Herbstfeuer - Amy Lane - E-Book

Herbstfeuer E-Book

Amy Lane

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Beschreibung

Sheriff Aaron George hat vor zehn Jahren seine Frau verloren. In der Hoffnung, dass es für seine Kinder besser wäre, in einer Kleinstadt aufzuwachsen, zog er nach Colton. Mittlerweile kennt er jeden in der Stadt, einschließlich Mr. Larkin, den quirligen, amüsanten Naturwissenschaftslehrer. Seit 'Larx' fast wider Willen zum Rektor der örtlichen Highschool befördert wurde, fehlt ihm die Zeit, die Leichtathletik-Mannschaft zu coachen, und er beginnt stattdessen mit dem Joggen. Aaron dachte bislang, dass sich sein restliches Leben nur noch um die Kinder drehen würde, aber ein Rektor, der mit nacktem Oberkörper an einer gefährlichen Straße entlang joggt, belehrt ihn eines Besseren. Auch Larx lebt nur für seine Kinder und für die Schüler und Schülerinnen der Colton High. Aarons Interesse bemerkt er zuerst gar nicht. Dann fangen sie an, gemeinsam zu joggen, und er lernt den Polizeibeamten für seine Verlässlichkeit, seinen Humor und sein volles Verständnis für seine Prioritäten zu schätzen: Kinder an erster, Job an zweiter und die eigenen Interessen leider an allerletzter Stelle. Schon nach einem Kuss fühlen sich die beiden Endvierziger wie verliebte Teenager, trotz der großen Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet. Dann wird die aufkeimende Romanze von einem Gewaltverbrechen überschattet und die beiden Männer müssen verhindern, dass die kleine Stadt im Chaos versinkt. Als sich die Ereignisse zuspitzen, erkennen sie, dass es ihre neu zusammenwachsende Familie ist, die verhindert, dass ihre Welt aus den Fugen gerät.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Zusammenfassung

Widmung

Widmung

Jogging in der Sonne

Chromsäure und Alkohol

Spiele

Zunder

Funken

Flammen

Waldbrand

Hitze

Flackern

Außer Kontrolle

Am heimischen Herd

((Durchtränkte))Asche

Waldbrand

Aussaat

Neues Wachstum

Epilog: Sprossen

Biographie

Von Amy Lane

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Copyright

Herbstfeuer

 

Von Amy Lane

 

Sheriff Aaron George hat vor zehn Jahren seine Frau verloren. In der Hoffnung, dass es für seine Kinder besser wäre, in einer Kleinstadt aufzuwachsen, zog er nach Colton. Mittlerweile kennt er jeden in der Stadt, einschließlich Mr. Larkin, den quirligen, amüsanten Naturwissenschaftslehrer. Seit ‚Larx’ fast wider Willen zum Rektor der örtlichen Highschool befördert wurde, fehlt ihm die Zeit, die Leichtathletik-Mannschaft zu coachen, und er beginnt stattdessen mit dem Joggen. Aaron dachte bislang, dass sich sein restliches Leben nur noch um die Kinder drehen würde, aber ein Rektor, der mit nacktem Oberkörper an einer gefährlichen Straße entlang joggt, belehrt ihn eines Besseren.

Auch Larx lebt nur für seine Kinder und für die Schüler und Schülerinnen der Colton High. Aarons Interesse bemerkt er zuerst gar nicht. Dann fangen sie an, gemeinsam zu joggen, und er lernt den Polizeibeamten für seine Verlässlichkeit, seinen Humor und sein volles Verständnis für seine Prioritäten zu schätzen: Kinder an erster, Job an zweiter und die eigenen Interessen leider an allerletzter Stelle.

Schon nach einem Kuss fühlen sich die beiden Endvierziger wie verliebte Teenager, trotz der großen Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet. Dann wird die aufkeimende Romanze von einem Gewaltverbrechen überschattet und die beiden Männer müssen verhindern, dass die kleine Stadt im Chaos versinkt. Als sich die Ereignisse zuspitzen, erkennen sie, dass es ihre neu zusammenwachsende Familie ist, die verhindert, dass ihre Welt aus den Fugen gerät.

Für Mate und Mary und alle, die neben ihren Partnern und Partnerinnen vor dem Spiegel stehen und denken: „Ich kann doch unmöglich schon so alt sein. Haben wir uns nicht erst gestern kennengelernt? Und: Du bist noch genauso schön wie damals.“

Für die Freunde aus meinem früheren Leben, die kaum ermessen können, wie sehr ich sie vermisse. Anthony, Lori, Barb, Rebecca, Johnny, Len, Mara und Dennis – wenn ich von engagierten Lehrern spreche, meine ich damit Euch.

Jogging in der Sonne

 

 

AARON GEORGE rückte seinen Hemdkragen zurecht, betrachtete seine mit Grau durchzogenen blonden Haare im Rückspiegel und kam sich prompt ein bisschen lächerlich vor. Schließlich war er schon 48 Jahre alt. Aber da lief Larx schon wieder am Cambrian Way entlang und hatte wegen der Nachmittagshitze sein T-Shirt ausgezogen. So konnte das nicht weitergehen.

Seine Schultern glänzten glatt und golden in der späten Septembersonne und sein Körper – hochgewachsen und schlank, obwohl er in etwa in Aarons Alter war – bewegte sich mit der Grazie eines routinierten Läufers.

Seit seinem 30. Geburtstag kämpfte Aaron mit den gut 20 kg, die sich um seine Körpermitte angesammelt hatten. Er war in dem Kampf nur teilweise erfolgreich, denn gesunde Ernährung und Bewegung waren nicht mehr ganz so selbstverständlich wie früher, als er noch in der Stadt Streife lief. Heutzutage fuhr er in einem SUV durch die Berge.

Aarons Frau war vor zehn Jahren gestorben und er hatte alleine drei Kinder großgezogen, von denen zwei inzwischen ausgezogen waren. Damals erschien es eine gute Idee, die Stelle als Deputy-Sheriff im kleinen Colton anzunehmen. Städte waren etwas für junge Beamte – selbst Sacramento, das in den Augen der meisten Leute auch nur eine Kleinstadt war. Colton dagegen hatte nur knapp 10.000 Einwohner. Es schien entspannter und besser geeignet, um Kinder großzuziehen.

Larx, der nach seiner Scheidung mit seinen zwei Töchtern zugezogen war, sah das genauso, wie Aaron gehört hatte. Mr. Larkin – von Kollegen wie Schülern Larx genannt – lebte seit sieben Jahren in Colton. Er hatte Aarons jüngere Kinder in Naturwissenschaften unterrichtet und sie hatten ihn immer als viel cooler als die anderen Leute in diesem Kaff bezeichnet. Dann war der alte Rektor in Pension gegangen und Larx sich zunächst mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, seinen Platz einzunehmen.

Aaron war natürlich nicht persönlich dabei gewesen, aber sein Jüngster, Kirby, hatte in der 11. Klasse oft im Schulbüro ausgeholfen. Er hatte erbitterte Auseinandersetzungen mit angehört, in Nobilis Büro, im Lehrerzimmer und einmal sogar mitten auf dem Schulhof, wie er seinem Vater genüsslich berichtete. Schließlich hatte Larx unter drei Bedingungen eingewilligt, Rektor zu werden:

Erstens wollte er die Advanced-Placement-Kurse in Chemie weiter unterrichten, die in der nullten Stunde stattfanden. Er hatte sich fünf Jahre dafür eingesetzt, das AP-Programm an den Start zu bekommen, und er würde den Teufel tun und diesen Unterricht dem Grünschnabel überlassen, der als einziger außer ihm die nötige Qualifikation hatte. Wie Kirby seinem Vater berichtete, war diese Bedingung auf große Begeisterung gestoßen, denn Mr. Albrecht war scheinbar ein machtbesessener, aufgeblasener Wicht.

Zweitens bestand Larx darauf, dass sein bester Freund, Yoshi Nakamoto, zum Konrektor berufen wurde. Yoshi war Anfang Dreißig und seit sechs Jahren Englischlehrer an der John F. Colton Highschool. Er schien ein guter Pädagoge und ein netter Kerl zu sein, also genau das, was ein frischgebackener Verwaltungsbeamter an seiner Seite brauchte.

Drittens wollte Larx weiterhin die Leichtathletik-Mannschaft coachen.

Diesen Wunsch hatte man ihm nicht gewährt, weil – wieder Kirby zufolge – Mr. Nakamoto darauf hingewiesen hatte, dass es Zeitumkehrer nur im Harry-Potter-Universum gab und Larx es zeitlich schlicht nicht schaffen würde.

Ab diesem Zeitpunkt war Aarons schön geordnete Welt durch Larx massiv durcheinandergeraten: jeden Tag um 16.45 Uhr tauchte Larx in dieser Straße auf, immer dann, wenn Aaron seine Runde beendete. Larx joggte von der Schule die Cambrian Road hinunter, bog rechts in die Olson Street ab – eigentlich eine Art Feldweg – und lief dann hinüber zum Highway, auf dem es extrem hektisch zuging und der zudem keinen Seitenstreifen hatte. Diesen lief er etwa eine Meile entlang und bog dann rechts auf die Hastings Street ab, die genauso unsicher war und ebenfalls keinen Seitenstreifen hatte, um schließlich wieder rechts abzubiegen und auf der Cambrian Street zurück zur Highschool zu laufen.

Als Aaron das zum ersten Mal gesehen hatte, war ihm buchstäblich das Herz stehengeblieben. Vor seinem geistigen Auge hatte er schon die Schlagzeilen gesehen: Kleinstadt-Schulrektor durch eigenen Leichtsinn umgekommen. Gesamte Schulgemeinschaft im Trauerumzug auf der Straße. Und dann, als sein Herzschlag sich gerade wieder normalisiert hatte, hatte er Larx zum ersten Mal mit freiem Oberkörper gesehen – und zum ersten Mal wirklich wahrgenommen.

Aaron war jetzt 48. Ihm war schon in der Highschool klargeworden, dass er bisexuell war. Da es aber sehr viel unproblematischer gewesen war, mit Mädchen auszugehen, hatte er diesen Weg eingeschlagen. Seine Frau hatte er von ganzem Herzen geliebt und er hatte kein einziges Mal zurückgeblickt, seit sie sich begegnet waren. Die letzten zehn Jahre hatte er damit verbracht, ihre gemeinsamen Kinder alleine großzuziehen.

Nach dem Tod seiner Frau hatte seine Libido den Laden dichtgemacht und nur gelegentlich kurz geöffnet, wenn die Kinder in den Ferien bei ihren Großeltern waren. Aber jetzt hatte ein Blick auf den schimmernden, gebräunten Rücken, die definierten Schultern und die schweißnassen schwarzen Haare gereicht, um seine Lust aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken und ein Stoßgebet an Cialis, die Göttin der sexuell aktiven Männer mittleren Alters, zu schicken.

An jenem Tag hatte er aufs Gaspedal getreten und war extrem durcheinander an Larx vorbeigefahren. Er wollte so schnell wie möglich verschwinden, damit Larx ihn nicht dabei ertappte, wie er mit offenem Mund einen Mann angaffte, der anscheinend wild entschlossen war, sich im staubig-roten Schatten der Kiefern in der Nähe des Tahoe National Forest über den Haufen fahren zu lassen.

Am nächsten Tag ließ ihn seine Libido wissen, was er für ein Idiot war, die Chance vertan zu haben, Larx beim Laufen zu beobachten. Das nächste Mal solle er gefälligst einen Gang runterschalten und die Aussicht genießen.

Das hatte Aaron dann auch getan. Er hatte abgebremst, einen weiten Bogen um Larx gemacht, ihn angelächelt und ihm im Vorbeifahren zugewunken. Sie kannten sich von Elternabenden und Veranstaltungen. Aaron unterhielt sich immer gerne mit ihm, wenn es sich ergab, denn er war intelligent, humorvoll und nicht auf den Mund gefallen. Insofern war es nicht überraschend, dass Larx freundlich zurückwinkte. Dennoch hatte Aaron Mühe gehabt, die nächsten paar Stunden nicht wie ein verknallter Teenager vor sich hin zu grinsen, während er Papierkram, Waffen- und Angelscheine bearbeitete.

Mit Teenagern kannte er sich ein bisschen aus – er hatte bereits zwei von der Sorte großgezogen. Sie waren völlig unzurechnungsfähig gewesen, und Aaron hatte nicht vor, es ihnen gleichzutun.

Larx hatte ein schmales Gesicht mit großer Nase und ausgeprägtem Kinn. Seine spitzbübisch blitzenden, braunen Augen waren von Lachfältchen umrahmt. Er sah eher nach Tunichtgut aus als nach Autoritätsfigur, als er Aaron lächelnd zuwinkte und ein paar tänzelnde Schritte auf der Stelle machte, um nicht aus dem Laufrhythmus zu kommen.

Er erinnerte Aaron an einen Lemur in Mannesgestalt, mit glänzenden, braunen Schultern und Lachfalten, so gut wie keinen Haaren auf der Brust und einem Hintern zum Nüsse knacken, der nur spärlich von Nylon-Laufshorts verhüllt wurde.

Aber nein. Aaron würde nicht zum Teenie werden.

Trotzdem hielt er sich streng an seinen eigenen Zeitplan, um sicherzugehen, dass er immer dann an Larx vorbeifuhr, wenn dieser besonders stark am Schwitzen war. Heute würde es besonders interessant werden, denn Aaron hatte sich vorgenommen, mit ihm zureden.

Was sollte schon passieren? Larx musste nie etwas von Aarons kleiner Schwärmerei zu erfahren. Und selbst wenn der Verdacht aufkommen sollte, dass Aaron ihn versuchte anzubaggern – was definitiv ganz und gar nie nicht der Fall war: Larx hatte sich persönlich für die Gründung der AG namens GSA-AG eingesetzt, in der sich Schüler und Schülerinnen aller sexuellen Orientierungen begegneten. Selbst wenn er also denken sollte, dass es eine Anmache war, ohne selbst an Männern interessiert zu sein: Es war unwahrscheinlich, dass er schreiend davonrennen und seinen – wie Aaron fand – sexy Oberkörper jungfräulich entsetzt mit dem T-Shirt verhüllen würde. So sah Aaron das jedenfalls.

Er rückte die Spiegelbrille zurecht, ließ das Fenster an der Beifahrerseite herunter und bremste den Wagen auf Schrittgeschwindigkeit ab, dankbar, dass die Straße lang und übersichtlich genug war, hinter ihm fahrenden Wagen einen ausreichenden Bremsweg zu ermöglichen.

„Schönen guten Tag, Herr Direktor“, sagte er betont höflich. Er gab sich große Mühe, freundlich rüberzukommen.

Larx drehte sich etwas zu ihm, um zu salutieren, ohne sein Tempo zu drosseln. „Wie geht’s denn so, Deputy? Alles im grünen Bereich?“

„Danke, danke. Bei mir schon. Aber Sie bereiten mir ganz schönes Kopfzerbrechen, wenn Sie so direkt an der Straße entlang joggen. Haben Sie denn noch nie was von einem Sportplatz gehört?“ Na prima. Der freundliche Hinweis von Ihrer Bezirks-Behörde – nichts war weniger als Anmache geeignet, als das Objekt der Begierde zu verärgern.

„Tja, Deputy. Den Sportplatz kenne ich ziemlich gut“, meinte Larx mit gepresster Stimme. „Allerdings trainiert da gerade das Footballteam und ich bin nicht besonders gerne der alte Mann, der um sie herum seine Kreise zieht.“

Aaron glaubte ihm kein Wort.

„Und die Crossstrecke hinter dem Schulgelände?“ Aaron wusste, dass Larx diesen Pfad kannte. Er hatte dort oft genug mit den Crossläufern trainiert, auch wenn keine Saison war.

„Ja, Sir. Die kenne ich auch.“ Blöder Sturkopf. Er war noch nicht mal außer Atem.

„Ist ja toll, wie gut Sie informiert sind“, gab Aaron zurück. „Darf ich fragen, und bitte nehmen Sie es mir nicht übel: wenn Ihnen andere Laufstrecken so gut bekannt sind, auf denen die heimischen Wildtiere nicht regelmäßig zu Waffeln verarbeitet werden, warum bestehen Sie dann verdammt noch mal darauf, direkt an der verdammten Landstraße entlang zu joggen?“

Statt einer Antwort beschleunigte Larx sein Tempo.

„Ich sitze im Auto, Sie Dickschädel!“, brüllte Aaron.

„Wie bitte, Deputy? Ich kann Sie kaum verstehen. Alter Mann, schwerhörig, Sie wissen schon …“

Larx hielt die Hand ans Ohr, während er noch schneller rannte. Ha! Der Kerl unterschätzte offenbar Aarons Eigensinn. Teenager. Mädchen. Zwei Stück. Na warte.

Sie näherten sich der Olson Street, dem Waldweg. Aaron trat aufs Gas, sodass er Larx knapp überholte, und bog rechts ab. Dann stoppte er den Wagen und sprang heraus.

As Larx um die Ecke bog, lehnte er schon mit verschränkten Armen an seinem SUV, den Kopf zur Straße gewandt.

„Werden Sie sich jetzt bitte zivilisiert mit mir unterhalten?“, fragte er. „Oder wollen Sie mich unbedingt dazu zwingen, neben Ihnen herzurennen? Ich warne Sie. Ich war in der Highschool schon langsam, bei der Armee ebenfalls, im College auch, und seither bin ich kaum schneller geworden.“

Larx schnitt eine Grimasse und joggte weiter. „Ist ein freies Land.“

Aaron hatte gelogen. Er joggte selbst jeden Tag. Er war nicht so schnell wie Larx und hatte auch nicht die gleiche Ausdauer – aber er war zu allem entschlossen, selbst in seinen Boots.

Er schloss den Wagen ab, steckte die Schlüssel ein und holte auf.

„Sie sind ja schneller, als Sie es darstellten“, brummte Larx schließlich unbehaglich.

„Ich jogge auch“, keuchte Aaron. „Allerdings meist nach der Arbeit, auf dem alten Forstweg hinter dem Highway 22. Kennen Sie den?“

„Ach ja?“ Larx klang überrascht. „Der ist bei mir um die Ecke.“

„Ich weiß.“ Vor drei Jahren hatte Olivia, die ältere Töchter von Larx, nach der Theaterprobe auf dem Heimweg einen platten Reifen gehabt. Aaron hatte ihr geholfen, den Reifen zu wechseln, und war ihr nachgefahren, um sicherzugehen, dass sie gut nach Hause kam. Inzwischen war Olivia fertig mit der Schule. Sie war ein Jahr jünger als Aarons mittlere Tochter Maureen. Sie war wirklich süß gewesen, etwas orientierungslos, wie ein Marienkäfer bei starkem Wind, aber süß.

„Inzwischen sollten Sie doch sicher allen ausreichend bewiesen haben, dass Sie sehr wohl genug Zeit hätten, die Leichtathleten zu coachen. Können Sie also bitte einem alten Mann den Gefallen tun und den Crosspfad benutzen, anstatt hier draußen zu joggen, auch wenn man Sie hier vielleicht besser sieht?“

Larx blieb wie angewurzelt stehen, die Hände in die Seiten gestemmt, mit empörtem Gesichtsausdruck. „Ach, Sie glauben also, darum geht‘s?“

Aaron blieb dankbar stehen, stützte die Hände auf die Oberschenkel und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. „Worum sonst?“

Larx entspannte sich etwas. Fröstelnd nahm er das T-Shirt vom Nacken und schlüpfte wie selbstverständlich hinein. Insgeheim war Aaron erleichtert – er war gerade nahe genug, um ihn riechen zu können, und er war sich extrem bewusst darüber gewesen, dass Larx` nackte Haut in Griffweite war. Andererseits sah das Shirt so weich und gemütlich aus, dass es fast noch intimer war als die nackte Haut.

„Wissen Sie, ich muss einfach ab und zu mal runter vom Schulgelände“, sagte Larx schließlich. „Ich wollte diesen verfluchten Scheißjob eigentlich gar nicht erst haben.“

Aaron hatte noch nie einen Lehrer fluchen hören.

Er konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Das ist das Coolste, was ich je gehört habe“, flüsterte er. „Sie benutzen Kraftausdrücke?“

Larx verdrehte die Augen. „Oh, bitte! Im Lehrerzimmer geht es zu wie bei Kesselflickern und Bierkutschern. Besonders die Englischlehrer sind da sehr kreativ. Sie würden sich wundern.“

„Sie rauben mir gerade all meine Illusionen“, schmunzelte Aaron, und Larx schüttelte den Kopf.

„Ich brauche einfach mal eine Pause“, sagte er dann kläglich. Nach den sechs Worten war das ganze Gewicht des Jobs auf seinen Schultern zu spüren. „Ich habe jetzt schon einen Riesen-Scheißhaufen an Nachrichten auf dem Handy, und wann immer ich auf dem Schulgelände bin, habe ich die moralische Verpflichtung, mich sofort darum zu kümmern.“

Aaron nahm seine Baseball-Mütze mit dem Aufdruck Colton County Sheriff ab, strich sich die blonden Haare zurück und setzte sie wieder auf. „Es ist nicht gesetzwidrig, sich in Lebensgefahr zu bringen, Larx. Darum geht’s mir auch gar nicht.“

„Worum dann?“ Larx hatte jetzt eine Hand in die Hüfte gestützt und Aaron fragte sich, ob er früher ein bockiger, rebellischer Teenager gewesen war. Und ob ihm schon mal jemand gesagt hatte, dass früher inzwischen vorbei war. Die jüngere Tochter von Larx war in der 11. Klasse, und in seinem AP-Kurs. Vielleicht gab sie ihm Nachhilfe in rebellischem Verhalten. Aaron vermutete, dass Larx ein Spaß-Papa war, und außerdem ein guter Vater. Seine Ex-Frau lebte unten in Sacramento, wenn Aaron sich recht erinnerte, und Larx hier oben in den Bergen mit den Kindern. Warum auch immer, er hatte das alleinige Sorgerecht, und das war keine Kleinigkeit. Er war sicher ein guter Mann.

Aaron räusperte sich. „Um Ihren freundlichen Mitbürger und Deputy, der Angst davor hat, seinem Sohn vielleicht mitteilen zu müssen, dass ein neuer Lehrer für das AP-Programm eingestellt werden muss.“

„Arrrrgh!“ Larx raufte sich mit beiden Händen die Haare und stampfte mit dem Fuß auf. „Haben Sie denn niemals das Bedürfnis, mit einem Erwachsenen zu sprechen, der kein Kollege ist?“

Aaron atmete aus. „Das habe ich früher immer mit meiner Frau gemacht“, meinte er entschuldigend.

Larx schnitt eine Grimasse, wahrscheinlich aus Mitleid. „Tut mir leid“, erwiderte er reflexartig. Aber Aaron hatte das Mitgefühl inzwischen satt. „Es ist lange her, und Sie haben nicht am Steuer gesessen. Und darum geht’s mir nicht.“

„Okay, okay, schon klar. Es geht darum, dass ich ein schlechtes Vorbild bin, wenn ich an einer beschissenen Straße entlang jogge. Schon kapiert.“

„Aber Sie könnten doch genauso gut den Waldweg nehmen! Wir könnten zusammen joggen, wenn ich es rechtzeitig weiß!“ Einerseits war Aaron sprachlos über sich selbst. Rückzug! Rückzug! Rückzug! Wenn sein Schwulenradar anspringt, bist du erledigt! Andererseits war er auch von freudigem Stolz erfüllt. Gar nicht übel, Sheriff George. Das könnte sogar klappen!

Larx kniff die Augen zusammen. Im Freien sah man ihn sonst meist mit Sonnenbrille, aber offenbar trug er sie nicht, wenn er schwitzte. „Echt jetzt?“, fragte er skeptisch.

„Ich wohne am gleichen Waldweg“, sagte Aaron. Er war nicht sicher, ob Larx das klar war. „Etwa zwei Meilen weiter unten.“

„Das wusste ich gar nicht“, bestätigte Larx seinen Verdacht und kratzte sich am Hinterkopf. „Sie sind schneller, als Sie gesagt haben.“

„Na ja, ich jogge ja auch mehrmals pro Woche. Meist nur drei Meilen. Wenn es Ihnen nichts ausmachen würde, einen Schlenker zu machen, könnten Sie bei mir vorbeilaufen, mich abholen und wieder zu Hause absetzen. Dann haben Sie trotzdem die längere Strecke. Und es wäre definitiv besser, als hier am Highway entlangzulaufen.“ Das stand außer Frage.

Larx entspannte sich zusehends, und sein Kampfgeist schien abzuebben. „Ja. Klar. Das ist wirklich … nett. Nett, dass Sie gefragt gaben, meine ich. Danke.“

„Ich gehe um halb sieben zur Arbeit. Wir könnten uns um 5 treffen?“ Dann hätte er noch eine halbe Stunde, um einen Müsliriegel zu essen und zu duschen. Und eine Stunde zum Laufen, wenn Larx zwei Meilen länger lief. Morgens würde es kalt sein, also würde er dessen glänzenden Oberkörper nicht zu sehen bekommen. Dafür würden sie Zeit miteinander verbringen. Aaron hatte ihre kurzen Gespräche bei den Footballspielen oder Schulversammlungen nicht vergessen. Wenn er nicht gerade gegen das System rebellierte, war Larx sehr unterhaltsam. Das hatte Aaron schon bemerkt, bevor ihm die muskulösen Schultern und der feste Arsch aufgefallen waren.

Larx nickte. „Ich bringe Stirnlampen mit“, sagte er – eine gute Idee, denn die Tage waren schon kürzer und man konnte sich schnell verlaufen oder den Knöchel verstauchen, wenn man im Dunklen lief.

„Das ist gut. Ich habe keine. Ich bin sonst immer nachmittags nach dem Dienst unterwegs.“

Larx legte neugierig den Kopf schief. „Und warum wollen Sie das jetzt plötzlich ändern?“

Mist. „Kirby mag Sie“, improvisierte Aaron. „Ich würde ihm ungern die Nachricht überbringen, dass wir Sie von der Straße kratzen mussten.“

Larx legte den Kopf auf die andere Seite. „Sie sind ja ausgesprochen besorgt um Ihre Mitbürger. Wenn Sie sich um jeden einzelnen so intensiv kümmern …“

Aaron hatte blaue Augen und helle Haut und es war nicht zu verbergen, dass er rot wurde. „Es ist eine kleine Stadt. Wenn Sie von einem Auto erwischt werden, würden wir das wirklich bedauern. Ich kann’s nicht leugnen.“

Larx verzog einen Mundwinkel zum süffisanten Lächeln. „Dann versuchen Sie es doch gar nicht erst.“

Seine Augen waren braun, und um seinen Mund zuckte ein Lächeln. Aaron starrte diesen Mund so lange an, dass der Moment begann, sich in die Länge zu ziehen.

„Dann also bis morgen früh, Sheriff?“ brach Larx schließlich das Schweigen.

„Soll ich Sie noch zurückfahren?“, fragte Aaron höflich, obwohl er ziemlich sicher war, dass das gar nicht so gut wäre, so sehr, wie er sich zu Larx hingezogen fühlte.

„Nein, Sir. Ich mache meine Runde noch fertig.“

Aaron nickte und setzte seine Mütze wieder auf. „Wie Sie möchten.“

Er schlenderte zum SUV zurück und widerstand tapfer dem Impuls, sich umzusehen. Ob Larx ihm nachstarrte? Er war ziemlich sicher, dass seine Blicke sich in seinen Rücken bohrten, aber umdrehen würde er sich ganz bestimmt nicht.

Als er wieder auf der Station ankam und seinen Tagesbericht ausfüllte, behielt er die kleine Begegnung für sich. Er berichtete dem Sheriff von seinen Aktivitäten – dass die von ihnen vor etwa einem Monat entdeckte Marihuana-Plantage expandiert hatte und vielleicht doch dem Drogendezernat gemeldet werden musste und dass der Antrag der Highschool, am Schulgelände einen Bürgersteig zu verlegen, aus Sicherheitsgründen von der Polizei befürwortet werden sollte. Larx erwähnte er nicht, aber er war auch nicht der einzige Trottel, der sich für unverwundbar hielt.

Sheriff Eamon Mills nickte, fragte nach, ob Aaron seinen Bericht abgegeben hatte, und rief ihn dann noch einmal zurück. „Ach, George.“

„Ja, Sir?“

„Ich weiß ja, dass Sie an dem Tag eigentlich keinen Dienst haben, aber in zwei Wochen steht ein Heimspiel an. Eine Schule aus einem anderen Landkreis, Sie wissen schon …“ Mills zog eine Grimasse. „Wir sind eine Kleinstadt, und das ist eine Großstadtschule. Ich bin sicher, dass mit den Kindern alles in Ordnung gehen wird. Ich kenne den Trainer, und bei Foster herrscht Disziplin. Aber unsere Eltern bereiten mir Sorge, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Aaron verzog das Gesicht. Er wusste ganz genau, wovon der Sheriff sprach. Die Kinder hatten heutzutage dank Internet und Kabelfernsehen sehr weltoffene Ansichten über Diversität, was verblüffend und großartig war. Bei den Erwachsenen sah das leider oftmals anders aus. Vor zwei Jahren war ein städtischer Schulbusfahrer aus Angst vor einem plötzlichen Schneeeinbruch überstürzt aufgebrochen. Seine Schüler hatte er vor der Colton High gestrandet zurückgelassen, und zwar, nachdem sie gerade das Entscheidungs-Basketballspiel gewonnen hatten. Aaron und Larx war es gelungen, genügend Dienstwagen und freiwillige Eltern aufzutreiben, mit denen die Jugendlichen zu ihrer Schule zurückgefahren werden konnten. Aaron konnte sich aber gut erinnern, wie verängstigt die Teenager vor der Turnhalle gestanden hatten, umgeben von einer feindseligen Meute, die alles andere als begeistert gewesen war, dass ihre Mannschaft gegen das Team aus der Stadt verloren hatte.

„Sie wollen ein paar Uniformen beim Spiel sehen?“, fragte er, ohne zu zögern. Da musste er nicht lange überlegen. Larx würde auch da sein. Spiele zu beaufsichtigen war Teil von Aarons Aufgaben als Kleinstadtsheriff, also war er regelmäßig dort. Als Larx noch Lehrer war, hatte Aaron ihn zwar ab und zu getroffen, denn es war eine Schulveranstaltung, aber Larx war nicht immer dabei gewesen. Als Rektor musste er jetzt aber natürlich teilnehmen.

Larx würde also dabei sein. Bis dahin würden sie schon eine Woche gemeinsames Joggen hinter sich haben. Aaron würde Kirby mitschleppen und die jüngere Tochter von Larx würde vermutlich auch dabei sein – Spaß für alle. Rein platonischer Spaß für Alleinerziehende. Genau.

„Ja, mein Junge. Das wäre nicht schlecht. Vielleicht könnten Sie und Larx sich eine Weile auf die Gegnertribüne setzen? Bisschen gute Stimmung machen, ein paar Lose für die Tombola verteilen, unseren Leuten zeigen, dass wir hier alle Freunde sind. So in der Art.“

Sheriff Mills war Afroamerikaner, Mitte Sechzig und stand vermutlich kurz vor der Pensionierung. Er hatte ein paar Jahre Armee hinter sich, einige davon in Vietnam, und eine Weile war er in New York verloren gegangen, wie er es nannte. Er war ein bodenständiger Redneck, aber auch überraschend gebildet und auf seine Weise sehr weltoffen.

Er war der Vater, den Aaron gerne gehabt hätte. „Kriegen wir hin“, sagte er lächelnd. „Ich bringe Kirby mit – zu diesem Jungen unfreundlich zu sein schafft kein Mensch, wenn er seine braunen Augen klimpern lässt.“

Mills nickte. „Danke. Machen Sie das auf jeden Fall. Ihr Junge müsste mal wieder hier Ablage machen – letztes Mal, als er die Archive aufgeräumt hat, hat er zwei Fälle gelöst.“

Aaron verzog das Gesicht. „Ja, Sir, aber mir wäre es lieber, wenn er sich nicht in den Kopf setzen würde, Polizist zu werden. Er ist auch schon ohne Dienstwaffe eine Gefahr für sich selbst.“ Genau wie Caroline war Kirby charmant und ein bisschen tollpatschig. Der Junge kam eindeutig nach seiner Mutter.

Der Sheriff lachte leise. „Wir lassen den Waffenschrank verschlossen, keine Sorge. Aber vielleicht sollten Sie nicht zu heftig dagegen anreden, Aaron. Sie wissen ja, wie Kinder sind: Je mehr man ihnen verbietet, desto mehr wollen sie es dann erst recht.“

„Zwei Teenager-Töchter“, nickte Aaron grimmig. Mills wusste natürlich, was das bedeutet. Er hatte miterlebt, wie Aarons Älteste, Tiffany, im Streifenwagen nach Hause gebracht wurde, nachdem sie unter der Cofer Bridge beim Sex mit ihrem Freund aufgegriffen worden war. Als Maureen nach dem Abbau der Kulissen des Oberstufen-Abschlussstücks mit den anderen Theater-Kids betrunken aufgegabelt wurde, war er auch dabei gewesen. Genau genommen waren ihm so gut wie alle peinlichen Momente in Aarons Elternkarriere bekannt und er hatte sie mit guten Ratschlägen und einer freundlichen Hand auf der Schulter begleitet.

„Ich kann mich gut erinnern“, sagte er jetzt. „Wie geht’s Tiff und Maureen?“

„Tja, Tiff hat jetzt immer noch zwei Jahre vor sich bis zur Prüfung, weil sie unbedingt auf den letzten Drücker noch ihr Hauptfach ändern musste und jetzt quasi noch mal von vorne anfängt.“

Mills pfiff durch die Zähne. „Teurer Spaß.“

„Allerdings. Als ich ihr eröffnet habe, dass sie sich einen Nebenjob suchen muss, hat sie mich einen Tyrannen genannt. Ich habe geantwortet, dass sie nur deswegen nicht schon die ganze Zeit jobben musste, weil ihre Schwester ein Jahr früher fertig wird. Sie will als Entwicklungshelferin nach Indien, um Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. Tiff hat ihre Schwester auf eine Art beschimpft, die ich nicht wiederholen möchte, dann hat Maureen Tiff etwas genannt, was ich auch nicht wiederholen möchte, und seit die beiden in ihre Colleges zurückgeflogen sind, sprechen sie nicht mehr miteinander.“

„Und mit Ihnen?“, fragte der Sheriff freundlich.

„Na ja, Maureen schon. Was sie in den Augen ihrer Schwester zur arschkriecherischen kleinen Schlampe macht, wie sie es nannte.“

Mills grunzte. „Ach mein Junge, das sollten Sie sich nicht zu Herzen nehmen. Kinder …“

Aaron seufzte und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. „Ich weiß. Sie wird sich schon wieder abregen. Das ist ja immer so. Es ist nur … ich habe seit Jahren nicht mehr mit meinem Bruder gesprochen. Er lebt an der Ostküste. Und ich wollte so gerne, dass meine Kinder sich später nicht völlig egal sind, wenn sie mal groß sind.“

„Aaron, Sie haben getan, was Sie konnten. Und Kirby ist ja auch noch da. Der Kleine bringt die beiden im Handumdrehen wieder zusammen.“

Da war etwas dran. Kirby schrieb den Mädchen jede Woche Briefe und kleine Karten, um sie gegenseitig wissen zu lassen, was die andere Schwester so machte. Wenn einer die beiden versöhnen konnte, war er es. „Das hoffe ich auch“, stimmte Aaron zu. Es schien wie ein guter Zeitpunkt zum Aufbrechen. Aaron wandte sich zum Gehen, wurde aber ein weiteres Mal zurückgerufen.

„Aaron?“

„Ja, Sir?“ Er wandte sich noch mal um.

„Eigentlich ist es nicht meine Art, mich wie ein alter Mann in Ihre Angelegenheiten einzumischen. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Ich bin nicht mehr der Jüngste, und ich habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich bei der nächsten Wahl nicht mehr zur Verfügung stehen werde. Ich hätte gerne, dass Sie in meine Fußstapfen treten.“

Mist. Das Thema wieder. „Ja, Sir. Es wird mir eine Ehre sein.“ Jetzt wusste Aaron genau, wie Larx sich gefühlt hatte. Es gab kaum etwas, das er mehr hasste als das Gefühl, der letzte verfügbare Erwachsene zu sein, auf den sich alle verließen.

„Na ja, Ehre würde ich es nicht gerade nennen. Es ist ein elender Scheißjob und man bekommt nie genug Schlaf. Mit einem Partner an der Seite ist es aber auszuhalten.“

Aaron verzog das Gesicht. „Ja, Sir. Den Unterschied kenne ich seit 10 Jahren.“

„Ich weiß. Und trotzdem haben Sie sich nie wieder nach einer neuen Mrs. George umgesehen.“

Oh Gott. Aaron fühlte, wie ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach bei der Vorstellung, diesen Mann anzulügen oder auch nur der Frage auszuweichen. Das tat man einfach nicht bei jemandem, dessen Frau einmal pro Woche seine Familie bekochte, immer mit dem Vorwand, ein bisschen zu viel Essen gemacht zu haben. Bei jemandem, der seit zehn Jahren Kekse in der Schublade hatte nur für den Fall, dass die Kinder seines Stellvertreters wieder mal ihre Hausaufgaben auf der Polizeistation erledigen mussten. Es wäre nicht richtig, ihm etwas vorzumachen.

„Oder einem Mr. George“, sagte er also mit einem Gefühl, als würden seine Lungen zwischen einen VW Käfer und einer Stahlplatte gepresst.

Der Sheriff riss die Augen auf und schnappte nach Luft.

Aaron lächelte schwach.

Dann schloss Mills den Mund wieder und zuckte mit den Achseln. „So ist das also.“

„Es ist eine Fifty-Fifty-Chance, Sir.“

„Na ja, mit einer Frau wär’s natürlich einfacher, aber das hab’ ich ja nicht zu entscheiden. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass Sie es nicht unbedingt alleine durchziehen sollten.“

Aaron schloss die Augen, damit das Brennen nachließ. „Danke, Sir“, sagte er dann leise. „Ich muss dann mal los.“

„Gail wollte heute Kekse backen, mein Junge. Ich bringe morgen welche für Kirby mit.“

Oje. Aaron wandte sich ab, denn er fühlte sich gerade alles andere als gefestigt. „Das ist wirklich lieb von ihr, Sir. Ich werde Kirby bitten, eine Dankeskarte zu schreiben.“

„Wir freuen uns jedes Mal über seine Karten.“

Kirby zeichnete gerne Cartoons auf seine Karten. Auf der letzten hatte sich ein Schweinchen in Herzen und Gänseblümchen gewälzt und glücklich an einem Teller mit noch warmen Keksen geschnüffelt.

„Ich werd‘s ihm ausrichten.“

Damit konnte Aaron endlich gehen. Ein weiterer Treffer in seine Gefühlszone hätte ihm heute den Rest gegeben.

Als er nach Hause kam, saß Kirby am Küchentisch und erledigte brav seine Hausaufgaben. Auf dem Herd stand ein leicht verunglücktes thailändisches Hühnchen-Gemüse-Gericht.

„Du bist spät dran“, meinte Kirby, ohne aufzublicken. Diese Dinge nahm er genau.

„Musste noch mit dem Chef sprechen.“ Ich habe meinem Chef gerade mitgeteilt, dass ich bisexuell bin, nur für den Fall, dass ich irgendwann mal mit deinem Rektor schlafen sollte. Nee. Das ließ er mal lieber unausgesprochen.

Kirby sah auf, als er aus dem Wohnzimmer in die Küche kam, und Aaron zuckte wie immer innerlich zusammen, als ihn Carolines braune Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, schmerzhaft an sie erinnerten. „Worüber denn?“ Kirby war immer schnell beunruhigt. Er hatte eine blühende Fantasie. Genau wie Aaron es nicht mit ansehen konnte, wenn Larx an der gefährlichen Straße entlang joggte, ohne gleich an das Schlimmste zu denken, malte Kirby sich immer aus, dass Aaron tot war, wenn er sich auch nur fünf Minuten verspätete.

„Das Footballspiel nächsten Freitagabend.“

Kirby schnitt eine Grimasse. „Hast du wieder Redneck-Wachdienst? Damit wir keinen schlechten Eindruck machen, weil wir hier noch nie Menschen aus der großen Stadt zu Gesicht bekommen haben?“

„So ungefähr. Willst du mit, ein paar neue Leute kennenlernen?“

Kirby wurde hellhörig. „Du meinst Leute, die nicht an einem Ort aufwachsen, wo die Jagdsaison ein akzeptabler Grund ist, um schulfrei zu bekommen? Ich bin dabei.“

Es war Kirbys letztes Jahr an der Highschool und Aaron merkte, dass auch bei seinem Jungen langsam das Bedürfnis erwachte, endlich aus dieser winzigen Stadt rauszukommen. Aaron hatte vollstes Verständnis dafür. Vermissen würde er ihn trotzdem.

„Danke. Der Sheriff hat nach dir gefragt. Und er gibt mir morgen wieder Kekse für dich mit.“ Aaron goss sich in der Küche ein Glas Proteinshake ein, um sich für seine Joggingrunde zu stärken. Das Zeug schmeckte grauenhaft, aber Kirby hatte es für ihn zusammengemixt und es war nicht zu leugnen, dass es seine Wirkung tat. Alles, was ihn davon abhielt, nach der Arbeit zu naschen, war willkommen.

Kirby verzog das Gesicht. „Dad …“

Er stellte sich neben den abgenutzten Küchentisch, damit Kirby seinen mitfühlenden Gesichtsausdruck sehen konnte. „Ich weiß, ich weiß.“ Gail war wirklich eine Seele von Mensch und ihre Aufläufe und Beilagen waren ausgezeichnet. Ihr Gebäck dagegen …

„Wir können sie wieder den Hühnern geben“, meinte Aaron diplomatisch.

Kirby schüttelte den Kopf. „Darum hatte ich doch letztes Mal extra ein Schwein gezeichnet.“

„Wenn das Schwein nicht so niedlich gewesen wäre, hätte sie den Wink mit dem Zaunpfahl vielleicht verstanden. Wie sieht‘s mit Abendessen aus?“

„Ist fertig, wenn du vom Laufen wiederkommst“, antwortete Kirby prompt. „Du lässt mich also besser in Ruhe Chemie fertigmachen. Larx faltet mich zusammen, wenn nicht alles perfekt ist.“

„Ist ja gut. Mit dem gehe ich übrigens morgen früh joggen.“

Kirby kniff die Augen zusammen und sah ihn an, als spräche er chinesisch. „Du machst was?“

Aaron drehte das leere Glas zwischen den Fingern. „Ja, weißt du. Larx und ich, wir gehen jetzt morgens zusammen joggen. Damit er nicht mehr nachmittags an der Straße entlanglaufen muss. Das hat dir doch auch Sorgen gemacht.“

Kirby blinzelte langsam. „Ja, ja. Das schon. Aber ich hätte nicht gedacht, dass du deswegen gleich mit ihm losziehst. Das ist ja wirklich der super persönliche Bürgerservice, Dad. Machst du das jetzt bei allen Einwohnern von Colton? Das könnte nämlich knapp werden, sogar in diesem Kaff.“

Aaron blieb standhaft. „Larx ist ja nicht irgendein Bürger. Er ist dein Schuldirektor.“

Als Kind hatte Kirby ein süßes, rundes Gesicht gehabt. Inzwischen hatte er ein ausgeprägtes Kinn, hohe Wangenknochen und die dunkelblonden Haare seines Vaters. Er würde mal ein ziemlich gut aussehender Mann werden. Jetzt war er einfach ein besonders schöner Junge, dessen Gesicht aussah wie der Prototyp eines Engels. Wenn die Falte zwischen seinen Augenbrauen nicht gerade laut und deutlich Blödsinn! sprach, so wie jetzt.

„Da sind geheime Erwachsenen-Machenschaften im Gange“, stellte er fest. „Ich weiß zwar noch nicht, welche, und warum – aber das bedeutet nichts Gutes für alle Beteiligten!“

Aaron drehte das leere Glas zwischen den Händen und brachte es zurück in die Küche. „Äh, ich glaube, du hast zu viele Science-Fiction-Filme gesehen, mein Sohn.“

„Ja, Dad. Mit dir zusammen. Du kannst also nicht so tun, als wüsstest du nicht, wovon ich rede.“

„Keine Ahnung. Ich ziehe mich mal um und gehe laufen. Bis in einer halben Stunde!“

Ausweichen war selten die feine Art.

Vor dem Einschlafen musste Aaron daran denken, wie Larx im staubigen Sonnenlicht die Augen zusammengekniffen hatte, wie seine Haltung lockerer und sein Lächeln sanfter geworden waren.

Er träumte, dass er einen Schritt näher an ihn herantrat, bis er die Wärme der körperlichen Anstrengung und Larx‘ Atem im Gesicht spüren konnte. Er träumte, dass sich ihre Lippen zu einem einfachen Kuss berührten.

Chromsäure und Alkohol

 

 

„OKAY, LIEBE Schüler. Und jetzt noch mal im Schnelldurchlauf. Alle bereit?“

„Bereit, Larx!“

Larx sah zu seiner Klasse auf und musste lächeln. Sie hatten im Chor geantwortet und er liebte es, wenn seine Kinder mitspielten. „Freut mich, das zu hören! Okay, was sind die vier Maßeinheiten für chemische Substanzen?“

Alle Hände streckten sich nach oben.

„Kimmy!“

„Partikel!“

„Isaiah!“

„Mol!“

„Christiana!“

„Masse!“

„Kirby!“

„Volumen!“

„Gut gemacht! Kellan, was benutzen wir für die qualitative Bestimmung?“

„Das Coulombsche Gesetz, Sir!“

„Ausgezeichnet – und nach dem Coulombschen Gesetz: Welche Formel verrät uns die Stärke der elektrostatischen Kraft?“

Und so lief der Test weiter.

Für Montag war das Experiment geplant, Metallkugeln aufzuladen, mit einem Laserpointer die Distanz der Abstoßung zu messen und das dann auf die Elektronenbewegung anwenden. Heute ging es darum, das Experiment zu verstehen. Danach folgte der Laborbericht, und im anschließenden Test würde sich zeigen, ob die Jugendlichen den Stoff aus dem Buch auch wirklich anwenden konnten – eine weitere Voraussetzung zum erfolgreichen Bestehen der AP-Prüfung.

„Sehr gute Arbeit“, lobte er, als der mündliche Test sich dem Ende zuneigte. „Jetzt möchte ich, dass ihr den Stoff aus dem Buch in euren Laborbericht eintragt, damit wir Montag den Versuch machen können. Ihr habt noch etwa 20 Minuten Zeit. Holt eure Laborbücher raus und beschränkt euch beim Quatschen inhaltlich auf meinen Unterricht. Alles klar?“

„Ja, Larx“, antworteten sie im Chor, als ob Larx nicht haargenau wusste, dass sie sich die ganze Zeit nur über das Footballspiel, den Homecoming-Abschlußball und wer-mit-wem-zusammen-war unterhalten würden.

Aber das spielte keine so große Rolle. Wichtiger war, dass er ihnen die Zeit ließ. Den Unterschied zwischen den verantwortungsbewussten Schülern und denen, die immer auf den letzten Drücker arbeiteten, konnte man daran erkennen, was sie im Endeffekt daraus machten. Larx war früher einer von der zweiten Fraktion gewesen, also hatte er größtes Verständnis für solche Jugendliche. Dennoch lief er von Tisch zu Tisch, um zu prüfen, ob noch jemand Fragen hatte. Als er an Kirbys und Christianas Tisch trat, wappnete er sich innerlich, denn aus den Augen von Aaron Georges Sohn und denen seiner eigenen Tochter blitzte ihm der Schalk entgegen.

„Na, ihr beiden? Habt ihr Fragen?“

„Ich hätte da eine“, meldete Christiana munter. „Worüber unterhalten sich eigentlich zwei Typen mittleren Alters so, wenn sie zu nachtschlafender Zeit zusammen joggen gehen? Wissbegierige junge Geister zerbrechen sich darüber den Kopf.“

Larx funkelte sie an und wünschte sich einmal mehr, dass sie ihrer Mutter ähnlicher sähe, denn dann wäre es ihm leichter gefallen zu widerstehen, so wie er es während seiner Ehe mit Alicia auch gekonnt hatte. Aber Christiana war das Ebenbild seiner älteren Schwester, die an Leukämie gestorben war, als Larx noch im College war. Larx hatte Lila geliebt und sie war sein großes Vorbild gewesen. Er hatte für ihre Besuche im Studentenwohnheim gelebt, zu einer Zeit, als er selbst durcheinander und verloren gewesen war.

Wenn Christi ihn so mit dunklen, hochgezogenen Augenbrauen ansah, hatte er nicht den Hauch einer Chance.

„Über unsere undankbaren Sprösslinge natürlich“, erwiderte er trotzdem. „Darüber, dass sie bessere Noten schreiben und mehr Hausarbeit erledigen sollten, damit wir jedes Nanojoule an Nutzen aus ihnen herausholen können, bevor wir ihnen den Start in die große, weite Welt finanzieren.“

Die beiden rollten die Augen so sehr, dass er sich wunderte, dass sie keine Kopfschmerzen davon bekamen.

„Du bist so witzig, Dad“, schmollte sie. „So witzig. Du warst eine ganze Stunde unterwegs heute Morgen.“

„Das bedeutet nichts anderes, als dass ich heute Nachmittag eine Stunde früher zuhause bin, Christi-Lulu-Belle – ist das nicht wunderbar?“

„Nein“, flüsterte ihr Kirby verschwörerisch zu. „Sag, dass es alles andere als wunderbar ist. Ich hatte immer die Zeit zum Lernen, und jetzt will Dad sich garantiert unterhalten und hören, wie mein Tag war!“

Larx sah Kirby direkt in die Augen, als er antwortete. „Sag deinem Freund, dass das seinen Vater sehr glücklich macht. Er hat jetzt nämlich nur noch ein Kind im Haus und würde es total schön finden, wenn es ihn auch nach dem College noch zu Hause besucht.“

Kirby grunzte – und klang dabei haargenau wie sein Vater, wenn ihm die morgendliche Unterhaltung zu persönlich wurde. „Sie können meinem Vater ausrichten, dass ich keine blöde Kuh ohne Hirn und Verstand bin wie meine ältere Schwester und dass mir schon klar ist, was er für ein superlativer Erziehungsberechtigter und insgesamt toller Mensch ist. Und trotzdem wär’s mir wirklich recht, wenn er mich nicht jedes Mal verhören würde, sobald er das Haus betritt. Ich versuche zu lernen!“

„Ich jogge ja nur mit dem Typ“, protestierte Larx. „Ich bin nicht sein Familientherapeut. Fachbezogene Fragen habt ihr also nicht?“

„Doch. Denken Sie, dass wir heute Abend gewinnen werden?“ Kirbys braune Augen waren zusammengekniffen, als ob er sich genau vorstellen konnte, was abends passieren würde, wenn die Colton Tigers das Spiel nicht gewannen.

„Keine Ahnung. Ich hoffe jedenfalls, wir werden alle Spaß haben.“ Und damit wandte sich Larx dem nächsten Tisch zu, an dem zwei seiner Lieblingsschüler saßen.

„Isaiah, Kellan – bitte sagt mir, dass ihr bereit seid für heute Abend.“

Isaiah Campbell – jetzt schon 1,90m und noch nicht ausgewachsen – lächelte Larx aus klaren, braunen, dicht bewimperten Augen an. „Ich bin bereit, Sir“, sagte er und senkte dann scheu den Kopf. Isaiah entsprach nicht gerade dem Klischee des typischen Footballspielers. Er war einer der besten Schüler, Mitglied der Theater-AG und ein ausgesprochen liebenswerter Junge. Einen wie ihn gab es nur alle zwei oder drei Jahrgänge. Larx unterrichtete schon 24 Jahre, aber ein solches Kind – freundlich, intelligent, vielseitig talentiert – unterrichten zu dürfen beglückte ihn immer wieder. Es gab nicht viele Jobs, die einem ermöglichten, so großartige Menschen auf ihr hoffentlich großartiges Leben vorzubereiten.

„Dachte ich mir“, sagte er freundlich und wandte sich dann Isaiahs Schatten zu: 1,70m unbändige und unkontrollierte Energie in Gestalt eines Footbälle werfenden Raubtiers. Das war Kellan Corker, der Quarterback, ansonsten schwarzes Schaf der Familie und verlorene Seele. Wenn man dem Footballtrainer Andy Jones Glauben schenken wollte, war Isaiah der Einzige, der das ADHS-Bündel Kellan auf dem Spielfeld in Schach halten konnte. In der 10. Klasse waren die beiden kurz davor gewesen auszusteigen. Das wäre wirklich schade gewesen, denn das Football-Training bei Coach Jones gab Kindern, die es am meisten brauchten, Halt. Isaiah interessierte sich im Grunde genommen mehr für Theater als für Football. Aber Jones hatte seine fast schon sklavische Zuneigung zu Kellan bemerkt und beschlossen, sie sich zunutze zu machen. Er hatte Isaiah zum Receiver gemacht, und heute waren beide zusammen auf dem Spielfeld buchstäblich nicht zu stoppen.

„Was ist mit dir, Kell? Hast du deine Medis genommen?“

Kellan schmunzelte. „Habe ich. Ich darf heute Abend sogar ausnahmsweise noch eine zweite nehmen. Wahrscheinlich bin ich dann die halbe Nacht wach, aber wenigstens kann ich vernünftig spielen.“

„Aber das ist nicht gut für dich“, meinte Isaiah mit einem sanften Knuff in die Seite.

„Das geht schon in Ordnung“, antwortete Kellan. Sein schwarzer Schopf war voller Wirbel in alle Richtungen. Hätte Larx einen Sohn gehabt, hätte er wahrscheinlich ausgesehen wie Kellan Corker – schwarze Haare, grüne Augen, ein wildes Bündel aus zu viel Energie und zu vielen Ideen. Larx fand Isaiah absolut klasse, aber für Kellan konnte er sehr viel mehr tun.

„Es ist doch nur ein Footballspiel“, sagte er und zwinkerte dabei Isaiah zu. „Dafür solltest du keine Gehirnzellen opfern. Außerdem, was soll denn ohne dich aus deinem Freund werden?“

Kellans Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Der hat jetzt ‘ne Freundin. Ihm wird kaum auffallen, ob ich als sabbernder Zombie ende oder nicht.“

„Aber sie hat doch mich gefragt!“, protestierte Isaiah. „Zum Homecoming-Ball nächste Woche. Kannst du nicht einfach auch jemanden fragen?“

„Ja klar, weil alle Mädchen es so toll finden, wenn ich mitten im Satz schon vergessen habe, was sie gerade gesagt haben. Ich wollte ja alleine gehen, genau wie du, aber diese Tussi …“

„Welche denn?“, fragte Larx. Wer hatte sich wohl zwischen dieses dynamische Duo gedrängt?

„Julia Olson“, platzte Kellan heraus.

Larx riss überrascht die Augen auf und atmete einmal tief durch. „Oh. Oh, Isaiah.“

Der zog eine Grimasse. „Ja. Sie … na ja, sie ist anscheinend schon eine Weile in mich verknallt und hat mich gestern irgendwie überrumpelt, beim Mittagessen. Alle haben zugeguckt und … Wenn ich Nein gesagt hätte, dann wäre das doch voll …“ Er biss sich auf die Lippe.

„Du wolltest sie nicht bloßstellen“, meinte Larx, aber er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Julia Olson war die Urenkelin des Mannes, der das Grundstück für den Bau der Schule gespendet hatte und nach dem eine Straße benannt war. Larx fand das Mädchen sehr beängstigend.

Ihr Großvater hatte ein Vermögen damit verdient, dass er einer Investorengruppe ein Stück Land im Norden der Stadt verkauft hatte. Dort war eine komplette Touristenanlage entstanden, von der eine kleine Gemeinschaft von Künstlern und Kunsthandwerksbetrieben lebte. Die Touristenschwemme von Mai bis August reichte aus, um sie den gesamten Rest des Jahres über Wasser zu halten. Viele der Feriengäste kamen auch vor Weihnachten wieder und brachten noch Freunde mit, also wurden Wohnwagen und Hütten vermietet, was letztendlich der ganzen Stadt zugutekam.

Die Olsons hatte das Geschäft sehr reich und sehr einflussreich gemacht. Julias Vater, nach allem Dafürhalten ein verwöhnter Taugenichts, lebte hauptsächlich im Ausland und Julia war mit ihrer Mutter, einer ehemaligen Schönheitskönigin, hier zurückgeblieben.

Die gesamte Existenz der Mutter war darauf ausgerichtet, sich in ihrer Tochter zu verwirklichen. Kinder-Schönheitswettbewerbe, Schauspiel- und Sprechunterricht als Jugendliche … Julia war wie eine perfekt gestylte Puppe, der man schon von Kindesbeinen an beigebracht hatte, dass ihr hübsches Gesicht und die Verbindungen der Familie mehr Bedeutung hatten als alles, was andere Erwachsene sagten. Ohne ihre Familie hätte die Stadt überhaupt keine Schule gehabt, nur damit das klar war!

Julia zu verärgern, weil er die Zeit lieber mit Kellan verbracht hätte, wäre keine gute Idee für den schüchternen Footballspieler gewesen, der im Grunde seines Herzens lieber bei der Schulaufführung hinter der Bühne gewerkelt hätte als vor den Augen der gesamten Stadt Footbälle zu fangen.

„Sie ist eben einsam“, sagte Isaiah achselzuckend. „Deswegen ist sie auch so fies. Ich … na ja, ich wollte es nicht noch schlimmer machen. Und … es ist doch nur für den Ball. Oder?“ Er biss sich wieder auf die Lippe.

„Ja, klar“, stimmte Larx ihm zu. In Sacramento hatte er schon einmal miterlebt, wie ein solches Kind um ein Haar die Karriere einer Lehrerin zerstört hatte. Das Kind hatte eine Hexenjagd angezettelt, um von seiner Kollegin Dana eine bessere Note zu erpressen. Zu seiner großen Enttäuschung war die Schulleitung damals eingeknickt. Bei seiner Berufung zum Rektor in Colton hatte Larx sich geschworen, niemals zuzulassen, dass Kinder mit einflussreichen Eltern jemandem das Leben so zur Hölle machen würden.

„Es ist nur …“ Gott. Wie sollte er seine düstere Vorahnung in Worte fassen? „Isaiah. Sei einfach auf der Hut. Am besten schickst du Kellan jedes Mal eine Nachricht, wenn sie mit dir spricht oder etwas von dir verlangt, was du nicht willst. Dokumentierst alles. Wenn du ein schlechtes Gefühl hast, wenn sie droht, Gerüchte zu verbreiten … schreib es auf. Ich weiß, dass du nur ein anständiger Kerl sein wolltest, aber …“

„Julia ist keine nette Person“, warf Kellan leise ein. „Sie ist gestört. Ich meine … ernsthaft gestört. Sie wissen ja bestimmt, dass sie der Schlange von Ms. Pavelle Parfum übergegossen hat, oder?“

„Bruce?“ Larx zuckte innerlich zusammen. Nancy Pavelle, die Biologielehrerin, hatte drei Jahre lang eine Strumpfbandnatter gehalten. Sie bekam jeden Freitagnachmittag Futter, und es wurde sorgfältig darauf geachtet, dass der gute Bruce die Maus, die man ihm ins Terrarium legte, auch aufaß. Bruce war nicht der Schlaueste gewesen, dafür sanftmütig und friedlich – und er war gestorben, nachdem jemand Parfum über ihm ausgekippt hatte. Nancy und Larx hatten stundenlang versucht, die Substanz von seiner Haut abzuwaschen, aber am Ende war es vergebens. Das Parfum war giftig, die Schlange hatte zu viel davon absorbiert und es nicht überlebt. „Sie hat Bruce umgebracht?“

„Ms. Pavelle hatte ihr eine schlechte Note gegeben, wissen Sie noch?“

Ja. Larx erinnerte sich. Nancy, eine mollige kleine Frau mit Pausbacken, hatte ein Herz für die am wenigsten geliebten Kreaturen unter Gottes Sonne: Schlangen, Eidechsen, ein potthässlicher Fisch, der alles attackierte, was seinem Aquarium zu nahe kam – alle wurden von Nancy aufgenommen. Anders als die arme Dana in Sacramento hatte sie vor dem alten Nobili nicht klein beigegeben, stattdessen hatte sie alles nachweisen können. Damals hatte man angenommen, dass das mit dem Parfum ein Unfall gewesen war – ein Kind, das einen Fehler gemacht hatte und sich nicht traute, sich zu melden. Aber zu hören, dass es Absicht gewesen war …

„Wieso habt ihr das keinem erzählt?“, fragte er angewidert und aufs Neue traurig wegen Bruce, der Schlange.

„Weil sie nicht ganz dicht ist!“ platzte Kellan heraus. „Weil sie uns alle ruinieren würde. Gerüchte rumerzählen würde. Und niemand an der ganzen Schule würde den Mund aufmachen. Mr. Albrecht hat sie nur deswegen nicht sitzenbleiben lassen, weil sie ihm gedroht hat, ihren Eltern zu erzählen, dass er ihr an den Hintern gegrapscht hat!“

Larx starrte die Jungs entsetzt an. Verdammt noch mal, wieso hatte Nobili nicht noch bleiben können, bis Julia die Schule abgeschlossen hatte? „Hat er das wirklich?“

„Natürlich nicht!“ Isaiah musste fast schon lachen. „Machen Sie Witze? Mr. Albrecht kann den Mädchen kaum in die Augen gucken, wenn sie mal ein enges T-Shirt anhaben. Wenn er aus Versehen mal jemand anfassen würde, dann würde er sich wahrscheinlich in die Hose machen und in Ohnmacht fallen.“

Gott sei Dank. „Das hab’ ich gehofft“, murmelte er. „Also, Isaiah, du gehst also zu diesem Ball mit einem sehr … beängstigenden Mädchen. Du musst unbedingt Kellan mitnehmen. Und Kellan, du musst mit einem Mädchen gehen, das du magst und dem du vertraust, verstanden?“

Kellan verzog das Gesicht. „Ja. Okay. Aber nur als Freunde.“

Später fühlte Larx sich wie ein Trottel, weil er immer noch nicht verstanden hatte, was los war. Spätestens jetzt hätte er es sehen müssen.

Aber er war nicht darauf gekommen und das machte ihm noch eine ganze Weile zu schaffen.

Er betrachtete die beiden Jungs, die sich mit der Ernsthaftigkeit über ihren Labortisch beugten, die er an Kindern so liebte. Die meisten waren einfach ganz normal, gut, wollten niemandem etwas Böses und hatte Hoffnungen und Träume. Diese beiden gehörten zu den Besten.

Er wollte gerade etwas sagen, als zwei andere Schüler eine Frage hatten, und er klopfte nur abschließend knapp auf den Tisch von Kellan, sagte: „Haltet mich auf dem Laufenden“, und ging weiter.

Aber nach der Stunde und den gesamten restlichen Tag lang musste er immer wieder an die beiden denken und machte sich Sorgen.

Es lag etwas in der Luft – wie Kellan Isaiah ansah, als könnte er gar nicht an den braunen Augen des Jungen vorbeischauen, und wie Isaiah Kellan bei allem, was er tat, folgte, nur um ihn zu erden … irgendetwas war da.

Er fühlte sich an einen Deputy erinnert, der ihm in Wanderschuhen auf der Olson Road hinterher gejoggt war und ihn freundlich gebeten hatte, sich nicht in Lebensgefahr zu bringen.

 

 

„LARX? LARX!Larx!“

Larx riss die Augen auf, setzte sich auf und konzentrierte sich auf Yoshi, was nicht einfach war, denn sein Gesicht verschmolz gerade vor seinen Augen wie ein großer beigefarbener Schatten mit der deprimierenden Wandtäfelung im Büro des Rektors. Schließlich rückte Yoshi wieder in den Fokus. Die Strubbelfrisur und der Vollbart machten ihn nicht, wie gewünscht, älter. Larx versuchte krampfhaft, den roten Faden ihres Gesprächs wiederzufinden, bevor seine Gedanken begonnen hatten abzuschweifen. Gleich hatte er es … Homecoming-Poster … Autos mit offenem Schiebedach und irgendwelche Verkäufe … fast …

Und dann gähnte er. „Entschuldige, Yoshi. Bin eben noch nicht so recht daran gewöhnt, so früh morgens zu joggen.“

„Ach ja – wie ist es denn so? Verstehst du dich mit George?“

Larx musste lächeln. Mit dem Deputy zu laufen machte ihm Spaß. In Laufmontur war Aaron längst nicht so langsam, wie er vorgegeben hatte, und Larx fand es sehr unterhaltsam, ihn an seine Grenzen und darüber hinaus zu bringen, immer das kleine Bisschen extra aus ihm herauszuholen. Wenn er genug hatte, gab Aaron ihm mit seiner Baseballmütze einen Klaps, Larx drosselte dann das Tempo und sie kamen meistens ins Plaudern.

Natürlich vorwiegend über die Kinder. Das verband sie. Larx vermisste Olivia, die schon ausgezogen war, und Aaron hatte es anscheinend nicht ganz leicht mit seiner Ältesten.

„Schickt ihr euch Nachrichten?“, hatte er gefragt. „Während des Semesters?“

„Was sollte ich denn erzählen?“, hatte Aaron außer Atem gefragt. „Habe einen Verdächtigen ohne Angelschein fischen sehen. Muss unbedingt das Fischereiamt benachrichtigen …?“

„Schick ihr ein paar süße Katzenbilder oder so“, riet ihm Larx. Ihre Schritte und schweren Atemzüge waren angenehm synchron in der grauen Morgendämmerung. „Funktioniert jedes Mal.“

Er sah Aaron an, der plötzlich strahlte wie ein Kind, das zum ersten Mal von Dinosauriern hört, und sein Herz … klopfte immer noch etwas unregelmäßig.

„Wir verstehen uns ganz gut“, sagte Larx und schüttelte sich über dem Schreibtisch wach. „Kaffee – ich brauche unbedingt mehr Kaffee.“

„So dringend wie ich die Heiratstipps von meiner Mutter brauche. Kannst du nicht zur Abwechslung mal Saft trinken, verdammt noch mal?“

Larx runzelte die Stirn. Yoshi war schwul, aber nicht geoutet. Außer Larx, dem verschrobenen Künstler, mit dem Yoshi zusammenlebte, und seiner Schwester wusste es niemand. Sein Partner Tane Pavelle war Nancys jüngerer Bruder. Nach der Highschool war dieser aus der Kleinstadt, die für ihn wie ein Gefängnis gewesen war, ausgebrochen, aber nach einer Reihe unglücklich verlaufener Abenteuer, über die er nie sprach, war er zurückgekehrt. Heute betrieb er eine der kleinen Touristen-Galerien in Colton.

Im Herbst nach Tanes Rückkehr hatte Yoshi sich auf eine offene Stelle beworben und ein Jahr später hatten Nancy und Yoshi Larx eingeweiht. Im Gegenzug kannte Yoshi inzwischen fast alle Details seiner Scheidung, und die waren nicht schön.

Yoshi war wahrscheinlich der einzige, mit dem Larx über Kellan und Isaiah sprechen konnte. Und darüber, wie er von innen zu leuchten begann, wenn er auf Aarons kleines, zweistöckiges Haus am Waldwirtschaftsweg zulief. Aber für das zweite Thema war er noch nicht bereit.

„Was weißt du eigentlich über Julia Olson?“, fragte Larx stattdessen.

Yoshi zog die Luft durch die Zähne. „Da fällt mir ja fast kein passendes Schimpfwort ein. Und ich spreche drei Sprachen.“ Französisch, Spanisch und Englisch.

„Kellan sagt, sie hat Bruce, die Schlange, umgebracht.“

Yoshis rundes, jungenhaftes Gesicht verzog sich zur schmerzerfüllten Grimasse. „Bruce? Die hat Bruce auf dem Gewissen? Ich muss mal meine Großmutter fragen, ob ihr ein japanischer Fluch einfällt, denn ich kann dir sagen …“

„Genau. Eine üble Sache. Und jetzt ist sie in Isaiah Campbell verknallt und hat ihn gefragt, ob er mit ihr zum Homecoming-Ball geht. Und weißt du …“

Yoshi zog wieder ein Gesicht. „Für den Scheiß ist er viel zu schlau.“

„Seh’ ich zwar auch so, aber er hat leider ja gesagt. Wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Ich hab kein gutes Gefühl dabei.“

„Verstehe. Gib dem Troll kein Futter.“

„Und die ist ein Mega-Troll.“

Yoshi schauderte. „Die hoffentlich nicht den ganzen Wald vollkackt. Und du bist gerade meiner Frage zu Deputy George ausgewichen. Wie ist er denn so?“

„Na ja, du kennst ihn doch. Solide, freundlich. Schöne Augen.“ Shit.

„Ich wusste es!“ krähte Yoshi.

„Was denn? Ich mach nur Spaß. Ich meine, er hat tatsächlich schöne Augen…“ – blau, klar, Lachfalten um die Augenwinkel –, „… aber das hab’ ich nur so erwähnt. Kleine Humoreinlage. Da war nichts. Ich bin unschuldig. Guck mich nicht so an!“

Yoshi brach fast über seinem Eiersalat-Sandwich zusammen. „Du magst ihn.“

„Wir joggen zusammen! Ich weiß ja, dass du dich gegen jede körperliche Aktivität sträubst …“

„Ich mache Pilates“, gab Yoshi gelassen zurück.

„Wie auch immer. Beim Laufen flirtet man nicht. Ist eine Regel.“ Das Geräusch ihrer Schritte fast schon im Endspurttempo. Wie Aaron schwungvoll mit der Basecap nach ihm ausholte, um Larx dazu zu bringen, langsamer zu machen. Wie Larx nur ein ganz bisschen auswich, sodass die Mütze ihn beim nächsten Ausholen streifen würde. Wie sie wieder nebeneinander liefen. Und sich unterhielten.

„Dein Büro ist wirklich hässlich“, bemerkte Yoshi plötzlich, ohne erkennbaren Anlass. Aber Larx wusste es besser.

Larx sah sich um: bedrückende Täfelung aus den Sechzigerjahren, grüner Teppich, unglaublich unbequeme Besucherstühle. „Ich hab’s ja nicht eingerichtet“, antwortete er.

„Ich habe mich nur gefragt,“ Yoshi biss noch mal in sein Sandwich, kaute gleichmäßig und schluckte dann den Bissen herunter, „wie eigentlich das Büro von deinem Rektor aussah, als du noch zur Schule gegangen bist?“

„Beigefarbene Pinnwände“, antwortete Larx prompt. „Ein billiger Resopal-Schreibtisch. Stapelweise Akten überall.“

„War wahrscheinlich so was wie dein zweites Zuhause.“ Yoshi leckte sich nach dem letzten Bissen die Finger ab.

„Ich hatte sogar ein eigenes Zustellbett. Warum reden wir darüber?“

„Ich meine nur, du bist ein so unglaublich miserabler Lügner, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass du mit irgendwas durchgekommen bist in der Highschool. Vergiss das Zustellbett – ich wette, du hattest einen eigenen Waschraum, einen Spind und eine Namensplakette.“

Larx warf ihm einen schlecht gelaunten Blick zu. Yoshi lag nicht ganz falsch mit dem Bild von dem zweiten Zuhause im Büro des Rektors. Allerdings war das am Ende seiner Schulzeit hauptsächlich der Nostalgie geschuldet, denn Johnny Erikson und er waren damals eigentlich schon Freunde gewesen. Erikson hatte Larx damals überzeugt, sich nicht in den Abgrund fallenzulassen, als schlaksiger Jugendlicher, der alles und jeden scheiße fand, noch bevor die anderen ihn scheiße finden konnten. Er hatte ihn vor sich selbst bewahrt.

Seither lebte Larx dafür, das zurückzugeben.

„Wann habe ich denn gelogen?“, fragte er Yoshi.

Yoshi zuckte die Achseln und öffnete eine Tüte Kartoffelchips mit Barbecuegeschmack. Er bot Larx einen an. Larx griff automatisch danach und verfluchte sich dann sofort, denn jetzt wollte er am liebsten die ganze Tüte.

„Du hast gesagt, er hat schöne Augen. Das stimmt ja auch. Aber du hast es nicht im Spaß gesagt. Du findest ihn gut, gib’s ruhig zu.“

„Wir haben uns bisschen angefreundet.“ Das war die reine Wahrheit.

„Hast du schon mal darüber nachgedacht, du weißt schon. Warum ausgerechnet jetzt? Ihr kennt euch doch schon seit Jahren. Footballspiele, Elternversammlungen, Schulveranstaltungen … Warum fragt er dich denn ausgerechnet jetzt, ob du mit ihm joggen gehen willst?“

Larx zuckte die Achseln. „Weil ich an der Straße entlanggelaufen bin?“ Und genau wie Johnny Erikson hatte Aaron Larx nicht an seiner eigenen Sturheit kaputtgehen lassen wollen, sondern war eingeschritten.

„Oder vielleicht habt ihr beide nicht mehr viel Zeit, bis eure Kinder aus dem Haus sind, und könnt endlich auch mal wieder an euch denken.“

Larx runzelte die Nase und sah automatisch auf das Display seines Telefons. Von Olivia kamen im Schnitt ungefähr sieben Nachrichten pro Tag; manchmal wollte sie auf der Stelle seine Aufmerksamkeit, obwohl sie beide erwachsen spielen – ihr Ausdruck – mussten.

„Du hast wirklich eine sehr verklärte Vorstellung davon, was es heißt, wenn Kinder das Nest verlassen, mein Freund“, teilte ihm Larx grimmig mit. Sieben Nachrichten pro Tag war ja noch zivil. Als Olivia gerade frisch nach San Diego umgezogen war, waren es täglich um die 20 gewesen, eine aufgebrachter und leidender als die andere.

„Und Du, mein Freund, brauchst wieder ein Sexleben. Oder ein Liebesleben. Oder überhaupt ein Leben, das sich nicht um diese Schule oder deine Kinder dreht.“

„Bist du high?“, fragte Larx freundlich. „Ich meine, das hat ja wie Eiersalat ausgesehen, aber wer weiß … Hat Tane wieder Farben angemischt?“ Er lächelte verschwörerisch. „War da vielleicht ein bisschen Blei drin? Denn ich könnte schwören, dass du mir gerade vorgeschlagen hast, einen höchstwahrscheinlich heterosexuellen Mann – den Deputy des Sheriffs dieser winzig kleinen Redneck-Stadt noch dazu – anzugraben. Ich mag zwar bi sein …“

„Bi?“, fragte Yoshi mürrisch. „Wirklich, Larx? Bi?“

„Ich mag Frauen“, antwortete Larx geduldig. Das stimmte. Vielleicht nicht ganz so sehr wie Männer. Er bereute es bitter, das seiner Ex-Frau jemals verraten zu haben. Nicht, weil sie ihn dafür hasste, sondern weil sie es an den Kindern ausgelassen hatte. Ein Drama vor dem Familiengericht, das Gott sei Dank vertraulich behandelt wurde, und dann war Larx mit den beiden Kindern glücklicherweise aus Sacramento samt seiner engstirnigen Schulleitung entkommen, die ihre Lehrer lieber ans Messer lieferte, als sich hinter sie zu stellen.

„Jetzt hör schon auf mit dem Theater, Larkin“, schnappte Yoshi. „Ich bin’s, dein bester Freund, wie du dich vielleicht erinnerst. Und du hast gerade gesagt, dass der Typ schöne Augen hat.“

„Na ja“, murmelte Larx und stibitzte einen weiteren Kartoffelchip. Er hatte sein eigenes Mittagessen vergessen und würde vermutlich nichts weiter bekommen, bis er nachher einen Hotdog vom Stand der Schule klauen konnte. „Das sieht doch jeder. So ein Blau findet man nicht an jeder Ecke.“

Yoshi warf einen Chip nach ihm und Larx fing ihn auf und aß ihn. Dann warf Yoshi den ganzen Beutel, ohne dass etwas herausflog. „Iss. Und ich gehe dir einen Saft besorgen. Du brauchst wirklich einen Pfleger, Larx. Ich schwöre, ich habe schon genug damit zu tun, Tane daran zu erinnern, dass er hier auf Erden lebt und nicht in einer Welt der erhabenen Inspiration. Dieser Kerl könnte sich um dich kümmern. Vertue die Chance nicht.“

„Müssen wir nicht den Homecoming-Umzug planen?“, murmelte Larx, aber Yoshi war bereits in Richtung der Automaten davongestapft und hatte Larx mit seinen Chips zurückgelassen.

Mmm, Barbecue-Geschmack. Larx könnte das den ganzen Tag essen.

Spiele

 

 

„HALLO!“ AARON nickte der Familie zu, die durch das Schultor trat und unsicher in all die weißen Gesichter auf der Heim-Seite starrte. „Willkommen in Colton. Rektor Larkin da drüben wird Ihnen gleich gute Plätze zuweisen.“

Er lächelte ermutigend, und der Vater zeigte reflexartig ebenfalls die Zähne. Dann huschte sein Blick vorsichtig von Aarons Dienstmarke in Richtung Spielfeld. Entspannt war er nicht. Verdammt noch mal.