Herrschaft über Syrien - Daniel Gerlach - E-Book

Herrschaft über Syrien E-Book

Daniel Gerlach

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Beschreibung

Auch nach Jahren der Tyrannei und des Krieges hält sich das syrische Regime noch immer an der Macht. Aber wer und was ist eigentlich dieses Regime? Welche Kräfte und Narrative halten es im Inneren zusammen? Der Journalist und Orientalist Daniel Gerlach entwirrt die Hintergründe einer Logik der Gewalt und Manipulation, der sich die Herrschenden auch selbst unterworfen haben. Was 2011 als Aufbegehren gegen ein politisch und moralisch bankrottes System begann, eskaliert immer weiter, beschleunigt noch durch die Exzesse des »Islamischen Staates«. Ratlos schaut die Welt zu, kann oder will nicht helfen - zu verworren scheinen die Konfliktlinien, zu groß ist die Sorge, die »falsche Seite« zu unterstützen. Daniel Gerlach beleuchtet das schizophrene Verhältnis der Religionen und Konfessionen in Syrien, das Wirken sichtbarer und unsichtbarer Mächte, die diesen Konflikt so unerbittlich machen. Er beschreibt die Geister der Vergangenheit, erzählt von traumatischen Erfahrungen und ihrer Wirkung auf das heutige Syrien. Klar wendet sich Gerlach gegen die Behauptung, das Regime sei der Garant für Stabilität und den Erhalt eines Staates, den es womöglich längst nicht mehr gibt. Die Lage ist undurchsichtig - auf ihrer Unwissenheit ausruhen können sich die internationalen Mächte nun allerdings nicht mehr.

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Inhaltsverzeichnis
Syrien im Dämmerlicht. Eine Einleitung
1. Reflexe des Regimes – Der Aufstand in Deraa und seine Folgen
2. Der Feind meines Feindes: das »Kalifat«
3. Die Geister von Tadmor
4. Rückkehr nach Hama
5. Ein Augenarzt als Feldherr: Baschar al-Assad und die Streitkräfte
6. Das Sterben der Paladine
7. Geheimnisse der Alawiten
8. Zainabs Brigaden: das Regime und die Schiiten
9. Der Schwur des Hassan Nasrallah
10. Das iranische Prinzip
11. Von Bären und Löwen
12. Das Dilemma der Drusen
13. Lügen und Gebete
14. »Tashbih« oder: Was ist das syrische Regime?
Anmerkungen
Weiterführende Literatur
Über den Autor
Impressum

Hinweis zur Transkription: Es kursieren Dutzende Arten und Weisen, arabische Namen in lateinische Buchstaben zu transkribieren: Allein für den Namen Muammar al-Gaddafi hat man in der internationalen Presse schon über 100 Varianten gezählt. Das vorliegende Buch verwendet keine wissenschaftliche Umschrift, sondern eine, die es ermöglichen soll, die jeweiligen Personen rasch wiederzufinden: ob in Registern von Sachbüchern, im Internet oder auch auf den Sanktionslisten der Europäischen Union. Die Umschrift orientiert sich an einer geläufigen angelsächsischen Schreibweise oder daran, wie diese Personen ihren eigenen Namen üblicherweise transkribieren – zum Beispiel auf ihrer Visitenkarte. Ob sie vor ihren Familiennamen einen Artikel (al-) setzen oder nicht, ist dabei oft eine Frage des Klangs oder auch einfach Gewohnheitssache. Ein »j« wie in »Jamil« steht für ein weiches, stimmhaftes »dsch«, ein »q« klingt wie ein helvetisch-kehlig ausgesprochenes »k«. Arabische Begriffe, die inzwischen in den deutschen Sprachgebrauch übergegangen sind, werden entsprechend geschrieben, also z.B. Koran (nicht Qur’an) oder Dschihad.

»Les murs de cette pièce ne suffiraient pas à graver le nom de tous les assassins qui ont soi-disant découvert le corps de leur victime. Ce qui à bien réfléchir est normal, puisque ce sont eux les premiers informés.«

Lino Ventura in »Garde à vue«

Syrien im DämmerlichtEine Einleitung

Alle freien Gesellschaften gleichen einander, jede unfreie ist auf ihre eigene Weise unfrei.

Als Europäer, die das Privileg von Meinungsfreiheit und verhältnismäßiger Rechtssicherheit genießen, neigen wir wohl zu der Annahme, dass repressive Regime mit den Attributen »autoritär« oder »totalitär« ausreichend beschrieben seien. Die einen agieren tyrannisch, interessieren sich aber nicht weiter für das, was ihre Untertanen treiben, sofern es ihren Machterhalt nicht empfindlich stört. Die anderen wollen die Gesellschaft mit einer Ideologie durchdringen, den Menschen verändern. Sie richten sich vortrefflich ein in den Widersprüchen, die aus einem wie auch immer gearteten Interesse am Fortschritt der Allgemeinheit und dem eigenen Zugewinn an Macht und Vermögen resultieren – allerdings um den Preis, dass sie mit der Zeit paranoid werden.

Aber sind dies denn die einzigen Wesenszüge, die ein unterdrückerisches Regime vom anderen unterscheiden? Es lohnt sich, die Herrschaftstechniken immer auch im jeweiligen kulturellen, historischen und politischen Kontext zu betrachten.

In Syrien tobt seit nunmehr vier Jahren ein Krieg. Im August 2014 sprachen die Vereinten Nationen von der »größten humanitären Krise unseres Zeitalters«. Syrien kollabiert, auf seinen Trümmern zeigt sich die hässliche Karikatur eines anderen Staates, der sich »islamisch« nennt. Die Mächte, die von außen in diesen Krieg eingriffen, taten dies mit der gleichlautenden Begründung wie diejenigen, die sich heraushielten: Man müsse Schlimmeres verhindern, nämlich, dass es noch mehr Todesopfer gäbe. Mit dem Fortschreiten der Zeit mehrte sich auch die Anzahl der verpassten Chancen, der Gewalt ein Ende zu bereiten. Große und kleine Möglichkeiten boten sich nicht nur den Weltmächten, sondern auch der Bundesrepublik. Sie blieben ungenutzt – aus Überzeugung, Zweifeln oder Trägheit.

Und allenthalben, auch von ausgewiesenen Nahost-Experten, war zu hören, die Lage in Syrien sei einfach zu verzwickt. Einige verstiegen sich sogar in die zynische Conclusio, man müsse den Konflikt »ausbluten lassen«.

Als ein Journalist des Boston Review 2014 dem aus der syrischen Stadt Rakka stammenden Intellektuellen Yassin Haj Saleh sagte, der Westen finde die Situation in Syrien »verwirrend«, konterte dieser, er finde es »verwirrend, dass der Westen unsere Situation in Syrien verwirrend findet«.

Haben wir also vier Jahre lang berichtet, analysiert, uns den Kopf zerbrochen und internationale Konferenzen abgehalten, um nun, 200.000 Tote später, zu dem Schluss zu kommen, dass das alles »viel zu kompliziert« sei? Sind wir so müde, dass wir gar nicht mehr verstehen wollen, was in Syrien geschieht? Und gibt es nicht ohnehin immer so viele Wahrheiten in Kriegen, dass man am Ende gar nichts glauben kann? Für die Politik und diejenigen, die sie beraten, ist das eine denkbar schlechte Ausrede. Und obendrein stimmt es nicht einmal. Nicht alles ist relativ und zur schieren Ansichtssache degradierbar.

Natürlich existieren sehr unterschiedliche Narrative – nicht nur, weil sie zum Zwecke politischer Propaganda fabriziert werden, sondern auch, weil die Menschen im Krieg sehr unterschiedliche Erfahrungen machen. Das gilt ebenso für das politische System dieser »Arabischen Republik«. Oft schien es, als könne man von jeder Aussage, die über Syrien gemacht wurde, auch immer das Gegenteil belegen: Syrien war eine Diktatur mit brutalem Sicherheitsapparat? – Ja. Dennoch konnte man in diesem Land Gerichtsprozesse gegen Verwandte des Herrscherclans führen – und sie sogar gewinnen.

Syrien war ein Staat mit einer fast beispiellosen Vielfalt an Religionsgemeinschaften, die friedlich miteinander lebten? – Vordergründig ja, aber hintergründig zehrte das Regime von Hass und Misstrauen zwischen den Konfessionen.

Es handelt sich um einen Volksaufstand gegen eine Diktatur? – Ja, aber Syrien ist ein Land vieler Völker, die sich diesem Aufstand nicht sämtlich angeschlossen haben.

Wir müssen feststellen, dass diese landläufigen Thesen zutreffen und sich – obwohl sie in der Diskussion meist gegeneinander ins Feld geführt werden – nicht notwendigerweise widersprechen.

Die Syrer waren und sind Meister darin, grausame Wahrheiten schlichtweg auszublenden, was das Leben in ihrem Land wohl oft viel angenehmer machte: eine zur Mentalität gewordene Überlebensstrategie.

Viele Syrer können glaubhaft versichern, dass es ihnen immer einerlei gewesen sei, ob ihr Arbeitskollege Sunnit, Druse oder Alawit war. Andere richteten sich in Hass und Ressentiments ein und vererbten diese an spätere Generationen weiter. Die Erfahrungsmöglichkeiten in einem diktatorischen Regime scheinen manchmal ungleich individueller, variabler und persönlicher als die in einer Demokratie. Das syrische System konnte für manche Menschen ein erfülltes Leben bereithalten, für andere aber nichts weniger als die Vorstufe zur Hölle: Die einen sangen in Kirchenchören, turnten in Sportvereinen, küssten ihre erste Liebe unter Kirschbäumen und im Schatten malerischer Burgen. Die anderen verbrachten ihre halbe Jugend im Militärgefängnis von Tadmor, weil ihr Bruder oder Vater bei den Muslimbrüdern war.

Man kann diese Vielfalt der Narrative nicht vereinheitlichen. Aber wenn eine Macht sie aus politischen Interessen gegeneinander ausspielt, empfiehlt es sich, genauer hinzusehen, um ihr nicht auf den Leim zu gehen.

Zweifel, Konfusion und das Unausgesprochene, das Implizite, bilden, wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, den Nährboden, auf dem sich das syrische Regime zu jener monströsen Gestalt auswuchs, die heute noch vor uns steht. Womöglich entstand aus einem solchen Amalgam sogar sein eigentliches Wesen.

Dieses Buch ist ein Versuch, die Techniken und Methoden der Herrschaft über Syrien zu beschreiben. Es sind Techniken, denen sich die Herrschenden, die sie gebrauchen, auch selbst unterworfen haben. Dabei gilt es vor allem, eine Frage nicht aus dem Blick zu verlieren, von deren Beantwortung auch in Zukunft noch viel abhängen wird: Wer oder was ist eigentlich das syrische Regime?

Angesichts der Schrecken des »Islamischen Staates« mehren sich im Westen, insbesondere aber in Deutschland, jene Stimmen, die fordern, das Regime als Verbündeten im Kampf gegen die Dschihadisten aufzuwerten. Man kann so etwas zur Debatte stellen. Nur empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzugehen und sich genau anzuschauen, mit wem man es dann zu tun bekäme.

Dieses Buch ist kein wissenschaftliches, es soll aber einer wissenschaftlichen Überprüfung der Quellen und Argumente standhalten können – sofern die Wissenschaft einmal Worte und Kriterien für das findet, was heute in Syrien geschieht. Manche Überlegungen darin sind schlechterdings nicht beweisbar. Man beurteilt die Mächte und Akteure ja gemeinhin nach der »Aktenlage«: nach dem, was sie sagen, schreiben und was von ihnen berichtet wird. Zu erfassen, was sie nicht verbalisieren, fällt schwer. Jeder Versuch, die mitunter verheerende Wirkung jenes Impliziten, Unausgesprochenen, Unsichtbaren zu beschreiben, das Teil der Konfliktdynamiken, vor allem aber der Methode der Macht dieses Regimes wurde, ist angreifbar und setzt sich dem Vorwurf der Spekulation aus.

Das soll uns aber nicht von diesem Versuch abhalten. Letztendlich müssen sich ja auch die Naturwissenschaften eingestehen, dass sie manche subatomaren Teilchen nie gesehen haben, man aber aus ihrer Wirkung schließen muss, dass es sie gibt.

Dieses Buch ist keine Chronik des Aufstandes, noch soll es lückenlos den Hergang der Ereignisse rekonstruieren und dabei alle Akteure gleichermaßen behandeln. Das Augenmerk liegt hier auf der Natur, den Verhaltensweisen und Erscheinungsformen des Regimes sowie jener Kräfte, die es bis heute fortbestehen lassen. Die Opposition, ob im Feld kämpfend oder im Ausland tagend, kommt nur am Rande vor. Ausländische Mächte wie die Türkei, Saudi-Arabien, Katar oder der Westen, die in den vergangenen Jahren mehr oder weniger entschlossen auf einen Sturz des Regimes hinwirkten, sind ebenfalls nicht Gegenstand – was nicht bedeuten soll, dass man ihre Rolle deshalb vernachlässigen könne.

Auch die Kurden kommen nicht vor. Die Geschichte dieser bemerkenswerten Minderheit und ihrer politisch-militärischen Organisationen, ihre symbolträchtigen Schlachten, ihr Autonomieprojekt und ihr ambivalentes Verhältnis zum Regime werden noch Thema für andere, berufene Autoren sein.

Die folgenden Kapitel sollen nicht nur ein Schlaglicht auf das aktuelle Geschehen werfen, sondern auch auf historische Erfahrungen, die nie aufgearbeitet wurden und deshalb bis heute die kollektive Psyche der Syrer heimsuchen – wenn man diesen nicht unumstrittenen Begriff gebrauchen will. Sie prägen die Gesellschaft, ihre Reflexe, Ängste und Erwartungshaltungen. Über sie gelangen wir aber auch auf die Spuren der Logik des Regimes: Denn sie lassen uns seine Entstehungsgeschichte und seine inneren Kohäsionskräfte verstehen.

Andere Autoren mögen zu anderen Schlüssen kommen. Und oft verdankt man ja gerade denen, die die eigene Analyse eher kritisch bewerten, ganz besonders viel. Da wären zunächst Ghiath Bilal und sein Team mit ihren erstklassigen Studien zu Syrien und dem Phänomen »Islamischer Staat«. Wer hätte gedacht, dass es so eine Freude sein kann, mit einem studierten Ingenieur zu arbeiten!

Für Erkenntnisse zum regionalen Kontext danke ich Walter Posch von der Landesverteidigungsakademie in Wien. Was seine Forschungsgebiete Iran, die Kurden und die Türkei betrifft, so können ihm wohl nur wenige das Wasser reichen.

Aktham Suliman danke ich für offene Worte: Er bekomme »jedes Mal die Krise, wenn Europäer über Sunniten, Christen und Alawiten im Orient reden«. Sie sind mir als mahnendes Korrektiv beim Schreiben stets im Ohr geblieben.

Besonderer Dank gilt meiner Lektorin Kerstin Schulz für ihre Geduld, ihre Anregungen und die Idee, dieses Buch überhaupt zu schreiben.

Christian-Peter Hanelt danke ich für die zahlreichen Ideen, Gespräche und Kontakte. Helmut Mejcher dafür, dass er in mir vor über 15 Jahren die Begeisterung für Themen weckte, mit denen man es an deutschen Universitäten sonst eher seltener zu tun bekommt: wilhelminische Orient-Politik oder die Geschichte des Erdöls. Seine Seminare waren eine veritable Kaderschmiede für spätere Journalisten mit dem Arbeitsschwerpunkt Naher Osten.

Gleiches gilt für den leider bereits 2010 verstorbenen Gernot Rotter, der seine Studenten nach Syrien, in den Libanon und in das Reich der Umayyaden führte. Im Gegensatz zu jenen, die sich heute mit derartigen Titeln schmücken, wusste er genau, wie sich ein anständiger Kalif benimmt.

Gilles Kepel gebührt Dank für die Idee, die Schriften des Soziologen Michel Seurat unter dem Titel Syrie. L’état de Barbarie neu herauszubringen. Er hat damit einen verschollenen Schatz gehoben und mir ermöglicht, an Gedanken anzuknüpfen, die Seurat selbst nicht weiterdenken konnte. Weil er 1986 als Geisel in Beirut mit gerade einmal 39 Jahren starb.

Hajo Funke danke ich für die Anregung, noch einmal den »Behemoth« zu lesen.

Meine Kollegen vom Magazin zenith und von der CANDID Foundation, insbesondere mein Freund und Kompagnon Jörg Schäffer, gaben mir den Freiraum, mich in mitunter stürmischen Zeiten mit diesem Buch zu beschäftigen.

Fabian Wagener hat mich mit einem für diese Arbeit sehr bedeutenden Menschen bekannt gemacht. Amir Musawy und Alaa al-Bahadli eröffneten mir das Zweistromland, ohne dessen Kenntnis man auch die Geschehnisse in Syrien nicht verstehen kann.

Meinen Eltern danke ich dafür, dass sie mir – nicht ohne kritische Begleitung – ermöglichten zu tun, was mich begeistert und interessiert.

Marcel Mettelsiefen möchte ich erwähnen, der wie nur wenige Journalisten den Krieg in Syrien von Anfang an begleitet hat und dabei ebenso viel Mut wie Empathie, ebenso viel journalistische Sorgfalt wie künstlerische Fertigkeiten zeigt. Und mit dem gemeinsam ich im Frühjahr 2012 in eine Sperrzone der syrischen Armee geriet und mich – um eine Notlüge verlegen – in einen Russen verwandelte.

Großer Dank gilt einem Menschen, der hoffentlich in nächster Zeit mit seinem wahren Namen an die Öffentlichkeit gehen kann: Habib Abu Zarr gewährte mir Einblicke in eine verschlossene Gemeinschaft und in ein furchtbares System. Viele der hier vorgetragenen Gedanken gehen auf ihn zurück.

Dies gilt viel mehr noch für Naseef Naeem, meinen Freund, Gefährten und Mitgründer der Expertengruppe zenithCouncil, ohne den es dieses Buch überhaupt nicht geben würde. Er führte mich auf gemeinsamen Erkundungen im Dämmerlicht der nahöstlichen Politik und lehrte mich, dabei auch auf eine andere Art zu denken.

Alles andere verdanke ich L., der ich dieses Buch gern gewidmet hätte, ginge es darin nicht fortwährend um Gewalt, Missbrauch und Intrigen.

1. Reflexe des Regimes– Der Aufstand in Deraa und seine Folgen

Ganz Syrien ist in 14Provinzen unterteilt. Zumindest war es das, bevor ein Krieg ausbrach, der die Verwaltungsordnung der Arabischen Republik Syrien zu einem theoretischen Begriff verkommen ließ. Diese Muhafazat variierten in ihrer Größe und Bevölkerungsdichte. Die Hauptstadt Damaskus– zu osmanischer Zeit »reichsunmittelbar«, also dem Sultan in Konstantinopel direkt unterstellt– bildete mit nur rund 1600Quadratkilometern die kleinste, aber am dichtesten besiedelte Provinz, Homs mit über 42.000Quadratkilometern die mit Abstand größte. Schon die Unterteilung der Muhafazat lässt erkennen, dass sie eher historischen Entwicklungen geschuldet ist als dem Streben nach einer straff organisierten, zentralstaatlichen Administration.

Das Wort Muhafaza wird manchmal mit dem Fremdwort »Gouvernorat« übersetzt, analog dazu der Muhafiz mit »Gouverneur«. Sein Amt und sein Berufungsprozess gleichen allerdings der Theorie nach am ehesten denen eines französischen Präfekten: Der Innenminister schlägt seine Ernennung vor, das Kabinett bestätigt sie, ein Präsidialdekret verleiht ihr Gültigkeit. Ein syrischer Gouverneur führt die Verwaltung einer Muhafaza. Er ist verantwortlich für das Gesundheitswesen, die öffentlichen Dienstleistungen, für Bildung und Erziehung, für den Straßenbau, den Personennahverkehr, die Beaufsichtigung von Handel, Industrie und Landwirtschaft, für Sicherheit, Recht und Ordnung sowie die Förderung des Tourismus.

Insgesamt 23Ministerien können sich in seine Arbeit einmischen und von ihm Auskunft verlangen, darunter das Ministerium für Bewässerung oder das für »Umwelt und Lokalverwaltung«. Ein syrischer Gouverneur hat, wenn er seine Arbeit denn ernst nimmt, alle Hände voll zu tun, wobei ihm zwischen sechs und zehn Landräte sowie ein Provinzrat zur Seite stehen, dessen Mitglieder er zu einem Viertel selbst ernennen kann. Ihm unterstehen zwar die örtlichen Polizeikräfte, aber Militär, Geheim- und Sicherheitsdienste nehmen von ihm keine Weisungen entgegen, obwohl sie in seinem Herrschaftsbereich überaus aktiv sind: Schließlich gilt seit 1963 in Syrien ein Notstandsrecht, welches das Regime mit der Bedrohung durch Terrorismus und dem fortbestehenden Kriegszustand mit Israel begründete.

Faisal Kalthoum war– übrigens nicht nur für syrische Verhältnisse– ein ausgewiesener Experte, was seine Kompetenzen als Gouverneur der Provinz Deraa anbelangt. Schließlich hatte der ehemalige Professor für Verfassungsrecht an der juristischen Fakultät der Universität von Damaskus seinen Doktorgrad in Frankreich erlangt: 1987 an der Universität Montpellier1 mit einer Arbeit zum »Vergleich der Organisation des Parlaments in Syrien und Algerien«. Ende Dezember2005 trat Kalthoum erstmals in den internationalen Medien in Erscheinung: Als Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Recht und Verfassung äußerte er sich zu den Vorwürfen gegen das syrische Regime im Zusammenhang mit dem Attentat auf den libanesischen Ex-Ministerpräsidenten Rafiq Hariri. Kalthoum bezichtigte den im Exil lebenden syrischen Vizepräsidenten Abdelhalim Khaddam des Hochverrats, weil dieser Präsident Assad persönlich in einem TV-Interview verdächtigt hatte, Drahtzieher des Mordanschlags zu sein. Die Behauptung, Assad habe Hariri wenige Monate vor dessen Ermordung explizit gedroht, ihn zu vernichten, sei ein Angriff auf Syriens nationale Sicherheit, so erklärte Professor Kalthoum. Weshalb der Tatbestand des Hochverrats gegeben sei und das syrische Parlament das Justizministerium nun aufgefordert habe, den Fall zur Anklage zu bringen.

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