»Heute trifft es vielleicht dich« - Martin Specht - E-Book

»Heute trifft es vielleicht dich« E-Book

Martin Specht

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Beschreibung

Die Geschichte der französischen Fremdenlegion ist in weiten Teilen die Geschichte der in ihr dienenden Deutschen. Sehr lange Zeit stellten sie die mit Abstand größte Gruppe unter den Abenteurern, Verzweifelten und Ex-Soldaten, die bei der Legion anheuerten. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen Zehntausende Deutsche für Frankreich in den Krieg und kämpften in Indochina oder Algerien oder zuletzt im Mali-Einsatz der französischen Armee 2013.
Martin Specht hat viele ehemalige und aktive deutsche Fremdenlegionäre
getroffen und lange Gespräche mit ihnen geführt. Ihre Erlebnisse stehen im Mittelpunkt dieses Buchs. Specht vermittelt spannend die bewegte Geschichte der Fremdenlegion vor allem seit 1945 und die besondere Rolle der Deutschen in ihr.

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Seitenzahl: 376

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Martin Specht

»Heute trifft es vielleicht dich«

Martin Specht

»Heute trifft es vielleicht dich«

Deutsche in der Fremdenlegion

Alle Abbildungen im Text stammen aus dem Privatarchiv des Autors und sind ihm zum Abdruck freundlicherweise von den porträtierten Legionären überlassen worden.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, März 2014 (entspricht der 1. Druck-Auflage von Februar 2014)

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 440232-0

Umschlaggestaltung: Stephanie Raubach, Berlin, unter Verwendung zweier Fotos aus dem Privatarchiv des Autors. Das Bild vorne zeigt einen deutschen Fremdenlegionär, der in den 1950er und 1960er Jahren im 1. Fallschirmjägerregiment der Legion in Algerien diente. Das Bild hinten zeigt Fremdenlegionäre während des Camerone-Tags in Aubagne, 30. April 2013. © Martin Specht

Satz: Marina Siegemund, Berlin

ISBN 978-3-86284-277-3

Inhalt

Einführung Begegnung mit einem Veteranen

Die Toten Vom letzten gefallenen Deutschen

Elefantenorden Im Indochinakrieg (1947–1949)

Kommando Auf Frankreichs afrikanischem Vorposten (1987–1992)

Das Mutterhaus – Teil 1 Die Geschichte von Sidi Bel Abbès

Millenium Lounge Ein Exlegionär in Bagdad (2013)

DBP Die Schlacht um Dien Bien Phu (1954)

Der Fall Bourquain Ein ungesühnter Mord (1960/2008)

Der Putsch Im Kampf gegen die algerische Unabhängigkeit (1958–1962)

Der blaue Stein In einer Spezialeinheit der Fremdenlegion (1991–2004)

Das Mutterhaus – Teil 2 Der Neubeginn in Aubagne

Töten Der Umgang mit Gewalt

Absence Illégale Zweimal desertiert (1954/1962)

Castelnaudary Legion ohne Krieg

Verletzungen Der Umgang mit Schmerz und Belastung

Das Chamäleon Fremdenlegionär – Bundeswehrsoldat – privater Militärdienstleister (1986–2013)

Onkel Herbert, Fremdenlegionär Mit 17 in die Legion (1959–1975)

Mali

Einführung

Begegnung mit einem Veteranen

Mein Interesse an der französischen Fremdenlegion begann beim Blumengießen. Während der Sommerferien betreute ich die Wohnung einer befreundeten Familie. Als ich eines Morgens die Blumenkästen auf dem Balkon wässerte, tropfte etwas Wasser auf den darunterliegenden Balkon. »Vorsicht«, drang eine Stimme zu mir herauf. Als ich mich über die Brüstung beugte, um mich zu entschuldigen, sah ich einen älteren Herrn, der dabei war, eine großkalibrige Schusswaffe in Einzelteile zu zerlegen, die er auf dem Tisch vor sich ausbreitete. »Ich hoffe, Sie können das auch mit verbundenen Augen«, rief ich scherzhaft zu ihm hinunter. Der Mann, der mit seinem Bürstenhaarschnitt und Schnurrbart aussah wie ein alter Sportlehrer, musste lachen und sagte, das hätte man ihm auch beigebracht. »Waren Sie bei der Bundeswehr?«, fragte ich. Er schüttelte den Kopf und schnalzte dabei mit der Zunge: »Fünf Jahre Algerien. Légion étrangère.«

Einige Wochen später befand ich mich während eines Reportageauftrags in einem Heim für Kriegsveteranen in Südfrankreich. Als ich einen der Veteranen mit »Bonjour Monsieur« begrüßte und auf Französisch ansprach, antwortete er mir in typischem Ruhrgebietsdialekt: »Wat?«

Da ich innerhalb kurzer Zeit zwei ehemaligen deutschen Legionären begegnet war, begann ich mich für die Deutschen, die in der französischen Fremdenlegion gedient hatten, zu interessieren. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Zehntausende junger Männer aus Deutschland an den Kriegen in Indochina und Algerien teilgenommen. Viele von ihnen kehrten anschließend nach Deutschland zurück und lebten ein unauffälliges Leben. Anders als die Soldaten des Zweiten Weltkriegs – der eine kollektive Erfahrung vieler Menschen war – waren die ehemaligen Legionäre Außenseiter, Abenteurer und Einzelgänger.

Dann begegnete ich in Bagdad einem jungen Mann, der ebenfalls einmal Legionär gewesen war und heute für eine private Militärfirma arbeitet. Männer wie er folgten auf die Generation der Legionäre, die in Indochina und Algerien gekämpft hatten. Die Geschichte der Deutschen in der Fremdenlegion endet also nicht mit dem Krieg in Algerien 1962. Es gibt sie immer noch; einen deutschen Legionär traf ich 2013 in Mali während der »Opération Serval«, mit der die französische Armee gegen die Rebellengruppen im Norden Malis vorging.

Während meiner Recherche wurde schnell klar, dass ich den Gesprächen mit den Fremdenlegionären – gegenüber den Materialien, die in den Archiven lagern – den Vorzug geben würde. Ich begegnete den unmittelbar Beteiligten und sprach mit Menschen mehrerer Generationen, die alle in der Fremdenlegion etwas gesucht hatten – möglicherweise nicht immer das, was sie dann fanden.

Die Namen mancher ehemaliger und noch aktiver Fremdenlegionäre, mit denen ich gesprochen habe, sind zu ihrem Schutz verfremdet worden, ebenso die Orte, an denen sie heute leben. Solche Verfremdungen sind bei der ersten Nennung des Namens mit einem * gekennzeichnet.

Die Toten

Vom letzten gefallenen Deutschen

Hinter den letzten Häusern des Ortes wird die Asphaltstraße zu einem Feldweg. Ich bin in der Provence und fahre durch die Weinberge am Fuße des Mont Sainte-Victoire – Motiv zahlreicher Gemälde des Impressionisten Paul Cézanne. Ein Eichelhäher fliegt eine Weile neben dem Auto her. Am Wegesrand taucht ein steinernes Monument auf, in das mit großen Buchstaben die Worte »Legio Patria Nostra«, »Die Legion ist unsere Heimat«, eingemeißelt sind. Es sieht aus wie ein Grabstein. Einige hundert Meter weiter endet der Feldweg vor dem Tor eines alten Landsitzes. Auf einem Schild neben dem Eingang steht: »Institution des invalides de la Légion étrangère«. Hier leben die Invaliden und Veteranen der französischen Fremdenlegion, die im Alter nicht in die zivile Welt zurückgekehrt sind. Viele von ihnen haben keine Angehörigen mehr. Für sie trifft auch nach ihrer aktiven Dienstzeit zu: Legio Patria Nostra.

Als ich im Nieselregen durch das Tor gehe, höre ich die hellen Rufe eines Pfaus, der mit hängenden Schwanzfedern über das Dach eines halbkreisförmigen Gebäudes stolziert. Vor dem Gebäude stehen einige Elektrorollstühle im Regen. Der Ort liegt einsam und wirkt weltabgewandt. In beinahe mönchischer Isolation leben die ehemaligen Legionäre in der Stille. Der Ruf des Pfaus ist das einzig hörbare Geräusch.

In einem Café auf dem Gelände unterhalte ich mich mit einem der Bewohner des Invalidenheims. Seine Familie ist 1945 aus Schlesien vertrieben worden. Später kämpfte er als Fremdenlegionär im Algerienkrieg. »Deutscher war ich mal«, sagt der alte Mann. »Jetzt bin ich hier.« Er scheint nicht zu realisieren, dass ich von weither komme. Als ich mich von ihm verabschiede, sagt er: »Kommen Sie doch nächste Woche einmal wieder.«

In Puyloubier, dem Dorf in der Nähe des Invalidenheims, sind die Toten der Fremdenlegion begraben. Es ist ein kleiner Dorffriedhof – auf einigen Grabsteinen sind Bilder von Traktoren und landwirtschaftlichen Geräten eingraviert –, auf vielen Gräbern stehen frische Blumen. Auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich. Aber beim Herumgehen bemerke ich: Die Zahl der toten Fremdenlegionäre übersteigt die Anzahl der Dorfbewohner bei weitem.

Hier befindet sich auch das Grab des letzten Fremdenlegionärs, der im Algerienkrieg gefallen ist. Auf einer grauen Granitplatte steht der Name: Heinz Zimmermann. Darunter: »Mort pour la France«, gefallen für Frankreich. Geboren wurde Heinz Zimmermann im März 1937 im deutschen Merseburg, einer Stadt an der Saale. Im Juni 1957 beschloss der 20-Jährige, sich in der französischen Fremdenlegion zu verpflichten. Sein Weg führte ihn über Straßburg und Marseille nach Algerien. Nach einer viermonatigen Grundausbildung kämpfte er als Infanterist im Kolonialkrieg. Im August 1961 wurde Heinz Zimmermann während eines Gefechts mit Aufständischen in Sidi Bel Abbès getötet. Der Deutsche wird als letzter Legionär gezählt, der im Algerienkrieg fiel. Im März 1962 unterzeichnete die französische Regierung ein Waffenstillstandsabkommen mit der algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN (»Front de Libération Nationale«).

Die Geschichte der Fremdenlegion ist eng mit der Kolonialisierung Algeriens durch die Franzosen verbunden. Im Jahr 1831 schuf der französische König Louis-Philippe die Söldnerarmee, um – ohne die Nationalversammlung um ihre Zustimmung bitten zu müssen – eine Truppe zu seiner Verfügung zu haben, die er für die kolonialen und weltpolitischen Interessen Frankreichs einsetzen konnte. Im 19. Jahrhundert kämpften die Fremdenlegionäre nicht nur in Algerien, sondern auch in Spanien, Mexiko, Italien, auf Madagaskar und in Dahomey.

Von Anfang an waren unter denen, die sich für einen Dienst in der Legion verpflichteten, viele Deutsche. Die geografische Nähe zu Frankreich, das zeitweilige Fehlen einer deutschen Armee – zu Anfang des 19. Jahrhunderts und nach dem Zweiten Weltkrieg –, soziale Not und Abenteuerlust sind einige Gründe, aus denen die Fremdenlegion in den letzten mehr als 180 Jahren immer wieder Freiwillige aus Deutschland angezogen hat. Schätzungen zufolge hat es zwischen 1870 und 1962 etwa 100 000 Legionäre deutscher Abstammung gegeben. In den Jahren zwischen 1946 und 1954 betrug der Anteil der Deutschen in den Reihen der Fremdenlegion zeitweise mehr als 40 Prozent. Damit waren sie während der Konflikte in Indochina und Algerien die zahlenmäßig am stärksten in der Legion vertretene Nationalität. Nach der algerischen Unabhängigkeit 1962 wurde die Mannschaftsstärke der Fremdenlegion drastisch reduziert, und auch der Anteil der deutschstämmigen Legionäre nahm in der Folge immer weiter ab.

Der letzte Deutsche, der im Dienst der Fremdenlegion getötet wurde, war Ralf Günther aus dem thüringischen Dingelstädt. Er wurde 1995 in Sarajevo, als die Fremdenlegion an einer UN-Mission beteiligt war, erschossen. Sein Bruder Olaf sagt, Ralf sei unmittelbar nach der Wende 1989 mit seinem alten Saporosch – wie die sowjetischen Autos der Marke »Saporoshez« umgangssprachlich genannt wurden – in Richtung Frankreich aufgebrochen. Ralf Günther, der in einer intakten Familie aufwuchs, war im katholischen Glauben erzogen worden. In der DDR hatte er seine Firmung und die Kommunion erhalten. Er war ein guter Schüler und begeisterter Sportler. Wie sein Vater und sein Bruder war er Mitglied im Dingelstädter Turnverein. Als ich Olaf frage, warum Ralf Günther ausgerechnet in die Fremdenlegion eingetreten sei und nicht in die NVA oder, nach 1990, in die Bundeswehr, stellt sich heraus: Mit einer Körpergröße von etwa 165 cm war Ralf Günther zu klein für den Dienst in der Nationalen Volksarmee und wurde ausgemustert. Schon als Schüler litt er darunter, dass er nicht mit seinen Klassenkameraden ins Wehrlager durfte, sondern mit den Mädchen in der Schule bleiben musste. Es kann sein, sagt Olaf Günther, dass sein Bruder später etwas kompensieren wollte. Schon zu Zeiten der DDR hatte sich Ralf sehr für alles Militärische interessiert. »Es war nun mal seine Welt«, sagt sein Bruder. Nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, machte Ralf Günther eine Lehre als Stricker beim Eichsfelder Obertrikotagenwerk. Im November 1989 veränderte sich die Welt, und für Ralf war plötzlich die Möglichkeit eines Lebens als Soldat in greifbare Nähe gerückt.

Eine kurze Zwischenbemerkung zur Nationalen Volksarmee: Angeblich soll es nach der Wende viele Soldaten der NVA in die Reihen der französischen Fremdenlegion verschlagen haben. Dies wird zumindest immer wieder einmal kolportiert. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete im August 1990, dass die Anwerbebüros der Fremdenlegion einen erhöhten Zulauf an deutschsprachigen Bewerbern mit NVA-Hintergrund verzeichnen würden. Wenn im Laufe des Jahres 1990 tatsächlich viele ehemalige Soldaten der NVA in die Fremdenlegion eintraten, dann hätten sie, bei mindestens fünf Jahren Dienstzeit, Mitte der 1990er Jahre immer noch in der Legion sein müssen. Bei meinen Recherchen und in den Gesprächen mit Fremdenlegionären, die während dieser Zeit in einem der Legionsregimenter dienten, konnte ich keinen einzigen Fall identifizieren, in dem ein ehemaliger NVA-Soldat den Weg in die Fremdenlegion gefunden hätte. Es gab zwar Bürger der DDR, die wie Ralf Günther Legionäre wurden, aber gerade in diesen Fällen war der Grund ihres Eintretens in die Fremdenlegion der, dass die NVA ihnen den Wunsch, Soldat zu werden, verwehrt hatte.

Möglicherweise gefiel es dem einen oder anderen Beobachter, eine Parallele zu ziehen zwischen dem angeblichen Zustrom in die Anwerbebüros der Fremdenlegion unmittelbar nach der Wende und der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als eine hohe Zahl von demobilisierten Wehrmachtssoldaten den Weg in die Legion antrat. Beides lässt sich nicht miteinander vergleichen. Die NVA war nicht militärisch besiegt worden, und viele ihrer Angehörigen hofften nach der Wiedervereinigung auf die Übernahme in die Bundeswehr. Wer vorhatte, sein Leben als Soldat weiterzuführen, fand damit in der Bundeswehr erst einmal die näherliegende Alternative. Wer den Dienst in der Bundeswehr aus ideologischen Gründen ablehnte, hätte sich wohl kaum stattdessen als Legionär in der Fremdenlegion, ebenfalls Teil der NATO, verpflichtet. Ebenso grundlegend hatte sich die Fremdenlegion zwischen 1945 und 1990 verändert. In den ersten Jahren waren Zehntausende von Freiwilligen gebraucht worden, um als Legionäre in Indochina und später in Algerien zu kämpfen. Dagegen hatte die Fremdenlegion 1990 nur noch eine Gesamtstärke von etwa 8000 Mann und Frankreich war nicht in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, die hohe Verluste befürchten ließen.

Wie viele von den Freiwilligen, die Der Spiegel 1990 meldete, zudem wirklich Fremdenlegionäre wurden, bleibt offen. Bei einem bestehenden Überangebot an Bewerbern wurde nur ein Bruchteil von ihnen als Rekruten für die Grundausbildung akzeptiert. Und auch von diesen desertierten etliche während der ersten sechs Monate. Ein Offizier der Fremdenlegion sagte mir, als ich ihn auf das Thema der ehemaligen NVA-Soldaten in den Reihen der Legion ansprach, Offiziere und Unteroffiziere der Nationalen Volksarmee seien damals aus Sicherheitsgründen ohnehin nicht angenommen worden. Auch in der Fremdenlegion herrschte noch das Denken des Kalten Kriegs, und Angst vor Spionage war in den NATO-Staaten an der Tagesordnung.

Bei circa 1000 neuen Rekruten pro Jahr, darunter etwa drei bis fünf Prozent Deutsche, möchte ich natürlich nicht ausschließen, dass es einzelne Personen gibt, die in beiden Armeen gedient haben. Ich habe nur niemanden gefunden, der mir das glaubhaft versichern konnte. Einmal traf ich mich mit einem Mann, der behauptete, Soldat in der NVA und später Fremdenlegionär gewesen zu sein. Wir unterhielten uns lang und breit über die Vorzüge des Luftsturmregiements, einer Luftlandeeinheit der NVA, und den Alltag in der Fremdenlegion. Leider konnte der Mann weder seine Dienstzeit in der NVA noch in der Fremdenlegion dokumentieren. Es gab nicht den kleinsten Beweis, nicht einmal ein Foto, das ihn in Uniform zeigte. Zuerst dachte ich, er sei vielleicht bei den Grenztruppen oder der Stasi gewesen und wolle seine Identität verschleiern. Konnte der legionsinterne Sicherheitsdienst so etwas übersehen haben? Später tauchten immer neue Ungereimtheiten in den Gesprächen auf, und schließlich brach ich den Kontakt ab. Zumindest weiß ich heute, dass ein Luftsturmregiment nichts mit dem Wetter zu tun hat. Wie auch immer; sollten sich ehemalige Soldaten der NVA unter den Fremdenlegionären befunden haben – oder gar heute noch befinden –, so handelt es sich dabei um Ausnahmeerscheinungen und auf keinen Fall um eine große Tendenz.

Ende 1989 wurde Ralf Günther der Eintritt in die Fremdenlegion nicht einfach gemacht. Sein rot-weißer Saporosch blieb in der Nähe von Frankfurt am Main liegen, Motorschaden – »Wer früher einen Ochsen drosch, fährt heute einen Saporosch«. Günther ließ den Wagen auf einem Autobahnparkplatz stehen und fuhr mit dem Zug nach Straßburg. Dort meldete er sich als Freiwilliger im Anwerbebüro der Fremdenlegion. Von dort wurde er ins Hauptquartier nach Aubagne und später zur Grundausbildung ins südfranzösische Castelnaudary geschickt. Vor der Abreise aus Dingelstädt hatte er lediglich seinem Bruder davon erzählt, dass er in die Fremdenlegion eintreten wolle, und ihn gebeten, den Eltern nichts zu sagen. Es verging fast ein Jahr, bis sie etwas von ihrem Sohn hörten. Als sie erfuhren, dass er inzwischen Fremdenlegionär geworden war, wandten sie sich an die katholische Kirche im Eichsfeld mit der Bitte, ihren Sohn zurückzuholen. Natürlich war die Kirche in diesem Fall machtlos.

Ralf Günther nahm 1991 als Fremdenlegionär am Golfkrieg teil. Im selben Jahr bekam er zum ersten Mal einen längeren Urlaub. Olaf erinnert sich, dass es nachts um 4 Uhr an der Haustür der Familie läutete. Vor der Tür stand Ralf, einen Seesack über der Schulter, in Begleitung eines Kameraden, der aus Berlin stammte. Die Eltern freuten sich sehr, ihren Sohn wiederzusehen. Ralf verbrachte einige Tage bei seiner Familie. Er sprach nicht viel über die Fremdenlegion; nur dass er im Golfkrieg amerikanische Soldaten kennengelernt habe und dass, verglichen mit der Ausbildung in der Fremdenlegion, deren Training wirklich harmlos gewesen sei. Ralf Günther schien sein Leben als Legionär zu gefallen. »Es war sein Ding«, sagt der Bruder.

In den nächsten Jahren wurde Ralf Günther zweimal ins südamerikanische Französisch-Guyana abkommandiert. Dort nahm er an einer Ausbildung im Dschungelkampf teil. Er diente danach in Frankreich im 1. REC, dem 1. Régiment étranger de cavalerie. Das 1. Kavallerieregiment, dessen Pferde vor Jahrzehnten durch Radpanzer ersetzt wurden, war damals im südfranzösischen Orange stationiert. Ralf Günther war ein guter Soldat und wurde im Laufe der Zeit mehrmals befördert. Zuletzt war er Maréchal de logis, ein Dienstgrad der Kavalleristen, der dem eines Sergenten in den anderen Einheiten der Fremdenlegion entspricht. Nach fünf Jahren musste er eine Entscheidung treffen: Wollte er den Dienst in der Fremdenlegion verlängern oder ausscheiden? Die erste Verpflichtung eines Legionärs gilt für fünf Jahre, danach kann er für ein, zwei oder drei Jahre verlängern. Die Familie von Ralf Günther sagt, er habe sich damals auch bei der Bundeswehr erkundigt, ob sie ihn nach fünf Jahren Fremdenlegion übernehmen würde. Ihm sei gesagt worden, er könnte sich zwar als Soldat verpflichten, müsse aber wieder mit dem untersten Dienstgrad in der Bundeswehr beginnen. Daraufhin entschied er sich, bei der Fremdenlegion zu bleiben.

Im Frühjahr 1995 kam er nach Sarajevo. Die Stadt wurde während des Bürgerkriegs von bosnisch-serbischen Milizen und der jugoslawischen Volksarmee belagert. In Sarajevo wurden UN-Truppen stationiert, darunter Ralf Günther und andere französische Fremdenlegionäre, die Bevölkerung musste über eine Luftbrücke versorgt werden. Olaf Günther erinnert sich daran, dass die Familie dem Bruder ein Paket nach Sarajevo schickte. »Was man eben so schickt. Ich glaube, meine Mutter hatte eine Wurst und ein paar Lebensmittel reingetan.« Er selbst nahm für seinen Bruder eine Kassette auf – Olaf spielte damals in einer Band – und schickte ihm die Musik nach Sarajevo.

Im April 1995 war Olaf Günther mit Freunden in Dingelstädt unterwegs. Im Autoradio hörten sie die Nachricht, dass ein Fremdenlegionär in Sarajevo von einem Heckenschützen erschossen worden sei. Olaf Günther nahm die Neuigkeit wahr, dachte jedoch nicht daran, dass der Tote sein Bruder sein könnte. Als er abends nach Hause kam, fand er die gesamte Familie im Wohnzimmer vor. Ein Blick genügte ihm, um zu erfassen, was geschehen war. Ein französischer Diplomat aus Berlin hatte den Eltern die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbracht.

Der Leichnam wurde von Sarajevo nach Orange überführt. Ralf Günthers Vater flog in Begleitung eines Botschaftsmitarbeiters dorthin und nahm an einer Gedenkfeier der Fremdenlegion für seinen Sohn teil. Zwei Wochen später wurde Ralf Günther auf dem Friedhof in Dingelstädt begraben. Damals war es noch außergewöhnlich, dass deutsche Militärangehörige – das sollte sich erst mit Beginn des Afghanistankriegs ändern – bei Auslandseinsätzen getötet wurden, und viele Journalisten und Zuschauer nahmen an der Beerdigung teil.

Auf dem Grabstein aus rauem Granit steht Ralf Günthers Name, darunter Geburts- und Sterbedatum. Ralf wurde 24 Jahre alt. Über dem Namen ist das Symbol der Fremdenlegion angebracht, die siebenflammige Granate. Im 19. Jahrhundert sahen Handgranaten so aus, wie man sie aus Comics und Zeichentrickfilmen kennt: eine Kugel, aus der eine Zündschnur herausragt. Die explodierende Granate, aus der sieben Flammen herausschlagen, ist das Wahrzeichen der Fremdenlegion. Die Keramik, die heute auf dem Grabstein angebracht ist, wurde der Familie Günther von der Fremdenlegion geschenkt. »Das war halt seine Welt«, sagt sein Bruder Olaf.

Mutmaßliche Umbettung von Heinz Zimmermann, dem letzten offiziell in Algerien gefallenen Legionär, Puylonbier, ca. 1963.

Auch unter den ersten – kurz nach Gründung der Fremdenlegion 1831 – in Algerien getöteten Legionären waren mit hoher Wahrscheinlichkeit Deutsche. Ein Fall, in dem ein Deutscher als Einziger aus seiner Einheit mit dem Leben davonkam, ereignete sich 1832. In einem Buch über die Fremdenlegion, das 1888 in Frankreich erschien, einer der Autoren war General Paul Adolphe Grisot, wird von einem Gefecht berichtet, das am 23. Mai 1832 in Algerien stattfand. Eine Abteilung von 27 Fremdenlegionären wurde östlich der Hauptstadt Algier von Arabern angegriffen. Nachdem ein Offizier verschwunden und ein weiterer gefallen war, wurden sie von den Gegnern überrannt. Die Überlebenden des Gefechts gerieten in Gefangenschaft. Die Besiegten wurden vor die Wahl gestellt, entweder dem Christentum abzuschwören und sich zum Islam zu bekennen oder getötet zu werden. Der Einzige, der das Angebot annahm und überlebte, indem er zum Islam konvertierte, war ein sächsischer Legionär mit dem Nachnamen Wagner.

Elefantenorden

Im Indochinakrieg (1947–1949)

An einem Nachmittag im November 2012 schaut Anton Miller auf die Indochina-Medaille, die er in seiner Hand hält. Der 84-Jährige lächelt. Langsam fühlt er mit den Fingern über die Oberfläche des runden Abzeichens, das an einem Band aus Seide, mit vertikalen grünen und gelben Streifen, befestigt ist. Draußen beginnt es zu schneien. Von all den militärischen Auszeichnungen, die ich bei meinen Begegnungen mit Fremdenlegionären gesehen habe, ist die Indochina-Medaille eine der schönsten. Reliefartig sind im Zentrum der Medaille drei Elefanten samt Kopfschmuck und geschwungenen Stoßzähnen in Frontal- und Seitenansicht vor einer angedeuteten Pagode dargestellt. Die dicht beieinander stehenden Füße der Elefanten ruhen auf dem Schriftzug »Indochine«, um den herum sich Kobras mit aufgestelltem Nackenschild züngelnd in die Höhe recken. Am oberen Ende der Medaille, dort, wo das seidene Band befestigt ist, damit der Träger sie sich an seine Brust heften kann, bildet ein stilisierter fernöstlicher Drache den Übergang zwischen Medaille und Band. In einem Halbkreis ist am oberen Rand der Auszeichnung der Schriftzug »République Française« zu lesen. Die Medaille ist in Form und Farbgebung sehr elegant gestaltet, es findet sich nichts Militärisches darauf, weder gekreuzte Schwerter noch Kanonen oder andere Waffen sind zu sehen, lediglich die märchenhafte Darstellung fernöstlicher Attribute: Elefanten, Schlangen, Drache.

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