niemand als er wusste, wo sich dieses Geheimfach befand und wie es zu öffnen war. Das Gift befand sich in einem kostbaren Kristallfläschchen.

Graf Harro musste zugeben, dass dieses, als er es erwarb, bis oben hin mit dem Gift angefüllt war. Wenige Wochen vor dem Tod seiner Gemahlin hatte er es einigen Personen gezeigt, und zwar seiner Gattin, seinem Freund, Baron Fritz Dalheim, und seiner Base, Komtess Beate.

Baron Dalheim hatte vor Gericht bezeugen müssen, dass an jenem Tag das Fläschchen noch ganz gefüllt gewesen war, während die Komtesse, als Verwandte des Grafen, jede Zeugenaussage verweigert hatte. Als man das Fläschchen beschlagnahmte, war es nur noch zu zwei Dritteln gefüllt, es war zweifellos, dass jemand davon genommen hatte. Da nun niemand existierte, der das Geheimfach kannte, und Graf Harro zugeben musste, dass er das Fläschchen nie in andere Hände gegeben habe und am Abend vorher von seiner Gattin schwer gereizt worden war und allerlei Drohungen ausgestoßen hatte, waren genug Momente vorhanden, um ihn anzuklagen.

An einen Selbstmord der Gräfin war auch nicht zu denken, denn erstens war sie eine sehr lebenslustige Frau, und zweitens war ihr das Gift nicht zugänglich gewesen.

So hätte sich die Kette der Beweise gegen den Grafen schließen lassen, wenn nicht ein Umstand zu seinen Gunsten gesprochen hätte. Die Zofe der Gräfin sagte unter Eid aus, dass sie den Wein erst in das Glas gefüllt habe, nachdem Graf Harro seine Gattin verlassen hatte. Sie behauptete, der Graf sei nicht noch einmal zurückgekehrt, es sei auch sonst niemand mehr in den Zimmern der Gräfin gewesen, sie habe die Nacht im Vorzimmer gesessen, und einen anderen Eingang als durch dieses Vorzimmer hatten die Gemächer der Gräfin nicht. Aber die Richter zweifelten doch, ob die Zofe nicht ein wenig geschlafen hatte. Dann konnte der Graf unbemerkt nochmals zurückgekehrt sein. Aufgrund dieser Aussage jedoch konnte er jedoch nicht als überführt angesehen werden.

So wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Immerhin, sagte der Verteidiger, sei es doch möglich, dass die Gräfin Selbstmord verübt und sich den Zugang zu dem Geheimfach, ohne Wissen ihres Gemahls, verschafft habe. Aber niemand in der Gesellschaft glaubte an einen Selbstmord der schönen Gräfin Alice, trotzdem mancherlei in der Verhandlung zutage gekommen war, was auf ihre „Liebenswürdigkeit“ ein seltsames Licht warf. Etwas Geheimnisvolles lag jedenfalls über der Angelegenheit, und man raunte sich schließlich zu, dass die Untersuchung wohl niedergeschlagen werde, weil in die Sache sonst schließlich der ausländische Prinz mit hineingezogen worden wäre. Das durfte aber nicht sein. Es war ohnedies eine für die höheren Kreise sehr fatale Angelegenheit.

Graf Harro Treuenfels war jetzt für die Gesellschaft ein toter Mann. Und das wusste er ganz genau. Diese Gewissheit trieb ihn nach seiner Haftentlassung aus dem Untersuchungsgefängnis nach Treuenfels. Er sehnte sich nach der Einsamkeit seines Schlosses und nach seiner zärtlich geliebten kleinen Tochter, die er in all der Zeit nicht mehr wiedergesehen hatte.

Und nun stand er unter seinen Untergebenen – ein Verfemter, ein Ehrloser in den Augen der Welt. Er sah, dass auch seine Leute nicht an seine Unschuld glaubten, und das krampfte ihm das Herz zusammen, während er ihnen gegenüberstand. Ohne ein Wort zu sprechen, grüßte er kurz und ging durch die Reihen nah der Treppe im Hintergrund der Halle.

Bleich war sein Antlitz, in seinen Augen lag ein Ausdruck der Pein. An der Treppe stand noch immer Mademoiselle Perdunoir, die Gouvernante seiner Tochter, und sah ihn mit entsetzten Augen an. Und als er nun mit seinem düster brennenden Blick auf sie zukam, wich sie aufkreischend vor ihm zurück. Graf Harro zuckte leicht zusammen.

„Sie verlassen morgen Früh Schloss Treuenfels, Mademoiselle. Ich will meiner Tochter eine deutsche Erzieherin geben.“

Und nun richtete sich der Graf empor. Mit erhobener, fester Stimme sagte er ruhig:

„Ich halte niemand in meinen Diensten. Wer Schloss Treuenfels verlassen will, soll es ungehindert tun. Ich löse hiermit alle Verträge und gestatte jedem, sofort zu gehen. Wer nicht bleiben will, erhält ein Vierteljahresgehalt auf dem Rentamt.“

Damit wandte er sich wieder der Treppe zu und wollte hinaufsteigen. Da kam plötzlich etwas Weißes die Treppe herab. Es war die kleine Komtesse Gilda, ein reizendes fünfjähriges Kind mit blonden Locken und tiefblauen Augen.

„Papa! Mein lieber, guter Papa!“ Er fing sie in seinen Armen auf und drückte sie fest an sich. Aus seiner Brust kam es wie ein Stöhnen. „Meine kleine Gilda – mein liebes Kind“, sagte er mit rührender Zärtlichkeit und stieg mit ihr die Treppe empor.

Er trug sie in ihr Schlafzimmer zurück in ihr Bett. Sorglich deckte er sie zu. Und da sah die kleine Komtesse, dass der Vater Tränen in den Augen hatte. Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Blass und betroffen sah sie ihn an.

„Warum weinst du, Papa? Bist du böse, dass ich dir entgegenlief?“

„Nein, o nein. Ich weine vor Freude, dass du es tatest, weil du Sehnsucht nach mir hattest.“

„Große, große Sehnsucht hatte ich nach dir. Als du mit den fremden Herrn fortreistest, habe ich so lange weinen müssen. Und keiner war da, der mich tröstete.“

Zum ersten Male erwog er, dass das Unglück, das ihn betroffen hatte, auch Schatten auf das Schicksal seiner Tochter werfen würde. Es würde ihr anhängen, dass sie die Tochter eines Mannes war, dem man nur aus Mangel an Beweisen seine Freiheit wiedergegeben hatte. So wie er in der Welt als Gattenmörder galt, würde man in seiner Tochter das Kind eines Mörders sehen – wenn es ihm nicht gelang, Licht in die geheimnisvolle Angelegenheit zu bringen, aber wie sollte er ergründen, was aller Scharfsinn seiner Richter nicht hatte ergründen können?

„Nun schlaf, mein Liebling.“

„Gute Nacht, Papa. Und alle Englein mögen dich behüten“, sagte Gilda ihr frommes Sprüchlein.

„Dich auch, mein Liebling.“

Gilda kuschelte sich in ihr Bettchen, und wenige Minuten später war sie fest eingeschlummert.

Mit einem Seufzer entfernte sich der Graf, nachdem er die Wärterin auf ihren Posten gerufen hatte. Er suchte seine Gemächer auf. Sein Diener, der schon bei seinem Vater in Diensten gestanden hatte, erwartete ihn hier.

„Grollmann – ich sah dich nicht unten in der Halle.“

„Ich wollte den Herrn Grafen hier oben erwarten.“

„Nun, so hast du nicht gehört, was ich unten zu den andern sagte. So will ich es dir wiederholen: Wer mir nicht mehr dienen will, kann gehen.“

Der Diener, der sich trotz seiner fünfzig Jahre straff und aufrecht hielt wie ein Junger, sah in sein blasses Gesicht. „Das werden der Herr Graf doch nicht von Grollmann glauben? Ich diene Herrn Grafen, bis er mich selber gehen heißt. Ich weiß, dass der Herr Graf jetzt treue Diener braucht. Und wehe, wenn in meiner Gegenwart jemand ein böses Wort über meinen Herrn sagt – der soll meine Fäuste spüren.“

„Glaubst du an meine Unschuld, Grollmann?“

„Wie an meine eigene, Herr Graf. Man könnte ja keinem Menschen trauen, wenn Herr Graf imstande sein sollte, so ein Verbrechen zu begehen.“

„Ich danke dir, Grollmann! Du wirst wohl der Einzige sein, der an mich glaubt.“

„O nein, Herr Graf. Auch Komtesse Beate glaubt an die Unschuld des Herrn Grafen. Sie hat es mir gesagt. Und sie hat hier gut für Ordnung und Ruhe gesorgt in der Abwesenheit des Herrn Grafen, obwohl sie krank und elend war von all den Aufregungen und so schreckhaft, dass es einen erbarmen konnte.“

„Wo ist Komtesse Beate? Ich sah sie noch nicht“, erwiderte der Graf.

„Komtesse will im Speisezimmer auf den Herrn Grafen warten. Sie wollte nicht unten zwischen den Leuten stehen und wird wohl Herrn Grafen zuerst allein begrüßen wollen.“

***

Als Graf Harro sich umgekleidet hatte, ging er hinab in das Speisezimmer. Bei seinem Eintritt wandte sich eine hohe Frauengestalt in schwarzen Kleidern nach ihm um. Sie hatte am Fenster gestanden und mit starren Augen in das tobende Unwetter hinausgesehen. Es war Komtesse Beate.

Ihr Antlitz war bleich bis in die Lippen. Es war nicht unschön, aber ihre Züge hatten etwas Hartes, fast Männliches durch die große, kühn vorspringende Nase und den herb geschlossenen Mund. Zu dem tiefschwarzen Haar passten die schwarzen Augen, die sich jetzt mit einem brennenden Blick auf Graf Harro richteten. Sie verrieten, dass viel ungebändigte Leidenschaft in der Seele dieses Mädchens wohnte.

Komtesse Beate zählte reichlich dreißig Jahre, und da sie arm war, hatte nie ein Mann sie zur Frau begehrt. Bis sie in das Haus ihres Vetters kam, hatte sie auch noch nie für einen Mann mehr empfunden als ein vorübergehendes Wohlgefallen. Aber als sie Graf Harro sah, flammte etwas in ihr auf, was ihre ganze Seele in Aufruhr brachte. Mit der ganzen Leidenschaft ihres Charakters verliebte sie sich in ihn. Es nutzte nichts, dass sie sich sagte, er sei der Gatte einer andern. Nur immer tiefer brannte sich diese Liebe in ihre einsame Seele. Sie sagte sich, dass niemand etwas von ihren Gefühlen ahnen dürfe, am wenigsten Graf Harro selbst.

Wäre Graf Harro glücklich verheiratet gewesen, hätte sie es auf die Dauer nicht mit ansehen können. Aber so sah sie, dass sich die Eheleute mehr und mehr auseinander lebten, und versuchte, Graf Harro etwas zu sein. Sie zeigte ihm, dass er Teilnahme und Verständnis bei ihr finden würde. Aber er suchte beides nicht bei ihr und kam ihr nicht entgegen, da sie ihm nicht einmal sonderlich sympathisch war. Er empfand für sie nichts und hatte sie nach dem Tod ihres Vaters nur in seinem Haus aufgenommen, weil er nicht wollte, dass eine Komtesse Treuenfels ihr Brot bei fremden Leuten verdiente.

Beate aber betete ihn heimlich an und hasste seine Frau, die ihn quälte. Sie hasste sie, weil sie alles besaß, was sie selbst zu besitzen begehrte. Aber nie verriet sie etwas von ihrem Hass und ihrer Liebe.

Und nun war Gräfin Alice tot – gleichviel, auf welche Art es geschehen war. Graf Harro war frei, war als verfemter Mann nach Hause zurückgekehrt.

Sie wusste, dass er von seinen Standesgenossen gemieden werden würde. Aus Mangel an Beweisen das war nicht viel besser als ein „Schuldig“.

Er würde nun allein leben müssen, niemand haben, an den er sich halten konnte. Nur sie allein würde ihm treu zur Seite stehen. Jetzt stand er nicht mehr unerreichbar über ihr. Der stolze Mann war gedemütigt, und sein Reichtum half ihm nichts. Wenn sie jetzt klug vorging, trieb ihn vielleicht die Einsamkeit seines Herzens in ihre Arme.

Graf Harro sah die Komtesse betroffen an. Es fiel ihm auf, wie sehr sich diese in der Zeit seiner Abwesenheit verändert hatte, als sei sie schwer krank gewesen.