Hexen - Marion Gibson - E-Book

Hexen E-Book

Marion Gibson

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Beschreibung

In 13 Prozessen aus Geschichte und Gegenwart begegnet Marion Gibson Menschen vom Rand der Gesellschaft, meist Frauen, die als böse und gefährlich abgestempelt, als Hexen angeklagt, verurteilt und nicht selten getötet werden. Die Geschichte hat sie zum Schweigen gebracht, Marion Gibson gibt ihnen ihre Stimmen zurück. Sie erforscht die Überschneidungen von Geschlecht und Macht, indigener Spiritualität und kolonialer Herrschaft sowie politischer Verschwörung und individuellem Widerstand – und zeigt, wie in jeder Epoche und an jedem Ort Angst als Waffe gegen unliebsame Menschen eingesetzt werden kann. Ein unglaublich wichtiges Buch in Zeiten, in denen die Rechte von Frauen weltweit wieder auf der Kippe stehen.

»Marion Gibson gelingt etwas Wertvolles: Sie redet nicht über die Opfer, sie lässt sie lebendig werden, sie würdigt sie. Wie nebenbei und dennoch präzise entlarvt sie dabei die Motive der Verfolger. Nach der Lektüre wird man anders auf dieses Thema blicken. Zum ersten Mal vielleicht richtig.« Jarka Kubsova, Autorin Von »Marschlande«.

»Gibson untersucht, wie Hexenjagden seit Langem nicht nur mit Fragen von Geschlecht und Sexualität, sondern auch mit Klasse, Herkunft, Kolonialismus und Nationalismus verknüpft sind.« The Guardian 

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Seitenzahl: 569

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Über das Buch

»Eine Hexe ist die Migrantin, die feministische Aktivistin, die Heidin, das missbrauchte Kind, die in Armut lebende allein erziehende Mutter, die Politikerin, die Sexarbeiterin.« Marion Gibson 

Es ist die Perspektive der als Hexen Verfolgten, die Marion Gibson einnimmt, um ihre Geschichten zu erzählen: Da ist die indigene Sámi, die in den 1620er Jahren auf der norwegischen Insel Vardø des Mordes angeklagt wird, die junge Französin, die man im letzten Hexenprozess des Landes im Jahr 1731 gegen ihren Beichtvater und Sektenführer ausspielte, oder das Vorgehen der britischen Kolonialbehörden gegen lokale Anführer im Lesotho von 1948. Sie alle erregten das Missfallen der Mächtigen – und fielen ihnen zum Opfer. Denn mehr als alles andere geht es bei Hexenverfolgungen um die Angst vor Macht- und Kontrollverlust, die sich auf die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft entlädt. Marion Gibson zeigt, wie die Mechanismen hinter der Jagd auf »Hexen« bis heute nachwirken und immer neue Ausprägungen annehmen. 

»Wie man eine Hexe erkennt? – Man muss einfach heraus finden, ob sie einen mächtigen Mann verärgert hat!« Daily Mail

Über Marion Gibson

Marion Gibson ist Professorin für Renaissance und magische Literaturen an der Universität von Exeter, UK. Sie denkt über Hexen in der Geschichte nach, seit sie ein Buch über einen Hexenprozess las, das ihr an einem dunklen, regnerischen Nachmittag im November 1991 geliehen wurde. Sie war so begeistert von der Geschichte, dass sie vergaß, das Buch zurückzugeben. Heute ist sie Autorin von neun Büchern über Hexen in Geschichte und Literatur.

Karin Schuler studierte Latein und Geschichte in Tübingen und Bonn. Sie übersetzt seit 1993 Bücher aus dem Englischen und Italienischen. Zu den von ihr übersetzten Autor:innen gehören Henry Kissinger, Philippa Perry und Janina Ramirez. 

Thomas Stauder studierte Germanistik, Anglistik und Romanistik in Erlangen, Canterbury und Siena. Er übersetzt aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Spanischen. Zu den von ihm übersetzten Autor:innen gehören Umberto Eco, Henry Kissinger und Esther Paniagua.

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Marion Gibson

Hexen

Eine Weltgeschichte in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute

Aus dem Englischen von Karin Schuler und Thomas Stauder

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Einleitung — Was ist eine Hexe?

Teil Eins — Anfänge

Eins

Der Prozess der Helena Scheuberin — Ein Dämonologe schwingt den Hexenhammer

Zwei

Der Prozess der Hexen von North Berwick — Ein König ergötzt sich an der Dämonologie

Drei

Der Prozess der Hexen von Vardø — Dämonologie am kolonialen Rand Europas

Vier

Der Prozess von Joan Wright — Praktische Magie und Amerikas erste Hexe

Fünf

Der Prozess von Bess Clarke — Körperbehinderung und dämonische Familien im Englischen Bürgerkrieg

Sechs

Der Prozess von Tatabe — Versklavung und Überleben rund um Salem

Zwischenakt

Von der Dämonologie zum Zweifel

Teil zwei — Echos

Sieben

Der Prozess von Marie-Catherine Cadière — Ein neues Hexenbild und eine französische Revolution

Acht

Der Prozess von Montague Summers — Satanismus, Sex und eine Wiedergeburt der Dämonologie

Neun

Der Prozess von John Blymyer — Pow-Wow und Armut in Pennsylvania

Zehn

Der Prozess von Nellie Duncan — Hexereigesetze und der Zweite Weltkrieg

Elf

Der Prozess von Bereng Lerotholi und Gabashane Masupha — Magischer Mord am Ende des europäischen Kolonialismus

Zwischenakt

Hexenprozesse heute

Teil Drei — Transformationen

Zwölf

Der Prozess von »Shula« — Hexerei in Afrika

Dreizehn

Der Prozess von Stormy Daniels — Hexerei in Nordamerika

Epilog — So, was ist denn nun eine Hexe?

Danksagung

Anmerkungen

Abbildungsnachweis

PersonenRegister

Erläuterungen

Impressum

Einleitung

Was ist eine Hexe?

Was ist eine Hexe? Mit dieser Frage beginnt dieses Buch, doch dahinter steht noch eine andere, die wir zuerst beantworten müssen: Was ist überhaupt Magie, jene Kraft, die Hexen benutzen? Die Antwort ist abhängig von Zeit und Ort, so vielfältig wie die Geschichten der vermeintlichen Hexen dieses Buches.

In der Frühgeschichte der Menschheit war Magie in verschiedenen Kulturen mit der Macht von Heiler:innen, Schaman:innen und religiösen Anführer:innen verbunden. Sie ermöglichte es ihnen, über die Fähigkeiten der normalen Menschen hinauszugehen, um die Welt auf unerklärliche Weise zu verändern. In Gemeinschaften lebten oft mehrere solche mit »magischen Kräften« ausgestattete Menschen, die sowohl medizinische als auch priesterliche Aufgaben erfüllten. Dabei gab es keine klare Grenze zwischen heilenden und verletzenden Zaubern, denn gute und böse Magie waren Teil derselben Kraft. Am Montag konnte man von einer Person mit magischen Fähigkeiten gesegnet werden, am Donnerstag verflucht – das galt als üblicher Lauf der Dinge. Wenn man aber den Eindruck hatte, dass eine Person ihre Zauberkräfte zum Schaden anderer einsetzte, konnte man sie als »Hexe« diffamieren – für den Gebrauch von schwarzer Magie –, was ein örtliches Gerichtsverfahren mit Strafen nach sich ziehen konnte. Theoretisch konnte die Hexe verbannt oder gar getötet werden, wenn sie besonders schlimmer Verbrechen bezichtigt wurde. Aber: Zu jener Zeit waren Anschuldigungen wegen Hexerei noch nicht sehr verbreitet, und man kam auch nicht auf die Idee, Magie grundsätzlich für böse zu halten. Manche der damaligen Gesellschaften waren zwar besorgt wegen einer möglichen Verbindung zum Bösen – die antiken Griechen und Römer fürchteten, Magie sei von Natur aus gottlos –, aber die meisten glaubten trotz alledem daran, dass Magie auch Gutes bewirken konnte.

Dies änderte sich in Europa während des Mittelalters, als eine neue theologische Wissenschaft entstand: das Studium von Teufeln oder Dämonen, das passenderweise »Dämonologie« genannt wurde. In den 1400er-Jahren machten christliche Geistliche, die die Dämonologie entwickelten, auf überzeugende Weise geltend, einen besonders tiefen Einblick in die Funktionsweise des Kosmos und die Absichten Gottes gewonnen zu haben. Die Dämonologen behaupteten nun, Hexerei sei nicht bloß das Gegenteil von guter Magie, sondern das Werk von Menschen, die sich völlig dem Bösen verschrieben hätten und dadurch zu Feind:innen der Kirche geworden seien. Die üppig ausgestaltete Vorstellungswelt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert war voll von Flüchen und Segnungen, Engeln, Teufeln, Gespenstern, Geistern, die in Körper eindringen konnten, Feen, Elfen und, über all dem thronend, der gütige Gott. Für die Dämonologen gehörten die übernatürlichen Fähigkeiten des christlichen Gottes jedoch nicht zu diesem magischen Universum, denn die Zauberkräfte des biblischen Gottes und das wundersame Wirken seiner Priester galten nicht als Magie. Stattdessen betrachtete man sie als der religiösen Wahrheit entsprungen, einer anderen Kategorie von Macht, die allein christlichen Geistlichen vorbehalten war. All die anderen übernatürlichen Kräfte, die in der frühneuzeitlichen Vorstellungswelt existierten, galten infolgedessen als minderwertig und in ihrer Gesamtheit als böse Hexerei.

Dieses Entweder-Oder-Denken, das die Dämonologie prägte, entwickelte sich zum Teil aufgrund der inneren Spaltung der christlichen Kirche. Was als eine Reihe von Streitigkeiten über die Kirchenlehre begann, eskalierte zu einem gewaltsamen Krieg der Kulturen, der mit euphemistischer Untertreibung unter den Begriff der »Reformation« gefasst wurde. Die Zwistigkeiten der Reformation zwangen die Menschen, sich zwischen der katholischen (traditionellen) und der protestantischen (reformierten) Glaubensrichtung zu entscheiden. Dieser religiöse Konflikt begann mit guten Absichten, als fromme Katholiken die Spitzen ihrer Kirche aufforderten, bessere Christen zu sein. Der Papst, die Kardinäle und die Bischöfe waren keine demütigen Prediger mehr, sagten die Reformatoren, sondern in Palästen lebende Oligarchen, die ihren reichen Geldgebern die Sünden erließen. Mystiker:innen wie Katharina von Siena, Gelehrte wie Jan Hus und Übersetzer:innen wie John Wycliffe besannen sich auf alternative Quellen christlicher Weisheit: unmittelbare Visionen Gottes, neue Auslegungen alter Texte. Einige Reformatoren wurden von der Kirche akzeptiert, andere jedoch wurden ausgestoßen. Im 16. Jahrhundert verließen Hunderttausende von Menschen die katholische Kirche und gründeten ihre eigene Sekte: den Protestantismus.

Als der Hass zwischen beiden Seiten wuchs, wurde es legitim, Mitchristen zu töten, die nunmehr als dämonische Widersacher gebrandmarkt wurden. Es war dieselbe religiöse Intoleranz, die Christen bereits seit vielen Jahrhunderten gegenüber Juden und Muslimen manifestiert hatten, und die sich nun auch gegeneinander richtete.1 Katholiken und Protestanten betrachteten sich jetzt gegenseitig als Ketzer, als Irrgläubige, als Feinde der wahren Kirche und weiter, als Folge dieses binären Denkens, als Anhänger des Teufels. Die Strafe für Häresie bestand darin, lebendig verbrannt zu werden.

In einer so heftig gespaltenen Kultur schürte Misstrauen Misstrauen. Bald begannen die Oberhäupter beider Glaubensrichtungen zu untersuchen, ob sich Agent:innen Satans in ihren eigenen Reihen befanden. Vor dem 15. Jahrhundert hatten die meisten Kleriker die Heiler:innen und Wahrsager:innen unter ihren Gläubigen als harmlose Phantast:innen betrachtet – kleine Sünder:innen, die mit Zaubersprüchen und Verwünschungen ein wenig Geld verdienten und nicht viel Schaden anrichten konnten. Aber als sich das holzschnittartige Gut-und-Böse-Denken der Reformation immer mehr durchsetzte, wuchs die Furcht, dass diese Magie praktizierenden Personen mit einer bösen Macht im Bunde waren: mit dem Teufel. Wenn die Kraft, die sie benutzten, nicht offensichtlich christlich war, musste sie folglich böse sein. Das machte sie zu Hexen, und es war nur ein kurzer Schritt von der Verbrennung von Ketzern zur Verbrennung von Hexen. Denn auch wenn sie nicht identisch waren, waren doch beide Feind:innen Gottes, und die Magie einer Hexe war einfach eine besonders gefährliche Art von Häresie.2

Wer waren die Menschen, die der Hexerei beschuldigt wurden? Man ging davon aus, dass Hexen in der Regel weiblich waren. Obwohl Heiler:innen und Schaman:innen allen Geschlechtern angehören konnten, wurde die Magie, als sie zunehmend mit dem Bösen assoziiert wurde, auch immer häufiger mit Frauen in Verbindung gebracht. Denn christliche Priester waren selbstverständlich alle männlich. Viele Kleriker waren sicherlich gute Christen, die sich aufrichtig ihrem Evangelium der Liebe verpflichtet fühlten. Doch einige andere waren besessen davon, Frauen Vorschriften zu machen: bezüglich ihrer Sexualität, ihres Verhaltens und ihres Denkens. Zwar gibt es in der katholischen Theologie durchaus weibliche Heilige, und Maria, die Mutter Christi, wurde schon damals sehr verehrt – solche weiblichen Vorbilder wurden also akzeptiert –, aber die Geistlichen sinnierten lieber über Eva, die erste Frau der Menschheit. Eva hatte friedlich mit ihrem Mann Adam gelebt, bis sie der Versuchung Satans erlag, eine Frucht zu essen, die das Wissen symbolisierte. Sie verfiel der Sünde, überredete Adam, sich ihr anzuschließen und brachte ihre Nachkommen auf den Weg der Verdammnis, wenn diese nicht reumütige Leben führen wollten. Kirchenmänner, die mit dem Mythos von Eva aufgewachsen waren – und die häufig als Teil ihrer religiösen Verpflichtung im Zölibat lebten –, neigten daher dazu, Frauen für gefährliche Rebell:innen zu halten und ihnen zu misstrauen, ähnlich wie Ketzern. Es war für sie ganz offensichtlich, dass sich der weibliche Verstand leicht durch dämonische Lügen verwirren ließ, und, was noch schlimmer war: Sie verführten dann auch noch die Männer zur Sünde. Wenn also ein Dämonologe nach Anhänger:innen des Teufels suchte, war es für ihn naheliegend, bei den Frauen zu beginnen.

So wie Eva von Satan korrumpiert worden war, galten auch die Frauen des 15. Jahrhunderts als offen für seine Versuchungen. Dabei ging es nicht nur um geistige Verführung, sondern man glaubte an physische Erscheinungen des Teufels, der den Frauen praktische Hilfe anbot. In den 1480er-Jahren waren die Dämonologen davon überzeugt, dass der Teufel bei einer in Armut lebenden Frau auftauchen konnte, um ihr Geld oder Güter anzubieten und sie ganz real reich zu machen. Wenn sie Männern nicht gehorchen wollte, konnte er sie von ihrer Herrschaft befreien. Wenn sie Gesellschaft suchte, konnte der Teufel sie als Liebhaber oder in der Gestalt eines Haustiers besuchen. Wenn sie Rache nehmen wollte, konnte er ihre Feind:innen vernichten. Satan konnte ihr in menschlicher oder tierischer Form erscheinen, als vorgeblich freundlich gesonnener »Schutzgeist«.

Abb. 1: So stellte man sich Schutzgeister vor: Hier eine frühe Darstellung des Schutzgeists einer englischen Hexe – vermutlich in Form eines Igels? – aus einem Nachrichtenblatt.

Aber als Gegenleistung für seine Dienste verlangte er die Seele seines Opfers, das für ihn seine Verbindung zu Gott kappen musste und die Hoffnung auf einen Platz im Himmel verlor. Sobald es in diesen Pakt eingewilligt hatte – Seele gegen Unterstützung in allen Belangen –, markiert der Teufel es mit einem Schönheitsfehler oder einer Geschwulst: Von nun an gehörte es ihm. Und dann verleiht er ihm die gewünschte Macht, und es wird eine Hexe.

Eine Hexe konnte die Frau ihres Feindes krank machen, ihm die Milch seiner Kühe stehlen, seinen Besitz, seine Ernte oder seine Gesundheit schädigen oder ihn töten, so die Dämonologen. Und sobald sie den Handel eingegangen war, war die Hexe verdammt. Sie wurde zum Mitglied der Kirche Satans, dem bösen Zwilling der Kirche Gottes. Deren Gemeinden praktizierten obszöne Rituale auf Versammlungen, die man »Hexensabbat« nannte, in Anlehnung an den Namen des heiligen Tages der Christen und Juden. Bei diesen Treffen – zu denen sie mitunter auf Tieren oder Besenstielen flogen, so stellte man es sich vor – beteten die Hexen den Teufel an und suchten nach willigen Neuzugängen, die ihre Seelen Satan überlassen sollten. Die Dämonologen kamen zu dem Schluss, dass der Teufel nicht nur ein Verführer und eine Brücke zum Bösen war, sondern laut ihrer neuen Wissenschaft war er zum Gott der Hexen geworden, ein Vollbringer von Wundern, dem man mit Mord und Gewalttätigkeit zu dienen hatte. Das Gut-und-Böse-Denken dieser Theologen – Gott oder Teufel, fromm oder ketzerisch, Christin oder Hexe – resultierte in einer großen Zahl von Hexenprozessen. Denn wenn Hexen das absolut Böse verkörperten, Feind:innen Gottes und der Menschheit waren, dann war die einzig mögliche Antwort, sie vor Gericht zu stellen, zu verurteilen und zu töten. Hunderte von Hexen wurden von Kirche und Staat verurteilt und anschließend hingerichtet, eingekerkert oder ins Exil geschickt.

Die Theorien der Dämonologen entsprachen natürlich nicht der Realität. Es war unmöglich zu beweisen, dass tatsächlich Krankheits- oder Todesfälle durch Magie verursacht wurden. Materielle Belege für die Existenz von Hexensabbaten gab es nicht, und die mündlichen Berichte darüber unterschieden sich sehr stark voneinander. Wenn man aber nicht wirklich daran glaubte, dass die der Hexerei beschuldigten Menschen ihre Feind:innen mit Flüchen getötet oder Teufelsanbetung betrieben hatten, wieso stellte man sie dann vor Gericht? Misogynie spielt hier eine entscheidende Rolle, die der Furcht, dem Hass und der diskriminierenden Haltung der Ankläger:innen zugrunde liegt. Die meisten der angeblichen Hexen waren materiell ärmere Frauen, einige mit ungewöhnlichen religiösen Ansichten oder einem selbstbewussten Auftreten, das den Argwohn ihrer Nachbar:innen erregte. Manche waren verhältnismäßig wohlhabend, aber dennoch Außenseiterinnen in ihrer Gemeinschaft. Einige waren auch ältere Frauen, allein lebende Witwen. Aber häufig ging es um jüngere Frauen, mit oder ohne Kinder, manche verheiratet, andere nicht, einige arbeiteten, andere bettelten. Oft waren es Frauen, die im Ruf standen, in irgendeiner Form benachteiligt worden zu sein, indem man sie verletzt, schikaniert oder sitzen gelassen hatte, ihnen Almosen oder eine Anstellung verweigert hatte. Ihre Nachbar:innen hörten sie manchmal scharfe Worte ausstoßen.

Dann passierte einer Person etwas, die sich den Unwillen der vermeintlichen Hexe zugezogen hatte: ihre Kuh starb, ihr Kind hatte Halluzinationen, ihr Schiff sank. Die Leute begannen zu glauben, eine Hexe habe dieses Unglück verursacht. Vielleicht hatte die Beschuldigte tatsächlich versucht zu zaubern. Die Hoffnung, mit Magie ein wenig Macht zu gewinnen, war eventuell größer als die realen Einschränkungen durch Geschlechtszugehörigkeit, wirtschaftlichen Status oder die Unterschiede im Glauben und in den beruflichen Möglichkeiten. Aber manchmal gab es auch keinen einzigen Beweis für irgendeine Art von Magie aufseiten der Beschuldigten.

So oder so, wenn die Angeklagten verhaftet und vor den Pfarrer oder Richter gezerrt wurden, war es nicht ungewöhnlich, dass sie die Ausübung von Hexerei gestanden oder zumindest zugaben, an Magie zu glauben. Eine als Hexe angeklagte Frau besaß ihre eigenen volkstümlichen Vorstellungen von Hexen und Zauberei, die sich oftmals von den Befürchtungen ihrer Verhörer unterschieden. Ließ man eine Beschuldigte frei reden, war es wahrscheinlicher, dass sie von heilenden Zaubersprüchen statt Verwünschungen sprach, dass sie sagte, sie hätte Kontakt zu irgendeiner Art von Geistern gehabt statt zu Teufeln, und dass sie folkloristische Geschichten von Tauschgeschäften mit Feen oder Kobolden erzählen würde statt von Teufelsanbetungen. Aber unter dem Druck ihrer Ankläger pflegte sie in der Regel deren Erwartungen so lange beizupflichten, bis eine Verurteilung plausibel erschien.3

In einigen Gerichtsbarkeiten wurden Verdächtige gefoltert – die Folter mit speziell dafür entwickelten Geräten war in großen Teilen Europas damals legal. Unter der Folter gestand man so ziemlich alles: Massentreffen von Hexen, Teufelsanbetung, Orgien, Grabräuberei, Säuglingsmord, Flüge, Kannibalismus. Die eigenen Ängste der Verhörer bezüglich böser, verbotener oder tabuisierter Dinge hatten großen Einfluss auf ihre Fragen an die Verdächtige und damit auch auf deren Geständnisse. Und auch in Jurisdiktionen, in denen die Folter verboten war, wurde eine der Hexerei verdächtigte Frau zumindest von den Würdenträgern eingeschüchtert, die sie befragten – Kirchenmänner und Richter, Adlige und Könige. Normalerweise interessierten sich so bedeutende Männer kein bisschen für Frauen wie sie – also erzählten diese ihnen, was sie hören wollten. Nicht selten wurde sie bedrängt, belogen und bedroht. Mancherorts war Schlafentzug – der nicht als Folter verstanden wurde – eine zulässige Maßnahme.4 Auf diese Weise drangsaliert, mochte die Verhörte aus ihrem Gedächtnis alte Verwünschungen hervorkramen – wütende Gedanken über den Händler Peter, gehässige Worte, die sie der Bäuerin Anna ins Gesicht gesagt hatte.

Selbst wenn sie nichts Unrechtes getan hatte und bei der Vernehmung nichts gestand, wurde die Angeklagte vor das Gericht gebracht, das an ihrem Wohnort über vermeintliche Hexen urteilte. In juristischer Hinsicht herrschte im Europa des Mittelalters und der Reformation ein großes Durcheinander. Wo der Katholizismus der offizielle Glaube war (hauptsächlich in Mittel-, Süd- und Osteuropa), wurden Hexenprozesse häufig von Kirchenvertretern, sogenannten Inquisitoren, geleitet, obwohl auch Bischöfe, Parlamente, weltliche Herrscher und lokale Magistrate eigene Gerichtsbarkeiten besaßen. In protestantischen Gebieten (vor allem im Norden und Westen) traten staatliche Behörden an die Stelle religiöser Gerichte. Im Rahmen der Ausbreitung der Dämonologie über den Atlantik bis nach Amerika wurden Hexenprozesse zunehmend von einfachen Leuten, niederen Beamten oder Amateurermittlern angestoßen. In den staatlichen Gerichten gab es keinen Inquisitor. Stattdessen legten die Ankläger ihre Beweise einem Gremium von Richtern oder einer Bürgerjury vor, die dann das Urteil fällten. Bei der Verhandlung konnte die mutmaßliche Hexe durchaus entlastet und freigelassen werden. Aber ebenso konnte sie verurteilt werden zu Buße, Gefängnis, Verbannung oder Tod durch Erhängen oder Verbrennen. Es hing von den Gesetzen ihrer Kirche oder ihres Staates ab, ob sie als Schande ihres Volkes angeprangert, exiliert oder getötet wurde. Denn das war im späten 15. Jahrhundert die Antwort auf die Frage: »Was ist eine Hexe?« – Hexen waren die Verkörperung von allem Bösen, sie waren die perfekte Feindin.

Über sieben Jahrhunderte erstreckt sich die Geschichte, die Hexen: Eine Weltgeschichte der Hexenverfolgung in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute erzählt. Sie zeigt, wie die dämonologische Vorstellung von der Hexe entstand und sich entwickelte, wie sie sich im Lauf der Zeit veränderte, ohne jemals ganz zu verschwinden. Stattdessen wurde sie umfunktioniert, so dass Hexen weiterhin weltweit vor Gericht gestellt werden. Das Bild der Hexe als Feindin, die mit dem Teufel im Bunde ist, verbreitete sich in der christlichen Welt – auf der in diesem Buch der Schwerpunkt liegt – vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Im ersten Teil dieses Buches stehen sechs Geschichten von Hexenprozessen im Mittelpunkt, angefangen bei denen, die von hohen Vertretern der Kirche und des Staates persönlich geleitet wurden, bis hin zu anderen, die von unabhängigen Bürger:innen unter dem Einfluss der Ideen der Dämonologie auf den Weg gebracht wurden.

Alle »Hexen« von Teil eins sind Frauen. Denn wie wir gesehen haben, war weibliches Wissen während der Hexenprozesse vom 15. bis zum 18. Jahrhundert besonders gefürchtet, mit der biblischen Eva als abschreckendem Vorbild. Während der gesamten Geschichte bis in die noch nicht allzu weit entfernte Vergangenheit hatten Frauen kaum Zugang zu einer Ausbildung in Theologie, Recht, Medizin und weiteren Berufen. Aber sie besaßen Fachwissen über den weiblichen Körper und praktische, lebenswichtige Belange. Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa glaubten die Menschen oft, Magie sei für dieses Wissen unerlässlich. An den meisten Orten gab es weibliche Zauberkundige – Krankenschwestern, Beschwörerinnen, Beraterinnen, Hebammen –, die manchmal Geld mit ihrem inoffiziellen Wissen verdienten. Einige der Hexen von Teil eins gehören dieser Kategorie von Frauen an.

Um einem kranken Baby zu helfen, stimmten solche Frauen gerne einen Sprechgesang von Gebeten und Zaubersprüchen an und gaben Ratschläge zur Ernährung und Pflege, ob es nun sinnvolle waren oder nicht. Um Probleme beim Bierbrauen oder bei der Herstellung von Molkereiprodukten zu beheben, warfen sie bisweilen ein heißes Stück Eisen in ein Bierfass oder einen Milchtopf. Einige legten Kranken ihre Hände auf, um diese durch die Berührung zu heilen, oder sie verschrieben ihnen einen Kräutertrank. Andere verkauften segensbringende Gegenstände: Pflanzensamen in einem Stoffbeutel, eine getrocknete Tierpfote, ein aufgeschriebenes Gebet. Auch Frauen, die sich nicht als Zauberkundige sahen, sondern ganz normale Hausfrauen oder Adlige waren, benutzten solche Gebetsformeln, Ratschläge und Zaubersprüche, ebenso wie einige Männer. Doch den Autoritäten von Kirche und Staat begannen diese Formen von Machtanmaßung zunehmend zu missfallen. Manchmal – und nicht unbedingt zu Unrecht – verurteilten sie derartige Heilmittel als nutzlos, doch gleichzeitig hielten sie sie für dämonisch: Wenn sie nicht auf natürliche, offensichtliche Weise funktionierten und nicht von der Kirche gebilligt wurden, dann steckte ja vielleicht der Teufel dahinter. Zustimmung erhielt diese Ansicht nicht selten von Patient:innen und Klient:innen, bei denen der Zauber nicht so gut gewirkt hatte wie erhofft. Aufgrund solcher Verdächtigungen und der Assoziation von Frauen mit Sünde wurden weibliche Zauber- und Kräuterkundige häufig im Rahmen von Hexenprozessen angeklagt.

Aber sie wurden zusammen mit anderen Frauen vor Gericht gestellt, von denen einige ihre Dienste in Anspruch genommen hatten, andere aus anderen Gründen der Hexerei bezichtigt wurden. In diesen Verdacht konnten nämlich auch jene Frauen geraten, die sich der Häresie oder der Promiskuität schuldig gemacht hatten. Einige der Hexen im ersten Teil dieses Buches wurden als Irrgläubige betrachtet, als Mitglieder der »falschen« christlichen Konfession oder sogar als aktive Gegner:innen des Christentums. Manche waren auch Indigene, die ihre eigene Religion hatten. Von wieder anderen Frauen wurde gesagt, sie hätten außereheliche Liebhaber gehabt oder uneheliche Kinder zur Welt gebracht, beides schwerwiegende Verstöße gegen die christliche Moral. Ihre »ungezügelten« sexuellen Aktivitäten und ihr Dasein als alleinerziehende Mütter erregten den Argwohn ihrer Ankläger, auch weil sie fürchteten, dass diese Eigenschaften ein spezifisch weibliches Wissen über Sexualität und Fruchtbarkeit beinhalteten.

In vielen Gerichtsbarkeiten machten Frauen 75 bis 90 Prozent der Angeklagten aus, waren also stark überrepräsentiert. Auch Männer wurden wegen Hexerei vor Gericht gestellt, an ein paar wenigen Orten waren sie sogar in der Mehrheit. Aber im statistischen Durchschnitt war Hexerei ganz eindeutig ein weibliches Verbrechen. Manche Historiker:innen haben die Hexenprozesse zwar als genderspezifische Verfolgung interpretiert, aber die meisten fokussieren sich auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Faktoren dieser Anklagen. Eine überzeugende Erkenntnis dieser Forschungen bestand darin, dass ärmere Menschen überproportional häufiger vor Gericht gestellt wurden als reichere Menschen. Personen, die durch ihren Charakter, ihren Glauben, ihr Verhalten oder geringgeschätzte Lebenswege auffielen, gerieten ebenfalls oft in Verdacht. Auch religiöse und politische Unruhen, die Gemeinschaften gegeneinander aufbrachten, befeuerten immer wieder Hexenverfolgungen. Und als im 15. Jahrhundert die Epoche des weltweiten europäischen Kolonialismus begann, ist außerdem klar ersichtlich, dass Angehörige indigener Gemeinschaften aufgrund ihrer religiösen und ethnischen Verschiedenheit von den Siedler:innen häufig der Hexerei beschuldigt wurden. All diese Beobachtungen sind wichtig und werden in diesem Buch erörtert. Aber erstaunlich oft übersah die Forschung das Übergewicht weiblicher Hexereiverdächtiger oder spielte es herunter, so als wäre es zu offensichtlich, um es überhaupt zu erwähnen, oder als wäre es gegenüber anderen Faktoren von sekundärer Bedeutung.5 Dieses Buch stellt die Tatsache in den Vordergrund, dass Frauen aller Art die überwältigende Mehrzahl der Opfer von Hexenprozessen darstellten, und dass Frauenfeindlichkeit weltweit immer noch ein tiefverwurzeltes Problem ist. Wenn wir diese Dimension unberücksichtigt lassen, können wir das Phänomen der Verfolgung im Zeichen der »Hexerei« nicht wirklich verstehen und auch nicht erklären, wie dieses Konzept noch heute als Waffe eingesetzt wird.

Sobald die dämonologische Idee der Hexe erst einmal das Licht der Welt erblickt hatte, spielte es keine Rolle, dass sich die Welt veränderte und die sogenannte »Aufklärung« zu vermehrtem Interesse an wissenschaftlichem Empirismus und zu größerer religiöser Toleranz führte. Immerhin gab es ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in der christlichen Welt keine Massenprozesse gegen praktizierende Hexen mehr. Die Menschen dachten nun subtiler, differenzierter, die Einstellungen und die Gesetze begannen sich zu ändern. Unglücksfälle wurden nicht mehr wie früher üblich erklärt, hatte man nun doch ein besseres Verständnis der Natur und größere medizinische Kenntnisse. Zumindest ein Teil der Menschen dachte nun nicht mehr in simplen Entweder-Oder-Kategorien und war bereit, sich mit der komplexen Wirklichkeit auseinanderzusetzen, mit den Rätseln der Biologie, der Philosophie, der Wirtschaft. Nach der Französischen Revolution nahm die Bedeutung der Dämonologie ab, die von Verschwörungstheorien nahm zu. Der neue Feind waren Geheimbünde: Freimaurer, Jesuiten, Illuminaten. Dies weitete sich auf andere Randgruppen aus, und Juden wurden wieder einmal zum Ziel, wie es schon in früheren Epochen der Fall gewesen war.6 Im späten 19. Jahrhundert waren die vermeintlichen Feinde der Gesellschaft dann Spiritisten, Anarchisten, Kommunisten, Suffragetten und Homosexuelle, und im 20. Jahrhundert kamen Bürgerrechtler und antikoloniale Nationalisten hinzu.

Diese Feind:innen wurden zwar nicht mehr Hexen genannt, und die Bedrohung, die angeblich von ihnen für die etablierte Ordnung ausging, war ganz unterschiedlicher Art, aber ihre Verfolgung wurde häufig und bezeichnenderweise von ihren Gegner:innen als »Hexenjagd« bezeichnet. In der Tat wurden die Verdächtigen auf eine Weise behandelt, die an den Umgang mit Hexen in früheren Jahrhunderten erinnerte. Diese neue Art von Hexenprozess bildet den Schwerpunkt von Teil zwei dieses Buches: postdämonologisch, aber immer noch auf der Grundlage des binären Denkens der Dämonologie. Alte Gewohnheiten verschwinden überraschend langsam, und die Vorstellung vom Feind im Inneren der Gesellschaft blieb erhalten. Menschen brauchten immer noch Sündenböcke, und Politiker brauchten immer noch Feinde. Diese metaphorischen Hexen von Teil zwei waren nach wie vor häufig Frauen aller Art, ärmere Menschen, Personen, die durch ihr religiöses oder kulturpolitisches Engagement auffielen, durch ihre Hautfarbe, nichtkonforme Sexualität oder unorthodoxe Religion. Wo die Menschen einst von einer Kirche des Teufels phantasiert hatten, fürchteten sie sich nun vor einem neuen »Bösen«.

Doch wie früher gibt es auch heute noch viele Menschen, die an die buchstäbliche Existenz von Hexen glauben. Nicht jeder in der christlichen Welt war von der Säkularisierung betroffen, erlebte revolutionäre Veränderungen in den politischen Strukturen oder kam zu der Überzeugung, dass moderne Bürger:innen sich mehr um die Gesellschaft als um die Religion kümmern sollten. Während der Kolonialzeit verbreitete sich das Christentum zwischen dem späten 18. und dem 20. Jahrhundert auf dem gesamten Erdball, und seine Missionare und Gläubigen trugen das dämonologische Bild der Hexe mit sich, ob sie es nun wollten oder nicht. Sie trafen auf allen Kontinenten, in allen Kulturen und unter den Anhänger:innen aller Religionen Menschen, die an andere Arten von Hexerei und Magie glaubten, und reicherten ihre indigenen Vorstellungen zusätzlich mit christlicher, eigentlich längst überkommener Dämonologie an. Die Nachwirkungen sind bis heute spürbar, und man kann keineswegs sagen, dass sich weltweit die Auffassung durchgesetzt hätte, es gebe keine Hexen mehr.

Der dritte Teil des Buches rundet die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Hexerei ab durch einen Blick auf wirkliche und metaphorische Hexenjagden heute, auf zwei Kontinenten, in Afrika und Nordamerika. In einigen Teilen der Welt ist es nämlich auch heute noch üblich, einen Nachbarn, der dämonischer Machenschaften oder der Hexerei verdächtigt wird, zu verfolgen und ihn nach offiziellen oder inoffiziellen, absolut realen Hexenprozessen zu verbannen, zu inhaftieren oder zu töten. Währenddessen identifizieren sich andere Menschen freiwillig und voller Begeisterung als »Hexe«, weil sie einer modernen, »heidnischen« Religion anhängen oder schlicht an die Existenz von Magie glauben – manchmal als wirksames Mittel gegen politische Feind:innen, oft auch zur persönlichen Selbstermächtigung. Solche Anhänger:innen der Hexerei können ebenfalls Verfolgung erleiden.

Die Hexe in all diesen Erscheinungsformen ist für die Geschichtsforschung bereits seit Langem ein faszinierender Untersuchungsgegenstand, aber oft tauchen »Hexen« in wissenschaftlichen Studien nur deshalb auf, um eine Theorie über eine bestimmte Auswahl von Verdächtigen zu illustrieren. Die genauen Lebensumstände und Biographien dieser Personen – Menschen wie Sie und ich – sind häufig ignoriert worden. Ziel dieses Buches ist es daher, die Geschichten der als Hexen angeklagten Opfer weitgehend aus ihrer eigenen Perspektive zu erzählen, mit neuen Erkenntnissen zu ihren Hintergründen und Familien, ihren Glaubensüberzeugungen, Hoffnungen und Ängsten, um dadurch ihre Sicht der Ereignisse und nicht die Sicht ihrer Verfolger zu präsentieren. Wir werden sehen, was ihnen in ihrem sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontext widerfuhr, aber der Schwerpunkt wird darauf liegen, wie sich ihre Erfahrungen für sie persönlich anfühlten. Hexenprozesse werden durchgeführt, um Macht über andere Menschen auszuüben – um sie zu verletzen, zum Schweigen zu bringen, zu verurteilen und zu töten. Wenn wir diesen Schmerz und die daraus resultierende Verbitterung nicht nachempfinden, können wir die Unrechtmäßigkeit, das offenkundige Unrecht dieser Verfolgung nicht verstehen. Denn wenn wir es nicht nachfühlen, wie können wir es dann bekämpfen? Deshalb versuche ich, mich den Angeklagten so weit wie möglich zu nähern, nenne sie bei den Namen, die sie sich selbst gegeben haben, und stelle mir vor, was sie in dieser Situation gesehen, gehört, gerochen und gedacht haben könnten. Speziell die Geschichte der Frauen gilt manchmal als nicht rekonstruierbar. Aber das ist nicht immer der Fall. Es gibt zwar große Wissenslücken bezüglich der Erfahrungen von Frauen in der Geschichte, die nicht nur im Fall der Hexenverfolgung größtenteils darauf zurückzuführen sind, dass die Gerichtsakten von Männern verfasst wurden. Deren gesellschaftliches Umfeld erzog sie zu einer frauenfeindlichen Haltung, und sie interessierten sich dementsprechend nicht sonderlich für das Leben der Frauen, die sie da verurteilten, und ließen vieles unerwähnt. Aber einige dieser Lücken lassen sich durch weitere Forschung oder kreatives Denken sehr wohl füllen. Diese geschichtliche Darstellung ist jedoch keine Spekulation; ihre Quellen, darunter Originalaufzeichnungen und Studien von Expert:innen, werden in den Anmerkungen genannt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse will dieses Buch den Angeklagten jenseits ihrer Klassifizierung als »Hexen« ihre eigenen Identitäten zurückgeben.7

Hexen sind nach wie vor die Ausgeburt menschlicher Ängste, die Verkörperung des Anderen, und der Hexenprozess bleibt für Machthaber ein nützlicher Mechanismus. Angesichts der Tatsache, dass einige marginalisierte Gruppen in den letzten drei Jahrhunderten mehr Einfluss gewonnen haben, ist das Bild der Hexe weiterhin ein hilfreiches Instrument für ihre Unterdrückung – und man hört nicht seltener, sondern immer häufiger von Hexenprozessen. Wenn Sie dieses Buch vollständig gelesen haben, werden Sie, so hoffe ich, wissen, woran Sie eine Hexe erkennen und wie Sie sich auf ihre Seite stellen können, wenn sie von Ankläger:innen, Inquisitoren, Richtern oder Hexenjägern bedrängt wird. Die Geschichte und die Methoden der Hexenverfolgung zu kennen, ist heutzutage von entscheidender Bedeutung, sobald man sich bewusst gemacht hat, dass immer noch Hexen vor Gericht gestellt werden.

Teil Eins

Anfänge

Eins

Der Prozess der Helena Scheuberin

Ein Dämonologe schwingt den Hexenhammer

Im österreichischen Innsbruck steht ein Haus mit goldenen Dachziegeln, die im alpinen Sonnenschein glänzen. Das Haus ist zum Hauptplatz der Stadt hin ausgerichtet, und sein »Goldenes Dachl«, wie es im Volksmund heißt, beschirmt einen Erker, von dem aus man den Markt überschaut. In den 1480er-Jahren gehörte das Haus – noch ohne goldenes Dach, das erst ein Jahr nach Sigismunds Tod angebracht wurde – Erzherzog Sigismund von Österreich und seiner Ehefrau Katharina, die in Innsbruck das Sagen hatten. Sigismund war eine Art Minikaiser, er zählte zu den reichsten katholischen Fürsten Europas. Von seinen Fenstern blickte er hinab auf Marktstände, die venezianisches Glas, Seidenstoffe und Gewürze aus China und Indonesien, Salz und Silberwaren aus den Alpen sowie deutsche Wurst und Weine verkauften. Innsbruck verdiente sein Geld – Kreuzer und später die Silbertaler – mit den deutschen und italienischen Handelsrouten, die sich in der Stadt kreuzten. Die modische Kleidung seiner Bürger:innen zeigte ebenso wie die vergoldeten Dachziegel, dass es der Stadt gut ging. Sigismunds Kaufleute, die den Reichtum hervorbrachten, wohnten um den Markt und die Brücke über den Inn herum, die der Stadt ihren Namen gegeben hatte. An Feiertagen fanden hier Feste, Umzüge und religiöse Schauspiele statt. Afrikanische Tänzer:innen und polnische Musikant:innen unterhielten die Menschenmassen. Am Platz standen auch die Gebäude, von denen aus Innsbruck regiert wurde, und eines Samstagmorgens, am 29. Oktober 1485, konnte man sehen, wie die Würdenträger im Rathaus zusammenkamen. Viele Priester in langen Talaren waren darunter, gegen die Herbstkälte in schwarze Wolle gehüllt. Schreiber huschten mit Büchern und Papieren umher. Das waren die Unterlagen für einen Hexenprozess.

Das Rathaus von Innsbruck bildete das Herz des Stadtlebens. Im Erdgeschoss befanden sich Läden, und über den Schreibstuben und Versammlungsräumen, in denen die Ratsherren tagten, erhob sich ein riesiger, 55 Meter hoher Turm. Von dort oben hatten Wachen das Stadtleben und das Land jenseits der Mauern im Auge. Sie hielten nach Feuern, Eindringlingen und Störenfrieden Ausschau, die sie festnehmen und in ein Gefängnis im Rathaus sperren konnten. In diesen Zellen warteten im Oktober 1485 sieben Frauen, die man der Hexerei beschuldigte, auf ihren Prozess: Helena Scheuberin, Barbara Selachin, Barbara Hüfeysen, Agnes Schneiderin, Barbara Pflieglin, Rosina Hochwartin und Rosinas Mutter, die ebenfalls Barbara hieß. Sie waren alle schon im Ratssaal befragt worden und saßen seit mehreren Wochen in Haft, um jetzt der Hexerei angeklagt zu werden. Den Prozess hatte ihr Richter, der Inquisitor Heinrich Kramer, geplant. Inquisitoren waren katholische Spitzenfunktionäre, die Häresien untersuchten – Glaubensüberzeugungen, die den Lehren der Kirche zuwiderliefen. Im späten 15. Jahrhundert hielten manche Kirchenmänner Hexerei für eine Häresie, deren Anhänger:innen den Teufel anbeteten. Zu diesen Denkern einer neuen Generation zählte auch Heinrich Kramer, einer der ersten Dämonologen. Er wollte nun einen Schauprozess führen, um die dämonologische Theorie in die Praxis umzusetzen.

Die Geschichte des Hexenprozesses, der Innsbruck 1485 erschütterte, beginnt mit Heinrichs Besessenheit von Hexen – und ganz allgemein davon, abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen.

Abb. 2: Häretiker:innen der »Vaudois«-Gruppe in den französischen Alpen, die in einem Manuskript aus dem fünfzehnten Jahrhundert als Hexen auf Besenstielen dargestellt werden. Ideen wie diese nährten Heinrich Kramers Interesse an den Verbindungen zwischen Ketzerei und Hexerei.

Er war um 1430 im elsässischen Schlettstadt zur Welt gekommen, zu einer Zeit, in der Reformer die Hierarchie der katholischen Kirche in der Region angriffen. Der junge Heinrich verfügte über den notwendigen Intellekt, um die Kirche zu verteidigen, und er wurde Mönch. Ein großer Schritt nach oben für jemanden, der aus einer Krämerfamilie stammte, und er stieg schnell in der Kirchenhierarchie auf. Ab 1474 war Heinrich ein Inquisitor, der alle möglichen Arten von Häresie untersuchte, doch es war die Hexerei, die ihn besonders faszinierte. In den 1480er-Jahren hatten die meisten Kirchenmänner noch sehr traditionelle Ansichten zum Thema: Sie hielten Hexen für Träumerinnen, die nichts bewirkten, für Pfuscherinnen, die Flüche und Amulette feilboten. Doch im Laufe des letzten halben Jahrhunderts war eine einflussreiche Minderheit, zu der auch Heinrich zählte, zu der Überzeugung gekommen, dass Hexen Teufelsanbeterinnen seien, die ihre Seelen Satan verkauft hätten, ihn anbeteten, Tiere und Menschen töteten und alles Böse vollbrachten, das man sich nur vorstellen konnte. Oder vielmehr, das Heinrich sich vorstellen konnte.1 Als zölibatär lebender Mönch wusste Heinrich herzlich wenig von den Frauen, die er verdächtigte. In seinen Augen waren sie geistlose, eitle Geschöpfe, verführerisch, unzuverlässig, besessen von Sex und Macht. Wie die Incel-Community unseres digitalen Zeitalters suchten manche mittelalterliche Kirchenmänner eine Möglichkeit, Frauen ihrer Sexualität wegen zu verurteilen, während sie gleichzeitig gerade davon unglaublich fasziniert waren. Heinrichs Brüten über dieses Thema überzeugte ihn schließlich davon, dass die Hexen, da der Teufel nun einmal männlich war, als Teil ihres satanischen Handels mit ihm schliefen. Zudem, so glaubte er, nutzten sie ihre Macht in Evas Nachfolge rein dazu, um Männer zu täuschen.

Abb. 3: »Die Hexe«: ein Stich von Albrecht Dürer aus dem frühen 16. Jahrhundert. Die dargestellte Frau reitet rücklings auf einer Ziege durch die Lüfte, um die unnatürlichen Fähigkeiten und die verdrehte Moral von Hexen auszudrücken.

Auf den ersten Blick wundert man sich, dass Kirchenmänner gerade zu solchen Überzeugungen kommen und sie verbreiten konnten, doch dieses neuen Denken, die Dämonologie, fand in gelehrten Kreisen Anklang.

Heinrich hatte seine persönliche dämonologische Theorie und Methode der Hexenjagd ein Jahr zuvor in Ravensburg, etwa 150 Kilometer westlich von Innsbruck, perfektioniert. Im Jahr 1484 war er mit einem Brief Erzherzog Sigismunds, der nicht nur über Innsbruck, sondern über einen großen Teil Österreichs sowie Teile Deutschlands, Ungarns und Italiens herrschte, in die Stadt gekommen. In Zusammenarbeit mit dem Stadtrat hatte Heinrich dann, wie es unglücklicherweise sein Recht war als österreichischer Inquisitor, Frauen unter der Folter befragt. In Ravensburg konzentrierte er sich auf zwei Angeklagte, Anna von Mindelheim und Agnes Baderin. Unter seiner hochnotpeinlichen Befragung gestanden beide Frauen alles, was Heinrich ihnen vorwarf. Sie bestätigten seine Theorien: Ja, sie hatten Pferde getötet, Stürme heraufbeschworen und den Teufel angebetet. Anna und Agnes bekannten auch, dass sie mit Teufeln verkehrt und sogar den Penis eines Mannes hatten verschwinden lassen. Warum? Weil Heinrich davon ausging, dass weibliche Hexen Männer hassten und sie kastrieren wollten. Es war eine lächerliche Hypothese, die nur in einer männerdominierten Gesellschaft entstehen konnte, doch so bizarr Heinrichs besondere Form des Dämonenglaubens auch war – Anna und Agnes wurden ihretwegen bei lebendigem Leib verbrannt.2

Im August 1485 kam Heinrich Kramer also in Innsbruck an. Nach den Hinrichtungen in Ravensburg hatte er seinen Erfolg bei der Hexenjagd an Erzherzog Sigismund gemeldet. Als Mann der Kirche war er theoretisch nicht Sigismunds weltlicher Herrschaft unterworfen, doch aus praktischen, politischen Gründen musste Sigismund zustimmen, wenn Heinrich seine Untersuchungen weiterführen wollte. Der Inquisitor hatte gleichzeitig auch an den Papst berichtet und konnte Sigismund so päpstliche Schreiben vorlegen, die seine dämonologische Arbeit autorisierten und den Erzherzog zur Kooperation aufforderten. Wenn er sich also die Gunst des Papstes erhalten wollte, musste Sigismund Heinrichs Arbeit erlauben – und er wollte doch sicher nicht, dass Häretiker:innen oder Hexen in seinem Erzherzogtum ihr Unwesen trieben, was laut Heinrich der Fall war, oder? Doch obwohl er Heinrichs Hexenjagd zustimmte, ärgerte ihn die Macht der Kirche. Da war plötzlich so ein dahergelaufener Inquisitor und sagte dem Erzherzog, was er zu tun hatte! Was, wenn Heinrich Gemeinschaften zerrüttete, die bisher friedlich zusammenlebten und ihrem weltlichen Herrscher Geld einbrachten? Sigismunds Unterstützung war deshalb nicht bedingungslos: Er wollte keiner Hexe unter seinem Dach Zuflucht gewähren, doch ebensowenig wollte er, dass der Strom des Kaufmannsgeldes, das es finanziert hatte, versiegte.

Ähnlich zwiegespalten war der Bischof von Brixen, dessen Diözese zu Sigismunds Erzherzogtum gehörte. Bischof Georg Golser war erst kürzlich vom Papst bestätigt worden – nach Jahrzehnten des politischen Konflikts zwischen dem Erzherzog, dem Papst und Georgs Vorgänger als Bischof, der ständig um die Kontrolle über Ländereien, religiöse Einrichtungen, Höfe und Steuern gekämpft hatte. Bischof Georg wollte seine gerade erst wiederhergestellten guten Beziehungen zu Sigismund nicht beschädigen. Er hielt Heinrich für einen fähigen Gelehrten, las voller Ehrfurcht die Papstbriefe und hatte keinen Grund, seinen Motiven zu misstrauen, doch auf Ratschlag Sigismunds hin schrieb er mehreren vertrauenswürdigen Kollegen mit der Bitte, die Verfahren des Inquisitors zu beobachten – natürlich unter dem Vorwand, ihm Beistand zu leisten. Wie Sigismund machte auch Georg sich zu Recht Sorgen, dass die Dinge aus dem Ruder laufen könnten. Aber keiner der beiden konnte ahnen, dass eine Frau die Schlüsselrolle dabei spielen würde: jemand ohne Position in Kirche oder Staat, ohne Handelsimperium, Ansehen als Theologe oder Politiker – eine Frau, von der man erwartete, dass sie still dabeisaß, wenn Männer über geistliche Dinge redeten. Diese Frau war die erste, die in Innsbruck als Hexe angeklagt werden sollte, und ihr Name war Helena Scheuberin.

Helena war in Innsbruck zur Welt gekommen und aufgewachsen. Acht Jahre vor Heinrichs Ankunft hatte sie den Kaufmann Sebastian Scheuber geheiratet. Wie zu der Zeit üblich, trug sie seitdem den Nachnamen »Scheuberin«, also Sebastians Nachnamen mit dem Anhängsel »-in«, um ihr Geschlecht zu markieren. Ihren eigenen Familiennamen kennen wir nicht. Als Helena 1477 heiratete, war sie eine gute Partie, und neben Sebastian hatte sie einen weiteren Bewunderer, den Koch des Erzherzogs – und der war kein kleiner Gemüseputzer, sondern der Manager der verschiedenen Küchen des Erzherzogs. Er konnte Helena nicht für sich gewinnen und heiratete daraufhin eine Bayerin. Dann, im Jahr 1485, als Helena wahrscheinlich in ihren Dreißigern war, suchten dieser Mann und seine Ehefrau Heinrich Kramer auf und beschuldigten Helena der Hexerei. Der erzherzögliche Koch erzählte Heinrich, er und Helena seien vor ihrer Heirat ein Liebespaar gewesen und sie »hätte ihn gern zur Ehe gehabt«. Nach ihrer Trennung seien sie, so behauptete er, Freund:innen geblieben. Sie hatte Sebastian Scheuber geheiratet und an der Hochzeit ihres früheren Freundes teilgenommen. Aber wer hatte denn jetzt wirklich wen verlassen? Wenn Helena von diesem Mann so hingerissen war, warum heiratete sie dann vor ihm? Auf seiner Hochzeitsfeier begannen die Gerüchte zu sprießen. Der Koch – der bei der Beweisaufnahme nicht mit Namen genannt wurde, weil man ihm erlaubt hatte, seine Anschuldigungen anonym vorzubringen – sagte, auf dem Empfang habe Helena seiner Braut verkündet: »Dir sollen hier nicht viele gute und gesunde Tage beschert sein.«3 Vielleicht hatte sie damit etwas ganz Unschuldiges ausdrücken wollen, vielleicht hatte sie überhaupt nie so etwas gesagt – oder vielleicht war ihre Bemerkung wirklich feindselig gemeint. Jedenfalls glaubte die Braut, Helena drohte, sie zu verhexen. In ihrer Zeugenaussage gegenüber Heinrich berichtete sie am 18. Oktober 1485 von nur einem gesunden Monat seit ihrer Eheschließung vor sieben Jahren.

Gleichzeitig war Helena seit ihrer eigenen Hochzeit attraktiv geblieben. Ihren Nachbar:innen zufolge pflegte sie »eine enge Freundschaft« mit einem Ritter namens Jörg Spiess. Er wollte mehr,4 und als Helena ihn zurückwies, war er am Boden zerstört. Im Frühjahr 1485 starb er plötzlich. Am 15. Oktober reagierte die Familie Spiess auf Heinrichs öffentliche Einladung während seiner Predigt in der Kirche, Hexen zur Anzeige zu bringen, und gab an, Helena habe Jörg ermordet. Sein Bruder Hans sagte, Jörg habe an seinem Todestag mit Helena gegessen. Er war schon vor dieser Mahlzeit krank gewesen, doch danach wirkte er panisch, krümmte sich und redete hektisch über Gift. »Ich hab ein leck gessen, der ich niemer überwind« (»Ich habe etwas gegessen, von dem ich mich nicht mehr erhole«), sagte er, und »sic morior, quia illa me interfecit.« (»So sterbe ich, weil jene Frau mich tötete!«). Jörg schickte seinen Diener, um ein angeblich universelles Gegengift zu kaufen, und rief einen Arzt, den er schon öfter zu Rate gezogen hatte. Dieser Doktor hatte Jörg schon zuvor empfohlen, Helena nicht mehr zu besuchen, doch er hatte den Ratschlag nicht befolgt.5 Während der Arzt jetzt versuchte, ihn zu beruhigen, brach Jörg zusammen und starb. Jörgs Bruder Hans berichtete Heinrich, die Scheuberin sei »schlecht beleumundet … All das sei allgemeines Gerede«. Helena war eine Berühmtheit in ihrer Kleinstadt mit gerade einmal 5000 Einwohner:innen – eine hübsche, reiche junge Frau, über die die Leute gern tratschten. Und genau wie bei heutigen Berühmtheiten schlug das Gerede irgendwann in Kritik um.

Die von Heinrich gesammelten Zeugenaussagen zeigen, dass man Helena zu dem Zeitpunkt schon seit sieben Jahren der Hexerei verdächtigte – die Unterstellung, sie habe Jörg Spiess getötet, war lediglich die aktuellste Ergänzung. Leider war Hans Spiess in einer Position, in der er gut Gerüchte über sie verbreiten konnte: Wie der Koch, der die erste Geschichte über Helena erzählte, und verschiedene andere, die gegen sie aussagten, arbeitete er am Hof des Erzherzogs Sigismund. Zudem war er ein Verwandter von Sigismunds Geliebter Anna Spiess.6 In den Palästen und Stadthäusern des Erzherzogs verkehrte Hans freundschaftlich mit Fürsten und Priestern. Er kontrollierte sogar den Zugang zum Erzherzog, und in seinen späteren Aussagen gegen zwei weitere Verdächtige, Rosina Hochwartin und ihre Mutter, erklärte er, er sei in der Lage, nervende Bittsteller:innen von Sigismund fernzuhalten. Sein Einfluss, so sagte er, sei so groß, dass eine Frau ihm ein Schmiergeld von zehn Gulden – mehreren hundert Euro – angeboten habe, um eine Petition übergeben zu dürfen. War es Hans, der Sigismund vorschlug, einen Hexenprozess in Innsbruck zuzulassen? Wenigstens zwei weitere Ankläger:innen arbeiteten in Sigismunds Haushalt, und diese Menschen gemeinsam überredeten den Erzherzog vielleicht dazu, Heinrich den Weg zu ebnen; vermutlich hofften sie, der Hexerei einen Riegel vorzuschieben, indem sie einen Experten holten, um ihre Feind:innen zu beseitigen.7

Wenn das stimmte, hatten sie die Rechnung ohne Helena Scheuberin gemacht. Sie sah nicht nur gut aus und verfügte über die nötigen finanziellen Mittel, sondern sie besaß auch eine starke Persönlichkeit und ebensolche Meinungen. In der Geschichtsforschung wird Helena oft als Unruhestifterin dargestellt, weil sie Heinrich im August 1485 direkt anging, doch Helena war überzeugt, dass seine Hexenjagd falsch war, und sah keinen Grund, etwas anderes vorzutäuschen. Anscheinend war sie weniger an Selbstschutz als an Gerechtigkeit interessiert. Heinrich war gerade erst angekommen, als Helena schon seine Hexenjagd-Mission angriff, obwohl sie noch gar nicht selbst angeklagt worden war. Später schrieb Heinrich an Bischof Georg Golser: »Sie bedrängte mich nicht nur mit ständigen Vorwürfen von Anfang an (Ich war seit kaum drei Tagen in der Stadt)«, sondern »spuckte einmal, als ich an ihr vorbeiging und sie nicht grüßte, auf den Boden und äußerte öffentlich Folgendes: ›Pfui – du! Du schnöder Mönch! Dass dich das fallend Übel ereile!‹« Das klingt, als habe Helena Heinrich Epilepsie anhexen wollen: Ein echter Fluch war es wohl nicht, aber doch als solcher zu verstehen, wenn man unbedingt wollte. »Das war«, so Heinrich säuerlich an Georg, »der erste Anlass für mich, ihren Namen festzustellen und ihren Lebenswandel zu untersuchen.«8 Und glücklicherweise fand er mehrere Zeug:innen, die nur allzu gern bereit waren, ihr Hexerei vorzuwerfen.

Heinrich hatte sich seinen Auftritt in Innsbruck anders vorgestellt und reagierte auf Helenas Angriff ehrlich überrascht. »Als ich predigte«, so fährt er in seinem Brief an Georg fort, »zuerst fünfzehn Tage lang jeden Tag und dann zwei Monate lang an einzelnen heiligen Tagen, hörte sie selbst nicht nur keine Predigt, sondern hielt sogar andere davon ab, so gut sie konnte.«9 Helena fühlte sich abgestoßen von dem, was Heinrich predigte. Vielleicht war sein Ruf ihm schon vorausgeeilt, doch auch wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte, kam sie selbst schnell zu dem Schluss, dass seine Ansichten gefährlicher Unsinn waren. Sie erzählte Freund:innen, seine Dämonologie sei »häretisch«, und fügte hinzu: »Wenn der Teufel einen Mönch vom Weg abbringt, predigt er nichts als Ketzerei. Ich hoffe, dass ihm das fallend Übel in seinen grauen Schädel fahre!« Es gibt verschiedene Fassungen von Helenas Worten in den Protokollen des Hexenprozesses. Einer Darstellung nach schrie sie Heinrich an: »Wann wird der Teufel dich wegführen?!« Als Heinrich Helena zur Rede stellte, warum sie ihn schlechtmache, sagte sie schlicht, sie tue das, weil er »über nichts anderes als über Hexen gepredigt« habe.10 Und sie hatte Recht: Die Ereignisse in Ravensburg im Jahr zuvor zeigen, dass für Heinrich die Hexerei zu einer grotesken Obsession geworden war und er darauf brannte, einen weiteren Hexenprozess zu inszenieren.

Und welche Ängste müssen seine Predigten geweckt haben! Im August ritt er in die Stadt ein, nagelte seine päpstlichen Vollmachten an die Kirchentüren und legte zwei Wochen lang jeden Tag seine Theorie dar, derzufolge an jeder Ecke mörderische Hexen lauerten. Er rief alle, die etwas über Hexerei in Innsbruck wussten, auf, sich zu melden. Für die Frauen der Stadt gab es kein Entrinnen. Während er seine Predigten herausbellte, musterte Heinrich die Bürgersfrauen, die in Gruppen vor ihm standen. Jede wusste, dass sie bewertet wurde: Hörte sie aufmerksam genug zu und sprach an den richtigen Stellen die richtigen Worte? War sie bescheiden gekleidet: ihre Kopfbedeckung sauber, ihr Kleid hochgeschlossen? Wie viel Schmuck trug sie – so viel, dass sie wie eine stolze Isebel wirkte? Heinrich wollte, dass sich die Frauen – selbst eitle reiche Matronen in Seide und Pelzen – ihm unterwarfen, aufmerksam seinen Worten lauschten. Während er die täglichen Bewegungen der Gemeinde zur Kirche hin und von ihr weg durch seine Rufe zur Predigt kontrollierte und ihre Unterwerfung unter seinen Blick erzwang, etablierte er seine Autorität in Bezug auf alles, was die Hexerei betraf. Jetzt war es so weit, und ihm stand der Sinn danach, einige Angehörige seiner Gemeinde umbringen zu lassen. Kein Wunder, dass Helena wütend war. Man hat sie in der Geschichtsschreibung unterschätzt, hat sie als Opfer bemitleidet oder als zänkisches Weib getadelt. Nur wenige Menschen haben gelesen, was sie tatsächlich sagte. Wenn wir es aber tun, können wir ihren Mut erkennen: Sie schrie dem Frauenverfolger Beleidigungen ins Gesicht, sie warnte andere vor seinen Predigten. Das war keine Überreaktion, und sie war sich des Risikos durchaus bewusst – das Leben von Frauen in ihrer Stadt stand auf dem Spiel, und deshalb machte sie den Mund auf. Sie war ganz und gar keine Hexe, sondern eine intelligente, engagierte Christin. Und sie war hinreichend theologisch gebildet, um mit Heinrich zu streiten, als sie im Oktober befragt wurde. In einer seiner Predigten im August habe Heinrich, so warf Helena ihm vor, etwas Häretisches gesagt. Er hatte die Methode beschrieben, »einen Milchkrug zu zerschlagen, um herauszufinden, ob eine Hexe den Kühen ihre Milch genommen habe«. Heinrich war empört. Er habe, so schäumte er, diese Informationen aus den Zeugenaussagen, die man ihm gegeben habe, zitiert. Eine Anklägerin hatte gesagt, jemand stehle die Milch ihrer Kühe durch Hexerei. Um die Milchdiebin zu überführen, habe sie einen Krug voll Milch über ihr Feuer gehängt und ihn zertrümmert, wobei sie den Namen des Teufels angerufen habe. Die Diebin sei dann gelaufen gekommen, angezogen von einer magischen Verbindung zur Milch, die auf die Flammen tropfte.11 Unsinn, schnaubte Helena: Gute Kirchenmänner hielten es für dämonisch, Rituale im Namen des Teufels abzuhalten. Wenn Heinrich so etwas nicht unterstütze, warum erwähne er es dann überhaupt? Mit Verachtung in der Stimme erklärte sie ihm, sie werde weiterhin seine Predigten schwänzen. Wer war denn hier der Ketzer?12

Helenas Angriff auf den Inquisitor lässt vermuten, dass sie einigen Reformvorstellungen der 1480er-Jahre anhing. Sicher kannte sie den tschechischen Reformer Jan Hus. In den frühen Jahren des 15. Jahrhunderts gründete Hus eine Bewegung, die verschiedene katholische Praktiken kritisierte. Das Hussitentum breitete sich in Böhmen und Mähren (heute Tschechische Republik), Deutschland, Österreich und der Schweiz aus, wo es andere Gruppen beeinflusste, die sich heimlich zu Bibelstudium und Gesprächen trafen. Viele Hussit:innen hielten alle Mönche für verdorben und traten dafür ein, Klosterstiftungen abzuschaffen. Sie kritisierten die Scheinheiligkeit der kirchlichen Institutionen in sexuellen Belangen ebenso wie die Geistlichen, die sich für verschiedene Aufgaben bezahlen ließen, sie dann aber nicht leisteten. Solche kritischen Einstellungen gegenüber dem Mönchtum standen womöglich im Hintergrund, als Helena Heinrich als »schnöden Mönch« beschimpfte, was wahlweise »verachtenswert« oder »unehrenhaft« bedeuten kann. Letztere Bedeutung würde ihr Urteil noch deutlicher zum Ausdruck bringen. Wenn Helena tatsächlich mit den Hussiten sympathisierte, mussten sie Heinrichs Ansichten zur Ketzerei und seine persönliche Moral abstoßen. Vorwürfe, er setze andere unter Druck und sei korrupt, hatten seine Karriere schon zuvor behindert: 1474 und 1475 hatte man wegen Verleumdung von Mitbrüdern gegen ihn ermittelt, 1482 wegen Unterschlagung. Diese Skandale waren zweifellos auch in Innsbruck bekannt.13 Und auch Heinrichs offizielle Arbeit wirkte sicherlich abstoßend auf Reformer:innen. Eine seiner Einkommensquellen war der Verkauf von Ablässen, Dokumenten, mit denen reiche Christ:innen sich von Strafen im Jenseits für auf Erden begangene Sünden freikauften. In den Augen der Hussiten waren Ablässe reine Geldmacherei. Zudem verabscheuten sie Kirchengewalt als unchristlich an sich. Auch die Verbrennung von Häretiker:innen und Hexen erzürnte sie, und Helena wandte sich wie sie entschieden gegen diese Praxis.

Heinrich hatte seit den 1460er-Jahren gegen Hussiten ermittelt und glaubte, Helena offenbare nicht nur Anzeichen von Hexerei, sondern auch von Reformergeist.14 Als er ihre Anklage aufsetzte, schrieb er, er verdächtige sie einer »doppelten Ketzerei, nämlich einer Ketzerei des Glaubens und der Ketzerei der Hexen«.15 Und natürlich war sie außerdem eine Frau. Heinrich achtete sorgfältig darauf, in den Prozessunterlagen seinen Frauenhass nicht durchscheinen zu lassen, doch danach, in den Jahren 1486/1487, schrieb er ein dämonologisches Werk, den Malleus Maleficarum oder »Hexenhammer«. Mit einem Hammer folterte man angebliche Hexen, indem man Keile in Eisenstiefel trieb, die man ihnen angelegt hatte, so dass die Beine der Opfer zerquetscht wurden. In seinem Buch, das er als Waffe einsetzte, zitiert Heinrich aus dem Buch Sirach, einer Spätschrift des Alten Testaments: »Klein ist jede Bosheit gegen die Bosheit der Frau.« Frauen seien »in allen Kräften der Seele wie des Körpers mangelhaft«, notierte er, und eine boshafte Frau sei »sündhafter« als der Mann, »von Natur aus lügnerisch« und wolle »nicht geführt werden«.16

Abb. 4: Eine frühe Ausgabe von Malleus Maleficarum, dem Hexenhammer.

Diese Behauptungen entsprechen den Anklagen, die er und andere gegen Helena erhoben: Sie sei promiskuitiv, nicht vertrauenswürdig, zu unabhängig. In einem Brief an Bischof Georg Golser beschreibt Heinrich sie als »tückisch, laut und aufdringlich«. Er erklärt, man müsse fest von ihrer Schuld ausgehen: Sie müsse unter der Folter befragt und »umsichtig und mit Klugheit« angeklagt werden.17 An anderer Stelle nennt er sie »eine »Landstreicherin und verwahrloste Frau« und unterstellt, sie habe neben Jörg Spiess und dem Koch des Erzherzogs noch viele andere Liebhaber gehabt. Das waren schwere Vorwürfe, selbst für diese Zeit und diesen Ort. Heinrich erklärte sogar, »mehr als einhundert Männer hätten eidesstattliche Aussagen gegen die inhaftierten Personen, besonders gegen die Scheuberin, gemacht, doch sie würden zurückgehalten … aus Angst, die Namen der Aussagenden würden allgemein bekannt werden«.18 Er glaubte, Helena habe diese Männer zum Schweigen gezwungen. Nachdem sie sie verführt hatte, bedrohte sie sie jetzt mit Bloßstellung und Zauberei.

Neben Helena erregten auch andere Innsbruckerinnen, die ihre eigenen Entscheidungen in Sachen Sexualität und Religion trafen, Heinrichs Aufmerksamkeit. Zwei entstammten der jüdischen Gemeinschaft der Bankiers und ausländischen Handelsagenten, waren aber beide zum Christentum konvertiert. Solche Bekehrungen, seien sie nun echt oder erzwungen, halfen den Juden, die Verfolgung, unter der sie litten, zu mindern. In den 1420er-Jahren waren in ganz Österreich Jüdinnen:Juden ermordet worden. Die Überlebenden wurden deportiert und durften erst 50 Jahre später zurückkehren. Viele Berufe waren ihnen verschlossen, sie galten als Ausgestoßene, wenn sie nicht die Religion wechselten. Jetzt aber wurde Ennel Notterin trotz ihrer Bekehrung angeklagt, einen ketzerischen magischen Ritus vollzogen zu haben. Angeblich hatte sie ein Bild Christi ausgepeitscht und dabei Gotteslästerungen von sich gegeben – eine klassische antisemitische Verleumdung. Die andere Jüdin, Elsa Böhemin, hatte angeblich ihre eigene Schwester aus Eifersucht verhext. Antisemitische Einstellungen finden sich auch in verschiedenen anderen der Anklagen in Innsbruck: So heißt es, eine der Hexerei verdächtige Frau habe ihre Bedienstete ins jüdische Viertel geschickt, um Exkremente als Zutat eines Zaubertranks zu besorgen. Doch die angeklagten Frauen kamen nicht nur aus dem jüdischen Viertel, sondern aus allen Teilen Innsbrucks und – als die Hexenjagd Verdächtige jenseits der ursprünglichen sieben erfasste – ebenso aus den umliegenden Dörfern.

Manche gehörten wie Elsa Heiligkrutzin, die Schwester eines Priesters, zu frommen Familien. Manche waren wie Rosina Hochwartin mit dem Erzherzog verbunden: Rosinas Ehemann war Sigismunds Büchsenmacher gewesen, bis der Erzherzog ihn hinauswarf. Barbara Hüfeysen, einer Freundin von Helena, wurde vorgeworfen, magische Heilkunst zu betreiben, und ihre Patientin Barbara Pflieglin wurde ebenfalls angeklagt, weil sie die Heilmittel in Auftrag gegeben hatte. Solche Mittel – Gebete, Amulette – waren durchaus üblich. Als Magie der einfachen Leute galten sie vor dem Aufkommen der Dämonologie gewöhnlich als harmlos. Doch Barbara Hüfeysens Magie konnte angeblich auch töten. Man sagte, sie habe anderen beigebracht, wie man durch Fasten an drei Sonntagen einen Feind töten könne, und junge Frauen gelehrt, »wie man den Teufel anrufen müsse, um Liebe oder Krankheiten anwünschen zu können«. Manchen Frauen wurde Promiskuität in Kombination mit Zauberei vorgeworfen: Agnes Schneiderin hatte angeblich ihren Geliebten verflucht.19 Anklage erhoben Männer wie Frauen, Hausmädchen wie Höflinge: Alle, die krank waren oder einen persönlichen oder finanziellen Verlust erlitten hatten, konnten glauben, dass Hexerei daran schuld sei. Barbara Pflieglin und Rosina Hochwartin wurden von ihren Bediensteten beschuldigt, andere von Rival:innen im Geschäft oder in der Liebe. Zwei Angeklagte aus der weiteren Gruppe waren Hebammen, eine war Krankenschwester. Solche Frauen wurden häufig zu Zielen, weil sie über eine gewisse Macht verfügten. Mehrere Ankläger:innen beschrieben, wie sie während einer Krankheit oder Geburt in ihren Häusern Amulette aus Stoff, Samenkörnern und Steinen gefunden hatten. Die waren vielleicht von magischen Heiler:innen dort abgelegt worden, doch im Kontext einer Hexenjagd wurden sie als Zeichen eines Angriffs gewertet.

Andere Anklagen klangen skurriler: Rosina Hochwartin sollte ein Hemd mit Zauberpaste bestrichen haben, um dessen Träger:in mit Krankheit zu schlagen, sowie den Kopf eines toten Mannes gekocht und eine tote Maus als Zauber benutzt haben, um die Gunst des Erzherzogs zu erringen. Barbara Pflieglin hatte einen Durchfall verursacht, indem sie ein Schilfrohr in die Strömung des Inns hielt. Die grotesken und ekelerregenden Inhaltsstoffe und skurrilen Ergebnisse solcher magischen Riten lassen vermuten, dass die Innsbrucker:innen die Hexen in ihrer Mitte als schmutzige Plagegeister ansahen, die ihre Gemeinschaft besudelten. Nach Meinung Heinrichs und anderer war Helena Scheuberin die Anführerin dieses Schwarms von Hexen. Ihre Ankläger:innen deuteten an, Jörg Spiess sei wegen eines Liebeszaubers so besessen von ihr gewesen, und Jörgs Schwester glaubte, Helena habe ihn nicht mit Gift, sondern mit einem Stück Fleisch von einem Kind getötet. Ähnlich hatten andere angeklagte Frauen angeblich beim Zaubern die Knochen toter Kinder eingesetzt. Hexen galten oft als unweibliche Frauen, als Kinderhasserinnen, Anti-Mütter, Anti-Hausfrauen. Damit wurde das Wissen, das den traditionell weiblichen Berufen der Kinderbetreuung, Pflege, Geburtshilfe und der häuslichen Beratung zu Grunde lag, ins Gegenteil verkehrt – die Menschen sahen diese Frauen nicht als Helfende, sondern glaubten, sie hätten Babys und Kinder ermordet. Statt gesundes Essen zu kochen, brauten sie Gifte oder kochten Menschenfleisch für Zaubertränke – eine Vorstellung, die auch in mitteleuropäischen Märchen wie Hänsel und Gretel anklingt.20

Abb. 5: Ein Holzschnitt aus einem Buch des Anwalts Ulrich Molitor von 1489 zeigt eine Hexe, die mit dem Teufel tanzt und von ihm verführt wird. Obwohl Molitor eigentlich Heinrich Kramers Gutgläubigkeit und Besessenheit kritisierte, werden diese Bilder oft als Befürwortung dämonologischer Phantasien fehlinterpretiert.

Als Heinrich seine Untersuchung abschloss, hatte er 63 Menschen beschuldigt, allerdings nur die ursprünglichen sieben offiziell angeklagt. Man hatte sie aus ihren Wohnungen verschleppt und ins Gefängnis geworfen. 61 der Beschuldigten waren Frauen, nur zwei von ihnen Männer. Einer war der Ehemann einer Beschuldigten. Der andere war ein nicht mit Namen genannter Töpfer, dem man vorwarf, Magie eingesetzt zu haben, um herauszufinden, wer eine Frau namens Gertrud Rötin verhext hatte. Er riet Gertrud, unter der Schwelle ihres Hauses zu graben. Dort fand sie eine mit einer Nadel durchbohrte Wachsfigur ihrer selbst, Stoffstücke und Asche, Holz von einem Galgen, einen Faden von einem Altartuch und Knochen – angeblich von ungetauften Kindern. Gertrud sagte, der Töpfer habe gewusst, dass diese Dinge dort waren, weil er der Geliebte von Barbara Selachin sei, die sie dort abgelegt habe.21 Der Töpfer war ein Heiler und Weissager und sah sich plötzlich beschuldigt, weil seine vermeintlich gute Magie jetzt als schlecht umgedeutet wurde; etwas, das bei einer Hexenjagd oft geschah. Aber er geriet auch unter Verdacht, weil er mit einer angeklagten Frau in Verbindung stand. Die unausweichliche Schlussfolgerung ist, dass Heinrich Kramer fast ausschließlich nach weiblichen Hexen Ausschau hielt, und zwar fanatischer als andere Inquisitoren seiner Zeit. Denn angeklagt wurden letztlich nur Frauen.

Bei privaten Vorbefragungen durch den Inquisitor hatten alle sieben abgestritten, Hexen zu sein. In dieser Phase wurde keine gefoltert. Jetzt aber wurden sie vor Gericht gezerrt, um festzustellen, ob die Anklage berechtigt und Folter notwendig war, um die »Wahrheit« herauszufinden. Und so zogen am Samstag, dem 29. Oktober, Heinrich und seine Schreiber quer über den Marktplatz ins Rathaus von Innsbruck, um ihren Hexenprozess dort unter den Augen der Amtsträger des Bischofs und des Erzherzogs zu führen. Es war ein Kirchengericht, autorisiert vom Papst, organisiert vom lokalen Bischof und überschattet von der Macht des Erzherzogs Sigismund. Heinrich sollte der Richter sein, obwohl er gleichzeitig auch als Ankläger mindestens einer Frau, Helena, auftrat und schon deutlich gemacht hatte, dass er an ihre Schuld glaubte. Das war der Weg, wie die Inquisition ihre Prozesse seit den Anfängen im 12. Jahrhundert führte: Anklagen, Untersuchungen und Urteile kamen aus einer Hand, von denselben Menschen. Dennoch scheint Heinrichs Verhalten besonders unfair. Er nutzte das reguläre Vorgehen der Inquisition, um einen Musterprozess für seine neue dämonologische Theorie zu inszenieren. Er ließ zu, dass persönliche Abneigung und Frauenhass seine Wahl der Verdächtigen beeinflussten. Er drängte auf Folter. Und er machte schon mit seiner Planung des ersten Verhandlungstages klar, wer sein vorrangiges Ziel war: Helena Scheuberin war die erste, die vor den Richter gerufen wurde.