Herbstversprechen auf Gracewood Hall - Sandra Rehle - E-Book

Herbstversprechen auf Gracewood Hall E-Book

Sandra Rehle

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Beschreibung

Liz Sommer kann es selber kaum glauben, in wenigen Wochen heiratet sie ihren absoluten Traummann Max auf Gracewood Hall. Und während die Bedfords diesen Tag unvergesslich machen wollen, haben Max ehemalige Schwiegereltern ganz andere Pläne... ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀

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Sandra Rehle

Herbstversprechen

auf

Gracewood Hall

 

 

 

In Gedenken an Carla Kunte

 

Das Buch

Liz Sommer kann es selber kaum glauben, in wenigen Wochen heiratet sie ihren absoluten Traummann Maxwell Thompson auf dem malerischen Herrenhaus der Familie Bedford, „Gracewood Hall“.

Und während die Bedfords diesen Tag unvergesslich machen wollen, haben Max ehemalige Schwiegereltern ganz andere Pläne...

 

Die Autorin

 

Die Liebe zu Büchern zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Sandra Rehle. Daher war es ganz natürlich, dass sie alles über Bücher und Geschichten lernen wollte. Nach vielen Jahren als Verlagskauffrau und Historikerin schreibt sie nun eigene Geschichten.

„Herbstversprechen auf Gracewood Hall“ ist der fünfte Band ihrer „Gracewood Hall“ Reihe. Alle Teile können unabhängig voneinander gelesen werden.

Sie lebt und liebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im schönen Hamburg.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter dnb.dnb.de abrufbar.

 

Impressum

© 2021 Sandra Rehle, Minsbekweg 17, 22399 [email protected]

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt

Covergestaltung: Sandra Rehle, Hamburg

Covermotiv: © Shutterstock.deISBN: 9783753441481

 

Familie Bedford und ihre Freunde,

 

die in „Herbstversprechen auf Gracewood Hall“ eine Rolle spielen

 

Richard Bedford, Oberhaupt der Familie

Vivien Bedford, seine Frau, erfolgreiche Künstlerin Nigel Bedford, ältester Sohn mit roten Haaren und einem eigenwilligen Kleidungsstil

Arthur Hayes, Nigels große Liebe

Nora Parker, geborene Bedford, die Tochter, begnadete Sängerin,

Timothy (Tim) Parker, ihr Ehemann, arbeitet im Londoner Finanzwesen

Nicholas (Nick) Bedford, das jüngste „Kind“, leidenschaftlicher Fotograf mit viel Charme

Maxwell Thompson, Nigels Schulfreund aus Internatszeiten, Ziehsohn der Bedfords

Liz Sommer, lebhafte Bloggerin aus Deutschland, wirbelt Max Leben gehörig durcheinander

Milla Sjögren, weltreisende Yogalehrerin mit einem Plan

Bree Sullivan, weltreisende Friseurin ohne Plan

Mrs. Mildred Cuthbert, Haushälterin

Mr. Walter Cuthbert, ihr Mann und Forstwirt

Annie Taylor, arbeitet aushilfsweise auf Gracewood Hall

die Kinder

Claire Parker, Tochter von Nora und Timothy

Henry Parker, Sohn von Nora und Timothy

Lilly Thompson, Tochter von Maxwell und Diana

 

 

Ein vollständiges Personenverzeichnis findest du auf meiner Homepage http://www.sandrarehle.de

Freitag - Kapitel 1

 

„Wenn ich noch eine weiße Taube sehe, schreie ich“, rief Liz und ließ ihren Kopf auf den Schreibtisch sinken.

„Okay, dann keine weißen Tauben. Ich schreibe Nigel gleich eine Mail“, schallte es über den Flur.

„Ich weiß, du hast dich so darauf gefreut, aber was sein muss, muss sein!“ Liz richtete sich auf, als rüste sie sich zum Kampf. „Und wo wir gerade dabei sind, keine Schwäne und auch keine goldenen Ringe, Glocken oder pummlige Brautpaare!“

„Oh nein! Nicht auch noch das pummlige Brautpaar!“

Sie drehte sich um und da stand er. Die dunklen Haare noch verstrubbelt von der Nacht, lehnte er lässig am Türrahmen und ihr Herz ging auf.

„Schon wieder eine Werbemail von einem Hochzeitsausstatter?“, fragte Max mitfühlend. Er arbeitete heute ausnahmsweise von Zuhause aus und hatte nur Bluejeans und eines seiner vielen grauen T-Shirts an.

„Eine? Seit ich verkündet habe, dass wir heiraten werden, platzt mein Postfach aus allen Nähten! Dabei habe ich schon mehrfach betont, dass ich alles beisammen habe und keine Dekoartikel oder so mehr brauche. Aber manche Firmen sind da wirklich… beratungsresistent.“ Liz grinste schief. „Du hast keine Ahnung, was für scheußliche Sachen es gibt! Da könnte einem glatt die Lust aufs Heiraten vergehen. Ich bin so froh, dass ich vor unserer Hochzeit noch die der Websters auf Gracewood erleben konnte!“

„Ich sage jetzt nicht, dass du unsere Hochzeit vielleicht erst im Nachhinein hättest verkünden sollen.“ Max trat auf sie zu und lächelte.

„Nein, ich höre auch gar nichts!“, antwortete sie und erwiderte sein Lächeln. Sie hatten schon mehrfach darüber gesprochen, wie viele private Infos sie auf ihrem Blog teilen wollte, schließlich war sie nun nicht mehr allein. Aber den passenden Weg hatten sie noch nicht gefunden.

Er nahm ihre Hände, zog sie schwungvoll auf die Füße und legte seine Arme um sie. „Ich frage dich nur…“ Er senkte seine Stimme und in ihr begann alles zu vibrieren.

„Ja?“, hauchte sie. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie in ein paar Wochen mit ihm verheiratet wäre. Hätte ihr das jemand vor einem Jahr erzählt, sie hätte ihn ausgelacht.

Max hob sie langsam hoch und begann kleine Küsse hinter ihrem Ohr zu verteilen. Er konnte einfach nicht genug von ihr bekommen. Ihr wohliger Seufzer verriet ihm, dass es ihr ähnlich ging.

„…ob du auch einen Espresso möchtest“, beendete er den Satz, obwohl er längst etwas anderes im Sinn hatte.

Liz prustete los. „Wie könnte ich bei einem so verlockenden Angebot nein sagen?“

 

***

 

„Hallo?“ Nora rieb sich die Augen. War sie etwa eingeschlafen? Verdammt! Seit dem Sommer passierte ihr das immer wieder. Ihr Tages- und Nachtrhythmus war völlig durcheinander.

„Habe ich dich etwa geweckt?“ Nigels Stimme tönte durch den Hörer und sie zuckte zurück. „Es ist elf Uhr! Vormittags!“

„Hallo Bruderherz“, murmelte sie und gähnte.

„Du hast tatsächlich geschlafen!“, hielt er ihr entrüstet vor. „Musst du nicht arbeiten?“

„Heute ist mein freier Tag und bevor du jetzt wieder so tust, als wärst du Mum: Die Kinder waren pünktlich in der Schule und im Kindergarten und Tim auf der Arbeit und dort sind sie alle noch.“

„Vielen Dank für die Information, auch wenn es mich gar nichts angeht“, gab er konsterniert zurück.

Nora verdrehte die Augen. Manchmal klang ihr Bruder wie ein altes Klatschweib. Sie atmete tief ein und stand auf. Sie würde sich einen Kaffee machen und dann nach der Wäsche sehen.

„Wie kann ich dir helfen?“, fragte sie, während sie den Kühlschrank öffnete und die Milch herausholte.

„Es geht um Liz Jungesellinnenabschied. Ich dachte, ich komme nach London und wir ziehen durch die Clubs.“ Nigels Stimme hatte sofort einen anderen Klang angenommen. Sie sah ihn förmlich vor sich, wie er vor lauter Aufregung rote Wangen bekam.

„Meinst du nicht, ein Wellnessausflug würde ihr viel besser gefallen?“, warf sie ein und schaltete die Kaffeemaschine an. Sie sah sich um. Hatten sie irgendwo noch ein Stück Schokolade, das die Kinder noch nicht gefunden und vernichtet hatten?

„Nicht jeder von uns ist den ganzen Sommer mit einer Rockband auf Tour gewesen und hat sich ausgetobt“, schoss Nigel zurück.

„Es waren nur drei Wochen und ich…“

„Siehst du, sag ich doch, den ganzen Sommer!“, unterbrach er sie. „Wir leben in Mitteleuropa, hast du das vergessen?“

„Und ich habe mich nicht ausgetobt!“, sprach sie weiter. Es reichte schon, dass Tim sie mit seiner Eifersucht wahnsinnig machte, da musste Nigel nicht auch noch in die gleiche Kerbe schlagen. „Abgesehen davon, organisiert nicht normalerweise die Brautjungfer den Jungesellinnenabschied?“, fuhr sie fort und öffnete dabei sämtliche Küchenschränke.

„Hat die sich denn bei dir gemeldet? Was klapperst du denn da?“, beschwerte Nigel sich.

„Erstens, nein, Lena hat sich noch nicht bei mir gemeldet und zweitens suche ich Schokolade!“ Allmählich knurrte sie mit den Zähnen. Wie verfressen war ihre Familie denn?!

„Hast du schon in deiner Sockenschublade nachgesehen?“, versuchte Nigel den Prozess zu beschleunigen.

„Wie bitte?“ Ruckartig richtete Nora sich auf und erschrak. Beinahe hätte sie sich die Schranktür in den Schädel gerammt. Mit einem tiefen Atemzug schloss sie sämtliche Türen wieder.

„Als wir letztens bei euch waren, hast du die Pralinen, die dir Mum und Dad aus Paris mitgebracht haben, in deiner Sockenschublade versteckt“, erläuterte er hilfsbereit.

„Stimmt!“ Sie erinnerte sich und lief mit ihren langen Beinen zügig ins Schlafzimmer. Eigentlich sollte sie keine Schokolade essen, es machte die Müdigkeit nicht wirklich besser und außerdem hatte sie ein fabelhaftes Kleid im Schrank hängen, das sie gern zur Hochzeit von Max und Liz anziehen wollte. Vielleicht sollte sie doch wieder mehr Sport machen.

„Und? Hast du sie gefunden?“, erkundigte er sich.

„So schnell bin ich auch wieder nicht“, gab sie zurück, aber Nigel, der nach ihrer deutlich kleineren Mutter kam, schnaubte nur.

„Yes! Danke, kleiner Bruder!“ Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Noras Gesicht aus, als sie die exquisiten Pralinen in die Küche trug und sofort prüfte, ob die Kaffeemaschine heiß genug war.

„Können wir zum eigentlichen Thema zurückkommen?“ Nigel wurde ungeduldig. „Ich habe auch noch andere Sachen zu tun!“

„Nun sei nicht so ein Griesgram. Es kann ja keiner, was dafür, dass du auf Diät bist!“, erwiderte Nora und drückte auf das Symbol für einen extra starken Latte Macchiato. Augenblicklich wurde es laut. Sie lief ein paar Schritte in den Flur. „Also, ich glaube nicht, dass Liz einfach nur durch irgendwelche dreckigen Pubs und Schwulenclubs ziehen möchte.“

„Ich habe nichts von Schwulenclubs gesagt! Wir können auch gern in Läden für Heten gehen.“

Nora musste grinsen. Sie sah regelrecht vor sich, wie er die Hände in die Hüften stemmte und fuhr fort: „Findest du nicht, sie hat etwas Einmaliges verdient?“

„Sicher hat sie das! Und eine Nacht mit mir in den Londoner Clubs ist auf jeden Fall unvergesslich.“ Nigel grinste. „Wir können auch noch einen Stripper besorgen.“

Aber Nora hörte ihm gar nicht richtig zu. Während sie überlegte, fiel ihr Blick auf die Pralinenschachtel. Das war DIE Idee!

 

***

 

„Wann war noch mal die Veranstaltung von dem Typen?“, erkundigte sich Max, während er die Espressomaschine bediente.

„Meinst du Chris Roberts?“ Liz war im Türrahmen stehen geblieben und dehnte ihre Beinrückseiten.

„Ja, was macht der nochmal genau?“

„Persönliche Weiterentwicklung. Das ist das neue Trendthema. Glaub mir, in ein paar Monaten fahren auch in Europa alle darauf ab. Noch ist die Szene hier eher klein.“ Sie wechselte die Seiten und zog damit Max Aufmerksamkeit auf sich.

„Schatz, fall nicht die Treppe runter“, bat Max, als er sah, was sie tat.

„Werde ich nicht, aber wenn es dir damit besser geht…“ Sie hüpfte die drei Stufen in den Wohnbereich hinunter.

„Eine Braut mit Krücken ist…“, wollte er auf ihr Augenrollen antworten, aber sie unterbrach ihn.

„Ach, soll das heißen, mit Krücken bin ich dir nicht schön genug und dann heiratest du mich nicht?“ Liz strahlend blaue Augen funkelten.

„Nein. Ich denke nur, dass du ungern mit Krücken zum Altar humpeln möchtest“, antwortete er. Er startete die Maschine und lief auf sie zu. „Ich liebe dich unendlich, das weißt du. Ich würde dich auch noch blind, stumm und lahm heiraten.“

„Stumm nehme ich dir tatsächlich ab!“ Sie schmunzelte.

„Manchmal wünsche ich mir tatsächlich etwas mehr Stille“, gab er zu und nahm sie lächelnd in die Arme.

„Tja, schade nur, dass deine Tochter ebenfalls gern redet“, erinnerte sie ihn.

„Ja, mit euch zwei habe ich wirklich ein schweres Los gezogen!“ Sein Blick strafte seine Worte Lügen. Er senkte den Kopf und sie schloss erwartungsvoll die Augen. Bevor sich ihre Lippen trafen, klingelte sein Smartphone.

Enttäuscht ließ er den Kopf hängen. „Das ist die Arbeit. Sorry, da muss ich ran gehen.“

„Ich weiß.“ Liz lächelte und gab ihm einen schnellen Kuss, bevor sie zur Maschine hinüberging und sie stoppte. „Beeil dich, dann können wir hier weitermachen!“ Sie zwinkerte ihm zu und ein dickes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er ans Telefon ging.

„Ja!“

„Max, sorry, ich störe dich nur ungern. Aber ich habe Lillys Großeltern in der Leitung“, meldete sich seine Assistentin Laura.

„Lillys Großeltern?“, wunderte er sich, schließlich hatte seine Mutter seine Handynummer. Aber dann ging ihm ein Licht auf. „Dianas Eltern? Rufen sie etwa aus Hongkong an?“

„Es ist eine Londoner Nummer…“

„Gib sie mir, danke!“ Er warf Liz einen fragenden Blick zu, aber auch sie konnte nur mit den Achseln zucken. Schließlich hatte sie Lillys andere Großeltern noch nicht kennengelernt. Sie hatten schon immer in Hongkong gelebt und daran hatte auch Dianas Tod nichts geändert. Max hatte ihr erzählt, dass sie früher öfter in London zu Besuch gewesen waren. Gespannt beobachte sie, wie er den Anruf entgegen nahm.

„Hallo, hier ist Max.“

 

***

 

„Paris?“, wiederholte Nigel überrascht.

„Ja, klar! Das ist perfekt! Kunst, Kultur, tolles Essen. Wir können in Grannys Wohnung schlafen und für Liz Freundin ist es auch nicht so weit!“

„Kunst und Kultur?“ Nigel überlegte. Er hatte nichts dagegen, eigentlich mochte er all das sehr gern. „Aber… Das ist doch nichts für einen Jungesellinnenabschied!“, wandte er ein.

„Wer sagt, dass man sich dabei immer hemmungslos betrinken muss?!“, wollte Nora wissen.

„Aber wo bleibt denn dann der Spaß?“

Nora schnaubte nur. „Hast du vergessen, wie lange wir nach einer durchzechten Nacht mittlerweile leiden?“

„In deinem Alter vielleicht!“, konterte er, denn so leicht wollte er nicht aufgeben. Er hatte sich auf einen ausgelassenen Partyabend mit lauter Musik und heißen Typen gefreut!

„Das Schöne am Älterwerden ist ja, dass es uns früher oder später alle trifft“, gab sie elegant zurück und Nigel grummelte in seinen nicht vorhandenen Bart.

„Du liebst Paris!“, erinnerte Nora ihn.

„Das habe ich nicht bestritten.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hatte mich nur schon so aufs Tanzen gefreut.“

„Die Franzosen sollen auch feiern können. Habe ich mir zumindest sagen lassen“, antwortete sie.

„Ein Pariser Club?“

„Warum nicht?“ Sie zuckte mit den Achseln. „Wir fahren Freitag hier los, wir könnten den Zug nehmen und sind dann schon direkt in der Innenstadt und müssen nicht erst ewig mit dem Shuttle fahren. Komm schon, gib dir einen Ruck! Wir essen bei Pierre und laufen dann durch die Gassen von Montmatre zur Kathedrale Sacre Coeur und sehen uns die Lichter vom Eiffelturm an“, lockte sie ihn und bekam dabei selbst unglaubliche Lust dort zu sein. „Samstag können wir erst shoppen und dann im „Grand Palais“ essen.“

„Macarons von Pierre Hermé und die Eclairs von Christophe Adam!“, stieg er auf die Schwärmereien seiner Schwester ein.

„Erinnerst du dich an diesen kleinen Chinesen im Marais?“, fragte sie und Nigel lachte.

„Okay, okay! Du kannst aufhören mir Bilder in den Kopf zu setzen. Buch die Zugtickets und ruf diese Lena an.“

Nora quietschte vor Freude laut auf und Nigel zuckte zusammen. Das war der größte Nachteil vom Telefonieren mit dem Headset. So schnell hatte man die Kopfhörer nicht aus den Ohren gezogen.

„Ich bin mir sicher, dass Liz ausflippen wird. Schließlich war sie seit Monaten nicht mehr unterwegs. Du weißt, wie sehr sie das Reisen liebt!“

„Ja, ich weiß“, bestätigte er und lächelte. Sie würden nach Paris fahren! Er würde sofort recherchieren, ob es seinen Lieblingsclub von damals noch gab. Da waren immer die tollsten Typen von ganz Paris zusammengekommen.

„Alles klar, dann lass uns auflegen. Ich will das alles gleich festmachen. Ich melde mich bei dir! Salut!“

„Salut!“, verabschiedete er sich ebenfalls auf Französisch und schmatzte zwei Küsse ins Telefon, bevor er auflegte.

 

***

 

„Und? Was haben sie gewollt? Ich habe nicht alles verstanden!“, erkundigte sich Liz angespannt. Sie hatte beobachtet, wie Max sich während des kurzen Telefonats immer versteift hatte. Nun legte er matt das Handy auf den Küchentresen und lehnte sich schwer dagegen.

„Sie sind hier und wollen mich sehen“, antwortete er.

„Sie wollen dich sehen? Das verstehe ich nicht. Was ist denn mit Lilly?“ Sie zog die Stirn kraus.

„Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie erst irgendwas Organisatorisches besprechen. Sie werden etwas länger hier sein, da ist bestimmt noch Zeit für ein Treffen mit ihr.“

„Etwas Organisatorisches?“, hakte Liz nach. „Wissen sie von unserer Hochzeit?“

„Ja, ich habe Ihnen geschrieben. Ich dachte, sie sollten es wissen“, gab er zurück.

Liz nickte mechanisch, wenn sie darüber nachgedacht hätte, hätte sie es vermutlich genauso getan. Aber dadurch, dass Lillys Großeltern in ihrem Leben kaum eine Rolle spielten, hatte sie sie überhaupt nicht auf dem Radar gehabt.

„Ich verstehe trotzdem nicht, warum sie ausgerechnet jetzt kommen. Sie waren weder zu Lillys Geburtstag, noch zu ihrer Einschulung hier“, wunderte sie sich laut. „Oder haben sie sowieso hier zu tun?“

„Ich weiß es nicht, Schatz!“ Max sah sie an und zuckte mit den Schultern. „Ich wundere mich auch.“

„Bleiben Sie bis zur Hochzeit?“, wollte sie noch wissen, aber wieder zuckte er mit den Schultern.

„Ich habe keine Ahnung!“

Liz beobachtete ihn, wie er so dastand und ihr Herz ging auf. Gott, sie liebte diesen Mann über alles. Langsam ging sie auf ihn zu, legte die Hände auf seine Brust und suchte seinen Blick.

„Es ist doch egal, warum sie ausgerechnet jetzt hier sind. Wenn sie mehr Anteil an Lillys Leben haben möchten, ist das doch großartig! Vielleicht haben sie einfach Zeit gebraucht… Ein Kind zu verlieren, selbst wenn es schon erwachsen ist, muss furchtbar sein.“ Sie trat noch einen Schritt näher, nahm sein Gesicht in ihre Hände und lächelte ihn aufmunternd an. „Es wird alles fantastisch werden, du wirst sehen. Und wenn sie bis zur Hochzeit bleiben, würde ich mich freuen, wenn sie mit uns feiern.“

Max ließ seine Wange in ihre Hand sinken und sah in ihre unglaublich blauen Augen. „Du bist zu gut für diese Welt.“ Er zog sie ganz nah zu sich heran und bettete sein Kinn auf ihrem Kopf. Kurz schloss er die Augen. Seine ersten Schwiegereltern waren alles andere als einfach und umgänglich und so hoffte er inständig Liz würde Recht behalten.

„Ich mach mir die Welt, wiedewiedewie sie mir gefällt“, sang sie auf Deutsch, während sie sich an ihn schmiegte, aber er verstand sie auch so. Schließlich hatten sie mittlerweile nicht nur alle Astrid Lindgren Bücher im Haus, sondern auch alle Filme gesehen und Lilly liebte die Geschichten nun mindestens genauso wie Liz.

„Das tust du und ich bin so dankbar dafür!“ Er drückte sie noch einmal fest an sich und küsste sie auf die Scheitelkrone. „Wollen wir jetzt unseren Kaffee trinken?“

„Auf jeden Fall!“ Sie musste lachen.

Er löste sich von ihr und sah sie verwundert an. „Was ist so lustig?“

„Mir ist nur eben eingefallen, was Nigel sagen würde, wenn er jetzt hier wäre.“

„Und?“

„Er würde sagen, dass er auf DEN Schreck einen doppelten Karamell Macchiato in Venti mit extra Schlagsahne braucht!“ Kaum hatte sie ausgesprochen, lachte auch Max laut auf. Dann sah er sie ernst an, nur das Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn.

„Ich nehme alles zurück! Du bist doch nicht nur lieb und gut!“

„Hey, was fällt dir ein?!“ Sie boxte ihn leicht gegen den Oberarm. „Ich bin ja wohl die netteste Person der Welt!“

„Ach ja?“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Nette Personen verprügeln ihre Verlobten aber nicht!“

„Wer wurde verprügelt?“ Sie sah sich suchend um und schob ihn beiseite. „Mach Platz, ich muss schnell zu dem Opfer und es verarzten.“

„Na warte!“ Er schlang seine Arme um ihre Mitte, zog sie zu sich heran, begann ihren Nacken zu küssen und sie gleichzeitig zu kitzeln. Liz wand sich quiekend hin und her und versuchte seinen Küssen zu entkommen.

„Max!“, keuchte sie.

„Was denn?“, fragte er ganz unschuldig und hielt kurz inne, damit sie wieder Luft holen konnte.

„Der Kaffee wird kalt“, erinnerte sie ihn. „Außerdem müssen wir wieder weiter arbeiten.“

„Spielverderberin“, murrte er und drückte ihr einen letzten Kuss auf, bevor er sie bedauernd losließ.

 

***

 

Zufrieden lehnte Nora sich zurück. Es war alles fertig geplant. Jetzt musste nur noch Lena antworten und dann konnte sie alle Tickets buchen, sowie die Reservierungen in den Restaurants festmachen und der Concierge von Grannys Wohnung Bescheid geben. Nora freute sich ungemein, dass der Trip innerhalb von ein paar Stunden organisiert war. Sogar für einen Clubbesuch war Zeit. Sie hatte sich bei ihren Bandmitgliedern, die wirklich überall auf der Welt Leute kannten, erkundigt und eine Liste der fünf momentan angesagtesten Diskotheken bekommen.

Zum wiederholten Mal schaute sie in ihr Emailpostfach. Endlich, da war die Antwort von Lena. Mit einem Doppelklick hatte sie sie geöffnet und begann zu grinsen. Perfekt! Lena hatte Zeit und freute sich sehr. Nora sprang auf und legte ein kleines Tänzchen aufs Parkett, dann fiel ihr Blick auf die Uhr. Mist! Sie wollte doch noch einkaufen und in einer Stunde musste sie Henry vom Kindergarten abholen und Claire kam dann auch von der Schule!Eilig schaltete sie den Rechner aus und hastete los. Ein flinker Blick in den Flurspiegel verriet ihr, dass es doch besser gewesen wäre heute früh die roten Locken zu waschen, aber dafür war es nun wirklich zu spät. Denn eigentlich hatte sie gemütlich bei Whole Foods einkaufen wollen, aber nun würde der Tesco um die Ecke reichen müssen.

Samstag - Kapitel 2

 

Das schlechte Gewissen nagte an Max, als er Lilly zu Nora brachte. Seine ehemaligen Schwiegereltern hatten ausdrücklich darum gebeten ihn allein zu sehen. Irgendwie fand er es Lilly gegenüber ungerecht, dass sie sie nicht sehen wollten. Er verstand es auch nicht. Wäre das nicht die Gelegenheit gewesen, die Kleine mal wieder zu sehen? Denn auch wenn immer Geschenke von ihnen zu Lillys Geburtstag angekommen waren, so hatten sie doch keine echte Beziehung miteinander. An das Wort Zuneigung wollte er erst gar nicht denken. Aber weil er nicht wusste, wohin das alles führen würde, hatten Liz und er beschlossen, Lilly vorerst nicht einmal zu sagen, dass ihre Großeltern in der Stadt weilten. Mit ihren sechs Jahren war sie auch noch zu jung, um das manchmal merkwürdige Verhalten von Erwachsenen zu verstehen.

Auch Lilly schien in Gedanken zu sein. Sie saß still neben ihm im Bus. Wofür er einerseits dankbar war und andererseits sein schlechtes Gewissen nur noch verstärkte.

„Was meinst du, Süße, soll ich Scones mitbringen, wenn ich mit meinem Termin fertig bin?“, fragte er sie und legte den Arm um seine Tochter.

Aber Lilly zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Wie lange bleibst du denn weg?“

„Ich weiß es nicht, Süße. Länger als zwei oder drei Stunden sollte ich nicht brauchen. Zu einem frühen Tee bin ich bestimmt wieder da!“ Er lächelte sie aufmunternd an und stand auf. Vor ihnen tauchte schon die richtige Haltestelle auf. „Komm, wir müssen aussteigen.“

Draußen, an der Straße, nahm er das Gespräch wieder auf. „Also, soll ich Scones mitbringen oder lieber was anderes?“

„Scones sind gut, aber ohne Rosinen. Ich mag keine Rosinen!“, antwortete sie.

„Weiß ich doch Schatz!“ Max griff ihre kleine Hand und drückte sie. Lilly drückte zurück und sah einfach geradeaus. Seit Liz bei ihnen lebte, war sie nur noch selten so ruhig und in Gedanken versunken. Er unterdrückte ein Seufzen und hoffte, dass seine Tochter nichts Ernsthaftes beschäftigte.

Es war nicht weit bis zu dem Haus, in dem Nora und Tim mit den Kindern wohnten. Sie mussten nur einmal die Hauptstraße hinter sich lassen und in eine der kleineren Nebenstraßen mit den wundervollen Reihenhäusern von Hampstead einbiegen.

„Machen wir ein Wettrennen?“, fragte Lilly auf einmal.

„Wenn du willst!“ Max hatte kaum geantwortet, da flitzte sie auch schon los. Wie ausgewechselt rannte sie, mit wehenden Zöpfen den Gehweg entlang. Sie war so süß! Max lächelte erleichtert und rief sich Liz Worte ins Gedächtnis. Alles würde großartig werden.

 

***

 

„Na alter Mann, schaffst du die drei Stufen schon nicht mehr, hm?!“, frotzelte Tim zur Begrüßung, als Max laut atmend und deutlich nach seiner Tochter am Stadthaus der Parkers ankam.

„Vielen Dank für die freundliche Begrüßung! Wir haben ein Wettrennen gemacht“, erwiderte Max. „Und nur zur Erinnerung, du bist älter als ich!“ Insgeheim musste er Tim allerdings Recht geben, er war schon einmal besser in Form gewesen. Eigentlich hatte er vor der Hochzeit mehr Sport machen wollen, um im Anzug – Liz hatte noch nicht entschieden, ob Cut oder nicht – eine gute Figur zu machen. Aber irgendwie war in der Firma in letzter Zeit so viel los. Die Gerüchte über weitere Datenschutzbestimmungen in der EU und der drohende Ausstieg aus Selbiger, irritierte die ganze Digitalbranche.

„Gerüchte!“, winkte Tim ab. „Nur Gerüchte. Ich bin eindeutig keinen Tag älter als neunundzwanzigeinhalb!“ Er warf einen zufriedenen Blick in den Flurspiegel. „Man sieht mir meine Schönheit doch schon von weitem an!“

Bevor Max antworten konnte, ertönte ein lautes Lachen aus der Wohnung. „Davon war er schon überzeugt, als ich ihn gerade kennengelernt habe!“ Nora steckte ihren Kopf in den Flur. „Hey Max, kommst du kurz rein?“

„Eine gesunde Selbstliebe ist sehr wichtig!“, fuhr Tim dazwischen. „Sagst du doch auch immer!“

„Ganz genau, eine gesunde Selbstliebe“, gab Nora grinsend zurück und lief auf die beiden Männer zu. Sie sah ihrem Mann an, dass ihm die schlagfertigen Argumente ausgegangen waren und bedeutete ihm ein I love you.

„Ich muss leider gleich weiter, ich will nicht zu spät kommen“, antwortete Max endlich. „Aber ich habe Lilly versprochen Scones mitzubringen, dann können wir zusammen Tee trinken.“

„Gute Idee!“, freute sich Tim. „Für mich bitte welche mit Ingwer!“

„Geht klar!“

„Oh ja, die Kinder essen am liebsten die mit Schokostückchen, wenn du sie bekommst. Ach, und ehe ich es vergesse. Wir werden nächsten Freitag Liz zu ihrem Junggesellinnenabschied abholen. Sie wird das ganze Wochenende nicht da sein.“

„Das ganze Wochenende?“, erkundigte sich Max verwundert. „Wohin geht es denn?“

„Nach Paris!“, antwortete sie schwärmerisch.

„Ihr wollt nach Paris fahren? Das ganze Wochenende?“, wiederholte Tim.

„Ja, es ist uns spontan eingefallen und Grannys Wohnung ist auch frei“, antwortete Nora.

„Und wann wolltest du mir das sagen? Was wenn wir an diesem Wochenende den JGA für Max feiern wollten!“

„Ich brauche keinen wilden Kneipenabend, ich hatte schon mal einen, falls du dich erinnerst“, wandte sich Max an Tim, aber der riss nur die Augen auf. „Wie bitte?“

„Ich muss jetzt los. Wir können nachher noch reden!“, beschwichtigte Max und rief dann etwas lauter in den Flur hinein. „Lilly, ich gehe jetzt!“

„Bye Dad!“, schallte es zurück. Das Kind selbst blieb verschwunden. Max zuckte mit den Schultern, hob die Hand zum Abschied und eilte die Treppen wieder nach unten. Er wollte das Gespräch mit Dianas Eltern so schnell wie möglich hinter sich bringen, obwohl er nicht einmal genau sagen konnte, warum das so war.

 

***

 

Tim schloss betont ruhig die Tür, bevor er sich zu seiner Frau umdrehte. „Du hast mir auf meine Frage noch nicht geantwortet.“

Nora war schon in Richtung Küche gelaufen und blieb abrupt stehen. Tim war sauer, sehr sogar, dass hörte sie nach fünfzehn gemeinsamen Jahren sofort. Und sie spürte auch, wie Ärger in ihr aufstieg. Sie wollte jetzt nicht streiten, nicht nur weil Lilly zu Besuch war, sondern weil die letzten Wochen auch für sie anstrengend gewesen waren. Sie atmete tief ein, drehte sich zu ihm um und lief auf ihn zu.

„Entschuldige Schatz, ich dachte, ich hätte es dir direkt am Montag erzählt, als Nigel und Liz’ Freundin die Pläne gemacht haben.“ Lächelnd griff sie nach seiner Hand.

„Hast du aber nicht!“, erwiderte Tim widerwillig und sah sie verkniffen an. Er war selbst überrascht, wie wütend es ihn machte. „Seit dem Sommer machst du nur noch, was du willst! Und was mit uns ist, ob das gut läuft oder nicht, ist dir total egal“, hielt er ihr vor. Er zog seine Hand weg und verschränkte die Arme. Er wollte sie jetzt nicht berühren.

„Wie bitte?!“ Sie hatte sich wohl verhört! Nora blinzelte. „Du warst doch damit einverstanden, dass ich mit der Band auf Tour gehe! Und außerdem waren das gerade mal drei Wochen! Ich manage die Kinder und den Haushalt UND meinen Job seit ZEHN Jahren!“, zischte sie.

„Genau! Drei Wochen. Ursprünglich sollten es zehn Tage sein.“

„Machst du mir jetzt ernsthaft den Vorwurf, die Band und ich seien zu erfolgreich?!“ Sie bemühte sich weiterhin leise zu sprechen, in dem langen, hohen Altbauflur hallte es sowieso immer sehr. „Die Tourverlängerung habe ich mit dir abgesprochen.“

„Genau, das war aber auch das Letzte gewesen! Auch seitdem du zurück bist, sehen wir dich kaum noch. Entweder bist du auf irgendwelchen Proben oder du bist so müde, dass du noch vor den Kindern schläfst!““

„Ich…“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Was willst du denn von mir? Soll ich das Singen etwa wieder aufgeben, damit ich nicht mehr so müde bin?“ Irritiert sah sie ihn an. Er hatte sie immer bei allem unterstützt, genau wie sie ihn. Was war passiert, dass er ihr jetzt Vorhaltungen machte. „Ich verstehe dich nicht.“

„Wie denn auch, wenn du nie da bist!“, schoss er zurück und sie wich erschrocken einen Schritt nach hinten. So kannte sie ihn gar nicht. Es war maßlos ungerecht. Ja, sie war zweimal pro Woche zur Probe gegangen, statt nur einmal. Aber er hatte hier zuhause alles so gut im Griff gehabt, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen war, dass es ein Problem für ihn sein könnte.

Tim sah in ihr erschrockenes Gesicht und schämte sich für seinen Ausbruch. Hätte er es nicht anders formulieren können?! Er war doch wirklich sehr stolz auf sie und auf das, was sie erreicht hatte. Aber es war ihm auch alles etwas viel geworden, vor allem seitdem die Schulferien vorbei waren. Er hatte seine Frau einfach vermisst und jetzt wollte sie schon wieder ein ganzes Wochenende weg.

In ihr arbeitete es. Sie wollte raus und sie war müde und eigentlich hatte sie jetzt ganz gemütlich einen Kaffee mit Tim trinken wollen, während die Kinder schön spielten. Plötzlich kam ihr eine Idee.

 

***

 

Als Max das Foyer des Ritz betrat, beschleunigte sich sein Herzschlag immer mehr. Er hatte Peter und Eleonore seit drei Jahren nicht gesehen und nun musste er feststellen, dass er nervös war. Er kam sich irgendwie albern vor. Was sollte schon passieren?! Bewusst richtete er sich ein wenig mehr auf und ging mit selbstbewussten Schritten durch die Lobby. Kaum hatte er die Stufen zum Wintergarten erklommen, sah er sie auch schon. Peter war deutlich ergraut, aber Eleonore sah genauso aus wie damals. Die schwarzen Haare gesund glänzend zu einem Chignon gesteckt, trug sie ihre Uniform aus einem edlen Kostüm in gedeckten Farben. Wenn der plötzliche Tod von Diana Spuren hinterlassen hatte, dann musste sie sie tief in ihrem Innern vergraben haben. Von außen konnte er nichts erkennen. Schon hatte Peter ihn entdeckt und erhob sich. Max ging auf sie zu und versuchte seine Nervosität unter Kontrolle zu bringen. Wenigstens ein einziges Mal sollte es seiner Schwiegermutter nicht gelingen, ihn aus der Bahn zu werfen.

 

„Max!“, rief Peter und gab ihm die Hand. „Wie schön, dass du es einrichten konntest!“

„Ich freue mich auch, euch zu sehen!“, antwortete er mit einem aufrichtigen Lächeln. Mit Peter war er immer gut zurechtgekommen. Zumindest deutlich besser als mit…

„Maxwell“, sagte sie und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel darüber, was sie davon hielt, dass er zuerst Peter begrüßt hatte.

„Eleonore.“ Er nickte ihr zu und musste sich zusammenreißen nicht zu erschauern, so kühl fiel ihre Musterung aus. Auch jetzt, aus der Nähe, sah sie genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Als wäre alles noch wie früher und Diana wäre nur kurz rausgegangen, weil sie einen Anruf aus dem Krankhaus bekommen hätte. Jetzt bekam er doch eine Gänsehaut.

„Setz dich doch, Max!“ Peter wies auf einen Stuhl und nahm ebenfalls wieder Platz. „Erzähl, wie geht es dir? Was machen die Geschäfte?“

Er brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen und rückte den Stuhl einmal mehr als nötig zurecht. Der Flashback, so kurz er gewesen war, hatte ihn eiskalt überrascht. „Gut, es läuft gut. Danke. Natürlich hängt der Brexit wie ein Damoklesschwert über uns, aber…“

„Ach ja, es ist ein Drama. Wie sieht denn die aktuelle Regelung…“, wollte Peter wissen, aber Eleonore fiel ihm ins Wort.

„Wir sind nicht hier, um über Politik zu sprechen. Ich bin mir sicher, dass Maxwell alles Nötige getan und Strategien entwickelt hat, um seine Firma gut durch diese Krise zu bekommen.“

Max zuckte kurz zusammen. Er fühlte sich wie ein gescholtener Schuljunge und nicht zum ersten Mal dachte er, dass seine Internatslehrer von Eleonore Kwan noch etwas lernen konnten. Dennoch war er auch erleichtert. Eleonores Bemerkung verschaffte ihm die Möglichkeit, sofort zum Grund für ihren Besuch zu kommen. Er zwang sich zu einem Lächeln. „Weswegen seid ihr denn hier?“

„Wir wollten dich sehen. Dürfen wir das nicht?“, fragte sie ebenfalls lächelnd zurück.

„Selbstverständlich. Ihr seid mir immer willkommen, dass wisst ihr und ich freue mich euch so wohlauf zu sehen“, erwiderte er.

„Wie geht es Lilly? Du hast geschrieben, sie geht jetzt in die Schule?“

„Lilly ist wohlauf und die Schule macht ihr großen Spaß.“ Irgendwie hätte er noch mehr erzählen können, aber ihm blieben die Worte im Halse stecken. Er wusste, egal, was er ihr erzählen würde, es würde sie nicht beeindrucken. Nicht, dass es ihm wichtig war, dass seine Tochter beeindruckende Leistungen erbrachte, aber Eleonore und Peter sahen das anders. Er hatte es oft genug bei Diana erlebt.

„Auf welchem Internat hast du sie angemeldet?“, wollte Eleonore wissen und beobachtete ihn genau.

„Wir haben noch nicht entschieden, es ist ja auch noch Zeit“, gab er zurück, obwohl Liz und er sich einig waren, sie nur aufs Internat zu geben, wenn sie es wirklich wollte. Es gab auch in London hervorragende Schulen. Er wünschte, der Kellner würde endlich auftauchen. Wie konnte das Gespräch schon nach so kurzer Zeit so unangenehm werden.

„Das dachte ich mir schon.“ Sie nickte sich selbst zu.

„Was soll das heißen?“, fragte er nach und registrierte am Rande, dass Peter unruhig auf seinem Stuhl umher rutschte.

„Nichts, nur dass ich sie auf die Warteliste von einigen sehr guten Internaten gesetzt habe“, erwiderte sie seelenruhig.

In Max schoss die Wut wie glühende Lava empor, nur mühsam hiel er sich zurück. Um Zeit zu gewinnen, fragte er: „Wie bitte?“

„Seit wann hörst du schlecht?“, fragte sie spitz, ließ sich aber trotzdem zu einer Wiederholung ihrer Worte hinreißen. „Ich wusste, dass dir die Bildung deiner Tochter egal ist, deswegen habe ich einige Anrufe getätigt und sie angemeldet.“

Max biss sich auf die Lippe und rief sich in Erinnerung, dass sie gar nichts über ihn und Lilly wusste. Nichts. „Dazu hattest du kein Recht!“, brachte er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Selbstver…“

„Eleonore“, schaltete sich Peter ein. „Es ist doch verständlich, dass Max überrascht ist. Schließlich musste er bis jetzt alles, was Lillys Erziehung betraf allein entscheiden.“

Max sah ihn skeptisch an. Er war nicht wirklich allein gewesen, die Bedfords hatten ihn die ganze Zeit unterstützt und abgesehen davon fand er, dass er seine Sache bis jetzt sehr gut gemacht hatte. Bevor er etwas erwidern konnte, fuhr Peter allerdings fort.

„Max, wir sind hier, weil wir mit dir reden wollten. Wir machen uns Sorgen um dich und Lilly!“ Peter hatte sich vorgebeugt und seine Hand auf Max Arm gelegt. Max starrte auf sie hinunter und wünschte, er würde sie wieder wegnehmen, aber Peter war noch nicht fertig und redete einfach weiter.

„Als du uns geschrieben hast, dass du wieder heiraten willst, haben wir uns sofort in den Flieger gesetzt und sind hergekommen.“

„Du hättest uns wirklich früher Bescheid geben können“, warf Eleonore vorwurfsvoll ein, aber Peter fuhr unbeirrt fort: „Zu heiraten ist eine ernste Sache, diese Entscheidung trifft man nicht leichtfertig. Max, Junge, nicht jede Frau, die tolle Beine hat, eignet sich zur Ehe.“ Peter sah ihn an und hoffte auf seine Bestätigung. Max fühlte sich wie in einem falschen Film. Er sah von Peter zu Eleonore. Beide saßen so selbstgerecht vor ihm, als wüssten sie alles und er nichts. Wenn es nicht so furchtbar wäre, hätte er angefangen zu lachen. Sie hatten sich Sorgen um ihn gemacht? Jetzt? Das konnte doch nicht wahr sein?! Und was sollte mit den tollen Beinen heißen?! Hatten sie etwa Liz gegoogelt? Er war so überrascht, dass er nicht wusste, was er sagen sollte, außer: „Ich weiß, dass man eine Ehe nicht leichtfertig eingeht. Haltet ihr mich etwa für so unbedacht?“

„Ach Max, du hast eine schwere Zeit hinter dir, wir alle“, antwortete Peter. Seine Hand lag noch immer auf Max Arm. „Wir denken nur, dass du momentan nicht ganz du selbst bist“, formulierte er vorsichtig.

„Wie bitte? Ihr denkt, ich bin nicht ganz bei mir?“, hakte er nach und schüttelte endlich Peters Hand ab.

„Selbstverständlich bist du verwirrt!“, schoss Eleonore heraus. „Wieso kämest du sonst auf die Idee eine Bloggerin zu heiraten und Lilly als Stiefmutter zu präsentieren?! Sie ist ja selbst noch ein halbes Kind!“

Fassungslos starrte er sie an. Tausend Antworten schossen ihm durch den Kopf, die Wut brodelte unruhig in seinem Innern. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn der Stuhl unter ihm in Flammen aufgegangen wäre. Beinahe konnte er den Rauch schon riechen. Aber er hielt sie im Zaum. Er kannte seine Schwiegereltern gut genug, um zu wissen, dass ein unkontrollierter Gefühlsausbruch sie nur noch in ihrer Überzeugung bestärken und alles noch schlimmer machen würde.

„Worum geht es hier eigentlich?“, fragte er und sah ihr fest in die Augen. Im Innern klopfte er sich selbst auf die Schulter, dass er so ruhig und beherrscht war.

„Wir können nicht zulassen, dass du Lillys Zukunft für dein Vergnügen aufs Spiel setzt“, sagte sie ruhig.

Max biss die Zähne zusammen. Wie konnten sie es wagen, Liz als Betthäschen zu bezeichnen, denn nichts anderes hatten sie getan. Beide auf ihre Art. Er wusste immer noch nicht, was er dazu sagen sollte. Ihre Anschuldigungen waren einfach zu ungeheuerlich.

Peter griff wieder seinen Arm und wiederholte eindringlich: „Max, wir machen uns wirklich große Sorgen. Wir wollen doch nur, dass es dir und Lilly gut geht. Du bist für uns wie unser eigener Sohn und Lilly ist unser einziges Enkelkind.“

Das war ja wohl die Höhe! „Tatsächlich?!“, entgegnete er kalt. Er ließ sie nicht aus den Augen. „Ich würde niemals Lillys Zukunft gefährden. Und wenn ihr in den letzten Jahren euch die Mühe gemacht hättet, eine Beziehung zu ihr aufzubauen, dann wüsstet ihr das.“

„Ach Max, darum geht es doch gar nicht“, erwiderte sie herablassend und ihm lief ein Schauer über den Rücken. Seine arme Diana, waren ihre Eltern auch zu ihr so gewesen?

„Und worum geht es dann?“, hörte er sich fragen, obwohl er sich nicht sicher war, dass er die Antwort wirklich hören wollte.

„Es ist doch wirklich offensichtlich!“, antwortete sie und Peter fuhr fort: „Was Eleonore zu sagen versucht“, begann er und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. „Wir sorgen uns um die Familientradition. Lilly ist die einzige Kwan, also wird sie die Firma übernehmen. So war es schon immer geplant.“

„Selbstverständlich nicht allein“, fuhr Eleonore dazwischen. „Sie wird einflussreich heiraten, so kann die Firma im Familienbesitz bleiben und sie wahrt ihre Rolle als Frau und Mitglied der Familie Kwan.“

Max hatte das Gefühl im falschen Film zu sein. „Was soll das heißen? Und wenn sie andere Pläne hat? Schließlich ist sie erst sechs! Nicht einmal ich habe eine Ahnung, was sie einmal interessieren wird.“

„Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir rechtzeitig anfangen sie in die richtige Richtung zu lenken“, entgegnete Eleonore und sah aus, als würde ihr seine Begriffsstutzigkeit auf die Nerven gehen.

---ENDE DER LESEPROBE---