Heimatkinder 29 – Heimatroman - Jutta von Kampen - E-Book

Heimatkinder 29 – Heimatroman E-Book

Jutta von Kampen

0,0

Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. "Dableibm, Mama!", jammerte das kleine Mädchen, und über seine runden Backen liefen heiße Tränen. Ihre kurzen schwarzen Locken waren von all der Aufregung und dem Kummer verwirrt und verschwitzt, ihr Kopfnäschen rot und sogar die brombeerdunklen Augen waren trüb und verweint! "Net weggehn!", schluchzte es und klammerte sich an die hübsche junge Frau, die genervt zu ihrem feschen und grinsenden Begleiter hinsah. Ihr Bruder stand daneben, sein Gesicht unter den weißblonden Stoppelhaaren war blass, und die großen braunen Augen blickten verschreckt. Aber er weinte nicht! Buben weinen nicht, schon gar nicht, wenn sie bald in die Schule kommen! "Jetzt stell dich net so an, Michen!", schimpfte die Mutter der beiden ungeduldig. "Ihr fahrt's doch immer gern zur Oma?!"

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 110

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heimatkinder –29–

Die Omi hat kein Geld

… aber Liebe im Überfluss

Roman von Jutta von Kampen

»Dableibm, Mama!«, jammerte das kleine Mädchen, und über seine runden Backen liefen heiße Tränen. Ihre kurzen schwarzen Locken waren von all der Aufregung und dem Kummer verwirrt und verschwitzt, ihr Kopfnäschen rot und sogar die brombeerdunklen Augen waren trüb und verweint! »Net weggehn!«, schluchzte es und klammerte sich an die hübsche junge Frau, die genervt zu ihrem feschen und grinsenden Begleiter hinsah.

Ihr Bruder stand daneben, sein Gesicht unter den weißblonden Stoppelhaaren war blass, und die großen braunen Augen blickten verschreckt. Aber er weinte nicht! Buben weinen nicht, schon gar nicht, wenn sie bald in die Schule kommen!

»Jetzt stell dich net so an, Michen!«, schimpfte die Mutter der beiden ungeduldig. »Ihr fahrt’s doch immer gern zur Oma?!«

»Vielleicht sollten wir sie wenigstens noch in den Bus setzen«, schlug der junge Mann mit stark italienischem Akzent vor.

»Bitte, Mama!«, meldete sich jetzt auch der Bub.

»Jetzt fangt der a no an!«, fuhr sie auf und schob das ungefähr drei Jahre alte Mädchen von sich. »Des dauert no a gute Stund – bis dahin sind wir längst in Italien! Und der Fahrer kennt die Kinder. Der kümmert si schon um sie!«

»Wie du meinst!« Der junge Mann zuckte die Schultern. »Hast du ihm Bescheid gesagt, Magda?«

»Warum machst du des net? Alles hängt an mir!«, explodierte sie jetzt. »Da! Er sitzt drin im Dienstzimmer! Ach was, ich geh rein! Hier wird mir ja doch nur vorgejammert!« Sie verschwand im Bahnhofsgebäude.

»Luigi …« Der Bub fasste die Hand des Italieners an.

Der wendete sich ihm aufmunternd zu.

»Keine Sorge, Girgl. Wir fahren erst, wenn euer Gepäck im Bus verstaut ist und ihr auch drinnen sitzt. Die Oma freut sich bestimmt, wenn ihr kommt!«

Der Girgl nickte. Das glaubte er schon.

»Aber – hat d’ Mami sie angeruf’n? Woaß, dass’ uns abhol’n muass?«

Nein! Das hatte sie nicht. Sie hatte Luigi erklärt, dass sie keine Lust auf eine Absage oder mindestens einen Haufen Vorwürfe haben würde.

»Von unterwegs ruf ma’s an, wann die Kinder scho auf’m Weg sand. Da kann’s dann nimmer ›Na!‹ sag’n!«

Aber das verriet er dem ohnehin verängstigen Buben besser nicht.

»Sobald ihr im Bus sitzt und wir unterwegs sind, erinnern wir sie noch mal!«

Girgl nickte stumm. Aha: Die Mama hatte es vergessen! Oder es auf später verschoben, damit die Oma nicht schimpfen konnte, weil sie mit dem Italiener wegfuhr. Der war zwar immer nett und schenkte ihnen ein Eis –, aber mit der Mama war er auch lieber allein.

Jetzt kam Magda mit dem lachenden Busfahrer heraus.

»So, könnt’s de Kinder net brauchen bei eierm Honeymoon?!« Ohne eine Antwort abzuwarten, packte er den riesigen Koffer und verstaute ihn, den Kinderwagen und die Tüten und Schachteln im Gepäckraum. Dann sperrte er den Bus auf. »Setzt euch glei hinter mi, dann seh i, wann’s was anstellt!« Er lachte wieder freundlich und blinzelte ihnen zu. »Die Oma freit si bestimmt scho! Aber es dauert no a bisserl: I kann net einfach früher wegfahr’n. Es woll’n auch no andre mit!« Und er verzog sich wieder in den Dienstraum.

Girgl nickte stumm, und Michen begann zu weinen.

»Da bleibm, Mama!«

»Des halt i net no a Stund aus!«, erklärte Magda gereizt. »Los! Steigt’s ein! Bussi! Brav sein! Wir hol’n euch, sobald mir a Wohnung g’funden ham!« Damit ergriff sie die Hand ihres Begleiters und zog ihn zu dem schicken Sportwagen, mit dem sie nun in ihre vorgezogenen Flitterwochen fahren wollten.

Luigi legte einen fabelhaften Kavaliersstart hin und drückte grüßend auf die Hupe, Magda drehte sich um und winkte lachend zurück, bis sie um die Ecke bogen.

Michen weinte immer noch, und auch Girgl winkte nicht, sondern sah ihr mit blassem Gesicht hinterher. Hoffentlich vergaß sie nicht, die Oma anzurufen!

*

»Endstation!«, rief der Busfahrer und wendete sich dann freundlich den beiden Kindern zu, die brav und still hinter ihm gesessen hatten. »So, jetzt müsst’s auch aussteig’n! Den Koffer stell i eich an d’ Haltestelln!«

»Aber – die Oma!«, flüsterte Girgl, der weit und breit keine Oma entdecken konnte. Die winkte ihnen doch immer entgegen und lachte und streckte die Arme nach ihnen aus!

Der Fahrer sah sich um.

»Die kimmt glei!«, erwiderte er. Er hatte sich lang genug um di zwoa gekümmert. Net amal zum Trinken hatte die Magda eana woas mitgebm, wo’s heit do so hoaß war! Zum Glück hatte er a Kracherl dabei g’habt.

Girgl stieg allein die hohe Treppe aus dem Bus hinunter, das Michen hob der Fahrer mit Schwung heraus, sie bedankten sich und stellten sich dann neben ihren Koffer und die anderen Gepäckstücke.

»D’ Oma kimmt glei!«, sagte er noch mal, wohl um auch sich zu beruhigen und startete in den Feierabend.

Die Kinder setzten sich auf das Bankerl im Wartehäuschen und warteten.

Aber die Oma kam nicht!

Michen begann wieder zu weinen, und weil er wirklich nicht wusste, was er tun sollte, weinte der Girgl dieses Mal mit.

Die Uhr schlug zwölf, und die Erstklässler kamen aus der Schule. Sie marschierten verwundert, mitleidig und verlegen an den zwei plärrenden Kindern vorbei. Manche kannten sie vom Sehen, aber warum sie da saßen, wussten sie natürlich auch nicht.

Schließlich überwog beim Hansi Breitner, dem Häuslerbuben, die Neugierde.

»Warum schreit’s denn a so?«

Des is a großer Bub! Der geht scho in d’ Schui!, überlegte der Girgl. Vielleicht …

Jetzt kam auch die Angela Fuchs, vom Förster.

»Ihr g’hört’s do der Frau Neuner?«, stellte sie fest.

»Aber d’ Oma holt uns net ab! Di woaß net, dass mir kema!« Der Girgl wischte sich mit der Hand übers Gesicht, dass er ganz grauslich verschmiert aussah. Das Michen sowieso.

Die Angela sah ihn gleichzeitig mitleidig und angewidert an. Außerdem roch das kleine Mädchen so streng …

»Ich sag’s dem Freilein!«, erklärte sie und machte Anstalten, wieder zum Schulhaus zurückzugehen.

Aber es war nicht notwendig.

Teresa Behr, die Grundschullehrerin der ersten Klasse, sechsundzwanzig Jahre jung, blond, mit bernsteinfarbenen Augen, von Kopf bis Fuß bildhübsch und dazu lustig und gescheit, kam auf ihrem Rad daher.

»Was haben wir denn hier?«, rief sie überrascht und hielt an.

Nachdem Hansi und Angela sich um die zwei Unglücksraben gekümmert hatten, waren auch die übrigen Kinder interessiert stehen geblieben. Teresa drängte sich zu dem weinenden und ziemlich schlecht riechenden Michen und dem Girgl, der immer wieder versuchte, tapfer zu sein, durch.

»Ihr gehört doch der Frau Neuner«, stellte sie dann fest.

»Ja! Aber d’ Oma woaß net, dass mir kema, und jetzt hat’s uns net abg’holt!«, schniefte Girgl.

»Oje«, meinte Teresa voller Mitgefühl. Sie war jung genug im Ort, um zu wissen, dass die brave Magdalena Neuner eine ausgesprochen missratene Tochter und diese zwei uneheliche Enkelkinder hatte. Liebe Kinder – aber sie gingen ihr immer im Weg um. »Wisst ihr, wo die Frau Neuner heute arbeitet?«, wendete sie sich an die neugierig herumstehenden Erstklassler.

»I glaub, beim Gansiwirt!« Der Hansi wusste das, weil seine Mama dort putzte und erzählt hatte, dass sie die Neuner-Magdalena dort getroffen habe.

»Gut! Dann bring ich euch jetzt mal dorthin!«, sagte Teresa. Sie lud den schweren Koffer auf ihr Rad und verteilte das übrige Gepäck an die Kinder, die sie neugierig begleiteten. Der Hansi kam ohnehin mit, weil er, wenn die Mama dort putzte, beim Ganswirt was zum Essen bekam.

Dann setzte sie die pausenlos weinende Michen in den Sportwagen – sie schämte sich über ihre volle Hose, aber was sollte sie tun?! – Girgl schob, und so zogen sie alle zum Gasthof ›Zur goldenen Gans‹.

*

Gern kam Magdalena Neuner nicht in den Gasthof ›Zur Goldenen Gans‹, aber leider konnte sie es sich nicht aussuchen, welche Arbeit sie annahm. Sie war gelernte Weißnäherin, und das war heute ein sehr seltener und – selten benötigter Beruf. Sie hatte es bei den Armen Schulschwestern gelernt, ebenso wie das Sticken und Klöppeln, Stricken und Häkeln. Dass die Magdalena nicht gern im Gasthof ›Zur Goldenen Gans‹ arbeitete – dieses Mal war es ohnehin nur zum Flicken –, hatte einen besonderen Grund. Obwohl sie eigentlich auch nicht gern in die ›Alte Post‹, am anderen Ende des Dorfes, ging oder in einen der großen Bauernhöfe.

Am liebsten ging sie in den Pfarrhof, obgleich man dort womöglich noch sparsamer war, aber doch wenigstens freundlich, und ein gutes Essen bekam sie auch. Zudem machte ihr die Arbeit an den schönen Altardecken und kostbaren Messgewändern viel Freude.

Sie achtete nicht auf die aufgeregten Stimmen, die aus dem Treppenhaus bis zu ihr in die Nähstube drangen. Sie war froh, wenn sie in die leidigen Streitereien und Eifersüchteleien der Dorfbewohner nicht mit hineingezogen wurde.

Doch dann hörte sie das Weinen von Kindern –, und da fiel es ihr schon schwerer, die Ohren zu verschließen.

Aber ehe sie noch zu einem Entschluss kam, ob sie nachschauen sollte oder besser nicht, flog die Kammertür auf, und Josefa Angerer, die Wirtin, schoss herein und keifte: »Also, des geht fei net, dass die Bankerten von deiner Schlampen von Tochter hier zu mir ins Haus kema! Was denk’n sich denn die Gäst?! Mir sand a anständigs Haus, und dass du hier was verdeane derfst, hast nur unsrer christlichen Einstellung zu verdank’n!«

Magdalena verstand nicht gleich.

»Wieso? Ich versteh net! Die Kinder sind doch bei der Magda!«

»Ha!«, machte die Wirtin und lachte schrill. »Schee war’s!«

Und da drängte sich auch schon laut weinend der fünfjährige Girgl, seine zweijährige Schwester Michen hinter sich herziehend, an der Wirtin vorbei. Der Girgl ließ die Hand von Michen los und stürzte auf die Magdalena zu: »Oma! Oma! Gell, wir derf’n bei dir bleib’m?«

Das Michen fiel hin, als der Bruder sie losließ, und schrie nun, wenn möglich, noch mehr.

»Jessasmaria!«, stieß Magdalena hervor, sprang auf und nahm das Michen auf den Arm. »Net weinen! Ihr seid’s ja jetzt bei mir!«, versuchte sie, das schluchzende Mädchen zu trösten.

»Ja, und wia soll des jetzt weita­gehn?«, fragte die Wirtin empört und stemmte ihre Arme in die ausladenden Hüften.

Das hätte die Magdalena auch gern gewusst. Aber dass sie hier mit den beiden Kindern nicht bleiben konnte, das war ihr natürlich klar.

»Ich bring die zwei jetzt mal heim.«

»Und die Arbeit?! Bevor des net alles in Ordnung ist, kann ich dir nix zahl’n!«, machte ihr die Wirtin sofort klar.

»Natürlich net«, sagte die Magdalena mit einem Seufzer. »Ich hol die restliche Flickarbeit heut Abend ab und mach sie daheim fertig.«

»Aber dass mir koa Dreck hinkommt – mit dene Schratzen!«

Magdalena schluckte ihre Antwort hinunter und sagte nur: »Schon recht.« Dann packte sie ihre Siebensachen zusammen, nahm das Michen wieder auf den Arm und den Girgl an der Hand und stieg mit ihnen vorsichtig die steile Treppe aus dem Dachgeschoss hinunter, wo sich die Kammern der Angestellten und auch die Nähstube befanden.

»Jetzt simma froh, gell, Oma«, sagte der Girgl und seufzte erleichtert. Auch das Michen weinte nicht mehr, sondern lachte ein bisschen und gab der Oma ein feuchtes Busserl auf die Backe.

»Freilich bin ich froh, dass ihr mich besucht!«, sagte Magdalena und erkundigte sich dann: »Wo ist denn die Mama?«

»Mama ist weg!«, sagte Michen und gab der Oma noch ein Busserl.

»Girgl!«, fragte Magdalena mit wachsender Besorgnis. »Was hat die Mama gesagt?«

»Die Mama und der Onkel Luigi sand nach Italien g’fahr’n. Und später fahr’n mir auch!«, berichtete Girgl. »Du woaßt scho, der mit dem guaten Eis! Gelato!«, sagte er dann lachend bayrisch-italienisch und sichtlich sehr stolz.

»Moment …« Einen Augenblick glaubte Magdalena, ihr würde schwindlig werden. Sie blieb stehen, ließ den Girgl los und hielt sich mit einer Hand am Treppengeländer fest. Dann wurde ihr klar, dass sie es sich jetzt nicht leisten konnte, verzweifelt oder schwindlig zu sein. »Sollt ihr mir was ausrichten?«, fragte sie, allerdings mit nur sehr schwacher Hoffnung.

»Die Mama hat dir an Brief ­g’schrieb’n. Der is im Koffer!«

»Ah ja!« Ein Glück, dass der Girgl so vernünftig war. Mit fünf schon vernünftiger als seine Mutter mit dreiundzwanzig! Ein Kunststück war das freilich nicht! Sie nahm ihn wieder an der Hand und stieg mit den beiden weiter die Treppe hinunter.

Hinter ihr kam die Wirtin schimpfend und jammernd über die Unzuverlässigkeit von Leuten wie der Magdalena und ihrer Schlampentochter.

»Seid’s no da?!«, schimpfte sie, als Magdalena den Riesenkoffer betrachtete, der neben dem Sportwagen aus dritter Hand in der Diele auf sie wartete. Beim Girgl war er aus zweiter Hand, jetzt beim Michen aus dritter! Und sie wagte gar nicht an den lustigen und temperamentvollen Italiener zu denken. Und an ihre Tochter schon zweimal nicht!

»Des geht scho, Oma«, sagte der Girgl aufmunternd »Der Luigi hat den Koffer auf den Wagen gelegt und das Michen draufgesetzt!«

»Hast recht!«, erwiderte Magdalena und lachte ihn an. »Ein Glück, dass ich dich hab’!«

»Seids jetzt bald draußen?!«, fauchte die Wirtin.

Die Tür zur Gaststube hatte sich geöffnet, und das runde Gesicht ihrer Tochter schaute grinsend und schadenfroh heraus. Und auch die Küchentür öffnete sich, und der Wirt erschien in der Diele.

»Di brauch ma hier net!«, fuhr ihn seine Gattin an, und er verschwand ebenso schnell wieder, wie er aufgetaucht war. Dafür schaute jetzt die Köchin heraus und freute sich, dass es jemand anderer als sie war, der jetzt das Fett abbekam.