Heimat-Roman Treueband 27 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 27 E-Book

Sissi Merz

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 185: Schwüre am Johannisfeuer
Bergkristall 266: Wenn Liebe in den Sternen steht
Der Bergdoktor 1727: Dr. Burger und das Mädchen Maria
Der Bergdoktor 1728: Doch ihr Herz wünscht ihn zurück
Das Berghotel 122: Der Weg ohne Wiederkehr

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 603

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © Bastei Verlag/Anne von Sarosdy ISBN 978-3-7517-1196-8 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Rosi Wallner, Christina Heiden, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 27 - Sammelband

Inhalt

Rosi WallnerAlpengold - Folge 185Fröhliches Gelächter erfüllt die laue Sommernacht, in der die Burschen und Madeln von Kirchstetten wie jedes Jahr auf das Plateau am Berg geströmt sind, um paarweise über das Johannisfeuer zu springen. Gerade noch hat der junge Weilbacher-Stefan mit seinen Spezln über den alten Aberglauben gescherzt, der besagt, dass sich beim Sprung über die Flammen die Herzen fürs Leben finden, als ihm das Lachen im Halse stecken bleibt. Ja, beim Anblick der bildschönen Laura Lenhofer wird ihm heiß und kalt zugleich, und Stefan verliert sich ganz und gar in ihrem dunklen Feenblick ... Als die Kapelle wenig später aufspielt, da verschränken sich wie von selbst Stefans und Lauras Hände, und unter Johlen und Anfeuerungsrufen laufen die beiden an und springen ab - über das Feuer und mitten hinein in einen aufregenden Liebessommer! Doch was bleibt von ihren Liebesschwüren? Das wird sich zeigen, wenn übers Jahr am Berg wieder das Johannisfeuer brennt ...Jetzt lesen
Christina HeidenBergkristall - Folge 266Die Wahrsagerin sieht die Brauneggers an und blickt dann auf die kleine Silvia, die der ganze Stolz ihrer Eltern ist. "Du wirst das schönste Madel weit und breit werden", prophezeit sie dem Kind. "Die Männer werden dich begehren, du jedoch wirst dein Herz nur dem einen schenken, der dich auf Händen trägt. Aber ein Schatten wird auf eurem Glück liegen, denn deinem Geliebten gehören nur die Sterne am Himmel." Damit wendet sie sich ab und geht langsam davon. "Hat man schon einmal solchen Unfug gehört?" Schorsch Braunegger schüttelt den Kopf. "Ich bin mir nicht so sicher, ob es Unfug ist." Die Stimme seiner Frau klingt ganz merkwürdig. Es ist, als ahnt Hedwig, dass die Weissagung sich eines fernen Tages bewahrheiten soll ...Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1727Sportlich war die neunzehnjährige Maria schon immer. Doch seit ihr Freund sie wegen einer anderen verlassen hat, trainiert sie geradezu besessen. Wenn sie sich die Seele aus dem Leib schwitzt und ihre Glieder von der Anstrengung zittern, spürt Maria den Schmerz in ihrem Herzen nicht mehr. Dann verdrängen die Strapazen die Trauer um ihre zerbrochene Beziehung. Die Leute im Dorf beobachten kopfschüttelnd, wenn Maria mit der Stoppuhr an ihnen vorbeiläuft. Dr. Burger jedoch ist zutiefst besorgt. Lange kann es nicht mehr gut gehen, bis Maria zusammenbricht...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1728Es gibt wohl kaum ein Madel in St. Christoph, das Britta nicht um ihre Beziehung zu dem feschen Hoferben Alex Gundlauer beneidet. Er ist nämlich genau das, was Frauen einen "leidenschaftlichen Liebhaber" nennen, und er sieht wirklich gut aus. Aber wenn Britta in seinen Armen liegt, denkt sie nicht an ihn, sondern an einen anderen. Gero ... Seit drei Jahren vergeht kein Tag, an dem sie den Himmel nicht anfleht, ihr geliebter Gero möge zu ihr zurückkehren und ihr verzeihen. Doch Britta weiß auch, dass das nie geschehen wird, denn ihre Schuld ist zu groß ...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 122Hedi Kastler, die Inhaberin des Berghotels, wirft einen besorgten Blick nach draußen und wendet sich dann an das neue Urlauberpaar. "Von einer Wanderung würde ich Ihnen im Augenblick dringend abraten. Ein Unwetter zieht auf. Sie sollten Ihren Ausflug auf morgen verschieben", warnt sie die Studenten eindringlich. Doch davon wollen Fanny und Toni nichts wissen. "Ach, so schlimm wird es schon net werden. Wir sind net aus Zucker. Ein bisserl Regen stört uns net, gell, Toni?", beharrt Fanny gut gelaunt auf ihrem Vorhaben. Seufzend blickt ihnen die Hotelchefin hinterher. Natürlich kann sie ihre Gäste nicht dazu zwingen, auf ihren Rat zu hören. Kurz darauf geht im Berghotel eine violette Unwetterwarnung ein - das ist die höchste Alarmstufe. Also wird es schlimm werden. Sehr schlimm sogar! Als das furchtbare Gewitter endlich vorüber ist, wartet Hedi Kastler vergeblich auf die Rückkehr der beiden Gäste. Auch am nächsten Tag fehlt von den jungen Leuten jede Spur ...Jetzt lesen

Schwüre am Johannisfeuer

Als ihre Herzen vor Leidenschaft brannten

Von Rosi Wallner

Fröhliches Gelächter erfüllt die laue Sommernacht, in der die Burschen und Madeln von Kirchstetten wie jedes Jahr auf das Plateau am Berg geströmt sind, um paarweise über das Johannisfeuer zu springen. Gerade noch hat der junge Weilbacher-Stefan mit seinen Spezln über den alten Aberglauben gescherzt, der besagt, dass sich beim Sprung über die Flammen die Herzen fürs Leben finden, als ihm das Lachen im Halse stecken bleibt.

Ja, beim Anblick der bildschönen Laura Lenhofer wird ihm heiß und kalt zugleich, und Stefan verliert sich ganz und gar in ihrem dunklen Feenblick …

Als die Kapelle wenig später aufspielt, da verschränken sich wie von selbst Stefans und Lauras Hände, und unter Johlen und Anfeuerungsrufen laufen die beiden an und springen ab – über das Feuer und mitten hinein in einen aufregenden Liebessommer!

Doch was bleibt von ihren Liebesschwüren? Das wird sich zeigen, wenn übers Jahr am Berg wieder das Johannisfeuer brennt …

»Die Alpenbläser sind bereit?«, vergewisserte sich Stefan Weilbacher bei seinem Freund Ferdl Kaltbrunner, der bestätigend nickte.

»Und die Freiwillige Feuerwehr und die Musik ebenso. Steckerlfisch gibt’s auch wieder wie jedes Jahr zu Johanni, es geht alles seinen geregelten Lauf«, fügte Ferdl hinzu und nahm einen tiefen Zug aus seinem Bierseidl.

Die beiden Freunde waren unter den Letzten, die noch am Stammtisch im Gasthaus »Zum Weißen Hirsch« saßen, wo sie mit anderen Mitgliedern des Alpen- und Heimatvereins die Planung des diesjährigen Johannisfeuers besprochen hatten. Stefan Weilbacher war erst vor Kurzem zum Vorsitzenden gewählt worden und musste sich erst an das neue Amt gewöhnen. Sein Freund Ferdl, der schon seit Längerem mit den meisten Aufgaben vertraut war, stand ihm dabei hilfreich zur Seite.

»Ich wünschte, Ferdl, du hättest den Vorsitz übernommen, du kennst dich viel besser aus«, meinte Stefan.

»Du weißt doch, wie es ist, wenn man verheiratet ist. Die Frauen warten nimmer so geduldig drauf wie früher, dass der Mann spätnachts aus dem Wirtshaus kommt. Die Mannsleut müssen sich auch in der Familie einbringen. Heut ist es eine Ausnahme, dass ich länger bleiben kann, aber sonst hab ich net so viel Zeit wie du. Außerdem bist du ein Studierter, und ich komm mit dem ganzen Papierkram net zurecht.«

Ferdl Kaltbrunner hatte sehr früh geheiratet und war schon Vater von drei Kindern, worauf er sehr stolz war. Seine Frau Theresa führte ein strenges Regiment, aber er beklagte sich nie, denn das Paar war einander sehr zugetan.

»Dafür kannst du besser organisieren«, wandte Stefan ein und trank ebenfalls einen Schluck von seinem Bier, das allerdings bereits schal schmeckte, weil immer noch sein erstes Seidel vor ihm stand.

»Ich hab gehört, dass das Johnannisfeuer in Unterhaching letztes Mal zwölf Meter hoch gewesen sein soll«, sagte Ferdl.

»Das ist doch ein Schmarren«, fuhr Stefan auf.

»Da hast du recht. Es geht ja hier um einen alten Brauch und net darum, die Touristen zu beeindrucken oder mit den Nachbardörfern zu konkurrieren. Da haben wir hier in Kirchstetten doch eine andere Einstellung.«

»Unser Bürgermeister tät auch am liebsten die Touristen in hellen Scharen herbeilocken«, stellte Stefan missbilligend fest. »Aber glücklicherweise können wir das gerade noch im Zaum halten, auch wenn’s deswegen bei den Gemeindesitzungen oft genug hoch hergeht. Sonst wären unsere Almwiesen schon längst in Pisten oder Golfplätze umgewandelt.«

»Ja, ja, unser lieber Bürgermeister Lenhofer«, spottete Ferdl.

»Aber um wieder zum Thema zurückzukommen – so ein hohes Johannisfeuer verfehlt seinen Zweck völlig. Schließlich wollen die Burschen und Madeln darüber springen, weil das nach altem Glauben baldige Heirat und Fruchtbarkeit verspricht«, führte Stefan aus.

»Also, bei mir und der Therese hat es auf jeden Fall gestimmt. Wir haben uns gar nichts dabei gedacht, als wir nach dem Tanz darübergesprungen sind, aber danach haben wir uns ineinander verliebt und konnten es kaum abwarten zu heiraten. Und was die Fruchtbarkeit angeht, das war geradezu überwältigend«, sagte Ferdl in Anspielung auf den Kindersegen, mit dem seine Ehe bedacht worden war.

Wie in vielen ländlichen Gegenden hatte sich diese ursprünglich heidnische Vorstellung erhalten, und der Brauch des Johannisfeuers, der in der Nacht auf den 24. Juni gefeiert wurde, fand gerade bei den jungen Leuten Anklang. Und nicht zuletzt wurde getanzt, und es gab ländliche Spezialitäten, was auch zahlreiche Touristen anlockte.

An Türen und Fenstern hingen in den Dörfern und auf den Gehöften die sogenannten Johanniskränze aus. Sie bestanden aus sieben bis neun Kräutern und sollten, der Vorstellung nach, böse Geister und das Unglück abwehren. Auch die Kirchstettener versäumten es nicht, dieser alten Überlieferung, die auf vorchristliche Zeit zurückging, Folge zu leisten.

»Hast du gehört, die Lenhofer-Laura ist zurückgekommen. Anscheinend hat sie genug von der Stadt«, warf Ferdl plötzlich zusammenhangslos ein.

»So? Vielleicht ist sie ja nur vorübergehend da«, erwiderte Stefan gleichmütig und ordnete seine Unterlagen.

»Du hast ja nimmer mitbekommen, wie die Laura sich gemausert hat. Sie wird allgemein nur noch ›die schöne Laura‹ genannt. Und wenn ich meine Therese net hätte, könnte ich schon schwach werden …«

Ferdl, der sonst immer so vernünftig war, hatte plötzlich einen Ausdruck im Gesicht, der Stefan überhaupt nicht gefiel.

»Da ist sie wohl net ihrem Vater nachgeschlagen. Vielleicht aber vom Charakter her«, wandte Stefan ein.

»Du kennst sie halt net«, gab Ferdl zurück und schien sich seiner Aufwallung nun eher zu schämen.

Stefan sah sich in der Gaststube des »Hirschen« um, die ihm seit seiner Rückkehr zu einer Art Heimstatt geworden war. Die Wirtsleute hatten zwar renoviert, doch war es ihnen gelungen, den ursprünglichen Charakter zu erhalten. Die dunkle Balkendecke und die Wandvertäfelung wirkten anheimelnd, auch die rustikalen Tische und Stühle, die kunstvolles Schnitzwerk aufwiesen, waren nicht ausgetauscht worden. Geweihe und sepiabraune Bilder von besonderen Dorfereignissen schmückten die Wände, was auf die Touristen, die sich hierher verirrten, besonderen Eindruck machte.

Zu dieser vorgerückten Stunde saßen nur noch ein paar alte Krauterer, auf die zu Hause niemand mehr wartete, an ihren Plätzen, die Gespräche waren schon lange verstummt. Stefan hätte gerne noch ein Weißes bestellt, doch er spürte, dass es Ferdl nach Hause zog, zu seiner Familie. Und so sagte er nur knapp: »Bis zum Wochenende halt. Grüße an die Therese.«

Die Freunde trennten sich vor dem Gasthaus und gingen in verschiedene Richtungen davon. Stefan marschierte mit gleichmäßigen Schritten durch die mondhelle Frühsommernacht entlang der Landstraße, dann nahm er eine Abzweigung, die zum Weilbacher-Hof führte.

Als er die Umrisse des Hofes vor sich aufwachsen sah, ergriff ihn eine jähe Beklemmung, und er musste sich dazu zwingen, den Hofplatz zu überqueren. Kein Hund bellte, um ihn zu begrüßen, kein Lichtschein fiel tröstlich aus dem Wohnhaus, nur der große Hausbaum dahinter rauschte im Nachtwind auf.

Totenstille herrschte auf dem Weilbacher-Hof.

Stefan fuhr unwillkürlich zusammen, als die Haustür beim Öffnen ein lautes Schnarren von sich gab, obwohl dies ein vertrauter Laut war. Dann betrat er eilig die Wohnstube und schaltete Licht an. Er legte die Unterlagen auf den großen runden Tisch, an dem sich schon seine Vorfahren zum gemeinsamen Essen versammelt hatten. Auch die übrigen Möbel waren Erbstücke, die Kredenz und als auch die bunt bemalte Truhe, die zu dem Eckschrank passte. Ein großer Kachelofen mit einer umlaufenden Bank verbreitete im Winter angenehme Wärme und Gemütlichkeit.

Es war ein behaglicher Raum, voll von Kindheitserinnerungen, doch jetzt strahlte er Verlassenheit aus, obwohl Stefan ihn sorgfältig in Ordnung hielt, wie alles Übrige auch. Früher hatte hier ein richtiges Familienleben geherrscht, denn die Weilbachers waren immer gastfreundliche Leute gewesen.

Seine Eltern hatten sich eigentlich eine große Familie gewünscht, doch ihre Ehe war lange kinderlos geblieben. Umso größer war ihre Freude, als schließlich nach Jahren vergeblichen Wartens doch noch ein Sohn geboren wurde. Doch seine Mutter blieb nach der schwierigen Geburt kränklich, und weitere Kinder blieben ihnen versagt.

Doch die Weilbacher-Bäuerin ließ sich nie etwas anmerken, wenn sie Schmerzen plagten, und so verbrachte Stefan eine schöne Kindheit. Nachbarn und Verwandte kamen zu Besuch, seine Schulfreunde, allen voran Ferdl, waren immer gern gesehen. Schöne Stunden, die sich ihm unauslöschlich eingeprägt hatten …

Stefan trat an die Kredenz, wo das silbergerahmte Hochzeitsbild seiner Eltern einen Ehrenplatz innehatte. Was für ein schönes Paar sie gewesen waren! Sein Vater, hochgewachsen und stattlich, ein glückliches Leuchten lag auf seinen markanten Zügen. Daneben seine Mutter, madonnenhaft schön, mit einem schüchternen Lächeln um den Mund. Sie ging ihm nur bis zur Schulter, doch die aufwendige Hochzeitskrone glich den Größenunterschied aus.

Wie geschaffen füreinander waren sie gewesen, liebten sich innig, und nie hatte Stefan gehört, dass ein böses Wort zwischen ihnen fiel. Umso mehr hatte es seine Mutter getroffen, als ihr Mann einem furchtbaren Unglücksfall zum Opfer fiel. Als er ein Waldstück, das zu ihrem Besitz gehörte, durchschritt, erhob sich ein plötzliches Unwetter, und er wurde von einem herabstürzenden Ast erschlagen.

Der Tod ihres Mannes ließ jeden Lebenswillen in Maria Weilbacher erlöschen. Selbst die Anwesenheit ihres Sohnes konnte sie nicht trösten, und eines Morgens wachte sie nicht mehr auf. Der Arzt konnte nur noch plötzliches Herzversagen feststellen, und bei der Beerdigung flüsterten die Dörfler einander wissend zu: »Es hat ihr das Herz gebrochen, dass ihr Mann so früh von ihr hat gehen müssen. Die beiden konnten net ohne einander leben.«

Wie immer, wenn er die Bilder, die seine Eltern zeigten, betrachtete, stiegen Stefan Tränen in die Augen. Wie sehr sie sich geliebt hatten! Und dann empfand er nicht nur Trauer über ihren Verlust, sondern auch tiefe Einsamkeit. Ob er jemals eine Frau finden würde, die ihn so liebte, wie seine Mutter ihren Mann geliebt hatte? Eine Frau, die vorbehaltlos zu ihm stand und alles mit ihm teilte, selbst wenn schwere Tage zu bewältigen wären.

Denn es lastete noch eine weitere Bürde auf Stefan Weilbachers Schultern. Als er nach Hause zurückgekommen war, in der Hoffnung, einen gut geführten Hof übernehmen zu können, musste er feststellen, dass von dem einstigen Wohlstand nichts mehr übrig geblieben war. Missernten, veraltetes technisches Gerät, vor allem aber eine ungünstige Anlage, zu der man seinen Vater verleitet hatte, waren die Gründe für den Niedergang des Hofes.

Stefan war davon überzeugt, dass sein Vater die Dinge wieder ins Lot gebracht hätte, wenn er am Leben geblieben wäre. Seine Mutter jedoch war völlig überfordert gewesen und hatte nicht erkannt, dass der Hof auf den wirtschaftlichen Ruin zusteuerte. Oder sie hatte es gewusst und wollte Stefan kurz vor seinem Examen nicht damit belasten.

Jedenfalls war sein Traum, den Hof auf biologischen Anbau umzustellen, sofort zerstoben. Die kleinen Lebensversicherungen, die seine Eltern hinterlassen hatten, reichten nur dazu aus, dass er eine Weile überdauern konnte, an Neuerungen war nicht zu denken.

Vielleicht würde er das Waldstück, in dem sein Vater zu Tode gekommen war, verkaufen … Stefan seufzte und versuchte, die bedrückenden Gedanken zu verbannen, denn sonst würde er keinen Schlaf finden. Er ging in die Küche und trank noch etwas, dann ging er zu Bett und schlief gleich darauf ein.

Nachts wurde er von einem unheimlichen schabenden Geräusch geweckt, und es dauerte eine Weile, bis ihm klar war, woher es stammte. Der Nachtwind hatte sich verstärkt, und die Äste des Ahorns schlugen an die Hauswand. Außerdem fiel das Licht des Vollmonds auf sein Bett, er hatte vergessen, die Vorhänge zuzuziehen. Stefan stand auf und trat ans Fenster.

Es schien ein Wetter aufzukommen, immer wieder jagten Wolken über den Himmel, ehe das Mondlicht wieder hervorbrach. Das dunkle Gebirgsmassiv, das das Hochtal umgab, ragte drohend empor, hin und wieder glitzerten die Gletscher auf. Stefan zog die Vorhänge vor und kehrte ins Bett zurück, aber er konnte nicht wieder einschlafen. Der Wind rauschte auf, eine Schindel löste sich und zerbarst krachend auf dem Hofplatz, das Haus schien zu ächzen.

Er lag auf dem Rücken und lauschte auf die Geräusche. Gleichzeitig ging ihm das Gespräch durch den Sinn, das er mit seinem Freund geführt hatte. Die schöne Laura …

Eigenartig, dass er jetzt daran dachte. Er besaß nur eine schwache Erinnerung an die Bürgermeisterstochter, die damals noch ein halbes Kind gewesen war, als er sein Studium in der Stadt begonnen hatte. Ein linkisches Mädchen war sie gewesen, das ihm immer verschlossen und übellaunig vorgekommen war. Sie versprach keineswegs eine Schönheit zu werden, denn sie war viel zu mager gewesen, und ihre schwarzen Haare hatten ihr immer eigenartig vom Kopf abgestanden.

Aber inzwischen musste sich ja etwas Erstaunliches ereignet haben, dass selbst Ferdl, der seiner Therese treu ergeben war, in Wallung geriet. Eigentlich mochte er nichts mit den Lenhofers zu tun haben, denn mit dem Bürgermeister stand er auf dem Kriegsfuß. Es hieß, dass Lenhofer seine Tochter maßlos verwöhnt und immer Entschuldigungen für ihr schlechtes Benehmen gefunden hätte.

Laura war das einzige Kind des Bürgermeisters, der seine Frau, von der alle mit Hochachtung sprachen, früh verloren hatte. Wahrscheinlich hatte die Tochter ihr Äußeres von ihr geerbt, denn Elisabeth Lenhofer war von ganz besonderer Schönheit gewesen. Lenhofer, der sonst nicht von großer Gemütstiefe war, hatte sehr um sie getrauert und weigerte sich, ihr eine Nachfolgerin zu geben.

»Nun, ich werde sie ja spätestens an Johanni sehen. Dann werde ich wissen, was es mit ihr auf sich hat«, murmelte er vor sich hin.

Er durchdachte noch einmal Einzelheiten der Vorbereitung für das Johannisfeuer, denn er neigte dazu, die Dinge allzu gründlich anzugehen. Dann verwirrten sich seine Gedanken, und er versank endlich in einem tiefen Schlaf.

***

»Nun, kann ich mich sehen lassen?«

Laura Lenhofer drehte sich kokett im Kreis, dass der Rock ihres seidenen Festtagsdirndls weit hochschwang und ihre schlanken, wohlgeformten Beine freigab.

Ihre Cousine Rebekka Schwaiger lachte.

»Das fragst du noch! Die Burschen werden sich die Hälse nach dir verdrehen. Das Grün steht dir besonders gut, es passt zu deinen dunklen Haaren.«

Laura lächelte befriedigt, denn Rebekka war immer aufrichtig, wenn sie ihre Meinung kundtat, und kannte keinen Neid. Und genau diese Eigenschaften waren es, die die beiden Mädchen immer zusammengeschmiedet hatte, denn Lauras Schönheit und ihr reicher, einflussreicher Vater forderten nur zu oft Missgunst und Feindseligkeit heraus.

Das ging Laura in diesem Augenblick durch den Sinn, und spontan umarmte sie ihre Cousine, die auch ihre beste Freundin war.

»Dein Kleid zerknittert ja ganz«, rief Rebekka erschrocken aus.

»Das macht nichts. Du bist halt die Beste.«

Laura trat noch einmal vor den Spiegel und zupfte sich ein paar Löckchen zurecht, die ihre hohe Stirn umspielten. Was sie sah, gefiel ihr. Die dunklen Haare, die großen, ebenfalls dunklen Augen, die schmale Nase und der volle Mund.

Dazu eine schlanke, biegsame Gestalt, die in dem grünen Dirndl mit aufwendiger goldfarbener Stickerei am Mieder besonders gut zur Geltung kam. Laura trug keinen großartigen Schmuck dazu, nur eine dünne Goldkette, die sie von der so innig geliebten Mutter geerbt hatte und niemals ablegte.

Rebekka war ebenfalls ein schönes junges Mädchen, wenn sie auch auf den ersten Blick hinter Laura zurücktrat. Ihre Schönheit war anderer Art, verhaltener, doch umso beseelter. Auch sie hatte regelmäßige Züge, die jedoch zarter wirkten. Sanfte blaue Augen beherrschten ihr Gesicht, der blassrote Mund war lieblich geschwungen. Die silbrig blonden Haare hatte sie aufgesteckt, sodass sie den weißen Nacken freigaben, auch sie trug als Schmuck nur ein kleines altertümliches Medaillon. Im Gegensatz zu Lauras kostspieligem Kleid war ihr dunkelblaues Dirndl mit der weißen Bluse für den festlichen Anlass fast zu schlicht, aber an ihr sah es wie etwas ganz Besonderes aus.

Die beiden Mädchen hatten sich in Lauras gemütlich eingerichteter Dachwohnung im Haus des Bürgermeisters zusammengefunden, um sich auf das bevorstehende Johannisfeuer vorzubereiten. Sie hatten sich seit Längerem nicht gesehen, denn Laura studierte in München und ließ sich nur noch selten in ihrem Heimatdorf blicken. Aber jetzt war sie überraschend vor Semesterende nach Hause zurückgekehrt, ohne sich über die Gründe auszulassen.

»Für dich ist das bestimmt langweilig hier auf dem Dorf. In der Stadt gibt es halt mehr Abwechslung«, sagte Rebekka zögernd.

Laura legte den Kopf schief und fuhr glättend über die Schürze, die in einem warmen Goldton schimmerte. »Das stimmt schon. Aber das Johannisfest war immer einer der Höhepunkte des Jahres, und so etwas vergisst man net«, sagte sie unbestimmt.

»Willst jetzt eigentlich für immer bleiben?«

Laura zuckte die Schultern. »Es ist letztes Semester net gut gelaufen für mich. Ich hab keinen einzigen Schein geschafft. Jetzt werde ich mich erst mal erholen von dem ganzen Ärger. Bis zum Wintersemester hab ich ja Zeit genug, mir zu überlegen, wie es weitergehen soll.«

Eigentlich fand Rebekka es verwunderlich, dass Laura keine besonderen Leistungen vorzuweisen hatte. Denn sie war intelligent und besaß eine erstaunliche Auffassungsgabe. Aber es mangelte ihr an Ehrgeiz, und sie schien kein Ziel vor Augen zu haben, was wahrscheinlich die Folge der übergroßen Verwöhnung durch ihren Vater war.

Es beschlich sie außerdem der Verdacht, dass Lauras Scheitern auf etwas ganz anderes zurückzuführen war. Wenn sie sich unbeobachtet fühlte, verschattete sich ihr Gesicht, und ein trauriger Ausdruck trat in ihre Augen. Eine unselige Liebesgeschichte, dachte Rebekka bei sich, vielleicht hat ihr Liebster sie verlassen. Denn außer dem Tod der Mutter, und das war lange her, hatte Laura in ihrer behüteten Kindheit und Jugend niemals Leid erlitten. Daher hatte eine unglückliche Liebe sie vielleicht ganz besonders getroffen.

»Hat sich im Dorf eigentlich irgendetwas ereignet? Es kommt mir so vor, als wär hier inzwischen die Zeit still gestanden. So, als wär ich nie von zu Hause weg gewesen«, sagte Laura unvermittelt.

»Ja, so scheint es«, gab Rebekka zu. »Aber es hat auch etwas Beruhigendes, dass sich hier net alles so schnell verändert wie anderswo. Dass es halt unsere Heimat bleibt, unser kleines Bergdorf.«

Laura schien diesem Gedanken nicht allzu viel abgewinnen zu können, denn sie schürzte abfällig ihre Lippen.

»Und doch hat es Veränderungen gegeben. Der Ferdl Kaltbrunner hat geheiratet und hat schon drei Kinder …«

»Das hab ich mitbekommen«, fiel ihr Laura ungeduldig ins Wort. »Dass man sich so früh binden kann, ist mir unverständlich.«

»Er hat seine Therese halt gern und die Kinder auch«, wandte Rebekka ein.

»Hoffen wir, dass es anhält.« »Der Sohn vom Doktor ist aus dem Internat geflogen, weil er dort angeblich mit Drogen gehandelt hat. Seine Eltern sind am Boden zerstört.«

»Der kommt schon wieder auf den rechten Weg«, murmelte Laura beschwichtigend und kämmte sich noch einmal über die Haare.

»Und der Weilbacher-Stefan ist wieder zurück nach bestandenem Examen«, berichtete Rebekka weiter.

»So, was hat er denn studiert?«, fragte Laura ohne sonderliches Interesse.

»Er ist Agraringenieur, er hat mit Auszeichnung abgeschlossen, hab ich gehört.«

»Ein besserer Bauer, also. Dafür hätt er wahrhaftig net zu studieren brauchen«, befand Laura kopfschüttelnd.

»Wir stammen schließlich auch von Bauern ab. Und das ist wirklich nichts, wofür man sich schämen muss«, sagte Rebekka mit einiger Schärfe.

Auch wenn es nicht den Anschein hatte, so war Rebekka doch imstande, ihrer Cousine Paroli zu bieten. Doch ehe Laura zu einer Erwiderung ansetzen konnte, erschallte von unten die befehlsgewohnte Stimme ihres Vaters.

»Wo bleibt’s ihr denn? Wollt ihr dort oben übernachten? Ihr wisst ja, dass ich eine Ansprache halten muss, und es macht grad keinen guten Eindruck, wenn der Bürgermeister zu spät kommt«, polterte er.

Sixtus Lenhofer war ein massiger, vierschrötiger Mann mit groben, aber nicht unangenehmen Zügen. In seinem dunklen Trachtenanzug wirkte er ausnehmend imponierend, er strahlte Selbstbewusstsein und Willensstärke aus. Seine Feinde wussten aus schmerzlicher Erfahrung, dass man gut daran tat, Sixtus Lenhofer nicht in die Quere zu kommen.

Doch als er seine Tochter erblickte, schwand seine Verärgerung dahin, und sein Gesicht leuchtete auf.

Für einen Augenblick fühlte er sich wieder in jene Zeit zurückversetzt, als er um seine spätere Frau geworben hatte. Genauso war sie ihm entgegengeeilt, als er sie unter der strengen Aufsicht ihrer Eltern von zu Hause abgeholt hatte. Wie sehr Laura doch seiner einzig Geliebten glich! Er räusperte sich, um seiner inneren Bewegung Herr zu werden, und sagte: »Wunderbar schaust aus, Laura. Ganz die Mutter.«

Laura erstrahlte, ein schöneres Kompliment hätte er ihr nicht machen können. Denn als Kind hatte sie Stunden vor dem Porträt ihrer verstorbenen Mutter zugebracht, das im Wohnzimmer seinen Ehrenplatz hatte. Es war immer ihr innigster Wunsch gewesen, auch einmal so auszusehen wie ihre geliebte Mutter.

Als sein Blick flüchtig über Rebekkas Erscheinung glitt, zogen sich seine dunklen Brauen unmutig zusammen. »Hast du kein besseres Gewand gefunden?«

Rebekka errötete, obwohl sie es gewohnt war, dass der Onkel ihr mit Geringschätzung begegnete. Sie war die Tochter seines jüngeren Bruders, der, wie Sixtus es ausdrückte, »in München unter die Räder gekommen ist, nachdem er sich als Künstler versucht hat«.

In Wirklichkeit war ihr Vater ein anerkannter Landschaftsmaler gewesen, der nur leider zunehmend dem Alkohol verfiel, was ihn früh das Leben kostete. Rebekka stammte aus einer seiner zahlreichen Beziehungen, und ihre Mutter, deren Namen sie trug, hatte das unerwünschte Kind sträflich vernachlässigt. Nach dem Tod ihres Vaters wäre sie wahrscheinlich in ein Heim gekommen, wenn ihr Onkel sie nicht in einem Klosterinternat untergebracht hätte.

Eigentlich war sie ihrem Onkel zu großem Dank verpflichtet, denn er hatte es ihr ermöglicht, auf eigenen Füßen zu stehen. Doch er ließ sie bei jeder Gelegenheit spüren, dass sie nicht richtig zu ihnen gehörte. Sie hatte weitaus bessere Leistungen erbracht als Laura und sich nie etwas zuschulden kommen lassen, doch er hatte niemals ein Wort der Anerkennung oder gar des Lobes für sie gefunden. Durch ihre Herkunft war und blieb sie der Schandfleck der Familie.

Doch Rebekka war durch eine harte Schule gegangen und hatte gelernt, sich zu beherrschen, und so gab sie ihrem Onkel ruhig zur Antwort: »Das Fest findet im Freien oben auf dem Berg statt. Ein Festtagsgewand kann da leicht Schaden nehmen.«

Sie hätte auch noch hinzufügen können, dass ihr Schrank nicht so vor Kleidern überquoll, wie es bei ihrer Cousine der Fall war, doch sie unterließ es.

»Wie du meinst. Jetzt kommt aber«, drängte Sixtus.

Auf dem Bergplateau, wo der Holzstapel für das Johannisfeuer aufgeschichtet war, hatte sich schon eine größere Zuschauermenge versammelt. Auch Touristen waren darunter, die sich fachmännisch über die historischen Wurzeln dieses Brauchs ausließen, was die Kirchstettener regelmäßig aufbrachte.

Stefan Weilbacher umrundete unruhig den Stapel und schien die Bestandteile zu überprüfen, bis er sich schließlich neben Ferdl stellte.

»Und du bist sicher, dass nur Naturholz verwendet worden ist?«, fragte er seinen Freund misstrauisch.

Ferdl schnaubte. »Ich war selbst mit dabei.«

»Ich kann mich noch gut erinnern, wie der Wendlhuber versucht hat, seine alten Türen aus Sperrholz unter dem Stapel verschwinden zu lassen. Sogar sein schäbiges altes Nachtkastl war dabei …«

»Ja, ja, das hast mir schon mehrmals erzählt. Und schon damals ist es rechtzeitig entdeckt worden. Dieses Mal haben ein paar Burschen sogar Wache gehalten, damit sich niemand dran vergreifen kann.«

»Sehr umsichtig«, murmelte Stefan, und Ferdl schnaubte erneut.

»So, und jetzt erscheint unser verehrter Herr Bürgermeister in höchsteigener Person und langweilt uns wieder mit einer seiner Reden, die er grad so aus dem Ärmel zu schütteln scheint, um die Zuhörer zu quälen«, kündigte Ferdl spöttisch an.

Doch Stefans Blick war von Sixtus Lenhofer abgeirrt und ruhte nun auf einem der jungen Mädchen, die sich in seiner Begleitung befanden und während seiner Rede hinter ihn getreten waren. Das Mädchen im grünen Kleid mit den üppigen dunklen Haaren musste seine Tochter sein. Die schöne Laura!

Stefan Weilbacher, der sonst nicht so leicht zu beeindrucken war, spürte, wie sein Herz plötzlich heftig zu pochen anfing. Die Worte des Bürgermeisters rauschten an ihm vorbei, ohne dass er ihren Sinn verstand, seine ganze Aufmerksamkeit war auf die wunderbare Erscheinung hinter ihm gerichtet. Noch nie hatte er ein Wesen von solch vollkommener Schönheit gesehen. Er suchte nach irgendeinem Makel, doch ihre Haut war von samtiger Reinheit, und als sie das Mädchen neben ihr anlächelte, zeigten sich regelmäßige Zähne, die wir Perlen aufgereiht waren.

Laura, die ein gutes Gespür besaß für das, was um sie herum vorging, war die Bewunderung, die sie bei Stefan ausgelöst hatte, nicht verborgen geblieben. Sie stieß Rebekka an und fragte sie leise: »Wer ist denn der junge Mann da drüben, der mich so unverfroren anstarrt, als hätte er noch nie ein Madel gesehen?«

»Erkennst den net wieder? Das ist der Weilbacher-Stefan, ich hab dir doch von ihm erzählt. Er ist beim Heimatverein, und ich glaub auch …«

»Das brauchst mir net alles zu erzählen«, unterbrach Laura sie brüsk, und Rebekka verfiel in Schweigen.

Doch es entging Rebekka nicht, dass Laura ihrem Gegenüber ebenfalls verstohlene Blicke zuwarf, was sie verwunderte. Denn Laura hatte für die Burschen im Tal nicht das Geringste übrig und strafte sie gewöhnlich mit Nichtbeachtung. Und so war sie nicht zu Unrecht als hochmütig verschrien.

»Was ist denn mit dir, ich hab dich schon zum dritten Mal etwas gefragt«, wurde Stefan von seinem Freund aus seiner Verzückung gerissen.

Er entschuldigte sich bei Ferdl und versuchte, auf dessen Anliegen einzugehen, was ihm sichtlich schwerfiel. Denn die Gedanken schienen hinter seiner Stirn nur so zu flirren, und seitdem er dieses Mädchen gesehen hatte, hatte er nichts anderes mehr im Sinn als sie. So mussten sich früher die Menschen gefühlt haben, wenn sie glaubten, von einer schönen Hexe betört worden zu sein …

Unmutig schüttelte er diese Vorstellung ab. Er war noch nie abergläubisch gewesen, hatte sich immer auf dem Boden der Tatsachen bewegt. Doch als er erneut zu ihr hinübersah – wenn ihn nicht alles täuschte, erwiderte sie sogar seinen forschenden Blick –, überkam ihn wieder diese Verzauberung. Eine Verzauberung, der er sich so hilflos ausgesetzt fühlte, dass sie ihn gleichzeitig mit Furcht erfüllte.

Die Alpenbläser hatten nun ihren Vortrag beendet, vor allem von den Touristen lebhaft beklatscht. Die Dämmerung war herabgesunken, Ferdl trat mit seinen Mannen von der Freiwilligen Feuerwehr vor, und sie fachten das Johannisfeuer an. Fast gleichzeitig flammten an den anderen Berghängen die Feuer der Nachbardörfer auf, auch Feuerräder rollten hinab. Unwillkürlich senkte sich Schweigen über die Zuschauer, es war allen, als hätte sich eine urzeitliche Atmosphäre über sie ausgebreitet.

Stefan sah nun wieder in die Richtung, in der er Laura vermutete, und ihre Blicke verwoben sich ineinander. Sie standen reglos da, ineinander versunken, und über das Feuer hinweg schlang sich ein Band um sie.

Dann aber wurde die Stille jäh zerrissen, die Musik spielte auf und vereinzelte Juchzer erklangen. Für die jungen Leute gab es kein Halten mehr, längst hatten sich die Paare gefunden und drehten sich jetzt übermütig im Tanz. Stefan strebte zu Laura hinüber, aber er hatte das Nachsehen, denn ein anderer war ihm zuvorgekommen und führte das junge Mädchen triumphierend von dannen. Stefan forderte stattdessen Rebekka auf, um sich keine Blöße zu geben.

Doch Rebekka schien zu spüren, dass er sie nur aus der Verlegenheit heraus ausgewählt hatte, und blieb recht schweigsam, auch wenn er sich um ein Gespräch bemühte. Schließlich gab er sie dankend frei, und sah sich unauffällig nach Laura um. Doch sie war völlig von Quirin Karrer, einem, wie er fand, großspurigen Bauernsohn, in Beschlag genommen, und es bot sich ihm keine Gelegenheit, sich ihr zu nähern. Der alte Karrer, ein reicher Großbauer mit viel Grundbesitz, war ein Spezi des Bürgermeisters, und so hatte Stefan von vornherein schlechte Karten.

Laura fühlte sich in der Gegenwart Quirin Karrers sichtlich unwohl, aber sie wagte nicht, ihren Vater vor den Kopf zu stoßen, denn sie wusste sehr wohl von der Verbindung zwischen ihm und Quirins Vater. Der wuchtige junge Mann zog sie viel zu eng beim Tanzen an sich, und er redete unaufhörlich, wobei er seine Vorzüge, die Laura bislang verborgen geblieben waren, auf großsprecherische Weise ins rechte Licht zu rücken versuchte. Dann ging er unvermittelt zum Angriff über.

»Wir zwei, Laura, das wär doch was«, flüsterte er an ihrem Ohr, und das Mädchen zuckte unwillkürlich zurück.

»Lass das, Quirin, wir kennen uns ja kaum«, sagte es freundlich, aber bestimmt.

Quirin verzog sein Gesicht zu einem unechten Grinsen, er konnte kaum die Wut verbergen, die dabei in seinen Augen stand.

Es war halt falsch, dachte er bei sich, dass die Weiberleut heutzutag zu viele Freiheiten hatten. Dann gingen sie in die Großstadt, angeblich um zu studieren, und dann kehrten sie mit einem Kopf voller Flausen zurück und wussten nimmer, wohin sie gehörten. Jede andere wäre früher dankbar gewesen, wenn sie einen Mann wie ihn bekommen hätte. Aber er würde ihr diese Überheblichkeit schon austreiben …

Laura gelang es endlich, sich aus der Umklammerung Quirins zu lösen, und sie spähte nach Stefan aus. Er half seinem Freund mit dem Feuer, der helle Schein warf einen roten Schimmer auf sein dunkelblondes Haar, das ihm gelockt fast bis auf die Schultern fiel. Er hatte markante, männliche Züge, auf denen sich aber auch Empfindsamkeit widerspiegelte. Seine hochgewachsene, kraftvolle Gestalt bewegte sich mit einer Geschmeidigkeit, die Laura unwiderstehlich anzog. Das Madel konnte den Blick nicht von ihm wenden.

Glücklicherweise hatte ihr Vater den jungen als auch den alten Karrer in ein angeregtes Gespräch verstrickt, und Laura tanzte etwas lustlos mit dem Apothekersohn, sodass sie keiner Beobachtung ausgesetzt war. Als Stefan plötzlich aufsah, als hätte er gespürt, dass ihr Blick auf ihm lag, lächelte sie ihm unmerklich zu.

Er erwiderte ihr Lächeln mit einem leichten Nicken, während sich ein Strudel von Seligkeit in seinem Inneren ausbreitete. Es war wie eine geheime Verabredung, die sich zwischen ihnen abspielte, und alle Zaghaftigkeit fiel von ihm ab.

Der Höhepunkt des Festes bestand darin, dass einzelne Paare über das Johannisfeuer sprangen, was ihnen die baldige Erfüllung ihrer Wünsche versprach. Und ehe es von den anderen wahrgenommen wurde, gingen Stefan Weilbacher und Laura Lenhofer aufeinander zu, er griff nach ihrer Hand, und mit einem lauten Juchzen, das mehr einem triumphierenden Aufschrei glich, flogen sie geradezu über das aufsprühende Feuer. Doch als sie wieder Boden unter den Füßen gewonnen hatten, blieben sie nicht stehen, sondern in einem Rausch von Lebensfreude und Liebeslust zog Stefan sie mit sich, und sie verschwanden im Schatten eines Bergwäldchens.

»Was war jetzt des?«, fragte Quirin Karrer fassungslos.

»Ja, was war jetzt des?«, echote sein Vater hämisch. »Ein Madel darf man halt net auslassen, aber die jungen Leut wissen halt alles besser.«

»Aber manche lassen sich halt auch net halten«, erwiderte sein Sohn erbost, was wiederum den Bürgermeister gegen ihn aufbrachte.

»Wahrscheinlich hast halt net das rechte Händchen dafür, Quirin«, sagte er leichthin, aber in ihm brodelte es. Denn dass seine Tochter sich mit einem wie Stefan Weilbacher abgab, diesem Habenichts, das würde er schon zu verhindern wissen. Er würde ihr bei aller Liebe doch einmal ordentlich den Kopf zurechtsetzen müssen.

»Und jetzt?«, flüsterte Laura, als sie das Dunkel des Waldes umfing.

»Und jetzt werde ich dich küssen, Laura. Denn seit ich dich heut wiedergesehen hab, bin ich sicher, dass du die Frau meines Lebens bist.«

Da schlang sie die Arme um seinen Hals, und sie versanken in einem langen, leidenschaftlichen Kuss.

Nur widerwillig lösten sie sich später wieder voneinander, denn ihre Küsse hatten die Glut ihrer Liebe noch weiter entfacht. Stefan, der sonst immer so beherrscht war, fiel es schwer, sich zurückzuhalten, denn Laura schmiegte sich voller Leidenschaft an ihn.

»Wir müssen zurück zu den anderen«, sagte er leise.

»Leider«, seufzte sie.

Sie verabredeten, wo und wann sie sich wiedersehen würden, denn von nun an gehörten sie zusammen

Laura ging voraus, sodass er sie im Auge behalten konnte, und sie schloss sich unauffällig Rebekka an, die wie ein Mauerblümchen am Rand des Tanzplatzes stand und den Paaren wehmütig zuschaute.

»Ich hab dich schon die ganze Zeit vermisst, Laura. Wo bist denn gewesen?«, fragte sie ihre Cousine besorgt.

»Ich hab die Flucht vor dem Quirin ergriffen. Der ist so aufdringlich! Anscheinend glaubt er, ich müsst dankbar in seine Arme sinken, weil ich ihm erlaubt hab, auf meinen Füßen herumzutrampeln.«

Rebekka musste unwillkürlich lachen, und Laura stimmte mit ein.

Doch wie so viele benachteiligte Menschen besaß Rebekka trotz ihrer Jugend einen erstaunlichen Scharfblick, und sie erkannte, dass mit Laura etwas Grundlegendes geschehen war. Ihre Augen glänzten wie im Fieber, sie atmete hastig, und ihr ganzes Wesen drückte eine seltsame Unruhe aus, die Rebekka noch nie an ihr festgestellt hatte.

»Hat der Vater nach mir gefragt?«

Rebekka blieb nichts anderes übrig, als zuzugeben, dass Sixtus Lenhofer sich sichtlich gereizt nach seiner Tochter umgesehen hatte. Er hatte sich sogar so aufgeführt, als hätte sie, Rebekka, sich einer Pflichtvergessenheit zuschulden kommen lassen.

»Er ist ja net blind. Allen ist aufgefallen, dass du mit dem Stefan über das Johannisfeuer gesprungen bist.«

Laura wollte gerade eine abwehrende Antwort geben, als sich ihr Vater mit Unheil verkündender Miene näherte.

»Was fallt dir denn ein? Die Tochter vom Bürgermeister lässt sich net von einem jeden ins Gebüsch ziehen«, zischte er ins Ohr, behielt aber gleichzeitig einen freundlichen Gesichtsausdruck bei.

»So war das net. Ich war nur auf der Flucht vor dem unsäglichen jungen Karrer. Dann bin ich wieder zu der Rebekka zurückgekehrt«, rechtfertigte sich Laura in nicht minder scharfem Tonfall. »Außerdem bin ich volljährig, und du kannst mir keine Vorschriften mehr machen.«

Rebekka wandte sich ab und schwieg. Es war abzusehen gewesen, dass es bald zu einem Kräftemessen zwischen Vater und Tochter kommen würde.

»Darüber reden wir noch«, erwiderte der Lenhofer kurz, denn es lag ihm fern, in aller Öffentlichkeit einen Streit mit seiner Tochter vom Zaum zu brechen.

»Ich möchte nach Hause. Ich hab keine Lust, mir noch einmal von irgendeinem Dorfdeppen auf die Füße treten zu lassen«, kündigte sie an.

Wortlos reichte Lenhofer Laura die Autoschlüssel, er selbst würde bei einem seiner Spezln schon eine Mitfahrgelegenheit finden.

Sie machte eine auffordernde Kopfbewegung in Richtung Rebekka, ohne sie zu fragen, ob sie länger bleiben wollte. Aber der Cousine war es ganz recht, denn inzwischen war es ihr zu laut geworden, denn einige der Burschen hatten schon zu viel getrunken und suchten Händel. Und so ging sie an Lauras Seite zu dem kleinen Waldparkplatz, wo Lenhofer seinen teuren schwarzen Geländewagen abgestellt hatte.

Laura parkte ihn geschickt rückwärts aus und steuerte ihn nicht weniger zügig über den unbefestigten Wirtschaftsweg zur Landstraße hinunter, die nach Kirchstetten führte. Die ganze Zeit über schwieg sie, und Rebekka verspürte auch keinerlei Neigung, ein Gespräch mit ihr zu beginnen.

Sonst lud Laura die Cousine häufig noch zu sich in ihre kleine Wohnung ein, aber heute stand ihr offenbar nicht der Sinn danach. Mit einem gemurmelten Gutenachtgruß verabschiedete sie sich hastig von ihr, kaum dass sie das Haus betreten hatten, und eilte die Treppe hoch.

Rebekka kam fast nicht dazu, etwas zu erwidern, und so ging sie zu dem Anbau im rückwärtigen Teil des Hauses, wo früher die Dienstboten untergebracht waren.

Dort befand sich ihr Refugium, ein bescheidenes Zimmer, in dem sie jedoch völlig ungestört war. Sie hatte es verstanden, es anheimelnd zu gestalten. An der Wand hingen Fotos von München, wo sie ihre ersten Lebensjahre zugebracht hatte, ein geschmackvoller Quilt bedeckte das Bett, und auf dem Boden lag ein geknüpfter Teppich. Alles passte farblich genau zusammen, selbst der bunte Sommerstrauß, der in einem Krug auf dem Tisch am Fenster stand, bildete eine harmonische Ergänzung.

Rebekka setzte sich auf das Bett, das gleichzeitig als Sofa diente, und versank in Grübeleien. Sie konnte verstehen, dass Laura an Stefan Weilbacher Gefallen gefunden hatte, obwohl sie ihrer Meinung nach sehr unterschiedlich waren. Aber vielleicht war es gerade das, was sie so sehr zueinanderzog …

Seltsamerweise stand auch ihr Stefan lebendig vor Augen. Sie hatte ihn schon lange heimlich bewundert, weil er sich so uneigennützig für die Wahrung des heimischen Brauchtums einsetzte. Doch heute Abend war ihr aufgefallen, was für ein gut aussehender Mann er war. Obwohl er seinen bäuerlichen Ursprung niemals verleugnen würde, besaß er doch eine ganz andere Ausstrahlung als die manchmal ziemlich derben Großbauernsöhne.

Es war schön gewesen, mit ihm zu tanzen, auch wenn seine Freundlichkeit nicht ihr gegolten hatte. Ein erregendes Gefühl hatte sie in seiner Nähe überrieselt, und sie hatte tiefes Bedauern verspürt, als er sie aus seinen Armen entließ.

»Ein dummes Ganserl bist«, schalt sie sich selbst, denn sie wusste nur zu gut, dass es müßig war, sich solchen Träumereien hinzugeben. Laura und Stefan hatten sich längst gefunden, davon war sie überzeugt. Niemals würde sie neben der Cousine bestehen können.

Als sie wenig später zu Bett ging, konnte sie nicht einschlafen. Schließlich nahm sie ein Buch zur Hand und las darin, bis ihr Kopf vornübersank.

***

Stefan Weilbacher brach erst spät auf, denn er war seinem Freund noch mit dem Feuer behilflich. Zwei seiner Helfer hatten ihn nämlich schmählich im Stich gelassen, weil sie volltrunken niedergegangen waren. Eine wahre Schande, wie Ferdl fand.

Endlich war alles so weit, dass kein wildes Feuer mehr entstehen konnte, außerdem wurden über Nacht wieder Wachen aufgestellt.

»Ich fahr dich nach Haus«, sagte Ferdl, und Stefan, der innerlich immer noch aufgewühlt und gleichzeitig erschöpft war, nickte dankbar.

Stefan konnte sich unter den gegebenen Umständen keinen eigenen Wagen leisten, was ihm das Leben auch nicht gerade erleichterte. Doch heute wollte er nicht darüber nachdenken, was ihm das Leben verdüsterte, sondern sich ganz diesem seligen Gefühl hingeben, das ihn erfüllte. Alles andere war mit einem Mal so unwichtig geworden …

»Kommst eigentlich allein zurecht?«, fragte Ferdl, als sie vor dem Hofgatter des Weilbacher-Hofes anhielten.

»Es geht schon. Aber während des Studiums hab ich ja auch allein gelebt. Grüß die Theresa und vielen Dank fürs Bringen.«

Ferdl nickte und wendete den Wagen. Doch Stefan fühlte sich nicht verlassen, als er im Dunklen stand, zu sehr war all sein Denken und Fühlen von Laura beherrscht. Er machte auch kein Licht, als er in das stille Haus trat, wo ihn die vertrauten Gerüche umgaben. Sonst erinnerte ihn das schmerzlich an seine Mutter, die immer von Gewürz- und Kräutergerüchen umgeben gewesen war, doch heute hatte er die Vergangenheit verdrängt. Nur noch seine Liebe zählte.

Er setzte sich in die Stube, wo das harte Ticken der alten Standuhr die Stille durchschnitt, und selbst das nahm er nicht wahr. Denn im Geiste erlebte er noch einmal jeden Augenblick, den er mit Laura verbracht hatte. Jede Einzelheit hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt – der tollkühne Sprung über das Feuer, vor dem Laura keine Sekunde zurückgeschreckt war, ihr atemloser Lauf zu dem Wäldchen, bis er sie in den Armen gehalten hatte.

Er stöhnte auf, als er an ihren weichen Körper dachte, der sich hingebungsvoll an ihn schmiegte, als er sie küsste.

Bald würde es ein Wiedersehen geben, und er konnte das Warten darauf kaum ertragen. Schließlich ging er zu Bett, doch er fand keinen Schlaf, und eigentlich wollte er auch nicht schlafen, sondern Laura vor seinem geistige Augen sehen. Und so lag er da, und manchmal löste sich ein sehnsüchtiger Seufzer von seinen Lippen.

Doch am nächsten Tag bedrängten ihn neue Sorgen, Sorgen, in deren Mittelpunkt natürlich Laura stand. Denn sie hatten verabredet, dass sie in aller Heimlichkeit auf den Hof kam. Durch die versteckte Gartenpforte auf der Rückseite wollte sie hineinschlüpfen und dann durch die Hintertür ins Haus.

Sie hatten vereinbart, dass niemand erfahren sollte, dass sie sich trafen, denn es war beiden klar, dass Lauras Vater gegen diese Verbindung sein würde. Sixtus Lenhofer war ein rücksichtsloser Mensch, gewohnt, seinen Willen durchzusetzen, und ein verarmter Bauer war nicht das, was er sich für seine Tochter wünschte. Er würde nicht zögern, ihr Glück zu zerstören und Stefan in den endgültigen Ruin zu treiben.

Obwohl Stefan nicht geschlafen hatte, fühlte er sich nicht übernächtigt, als er am nächsten Morgen in der Stube stand und sich umblickte.

»Jesses«, murmelte er in plötzlicher Niedergeschlagenheit.

Im hellen, erbarmungslosen Morgenlicht trat noch mehr zutage, was schon offenkundig war, nämlich die Vernachlässigung der letzten Jahre. Auch wenn die Einrichtung von einstigem Wohlstand kündete, so verrieten sie doch einiges über den Niedergang des einst so stattlichen Weilbacher-Hofes. Die Möbelstücke waren abgestoßen, die kunstvolle Malerei verblichen, und die Kacheln des Ofens wiesen vereinzelt Sprünge auf. Auch die Dielen mussten dringend abgeschliffen werden, die Zimmerecken waren nachgedunkelt.

Wie hatte er so vermessen sein können, Laura hierher einzuladen? Er hatte ihr nichts zu bieten, und seine schäbige Wohnstatt würde ihn in ihren Augen nur herabsetzen. Denn er zweifelte nicht daran, dass Laura von Haus aus verwöhnt und anspruchsvoll war und sich bestimmt ein anderes Leben vorstellte.

Würde ihre Liebe stark genug sein, alle Hindernisse zu überwinden?

Wenigstens sollte eine gewisse Ordnung herrschen, dachte Stefan und begann aufzuräumen. Später wollte er noch einige kleinere Reparaturarbeiten hinter sich bringen, die er immer herausgeschoben hatte.

Als er sich gegen Abend eine Ruhepause gönnte und Brot und Geselchtes aß, hörte er plötzlich ein Geräusch an der Küchentür, und er stand hastig auf, um nach dem Rechten zu sehen. Eigentlich war die Gegend bislang von Einbrüchen und Diebstählen verschont geblieben, und er vergaß oft, die Hintertür zu verschließen.

»Stefan!«

Er zuckte heftig zusammen, denn es war unverkennbar Lauras Stimme, die ihn halblaut von draußen anrief. Er öffnete die Tür, und da flog sie ihm schon um den Hals und küsste ihn voller fiebriger Leidenschaft.

»Ich hab’s einfach nimmer ausgehalten, Stefan. Ich musste dich sehen«, stieß sie hervor.

»Ich konnt net schlafen die ganze Nacht vor Sehnsucht nach dir«, gestand er ein, und sie fielen sich wieder in die Arme.

»So ist es mir auch gegangen«, flüsterte sie.

Stefan führte sie in die Stube, die nun einigermaßen aufgeräumt war; zu seiner Erleichterung schien sie ihre Umgebung überhaupt nicht wahrzunehmen. Sie ließen sich nieder, tauschten Zärtlichkeiten aus und gaben sich Kosenamen.

»Es ist besser, wenn wir uns vorerst heimlich treffen, so wie wir es ausgemacht haben. Net nur wegen meines Vaters, sondern auch, weil unsere Liebe uns vorerst ganz allein gehören soll. Ich will net, dass die Dörfler sich die Mäuler darüber zerreißen und am End alles in den Schmutz ziehen«, sagte Laura eindringlich, als sie voneinander abließen.

»Da bin ich ganz deiner Meinung«, sagte Stefan verliebt und zärtelte mit den Lippen über ihren Hals, was sie zum Kichern brachte.

Und so verging der Abend, bis es dunkelte und Laura zusammenschrak.

»Ich muss nach Hause. Ich will net, dass der Vater auf mich warten muss und neugierige Fragen stellt«, sagte sie und sprang auf. Sie fuhr sich eilig über das dunkle Haar und ordnete ihre Kleidung, wobei ihr Stefan hingerissen zusah.

»Wo hast eigentlich den Wagen stehen?«, fragte er dann.

»Ich bin zu Fuß gekommen, Tschapperl, sonst wüsst ja gleich ein jeder, wer hier bei dir ist«, lachte sie.

»Sehr umsichtig. Aber es gefällt mir gar net, dass du allein ins Dorf zurückgehst. Ich will dich begleiten.«

Laura war gerührt. Kaum einer ihrer bisherigen Bekanntschaften hatte eine derartige Rücksichtnahme gezeigt. Außer einem, aber an den wollte sie nicht zurückdenken.

»Du bist wirklich net so wie andere Mannsbilder, Stefan«, sagte sie und strich ihm sanft über die Wange.

»Und wie sind die so?«, fragte er mit einem Anflug von Eifersucht.

»Du weißt doch selber, wie deine Spezln sind«, erwiderte sie leichthin und schnürte sich mit einer fließenden Bewegung, die ihn entzückte, das Schürzenband fester.

»Und wann treffen wir uns wieder? Ich kann es jetzt schon kaum erwarten, bis du wieder bei mir bist«, fragte er drängend.

»So bald wie möglich. Denn ich fühl in allem genau wie du«, sagte sie leise und küsste ihn zum Abschied. Dieses Geständnis bewirkte, dass sich sein Herz hob.

Er begleitete sie bis zu der halb zugewachsenen Gartentür, und Laura glitt durch die Dämmerung davon. Stefan wartete eine Weile, dann ging er ihr in einigem Abstand im Schatten der Büsche und Bäume nach, damit sie ihn nicht entdecken konnte. Erst als sie sicher das Dorf erreichte, blieb er beruhigt stehen und trat dann den Rückweg an.

Stefan hatte das Empfinden, als sänge es in ihm. Alles war so leicht gewesen, nichts mehr schien unüberwindlich, seine Liebe hatte ihn über das, was ihn die ganze Zeit über so bedrängt und bedrückt hatte, emporgehoben. Seine Einsamkeit, die wirtschaftlichen Sorgen, das schien ihm mit einem Mal wesenslos. All seine Gedanken kreisten nur noch um Laura, und zusammen mit ihr würde er sein Leben meistern.

Und die Zeit, die nun folgte, schien ihm recht zu geben. Er vernachlässigte keineswegs seine Aufgaben als Hofbauer, aber alles schien ihm nun viel leichter von der Hand zu gehen. Die Ernte war eingebracht und versprach einigen Gewinn, sodass sich seine Situation verbesserte. Außerdem hatte er mithilfe Ferdls, der ein geschickter Handwerker war, etliches am Wohnhaus ausgebessert, sodass es auch über den Winter bewohnbar sein würde.

Er hatte ebenfalls damit begonnen, den ausgedehnten Bauerngarten hinter dem Haus, der einst der ganze Stolz seiner Mutter gewesen war, wieder herzurichten. Durch mannshohes Unkraut und verwilderte Hecken hatte er sich gekämpft, bis die ursprüngliche Anlage wieder erkennbar geworden war. Im Frühjahr würde er dort mit dem biologischen Gemüseanbau beginnen, darauf verstand er sich.

Sein Leben hatte – dessen war er sich bewusst – einen Höhepunkt erreicht. Laura kam, sooft sie es ermöglichen konnte, ohne den Argwohn ihres Vaters zu erwecken, auf den Hof. Und da sie sehr vorsichtig war und zu den Menschen gehörte, die nur wenig von sich preisgaben, hatte noch niemand Verdacht geschöpft.

Außer Rebekka, aber sie konnte ein Geheimnis bewahren.

Immer noch war das Paar in völligem Einklang, verstand sich ohne Worte. Doch manchmal schlich sich eine Verstimmung ein, wenn Laura allzu begeistert von München erzählte, denn die Zerstreuungen der Großstadt sagten ihr offensichtlich zu.

»Man muss ja nicht für den Rest seines Lebens in so einem verlassenen Nest wie Kirchstetten leben«, sagte sie einmal.

»Du bist hier geboren und aufgewachsen, das ist deine Heimat. Und die gibt man nicht so leicht auf«, erwiderte er mit einer gewissen Schärfe in der Stimme.

»Bist halt ein richtig bodenständiges Mannsbild«, gurrte sie, und dieser Laut löste jähes Verlangen in ihm aus.

Und wie immer wurde das, was zwischen ihnen stand, vom Rausch der Leidenschaft ausgelöscht, und Stefan Weilbacher wähnte sich in diesem Liebessommer als der glücklichste Mann auf Erden.

***

Doch in Laura Lenhofers Innerem rangen widersprüchliche Empfindungen miteinander. Sie liebte Stefan, daran zweifelte sie nicht, er hatte sie von der tiefen Verzweiflung, die zu ihrer überstürzten Rückkehr aus München geführt hatte, befreit.

Denn der tiefere Grund war keineswegs ihr Versagen beim Studium, auch wenn dieses Semester vertan war. Denn sie hatte weder die Seminararbeiten abgegeben noch die Schlussprüfungen abgelegt. Eine schmerzliche Trennung lag hinter ihr, denn sie hatte sich noch nicht binden wollen. Der junge Arzt, der sie sehr geliebt hatte, war daraufhin so enttäuscht gewesen, dass er sich einer Hilfsorganisation in Afrika angeschlossen hatte.

Sein Entschluss hatte sie tief getroffen, und so war sie überstürzt nach Hause gefahren, um sich von diesem Schicksalsschlag erholen zu können. Doch dann hatte sie Stefan erblickt, und alles Vergangene erschien ihr plötzlich fern und bedeutungslos.

Nun aber schien sich alles zu wiederholen. Der Herbst stand vor der Tür, und nicht lange, dann würde der harte und lange Bergwinter in das abgelegene Tal einbrechen. Laura hatte diese Jahreszeit immer gehasst, denn sie fühlte sich beengt und eingesperrt, wenn sie bei anhaltenden Schneefällen das Haus nicht verlassen konnte. Dann schien ein Tag wie der andere zu sein, und jede Stunde drohte sich ins Unermessliche zu dehnen …

Laura schauderte und starrte aus dem Fenster, gegen das schon seit dem frühen Morgen der Regen trommelte. Und bald würde es zu dunkeln anfangen, auch das ein Vorbote des kommenden Herbstes.

Sehnsüchtig dachte sie an München. Die Cafés, die Ausstellungen und Theaterhäuser, wo eine ganz bestimmte Atmosphäre herrschte und man interessante Menschen traf, selbst die studentischen Veranstaltungen erschienen ihr inzwischen verlockend. Alles war besser, als hier in Kirchstetten zu versauern.

Sie fasste den Entschluss, ihr Studium wieder aufzunehmen, denn das verschaffte ihr den Vorwand, den Winter in München zu verbringen. Das würde Stefan einsehen, und außerdem könnte er sie schließlich am Wochenende besuchen, wo sie in ihrer kleinen Wohnung ungestört sein würden.

Zufrieden mit sich, ging sie zu Bett, es würde ihr schon gelingen, Stefan von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass sie ihr Studium fortsetzen müsste. Mit einem Lächeln auf den Lippen dachte sie an ihn, ehe sie einschlief.

Doch Stefan zeigte sich keineswegs angetan von ihrem Vorhaben, instinktiv schien er zu erkennen, dass es ihr nicht allein um ihr Studium ging.

»Willst du, dass ich alles hinwerfe? Wundern tät es mich ja net, die meisten Männer wünschen sich ja dumme Frauen«, fauchte sie ihn an.

Ihre Augen glommen, und er schrak vor ihr zurück.

»Ich möchte schon, dass du deinen Abschluss machst, Laura. Du verkennst mich, ich wäre sogar stolz auf eine tüchtige, gebildete Frau.«

»Und wir können uns doch regelmäßig sehen. Das wär sogar viel besser als jetzt, weil wir endlich unbeobachtet von den neugierigen Dörflern etwas zusammen unternehmen können. Wär das net schön?« Sie legte die Arme um Stefan und schmiegte sich an ihn.

Sonst war er immer sofort erlegen, wenn er ihre warme, lebendige Nähe spürte, doch heute wich er unmerklich zurück. »Laura, du weißt doch, dass ich kein Auto habe«, sagte er mühsam beherrscht, »und im Winter ist es fast unmöglich …«

Laura lachte auf. »Was für ein armes Tschapperl hab ich mir da ausgesucht. Noch net mal einen Wagen hast, du Armer!«

Was als liebevoller Spott gemeint war, versetzte Stefan unvermittelt in heftigen Zorn.

»Du weißt ganz genau, wie es um meine Finanzen steht, da brauchst du net noch drauf herumzuhacken. Außerdem ist das gar net die entscheidende Frage, Laura. Würdest du dich überhaupt damit zufriedengeben, hier auf dem Hof als meine Frau zu leben? Denn für mich gibt es nichts anderes.«

Lauras Gesicht hatte sich verfärbt. »Das ist doch net dein Ernst! Du willst hier in dem schäbigen alten Gemäuer, das nichts mehr wert ist, verrotten?«

Heißer Zorn brandete in Stefan empor, und er sah sie an, als sähe er sie zum ersten Mal richtig.

»Das ist kein schäbiges alte Gemäuer, sondern der Hof meiner Vorfahren, seit Generationen in unserem Besitz. Und ich werde dafür sorgen, dass es wieder wie früher …«

»Der Hof ist dir also wichtiger als ich?«, fiel sie ihm ins Wort, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Schmarren. Er ist mein Zuhause, und er soll auch das Zuhause von dir und unseren Kindern sein. Aber du scheinst dich ja in München wohler zu fühlen als in deinem Heimatdorf, was ich net verstehen kann.«

»Da hast du recht, du verstehst mich net. Du willst mich hier einsperren, obwohl uns doch die ganze Welt offen steht. Verkauf den schimmligen Hof, du hast doch auch noch Grund- und Waldbesitz und komm mit mir nach München. Dort können wir ein wunderbares Leben führen, anders als hier«, rief sie aus und wollte ihn umfassen.

Doch Stefan wich ihr mit einer brüsken Bewegung aus. »Du weißt, dass ich mit Leib und Seele Bauer bin, und ich schäme mich net, dass es so ist. In der Stadt würde ich zugrunde gehen. Daran hab ich nie einen Zweifel gelassen. Das musst doch einsehen, Laura.«

»Es geht also nur um dich? Ob ich hier glücklich bin, das zählt nicht? Du bist ein egoistisches Mannsbild …«

Sie begann zu weinen, was Stefan kaum ertragen konnte.

»Nicht weinen, Laura, ich bitte dich. Wir sind jetzt zu erregt, wir sollten ein andermal über alles reden«, zwang er sich zur Selbstbeherrschung.

Laura schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre dunklen Locken flogen.

»Nein, es gibt nichts mehr zwischen uns zu sagen. Meinetwegen kannst hier in deinem elenden Bau verrotten«, stieß sie hervor und rannte zur Hintertür.

»Laura!«

Sie verschwand in der Dunkelheit, und er setzte ihr nach, voller Furcht, dass ihr etwas geschehen könnte. Doch sie hatte ihr Auto ein Stück weiter unten zwischen den den Büschen abgestellt, und er hörte, wie sie den Motor anließ, ungestüm wendete und davonfuhr.

»Laura«, murmelte er.

Nicht begreifend, stand er mit hängenden Armen da, und kam erst wieder zur Besinnung, als er die nächtliche Kälte verspürte. Langsam kehrte er zum Hof zurück, setzte sich auf die Ofenbank und verharrte dort die ganze Nacht.

Immer wieder sprach er sich Trost zu, dass es eben ihr erster heftiger Streit gewesen sei und dass sie ganz gewiss wieder zu ihm zurückkommen werde. Dann würden sie sich versöhnen, voller Leidenschaft, und alles war wieder wie zuvor. Denn sie liebten sich doch, wollten einander nie verlassen, so oft hatten sie sich das geschworen.

***

Doch Laura kam nicht mehr auf den Weilbacher-Hof zurück.

Sie lag mit hohem Fieber im Bett, und ihr besorgter Vater ließ den Doktor kommen, ein recht grimmiger älterer Mann, der Laura schon von Kind an betreut hatte. Er untersuchte sie sorgfältig, konnte aber keine Krankheitsursache finden. Doch die geschwollenen Augen, die von tränenreichen Nächten kündeten, sagten ihm genug. Seiner Meinung nach neigten nun einmal die Weiberleut zu übertriebenem Liebeskummer.

»Es ist wohl net alles so gegangen, wie du es gerne hättest, oder, Laura?«, fragte Dr. Hilsinger forschend.

Laura gab einen unbestimmten Laut von sich, doch das sagte ihm genug.

»Ich geb dir jetzt etwas zur Beruhigung, und morgen schau ich wieder nach dir. Und glaub mir, auch das geht vorbei.«

Laura nickte und begann wieder, lautlos zu weinen.

»Was hat das Madel? War doch immer gesund von Kind an.«

Sixtus Lenhofer befand sich in sichtlicher Erregung, denn die Furcht, nach seiner geliebten Frau auch Laura zu verlieren, umkrallte sein Herz.

Dr. Hilsinger schlug ihn auf die Schulter, dass Sixtus zusammenzuckte. »Sei unbesorgt. junge Madeln haben es halt manchmal ein bisserl mit den Nerven. Das gibt sich, wenn sie erst einmal unter der Haube sind und ein paar Kinder haben. Ich hab ihr etwas gegeben. Sie kommt bald wieder auf die Füße«, verkündete Dr. Hilsinger, ehe er entschwand.

Leise betrat Sixtus das abgedunkelte Zimmer seiner Tochter, in das er sich sonst nur höchst selten begab. »Laura?«

Das Mädchen wandte ihm das Gesicht zu, und er erschrak darüber, welch kummervoller Ausdruck in ihren Augen stand. Ein plötzlicher Verdacht befiel ihn, der Zorn in ihm hochbranden ließ.

Das Mannsbild, das dahintersteckte, konnte etwas erleben …

»Hat dich jemand gekränkt, Madel? Sag es mir, ich werde dafür sorgen, dass …«

Laura erschrak, denn sie kannte die nachtragende Natur ihres Vaters.

»Nein, Vaterl. Ich bin halt nur so unzufrieden mit allem. Weil ich das Semester net geschafft hab und der Abschluss in weite Ferne gerückt ist. Das macht mich richtig krank«, redete sie sich schnell heraus.

»Ach …« Er ließ nicht erkennen, ob er ihr glaubte. »Und was willst jetzt tun? Mir ist es gleich, ob ich eine studierte Tochter hab oder net. Hauptsach, du bist zufrieden.«

»Aber mir ist es net gleich. Ich hab das angefangen und möcht es auch zu Ende bringen. Wenn es mir wieder besser geht, fahr ich zurück nach München, ich komm grad rechtzeitig zum Semesterbeginn.«

Dem hatte Sixtus Lenhofer nichts entgegenzusetzen, ihre Zielstrebigkeit nötigte ihm sogar Achtung ab. Sie war doch eine echte Lenhoferin! »Das wird wohl das Beste sein, Laura. Aber zum Weihnachtsfest kommst nach Hause, das gehört sich so. Versprochen?«

Laura nickte matt. »Versprochen.«

Sixtus schloss behutsam die Tür hinter sich. Zu seiner Erleichterung schienen die Dinge ohne sein Dazutun wieder ins Lot zu kommen. Laura würde nach München gehen und damit einen Schlusspunkt setzen. Was auch immer geschehen war, er war davon überzeugt, dass seine Tochter stark genug war, es zu überwinden.

Da sich im Dorf selten etwas verheimlichen ließ, war natürlich nicht unbemerkt geblieben, dass der Doktor beim Bürgermeister ein und aus ging. Und so verbreitete sich in Windeseile das Gerücht, dass die schöne Laura todkrank daniederläge und man nicht wisse, ob sie jemals wieder aufkäme.

Auch Stefan, der notgedrungen im Krämerladen Essensvorräte kaufen musste, kam das Gerücht zu Ohren, und er geriet außer sich vor Sorge. Er gab sich die Schuld an ihrem Zustand, rücksichtslos hatte er ihr seinen Willen aufzwingen wollen, ohne jedes Verständnis für ihren Wunsch nach einem anderen Leben …

Verzweifelt grübelte er darüber nach, wie er wieder mit ihr in Verbindung treten könnte. Alles schien ihm zu riskant, denn Lenhofer war ein misstrauischer Mann. Er wollte die Situation für Laura nicht noch verschärfen, indem der Bürgermeister am Ende doch noch von ihrer Beziehung erfuhr.

Es zog ihn hin zum Bürgermeisterhaus, doch er gab seinem Sehnen nicht nach. Schließlich kam ihm Rebekka in den Sinn, Lauras Cousine, die bei ihnen lebte. Er schätzte sie als vertrauenswürdig und verschwiegen ein. Vielleicht konnte er von ihr erfahren, wie es um Laura stand. Rebekka würde sie nicht verraten.

Sie fuhr jeden Tag mit dem Bus in die Kreisstadt, wo sie ihre Ausbildung als Physiotherapeutin absolvierte. Das wusste Stefan, und so passte er sie eines Abends ab, als sie an der Haltestelle ausstieg und durch die lang gestreckte Dorfstraße eilte.

»Rebekka!«

Sie fuhr zusammen, als er unvermittelt aus einem Innenhof trat. Doch als sie ihn erkannte, löste sich ihre Anspannung.